Zwischen Schalom und Schekel

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ACHTUNG!
Ich weise darauf hin, dass dieser Text für gläubige Menschen nicht unbedingt geeignet ist. Als Atheist kann ich inzwischen NICHTS mehr gutheißen, was im Namen der diversen Religionen mit uns Menschen angestellt wurde. Der Text ist meine eigene Meinung und darf nur unverändert und mit Quellenangabe zitiert werden.

VORWORT

Vielleicht hätte ich die Warnungen beachten sollen.
Vielleicht hätte ich den Dingen eine Chance geben sollen.
Vielleicht hätte ich mich vorher über den Inhalt der Reise informieren sollen.
Vielleicht spielt das aber auch gar keine Rolle, weil es eben so ist, wie es ist.

Zwischen Schalom und Schekel

In Bad Homburg, meiner alten und jetzt wieder neuen Heimatstadt, machte der April gerade was er will. Straßenglätte, Schneefälle und Temperaturen bis minus sieben Grad. Und das, nachdem der Frühling bereits mit nahezu sommerlichen Werten die Sonnenfreunde ins Freie trieb. Kurz nur war das Vergnügen, eine Kältewelle seltenen Ausmaßes drängte die Leute in ihre Buden zurück.
Und die sollten besser nicht beheizt werden, weil ein gewisser Autokrat namens Putin Europa den Gashahn abstellen wollte. Sollte er es nicht tun, würde Deutschland den Bezug russischen Gases weiter reduzieren, wenn nicht gar einstellen. Auslöser des Dilemmas war ein Angriffskrieg des Herrn Putin gegen seine angeblichen Brüder, die Ukrainer. Die wären gerne den Klauen des russischen Väterchens entkommen und wehrten sich tapfer. Darunter auch viele ukrainische Arbeiter, die infolge der Vaterlandsverteidigung nun nicht mehr unsere Lebensmittel fahren oder gar Spargel aus dem Feld stechen konnten. Das führte zu gewaltig steigenden Preisen im Land, vor allem im Lebensmittelhandel. Die Butter legte 30% zu, Fleisch sogar bis zu 50%, von den Benzinpreisen ganz zu schweigen. Als ob das nicht schon betrüblich genug wäre, kämpfte Deutschland nun bereits im dritten Jahr gegen ein Virus namens COVID 19, das partout keine Anstalten machte, vom Erdboden zu verschwinden. Im Gegenteil, die Zahl der täglichen Infektionen stieg von einigen hundert auf über 300.000 pro Tag, was logischerweise auch zu rund 300 frischen Toten pro Tag führte. Der Börse war das auch nicht recht. Die enormen Kursgewinne der letzten drei Jahre fielen in sich zusammen wie die Hochhäuser in Kiew.

Kurzum, es war genau der richtige Moment, diesem ganzen Wahnsinn zu entfliehen und endlich mal wieder Urlaub zu machen. Wobei meine Art, Urlaub zu machen, sich nicht mit der allgemein gültigen Definition deckt. Während der Norm-Urlauber seine Zeit gerne am Strand oder Pool verbringt, um sich bei gleichzeitiger Einnahme extremer Alkoholmengen die Haut zu verbrutzeln, suche ich bekanntlich doch mehr als das Meer. OK, dem Alkohol biete ich gerne meine Leber an, und auch die eine oder andere Sonnenbestrahlung hat bei mir vorübergehenden Schaden angerichtet, aber im großen Ganzen geht es mir doch eher ums große Ganze. Wie sind Land und Leute? Wie lebt sich’s im Land? Was gibt es an Sehenswürdigkeiten zu bestaunen?

Und als ich da im letzten Sommer voller Fernweh mit meinen beiden Schwestern, Anna-Karén und Angelika, kurz Anna und Gela, zusammensaß, tauchte plötzlich ISRAEL als Traumziel unserer Sehnsüchte auf. ISRAEL, der Schmelztiegel vieler Nationen und Religionen zwischen Afrika und Vorderasien, der uns gewiss neue Impulse bringen würde. Schnell war ein Reiseunternehmen gefunden, das uns für eine erkleckliche Anzahl von Talern eine hübsche Rundreise zusammenstellte, um das Land unserer Träume einmal näher kennen zu lernen.

Auf der Festung in Jaffa

VORBEREITUNG

GEBECO heißt das Unternehmen, das unsere Reise zusammengestellt hatte. Zehn Tage Rundreise plus zwei anschließende Erholungstage am Meer war der Plan. Meine Schwestern buchten Doppelzimmer; ich war Alleinreisender und zahlte daher fast für zwei.

Wenige Tage vor dem Abflug meldete sich das Auswärtige Amt mit der unmissverständlichen Empfehlung, das Land Israel bis auf Weiteres nicht zu besuchen. Grund war eine Reihe von Terroranschlägen mit vielen Toten. Zum nahenden RAMADAN erwartete das Land aufgrund geheimdienstlicher Informationen weitere Anschläge. Wir drei diskutierten die Reisewarnung und beschlossen, sie nicht zu beachten. Ein „paar Tote“ gibt es jederzeit irgendwo auf der Welt durch Gewalt Dritter. Rein mathematisch gesehen war die Wahrscheinlichkeit sehr gering, zum Opfer zu werden.

Das war die erste Warnung.

Für eine Reise nach Israel muss man viele Formulare ausfüllen und mitführen:

1. Eine Bestätigung der Krankenkasse, dass sie die Kosten einer eventuellen Rückführung im Falle eines Falles, z.B. Corona, übernehmen würde.
2. Ein Einreiseformular, das man online über mehrere Bildschirmseiten akkurat ausfüllen muss – beim kleinsten Fehler wird man nicht mitgenommen!
3. Einen sogenannten „Green Pass“, der im Wesentlichen aus einem QR-Code und einer Menge von hebräischem Text besteht – auch den gibt es im Internet.
4. Einige ausgedruckte Seiten mit „Vouchers“ für die diversen Hotels, die man aufsuchen wird, ohne sie jemals vorzeigen zu müssen.
5. Ein Vorab-Online-Check-In samt Sitzplatzreservierung.
6. Einen aktuellen negativen PCR-Test.
7. Und natürlich den Reisepass, mindestens noch sechs Monate gültig.

Das alles korrekt auszufüllen, hat uns drei für mehrere Stunden beschäftigt. Teilweise haben die Server der Lufthansa, teilweise die Rechner in Israel gepatzt, aber letztendlich haben wir das irgendwie hinbekommen.
Ganz ehrlich: So viel Stress hatte ich weder bei der Einreise nach China noch nach Russland.

Das war die zweite Warnung.

Jesus ist überall. Hier stimmt der Spruch tatsächlich.

Dann war da noch diese Sache mit Corona. Um überhaupt ins Flugzeug zu dürfen, brauchte man einen aktuellen PCR-Test, der nicht älter als 48 Stunden sein durfte. Das war schon mal gar nicht so einfach. Die meisten Testzentren hatten keine Kapazitäten frei. Über eine Freundin bekam ich dann einen Termin um 7.55 Uhr (!) Im Testzentrum am Bad Homburger Krankenhaus. Bei eisigem Wind stand ich zum Glück nur wenige Minuten im Freien, bis zwei junge Männer den Schreibkram und eine unfreundliche Schwester den Abstrich erledigt hatten.
Mein Ergebnis kam am selben Nachmittag gegen 16.00 Uhr. Ergebnis: POSITIV!
Ich traute meinen Augen nicht. Ich soll an Corona erkrankt sein? Mir geht’s doch bestens, und mein letzter Schnelltest vom Vortag war doch auch negativ. Ich war kurz davor, meine Schwestern anzurufen, um die Reise abzusagen, als leise Zweifel an dem Dokument aufkamen. Ich wurde bereits um 7.55 getestet und nicht um 9:46, wie im Befund stand. Außerdem stimmte mein Geburtsdatum nicht. Und bei genauerer Prüfung stellte ich fest, dass auch mein Name nicht korrekt angegeben war. Genauer gesagt hatte der Name mit mir nicht das Geringste zu tun. Mit anderen Worten: Die hatten das positive Zertifikat eines völlig anderen Menschen mit meinem Namen versehen und mir als PDF zugeschickt!
Es dauerte eine Weile, bis ich jemanden im Labor der Klinik an die Strippe bekam. Das Mädel am anderen Ende war sichtlich betroffen und suchte mir immerhin das richtige Ergebnis raus: MEIN TEST WAR NEGATIV! Leider reichte ihre Kompetenz nicht aus, mir das richtige Ergebnis auch zu mailen. Dazu musste sie ihre Chefin aufsuchen und sie zu einem Rückruf bewegen. Ich bat sie eindringlich, auf keinen Fall aufzulegen, weil die Chance, dass am Freitagnachmittag um 17.00 Uhr in einer Behörde noch mal jemand ans Telefon ging, nahezu unwahrscheinlich war. Also lief das Mädel so lange durchs Labor, bis sie ihre Chefin gefunden hatte. Die blökte erstmal das Mädel an, dass sie mir das Ergebnis einfach so am Telefon verraten hatte und bot mir dann an, gegen Versendung einer Mail mit dem Foto meines Reisepasses meinen richtigen PCR-Test herauszurücken. Der kam dann auch eine gute halbe Stunde später, gefolgt von einem weiteren Duplikat des Tests, versehen mit einer Entschuldigung des Praktikanten für die Verwechslung.

Das war bereits die dritte Warnung.

Schöne Ausblicke

Der Flug war für 10:30 Uhr angesetzt. Frankfurt – Tel Aviv, mit der Lufthansa. Wegen der umfangreichen Sicherheits-Maßnahmen wurde uns ein dreistündiger Vorlauf empfohlen. Also Einchecken um 7:30 Uhr. Bedeutet 7.00 Uhr zu Hause abfahren, bzw. 6.15 Uhr aufstehen. Wie üblich, startete ich den Wecker mit einem Sprachbefehl an Alexa: „Alexa, wecke mich um 6 Uhr 15.“ – „Wecker für 6:15 Uhr ist gestellt.“
Wahrscheinlich hat er auch fein gebimmelt, der Alexa-Wecker. Blöderweise hatte ich nicht bedacht, dass immer DER Wecker klingelt, mit dem man den Weckruf vereinbart hat. In diesem Fall Alexa in meinem Büro. Und das tat er auch. Gute 15 Minuten lang, bis ich am anderen Ende meiner Wohnung von selbst aufwachte und auf die Uhr schaute. So schnell war ich noch nie hellwach. Die Koffer waren ja gepackt, das Taxi stand pünktlich vor der Türe, meinem „Urlaub“ sollte nichts mehr im Weg stehen.
Nach rund 400 Metern Fahrstrecke fiel mir dann auf, was ich zu Hause liegen gelassen hatte: Meine Tasche mit dem MacBook, dem iPad, den Netzteilen, dem Ticket, allen mühsam erkämpften Formularen und vor allem dem Reisepass.
Also wieder nach Hause, die Tasche geschnappt und nun endgültig zum Flughafen.

Könnte man durchaus als vierte Mahnung verstehen.

Sozialer Wohnungsbau vor 2000 Jahren

Aber, wie ich nun mal so bin – ich schlug alle Warnungen in den Wind und checkte ein. Meine Schwestern kamen ein paar Minuten später dazu. Wir hatten noch nichts gegessen und wollten eigentlich zusammen frühstücken. Leider gab es am Schalter C4 im Frankfurter Flughafen kein Restaurant oder wenigstens warmen Kaffee. Erst im Flieger bekamen wir so eine Art Wrap mit undefinierbaren Zutaten samt dem bekannt schalen Kaffee dazu.

Und dann sind wir gestartet. Vorbei der ganze Stress der Vorbereitung, unser Urlaubsziel lag nur noch viereinhalb Stunden entfernt vor uns. Das Flugzeug (A321 Neo) war nur zu etwa zwei Dritteln besetzt; der Flug war ruhig und angenehm.
Fast pünktlich landeten wir auf dem Ben-Gurion-Flughafen in Tel Aviv. Ein Flughafen, der eigentlich viel zu groß für den relativ überschaubaren Flugverkehr ist. Mit der Landung war es nicht getan. Zunächst musste man seinen Pass fotografieren lassen und dabei dümmlich in eine Kamera grinsen. Dadurch wurde ein kleiner blauer Zettel erstellt, der ausgedruckt aus dem Apparat kam. Leider ersetzte diese praktische Passkontrolle nicht die kompletten Einreiseformalitäten. Wir mussten uns trotzdem noch in eine Schlange für die Passkontrolle anstellen. Dort wurden alle unsere mitgebrachten Ausweise, Zertifizierungen, Green Passes und Versicherungsbestätigungen überprüft, bevor wir als letztes EIN WEITERES MAL EINEN PCR-Test über uns ergehen lassen mussten. Natürlich wussten wir das schon vorher – und hatten den Test auch schon vor der Reise bezahlt – aber nach diesem Test war es uns untersagt, das Hotel zu verlassen, bis nicht innerhalb von maximal 24 Stunden ein negatives Ergebnis übermittelt würde.

Der erste Tag

Eine Mitarbeiterin von „GEBECO“ stand gleich am Anfang unseres langen Fußweges und sammelte ihre Schäfchen ein. Leider fehlten ganze fünf Schafe. Statt der erwarteten 14 waren wir nur zu neunt. Neun Touris, die sich gegenseitig beäugten. Schon in Frankfurt hatte ich bei so manchem Mitflieger befürchtet, Teil der Gruppe zu sein. Aber so ist es ja meistens. Bis man sich näher kennenlernt, muss man sich erst einmal beschnuppern. Und wer weiß, vielleicht entpuppten sich einige der mitreisenden Exemplare, denen man sonst nirgendwo begegnen möchte, doch als ganz interessante Zeitgenossen…

Auch längeres Warten brachte die vermissten Tour-Teilnehmer nicht zutage. Irgendwann verabschiedete sich die GEBECO-Einsammeltante und übergab uns an den Reiseleiter der Tour, an Radu Mendrea, einem ursprünglich aus Rumänien stammenden, etwa 55-jährigen Mann, der ein ausgesprochen gutes Deutsch sprach, was wohl auch daran lag, dass seine Großeltern Deutsche waren und ihm alle deutschen Bücher zu lesen gaben, als er noch klein war. Radu versuchte sein Glück nach der Jagd auf die verschollenen Reiseteilnehmer erneut, blieb aber ebenso erfolglos wie seine Kollegin eine Stunde vorher. Nach Rücksprache mit seinen Chefs stiegen wir dann in einen nagelneuen Bus mit eingebautem WLAN und fuhren in unser erstes Hotel.

Olivenmühle. Der mit dem Straßenplan ist übrigens Radu.

Das Hotel „ALLENBY 75“ in der Allenby Street Nummer 75 in Tel Aviv war ein ziemlicher Schock. Winzig kleine Zimmer, die fast komplett vom Bett ausgefüllt wurden. Und hier drin sollten wir ausharren, bis dieser dämliche PCR-Test übermittelt wäre? Ein Restaurant gab es auch nicht, aber man konnte kleine Snacks kaufen. Das war ohne israelisches Geld nicht möglich. Also fragten wir Radu, wo man denn jetzt noch Geld wechseln könne. Es war kurz vor sieben. Genaues wusste er auch nicht, aber er meinte, dass „da draußen irgendwo“ sicher noch Geldwechsler zu finden seien. Damit erlaubte er uns, das Hotel zu verlassen. So richtig sinnvoll schien er den erneuten PCR-Test nicht zu halten…
Und kaum dass wir draußen waren, bemerkten wir, dass kein Mensch mehr mit einem Mund/Nasenschutz rumlief. Um nicht unangenehm aufzufallen, kopierten wir diese neue Freiheit und wechselten etwas Geld. Damit das Geld auch unter die Leute kommen konnte, liefen wir dann ein bisschen durch die Straßen bis runter zum Meer und wieder zurück – immer auf der Suche nach einem netten Restaurant. Das fanden wir auch. Beim Studieren der Speisekarte fragten wir uns lange, was für eine Währung da bei den Preisen gemeint war. Es handelte sich tatsächlich um Schekel, also diese Dinger, die wir gerade eingetauscht hatten. Alles war rund zwei bis dreimal so teuer wie in Deutschland! Israel ist eins der teuersten Länder der Welt. Teurer als die Schweiz! Wahrlich geschockt leisteten wir uns lediglich je eine kleine Vorspeise und ein Glas Wein, der natürlich auch das Dreifache eines „normalen“ Weins kostete. Fast 50 Euro pro Person kostete der Snack, den wir in Deutschland – mit Wein! – für höchstens 15 Euro bekommen hätten. Ich werde wohl meine Preise demnächst erhöhen müssen…

Dank der Miniportion nur wenig gestärkt, liefen wir noch eine Weile hin und her, bis wir unser Spielzeughotel wiederfanden. Inzwischen war EINER der fünf Verschollenen aufgetaucht. Er war schon am Vortag angereist und war ziemlich verärgert, dass ihn niemand von GEBECO am Flughafen abgeholt hatte. Inzwischen waren aber auch Gäste mit anderen Flügen hinzugekommen. Insgesamt sollte die Gruppe 20 Personen stark sein. Dabei blieb es allerdings nicht, weil ein Paar direkt am Flughafen in Frankfurt wieder nach Hause geschickt wurde, wie wir später erfuhren. Sie hatten einen Fehler im Einreiseformular gemacht. Einen winzigen Schreibfehler…

Der zweite Tag

Irgendwann mitten in der Nacht trödelten die PCR-Ergebnisse per Mail ein. Fast alle Reisenden waren erwartungsgemäß NEGATIV getestet worden. Fast alle, denn das letzte Problem war eine Dame aus dem Nürnberger Raum, die bisher keine Nachricht über das Ergebnis ihres PCR-Tests erhalten hatte. Nach rund einstündiger Wartezeit, die wir mit dem Frühstück überbrückten, traf Radu – nach Rücksprache mit seinen Vorgesetzten – die Entscheidung, dass wir alle mit Ausnahme der noch Ungetesteten erst einmal eine Stadtrundfahrt durch die Altstadt machen würden. Wenn der Test bis 12 Uhr eingetroffen wäre, würden wir sie im Hotel abholen. Wenn nicht, würden wir weiterfahren und die Dame ihrem Schicksal überlassen. Das Schicksal war sehr ungnädig zu ihr: es kam und kam kein Test. Trotz Nachfragen beim Labor tauchte der Test nicht auf. Daher beschloss die Einreisebehörde, bei ihr den ursprünglichen PCR-Test aus Deutschland gelten zu lassen und die Dame als „negativ getestet“ zu klassifizieren. Abends um 22.00 Uhr durfte sie dann ein Taxi besteigen und sich die rund 210 km bis zu unserem ersten Hotel chauffieren lassen – bezahlt von GEBECO, nicht vom Staat Israel…

So weit, so schlecht. Nun aber mal endlich zu unseren Reiseerlebnissen. Der neue Bus war leider eine ganze Generation älter und schlechter als das schicke Gefährt am Flughafen. WLAN gab es nicht, die Sitze waren eng angebracht und die Kiste kam aus China, Marke „KING LONG“. Unser Fahrer für die Tour, Michelle, stammte aus Barcelona, hatte eine Tochter in Italien und lebte in Haifa. Netter Kerl, aber manchmal ein bisschen ruppig mit seinem King Long. Auch vor seinem Chef Radu und selbst vor den Reisegästen explodierte der Choleriker das eine oder andere Mal, um sich dann später immerhin zu entschuldigen. Wie üblich, war er auch für den Wasserverkauf an Bord verantwortlich. Ordentliche 3 Euro für zwei kleine Flaschen Billigwasser waren eine mutige Forderung, die er aber eiskalt durchsetzte. Immerhin war das Wasser gekühlt.
Am Morgen hatten wir die Altstadt von Jaffa besichtigt – der Schwesterstadt von Tel Aviv. Das war genau der Bereich, den wir am Vorabend schon per Fuß erkundet hatten. Diesmal natürlich unter wissenschaftlicher Leitung und Expertise unseres Reiseleiters Radu.
Und da muss ich leider etwas ausholen: Unser guter Radu ist ein sehr intelligenter, hoch belesener Mann, der die gesamte Geschichte der Menschheit bis auf die Uhrzeit jedes einzelnen Ereignisses im Traum aufsagen kann. Nun ist ja bekanntlich auf der Welt schon so einiges passiert. Der Versuch, die Erzählungen Radus in irgendeiner Form zeitlich oder örtlich einordnen zu können, war schlicht unmöglich – so schnell sprang er zwischen den verschiedenen Glaubensrichtungen und den verschiedenen Jahrhunderten mit den unzähligen, ebenfalls verschiedenen Kriegsherren, Kaisern, Königen, Priestern oder Staatenlenkern hin und her, dass einem bereits nach kurzem Zuhören schwindlig wurde. Die Geschichte des Landes Israels, das ja erst 1948 gegründet wurde, begann aber bereits in der Bronzezeit oder noch früher (fragt Radu!). Seitdem hat hier so ziemlich jeder, den wir in Geschichte durchgenommen haben, Kriege geführt, Land besetzt, Leute versklavt oder abgemurkst und mit Religionen heimgesucht, die immer wieder zu Feindschaften unter den verbleibenden armen Seelen führte. Zu nennen wären da Napoleon, die Kreuzritter, die Ägypter, die Syrer, die Jordanier, Türken, diverse Päpste oder eben Stellvertreter Allahs, die allesamt nur das Ziel hatten, dieses kleine Fleckchen Land, das gerade mal so groß ist wie Hessen, zu besetzen und sich die Bewohner untertan zu machen. Und das bei Temperaturen von bis zu 55 Grad im Sommer. Auszuhalten ist es eigentlich nur im März oder April, danach macht der schönste Krieg keinen Spaß mehr.
Wenn man nun – wie Radu – die Geschichte dieses Landes studiert hat, also ein paar Jahrzehnte seines Lebens damit verbracht hat, fällt es einem leicht, zwischen den verschiedenen Epochen hin- und her zu springen wie ein Rehlein im Walde, weil man voraussetzt, dass der Zuhörer selbstverständlich ebenfalls über den Ablauf der Geschichte informiert ist. Nun wenn jemand wie wir – und damit meine ich unsere gesamte Reisegruppe – keinen blassen Dunst von der „erweiterten“ Geschichte Israels hat, stehen wir dumm da wie Kleinkinder. Und wenn jemand so leichtsinnig ist und Radu eine Zwischenfrage stellt, wenden sich viele sofort mit einem Stöhnen ab. Zum einen, weil die Frage sowieso nicht beantwortet wird und zum anderen, weil Radu dadurch Gelegenheit bekommt, eine weitere Schublade seines unendlichen Wissens aufzuziehen und deren Inhalt über uns Unwissende auszugießen, das Plebejische der Situation durchaus genießend.

Sorry, das klingt ein bisschen böse. Radu ist wirklich sehr nachsichtig und erklärt jedem einzelnen jeden einzelnen Tag der Geschichte in unendlicher Geduld immer wieder. Das verzögert den Programmablauf nicht unwesentlich. Er bat uns zwar einige Male darum, ihm zu sagen, wenn seine Erklärungen zu ausschweifend würden, aber wer traut sich schon, ihn in seinem Redefluss zu unterbrechen und zu sagen: „Hey Radu, halt die Klappe! Es reicht!“.
Erst dachte ich ja, dass es nur mir so ging, aber nach und nach kumulierten sich dann doch die Eindrücke aller Tour-Teilnehmer zu obiger Beurteilung – die keine Bewertung darstellen soll. Die passenden Zuhörer könnten sicher ihr Leben lang von den Ausführungen des Meisters zehren. Mir bleibt nur der Blick in Wikipedia, um den 15-minütigen Vortrag über die Form irgendwelcher Kirchenfenster in einem Satz zusammenzufassen. Erschwerend kommt hinzu, dass Radus wunderbare Stimme leider auch einen gewissen Hang zu Monotonie aufweist, was vor allem bei den Schulstunden während der Busfahrt leicht zu Erschöpfungszuständen mit anschließendem Tiefschlaf führen konnte.

Ich glaube, Radu quält sich selbst, um seinem Anspruch an Perfektion gerecht zu werden. Aus Angst, irgendetwas Wichtiges zu vergessen, erzählt er die ganzen unwichtigen Kleinigkeiten gleich mit. Immerhin liegen zwei Jahre Corona-Pause hinter ihm und dem ganzen Unternehmen GEBECO – da will man keinen Fehler machen.

Da wir keine andere Wahl hatten, haben wir diese gründlichen Geschichtsstunden dann aber doch irgendwann akzeptiert. Im Lauf der Tage hat er auch ein Gespür dafür entwickelt, wann seine Zuhörer sich von ihm innerlich abwandten und eigenen Gedanken nachgingen. Dann kam er meist schnell zum Ende oder wenigstens zum Kernpunkt der Geschichten.

Deshalb bitte ich um Nachsicht, wenn ich in diesem Blog die ganzen geschichtlichen Zusammenhänge auf das Wesentliche komprimiere. Was in diesem Land alles passiert ist, füllt nicht ohne Grund ganze Bibliotheken.

Und dass wir uns die blödeste überhaupt denkbare Reisezeit ausgesucht hatten, stellte sich leider auch erst vor Ort raus. Denn ab Freitag traten hier in Israel gleich drei Zustände gleichzeitig auf:

1. Die Palästinenser feierten ihren Ramadan
2. Die Juden feierten das Pessach-Fest
3. Die Christen feierten Ostern.

Die Muslime dürfen während des Ramadans tagsüber nichts trinken oder essen, was sie ganz besonders aggressiv macht. Bei den Juden ist das immer von Freitagabend bis Samstagabend der Fall. Und weil sich das schmale Land seine diversen Moscheen und Kirchen gleich mit mehreren Religionen teilen muss, ist Trouble quasi vorprogrammiert. Wir waren sehr gespannt, wer von uns das Desaster überleben würde.

Aber soweit waren wir ja noch lange nicht.

Überall Bauruinen.

Das erste Ziel an diesem Tag waren die alten Hafenanlagen von Jaffa, der Altstadt von Tel Aviv.

Der Hafen von Jaffa liegt am südlichen Ende der Strandpromenade Tel Avivs und ist einer der ältesten Häfen der Welt. Seit über 3000 Jahren dient der Hafen dem Heiligen Land als Fischereihafen und hat während dieser Zeit Händler, Pilgernde, Reisende, Eroberer und Immigranten begrüßt. Der Hafen von Jaffa wurde komplett erhalten und restauriert und ist heute ein malerischer, historischer Ort mit antiken Steinstraßen, die hinunter zum Wasser führen. Der Hafen beherbergt unter anderem Restaurants, Cafés, Kunstgalerien und Läden, welche sich in den restaurierten Lagerhallen und Hafengebäuden befinden. 

Jaffa wird in antiken Schriften, auch im Alten Testament, erwähnt. Demnach wurde Jaffa während der kananitischen Zeit (18. Jahrhundert v. Chr.) auf dem Kalksteinriff, das ins Mittelmeer hinausragt, gegründet. Vom 15. bis 1. Jahrhundert v. Chr. wurde Jaffa von verschiedenen Mächten regiert, unter anderen von den Ägyptern, den Philistern, den Israeliten, den Assyrern, von Alexander dem Großen und Syrien. Der Hafen in Jaffa wurde dazu benutzt, Materialien für den Bau des Tempels von König Salomon in Jerusalem zu liefern. Und Jona floh vor der Anweisung Gottes, indem er ein Schiff von Joppa (Jaffa) nach Tarshish nahm. Im 1. Jahrhundert v. Chr. landete der Hl. Petrus in Jaffa.

In den darauffolgenden Jahren kamen und gingen die Eroberer. 636 v. Chr. eroberte Caliph Omar Jaffa und im Jahr 1099 nahmen die Kreuzfahrer die Stadt ein. 1799 eroberte Napoleon die Stadt von den Ottomanen, wobei er selbst nicht lange im Land blieb. Von 1800 an wurden Orangen aus Jaffa in die ganze Welt verschifft. Die Briten übernahmen Jaffa 1917 und bauten ein Zollhäuschen sowie einen größeren Hafen im Süden. Die Briten blieben in Jaffa, bis 1948 der Staat Israel gegründet wurde. 2007 wurde der Hafen komplett restauriert. 

Soweit alles verstanden? Da ist schon eine Menge Weltgeschichte drin, die uns da in zwei Stunden detailliert aufgetischt wurde. Dazu war es schön warm (25 Grad), so dass die kalten Wasserflaschen Im Bus weggingen wie warme Semmeln.

Weiter ging es durch die Innenstadt von Tel Aviv, die einen zwiespältigen Eindruck hinterließ. Einerseits waren viele Häuser renoviert worden, andererseits störten eine Menge von Schrottbauten das Gesamtbild. Die Neustadt mit ihren Wolkenkratzern stellt Frankfurts Skyline in den Schatten. Israel hat bisher keine U-Bahnen, nur wenige Züge und gerade mal eine Autobahn. Dafür aber eine Unmenge an Fahrzeugen, die wegen behördlicher Abgaben doppelt so viel kosten wie in Deutschland, die Straßen aber genauso verstopfen wie in jeder Großstadt. Hässliche Graffitis findet man an fast jeder Ecke, und mit dem Aufräumen oder Säubern ihrer Stadt nehmen es die Bewohner nicht sonderlich genau. Dazwischen findet man immer wieder edle Wohngebäude im beliebten Bauhaus-Stil der dreißiger Jahre, die sogar zum UNESCO-Welterbe erklärt wurden. Die Prachtvillen dürften aber nur einer kleinen Elite vorbehalten sein. Denn obwohl die Preise für Essen und Wohnen durch die Decke schießen, ist der Verdienst der Israelis diesen Kosten nicht angepasst. So verlangt man für israelische Landwirtschaftsprodukte beispielsweise in Deutschland weniger als im Ursprungsland, was mittlerweile auf lauten Protest stößt.
Da wir drei ja im Anschluss an die Studienreise noch drei zusätzliche Tage in Tel Aviv gebucht hatten, stellten wir uns schon jetzt auf ein größeres Loch in der Reisekasse ein.

Wir verließen Tel Aviv und fuhren Richtung Norden, Richtung Haifa. An der archäologischen Ausgrabungsstätte „Cäsaren Maritime“ aus dem 1. Jahrhundert nach Christus machten wir Halt. Das Theater ließ Herodes der Große errichten. In diesem Theater wurde tatsächlich Theater gespielt – die blutigen Gladiatorenkämpfe fanden woanders statt.

Eigentlich wollten wir auch noch die berühmten „Hängenden Gärten von Bahai“ betrachten – die waren aber wegen der ganzen drohenden Unruhen, auf die ich später noch zu sprechen komme, geschlossen. Auch der Programmpunkt „Unterirdisches Gewölbe der Kreuzritterzeit“ musste leider ausfallen. Dafür besichtigten wir eine „Künstlerstadt“ hoch oben am Hang eines Berges. Der Name ist mir leider entfallen, aber die vielen Galerien mit durchaus sehenswerten Kunstwerken blieben mir sehr wohl in Erinnerung. Nach einer und einstündigen Wanderung durch die Gassen des malerischen Dorfes nahm der Bus Kurs auf das „Galiläische Meer“, wo unser zweites Hotel etwas außerhalb an einem steilen Hang auf uns wartete.

Der ungepflegte Kasten gehörte zur selben Kette wie unser Auffanglager in Tel Aviv. „PRIMA-Hotels“ sollten es sein, waren aber weit davon entfernt. So funktionierte die magnetische Schlüsselkarte fast nie, so dass man sie schon fast grundsätzlich vor dem Besuch seines Zimmers neu programmieren lassen musste.

Das Büfett am Abend sah zwar sehr einladend aus, schmeckte aber fast nach nichts. Die vielen, durchaus einladend aussehenden Salate wurden leider nicht täglich neu angerichtet, sondern einfach umgerührt und weiterverwendet. Daher schmeckten sie unangenehm säuerlich.
Wie überall auf unserer Reise, war als Getränk zum Essen Wasser vorgesehen. Leitungswasser. Mein Messgerät zeigte im Hotel in Tel Aviv einen Messwert von 420 ppm an, was noch als Trinkwasser durchgeht. Hier waren es über 680 Schmutzpartikel pro Milliliter (=ppm), was nun nicht unbedingt für Trinkwasserqualität spricht. Dennoch hatte während der Reise niemand Probleme mit dem Magen aufgrund von verdorbenen Speisen oder Getränken.
Wenn man nun aber auf die tollkühne Idee kam, statt Leitungswasser lieber ein Glas Wein zu trinken, wurde man in diesem Hotel schon sehr überrascht. Am ersten Abend war es noch kein Problem: Für umgerechnet 8.- Euro bekam man ca. 0,1 l. Weißwein einfachster Art. Selbst für das anschließende gesellige Beisammensein auf der Terrasse war noch je ein Glas pro Teilnehmer vorhanden. Dann war der Weißwein alle. Und auch am nächsten Abend gab es keinen Wein mehr. Es wurde einfach gar nichts nachgekauft. Notgedrungen machten sich einige Teilnehmer auf, um im entfernt gelegenen Supermarkt am Fuße des Hangs ein gut angewärmtes Fläschchen aufzutun. Die Kühlung desselben scheiterte an dem Nicht-Vorhandensein von Eiswürfeln im Hotel. So mussten wir die Flasche lauwarm konsumieren, was einen schönen Kontrast zur kühlen Außentemperatur ergab. Außer uns war bis auf den Nachtportier anscheinend überhaupt niemand mehr im Hotel anwesend. Die Türen zu den Terrassen standen die ganze Nacht offen. Wer wollte, hätte sich die ganze Bar hinter die Binde kippen können. Hier gab es eine Menge Spirituosen, aber leider nichts zum Verdünnen. Natürlich weder Wein noch Bier oder wenigstens Eiswürfel. Am zweiten Abend entdeckten wir sogar eine Matratze nebst Kissen auf der Terrasse, die wohl irgendjemandem als Schlafstätte diente.

Egal, wir wollten ja Land und Leute kennenlernen. Und so kommen wir nun zu den Sehenswürdigkeiten der Tage drei bis fünf.

Der dritte Tag

Durch ständige Programmwechsel und Umstellungen stimmte das gedruckte Programm sehr bald nicht mehr mit unseren tatsächlichen Erlebnissen überein, weshalb ich das Geschehen nur anhand der Videos und Fotos rekonstruieren kann. An historischen Orten besuchten wir jedenfalls die biblischen Orte Kapernaum, wo Jesus gelebt und gelehrt haben soll, den Berg der Seligpreisungen sowie Tabgha – den Ort der wundersamen Brotvermehrung, Für mich als anerkannten Atheisten schon ein hartes Brot…

Diese ganzen „heiligen“ Gelände in Israel sind wohl im Laufe der Jahrtausende durch Erdbeben und Kriege zigmal zerstört und neu aufgebaut worden. Wobei die Regel gilt: Einmal heilig – immer heilig. Da wurden also Kirchen aller Religionen immer wieder am selben Platz übereinandergestapelt, je nachdem, wer gerade an der Macht war. Echt ein Wunder, dass die Archäologen da noch durchblicken. Ansonsten waren die Jahrtausende vor allem für die Bauarbeiter eine ziemliche Qual. Dauernd mussten sie zentnerschwere Quader durch die Landschaft hieven, um die Wünsche der jeweiligen Herrscher zu erfüllen. Zwar immer noch besser, als für deren Eroberungsfantasien auf dem „Feld der Ehre“ zu sterben. Und gestorben wurde häufig. Das Durchschnittsalter soll noch zu Jesu´ Lebzeiten gerade mal knapp 30 Jahre betragen haben.

Jesus selbst muss eine verdammt gute PR-Abteilung gehabt haben. Wir haben so ziemlich jeden Atemzug des Wanderpredigers – mehr ist er übrigens für die Juden nach wie vor nicht – miterlebt. Eine sogenannte „Wunderheilung“ hier, eine Predigt da, eine angebliche Brotvermehrung infolge Teilung in immer kleinere Stücke, ein physikalisch unmöglicher Spaziergang auf dem Wasser – der Junge hatte es drauf. Muss er von seiner Mutter Maria geerbt haben, also das Flunkern. Denn die hatte ja bekanntlich allen Ernstes behauptet, ein gewisser „Heiliger Geist“ hätte sie im Schlaf geschwängert. Der doofe Josef hat es jedenfalls geglaubt, und das war ja der Sinn der Sache. Außerdem wäre sie gesteinigt worden, wenn sie die Wahrheit zugegeben hätte. Schwangere unverheiratete Frauen wurden damals einfach so entfernt. Also so ähnlich wie das bei einigen arabischen Völkern noch heute der Brauch ist.

Anna und ich in Jaffa.

Wie der geneigte Leser sicher merkt, halte ich nicht viel von Religionen. Das betrifft sowohl die katholische wie evangelische Kirche, den Buddhismus, den muslimischen Glauben und alles andere, was sich dazwischen tummelt. Überall werden Menschen instrumentalisiert, um an eine „höhere Macht“ zu glauben, die alle Pein des Hierseins schon irgendwie richten wird, spätestens im Jenseits. Bullshit! Die Führer dieser ganzen religiösen Verbrecherbanden sind schuld an nahezu allen Kriegen der Menschheit. Religionen, bzw. die fanatischen Umsetzer der einzelnen Glaubensrichtungen, haben Abermillionen Menschen das Leben gekostet. Gäbe es wirklich so etwas wie einen „Gott“ (und ihr könnt mir glauben, es gibt keinen!), würde er es ganz sicher nicht zulassen, dass man seinen Namen dermaßen missbraucht.

Menschen sind unsicher. Ihnen fehlt oft der Halt. Sie wissen nicht, wie es für sie im Leben weiter gehen soll. Und statt nach Lösungen und Hilfe in ihrem Umfeld zu suchen, beten sie irgendeine Fantasiegestalt an und opfern sogar Tiere oder Babys (!), in der Hoffnung, dass dieser „Gott“ sich für die Spenden dankbar zeigt und das eigene Dilemma schon richten wird. (Dass sie dabei „Gottes“ eigene Schöpfung vernichten und dieser daher eher einen Grund zum Erzürnen hätte, scheint damals nicht im Gehirn angekommen zu sein…)

Nichts gegen die zehn Gebote! (Auch wenn sie im Detail auch schon wieder renovierungsbedürftig sind). Damals war der Mensch eher ein Tier als vernunftbegabt. Da kamen ein paar Lebensregeln ganz recht. „Du sollst nicht töten, nicht stehlen, nicht ehebrechen“ etc. Durchaus vernünftige Regeln für ein friedvolles Miteinander. Wir sind eben ein zufällig durch Zellteilung entstandenes Lebewesen, dessen geistige Fähigkeiten offenbar nicht ganz so mithalten konnten wie das Wachstum der Muskeln.

Die Evolution hat zum „Survival of the fittest“ geführt, dem Überleben des Stärkeren. Das war in der Steinzeit so – und ist heute kein bisschen anders.
Nur geht es heute nicht mehr um die physische, sondern um die politische Kraft. Ein Putin muss keine körperlichen Kräfte mehr besitzen, um die Welt in Angst zu versetzen. Ihm reicht die Position, die er innehat. Die Macht, die von der Position ausgeht. Die Macht der Diktatur. Die ist inzwischen fast genauso zerstörerisch wie die Macht der Religionen.
Ja, Demokratie ist sehr langwierig und nicht immer zufriedenstellend. Aber sie stellt wenigstens einen Kompromiss aller denkbaren Möglichkeiten dar. Besser als nichts. Und vor allem besser als alle Macht in einer Hand.

Warum nur fallen Menschen immer wieder auf diese machtgeilen Selbstdarsteller rein?

Ok, ich merke gerade, dass ich mich ein wenig von der Reise entfernt habe. Das Thema lässt mir zwar keine Ruhe, muss aber nicht in diesem Blog zu Ende diskutiert werden.

Typischer Baustil in Israel

Wir haben nämlich an diesem dritten Tag noch einiges mehr erlebt:

Zum Beispiel eine Seefahrt auf dem See Genezareth in einem Nachbau des angeblichen Originalboots von Jesus – wem sonst…
Der Wasserspiegel des Sees muss durch einige technische Maßnahmen auf immer etwa demselben Niveau gehalten werden, damit keine Kunstschätze überschwemmt werden oder absinkender Wasserpegel Fauna und Flora bedroht.
Die Fahrt war ganz unspektakulär. Das runtergekommene Boot, das ich durchaus sogar für das Original gehalten hätte (das renovierte „Echte“ haben wir dann später sehen können) hatte eine große freie Fläche in der Mitte mit Sitzgelegenheiten links und rechts. Große Disco-Lautsprecher zeugten von Einsätzen ganz anderer Art. Bei uns blieb aber alles ganz zivilisiert. So schaukelten wir etwa 30 Minuten über den See. Am Ende konnte man den Matrosen was spenden oder ein T-Shirt kaufen. Habe ich beides vermieden, weil die ganze Fahrt komplett überflüssig war.

Viel moderne Kunst!

Schöner – und auch eins der Highlights der gesamten Reise – war dann der Besuch in einem Kibbuz.

Was ist ein Kibbuz? Nun, als Israel 1948 gegründet wurde, fand man hier außer viel Feind wenig Lebenswertes. Kaum Landwirtschaft, keine Industrie etc. Das Land musste ja bei Null anfangen. Das ging nur mit freiwilligen Leistungen. Und daher kam man auf die Idee des „Kibbuz“. Es handelt sich um eine spezielle Art des Sozialismus. Alle Mitglieder eines Kibbuz arbeiten freiwillig in ihren Berufen. Sie betreiben Landwirtschaft, bauen Wohnhäuser, entwickeln Industrien etc. Für ihre Tätigkeiten bekommen sie aber kein Gehalt, sondern nur ein Taschengeld. Egal, ob Generaldirektor oder Viehjunge – jeder erhält dasselbe. Das klingt erst einmal ziemlich bekloppt, denn da würde ja wohl keiner mitmachen. Doch, in diesem Fall schon. Denn außer dem Taschengeld erhält jeder freie Unterkunft, freies Essen, eine faire Altersrente inklusive lebenslangem Wohnrecht und JEDE medizinische Versorgung. Das Taschengeld gibt es pro Person, sodass größere Familien durchaus ansehnliche Beträge einsammeln konnten.
Dieser aktuelle Kibbuz lebt auch davon, dass z.B. eine Fabrik für Bewässerungsschläuche für die Landwirtschaft gebaut wurde. Erzählt wurde uns das Konstrukt von einer der ältesten Bewohnerin der Anlage, die ein hervorragendes Deutsch sprach, obwohl sie die Sprache nur in ihrer Kindheit gesprochen und vor allem gelesen hatte. Spontan wollten sich einige der Tour-Teilnehmer als Bewohner eintragen lassen – aber so leicht ist es nun doch nicht. Die Altersobergrenze für neue Mitglieder beträgt derzeit 40 Jahre. Wer älter ist, kann zwar auch dort wohnen, lebt aber ganz normal als Mieter zu allerdings günstigen Preisen. (Wie Radu, unser Reiseleiter…)
Gesucht werden junge Leute, die auch mit anpacken können und die notwendige Arbeit erledigen können. Leider lässt die sich derzeit mit eigenen Mitteln nicht mehr bewerkstelligen. Also müssen fremde Kräfte her – oft aus Vietnam oder anderen Billiglohnländern.
Auch wollen viele langjährige Kibbuz-Bewohner auf die vermeintliche Sonnenseite des Lebens wechseln und die angesparten Anteile – so eine Art „später Wiedergutmachung“ – in Anspruch nehmen. So gibt es jede Woche lange Diskussionen über die Zukunft dieser Lebensform. Solange Israel im Aufbau begriffen war, ging es nicht ohne, aber inzwischen werden sie überflüssig. Von den ehemals rund 15000 Kibbuz-Siedlungen sind derzeit nur noch etwa 1500 lebensfähig – und die Zahl sinkt stetig. Wie sagte die Dame aus dem Kibbuz so richtig? „Wenn Sozialismus funktionieren soll, muss man sehr reich sein“.

Der vierte Tag

Höhle mit Wasser.

Unser Prima-Hotel begann, sich zu füllen. Eine weitere Reisegruppe war eingetroffen, ebenfalls aus Deutschland. Wir durften lange schlafen und starteten den Ausflugstag erst um neun Uhr. SAFED war das Ziel, das „Zentrum jüdischer Kabbala-Mystik“, wie unser Programmheft behauptete. Sagte mir natürlich gar nichts. Tatsächlich handelte es sich um eine leergefegte Altstadt mit malerischen Gassen, durch die dringend mal jemand mit ´nem Kärcher durchgehen sollte. Leergefegt deswegen, weil die Fastenzeit, der Ramadan, angebrochen war und die armen Menschen den ganzen Tag nichts trinken oder essen durften. Da blieben sie gleich ganz zu Hause, statt ihre Geschäfte für Touristen zu öffnen. Eine Synagoge haben wir der Gelegenheit auch noch besichtigt.
Anschließend gelangten wir nach BANYAS, einer der Jordanquellen, wo wir einen Spaziergang unternahmen. Solche „Spaziergänge“ standen ständig auf dem Programm. Im Durchschnitt sind wir jeweils 9 km am Tag gelaufen, wie mir meine treue Apfel-Uhr verriet. Wobei nicht einmal die Streckenlänge ins Gewicht fiel, sondern die ständigen Höhenunterschiede für die Muskeln besonders anstrengend waren. So ein bergiges Land wie Israel gibt es sicher nicht noch einmal…
Damit war der Tag natürlich noch lange nicht ausgefüllt. Als nächstes warteten die geschichtsträchtigen „GOLAN“-Höhen auf uns. Hier hat sich Israel gegen Syrien und den Libanon behauptet. Wir besuchten einen inzwischen aufgegebenen Stützpunkt der israelischen Armee hoch oben auf den Golan-Höhen mit einem wunderbaren Blick ins Nachbarland. Soldatenattrappen aus Metall lauerten in den Schützengräben und zogen vor allem die vielen Kinder der internationalen Besucher an. Die Militäreinheiten müssen viel Freizeit gehabt haben, denn die Auffahrt zum Camp wurde von Dutzenden Metall-Skulpturen gesäumt, die von den Soldaten angefertigt wurden. Eine durchaus ansehnliche Kunstsammlung!
Blieb nur noch ein letzter Programmpunkt: Die Weinprobe. Eine Weinprobe um 15.30 Uhr am Nachmittag. Nicht weit von den Golan-Höhen entfernt befindet sich tatsächlich eine international renommierte Weinkellerei, die nahezu 90% ihrer Erträge aus dem Export bezieht. Wir konnten uns die Abfüllanlage genau anschauen, bevor wir selbst zu Abfüllung gebeten wurden. Lausige drei Weine bot man uns an. Gleich der erste Weißwein war allerdings sehr lecker. Kein Wunder, war ja auch eine deutsche Traube: Gewürztraminer. Habe uns am Ende der Tour gleich zwei Flaschen davon gekauft. 150 Schekel waren dafür gerade noch angemessen (42,85 Euro). Der zweite Wein war ein labbriger Rotwein, und der letzte Wein war ein Dessertwein, mit dem man Zuckerkranke ganz schnell loswird.
Dann verließen wir den GOLAN-Bereich wieder Richtung Hotel, wo es ja bekanntlich KEINEN Wein gab. Jedenfalls bis zu dem Moment, wo wir nach dem Abendessen die beiden inzwischen gekühlten Flaschen vom Nachmittag niederknüppelten. Wir hätten mindestens vier Flaschen kaufen sollen, da sich die Mitglieder unserer exklusiven Reisetruppe ein bisschen nähergekommen waren.

Mal sehen, ob ich alle zusammen bekomme. (Namen lasse ich aus Datenschutzgründen natürlich weg).

Da war zum Beispiel das Paar, das irgendwie so gar nicht zusammenpasste. Und auch gar nicht zusammengehörte, wie sich herausstellte. ER, Therapeut im Strafvollzug – war mit IHR, Lehrerin, privat „gut befreundet“. Die Freundschaft muss so ungefährlich gewesen sein, dass der Ehemann von IHR nichts gegen die Reise einzuwenden hatte. Beide sind hochintelligente Menschen, mit denen wir viel und gerne diskutiert haben.

Oder die leicht durchgeknallte Witwe aus dem Fränkischen, die nach dem Ableben ihres Sparkassendirektor-Ehemanns sogar Poona heimsuchte, um zu sich selbst zu finden. Da sich ihre Sehnsüchte dort wohl nicht verwirklichen ließen, verpasste sie sich eine knallrote Kurzhaarfrisur und erklärte sich kurzerhand zum „Enfant terible“ der Kleinstadt, in der sie wohnte. Sie reiste allein um die halbe Welt, da sie wohl nicht nur viele Immobilien, sondern auch viel Geld geerbt hatte. Mit ihrer burschikosen, direkten Art kam sie bei manchen Mitreisenden sehr gut an, bei mir allerdings weniger.

Dann war da noch der Münchner, ebenfalls allein reisend. Außer der aussprachlich bedingten Unverständlichkeit seiner Äußerungen bleibt er uns vor allem wegen seiner andauernden Beschwerden in Erinnerung. Ständig kritisierte er Radu und brachte ihn mit Zwischenfragen aus dem Konzept, bis dieser den Trick fand, ihn ruhig zu stellen. Er ging einfach auf ihn ein und lullte ihn mit irgendwelchen ausufernden Erklärungen ein.

Ein weiterer Mann, Manager im Handy-Markt, reiste allein. Etwas der Norm-Maße entwachsen, fiel er durch sein sehr freundliches Wesen auf. Er fotografierte so ziemlich alles, was ihm vor die Linse kam. Er suchte gerne die Nähe meiner Schwester Anna-Karén und hatte sogar mit ihr zusammen die (warme) Flasche Wein eingekauft, damit wir nicht verdursten mussten.

Zur Abwechslung mal wieder ein Ehepaar. ER arbeitete früher als Wirtschaftsjournalist für die Frankfurter Rundschau, und SIE hat wohl vor ihrer Rente auch als Lehrerin gearbeitet. Beide wohnen jetzt irgendwo im Süden Deutschlands. Er fiel mir vor allem durch seine klugen Beobachtungen auf, die er mit leiser, wohlklingender Stimme an die Umstehenden abgab. Seine Frau – nicht minder intelligent – behandelte ihn zwar manchmal wie ein Kind, überzeugte in Diskussionen dennoch mit einer fundierten Meinung.

Das älteste Ehepaar zeigte sich während der Reise sehr zurückgezogen. Immerhin kam raus, dass sie eine Reihe von Ferienhäusern bei Krefeld ihr eigen nennen, über dessen Mieter sie jetzt ein Buch schreiben wollen. Da bin ich ja mal gespannt.

Kommen wir zu einem weiteren allein reisenden Mann. Er kam aus Kiel und entpuppte sich erst gegen Ende der Reise als Spion. Er war nämlich im Auftrag von Gebeco unterwegs, um diese nagelneue Reise zu testen. Ich weiß gar nicht, ob Radu von Anfang an über seine Funktion informiert war. Eigentlich war er aber ganz nett. Er war auch mit Abstand der Jüngste unserer Truppe.

Und die Liste der allein reisenden Männer reißt nicht ab: Aus irgendeinem süddeutschen Gebiet kommend, war da noch der Herr, den man nicht vom Flughafen abgeholt hatte. Im früheren Leben war er wohl ein sehr erfolgreicher Architekt, jetzt ist er leider – vermutlich durch einen Schlaganfall – kaum zu verstehen und damit auch schwer zu ertragen.

Das dritte Ehepaar in dieser Liste sah sehr ungleich aus, passte aber dennoch sehr gut zusammen. SIE ist Onkologin, ER arbeitet als IT-Experte.
Beide sehr freundliche Menschen, oft sehr zurückhaltend und dennoch nicht wegzudenken.

Weiterhin gab es da noch ein älteres Ehepaar, das vor allem durch die ständig hustende, nein, röchelnde Ehefrau auffiel. Da hatten wir alle ein bisschen Angst vor Corona, aber sie litt „nur“ an Asthma.

Bleiben nur noch wir drei: Anna, Gela und Rainer. Meine Schwester Anna-Karén ist Ärztin, meine Schwester Angelika Professorin für Erziehungswissenschaften und ich war die Stimme von PERSIL. (Das ist inzwischen das Einzige, was den Menschen im Gedächtnis bleibt, wenn sie von mir erzählen…)

Zusammen mit dem Fahrer Michelle und dem Reiseleiter RADU waren wir also 20 top-motivierte Teilnehmer dieser ersten ISRAEL-Rundreise nach über zwei Jahren Zwangspause.

Sechs allein reisende Männer! Vier allein reisende Frauen! Da muss doch was funken, oder? Nein, muss nicht. Soo leicht passen Menschen nicht zusammen.

Der fünfte Tag

Von Tiberias führte uns die Reise nun so nach und nach nach Jerusalem. Ja, die Planer von Gebeco haben es spannend gemacht.
Zunächst besuchten wir Nazareth, wo das liebe Jesuskind ja bekanntlich getauft wurde; heute steht hier gleich eine ganze „Verkündungs“-Basilika, die auf dem ehemaligen Wohnhaus der Maria gebaut wurde. Danach sahen wir eine „antike Synagoge aus byzantinischer Zeit mit einem schönen Mosaikboden“. Sorry, so steht es im Programmtext – ich kann mich leider nicht erinnern, was ich da gesehen haben soll. Zu viele Kirchen, zu viele Ausgrabungen, zu viele Herrscher, zu viele Details. Das Hirn macht zu. Auch wenn hier steht, dass dieser Mosaikboden „ein gutes Beispiel für das jüdische Leben im Land Jahrhunderte nach der Tempelzerstörung durch die Römer“ ist. Ich verstehe nur Bahnhof.

Von dort ging es „durch das fruchtbare Jordantal nach Nasr El Yahud, der Taufstelle Jesu und Schauplatz historischer Ereignisse des Alten Testaments.“ Das war in der Tat sehr beeindruckend, weil der Jordan hier nur wenige Meter breit ist und sich Jordanien und Israel hier direkt  gegenüberstehen. Natürlich gab es Leute (nicht aus unserer Gruppe!), die die Gelegenheit nutzten, sich mit dem schlammigen Wasser neu taufen zu lassen.

Danach Abfahrt zu unserem dritten PRIMA-Hotel in Jerusalem, das diesmal wirklich (fast) prima war. So fand ich in meinem Zimmer freundlicherweise eine Flasche Wasser auf Kosten des Hauses mit Komplimenten der Hotelleitung. Blöd nur, dass der Verschluss der Plastikflasche bereits geöffnet war und ich nicht riskieren wollte, irgendeine mir nicht genehme Substanz runterzuschlucken.
Ansonsten war das Hotel das bisher Beste. Der riesengroße Ballsaal mit moderner Licht- und Audiotechnik diente auch als Speisesaal. Das Büffet war riesig, vielfältig und sehr lecker. Es gab sogar Wein. Nur die magnetischen Zimmerschlüssel funktionierten hier genauso unzuverlässig wie im Hotel zuvor. Drei Nächte waren in diesem Hotel geplant. Ein kleiner Teil der Gruppe inklusive meiner Schwestern versuchte sich noch mit einem Abendspaziergang und kam immerhin bis zur Klagemauer und zurück. Ich blieb lieber im Hotel, da man derzeit überall mit Unruhen rechnen musste.

Der sechste Tag

Jerusalem ist übrigens die größte Stadt Israels, nicht Tel Aviv, wie man annehmen könnte. Heute – am Sabbat, also die Zeit von Freitag- bis Samstagabend – war die Stadt wie ausgestorben. Es fuhren keine Busse oder Bahnen, und die Bürgersteige waren wie leergefegt. Die meisten Geschäfte hatten geschlossen, und selbst Autofahren war für gläubige Juden tabu. Wir begannen mit einer Besichtigung des Ölbergs, einer Erhebung nordöstlich und östlich des Tempelberges und der Jerusalemer Altstadt. Der Berg hat eine Menge historischer Bedeutungen:

Nach jüdischem Glauben wird der Messias über den Ölberg nach Jerusalem einziehen und dort das „Jüngste Gericht“ halten. Deshalb wurde am Hang des Berges ein ausgedehnter jüdischer Friedhof angelegt mit Gräbern zum Teil noch aus biblischer Zeit.

In der christlichen Tradition wird der Ölberg insbesondere mit verschiedenen Neutestamentlichen Berichten in Verbindung gebracht. So zog Jesus vom Ölberg aus in Jerusalem ein, weinte hier über Jerusalem und wurde dort am Abend des Gründonnerstags vor seiner Kreuzigung im Garten „Getsemani“ gefangen genommen. Nach der Auferstehung fuhr er angeblich vom Ölberg in den Himmel auf. An Christi Himmelfahrt darf die Katholische Kirche daher in der Himmelfahrtskapelle einen Gottesdienst abhalten.

Die Muslime glauben hingegen, dass das Kidrontal am Fuße des Ölbergs der Ort des endzeitlichen Gerichts ist. Demnach wird in der Endzeit ein Seil vom Tempelberg zum Ölberg gespannt, über das die Gerechten hinübergehen würden; entsprechend finden sich im Tal – auf der Seite des Tempelbergs – auch muslimische Gräber.

Aufgrund der vielen unterschiedlichen Glaubensrichtungen gibt es entsprechend viele Kirchen, Kapellen und Klöster an jeder Ecke, die wir zum Glück nur von außen betrachten mussten. Viel schöner war sowieso der Ausblick von der Spitze des Ölbergs auf die Jerusalemer Altstadt, insbesondere auf die Al-Aksa-Moschee mit ihrer goldenen Kuppe, die wir eigentlich heute besuchen wollten. Aber Radu musste uns überreden, den Besuch auf einen anderen Tag zu verschieben. Es war einfach zu gefährlich. Warum?

Der Tempelberg mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee ist die drittheiligste Stätte im Islam, gleichzeitig aber auch den Juden heilig, weil da früher zwei jüdische Tempel standen. Eine der Bräuche ist dabei eine Wallfahrt nach Jerusalem. Der Tempelberg ist zudem nur wenige Gehminuten von der Grabeskirche entfernt, wo die Christen am Sonntagmorgen die Ostermesse zelebrieren. Die Kirche steht aber unter muslimischer Verwaltung, während Israel für die Sicherheit zuständig ist. Laut einer Vereinbarung mit den muslimischen Behörden dürfen Juden die Anlage betreten, dort aber nicht beten.
Ein Riesenkuddelmuddel also. Und in den letzten Jahren besuchten immer wieder größere Gruppen religiöser Juden in Begleitung der Polizei die heilige Stätte, was bei den Palästinensern als Provokation empfunden wurde. Man befürchtete, dass Israel die Übernahme des Geländes der Al-Aksa-Moschee oder zumindest eine Teilung des Geländes plante. Zusätzlich rief eine radikale jüdische Gruppe kurz vor den Feiertagen dazu auf, Tiere auf das Gelände der Moschee zu bringen, um sie zu Pessach zu opfern. In den sozialen Medien wurden daraufhin alle Palästinenser dazu aufgefordert, dies auf alle Fälle zu verhindern. Und schon kam es zu reichlich Ärger auf allen Seiten. Die Polizei schießt dann jedes Mal wild um sich, was die Anzahl der Getöteten allen bis Ostersonntag auf rund 20 ansteigen ließ, von Hunderten von Verletzten einmal abgesehen.

Also blieben wir sicherheitshalber erstmal weg.

Stattdessen besuchten wir das ISRAEL-Museum, wo man sich die ganzen alten Schriftrollen des Alten Testaments anschauen konnte. Es waren natürlich nicht die Originale – die würden sich bei der Luftfeuchtigkeit und Hitze in Kürze in Brei auflösen – sondern gut gemachte Kopien der alten Papyrus- oder Pergamentbahnen. Im jüdischen Gottesdienst hat sich die Tradition der handgeschriebenen Schriftrolle bis heute in der „TORA“-Rolle und anderen biblischen Büchern für den gottesdienstlichen Gebrauch erhalten. Es gab auch Abschriften in der sogenannten „Kodex“-Form, die der Buchform gleicht.

Weiter ging es in die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, für die wir zwei Stunden eingeplant hatten. Radu durfte uns nicht begleiten, sonst hätten leicht 12 Stunden daraus werden können. Filmen und Fotografieren war ebenfalls untersagt. Das Museum, das von außen wie eine Toblerone-Schokolade aussieht, zeigt beeindruckende Interviews, Dokumente, Filme und Fotos des „Holocaust“, also der Judenvernichtung aus der Nazizeit. Sechs Millionen Menschen waren in den diversen „Konzentrationslagern“ in Deutschland und vor allem in Polen von den Deutschen und ihren Anhängern ermordet worden, nur weil sie Juden waren. Nicht wenige Besucher hatten mit Tränen zu kämpfen.
Dieser Völkermord war ja auch der Grund dafür, warum die Überlebenden im Jahr 1948 den Staat Israel gründeten. In ihrer Heimat wurden sie ermordet, in anderen Ländern waren sie unerwünscht. Das war allerdings auch in Israel so. Das Problem ist bis heute nicht geklärt, wie die ständig aufkommenden Kämpfe an den Grenzen zu Palästina immer wieder zeigen. Israel befindet sich quasi in ständigem Kriegszustand. Eine sehr starke Armee gibt den Menschen jedoch eine gewisse Sicherheit. Der Armeedienst dauert für Männer drei Jahre, für Frauen zwei Jahre. Im Urlaub ist bei allen Armeeangehörigen das Mitnehmen der Waffe verpflichtend. Mich verwirrte es hingegen sehr, dass z.B. bei einem Familientreffen im Speisesaal unseres „Prima“-Hotels allein drei der 30 Gäste mit einem halbautomatischen Gewehr herumsaßen.

Nach dem Besuch des Museums wurden wir noch für eine Stunde in den „YEHUDA“-Markt entlassen, wo wir in einem kleinen Restaurant „Kebab“ bestellten, um endlich wieder zu Kräften zu kommen. Es war der sechste Tag unserer Reise – ein Freitag! Ramadan UND Sabbath! Essen und Trinken nur für Touristen gestattet! Die Luft kochte. Wir waren froh, als wir wieder im Hotel waren. Kurz durchgezählt: Alle noch da. Merkwürdigerweise waren einige der Zimmer nicht gereinigt worden. Kein Personal.

Der siebte Tag

Heute nun sollten wir nachholen, was am Vortag wegen der angespannten Situation nicht opportun war: Besuch der Stadt Bethlehem im Westjordanland. Die Stadt ist mit einer dicken Mauer umgeben, um das Eindringen der Israelis abzuwehren. Dennoch arbeiten viele Palästinenser in Jerusalem, weil es dort genug Arbeit gibt, was man von Bethlehem nicht sagen kann. Corona hat auch hier eine breite Schneise hinterlassen. Um sich als Tourist in Bethlehem frei bewegen zu können, musste Radu einen „Beschützervertrag“ mit einem Andenkenladen eingehen. Das bedeutete, dass wir nach dem Grenzübergang besagten Andenkenladen aufsuchen mussten, dort „freiwillig“ etwas kauften, bevor wir mit dem Segen des Paten die Stadt besichtigen durften. Sollten wir in Schwierigkeiten geraten, würde er uns raushelfen. Unser Bus hielt in einer Tiefgarage, und wir bummelten zu Fuß durch die ganze, recht verarmte Stadt mit ihren knapp 30.000 Einwohnern.
Als Jesus hier vor 2022 Jahren geboren wurde, war die Stadt noch ein winziges Kaff. Der Stall, in dem Jesus zur Welt gekommen sein soll, ist natürlich nicht mehr da. Stattdessen steht jetzt hier die „Geburtskirche“, die mittlerweile zum UNESCO Weltkulturerbe zählt. In dieser Kirche gibt es unter dem Altar einen kleinen Raum, in dem sich ursprünglich der „Stall“ befunden haben soll. Alle Besucher (außer mir natürlich) quälten sich nun in diese Höhle rein, um Jesu´ Geburtsort persönlich gesehen zu haben. Manche warteten bis zu zwei Stunden in dichtem Gedränge auf diesen Moment. Inzwischen ist übrigens umstritten, dass dies wirklich der Geburtsort vom Jesulein war. Interessanter war für mich, dass meine CORONA-Warnapp ein paar Tage später anzeigte, dass ich an diesem Tag in gefährlicher Nähe zu infizierten Menschen gestanden haben muss. Das konnte ja nur ebenfalls ein Deutscher sein, der da seine Ansteckung gemeldet hatte. Als Vierfach-Geimpfter machte ich mir ohnehin keine Sorgen.
Bethlehem gab es übrigens schon in der Kupfersteinzeit, wie archäologische Ausgrabungen ergeben haben.

Wieder raus aus Bethlehem und zurück nach Jerusalem. Hier konnten wir nun auch endlich die ca. einen Quadratkilometer große Altstadt besichtigen. Sie ist ebenfalls von einer Stadtmauer umschlossen, gebaut im 16. Jahrhundert. Eigentlich befand sich das „originale“ Jerusalem etwas weiter südlich. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich aber alles ein wenig verschoben, was wohl auch auf die Zerstörung im Jahre 70 n. Chr. zurückzuführen war. Im 19. Jahrhundert führten folgende Faktoren zu einem Wachstum der Stadt:

1. Einwanderung von Juden aus der Diaspora
2. Erwerb größerer Flächen durch christliche Organisationen
3. Bevölkerungswachstum der einheimischen Palästinenser

Die Großmächte des 19. Jahrhunderts richteten in der Altstadt Jerusalems eine sichtbare Präsenz ein. Den Anfang machten die Briten mit dem Bau der Christuskirche (1843). 1917 wurde die Stadt kampflos an die Briten übergeben, umsäumt von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Juden uns Muslimen.
Als 1948 der israelische Unabhängigkeitskrieg ausbrach, war die Altstadt heftig umkämpft. Sie wurde in der Folge von Jordanien besetzt und 1950 annektiert. Für die nächsten 19 Jahre gehörte die Altstadt zum jordanisch kontrollierten Ostjerusalem. Während dieser Zeit war die Altstadt nach Westen hin abgeriegelt; die Altstadttore wurden vermauert. Insbesondere das jüdische Viertel verfiel zusehends.
1967 während des 6-Tages-Kriegs eroberten israelische Truppen die Altstadt, und die Jerusalemer Stadtverwaltung wurde auf Ostjerusalem mit der darin liegenden Altstadt ausgeweitet. Seitdem wurden viele Gebäude saniert oder neu aufgebaut. Dennoch gibt es noch viele Neubauten ohne Baugenehmigung, die die Optik der Stadt empfindlich stören.
Im „Jerusalemgesetz“ von 1980 wurde die gesamte Stadt als Einheit und „unteilbare Hauptstadt Israels“ definiert.
Die Wohngebiete der Stadt sind heute wie folgt aufgeteilt:

1. Jüdisches Stadtviertel (mit einem besonderen Wohngebiet der „Peruschim“)
2. Muslimisches Stadtviertel, aufgeteilt in Wohngebiete der Türken, Araber und Maghrebiner
3. Christliches Stadtviertel, aufgeteilt in Quartiere für Armenier, Lateiner und Griechen.

Als Grenzen zwischen den Wohnvierteln dienen die Märkte. Und entsprechend der religiösen Vielfalt gibt es ebenso viele zugehörige Kirchen, Klöster und Gedenkstätten.
In einem dieser alten Gebäude befindet sich auch ein österreichisches Café. Dort durften wir kurz pausieren und etwas essen und trinken. Anna und Gela verabschiedeten sich dann von der Gruppe, weil sie die Nase von den ganzen alten Kirchen und Gebäuden gestrichen voll hatten und den Rest des Tages lieber allein verbringen wollten. Ich harrte brav aus und schaute mir mit den anderen noch etwa 300 weitere Kirchen und Synagogen an, bis ich nicht mehr konnte und die restlichen zwei Stunden des Ausflugs irgendwo rumsaß. Ich wäre auch lieber mit meinen Schwestern auf eigene Faust rumgezogen, aber ich wollte doch unbedingt die berühmte Klagemauer bewundern, die meine Schwestern ja bereits vorgestern gesehen hatten.

Auf dem Weg dorthin mussten wir die 14 Leidensstationen Jesu auf dem Weg zu seiner Kreuzigung ertragen. Radu ließ keine einzige aus. Zum Glück waren die Straßen leer – drei Tage später hat es hier gewaltige Kämpfe zwischen den unterschiedlichen Religionsanhängern gegeben.
Und so kamen wir dann schließlich doch noch bei der Klagemauer an. Frauen und Männer haben getrennte Eingänge und „Klagebereiche“. Da man mir aber vorschreiben wollte, eine Kopfbedeckung aufzuziehen, um klagen zu dürfen, habe ich natürlich darauf verzichtet. Fotografieren oder Filmen war ebenfalls verboten.
Als ich dann endlich im Hotel war, war ich wirklich rechtschaffen müde. Die Flasche Wein, die ich für uns drei bestellt hatte (45,71€), sorgte für die nötige Bettschwere.

Der achte Tag

Das Frühstück am nächsten Morgen durften wir nicht im Speisesaal einnehmen. Stattdessen hatte man einen Stock tiefer einen Raum vorbereitet, in dem alle „Frühstückszutaten“ vorhanden waren:
Besteck nur aus Plastik, Kaffee nur im Plastikbecher als Mischung aus Nescafepulver und heißem Wasser und Butter, Käse etc. alles schön ordentlich in Plastik verpackt. Grund war mal wieder die Religion. Juden durften aus Glaubensgründen heute z.B. keine elektrischen Geräte bedienen oder gar Auto fahren. Selbst der Fahrstuhl im Hotel fuhr selbstständig immer rauf und runter, damit ihn keiner einschalten musste. Natürlich hielt er in jedem Stockwerk, sonst wäre das ja eine blöde Regelung gewesen. Und weil man echtes Geschirr ja anschließend mit warmem Wasser hätte reinigen müssen, kam man auf die blödsinnige Idee, nur noch Wegwerf-Plastik zu verwenden.

Bei der Gelegenheit: Mit der Energiepolitik ist es in Israel nicht sonderlich weit gekommen. Die Regierung hat zwar angeregt, Solarelemente auf den Dächern zu installieren, um die Stromkosten zu senken, aber dieser so einfache Vorschlag wird in der Masse leider noch nicht angenommen. In diesem Land, in dem es mindestens sechs Monate im Jahr nicht regnet, gibt es soviel Sonne, dass man halb Europa damit verstromen könnte. Statt LED-Leuchten findet man umweltschädliche „Sparlampen“, die in Deutschland längst verboten sind. Das Benzin kostet in etwa genauso viel wie bei uns. Da es keine Straßenbahnen oder U-Bahnen gibt, wird der gesamte Verkehr auf Busse und Benzin- oder Dieselautos verteilt. Die einzigen Elektrofahrzeuge, die man sieht, sind die „Skooter“, also die elektrischen Roller, für die es auf den Straßen sogar eine eigene Spur gibt. Na gut, Fahrräder sollen da auch drauf fahren, aber die sind ja inzwischen höchstens noch als E-Bike en vogue.

Wir verließen unser „Prima-Hotel“ mit dem Plastik-Geschirr um acht Uhr morgens. Vom hoch gelegenen Jerusalem ging es rund 1200 Meter abwärts in die Judäische Wüste, wo wir die Felsenfestung „MASADA“ von König Herodes besuchten. Herodes war wohl ein ziemlicher bösartiger Typ, der nicht ohne Grund glaubte, dass ihm jemand an den Kragen wollte. Er soll auch derjenige gewesen sein, der alle neu geborenen Knaben ermorden ließ, um einer Prophezeiung aus dem Weg zu gehen, dass „ein Heiland geboren wurde“ etc. blah blah.

Um die Festung auf dem Hochplateau zu erreichen, konnte man einige Stunden die Felsen hochklettern. Schneller ging es mit der Seilbahn, die in ca. 1,5 Minuten auf dem Gipfel ankam. Von hier aus hatten wir einen sehr schönen Blick auf das Tote Meer. Die Besichtigung begann mit einer monumentalen Videosequenz der Gattung „500 Jahre Geschichte in drei Minuten“. Bis auf die amerikanische Stimme des israelischen Schauspielers hat alles sehr schön zusammengepasst. Die Palastfestung war am Vorbild römischer Villen orientiert und wurde ca. 15 v.Chr. erbaut. Als besondere Attraktion gab es sogar eine Themenanlage und ein richtiges Schwimmbecken. Rund 70 Jahre später, während des „Jüdischen Krieges“, nutzten viele Menschen Masada als Fluchtfelsen. Viele Jahre lebten sie friedlich vor sich hin, bis ein gewisser Flavius Silva, Kommandeur des Römischen Reiches, eine Außenmauer um Masada erbauen ließ, die es den Menschen unmöglich machte, Nahrung zu besorgen oder zu fliehen. In aussichtsloser Lage soll der damalige Befehlshaber von Masada seine Rebellen davon überzeugt haben, mit ihren Frauen und Kindern Selbstmord zu begehen, um nicht den Römern in die Hände zu fallen. Diese Story wird inzwischen stark angezweifelt, weil man bisher keinerlei Leichen fand. Ein alternatives Ende der Belagerung kann man aber auch nicht vorweisen. So bleibt vieles im Bereich der Fabel. 1966 wurde der Tafelberg zum israelischen Nationalpark, 2001 zum UNESCO-Welterbe erklärt.

Wir fuhren wieder mit der Seilbahn runter und nahmen Kurs aus Tote Meer. Warum es so tot ist, wie der Name sagt, liegt am Salzgehalt des Wassers. Der ist nämlich rund zehnmal so hoch wie im normalen Meer. Irgendwie hängt das mit Verdunstung und nachlassendem Wasserzulauf zusammen. Radu hat das wissenschaftlich sehr schön erklärt – allein ich habe es nicht behalten…
Das Tote Meer ist selbst dem Tode nahe: Jedes Jahr sinkt der Wasserspiegel um ca. einen Meter. Irgendwann liegt da nur noch eine große Salzwüste rum.
Wir stoppten an einem öffentlichen Strand mit (gebührenpflichtigen) Stühlen und stürzten uns in die Salzbrühe. Also, ich natürlich nicht. Es hat mir völlig gereicht, den anderen dabei zuzusehen, wie sie nicht untergingen. Nach dem Bade waren die Körper ziemlich ölig und völlig versalzen. Nach der zwingenden Dusche war die Haut dann allerdings sehr trocken…

Weiter ging es mit einem Besuch eines Beduinen-Wüstencamps. Das war etwas bizarr. Die relativ große Wohnanlage mit vielen Wohnzelten, Kamelen, einem Zirkuszelt (das zum Speisen geputzt wurde) und weiteren zeltartigen Bauten war alles andere als gepflegt. Wir kamen früher als angekündigt an, mussten also mit dem Abendessen bereits um 16.00 Uhr beginnen. Das Essen war lecker – nur dem Wasser bzw. den selbst gemachten Fruchtsäften konnte ich nichts abgewinnen. Mein Messgerät war leider im Koffer. Das Zelt fasste gut 10-15 Reisegesellschaften, aber wir waren nach Corona wohl eine der ersten. Nach dem Essen nahmen wir in einem anderen Tipi auf dem Boden Platz, wo uns die Chefin der Beduinen von ihrem ach so bemitleidenswertem Leben erzählte. Wir lernten, dass jeder Mann zwar mehrere Frauen haben kann, Frauen sich aber nie von einem Mann trennen können. Die Chefin hatte es gut getroffen und sogar ein Hotel in einer nahen Stadt geerbt oder gar gebaut. Sie beschwerte sich, dass die jungen Leute keine Lust mehr hätten, im Zelt zu wohnen und lieber studieren gehen wollten. Das konnte ich gut verstehen. Wir nippten am angebotenen Kaffee oder Tee und waren froh, dass die Vorstellung bald vorbei war und wir ein weiteres Hotel aufsuchen durften. Das ursprünglich geplante Hotel war allerdings inzwischen an geflüchtete Ukrainer vergeben worden, sodass wir in einem sehr kleinen Kaff am Rande der Negev-Wüste übernachteten. Ein Teil der Gäste nächtigte in einem runtergekommenen 50er-Jahre-Bau, während u.a. ich das Glück hatte, in einem neuen Trakt des Hotels unterzukommen. Abendessen bekamen wir keins mehr, aber für einen Nachtisch reichte das karge Buffett gerade noch. Anschließend saßen wir noch zu fünft eine Weile im Foyer des Hotels, um die Weinvorräte zu dezimieren.
In der Nacht wachte ich in meinem Zimmer mit starkem Kopfweh und einem leichten Kratzen im Hals auf. Ich stellte die Klimaanlage aus und hoffte, dass das Problem damit gelöst war. War es aber nicht. Zwei Stunden später war es so heiß, dass ich die Klimaanlage wieder einschalten musste. Immerhin waren Kopf- und Halsschmerzen wieder verschwunden.

Der neunte Tag

Nach dem Frühstück ging es in die Wüste Negev. In „EIN YORKEAM“, einem weißen Felsencanyon, wanderten wir bis zur Wasserzisterne und wieder zurück. Der sportlichere Teil unserer Truppe kletterte sogar bis zum Gipfel des Canyons, um den körperlich nicht ganz so Aktiven zuzuwinken. Ich blieb unten, wie Sie sicher schon vermutet hatten.
Auf dem Weg zu unserer zweiten Tageswanderung besichtigten wir das sehr bescheidene Grab des Staatsgründers, also Ben Gurion. Die zweite Wanderung fand in „EIN ADVAT“ statt. Auch hier ließ ich den erweiterten Kletterteil bis hin zu einem Wasserfall aus. Irgendwann machen die Knochen halt nicht mehr mit.
Nach dem Tagesprogramm – so gegen 14.00 Uhr – bot uns Radu an, in einem Schnellimbiss irgendwelche israelischen Fastfood-Spezialitäten einzunehmen. Eigentlich wollten die meisten das gar nicht, aber unser Fahrer Michelle hatte mal wieder einen cholerischen Anfall und vor allem Hunger. Am Ende haben dann doch fast alle was gegessen.
Tja, und dann ging es wieder zum Ausgangspunkt nach Tel Aviv zurück. Auch dort hatte man uns inzwischen ein anderes Hotel – das beste von allen! – zugeteilt. Ein letztes gemeinsames Abendessen auf Kosten der GEBECO fand nicht statt – wir mussten uns also selbst versorgen. Eine gute Gelegenheit für alle Mitreisenden, die noch übrig gebliebenen Schekel unters Volk zu bringen.

Der zehnte Tag

Nach einem umfangreichen Frühstück überreichte Gela unserem Fahrer und dem Reiseleiter je einen Umschlag mit dem zuvor eingesammelten Trinkgeld für ihre Tätigkeiten. Ganz ehrlich: Viel war da nicht drin, obwohl ich z.B. mehr gegeben hatte als es im Reiseführer vorgeschlagen wurde. Aber es lief ja auch nicht alles so rund, wie man es sonst bei solchen Touren gewöhnt ist.
Um zwölf wurden die Reisenden abgeholt. Ursprünglich wollte ich mit meinen Schwestern noch drei weitere Tage in Tel Aviv bleiben, aber inzwischen hatte ich die Lust verloren. Tel Aviv ist auch nur eine Großstadt wie jede andere. Die Preise sind überirdisch, und die weiten Entfernungen zwischen interessanten Touri-Attraktionen bedeuteten wieder viele Fußwege oder teure Taxifahrten.
Das Wetter war auch gar nicht mehr angenehm: Gerade mal 16-17 Grad bei starkem Wind. In der Sonne wäre man damit verbrannt und im Schatten fror man sich die Glieder steif. Ein relaxter Strandaufenthalt kam demnach auch nicht in Frage.
Ich versuchte also, mein Ticket umzubuchen und mit den anderen nach Hause zu fliegen. Da wir aber ein Gruppenticket hatten, war eine Umbuchung oder gar Stornierung nicht möglich. Eine Neubuchung hätte knapp 600.- Euro gekostet, die ich zähneknirschend in Kauf nahm. Also Koffer rein in den Bus, den Mädels Tschüss gesagt und zum Flughafen gefahren. Dort habe ich mich dann von der Gruppe abgesetzt und den Lufthansa-Schalter gesucht. Leider gab es den dort gar nicht. Tickets für die Lufthansa (und nahezu alle anderen Fluggesellschaften) kann man in Tel Aviv mittlerweile nur noch online buchen!
Da in unserem Flieger immer noch 5 Plätze frei waren, buchte ich über mein Handy einen Platz für mittlerweile 800.- Euro. Die Preise stiegen von Minute zu Minute. Zum Flugpreis kamen noch irgendwelche „verpflichtende Zusatzangebote“ hinzu, sodass es dann schon 834,50 Euro waren, die diese modernen Raubritter von mir haben wollten. Leider klappte die Buchung nicht, weil ich zum Bezahlen mit PayPal blöderweise eine sogenannte 2-Faktor-Autorisierung nutze. Das bedeutet, dass PayPal mir eine SMS mit einem Zahlencode zusendet, den ich zur Autorisierung der Zahlung ins Handy eingeben muss. Doch meine „normale“ SIM-Karte steckte ja gar nicht im Handy, weil sie hier in Israel nicht funktionierte. Ich hatte mir am ersten Abend eine 100 Megabyte-Datenkarte gekauft, mit der ich auch über die üblichen Interprogramme telefonieren konnte. Eine SMS konnte ich damit aber auch nicht empfangen. Damit war die 2-Faktor-Autorisierung ausgeschlossen.
Ich versuchte es noch bei einem anderen Verkaufsportal, aber hier kostete der Flug inzwischen über 1000 Euro. Das war mir dann doch zu viel. „Also gut, fahre ich eben wieder zurück nach Tel Aviv!“
Das Taxi riss erneut ein Loch in mein Portemonnaie, aber das war mir inzwischen ziemlich egal. Außerdem machte mir mein Schnupfen zunehmend Ärger. Scheiß Klimaanlage!

Im Hotel – ebenfalls fast direkt am Strand gelegen – legte ich mich erst einmal am helllichten Tag ins Bett und döste vor mich hin. Abends kamen dann Anna und Gela wieder, die bis nach Jaffa und wieder zurück gelaufen waren, rund 12 Kilometer Strecke.
Zusammen gingen wir nach längerer, erfolgloser Suche in ein Restaurant am Strand, wohl wissend, dass es hier ein wenig teurer sein würde. Zum Glück hatte ich meine Apfel-Uhr mit APPLE-PAY dabei, was überall in Israel problemlos funktionierte. An Zahlungsmitteln sollte es nicht mangeln.

Die restlichen Tage

Die verbleibenden zwei Tage sowie den Rückflug muss ich nicht weiter beschreiben, da wir eigentlich nichts Aufregendes unternommen haben. Frühstücken, Rumlaufen, Mittagessen, Rumlaufen, Abendessen, Schlafen.
Am Karfreitag-Abend um 20:45 Uhr sind wir in Frankfurt gelandet. Mein Schnupfen hatte sich während des Fluges (mit Maske natürlich!) verschlimmert, sodass ich noch am Abend sicherheitshalber einen Corona-Test machte. Ergebnis: POSITIV!
Ich konnte es nicht fassen. Ich hatte mir CORONA eingefangen!

Seitdem saß ich brav neun weitere Tage in meiner Wohnung und verließ sie nur für kurze Aufenthalte im Garten. VIERMAL geimpft bedeutet also nicht, dass man es nicht doch bekommen kann. Es bedeutet aber auch, dass die Symptome so lächerlich gering sind, dass man im Leben nicht damit rechnet, sich infiziert zu haben. Außerdem kann man bereits mit drei Impfungen davon ausgehen, andere kaum noch anzustecken. Gela, die noch kein Corona hatte und ja immer in meiner Nähe war, hat es jedenfalls ohne Ansteckung überstanden. Ich hoffe das auch für alle anderen aus unserer Reisegruppe.

Irgendjemanden muss es allerdings gegeben haben, der wusste, dass er infiziert war. Die CORONA-App teilte mir nämlich – wie schon erwähnt – mit, dass ich am 8.4. längere Zeit mit einem Infizierten in engerem Kontakt gestanden haben muss, also in Israel! Eine weitere Nachricht betraf Karfreitag, also den Tag des Rückflugs. Beide Male muss sich ein Deutscher in meiner Nähe befunden haben, der das Virus in sich trug und dies inzwischen der CORONA-App gemeldet hatte.

Das Fazit:
Tja, ISRAEL ist leider nicht mein Ding. Nicht nur wegen der politischen Probleme, die hier an der Tagesordnung sind und gerne mal mit Raketenbeschuss enden. Der Versuch, Menschen aus so vielen Ländern, Kulturen und Glaubensrichtungen miteinander leben zu lassen, ist in meinen Augen nicht gelungen. Da gibt es so viel Hass zwischen den Palästinensern, Juden, Orthodoxen, Christen, Arabern, Afrikanern und Dutzenden von anderen Gruppierungen, dass es schlicht unmöglich scheint, hier einen Kompromiss zu finden, der alle befriedigt. In den wenigen Tagen unserer Rundreise sind einige Raketen geflogen, von denen eine sogar in Israel eingeschlagen ist. Eine andere konnte abgefangen werden. Insgesamt über 20 Tote und mehr als 200 Verletzte wurden in den Tagen bis nach Ostern gemeldet.
Das Land selbst ist eigentlich nur eine Wüste mit ein paar Städten, in denen zehn Monate im Jahr eine solche Hitze herrscht, dass dort keiner freiwillig wohnen will. Und denen, die es trotzdem tun (müssen), knöpft man für Essen und Trinken, für das Wohnen oder Autofahren dermaßen viel Geld ab, dass kaum noch etwas zum Leben übrigbleibt.
Klar, wenn man an Ausgrabungen aus allen Jahrtausenden interessiert ist oder das Wirken Jesu´ nachvollziehen will, dann ist Israel natürlich erste Wahl. Da mich beides ganz und gar nicht interessiert, wäre ich besser daheim geblieben. Oder, wie schon am Anfang geschrieben: Ich hätte mich wohl besser erst mal gründlich über den Inhalt dieser Studienreise informieren sollen. Aber nach über zwei Jahren Corona-Reiseverbot war mein Hirn wohl etwas eingerostet.
Immerhin war ich in sehr netter Gesellschaft – und das hat man ja auch nicht immer.

Bad Homburg, den 21.4.2022
Alle Fotos: Angelika Ehrhardt

Wir Viren brauchen Wirte!

Gestatten, mein Name ist Covid. Covid 19.

Ich bin gekommen, um auf der Erde ein wenig aufzuräumen. Hergestellt wurde ich von der Firma EVOLUTION, die ja auch schon andere, großartige Kollegen wie „Die Pest“, „AIDS“ und „Die Schweinegrippe“ produziert hat. OK, Letztere war nicht sonderlich erfolgreich, aber dafür bin ich es ja umso mehr!
Da wir leider nur maximal zwei Wochen leben, müssen wir uns möglichst oft vermehren. Das ist ganz einfach. Jeder Mensch, der uns schon in sich hat, muss ja atmen. Und beim Ausatmen oder Husten schleudert er mich mit seinen Aerosolen ins Freie. Und alle, die in seiner Nähe sind, atmen mich ein. Es ist ein tolles Gefühl, dann sofort mit der Vermehrung beginnen zu können! Erst im Hals/Rachenraum, dann weiter runter bis in die Lunge. Und wenn ich erst mal dort bin, geht es ratz fatz. Die alten Menschen schaffe ich in maximal zwei Wochen. Die Jüngeren können mich manchmal durch ihr trainiertes Immunsystem eine Weile bekämpfen. Die haben dann allerdings monatelang Kopfschmerzen oder Müdigkeitsschübe. Aber keine Angst, über kurz oder lang werde ich mich da auch durchsetzen!
Im ersten Jahr hat das alles ganz prima geklappt. Zwei Millionen Menschen habe ich schon erledigt. Bis April 2021 steht allein für Deutschland mein Plan mit 50.000 weiteren Toten fest.
Diese Erdlinge machen es mir ja auch wirklich leicht, mich zu vermehren. Wenn die wüssten, wie einfach es ist, mich loszuwerden…
Eigentlich sollte ich das ja für mich behalten, aber die menschlichen Virologen, auf die zum Glück niemand hört, haben es ja auch ganz schnell herausgefunden: Wenn ich mich nicht vermehren kann, sterbe ich aus! Und das wollen Sie doch sicher nicht!!
Also helfen Sie mir, meinen Auftrag zu erfüllen! Bleiben Sie in großen Gruppen zusammen, vergessen Sie die blöde Maske (mit der FFP2 habe ich kaum noch Chancen!!) und machen Sie so weiter wie immer. Es gibt noch viel zu wenige Querdenker-Demonstrationen, Wintersportler und Fußballzuschauer. Und Sie sollten sich viel öfter mit ihren Freunden und Nachbarn treffen, am besten zu feucht-fröhlichem Umtrunk mit intensivem Körperkontakt. DAS LIEBE ICH!
Jetzt kommen die Menschen auch noch mit ihrer Schutzimpfung an! Das hatte keiner vorhergesehen, dass das so schnell geht. Zum Glück wollen sich ja mindestens 25% der Deutschen nicht impfen lassen, weil sie Angst „vor Nebenwirkungen“ haben. Gut so! Lieber durch meine Mitwirkung und eine extrem schmerzhafte Erkrankung noch ein paar Wochen dahinsiechen, bis ich mich durchgesetzt habe. Und bis der Impfstoff dann leider auch hier angekommen ist, habe ich ja noch ein paar Monate Zeit für meine Aufräumarbeit.
Ach, ist es schön, ein Virus zu sein!

Herzlichst
Ihr Covid 19

Südafrika

Auch zu dieser Reise gibt es ein Video: https://1drv.ms/v/s!Atl63EVwUq_mh5VwfsHDzz3bvxgtLQ?e=dyrkLf

Wir haben uns ganz zufällig kennengelernt.
Elena, knapp 30, Managerin der Abteilung Automobilrennsport bei Mercedes.
Sehr hübsch, schlank, mit leichtem Akzent. Sie wohnt ganz nah beim Nürburgring.
Wir haben uns nie gesucht und doch gefunden. Und ehe wir uns versahen, haben wir die ganze Nacht miteinander verbracht.
Nach dem Abendessen (Sie: vegetarisch, Ich: Hühnchen) hatten wir uns soo viel zu erzählen. Und ja, wir hatten unseren Spaß. Großen Spaß. Irgendwann wurden wir müde. Uns fielen die Augen zu. Wenn ich kurz erwachte, schob ich ihre Decke wieder über ihre Schultern, damit sie nicht frieren musste. Ich fror nicht, im Gegenteil. Mir war ganz schön heiß zumute. Immer öfter wurden wir beide gleichzeitig wach und lächelten uns an. Die Nacht hatte keine Chance. Um fünf Uhr dreißig bestellte ich das Frühstück für uns. (Sie: vegetarisch, Ich: Rührei). Wir hatten uns noch so viel zu sagen. Beide wussten wir, dass sich diese Nacht nie wiederholen würde. 

Moment mal. Ich habe mir diese Einleitung gerade noch mal durchgelesen. Es könnte sein, dass ich mich da etwas missverständlich ausgedrückt habe. Elena und ich haben sich zwar tatsächlich nur zufällig kennengelernt, weil eben der Sitzplatz auf ihrem Flugticket genau neben meinem war. Das hätte ich besser dazu schreiben sollen. Sie saß am Fenster, ich am Gang der A340 der South African Airlines. Ein Kasten, der gut und gerne 20 Jahre auf dem Buckel hatte. Sie ist tatsächlich für FormelEins-Rennen weltweit für das Management tätig und sie ist auch tatsächlich hübsch, schlank und stimmlich leicht regional eingefärbt.
Und ja, die Nacht haben wir auch miteinander verbracht. Im Flugzeug. Es war ein Nachtflug von Frankfurt nach Johannesburg in Südafrika, ca. 11 Stunden lang. Und wir haben auch zusammen gegessen, getrunken und geredet. Und ich befürchte, dass sich das auch nicht wiederholen lässt. Aber schön war es doch.

Und jetzt zurück zu den Tatsachen. Die Firma TrendTours hatte mich tatsächlich ein weiteres Mal dazu gebracht, eine ihrer berüchtigten Rentnerreisen anzutreten. Diesmal kein Schnäppchen, denn rund 2600.- Euro ohne die ganzen Extras vor Ort sind schon eine Hausnummer. Die Reise sollte zunächst nach Johannesburg führen, von dort – nach drei Rundreisetagen – mit dem Flieger nach Kapstadt und von dort auf dem selben Weg wieder heim. Alles in 12 Tagen, wovon der An- und Abreisetag besagte Nachtflüge waren. Also eigentlich „Südafrika total in 10 Tagen“.

Nur vom Feinsten.

Gleich nach der Ankunft in Johannesburg gegen 8:30 Uhr Ortszeit gab es mal wieder ein Problem, weil zwei Reisegäste partout nicht auftauchten. Wie sich nach einer Stunde herausstellte, waren sie auch gar nicht mitgeflogen. Das könnte man bestimmt besser organisieren, denn eine Stunde sinnlos auf einem Flughafen rumstehen ist nicht jedermanns Lieblingsbeschäftigung. Ich hatte die Zeit genutzt, eine SIM-Karte bei Vodafone zu erwerben, die laut Schwarmintelligenz des Internets überall in Südafrika funktionieren würde. Umgerechnet 35 Euro für 10 Gigabyte Datenvolumen. Außerdem wechselte ich 10 Euro in den südafrikanischen „RAND“ um, abgekürzt „R“. Das war vielleicht eine Show! Zunächst musste ich meinen Pass abgeben, der zweimal fotokopiert wurde. Dann tippte die Dame am Schalter alle Daten des Passes noch einmal per Hand in den Computer. Da sie etwa vier Zentimeter lange Fingernägel hatte, traf sie in der Regel immer gleich zwei bis drei Tasten gleichzeitig. Das zog sich also, bis sie meinen Pass (den sie ja schon als Kopie hatte) nochmals abgetippt hatte. Dann druckte sie zwei Formulare aus. Eines musste ich unterschreiben, ein zweites sollte ich immer mit mir führen. Das Geld war während dieser umständlichen Prozedur offenbar schon wieder entwertet worden. Statt der mir zustehenden 163 Rand erhielt ich nur 132 Rand. Natürlich musste ich den Empfang des Bargeldes noch einmal getrennt bestätigen. Wer mitrechnen will: Den Betrag in Rand mal sechs nehmen und zwei Nullen abstreichen – dann hat man ungefähr den Gegenwert in Euro.

Untendrunter kommt nur noch der Südpol.
Johannesburg im Vorbeifahren

Unser Reiseleiter, ein schwarzer, gut aussehender Afrikaner mit Rasta-Locken und begrenztem deutschen Wortschatz namens „Mandla“, führte unsere Reisegruppe, die jetzt „nur“ noch aus 40 Personen bestand.

Johannesburg streiften wir im Wortsinn nur peripher, es ging gleich ins erste Museum, ins  „Apartheid“-Museum. Schwerster Tobak gleich zum Auftakt der Reise. Was diese gerade mal 4 Millionen Weiße in diesem Land den 44 Millionen Schwarzen angetan haben, lässt sich kaum in Worte fassen. Den Schwarzen wurde fast ihr ganzes Land weggenommen. Sie konnten sich gerade mal 8% sichern. 92% beanspruchten die weißen Männer. Die Schwarzen durften nur niedere Arbeiten ausführen, wurden von jeglicher Bildung ausgeschlossen und mit brutaler Gewalt von den Weißen getrennt. Man kann es sich kaum vorstellen, aber es war bei Strafe verboten, dass Weiße mit Schwarzen oder Mischlingen zusammenkamen. Ein weißer Vater, der eine schwarze Frau geschwängert hatte, durfte sein Kind nur alle drei Monate vier Stunden lang mit gerichtlichem Beschluss sehen. Eine widerliche rassistische Regierung machte das alles möglich. Zusätzlich hatten die Schwarzen auch noch untereinander Krieg. 

Getrennte Tickets für Weiße und Schwarze, bzw. Mischlinge

Bereits 1920, nachdem sich die vier Kolonien Kap, Oranje-Freistaat, Fatal und Transval zur Südafrikanischen Union zusammengeschlossen hatten, begann die weiße Bevölkerungsminderheit die schwarze Bevölkerung von Beginn an zu unterdrücken.

Die aktuelle Verfassung

1913 wurde der „Native´s Land Act“ erlassen, der besagte, dass schwarze Einwohner nur noch in bestimmten Gebieten Südafrikas Land erwerben durften.
1923 wurden alle Schwarzen aus den Städten geworfen und in Baracken außerhalb der Städte verbannt, den sogenannten „Townships“. Um in der Stadt arbeiten zu dürfen, brauchten sie eine Genehmigung der Regierung.
1948 gewann dann die „National Party“ (NP) die Parlamentswahlen, an denen nur Weiße teilnehmen durften. Bis 1994 blieb sie an der Macht und baute das System der Unterdrückung systematisch weiter aus. So wurde 1950 anhand pseudo-wissenschaftlicher Kriterien festgelegt, welcher Rasse jeder Bürger angehört.
Proteste wie 1980 in Sharpeville wurden von der Polizei niedergeschlagen. Nelson Mandela und andere Führer des verbotenen ANC (Afrikanischer Nationalkongress) begannen ihren Guerilla-Kampf gegen die Regierung.
Der internationale Druck wuchs ständig – 1963 wurde Südafrika von den Olympischen Spielen ausgeschlossen und verlor seine Mitgliedschaft in der UN-Vollversammlung.

Die Proteste nahmen zu. 1985 wurde der Ausnahmezustand ausgerufen, der bis 1990 dauerte. Immer mehr Regierungen verhingen Sanktionen gegen das weiße Regime.
1989 wurde F.W. de Klerk Staatspräsident. Überrascht sah die Weltgemeinschaft, wie der weiße Präsident das Apartheim-System langsam lockerte. Das Verbot der ANC und anderer Widerstandsbewegungen wurde aufgehoben und Nelson Mandela kam aus dem Gefängnis frei.
1994 fanden dann freie und geheime Wahlen statt, an denen alle Südafrikaner teilnehmen durften. Der ANC gewann haushoch, und Nelson Mandela wurde Staatspräsident. 1997 trat eine neue demokratische Verfassung in Kraft, die allen Bürgern gleiche Rechte versprach.
So, das war ein Schnelldurchlauf durch die traurige Geschichte des Landes. Genauso kurz wie der Besuch des Museums, für das man besser einen ganzen Tag einplanen sollte.

Eins der vielen Denkmäler für Nelson Mandela

Nach diesem schweren Brocken ging es zunächst zum Mittagessen in ein dörfliches Lokal in Soweto. Nebenan hatte Bischof Desmond Tutu gewohnt, und Nelson Mandela nur wenige Meter die Straße aufwärts. Das Essen in Buffet-Form war ordentlich, der Wein für umgerechnet 2,24 Euro sehr lecker. Während des Essens gab es immer wieder Showeinlagen junger Männer, die sich mit alten „Eingeborenen-Tänzen“ ein paar Rand dazuverdienen wollten.

Unsere Eintänzer beim Mittagessen

Auch ein Tierstimmen-Imitator, der nahezu alle Tiere des Urwaldes drauf hatte, versuchte Aufmerksamkeit zu erregen, leider vergeblich. Also weiter zu Fuß durch den Ort Soweto. So langsam klingelte es auch in meinem Hirn. Da war doch was…
Oh ja. 1967 erschoss die Polizei dort rund 800 Kinder, weil die es gewagt hatten, gegen einen unmenschlichen Lehrplan zu protestieren. Die Kinder, die bisher in Englisch unterrichtet wurden, sollten innerhalb von zwei Monaten den gesamten Lernstoff auf Afrikaans draufhaben. Ein Ding der Unmöglichkeit. Und eigentlich auch nur ein weiterer Versuch der weißen Machthaber, die Schwarzen von Bildung fernzuhalten. Auch hier gibt es ein Museum, das diesen Fall aufgearbeitet hat. Wenn man das alles sieht und liest, bleibt einem fast das Herz stehen. Soviel Grausamkeit, Unmenschlichkeit und Unterdrückung habe ich noch nirgendwo gesehen. Und je mehr diese Faschisten und Nazis in Deutschland sich wieder bei uns breit machen, desto klarer ist mir, dass diese Art „Mensch“ niemals wieder an die Macht kommen darf. Leider sind sowohl die „Fakenews“ im Internet als auch die immer länger werdende Riege der Rechtspopulisten in der ganzen Welt Zeichen dafür, dass der Mensch immer noch nichts kapiert hat. Es sind schon soviel Scherben zerbrochen worden, dass ich an eine Instandsetzung unserer lebensnotwendigen Demokratie zu zweifeln begonnen habe.

Seweto – Jeder Stein ein ermordetes Kind


Nach diesem erneuten Schlag in die Magengrube verließen wir Soweto und nahmen Kurs auf Pretoria. Zu allem Überfluss hatte es inzwischen sehr stark zu regnen angefangen. Im Bus machte uns das zwar nichts aus, aber dadurch entfiel auch eine Stadtrundfahrt durch Pretoria. Stattdessen wurden wir nun – endlich! – ins Hotel gefahren. Vier Sterne, sehr ordentlich, gutes Restaurant. Nur eins klappte bei mir nicht: Die Buchung zusätzlicher Ausflüge. Dafür verantwortlich war eine Mitarbeiterin des lokalen Veranstalters im Hotel, die die Wünsche aufnahm. Ich hätte gerne etwas gebucht, fand mich aber jedesmal an ca. 10. Stelle in einer langen Schlange. Da bin ich lieber erst mal essen gegangen. Als ich zurückkam, war die Schlange aufgelöst und die Reisebürotante nach Hause gegangen. Also keine Extratouren diesmal.
Inzwischen war ich gut 36 Stunden auf den Beinen und freute mich auf mein Bett. Endlich mal in der Waagerechten einschlafen! Noch flugs die kleinen Helferlein an die Steckdose geklemmt und ab in die Heia.

Der nunmehr schon dritte Urlaubstag begann mit einem gewöhnungsbedürftigem Frühstück. Die Südafrikaner hatten offenbar viele Bräuche und Rezepte der Engländer und Holländer, die sich ja hier jahrzehntelang breit gemacht hatten, übernommen. Unsere Koffer wurden von den Jungs im Hotel in die Rezeption geschleppt. Abfahrt 8:30 Uhr. Ich hatte mich nach der Identifikation meines Koffers sofort in den Bus begeben und ein freies Plätzen ergattert. Leider stellte sich heraus, dass ich im falschen Bus war. Trendtours hatte insgesamt 84 Touristen ins Land gekarrt, die auf die Gruppen „Gelb“ und „Grün“ aufgeteilt wurden. Ich saß fälschlich in „Gelb“, gehörte aber natürlich zur grünen Gruppe…

Blick auf Pretoria

Heute lagen 600 Kilometer Überlandfahrt vor uns, nur durch gelegentliche Pippipausen, Besichtigungen von irgendwelchen Felsen, Wasserfällen und Canyons unterbrochen.
Beeindruckende Landschaften und umfangreicher Ackerbau bestimmten das Bild links und rechts der größtenteils sehr gut ausgebauten Straßen. Im Bus gab es fast durchgehend eine brauchbare Internetverbindung, was sonst? So konnte ich während der Fahrt auch allerlei Bürokram erledigen. Das Mittagessen war nicht im Preis inkludiert, wie der Reisefachmann so schön sagt, sondern musste extra entrichtet werden. Da ich nach dem gründlichen Frühstück keinen Hunger verspürte, ließ ich es aus. Nur um dann zwei Stunden später irgendwo einen ungesunden Käse/Schinken-Sandwich zu erstehen, der meinen ganzen Kalorienvorteil wieder auffraß.

Landschaften gab´s reichlich …

Mein Handy hatte über Nacht keinen Strom bekommen und war daher schon zum Frühstück leer. Zum Glück gab es im Bus einen USB-Stecker an jedem Sitz, mit dem ich das Ding ruckzuck wieder aufladen konnte. Denn zu filmen gab es viel. Hauptsächlich tolle Landschaften.

Gleich zwei Wasserfälle auf einmal

Gegen halb sieben kamen wir zu unserem letzten Programmpunkt: Folklore mit Essen. Ein prächtiges Anwesen mit echten freilaufenden Nilpferden und Krokodilen erwartete insgesamt vier Busse voller Touristen aus Frankreich, Japan und Deutschland. Nach einem schnellen Glas Wein wurden wir in eine Art Manege geführt. Im Halbrund saßen wir vor der ebenerdigen Bühne, die schon von afrikanischen Trommlern laut beschallt wurde. Und dann legten sie los, die Mädels und Buben der Tanztruppe. Auch wenn man das auf Arte vielleicht schon tausendmal gesehen hat, ist eine Live-Darbietung doch noch von ganz anderem Kaliber. Was uns diese Truppe da mit ihrer unglaublichen Energie vortanzte, war ganz große Kunst. Und sicher auch ziemlich schmerzhaft für die Tanzenden, die sich z.B. aus großer Höhe einfach auf den Boppes fallen ließen. Jeder normale Sterbliche hätte da mit einem Steißbein-Bruch das Krankenhaus aufgesucht, aber diesen jungen Leuten machten selbst Spagate aus zwei Meter Höhe auf den Boden nichts aus.
45 Minuten dauerte das Spektakel, das leider vom Publikum nicht so gewürdigt wurde, wie es der Leistung entsprach. Jedenfalls war das Trinkgeld, dass man auf einem Fell ablegen durfte, ziemlich dürftig.

Rhythmische Gymnastik zum Abendessen


Dann folgte das Abendessen. Wie immer in Büffetform. Unter anderem gab es Raupen zu essen, schön gegrillt mit diversen Soßen. Immerhin haben das Einige von uns tatsächlich probiert. Ich habe aber beim Krokodil zugeschlagen. Ich dachte mir, ehe so ein Viech Dich frisst, iss´ es lieber selber. Schmeckt ausgesprochen lecker. Und nein, es schmeckt nicht wie Hühnchen. Auch kann ich ein Scheibchen vom „Gnu“ sehr empfehlen, während das Rindersteak zumindest hier sehr zäh war. In Verbindung mit ein paar Gemüsesorten, die wir in der Schule nicht durchgenommen haben, war es ein sehr leckeres Abendessen. Um halb neun stiegen wir erneut in den Bus, um unsere Übernachtungsstätte anzusteuern: Das PINE LAKE INN in der Nähe des „Kruger Nationalpark“. Etwa gegen 22 Uhr waren alle Koffer auf den Zimmern. Nur zwei weitere Mitreisende und ich saßen noch – bei einem Glas Wein – draußen auf der Terrasse. Die anderen waren einfach nur fix und fertig. Sie hatten einen guten Grund, direkt ins Bett zu gehen: Die morgige Safari sollte bereits um 4:30 Uhr beginnen. Und da es nach 22 Uhr auch keine Getränke mehr in diesem Hotel gab, fügte ich mich meinem Schicksal und legte mich nach diesen Zeilen auch ins riesige Doppelbett in meinem Luxusapartment und schlief sofort ein.

Erstaunlich munter stand ich um 3:45 Uhr nach einem telefonischen Weckruf auf und machte mich Safari-tauglich. Also kurze Hose, Turnschuhe und T-Shirt. Auf Anraten des Reiseleiters hatte ich auch eine Jacke eingepackt, diese aber aufgrund einer Außentemperatur von 24 Grad (morgens um 5!) im Bus liegen gelassen. Die Fahrt bis zum Kruger Nationalpark dauerte etwa eine Dreiviertelstunde. Und nein, er heißt NICHT „KRÜGER“, sondern „KRUGER“ Nationalpark. Mit Hardy Krüger hat er nämlich so gar nichts zu tun, sondern mit dem damaligen Präsidenten Paul Kruger, der das Wildschutzgebiet bereits am 26. März 1898 gegründet hatte. 1926 erhielt es den Status „Nationalpark“ und wurde in seinen heutigen Namen umbenannt. (OK, das habe ich bei Wikipedia nachgelesen, wusste das auch nicht…)

Eine echte Giraffe

Um halb sieben öffneten die Pforten, und etwa 50 Jeeps strömten zunächst auf den zentralen Haupteingang. Dazu noch zig Touristenbusse und nach und nach hunderte von Einzel-PKW, die auf eigene Faust (Foto)-Jagd auf die wilden Tiere machten. Ich hatte wohlweislich nur den ersten Teil der Tour mitgemacht, da er ohnehin im Reiseplan vorgesehen war. Die zusätzliche zweite Hälfte musste man extra buchen. Zehn Personen hatten in jedem Jeep Platz. Das Reinklettern in diese umgebauten Landrover gestaltete sich gar nicht so einfach. Der Muskelkater hielt drei Tage an. Unser Fahrer hatte immer eine direkte Funkverbindung mit seinen Kollegen, sodass wir für den Fall, dass irgendwo ein Tier auftauchen würde, sehr schnell an Ort und Stelle sein würden.
Aber das dauerte noch eine ganze Weile. In der ersten Viertelstunde, die wir mit Tempo 40 bis 50 durch betonierte Straßen innerhalb des Resorts fuhren, tat sich tiermäßig mal so gar nichts. Endlich sahen wir drei oder vier junge Antilopen friedlich am Straßenrand grasen. Vollbremsung, Fotos und Videos ohne Ende. Dann weiter. Irgendwo in 500 Meter Entfernung will der Fahrer vier Löwen gesehen haben, alle männlich. Ich habe gar nichts gesehen. Auch die ersten Elefanten waren so winzig klein in der Entfernung zu erahnen, dass schon der Verdacht ausgesprochen wurde, es handle sich um Attrappen, um uns Opfer bei Laune zu halten. Aber im Verlauf der irrwitzigen Jagd nach echten Tieren sahen wir tatsächlich ab und zu Hyänen, Elefantenfamilien, Büffel und mit sehr viel gutem Willen auch einen Löwen von hinten. Bei einem Zwischenstopp an einem See verpassten wir leider alle Krokodile, die wohl heute frei hatten. Auch Schlangen oder Affen waren nicht zu entdecken. Alles in allem war die Ausbeute ziemlich enttäuschend. Und das bei zwar 26 Grad, aber gleichzeitig eisigem Fahrtwind. Denn der Jeep war natürlich ringsum offen – nur ein Dach schütze uns vor dem Regen, der uns anfangs auch noch begleitete. Meine Jacke lag noch im Bus, und ich zitternde bibbernd vor mich hin.
Gegen 11 war der „Halbe Tag“ für mich vorbei. Außer zwei weiteren vernünftigen Menschen hatten alle Reisenden auch die zweite Hälfte gebucht. Da hat es dann richtig angefangen zu regnen, was wohl auch den Tieren nicht gefallen hat. Es gab aber immerhin einen Leoparden zu bewundern, der gerade eine frisch erlegte Beute wegtransportierte. 

Elefantenfamilie auf dem Heimweg

Mir stellte sich aber doch langsam die Frage nach dem Sinn einer solchen „Safari“? Tut es der Natur wirklich gut, wenn da täglich hunderte von Diesel-Jeeps und tausende von anderen Solotouristen mit den Auspuffgasen ihrer Privatwagen durch die Gegend rasen? Ist das Geknatter der Motoren nicht vielleicht sogar der Grund dafür, dass sich die Tiere bewusst verstecken? Wäre es nicht sinnvoller, sich die Tiere in Fotobänden oder Fernsehdokumentationen anzusehen als sie hier in der Wildnis zu jagen – und sei es nur für ein unscharfes Foto auf dem Handy? Man wird einwenden, dass durch die Eintrittsgelder erst überhaupt der Unterhalt dieses Parks – so groß wie Hessen – möglich ist. Aber das könnte man doch auch mit einer Art „Parksteuer“ bei Einreise ins Land ermöglichen. Und die vielen Jeepfahrer? Könnte man zu Parkhütern umschulen. Geld wäre dann ja genug da.
Wie auch immer – der Gipfel der unnötigen Luftverschmutzung gipfelte darin, dass wir drei, die die Verlängerung der Tour verweigert hatten, von unserem Bus zurück ins Hotel gefahren wurden! Fünf Leute (Fahrer, Reiseleiter und wir drei) in einem Bus für 53 Personen! Natürlich fuhr der Bus dann wieder zurück in den Park, um alle Anderen abzuholen.
Greta, ich höre Dich heulen.
(Und ja, sorry für den Flug nach Südafrika.)

Ein feines Hotel, bei dem man um 22 Uhr im bett liegen musste

Im Hotel gab es für uns drei dann sogar noch ein kostenloses Mittagessen. Übersichtlich, aber recht lecker. Als wir gerade beim Nachtisch waren, öffnete der Himmel mal wieder seine Schleusen. Schnell ins Zimmer, ein bisschen was gearbeitet und ein kleines Schläfchen abgehalten. Als ich so gegen 16:30 Uhr wieder in den großartigen Garten des Hotels kam, lagen viele Gäste auf den bereit gestellten Liegestühlen im Garten oder schwammen durch den wunderschönen Pool. Und immer zwischendrin: Ein großartiger Pfau, das Maskottchen des Hauses. Leider ein nachtaktives Tier, das die ganze Nacht über laute Kreischlaute von sich gab.
Ein Wort zur Architektur des Landes: Alle Häuser, die wir bisher gesehen haben, waren von ausgesucht gutem Geschmack geprägt. Kein Kitsch, keine 08-15-Bauweise – nein, jedes Haus war ein Unikat. Alles war sehr geschmackvoll und stilsicher eingerichtet. Die Inneneinrichtungen waren ein Traum – tausende Mal schöner als der IKEA-Stil in Europa oder sonst wo. Kein Pressholz, kein Plastik, keine verstörenden Farbkombinationen. Einfach schön. Bewundernswert schön.


Um 18.00 Uhr mussten wir schon wieder essen. Da das Hotel für alle Gäste zu klein war,  wurde in stundenweisen Etappen diniert. Wir waren die Vorhut. Ich suchte mir einen freien Platz und landete bei einem Paar aus Thüringen. Hinzu kam kurz danach noch ein Ehepaar aus dem Kölner Raum. Das Essen schmeckte gut, die Getränke waren optimal, bis dann die Gespräche auf die Politik kam. Speziell Ausländerpolitik. „Die von der AFD sind übrigens sehr gebildete Leute!“, hörte ich da. „Unsere Apotheke ist jetzt von einem Iraner übernommen worden! Da gehe ich doch nicht mehr hin!“- „Das sind zu 60% Männer im jugendlichen Alter! Da ist doch keiner mehr sicher!“ – „Ich habe meinem Enkel verboten, ins Schwimmbad zu gehen, solange da Schwarze rumlungern“ – „So kann das nicht weitergehen, das wird man ja dann wohl mal sagen dürfen!“, sagte die Dame aus Thüringen mit 3% Ausländer-Anteil.

Ich ließ das Dessert aus und verließ den Tisch. Draußen saßen lustige Damen aus Stuttgart. Es wurde dann doch noch ein schöner Abend.

Der Weckdienst des Hotels riss mich schon um kurz nach sechs aus den Federn, obwohl wir erst um acht Uhr abfahren würden. Ich habe versucht, wieder einzuschlafen, aber gerade als ich so weit war, weckte mich mein iPhone zur geplanten Zeit um sieben Uhr.
Der heutige Tag war mal wieder ein Reisetag. 5 Stunden Busfahrt, zwei Stunden Warten am Flughafen in Johannesburg, 2 Stunden Flug und nochmal eine halbe Stunde Transfer ins Holiday Inn in Kapstadt. Feinste Adresse mitten im Zentrum. Um 19 Uhr sollten wir schon wieder zum Essen antreten. Bis dahin war jedoch noch nicht einmal mein Koffer in meinem Zimmer im 10. Stock angekommen.

Biologieunterricht über Strauße

Ich hatte also genug Zeit, darüber nachzudenken, was uns unser Reiseleiter über das aktuelle Südafrika sagen konnte. Vor einigen Jahren hatte die Regierung beschlossen, den Schwarzen ihr annektiertes Land wieder zurückzugeben. Voraussetzung war, dass man nachweisen konnte, überhaupt Land besessen zu haben. Das hatte schon die meisten Bewerber abgeblockt. Dann aber wurden doch viele landwirtschaftlich erfolgreiche Großunternehmen rück-abgewickelt. Das heißt, der Staat hat den weißen Grundbesitzern, die den Schwarzen das Land gestohlen hatten, selbiges für teuer Geld abgekauft und an die mittellosen Schwarzen verschenkt. Die waren nun ganz heiß darauf, die landwirtschaftliche Nutzung zu ihrem neuen Lebensmittelpunkt zu machen. Was die Regierung nicht bedacht hatte, waren zwei Punkte: Erstens nahmen die weißen Altbesitzer sämtliche Maschinen und Wasserpumpen mit (denn die standen dummerweise nicht im Vertrag) und zweitens verließen alle ausgebildeten Landarbeiter die Betriebe, weil die neuen Herren ja alle Jobs mit der eigenen Familie besetzen wollten. Die großen Lebensmittelketten waren trotzdem froh über die friedliche Lösung und schlossen langfristige Verträge mit den neuen Bauern.
Nur stellte sich ganz schnell heraus, dass es doch von großem Vorteil ist, wenigstens ein bisschen was von Landwirtschaft zu verstehen. Da ja die Bildung der schwarzen Bevölkerung systematisch heruntergefahren worden war, wusste nun keiner der Jungbauern genau, wie denn z.B so eine Banane behandelt werden muss, damit sie schön groß wird und der EU-Norm entspricht. Sie fanden nur heraus, dass Bananen zweimal im Jahr von ganz alleine wachsen und geerntet werden können. Dass man sie z.B. früh morgens gießen muss, auch wenn man da viel lieber ausschlafen möchte und die sensiblen Pflänzchen auch vor Ungeziefern beschützt werden müssen, war den neuen Farmern leider nicht bekannt. Und so kam es, wie es kommen musste: Die Bananen waren plötzlich nur noch so groß wie ein Daumen. Das gefiel den Einkäufern der weltweiten Lebensmittelindustrie überhaupt nicht, und sie kündigten die Verträge. Da saßen die stolzen Landbesitzer nun tonnenweise auf ihren Kinderbananen und wurden sie höchstens noch am Straßenrand an Einheimische los. Die Ernüchterung kam recht schnell. Um nicht in Konkurs zu gehen, verkauften die gebeutelten Jungunternehmer das Land also wieder zurück. Und zwar an die alten Besitzer. Die sahen sich die runtergewirtschafteten Höfe an und boten höchstens ein Drittel des damaligen Kaufpreises. Da muss Champagner geflossen sein, das kann man sich gar nicht vorstellen. Ein Lottogewinn ist ein Dreck dagegen. Und natürlich hat dann auch irgendwann die Regierung gecheckt, dass sie Mist gebaut hat. Inzwischen ist die Rückwandlung von Land an die schwarzen Einwohner des Landes wieder gestoppt worden. Allerdings – und das ist nun mal der Lauf der Dinge – hat die junge Generation der Schwarzen inzwischen Schulen besucht, Ackerbau studiert und einige Erfahrungen gesammelt. Jetzt könnte der Plan eigentlich aufgehen, aber nun spielt die Regierung nicht mehr mit. Das Leben ist kompliziert.


Gegenüber meiner bisherigen Vorstellung muss ich bewundernd anerkennen, dass Südafrika ein extrem hoch entwickeltes Land ist. Das ist sicher auch der weißen Minderheit zu danken, die Ihr Geld und Ihr Wissen für den Fortschritt des Landes eingesetzt hat. Und seit auch die schwarzen Einwohner seit 1994 endlich frei und vor allem gleichgestellt sind, hat sich im Land die positive Entwicklung fortgesetzt. Klar gibt es immer wieder Knatsch zwischen einzelnen Parteien, Ansichten und Positionen, aber die gehören nun mal zu einer Demokratie wie die Milch in den Tee (Nein, ich trinke ihn schwarz/mit Zucker/mit Zitrone). Das Leben in einer Demokratie besteht aus der Akzeptanz von Kompromissen. Da dauert es halt eine Weile, bis die von allen akzeptiert werden. Das erleben wir leider auch gerade in Deutschland. Hier sind Kompromisse inzwischen völlig out. Jeder Wutbürger fordert die Durchsetzung seiner eigenen Meinung. Leute, das wird nichts.

Inzwischen war mein Koffer angekommen. Ich „machte mich frisch“, wie es immer so schön heißt und begab mich in das Restaurant des Holiday Inn. Dort landete ich bei einem älteren Paar aus Sachsen, drei Wein und dem üblichen Buffet-Schmaus. Als ich den Dialekt der Beiden erkannte, fürchtete ich, schon wieder in eine AFD-Außenstelle zu geraten. Zum Glück war das Gegenteil der Fall. Nach einem weiteren Wein in der Bar des Hotels ein bisschen auf dem Laptop rumgehämmert und dann zur Abwechslung mal wieder Schlafen gegangen.

Die Tage mit elend langen Fahrtzeiten häuften sich. Heute sollte es nach Knysna gehen, eine Stadt am Meer, die man „Neißa“ ausspricht. Um dort hinzugelangen, fuhren wir erst einmal 6 1/2 Stunden mit unserem Bus. Natürlich gab es die üblichen Toilettenpausen mit Nippesverkauf, aber die Strecke war schon ganz schön lang. Landschaftsmäßig sah man nur Wiesen oder Berge, ab und zu mal eine Schlucht. Ja, sehr schön und erhaben, auf 6,5 Stunden aber auch gähnend langweilig.

Unser Reiseleiter vertrieb uns die Zeit mit lustigen Geschichten aus dem wahren Leben. Wobei man bei ihm ganz sicher nicht alles glauben darf, was er so erzählt. Unser Sunnyboy kennt in jedem Hotel Mädels, die ihn anhimmeln, und er weiß auch ganz genau, wie er bei der Damenwelt ankommt.
Manla ist inzwischen verheiratet und hat sogar drei Kinder. Und das, obwohl er uns erzählt hat, was auf einen Mann zukommt, der heiraten will.
Die übliche Story ist doch die: Mann verliebt sich in Frau, gesteht ihr seine Liebe. Frau ziert sich, ziert sich noch länger und sagt dann irgendwann, dass sie ihn auch liebt. Das ist quasi der Anfang vom Ende. Denn jetzt kann der Mann nicht mehr aussteigen. Er kann nur noch versuchen, in der Lotterie zu gewinnen, um den Schaden möglichst gering zu halten. Denn kaum, dass es sich herumgesprochen hat, dass die beiden heiraten wollen, wird es teuer. Zunächst einmal fordern alle Familienmitglieder der Braut so eine Art Bewerbungsgeschenk. Also z.B. Parfum von DIOR, Schuhe von NIKE, ein Handy von APPLE oder was auch immer. Mit ein bisschen Glück wissen die Familienmitglieder nicht, wie das Parfüm von DIOR riecht, NIKE-Schuhe oder APPLE-Handys aussehen, sodass der zukünftige Ehemann den Krempel beim billigen Chinesen als Raubkopie kauft. Das schadet zwar DIOR, NIKE und APPLE, schont aber den Geldbeutel vom Bräutigam. Diese Geschenke sind leider nur der Anfang. Denn der Bräutigam muss nun, je nach Zustand der Braut, echte Kühe in die zukünftige Ehe einbringen. Dabei gilt: ist die Frau noch Jungfrau, werden 12 Kühe fällig. Sollte sie bereits einschlägige Erfahrungen haben, wird die Zahl der Kühe auf 11 reduziert. Und sollte sie gar bereits ein Kind haben, gibt es pro Kind weitere 3 Kühe als Abzug. Rein rechnerisch müsste eine Braut mit vier Kindern dann selbst eine Kuh mitbringen. Aber das ist jetzt nur eine Mutmaßung. Außerdem muss man auf jeden Fall eine „Stand-by-Kuh“ im Hinterhalt haben.

Weiter gehts. Kaum, dass der Hochzeitstermin feststeht, weiß davon die halbe Welt und fühlt sich selbstverständlich eingeladen. Manche wissen dann nicht einmal, auf wessen Party sie sind, aber dabei sein ist eben wichtig. Und um die ganzen Schmarotzer satt zu bekommen, muss man dann schon mal drei der Kühe schlachten. Und besagte Stand-By-Kuh ist dann eminent wichtig, falls es doch SEHR viel mehr Gäste werden als erwartet. Denn nichts ist schlimmer, als wenn man nach Jahrzehnten noch von der Hochzeit spricht, bei der die Leute nicht satt geworden sind.

Fütterungszeit

So verging der Morgen. Nach sechseinhalb Stunden waren wir nicht etwa schon am Tagesziel. Nein, wir waren an einer Straußenfarm in Oourdtshoorn angekommen, wo unser Mittagessen auf uns wartete. Natürlich gab es Straußen-Filets – sehr lecker und durchaus eine Alternative zum Rinderfilet. Anschließend wurden wir ein wenig in die „Strauß-Industrie“ eingeführt. Rund 1800 Tiere aus Afrika und Australien lebten hier. Wir lernten, dass die Tiere bis zu zwei Meter groß werden und 70 Jahre alt werden können. So ein Straußenei enthält soviel Eiweiß und Eigelb wie 24 Hühnereier, ist aber cholesterinmäßig nicht sonderlich zu empfehlen. Die Biester sind dumm wie Brot. Ein Auge eines Tieres wiegt mehr als sein Gehirn, nämlich 60 Gramm gegenüber 40 Gramm. Die meisten Strauße werden mit zwei Jahren per Elektroschock getötet und anschließend verspeist. Pro Tier kann man mit rund 45 Kilo Fleisch rechnen – bei ca. 80 Kilo Gesamtgewicht. Ausgewachsene Tiere bringen es auf über 120 Kilo. Die Federn werden ebenfalls verwertet, obwohl sie potthässlich sind. Selbst die ebenso hässliche Haut muss für Decken und Handtaschen herhalten. Sollte ein Strauß nicht zum Verzehr vorgesehen sein, wird er mit 3 Jahren geschlechtsreif und legt zunächst kleine, unbefruchtete Eier. Wenn er den Dreh raushat, legt er die berühmten großen Straußeneier, die dann auch meist befruchtet sind. Etwa 40% der gelegten Eier nimmt man den Tieren aus dem Nest, damit sie nicht aufhören, weitere Eier zu legen. Übrigens brüten mehrere Weibchen und ein Männchen die Eier gemeinsam aus. Tiere, die keine Eier mehr legen können (so ab dem 25. Lebensjahr) werden als Ammen für den Nachwuchs eingesetzt. Die Biester können fast 80 km/h schnell rennen, obwohl sie kaum Feinde haben. Straußenrennen sind zum Glück aus Tierschutzgründen in Südafrika verboten.
Mit ihren zwei Zehen (Australische Strauße haben drei) können sie Angreifer abwehren und aufschlitzen. In dem angeschlossenen Verkaufsladen konnte man dann die zerfledderten Tiere in neuer Form erwerben. Vor allem die riesigen Straußeneier machen in Form von Teelichtern und Lampen oder schlicht bemalt, bedruckt oder graviert bestimmt einen guten Eindruck im modernen Haushalt älterer Generationen. Also zum Beispiel bei mir – ganz sicher nicht. 

Hübsches Kerlchen

Gegen 16.00 Uhr verließen wir die Farm, um dann nach vielen weiteren Kilometern durch gut ausgebaute Gebirgsstraßen um 19.00 Uhr endlich in besagtem Knysna anzukommen. Ein schönes kleines Juwel mit Yachthafen. Leider machten wir keine Stadtbesichtigung, sondern mussten schon wieder essen. Das für uns vorgesehene Strandlokal platzte aus allen Nähten, da auch die TrendTours-Gruppe „Gelb“ aufgekreuzt war.
Und genauso schnell waren wir auch wieder weg, denn das Hotel, das für die kommenden beiden Nächte vorgesehen war, befand sich hoch oben am Hang. Ganze fünf Sterne hatte das Hotel mit gerade mal 25 Apartments auf einer Breite von ca. 500 Metern. Ich wohnte natürlich ganz am Rand. Fünf Sterne hätte ich sicher nicht vergeben, da doch die Einrichtung schon ziemlich abgenutzt war, die Teppiche versifft und die Fugen im Bad reichlich verschimmelt waren.
Nachdem ich endlich meinen Koffer erhalten hatte, machte ich mich nach einem kurzen Renovierungsversuch wieder auf den Weg ins Hauptgebäude, wo es eine Bar geben sollte. Ich musste mir den Weg zeigen lassen, da nicht erkennbar war, wo sich die Getränkeausgabe befand. Was ich sah, war enttäuschend. Eine riesige, U-förmige Theke mit ein paar Tischen drumherum, die alle schon bedeutend bessere Zeiten gekannt haben mussten. An den Wänden liefen tonlose Sportveranstaltungen auf TV-Schirmen, und die Eismaschinen liefen auf Hochtouren. So war es wenigstens nicht totenstill, wenn es schon todlangweilig war. Anfangs war ich der einzige Gast, später kamen noch sechs weitere Tourmitglieder dazu. Und nach dem Upload der aktualisierten Fassung dieses Blogs lief ich die 500 Meter zu einem Apartment, die sich jetzt wie 5000 Meter anfühlten, wieder zurück. Es waren genau 346 Schritte. Man hat ja sonst nichts zu tun …

Nach dem Frühstück mit traumhaftem Ausblick ins Tal sah das Programm einen freien Tag vor. Zum Glück hatte ich dann doch noch eine kleine Tour buchen können, denn den ganzen Tag hoch droben auf der Alm zuzubringen, hätte zu einer mentalen Disruption führen können. Interessanterweise konnte man diese Apartments auch kaufen, wenn man rund 14.000 Euro dafür hingelegt hätte. Klingt wie ein Schnäppchen, ist es aber nicht, denn für diesen Preis hätte man lediglich einmal im Jahr 14 Tage lang in seinem Teil-Eigentum wohnen dürfen. Es gibt anscheinend immer noch Dumme, die darauf reinfallen und sich so einen Klotz ans Bein binden. Denn zu den 14.000 Euro kommen noch anteilig die gesamten Betriebskosten und eine Menge Steuernachteile. Das Verkaufsbüro im Hotel war trotzdem schon am frühen Morgen besetzt.

Ein traumhafter Ausblick

Etwa 20 Reisende unserer Gruppe haben den Ausflug auf eine kleine Insel mitgemacht. Zunächst wurden wir in ein Boot umgeladen, dass außer uns – und auch Reisenden der „Gelben Gruppe“ – auch noch „normale“ Touristen aufnahm. Bis ich im Boot ankam, waren nur noch Plätze neben zwei afrikanischen Teenagern frei. Na ja, etwas ältere Teenager, so um die 25 rum, würde ich vermuten. Beide hatten traumhaft hübsche Gesichter, die allerdings auch stark geschminkt waren. Die Mädels trugen knallenge, superkurze Kostüme mit großen Ausschnitten an den Stellen, wo man sie erwartet. So weit, so angenehm – wenn beide nicht leider unterhalb des Kinns ca. 40 Kilo zu viel gehabt hätten. Da muss erblich irgendwas mit Elefanten im Spiel gewesen sein. Manche Männer stehen ja auf sowas. Laut Analyse unseres Reiseleiters Mandla würden „starke“ Frauen von den Männern eher geheiratet als dünne. Das Fett symbolisiere Stärke und Kraft, während dünne Frauen als zerbrechlich und anfällig für Krankheiten dastünden. Na ja, wie auch immer: Der Anteil der Elefantendamen hier in Südafrika ist erschreckend hoch und lässt sich eher auf den Verzehr von fast Food und literweise Cola zurückführen denn auf die Erfüllung männlicher Wünsche. Meine beiden Hübschen hatten auch noch einen weiteren Schaden – einen Dachschaden nämlich. Von Anfang bis Ende der Tour schauten sie ausschließlich in Ihr Handy, um sich dabei selbst zu fotografieren, bzw. Ihr Konterfei übers Internet live an irgendwelche Jungs zu senden, die vermutlich dafür bezahlen durften. Die Dicke direkt neben mir hatte sogar ZWEI Handys, mit denen sie teilweise gleichzeitig agierte. Über ein paar belanglose Sätze kamen wir nicht hinweg, weil das „Ping“ ihrer Selbstdarstellungsapparate sie immer wieder vor die Linse zwang. Mit Kussmund und verführerischem Augenaufschlag versprach sie irgendwelchen notgeilen Bubis draußen im Lande alles Mögliche. Manchmal schrieb sie auch ein paar Worte ins Handtelefon, was mit den ellenlangen Fingernägeln auch hier wieder ein Problem darstellte. Aber Übung macht bekanntlich den Meister. Schöne neue Welt!

Es gab auch weniger entzückende Anblicke


Doch zurück ins wirkliche Leben. Die Insel war vor zwei Jahren komplett abgebrannt. Also nicht die Insel an sich, sondern alles, was darauf gewachsen war. Die gesamte Vegetation wurde durch eine unachtsam weggeworfene Zigarettenkippe innerhalb von zwei Tagen vernichtet. Kein Wunder, dass hier seitdem Rauchverbot herrschte, was einem Teil unseres Klientels gar nicht schmeckte. Sie rauchten dann heimlich auf der Toilette, wie man dort riechen konnte. Die Toiletten gehörten zu einem großartigen Restaurant, das nach dem Feuer ebenfalls innerhalb der letzten zwei Jahre wieder aufgebaut wurde. Wir hatten die Aufgabe, uns Fauna und Flora der Insel anzuschauen und die Vielzahl diverser Vögel zu bestaunen. Dazu wurden wir in einen martialischen Supertraktor gesetzt und etwa einen Kilometer Richtung Berggipfel gefahren. Von dort aus ging es einen 2,6 Kilometer langen Hindernisparkour wieder bergab, aber eben zu Fuß. Das war schon recht anspruchsvoll; selbst die hotten Sweeties mussten das Handy in der (breiten) Gesäßtasche lassen. Unten angekommen, wurde ein wundervolles Buffet aufgefahren, dass uns alle vorherigen Strapazen vergessen ließ. Und kaum, dass wir aufgegessen hatten, wurden wir schon wieder zurück ins Boot gedrängt, weil die nächste Reisegruppe vor den Töpfen stand. Wieder an Land, durften wir noch eine gute Stunde im Hafen herumlaufen. Der heutige Ausflug stand bekanntlich nicht im Programm, sondern musste mit rund 45 Euro selbst bezahlt werden. Die andere Hälfte unserer Gruppe, die im Hotel SINOLA geblieben war, hatte einen extrem langweiligen Tag hinter sich. Sie waren alle heilfroh, dass wir gegen 18.00 Uhr zurückkamen und von unserer wilden Bergtour berichten konnten. Da das Restaurant im Hotel nicht für eine solche Menge von Gästen eingerichtet zu sein schien, brachte uns der Bus um 19.00 Uhr wieder zurück in die Stadt in ein weiteres 5-Sterne Hotel nebst angeschlossenem Restaurant, wo es das gleiche Essen wie immer gab und Wein nur flaschenweise bestellt werden konnte. Auch die Gruppe „Gelb“ fand sich ein – ein Austausch zwischen den beiden Reisegruppen unterblieb allerdings weiterhin.
Abends dann noch zwei Stunden in der Bar des SINOLA verbracht, diesmal nicht alleine am Tresen sitzend und Texte schreibend, sondern inmitten einiger Gäste. Die 346 Schritte bis zu meinem Apartment dauerten wohl etwas länger als üblich…

Unser Bus war kaputt. Die Klimaanlage hatte ihren Geist aufgegeben. Als Notlösung füllte ein Mechaniker ein paar Liter Kühlflüssigkeit nach, die für die 650 Reisekilometer des heutigen Tages reichen sollten. Mandla sprach zwar von „GAS“, das nachgefüllt werden müsse – ich bin aber sicher, dass es sich um Kühlflüssigkeit handeln musste. Der Bus der Marke VOLVO („Oh, ein Volvo – gutes Auto!“ (Insiderwitz)) hatte ohnehin seine guten Jahre schon lange hinter sich, obwohl er sehr gepflegt war. Aber es gab z.B. keine USB-Buchsen zum Nachladen von Handys, keinen funktionierenden Kühlschrank für das Wasser, das man an Bord kaufen konnte, sehr enge Sitzreihen und eine blechern klingende Mikrofonanlage mit Wackelkontakt. Auch der Ein- und Ausstieg in der Mitte war extrem schwierig und nur unter Mithilfe sämtlicher Muskeln zu bewältigen.
Die lange Strecke wurde nur durch Toilettenpausen und ein selbst zu zahlendes Mittagessen in Form von Sandwiches oder Powerriegeln unterbrochen. Nein – ich vergaß: Wir besuchten den südlichsten Punkt Südafrikas, das Kap Agulhas! Ein wirklich beeindruckendes Erlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte.

Am südlichsten Punkt Afrikas


Am frühen Abend checkten wir wieder im Holiday Inn in Kapstadt ein. Ich hatte das gleiche Zimmer, nur 5 Stockwerke tiefer. Eigentlich war ich mit meinem Sohn verabredet, der zufällig auch gerade mit seiner Freundin hier in Kapstadt weilte. Die beiden waren ebenfalls auf der Garden Route unterwegs gewesen, allerdings eine gute Stunde hinter uns. Über AirBNB mussten sie noch ihr neues Domizil für die nächsten Tage beziehen, bevor wir uns treffen konnten. Ich ahnte, dass sich das noch eine Weile rauszögern könnte und begab mich mal wieder ans Buffet, um erneut den immer wiederkehrenden Speiseplan abzuarbeiten. Julian – mein Sohn – und Mahela – seine Freundin, waren mit ihrem Zimmer voll auf die Nase geflogen. Ein Drecksnest erster Güte. Egal, wir waren verabredet, die beiden kamen dann um halb zehn ins Hotel. Wir sind nur ein paar Meter weiter gegangen und fanden uns in einem wunderbaren Restaurant wieder, wo es allerbestes Essen zu moderaten Preisen gab. Langusten, frischen Fisch, Gambas mit Nudeln aller Art. Köstlich. Und ich war schon satt. Also musste ich den Kids zusehen, wie sie die feinsten kulinarischen Spitzenprodukte in sich rein schaufelten. Die beiden waren schon etwas länger hier, hatten aber im Gegensatz zu uns eher die nähere Umgebung ausgekundschaftet anstelle Megatouren ins ferne Knysna zu unternehmen. Das sei den Planern bei TrendTours gerne hinter die Ohren geschrieben: Eine Reise mit möglichst vielen Buskilometern ist nicht jedermanns Sache. Ganz sicher hätten wir auch in der Nähe eine Straußenfarm gefunden. Wir verabredeten uns dann noch für den nächsten Tag und beendeten unser Wiedersehen in Südafrika etwa gegen Mitternacht.

Mahela


Am nächsten Tag machte unsere Reisetruppe einen Ganztagesausflug zum Kap der guten Hoffnung. Genau das hatte ich auch vor, allerdings nicht mit dem Bus, sondern mit Julian & Mahela. Die beiden hatten mir schon angekündigt, dass sie sich für den Urlaub einen super-duper-Schlitten gemietet hätten. Ich wartete also geduldig, bis die jungen Leute ihr Drecks-Apartment wieder rück-abgewickelt hatten und so gegen dreiviertel zehn am Hotel ankamen. Direkt vorfahren wollte Julian mit den Wagen nicht, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Und das aus gutem Grund. Bei dem Superschlitten handelte es sich nämlich um einen Renault „KWID“, von dem man in Deutschland aus gutem Grund noch nie was gehört hat. Das Auto, das vor allem in Indien sehr beliebt ist, ist nämlich ein Kleinwagen, der gerade mal 3500.- Euro kostet. Man kann es kaum glauben, aber für das Geld schrauben die Franzosen tatsächlich einen fahrbaren Untersatz zusammen. Mit 50-PS-Motor, vier Türen, Radio, Navigationssystem und elektrischen Fensterhebern vorn. Dass man sich beim Einsteigen hinten unvermeidbar den Schädel anstößt, liegt an den doch recht kleinen Maßen dieser Geh-Hilfe. Aber Hallo! Das alles für 3500.- Euro! Dafür bekommt man bei BMW noch nicht einmal eine einzige Felge mit Reifen. Mahela ist die ganze Strecke gefahren, da Julian noch immer mit seiner Erkältung zu kämpfen hatte. Außerdem kennt sie sich infolge ihrer vielen Australien-Aufenthalte sehr gut mit Linksverkehr aus. (Denn wie sollte es anders sein, wenn Engländer mal irgendwo das Sagen hatten: LINKSVERKEHR!)

Robben ohne Ende


Wir fuhren die gleiche Strecke ab, die auch unser Reisebus Stunden zuvor zurückgelegt hatte. Die Küste entlang in die noblen Badeorte Clifton und Camps Bay Richtung Kap der guten Hoffnung. In Clifton gab es erst mal Frühstück für die beiden. In dem Café, das sie ausgesucht hatten, war sogar schon mal Leonardo DiCaprio Gast, und am Nachbartisch fand gerade ein ausgesucht aufwändiges Shooting statt. Die Temperaturen stiegen langsam – 24 Grad um elf Uhr versprach noch mehr Sonne für den Rest des Tages. Weiter ging es nach Hout Bay. Dort bestiegen wir zusammen mit etwa 30 weiteren Touristen ein Boot, das uns nach Seal Island brachte. Wie der Name schon sagt, waren da die Robben zu Hause. Tausende der putzigen Tiere sonnten sich auf den Felsen vor der Insel oder kühlten sich im wellenreichen Wasser ab. Sonderlich spektakulär war der Kurzausflug nicht, weil wir auf die Nutzung der bordeigenen Bar verzichtet haben, aber sowas sieht man ja auch nicht alle Tage.

Nun wollten wir direkt ans „Kap der guten Hoffnung“, das auf Englisch tatsächlich auch „Cap of good hope“ heißt, wurden aber durch eine Straßensperre ausgebremst, die wohl leider jeden Mittwoch zwischen 10.00 Uhr und 16.00 Uhr aus Umweltgründen durchgeführt wurde. Deshalb war unser Bus auch so früh losgefahren…
Also mussten wir außen rum fahren. Durch die Stadt Simon´s Town, die meine beiden Tour Guides auch schon kannten. Gezielt landeten wir in einem wunderbaren Restaurant mit frischem Fisch, Garnelen und dem ganzen teuren Kram, der hier nur Peanuts kostet. (Wobei ich nicht weiß, was hier Peanuts kosten, aber Ihr wisst, was ich meine…) Nur der Wein schmeckte nicht so dolle. Die erste Lieferung mussten wir sogar zurückgehen lassen. OK, man kann ja nicht alles haben. Was wir dann aber doch noch hatten, waren Pinguine. Nicht als Essen, sonders als leibhaftig rumturnende Wesen auf einem kleinen Felsen am Strand von Simons Town. Wie die da hingekommen sind, ist mir ein Rätsel. Sie waren auch relativ klein – ca. 40 bis 50 cm hoch. Aber sie waren putzig und natürlich die Attraktion der Stadt.

Echte Pinguine – in Afrika!

Eine weitere Attraktion, wenn auch kommerziellerer Natur, war eine Gesangsgruppe in viel zu knappen Kostümen, die schöne afrikanische Volkslieder sang. Die Mädchen waren zwischen 12 und 14 Jahre alt und hatten während des Tanzens Probleme, mit ihren Mini-Oberteilen die knospenden Brüste zu bedecken. Am helllichten Tag. Sicher hat sich da niemand was bei gedacht…


Nun aber sollte es endlich zum Kap der guten Hoffnung gehen. Direkt am Eingang wurden wir gestoppt. Der Eintrittspreis betrug 19,20 Euro (umgerechnet) pro Person. Wir haben nicht lange überlegt. Das war eine reine Abzocke. Stattdessen haben wir uns auf YOUTUBE entsprechende Videos angeschaut. Außer den üblichen Tinnef-Ständen sieht man nur das berühmte Schild, dass man hier am Kap der guten Hoffnung, des südwestlichsten Punkt Afrikas sei. Da ich schon am südlichsten Punkt war, war das nicht unbedingt eine Steigerung. Aber die Worte „Good Hope“ – gute Hoffnung – spielten und spielen immer noch eine große Rolle in diesem wunderschönen Land.
Wir machten uns also wieder auf die Heimreise und ließen dabei einen Botanischen Garten in Kirstenbosch aus, den meine Bus-Reisenden besucht hatten. Soll toll gewesen sein.
Wieder im Hotel, vermutete ich unsere Bande im Restaurant des Holiday Inn. Fehlanzeige. Keiner war da. Über die Rezeption bekam ich eine Telefonverbindung mit Mandla, der mich daran erinnerte, dass wir ab 18:30 in einem Restaurant an der Waterfront dinieren würden. Hatte ich natürlich vergessen. Hinterher zu fahren, wäre zu spät gewesen, da die Gruppe gerade mitten im Essen war. Also bin ich wieder die paar Meter in das Restaurant um die Ecke gegangen, in dem ich schon gestern mit Mahela und Julian war. Ich bestellte Nudeln mit Lachs und bekam eine Portion, die für Großfamilien tagelang ausgereicht hätte. Als ich den optisch fast vollen Teller zurückgehen ließ, kamen sofort der Koch und der Manager, um zu fragen, ob alles in Ordnung wäre. Ich zeigte auf meinen nicht gerade schlanken Bauch und entschuldigte mit meinem Unwissen über die Größe der Portionen in diesem Etablissement. Als die Kellnerin dann den großen Rest auch noch als Doggy-Bag vorbeibrachte, bat ich sie freundlich, es wegzuwerfen, da ich in meinem Hotel keine Speisen erwärmen könnte. Sie hatte eine bessere Idee und gab die Portion an einen der draußen herumlungernden Bettler dieser ganz und gar nicht reichen Stadt.

Und damit zu einem unschönen Thema: Armut, Gewalt, Drogen, Aids. Und obendrauf noch Bestechlichkeit bis zum Abwinken.

Es git leider immer noch viel zu viele Menschen in diesem Land, die vom Wohlstand noch ausgeschlossen sind. Sei es durch fehlende Bildung, Arbeitslosigkeit (was Armut bedeutet), Alkohol und vor allem Drogen. Es hat wohl mal einen ganzen Stadtteil gegeben, den kolumbianische Drogenbosse „geleitet“ haben. Leider gibt es immer noch viele Nachkommen. Am helllichten Tag sieht man in der Innenstadt Halbleichen, entweder im Drogenrausch oder volltrunken dahin vegetierend. Natürlich alles Schwarze. Und selbst, obwohl die Regierung jährlich bis zu 80.000 kleine Häuser für die bis dahin in den Slums wohnenden Mitbewohner baut, sinkt die Zahl der Verlorenen kaum. Die Kriminalität ist extrem hoch. Fast kein Geschäft kann es sich erlauben, auf einen Wachposten vor dem Laden zu verzichten. Tagsüber kommt uns Touristen das lächerlich vor, aber in der Nacht herrschen andere Gesetze. Die Zahl der durch Gewalttaten getöteten Menschen liegt weit über dem weltweiten Durchschnitt. Jedes, aber wirklich jedes Haus ist durch hohe Zäune und Stacheldraht gesichert.
Es ist ein riesiger Konflikt. Auf der einen Seite haben wir ein extrem modernes Land mit gut verdienenden Arbeitnehmern in tollen Jobs. Auf der anderen Seite gibt es leider noch sehr viel Menschen, die an dem ganzen Wunder nicht teilhaben können. Der Fehler der Apartheid-Regierung, den Schwarzen die Bildung zu verweigern, ist ja mit der Auflösung dieser Gesetze 1994 nicht behoben worden. Es wird noch viele Generationen brauchen, bis auch nur annähernd eine wirkliche Gleichheit ALLER erreicht ist. Bisher gibt es nur die Gleichheit von Schwarzen und Weißen, die in etwa dasselbe Bildungsniveau haben. Und solange die Schwarzen immer wieder als billige Servicekräfte genutzt werden, damit sie sich gar nicht um eine berufliche Zukunft kümmern können, wird sich das kaum ändern.

Und wenn Menschen kein Geld haben, schlagen sie, morden sie, klauen sie, betrügen sie und setzen sich und ihre Frauen für Sex ein.

Wozu das führt, ist ja allgemein bekannt. Afrika – und eben auch Südafrika – hat die höchste Aidsrate weltweit. Man spricht von 28 – 32% der gesamten Bevölkerung. Zuverlässige Zahlen gibt es nicht, weil sich Kranke nicht melden und versuchen, ihre Krankheit zu verheimlichen. Jahrelang hieß es, dass dicke Frauen (also die Standardfrauen in Südafrika) kein Aids bekommen könnten, weil sie durch Ihre statische Stabilität dafür nicht anfällig seien. Dürre Frauen hingegen wären höchstansteckend. Das führte logischerweise dazu, dass die meisten der opulenten Damen angesteckt wurden und die Dürren etwas besser davongekommen sind. Mittlerweile muss man mit Aids nicht sofort sterben. Aber die Kosten für die Medikamente sind extrem hoch und die Lebenserwartung ist entsprechend geringer. Männer: 60,3 Jahre, Frauen: 67,6 Jahre.

Erstaunlicherweise ist Südafrika auch beim Thema „Homo-Ehe“ weit vorne. Es war das erste Land, das sie erlaubt hat und ist eins von nur 5 Ländern auf dem Kontinent, wo Beziehungen unter Männern nicht strafbar sind. Kapstadt ist daher auch eine Hochburg für homosexuelle Schwarze, wie wir auch ständig sehen konnten, ohne dass es irgendjemandem unangenehm aufgefallen wäre. (Selbst in unserer ultrabiederen Reisegruppe scheint es zu diesem Thema – endlich – keine Vorbehalte mehr zu geben).

So, zurück zum Reiseverlauf. Nachdem ich in dem Restaurant um die Ecke den Doggy-Bag an Obdachlose verschenken ließ, waren es ja nur ein paar Meter bis ins Holiday Inn. Zu meiner Überraschung saßen da in der kleinen Bar am Eingang des Hotels noch 5 Leutchen aus der Gruppe und sprachen alkoholischen Getränken zu. Ich gesellte mich zu ihnen und half ihnen beim Vernichten der Alkoholvorräte des Lokals.

Auf zum Gipfel!

Kapstadt hat bekanntlich eins der sieben modernen Weltwunder zu bieten: den Tafelberg. Und den galt es zu besteigen. Nein, nicht zu Fuß. Mit der Seilbahn. Um halb acht am nächsten Morgen wurden wir von unserem Ersatzbus abgeholt und zur Talstation gebracht. Es gibt nur zwei Waggons, die allerdings jeweils 60 Personen fassten. Und damit jeder auch wirklich alles sehen konnte, drehte sich der Boden der Gondel im Kreis. Kapiert? Nee? Also nochmal: Die Kabine hängt fest an den Seilen, aber innen drin dreht sich der Boden auf einer Art Drehbühne. Dadurch kann jeder mal in alle Richtungen gucken. Sehr gute Idee, mit der vermieden wird, dass sich die Reisenden um die Fensterplätze prügeln. Nach etwa drei Minuten waren wir schon oben – 1000 Meter hoch. Die Aussicht war einfach traumhaft.

Einfach schön.

Egal, von wo aus man ins Tal schaute – immer waren wir beeindruckt von der Schönheit der Landschaft. Auf dem Tafelberg selbst gab es ein Café mit deutlich höheren Preisen als am Boden des Berges. Mehrere markierte Wanderwege führten über das Plateau. Ich wanderte hin und her, führte dabei auch noch ein Video-Telefongespräch mit einer guten Freundin über WhatsApp, was erstaunlich gut funktionierte. So konnte Eva in Deutschland den Ausblick über Kapstadt live miterleben – ein Hoch der Computertechnik!
Nach einer guten Stunde fuhren wir mit der Seilbahn wieder genauso schnell nach unten, wie wir hochgefahren waren (was ja wohl auch logisch ist …).

Mit der Seilbahn auch wieder runter

Ein Teil der Reisenden wurde   im Hotel abgesetzt, der harte Kern – natürlich mit mir – durfte sich auf die fakultative Weinprobe freuen. (Fakultativ = muss man extra bezahlen, genau wie den Ausflug auf den Tafelberg). Dazu fuhren wir in das wunderschöne Städtchen Stellenbosch, das wie so viele Städte sehr holländisch anmutete. Die Außentemperatur war mittlerweile auf 34 Grad geklettert. Bis zur Weinprobe hatten wir noch eine Stunde Zeit, daher sollten wir versuchen, in irgendwelchen Lokalen oder im Supermarkt etwas zu essen zu bekommen. Ich landete in einem sehr angesagten, klimatisierten Lokal mit gutem Essen und feinen Getränken, in diesem Fall Sprudelwasser MIT Kohlensäure. Das findet man in den Regalen der Supermärkte nur mit der Lupe. Nach ein paar Minuten gesellte sich Mandla zu mir, der hier auch was essen wollte. Er hatte Unterlagen seiner Firma „Thompson“ dabei, in der alles stand, was man als Reiseleiter wissen muss. Und bei der Gelegenheit erfuhr ich auch, dass TrendTours gar nicht der wirkliche Veranstalter war, sondern eben „Thompson“, einer der größten südafrikanischen Reiseveranstalter. TrendTours hatte die Tour hier einfach eingekauft. Und auf die Beschwerden der deutschen Kundschaft, die vielen Buskilometer betreffend, hatte man auch schon reagiert: 2020 wird es diesen langen Ausflug bis Krysna nicht mehr geben, stattdessen viel mehr Ausflüge in die Nähe von Kapstadt. Als das Essen kam, legte Mandla seine Unterlagen neben mich auf die Bank und vergaß sie dort auch, als er mit dem Essen fertig war. Er hatte sein Geld im Bus vergessen und wollte mit Kreditkarte bezahlen. Ich nutzte die Gelegenheit, mich mal erkenntlich zu zeigen für seine wirklich großartige Reiseleitung und lud ihn zum Essen ein, was er erstaunt, aber dankbar annahm. Dann musste er schon wieder weiter, ans Telefon. Seine Mappe lag noch neben mir. Aber er konnte natürlich auf mich zählen. Ich schaute mal kurz rein und sah, dass er da eine Menge Statistiken auszufüllen hatte. Keine schöne Arbeit. Als ich ihm den Ordner zurückgab, war er sichtlich geschockt, dass er sie einfach liegen gelassen hatte.

Teure Weine für schnelle Trinker

Wir besuchten das Weingut „Blaauklippen“. Ein wunderschöner Landsitz mit wahnsinnig vielen Hektar Land. Zunächst erzählte eine Mitarbeiterin uns eine ellenlange Geschichte über die bisherigen Besitzer der Immobilie. Der aktuelle Besitzer war erst seit zwei Jahren am Drücker. Aufgrund des heißen Klimas in der Region wurden hier nur rote Trauben angebaut – für Rotwein eben. Da aber der Kunde auch vermehrt nach Weißwein ruft, wurden zusätzlich weiße Trauben aus anderen Regionen angekauft und hier verarbeitet. Zum Glück verließen wir nach dieser Einführung den überhitzten Garten und stiegen in den kühlen Keller der Weinmanufaktur. Na ja, hier wurde uns das Übliche erklärt. Riesige Stahlbehälter waren mit dem edlen Nass gefüllt und sorgten dafür, dass der Wein in Ruhe und Kühle reifen konnte. Uns interessierte natürlich dann doch eher das Endprodukt denn der Reifeprozess als solcher. Und so wurden wir schließlich in einen großen Raum geführt, in dem Tische und Stühle U-förmig aufgestellt waren. An jedem Platz ein Weiß- und ein Rotweinglas sowie ein Wasserglas nebst Wasserflaschen. Auch der eine oder andere Spucknapf war vorhanden, sollte man den Wein nicht mögen oder einem frühen Betrinken aus dem Weg gehen wollen. Und natürlich lag an jedem Platz ein Bestellformular für das zu testende Produkt. Der billigste Wein sollte 10.95 Euro pro Flasche (0,7 ltr.) kosten, und das Ende der Preisliste zeigte 45,95 Euro für den Dessertwein an. Zuzüglich Versandkosten, versteht sich. Immerhin waren Verpackung und Zoll bereits eingerechnet, und ab ca. 300.- Euro entfielen sogar die Versandkosten. Apropos Kosten: Das Ver-Kosten begann mit dem billigsten Wein, der mir sogar am besten schmeckte. Bedienstete schenkten uns nur einen kleinen Schluck pro Sorte ein, damit wir nicht vorzeitig im Vollrausch endeten. Mandla war auch hier bei den (weiblichen) Angestellten sehr beliebt: Er erhielt immer den größten Schluck in sein Glas, das er auch tapfer austrank. Die Promoterin des Hauses, sehr schön und sehr schwanger, versorgte uns bei jedem Wein mit den dazugehörigen Informationen. Woher, wie alt, wie lange lagerbar, nach welchen Ingredienzen schmeckend und vor allem, wie das edle Produkt sich nannte, damit man auf dem Bestellformular die richtige Menge eintragen konnte. Ich weiß nicht, ob die Weinprobe einfach nur zu schnell ging, aber ich konnte mich mit keinem der Weine wirklich anfreunden. Der erste schmeckte noch am besten, aber auch nicht anders als das Zeugs, das ich mir immer bei Aldi kaufe. Rotwein ist sowieso nicht mein Ding, und mit Dessertwein – auch noch in Rot – kann man mich jagen. Leichte Kopfschmerzen deuteten das baldige Ende der Nipperei an. Ich weiß nicht, ob jemand aus unserer Gruppe irgendeine Bestellung abgegeben hat, aber deswegen war uns keiner böse. Immerhin war ja inzwischen auch die Gelbe Gruppe angekommen – vielleicht waren die ja im Kaufrausch nach dem Weinrausch.
Wir fuhren zurück ins Hotel und hatten Freizeit, die ich zunächst mit einem Ausnüchterungsschläfchen ausfüllte. Ich musste ja zu unserem Abschieds-Abendessen wieder fit sein!

Selbiges fand im Restaurant „Rockwell Dinner Theatre“ statt. Das ist ein Theater mit Buffet. Gibt’s bei uns auch immer öfter in großen Hotels als „Dinner-Theater“. Dieses hier war etwas besonderes: Im Rahmen der Apartheidpolitik wurde damals das gesamte Stadtviertel dem Boden gleich gemacht. Alle Schwarzen hatten ja aufs Land zu verschwinden. Die Neubauten gehörten dann nur den Weißen. Es war den rechtmäßigen Besitzern des Landes sogar verboten, weiter als Schauspieler oder Sänger zu arbeiten.
Dieses Thema hatte man für die abendliche Aufführung in Form einer Musikrevue verarbeitet. Bevor es losging, brachte uns das Personal die Vorspeise. Danach wurde es laut.

Sehenswerte Revue!

Eine drei-Mann-Band mit elektronischem, zugespieltem Schlagzeug und acht sehr musikalische Darsteller/Sänger erzählten die Geschichte dieses Viertels mit kleinen Sketchen und gekonnten musikalischen Einlagen. Der Saal fasste etwa 200 Personen, die nach dem ersten Teil tischweise zum Buffet gebeten wurden. Erstaunlich schnell hatten alle ihre Teller voll, sodass die Show weitergehen konnte. Das Dessert wurde uns wieder von der Crew persönlich überreicht. Auch die Lieferung der Getränke und die abschließende Bezahlung selbiger klappte erstaunlich schnell. Pünktlich um 22.00 Uhr stiegen wir wieder in unseren (inzwischen reparierten) Bus. Bin dann gleich ins Bett.

Non Stop Hits aus Afrika

Um halb neun wurden die Koffer abgeholt. Und wir natürlich auch. Unser letzter Morgen führte uns zu Fuß durch die Innenstadt von Kapstadt. Wir starteten in Boo Cap mit den bekannten bunten Häuschen samt zugehörigem Museum, besichtigten das „Alte Rathaus“, ein architektonischer Mix aus italienischer Renaissance und britischen Kolonialstil und liefen ein wenig durch den „Company´s Garden“, der grünen Lunge Kapstadts.

Boo Cap – schön bunt

Das letzte Ziel war eine Festung aus dem 17. Jahrhundert, wo gerade eine tierisch laute Militärkapelle den Soundtrack für eine Videoproduktion lieferte. Ich glaube, es ging um einen TV-Werbespot. Das Lied war nur vier Takte lang, die leider sooft wiederholt wurden, bis der Regisseur mit seinen Aufnahmen zufrieden war. Also mehr als zwanzig Minuten lang.

Sehr laut. Sehr, sehr laut.

Tja, und dann ging es wieder ins kalte Good old Germany. Erst nach Johannesburg, dann nach Frankfurt. In Johannesburg hätte ich um ein Haar den Flieger verpasst, weil ich es mir bei einem Italiener gemütlich gemacht hatte und ein bisschen an diesem Blog rumkritzelte. Plötzlich war es 18:40 Uhr, die Zeit, zu der ich hätte einchecken müssen. Geld hatte ich keins mehr und die Kreditkartengeräte waren fast alle kaputt, bzw. die Batterien alle. Bis ich da wegkam, waren weitere zehn Minuten vergangen. Mein Gate befand sich genau am anderen Ende des Flughafens. Und ich war noch nicht einmal durch die Sicherheitskontrollen, geschweige denn durch die Passkontrolle gekommen. Die Schlangen waren lang und länger. Ich zeigte meinen Boarding Pass, murmelte was von „I´m very late. Please let me go through, otherwise I miss my plane!“ oder so ähnlich. Erstaunlicherweise ließen mich alle durch. Der Sicherheitscheck war ohnehin recht oberflächlich und die Passkontrolle passierte ich schon fast rennend. Ich kam 5 Minuten nach der geplanten Startzeit am Gate an – und sah, wie gerade der letzte Passagier durch die Schranke ging. Noch mal gut gegangen.

Kommen wir zum Fazit: Zunächst einmal das Negative. Ich habe zwei Kilo zugenommen und mir im Flugzeug eine veritable Männergrippe eingefangen.
Aber sonst war die Reise einfach wunderbar – zumindest, solange wir nicht in einem Bus sitzen mussten. Die Mitreisenden waren gut auszuhalten, die Reiseleitung trotz kleiner sprachlichen Schwächen außerordentlich gut, die Organisation einfach nur perfekt – und Land und Leute ohne jede Einschränkung einen Besuch wert.

Und ich kann nur hoffen, dass Südafrika seine Hoffnung nicht aufgibt, Weiße und Schwarze wirklich gleichberechtigt leben zu lassen. Es sind übrigens „nur“ 8,9% Weiße von knapp 58 Millionen Einwohnern dieses wunderschönen Landes, die aber noch eindeutig die Zügel in der Hand haben. Ich hoffe, dass man die Bestechlichkeit in den Griff bekommt, die Slums langsam aber sicher in Wohnungen umgewandelt werden und sich die rund 20 verschiedenen kirchlichen Strömungen weiterhin nicht in die Quere kommen. Und natürlich wäre es für das Land ein Segen, wenn das Thema Aids nicht mehr so einen großen Stellenwert hätte wie es jetzt noch der Fall ist.

Von Moskau bis Sankt Petersburg

Vorneweg das Video zum Blog: https://1drv.ms/v/s!Atl63EVwUq_mhsoFaF6lCe3CzmbhMw?e=XO1RCY

Der erste Tag
Der erste Tag begann in der Früh´ um 4:30 Uhr und war – soviel sei schon jetzt verraten – für die Katz. Er diente lediglich der Anreise und der Einquartierung ins Hotel „SALUT“ in Moskau. Mit anderen Worten: Der Rest des Tages war frei. Ich hätte was draus machen sollen. Hab´ ich aber nicht, und die Gründe sprechen auch nicht gegen mich.

Immerhin hatte die Tour sehr vielversprechend begonnen. Mein Taxi stand pünktlich um halb sechs vor der Tür, und ich war sogar mehr als zwei Stunden vor dem Start am Flughafen. Genauer gesagt war ich mit der ganzen Registrierung inklusive Körperscan bereits nach 20 Minuten durch und setzte mich am Gate A44 auf einen der langweiligen Wartestühle. Der Bereich füllte sich schnell, und ich schloss mit mir interne Wetten ab, wer alles zu meiner Reisegruppe gehören würde.

Ich hatte schon wieder bei „Trendtours“ gebucht, weil das Prospekt für diese Russland-Rundreise gar zu verlockend gestaltet worden war. Zwei Tage Moskau, dann die Wolga entlang bis nach St. Petersburg, das abschließend auch noch mal zwei Tage besichtigt werden sollte. Mein Preis als Einzelreisender für die insgesamt 11 Tage sollte 1768.- Euro betragen – darunter auch einige Extras und Zusatzunternehmungen.
Die zur Gruppe gehörenden Trend-Tourer erkannte man sofort an den grauen Haaren der Herren, den praktischen Kurzhaarfrisuren der mitreisenden Damen sowie an den Dialekten. Es ist immer wieder erstaunlich, dass so wenige ältere Herrschaften Hochdeutsch sprechen.

Eine bildhübsche Südamerikanerin fiel mir auf. Nicht, weil sie zu unserer Gruppe gehören könnte – weit gefehlt! -, aber sie versuchte vergeblich, ihr Handy an einer der vielen Steckdosen unter den Sesseln aufzuladen. Leider waren die wohl alle stromlos. Ich bot ihr dann meinen Power-Akku an, der mir ja schon seit geraumer Zeit gute Dienste tut. Das Mädel mit dem bauchfreien Top war zwar erstmal völlig perplex, dass ihr ein älterer, gut aussehender Mann (also ich) einfach so helfen wollte, nahm aber das Angebot dankbar an und lud ihr Samsung-Teil mit der zersplitterten Oberfläche bis zum Abflug auf. Dann gab sie mir die Powerbank brav zurück, verwickelte mich noch in ein kleines (spanisches) Gespräch, reichte mir ihr kleines Patschhändchen und eilte davon. Elvira, so hieß sie, flog ganz woanders hin, wie sich herausstellte. So eine gute Tat hebt doch die Stimmung.

Eine schöne Kirche in Moskau.

Das Einsteigen verzögerte sich. Eine Familie Erhard – ja, die hieß genauso wie ich, nur anders geschrieben – war nicht aufgetaucht. Ihr Gepäck war allerdings schon im Flieger. Also mussten die Koffer der beiden „No-Shows“ wieder aus dem Gepäckraum der Maschine gepult werden. Erst dann durften wir einsteigen. Und blöderweise hat mich der Bordkarten-Automat der Lufthansa auf einen Mittelplatz im A320-Flieger gesetzt. Platz 16B. Auf 16C saß bereits eine alte englische Lady, die zu einer Reisegruppe alter englischer Ladies gehörte, die alle Gangsitze ringsum weggebucht hatten.
Dann aber kam meine Belohnung für die gute Tat am Morgen. Auf Platz 16A setzte sich eine junge Russin, vielleicht 25 Jahre alt, recht hübsch, mit sehr guten Englischkenntnissen und dem festen Wunsch, mit mir zu plaudern. Sie hatte gerade eine Freundin in Frankfurt besucht und schwärmte von Deutschland, speziell der Rhein-Main-Gegend. Mehr kannte sie ja auch nicht. Sie fand es sehr lustig, dass ich keine Ahnung hatte, wo ich die Nacht verbringen würde. Aber so ist das halt mit den Gruppenreisen. Dein Ziel erfährst Du erst am Ziel. Und wer Dich begleitet, leider auch. Meine schöne Russin verschwand jedenfalls kurz nach der Passkontrolle am Flughafen in Moskau, weil sie auch nicht auf einen Koffer warten musste. Die jungen Dinger haben ja alles, was man für eine Woche braucht, in ihrem Rucksack.
Mit meinem Koffer könnte man auch eine Weltreise machen. Er hat die Strapazen in Indien tatsächlich überlebt (siehe Indien-Blog) und harrte seinem zweiten Einsatz.
So langsam sammelte sich die „Trendtours“-Truppe dann im Vorraum des größten russischen Flughafens, der wohl gerade erst fertig geworden ist. Es soll keine Verzögerungen beim Bau gegeben haben. (Hallo BER, es geht!!!) Während sich die Truppe sammelte, habe ich die SIM-Karte im Handy gewechselt. 8 GB für umgerechnet 10.- Euro pro Monat. Natürlich LTE immer und überall. Und später im Hotel überall kostenloses WLAN. Nein, ich schimpfe jetzt nicht auf Deutschland. Es gibt bestimmt irgendeinen guten Grund, warum wir noch hinter dem Mond leben. Ich kenne ihn nur noch nicht.

Noch eine schöne Kirche.

Die Gruppe. Ich hatte mit maximal dreißig Teilnehmern gerechnet, aber es wurden immer mehr. 52 waren es am Ende! ZWEIUNDFÜNZIG! Wie man mit dieser Menschenmenge anständige Führungen veranstalten will, war mir schon da ein Rätsel. Und dabei sollte es nicht bleiben. Wir 52 waren nur die Vorhut. Trendtours hat das schöne Land noch mit weitaus mehr Touristen überfallen, äh, beglückt. Im Laufe des Tages sollten weitere Maschinen aus allen möglichen Städten in Moskau landen, um die russlandfreundlichen Deutschen zu bündeln. Insgesamt sollten es ca. 300 Touristen werden, die dann auf insgesamt 7 Busse aufgeteilt werden sollten.
Als ich das hörte, hatte ich so ein mulmiges Gefühl im Bauch. 300 deutsche Touristen gleichzeitig im Kreml, auf dem roten Platz und auf dem Schiff? Das hatte ich mir anders vorgestellt. Unsere Reiseleiterin hatte zwar einen guten deutschen Akzent, aber ansonsten kaum Ahnung von Grammatik oder Vokabeln. Im Bus erzählte sie viele widersprüchliche Dinge, so als wäre ihr selbst nicht ganz klar, worauf sie sich mit uns eingelassen hatte.

Der Bus kam um ca. 14:30 nach einem endlosen Stau am Hotel „Salut“ an. Die Pässe wurden eingesammelt. Das Verteilen der Tür-Magnetkarten ging relativ schnell. Nach einer kurzen Pause von vielleicht 45 Minuten, um sich frisch zu machen, hätten wir uns alle ins Getümmel stürzen können.
Konnten wir aber nicht. Nicht nur, dass kein weiterer Programmpunkt für diesen Tag geplant war. Unsere „Reiseleiterin“ war ja damit beschäftigt, weitere Kohorten aus Deutschland vom Flughafen abzuholen. Nein, wir konnten quasi nicht aus dem Hotel. Der schreckliche Kasten aus den 60er-Jahren war zwar leidlich renoviert, aber ganz sicher kein 4-Sterne-Hotel. Um uns rum nur Schnellstraßen oder Wohnblöcke. Hie und da ein Lebensmittelgeschäft. Die nächste Haltestelle der Metro, der weltberühmten Moskauer U-Bahn, war 1,7 km entfernt. Aber selbst, wenn wir den Shuttle-Bus des Hotels in Anspruch genommen hätten, hat sich doch keiner getraut, dieses Abenteuer ohne Führung zu unternehmen. Wir Schisser! Aber es ist wirklich nicht einfach. Man kommt sich vor wie ein Analphabet, weil die kyrillische Schrift uns immer nur „Bahnhof“ verstehen lässt. Nur wenige Schilder – wie im Flughafen – werden zusätzlich mit lateinischer Schrift versehen.
Also bin ich einfach ein bisschen durchs Hotel gelaufen. Irgendwo fand ich die Wechselstube und tauschte ein paar Euro in Rubel um. Für einen Euro bekommt man hier rund 70 Rubel. Die Preise sind ähnlich hoch wie in Deutschland. Als ich das Hotel dann vollständig begriffen hatte, bin ich eben aus Langeweile rund ums Hotel gelaufen. Und da hat man schon was zu tun! Das Hotel hat 22 Stockwerke mit je 67 Zimmern pro Etage. Hab´ jetzt gerade keine Lust, auszurechnen, wie viele Touristen hier rein passen…
Das Wetter war genau richtig. 22 Grad, ein bisschen Wind und Sonne. Luftqualität durchwachsen, aber für eine 15-Millionen-Stadt durchaus annehmbar. Siri, mein kleines Helferlein aus dem iPhone, hatte mir eine Pizzeria empfohlen, die ich nach sieben Minuten strammen Fußmarsches erreichen hätte sollen. Da, wo Siri den Laden vermutete, stand ein Kinderspielplatz. Aber auf der gegenüberliegenden Straßenseite, 8 Spuren gegenüber, gab es tatsächlich eine Pizzeria. Zwar mit anderem Namen, aber das war ja egal. Ich beobachtete die herumlaufenden Einwohner und fand heraus, dass es eine Unterführung gab. Nach etwa einer halben Stunde hatte ich tatsächlich ganz selbstständig ein Restaurant gefunden! Warum ich am helllichten Tag was essen wollte? Nun, im Hotel gab es erst abends etwas. Das Frühstück im Flieger war schon lange verdaut, und mein Magen knurrte. Was also sollte ich machen? ich öffnete die APP „Google-Übersetzer“ und sprach auf deutsch rein: „Ich hätte gerne eine kleine Pizza mit Schinken und Champignons!“. Und das Ding übersetze im Nu meine Bestellung ins Russische. Die Bedienung staunte nicht schlecht, als mein Handy in reinstem Russisch meinen Wunsch über den Lautsprecher kundtat. Sie antwortete auf englisch. „Dauert 15 Minuten. Kostet 450 Rubel“. So langsam wurde mir klar, dass ich meinen Übersetzer gar nicht brauchte. Hier sprechen alle jüngeren Leute ein sehr gutes Englisch. Die Älteren sprechen sogar deutsch. Wahrscheinlich nicht unbedingt gerne.

Meine erste selbst bestellte Pizza in Russland.

Wieder im Hotel fiel mir auf, dass nicht nur die Deutschen inzwischen immer zahlreicher geworden waren. Auch die Chinesen hatten eine Division geschickt, um das Hotel zu füllen.
Dann wurde es ein bisschen langweilig. Müdigkeit übermannte mich. Ein kleines Nickerchen konnte nicht schaden. Zum Abendessen ab 19.00 Uhr hatte ich noch keinen Hunger. Daher ein Besuch der Hotelbar mit leckerem spanischem Wein. Um zehn zu Bette.

Der zweite Tag
Der Tag begann ungewohnt früh. Ich wachte auf, weil es taghell in meinem Zimmer war. Ein Blick auf die Apple-Watch signalisierte 4.00 Uhr. Meinte die Uhr 16.00 Uhr und ich hätte somit 16 Stunden durchgepennt? Das macht wach. Aber nein, es war wirklich vier Uhr morgens. Ganz einfach, weil um 3:45 Uhr bereits Sonnenaufgang war und meine Vorhänge die gleißende Sonne kaum abhielten. Es dauerte lange, bis ich endlich wieder einschlief. Meinen Wecker hatte ich auf 7:15 Uhr gestellt – viel zu früh, wie sich herausstellte. Nach einem reichhaltigen Frühstück im Kreis von rund 600 Deutschen und Chinesen Abfahrt ins Zentrum von Moskau. „Stadtbesichtigung“ hieß der Programmpunkt, der sich leider so ganz anders darstellte als erhofft. Wir waren davon ausgegangen, dass wir einfach zu irgendwelchen interessanten Stellen fahren, dort aussteigen und uns die Chose von Nahem ansehen. Ich hatte extra nur ein dünnes, kurzärmeliges Hemd angezogen, weil es so schön warm war. Schuld am Desaster war ausnahmsweise nicht Gelina, unsere desinteressierte Reiseleiterin. Nein, schuld war das Wetter. Trotz einer gegenteiligen Vorhersage fing es plötzlich an zu regnen. Das bedeutete, dass keiner mehr den Bus verlassen wollte. (Ich ehrlich gesagt auch nicht.) So sahen wir die City halt nur durch die verregneten Fensterscheiben unseres Busses. Moskau ist schon imposant, wenn auch nicht ganz so imposant wie Peking. Aber Moskau ist sehr sauber. Nirgendwo findet man Schmutz auf der Straße. Der Straßenverkehr ist – wie überall in den Großstädten dieser Welt – grauenhaft, aber die Verkehrsregeln sind klar; jeder hält sich daran. Die Autos kommen aus Korea, Japan und Deutschland (in der Reihenfolge), und die Linienbusse fahren größtenteils elektrisch mit Oberleitung. Rentner dürfen alle Verkehrsmittel übrigens kostenlos benutzen, nur Taxis kosten natürlich Geld. In Russland gibt es seit dem Ende der Sowjetunion außer einer kostenlosen „Ersten Hilfe“ keine Krankenversicherung. Eine 3-Zimmer-Eigentumswohnung kostet etwa 60.000 bis 100.000 Euro – fast alle haben eine. Eigenheime oder Reihenhäuser habe ich nicht gesehen, nur riesige Wohnblocks. Für die Promis gibt es zwar auch ein paar Vorzeige-Villen, aber die sind völlig untypisch für die Stadt. Außer der Grundschule sind weiterbildende Schulen seit der „Wende“, wie die Auflösung der Sowjetunion auch hier genannt wird, kostenpflichtig. Überall schießen Privatschulen und -Universitäten aus dem Boden. Und immer wieder hören wir: „Moskau ist nicht Russland!“ Nun gut, das werden wir ja noch sehen.

Rainer am roten Platz. Im roten Hemd natürlich.

Endlich dürfen wir dann doch raus, weil der Regen sich zu einem Nieselregen verdünnt hat. Am berühmten „Roten Platz“ bekommen wir zwei Stunden Auslauf. OK, unsere Reiseleiterin hat uns kurz etwas über die Hintergründe des Platzes erzählt (Roter Platz heißt übersetzt eigentlich „Guter Platz“), aber ihre Stimme drang trotz ihres umgehängten Mini-Lautsprechers nur selten durch den Straßenlärm. Natürlich haben wir nach Matthias Rust gefragt. Das war der durchgeknallte Typ, der auf dem roten Platz gelandet ist. Und das war sogar eine Fake-Meldung, denn er ist gar nicht auf dem Platz gelandet, sondern auf der Brücke, die auf den Platz führt. Unsere Reiseleiterin war angeblich dabei. Mit einer Schweizer Reisegruppe. Sie wurde deswegen auch verhört. Da Reiseleiter damals in der UDSSR als hochgradig verdächtig galten, gab sie an, sie wäre während der Landung mit ihrer Gruppe im Zirkus gewesen. Was ja auch irgendwie stimmte, denn der Zirkus um diesen Vorfall war enorm. Die gesamte Flugabwehr war wohl an diesem Tag besoffen. Der eine oder andere Kopf dürfte damals gerollt sein…
Sie zeigte uns das vermutlich größte Moskauer Einkaufszentrum, das direkt an den Roten Platz anschließt und gab uns zwei Stunden Freizeit. Da es schon wieder anfing zu regnen, haben wir uns alle in diesem Einkaufszentrum die Füße vertreten. Und da gab es wirklich viel zu sehen! Drei Passagen von etwa 300 Metern Länge – und das auf drei Stockwerken. Mit den Zwischengängen rund drei Kilometer Einkaufsparadies. Und die Moskauer High Society war auch reichlich vertreten. Alle großen Modemarken der Welt sind hier mit sehr aufwändig gestalteten Geschäften vertreten. Ohne Frage eins der imposantesten Einkaufszentren, das ich je gesehen habe, USA eingeschlossen. Da ich nun keine Lust auf eine neue Gucci-Tasche oder eine Boss-Unterhose hatte, habe ich mir schlauerweise einen Schirm gekauft! So eine Art „Knirps“ für 1000 Rubel, also rund 14 Euro. Kostet bei uns höchstens 3,95, beim Chinesen sogar nur die Hälfte. Da unser Programm kein Mittagessen vorsah, habe ich mir in diesem Zentrum auch noch eine kleine Nudelspeise erlaubt. Ich wollte mal testen, ob ApplePay in Russland funktioniert und hielt meine Uhr an das Terminal. Eine Sekunde später war die Rechnung bezahlt. Der Kellner war noch nicht einmal ein ganz klein bisschen erstaunt. Ok, wer aus Deutschland kommt, hat selbst in den Augen der Russen keine IT-Kompetenz.

Immer noch am roten Platz.

Wieder draußen im Regen musste ich nun meinen Zusatzausflug „Der Kreml“ durchstehen. Bei mittlerweile strömendem Regen war das trotz meines nagelneuen Schirms keine große Freude. Es wurde auch zunehmend kälter. Ein Gewitter drückte die Temperatur auf 16 Grad runter. Und ich hatte immer noch mein dünnes, kurzärmeliges Hemdchen an, das allerdings inzwischen patschnass war. Wo immer es möglich war, quetschten wir uns durch heiß umkämpfte Eingänge zu irgendwelchen alten Kirchen, die auf dem Kreml-Gelänge rumstehen. Unsere Freunde aus China hatten auch keine bessere Idee. So waren denn die Gotteshäuser endlich mal wieder voll, auch wenn die Predigt nur von Dutzenden von Reiseleitern in mindestens zehn Sprachen kam.

Die berühmte Kongresshalle mit ihren 6000 Plätzen war leider geschlossen, und die „richtigen“ Regierungsgebäude waren für uns natürlich tabu. Putin hatte auch schon Feierabend. Also kämpften wir uns wieder an den angrenzenden Roten Platz und bestaunten noch die sehr hübsche „Christ-Erlöser“-Kathedrale, zumindest von außen. Dann wurden wir wieder zu Freizeit verdonnert, um die Zeit bis zur Abholung durch unseren Bus zu überbrücken. Also ich wieder rein ins Einkaufszentrum. Es zog sich. Um 16.00 Uhr sollte der Bus uns abholen. Er kam aber erst um halb fünf.
Im Hotel mal kurz geduscht, umgezogen und stadtfein gemacht. Nach dem Abendessen stand uns nämlich noch ein weiteres Highlight bevor: MOSKAU BEI NACHT!

Wer aber glaubt, wir wären jetzt erstmal in irgendeinen Club gefahren, um mit Wodka vorzuglühen, irrt gewaltig. 

Wir sind U-Bahn gefahren.

Hier geht´s in die Gewölbe der Metro.

Genauer gesagt, die berühmte METRO. Eine der tatsächlich schönsten und saubersten U-Bahnen der Welt. Vermutlich die allersauberste im ganzen Universum, denn es lang wirklich nirgendwo auch nur ein Fitzelchen auf dem Boden. Jede Station ist anders gestaltet, sehr künstlerisch oder sehr – nun ja, russisch. Die gesamte russische Geschichte spiegelt sich in den Marmor-Skulpturen wieder. Die Bahnen machen einen Höllenkrach, weswegen unsere Reiseführerin zu modernster Technik (aus China) griff. Jeder bekam einen Bluetooth-Empfänger um den Hals gehängt, zusammen mit einem Ohrstöpsel. Gelina hatte den Sender und das Mikrophon. Und tatsächlich konnten wir sie alle bis zu einer Entfernung von rund 20 Metern kristallklar hören. Leider auch, als sie ohne Vorwarnung anfing, ein russisches Lied zu singen. Aber so ein Ohrstöpsel ist ja schnell aus dem Gehörgang gezogen…
Wir fuhren insgesamt 5 verschiedene Stationen an. Jedesmal stiegen wir aus, bestaunten die Architektur und fuhren weiter. Interessant: Wenn Jugendliche uns alte Klappergestalten wahrnahmen, erhoben sie sich sofort und boten uns ihren Sitzplatz an. Das ist mir in Deutschland schon jahrzehntelang nicht mehr passiert. Ok, ich sollte mal wieder U-Bahn fahren. Vielleicht hat sich da was geändert.

Zur Abwechslung mal eine Moschee. ebenfalls am Roten Platz.

Und wieder landeten wir am Roten Platz. Der sah plötzlich ganz anders aus. Alle Gebäude waren kunstvoll illuminiert. Das Einkaufszentrum sah aus, als wäre schon wieder Weihnachten. Aber die ganzen historischen Gebäude, der Kreml, die Kathedralen – alles war wunderhübsch anzusehen. Nach vielen Aahs und Oohs war dann aber auch mal wieder Zeit für die Heia. Nur leider kam der Bus nicht. Der Fahrer war wohl irgendwo eingeschlafen. Erst 30 Minuten nach der verabredeten Zeit tauchte er auf und verfuhr sich zu allem Überfluss auch noch im nächtlichen Moskau. Unsere Reiseleiterin konnte einen Schreikrampf kaum vermeiden.
Letztendlich im Hotel dann doch noch ein Bier an der Bar genossen. Um ein Uhr war der Tag dann rum. Schade. Wieder viel Zeit mit nichts verbracht. Wenn der Abschluss am Roten Platz nicht so schön gewesen wäre, hätte ich jetzt langsam schlechte Laune.

Der dritte Tag
Auch heute wieder Abfahrt um neun Uhr. Die Massenabfertigung im Hotel funktioniert zwar ohne Stau (Allein sechs Kaffeeautomaten!), aber man hechtet ständig hin und her, um die notwendigen Zutaten fürs Frühstück einzusammeln. Wenn man zurückkommt, sitzen plötzlich neue Leute am Tisch. Es wird Zeit, diesen Kasten zu verlassen. Laut Plan steht uns eine ganz besondere Ausstellung bevor: Die „Leistungsschau der russischen Industrie“. Das klingt schon mal sehr bombastisch und ist es auch, bzw. wäre es auch, wenn wir etwas davon mitbekommen hätten. Es handelt sich um nichts Geringeres als eine Weltausstellung nur für Russland. Oder ein Disneyland ohne Disney. Oder einen Rummelplatz ohne Fahrgeschäfte. Oder eine Museumsinsel ohne Museen. Was wir sahen, war ein riesengroßer Park mit vielen kitschigen Brunnen und ebenso kitschigen Hallen, bzw. Gebäuden ringsherum. Leider habe ich die Mietstation für die Seqways nicht entdeckt und musste daher die ganzen vielen Kilometer zu Fuß durch das Gelände laufen. Vereinzelt unternahm ich den Versuch, eine der protzigen Hallen zu besuchen, die irgendwelche Highlights der russischen Wirtschaft feierten. Leider waren die alle geschlossen oder gerade im Umbau. Unsere Reiseleiterin versprach aber als absolute Sensation den Besuch der „Cosmos“-Station, in der man die Original MIR-Raumstation und diverse Sputniks sehen können sollte. Als ich nach knapp einer Stunde schmerzenden Fußes dann endlich dort ankam, war die Halle noch geschlossen. Öffnung erst um halb zwölf. So lange konnte ich nicht warten, da wir  bereits um zwölf weiterfahren sollten. Immerhin konnte man eine Kopie der Rakete sehen, mit der Gagarin damals zum Mond geflogen sein soll. Sie war vor der Halle zusammen mit einigen anderen militärischen Fluggeräten aufgebaut. Frustriert lief ich die vielen tausend Meter wieder zurück zum Eingang. Also wieder ein falsches Reisemanagement unserer „Leiterin“. Angeblich kannte sie die Öffnungszeiten nicht. Weiß sie überhaupt was? Zum Beispiel die Öffnungszeiten für das Lenin-Mausoleum? Oder eben für die Cosmos-Halle? Nein, weiß sie nicht. Auch auf viele Fragen der Mitreisenden ging sie nicht ein oder antwortete ausweichend. Mein Bereitschaft, sie mit Trinkgeld zu beglücken, schwand stündlich. Danach hatten wir eine weitere Stadtrundfahrt vor uns. Der Fahrer von gestern wurde übrigens ausgetauscht. Nur, weil er sich verfahren hat? Wir werden es nie erfahren. Wir sahen viele schöne Gebäude, zum Teil mit historischen Hintergrund. Was man halt so in einer Großstadt braucht. Außenministerium, Amerikanische Botschaft, Oper, Theater,  KGB etc.

Die beiden waren auch da. Leider nur aus Pappe.

Wir parkten an einer angeblichen Einkaufsstraße. Tatsächlich ist es wohl eher eine Touristenstraße. Viele Lokale, unter anderem das „Hard Rock Café“, viele Kunstläden und alternative Unterhaltungsmöglichkeiten. Dazu Dutzende von Malern und Zeichnern, die die Straße im Wechsel mit Musikgruppen bevölkerten. Die Straße war wie überall extrem sauber, was unter anderem daran lag, dass pausenlos Reinigungswagen mit Druckwasserdüsen den Staub wegwischten. Ich habe mein Mittagessen im Hard Rock Cafe echt genossen.

Damit war Juri Gagarin schon mal auf dem Mond.

Und dann war es auch schon vorbei mit Moskau. Wir haben kaum was gesehen, aber doch einen ganz guten Eindruck bekommen. Es ist halt eine Großstadt. Eine Weltstadt. Ein bisschen sehr ruhig zwar, aber dafür sauber und ordentlich. Keine Kritzeleien an den Wänden, keine Bettler, kaum Junkies, Ein glückliches Volk? Das kann ich nicht beurteilen. Die aktuellen Demonstrationen lassen hoffen, dass es einen Willen zu Veränderungen gibt. Hoffentlich bleibt es friedlich.

Wir fuhren zur Anlegestelle. Ab hier sollte die Reise mit einem Fluss-Kreuzfahrtschiff weitergehen. Die „MS RUSS“ wurde wohl schon in den Achtziger-Jahren des letzten Jahrhunderts gebaut, seitdem aber viel Male umgerüstet und modernisiert. Sie fasst genau die etwa 300 Passagiere, die Trendtours für den Trip zusammengekarrt hat. Seit 2017 ist die russische Reederei Partner der Frankfurter Firma. Von Ende Mai bis in den Oktober schippert der Kahn die Wolga rauf und runter, im Konvoi mit bis zu sieben weiteren Schiffen dieser Art, die von anderen Agenturen bestückt werden. Meist mit Chinesen. Wie viele Schiffe insgesamt die Wolga hoch- und runterfahren, war nicht rauszufinden.

Helden der Arbeit.

Wir konnten also einsteigen. Die Koffer wurden von den Matrosen direkt vor die Zimmer gebracht. Sagte ich „Zimmer?“. Schon mal falsch. Es sind Kabinen, eigentlich eher „Kabinchen“ oder bessere Schlafkojen. Mein Domizil war genau zwei Meter breit und drei Meter fünfzig lang. Das musste für mein Bett (90 cm breit), einen Schrank, eine Ablage und ein Winzig-Bad reichen. Die Dusche war direkt vor dem Waschbecken angebracht. Ein Vorhang schützte die Toilette vorm Wasser, aber der Rasierapparat und alles Andere am Waschbecken wurden natürlich mitgeduscht. Ich glaube, selbst Schwerverbrecher haben eine komfortablere Zelle als die Reisenden auf diesem Schiff. Und ich hatte ja sogar eine Einzelkabine gebucht! Die Doppelzimmer waren zwei Meter dreißig breit, was den persönlichen Aktionsradius bei zwei Reisenden aber auch nicht sonderlich erweiterte.

Diese Kirche war mal bedeutend größer.

Egal, der Mensch gewöhnt sich an alles. Das Fenster ließ sich immerhin öffnen, um den etwas miefigen Geruch zu neutralisieren. Leider ließ sich ein offenes Fenster auch von außen von der Reling aus öffnen, was die Sicherheit meiner bescheidenen Schätze (wie iPad oder Macbook Air) dann doch etwas einschränkte. Einen Tresor gab es nicht.
Das Bett war ultrahart und zur Kabinenmitte hin durchgelegen. So langsam fürchtete ich mich vor der Nacht. Dass meine Kabine nur wenige Meter neben der Panorama-Bar lag, tröstete nur wenig.

Aber erst einmal wurden wir alle ganz herzlich begrüßt. Vom Kapitän, der nur russisch sprach, und den ganzen wichtigen Leuten an Bord. Man hatte uns mal wieder in Gruppen unterteilt. Ich gehörte zur Gruppe zwei von insgesamt sechs Gruppen. Und mit dieser Festlegung wurde uns auch gleich der Tisch zugeteilt, an dem wir uns die Speisen zu Munde führen sollten. Gruppe 2, Tisch 9. Keine Änderung möglich. Wir sind halt in Russland.

Die Leiterin der Reederei, Olga, machte bei ihrer Vorstellung eine in jeder Hinsicht gute Figur. Auch unsere Gruppenleiterin Anja machte einen souveränen Eindruck. Überhaupt war das gesamte Personal von ausgesuchter Freundlichkeit. Die meisten Mitarbeiter sprachen eine durchaus akzeptables Deutsch.
Nachdem wir alle in unseren Kabinen untergebracht waren, ging es weiter mit einer Informationsstunde im „Versammlungsraum“. Da dieser Raum nur maximal 150 Personen fasste, musste Olga ihren Vortrag (und auch alle späteren) zweimal halten. Wir wurden informiert, dass es extrem wichtig sei, die Fenster vor Einbruch der Dunkelheit zu schließen, um einer derzeit grassierenden Mückenplage zu entgehen. Wir lernten alles über das Verhalten bei Landgängen und wurden ermahnt, alle Zeiten pünktlich einzuhalten. Im letzten Jahr hätten zwei Deutsche nach einem Landgang das Schiff nicht mehr pünktlich erreicht und mussten daher mit einem nachfolgenden Schiff hinterherfahren. Das wäre nicht so schlimm gewesen, wenn es sich bei diesem Schiff nicht um ein Schiff voller Chinesen gehandelt hätte. (Hier kam ein großer Lacher. Ich habe wirklich nichts gegen Chinesen, aber in großen Gruppen sind sie schon sehr anstrengend)

Da fährt gerade die Transsibirische Eisenbahn drüber. Echt!

Nach dieser Informationsstunde gab es dann auch noch eine Sicherheitsübung. Alle Passagiere mussten in Ihre Kabine gehen und sich die Schwimmweste anziehen, die sich unter den Betten befand. Das Personal checkte dann, ob alle sich richtig angeschnallt hatten (was bei vielen übrigens nicht klappte) und erklärte uns dann für „gerettet“.

Und dann war auch schon Zeit für das Abendessen. Ich hatte aus alten Erfahrungen damit gerechnet, dass man uns – wie üblich – ein üppiges Buffett aufbauen würde, dass wir Ruck-Zuck gestürmt und geleert hätten, um uns dann das weitere Bordprogramm einzupfeifen.
Dem war nicht so. Wir wurden bedient wie im 5-Sterne-Lokal. Mit einem Essen wie im 5-Sterne-Lokal. Mit Getränke-Preisen wie im 5-Sterne-Lokal. Vorspeise, Suppe, Hauptgericht, Nachtisch. Und das Beste: Bei allen Kategorien konnte man aus zwei bis drei Varianten auswählen. Selbst Veganer kamen auf ihre Kosten. Und damit die Küche nicht große Mengen wegwerfen musste, hatte man hier an Board eine sehr clevere Idee: Wir Gäste mussten immer am Vortrag in einem Formular ankreuzen, was wir am nächsten Tag gerne essen wollten. So musste die Küche nicht unnötig Gerichte vorhalten, die sowieso keiner wollte. Das Ausfüllen dieses Formulars war leider für eine Tischnachbarin nicht trivial. Sie hat das Prinzip nicht verstanden. Ich habe dann gerne ausgeholfen.

Unser täglicher Speiseplan (wechselnd).

Nach dem hervorragendem Abendessen ging das Programm dann natürlich noch weiter. In der Panoramabar spielte eine ältere Dame lustige Weisen auf dem Klavier, und unser Speisesaal wurde zur Disco umgebaut. Ich habe mich mit meiner elektronischen Schreibhilfe unter Zuführung einiger Winzig-Portionen weißen Weines in die Bar gesetzt und diese Zeilen verfasst.
Danach auf meiner Pritsche eine schwierige Nacht verbracht. Bei jeder Drehung bin ich irgendwo angestoßen. Lange Paranoia wegen Mücken, die eventuell doch eingedrungen sein könnten.
War aber nix.
Nettoschlafzeit höchstens 5 Stunden.

Der vierte Tag

Das Frühstücksbuffet an Board der „MS RUSS“ war zwar nicht überbordend, aber dennoch ausreichend und lecker. Das Schiff hatte über Nacht schon einige Meilen abgearbeitet und dabei sechs Schleusen passiert. Von der Mündung der Wolga bis zu zu ihrem Ende im Kaspischen Meer, etwa 3300 km, müssen rund 220 Meter Höhenunterschied überbrückt werden. Wir fuhren allerdings „nur“ 1318 km weit. In der gar nicht so guten alten Zeit, ohne die Stauseen, vertrocknete der Fluss im Sommer, so dass Zwangsarbeiter die Holzschiffe über das Flussbett ziehen mussten. Stalin war es wohl, der den Auftrag gab, das Problem mithilfe von Stauseen zu lösen. Das bedeutete aber auch, dass zigtausende von Häusern umgesiedelt werden mussten, weil sie sonst unter dem Wasserspiegel gelegen hätten. Der Bau der Schleusen wurde von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen durchgeführt, die dabei auch gleich ihr Leben ließen. Besonders zimperlich war Stalin bekanntlich nie.

Um elf Uhr erwartete uns zunächst ein Vortrag über die bevorstehende Reiseroute. Im Versammlungssaal erklärte uns die schöne Olga, was wir warum wo sehen würden. Dazu gab es ein paar schöne Bildchen auf der Leinwand, die man für zehn Euro auch anschließend auf DVD gepresst kaufen konnte. Währenddessen spielte die andere Hälfte des Schiffes Bingo.
Und dann war auch schon wieder Mittagszeit. Das Essen war auch jetzt wieder außergewöhnlich gut. Statt mich beim Russisch-Kurs anzumelden, bin ich fauler Sack dann doch lieber wieder zurück in meine Koje gefallen. Das ungewohnte Bett(chen) hatte mich schon ziemlich gerädert.

Um 16:30 erreichten wir dann – nach einer weiteren Schleuse – die Stadt Uglitsch. Unser erster Ausflug stand bevor. Vor dem Verlassen des Schiffes musste man seinen Zimmerschlüssel abgeben und gegen ein Umhängeschild eintauschen, dass uns auch 30 Meter gegen den Wind als Touristen brandmarkte. Auch hier wurden wir wieder in sechs verschiedene Gruppen eingeteilt. Jede Gruppe bekam eine eigene, sehr gut deutsch sprechende Reiseleiterin. Zu Fuß liefen wir die direkt an der Kaimauer liegende Stadt und besuchten mal wieder eine Kirche, die sogenannte „Demetrius-Kirche“. Ich habe es schon in Moskau aufgegeben, diese ganzen Kirchen und die Gründe ihrer Existenz, deren Glaubensrichtung oder Daseinsberechtigung auseinanderzuhalten. Das würde den Rahmen dieses Blogs auch deutlich sprengen. Und wahrscheinlich passt hier der Spruch: „Kennste Wayne?“ – Nee – „Wayne interessiert´s?“. Die Kirchen in Russland wurden regelmäßig niedergebrannt, wieder aufgebaut, zerstört und neu errichtet. Da blickt doch eh keiner durch. Im Moment wird wieder alles restauriert. Die Bildchen und Fresken gleichen sich sowieso weltweit.
Umso schöner war die Idee der Veranstalter, uns in dieser Kirche ein Konzert darzubieten. Vier Herren mit schönen Stimmen sangen uns zwei wunderschöne russische Lieder. Dann empfahlen Sie uns den Kauf ihrer CDs, was auch bei einigen Mitreisenden einen sofortigen Kaufimpuls auslöste. Unsere coole Stadtführerin erzählte uns noch einige schöne schaurige Geschichten von dem achtjährigen Sohn von Zar Ivan dem Schrecklichen, der schon seinen Zweitgeborenen im Zwist mit seinem Zepter niederstreckte. Der Achtjährige war der Sohn seiner siebten Ehefrau und wurde angeblich im Auftrag von Papa meuchlings ermordet. Es soll dann gleich zwei Typen gegeben haben, die behaupteten, als genau dieser Bub wieder auferstanden zu sein. Alles sehr verwirrend und sicher selbst mit Unterstützung der Bildzeitung nicht mehr aufzuklären. Also schon damals: Alles Fake-News.

Manche Kathedralen bringen ernsthaft Qualen.

Die rund einstündige Führung endete mit Freigang. Sonderlich viel gab es ohnehin nicht zu sehen. Also bleib ich in einem Café hängen, in dem auch Bier ausgeschenkt wurde. Netter Kontakt zu anderen Vielreisenden gefunden. Um 19.15 Uhr mussten wir wieder an Bord sein. Hier tauschten wir unsere Hundemarke wieder gegen unsere Zimmerschlüssel zurück. Das Abendessen wartete bereits auf uns. Motto: „Zurück in die UDSSR“. Will das denn wirklich jemand? Das Essen war trotzdem sehr lecker.
Nach dem Essen verpasste ich den musikalischen Vortrag „Geschichte Russlands in 7 Noten“ mit der Bord-Pianistin Vera. Das waren mir dann doch zu wenig Noten für so viel Geschichte. Auch die „Tanz- und Unterhaltungsmusik“ mit dem bordeigenen Sänger OLEG ließ ich aus. Ich versäumte sogar den gewiss spannenden Film „Gefangen im Kreml – die russischen First Ladies“ im Veranstaltungsraum. Nein, ich setzte mich ins Panorama-Cafe, schrieb an diesem Blog weiter und hatte noch ein paar nette Gespräche mit Mitreisenden von irgendwoher aus Deutschland.
Ach, ganz vergessen: Es gab tatsächlich zwei Frauen auf dieser Tour, die ich aus Bad Homburg kannte! Und zwar die Witwe unseres damaligen Hausmeisters des Kaiserin-Friedrich-Gymnasiums samt ihrer Schwester. Rolf Steinmetz war wohl der beliebteste Hausmeister ever. Noch Jahrzehnte nach meinem Abitur trafen wir uns immer wieder bei allen möglichen Veranstaltungen. Die Welt ist doch wirklich klein.

Gegen 22.00 Uhr in die Kajüte. Noch ein paar Artikel im Spiegel gelesen, dann todmüde ins Bett.

Der fünfte Tag
So langsam kehrte Routine ein. Nach dem reichhaltigen Frühstück wurde im Veranstaltungsraum in täglichem Wechsel alles Mögliche angeboten: Russischkurse, Einführung in die russische Küche, Gesangstunden mit Tanja, russische Märchen und diverse Videovorführungen. In den Zeiten dazwischen wurde gegessen oder in der Bar rumgesessen. Einmal am Tag hatten wir Landgang. Heute ging es nach Jaroslawl. 600.000 Einwohner und mindestens 35 Kirchen, von denen rund ein Dutzend noch in Betrieb sind. Ich erspare mir die Details. Nett wurde es im städtischen Museum. Drei junge Damen in der Kleidung des 19. Jahrhunderts führten uns durch „ihr“ Schloss. Perfekte Darsteller mit sehr guten Deutschkenntnissen. Das Ganze endete im Ballsaal, wo ein kleines Trio, bestehend aus Klavier, Cello und Geige aufspielte. Und nicht nur das. Die drei Grazien forderten uns zum Tanzen auf! Morgens um elf! Wenn sich unsere Museen auch solche Dinge einfallen ließen, würde ich bestimmt öfter mal eins besuchen…
Danach hatten wir noch ein wenig Freigang. Auf einem kleinen Markt erwarb ich „garantiert echte“ Nike-Turnschuhe für umgerechnet 27 Euro. Sie sitzen perfekt.
Nach vier Stunden Landaufenthalt bei strahlendem Sonnenschein ging die Fahrt weiter. An Bord versäumte ich den Kurs „Wir bemalen die russische Holzpuppe Matrjoschka“ und die Anleitung, wie man russische Pelmeni macht, so eine Art Ravioli. Auch die Teezeremonie ließ ich aus, genau wie den Kurs mit den russischen Tänzen. Selbst das Konzert mit russischer Volksmusik, dargeboten vom bordeigenen Ensemble „SLAWITSA“, wurde ohne meine Anwesenheit gegeben. Ich interessierte mich auch nicht für die Sonderpreise von Fabergé-Eiern, Ostsee-Bernstein und Lackdosen im Souveniershop des Schiffs noch für den Erwerb der Fotos, die ein fleißiges Fototeam während der ganzen Schiffsreise von uns machte. Auch hatte ich kein Ohr für den DJ des Schiffes, OLEG, der leider alle Titel, deren Texte er ungefähr kannte, auch mitsang oder gar ein Auge für die Filmvorführung „Katharina die Große – Frauen, die Geschichte machten“.
Nein, ich machte rein gar nichts außer Faulenzen und ein bisschen Schreiben. Und essen. Und trinken. Genau. Das war der Fokus.

Eine unserer reizenden Gruppenleiterinnen.

Der sechste Tag
„Zu Gast bei russischen Märchen“ lautete das heutige Motto auf dem Schiff. Und obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, die Frühgymnastik mit LENA mitzumachen, um „energiegeladen in den neuen Tag“ zu kommen, war ich leider eine halbe Stunde zu spät aufgestanden. Während im Versammlungsraum über russische Ikonen debattiert wurde, war ich einer der letzten am Frühstücksbuffet.
Um 11.00 Uhr erreichten wir die Stadt Goritzy. Auch hier wurden wir wieder von Bussen abgeholt und in ein Kloster gekarrt. Das „Kyrillov-Kloster“ ist wohl sehr berühmt, aber stinklangweilig. Auch hier erwarteten uns wieder ein paar Sangesbarden, um uns zwei Liedchen vorzusingen. Große Kunst – Perlen vor die Säue geworfen. Wir Kunstbanausen konnten die Leistung kaum würdigen.
Bei der Rückkehr zum Bus fing es plötzlich an wie aus Eimern zu gießen. Meinen Schirm hatte ich längst irgendwo verloren. Aber so eine frühe Dusche macht ja auch wach. Rund ums Schiff Dutzende von Verkaufsständen für den üblichen Schnick-Schnack.
Beim Mittagessen großes Entsetzen: Meine Tischnachbarin hatte am Vortag den Menuzettel falsch ausgefüllt und bekam jetzt weder eine Vor- noch eine Hauptspeise. Nur ihr Mann durfte essen. Wir anderen hatten das zwar vorher bemerkt und beschlossen, sie auflaufen zu lassen, getreu dem Motto: „Nur durch Fehler kannst Du lernen“! Hat sie leider nicht. Am nächsten Tag kreuzte sie wieder völlig planlos alles Mögliche an, nur nicht die Gerichte für sie oder ihren Mann.
Nach dem Mittagessen hätte ich gerne eine Gesangsstunde bei TANJA und KIRA genommen, aber die beiden waren nicht auf Männer eingestellt. Und „Sopran“ singe ich schon lange nicht mehr. Ich hätte mir alternativ russische Märchen anhören oder das Video „Schlafend zum Baikalsee – 7500 km mit der sibirischen Eisenbahn“ anschauen können. Stattdessen bekam ich mehr oder weniger plötzlich böse Schmerzen im linken Handgelenk. Ich konnte die Hand nicht mehr nach links drehen und nur unter großen Schmerzen irgendwas anfassen. Wie sich später herausstellte, hatte ich mir doch tatsächlich aus heiterem Himmel eine Sehnenscheidenentzündung eingefangen. So konnte ich beim Konzert unseres Bordensembles „SLAWITZA“ gar nicht mitklatschen. Und auch der geplante Tanzabend MIT UNSEREN BORDBEGLEITERINNEN (!) beschränkte sich auf einen Tanz, den ich zudem gleichzeitig auf Video aufnahm. Und zwar zur atemlosen Musik von Helene Fischer, die ja bekanntlich aus Russland stammt.
Sicherheitshalber dann gleich ins Bett. Im Bordradio lief ein literarisches Werk von Alexander Puschkin, „Schneesturm“, vorgelesen von „DMITRIJ“ – mit musikalischer Untermalung. Zum Glück kann man den Lautsprecher abstellen.

Der siebte Tag
Gleich nach dem Frühstück habe ich die Bordärztin aufgesucht. Die Ferndiagnose meiner Schwester stimmte zu 100%. Sehnenscheidenentzündung. Behandlung mit Ibuprofen und Diclofenac-Salbe. Handgelenk mit Verband fixiert. Ist schon besser geworden. Der Arztbesuch kostete 2500 Rubel, also rund 35 Euro. Die Verwaltungsarbeit für die Rechnung dauerte länger als die Behandlung.
Danach wartete wieder ein Vortrag der schönen Olga auf uns. Im vollbesetzten Veranstaltungsraum erzählte sie uns alles über Russland, was wir nicht zu fragen wagten. Ich hoffe, ich bekomme die ganzen Facts noch zusammen.

Also, Russland ist das größte Land der Erde, 47 mal so groß wie Deutschland übrigens. Während bei uns 22 Menschen pro Quadratkilometer leben, sind es in Russland gerade mal acht. Insgesamt hat das Land mit seinen 22 Republiken (von denen die KRIM die jüngste ist) insgesamt 145 Millionen Einwohner. Es gibt zwar 11 Zeitzonen, aber nur noch die Sommerzeit. Die 22 Republiken haben übrigens eigene Gesetze.
Olga ließ es sich auch nicht nehmen, dass sie die Annektierung der Krim für richtig hält. 90% der Krim-Bevölkerung hätten immerhin für den Anschluss an Russland gestimmt.

Der Baikalsee ist der größte Süßwassersee der Welt. Der längste Fluss heißt Lena und ist 4400 km lang. Die Staatsgrenze sogar 58.000 km. Die Wälder Russlands sind doppelt so groß wie der Amazonas. Die Temperaturen reichen von – 70 Grad (in Sibirien) bis hin zu + 45 Grad.
Dreiviertel aller Russen wohnen in Städten, weil man auf dem Land keine Arbeit findet. Die größte Stadt mit geschätzten 15 Millionen Einwohnern ist natürlich Moskau. Übrigens wohnen auch noch immer rund 300000 Deutsche in Russland.
Die Durchschnittsrussin bekommt 1,6 Kinder. Das ist zu wenig. Daher gibt es z.B. für das zweite Kind eine Prämie von umgerechnet 6000.- Euro, die kindesbezogen zu verwenden ist. Beim dritten Kind zeigt sich der Staat besonders großzügig: Dann schenkt er seinen Untertanen ein Grundstück! Land ist ja genug vorhanden…

Die Kids kommen mit drei Jahren in den Ganztags-Kindergarten. Der kostet inkl. Essen und Trinken nur 30.- Euro pro Monat. Und hier lernen die Kinder schon früh Fremdsprachen, Lesen und Schreiben. Zur Einschulung mit sechs oder sieben Jahren muss man das nämlich schon können!

Die Arbeitslosenquote liegt bei offiziellen 2,4%, ist in Wirklichkeit aber bedeutend höher. Da man auf sein Einkommen generell nur 13% Steuern zahlt sowie 36% für Rente, Wohnen und sonstige Abgaben, werden viele Gehälter doppelt bezahlt: Einmal offiziell zum Mindestlohn und dazu ein Umschlag mit zusätzlichen Scheinchen, die nicht versteuert werden. Weiß jeder, ist dem Staat wohl egal. Es kümmert sich niemand darum. Der Mindestlohn beträgt umgerechnet 100.- Euro, der Durchschnittsverdienst 500.- Euro. Alle arbeitsfähigen Russen haben mehrere Jobs, um über die Runden zu kommen. Aber trotz der Steigerung aller Einkommen ist der Realverdienst sogar gesunken.
Olga erzählt, dass sie 5 Monate im Jahr auf diesem Schiff arbeitet – ohne Pause, ohne einen einzigen freien Tag. Ihre Tochter wohnt derzeit bei den Großeltern, ob es denen passt oder nicht. Das hat noch einen Vorteil: Auf dem Land gibt es kaum Internet, sodass ihre Kleine lieber im Freien spielt als auf ein Handy zu glotzen.
Abgeordnete verdienen übrigens deutlich mehr: Offiziell ist von umgerechnet 6500.- Euro monatlich die Rede; inoffiziell dürften es noch ein paar Euro mehr sein.
Die Rente beträgt gerade mal 200.- Euro. Das Rentenalter wurde neulich angehoben: Bei Männern auf 65 Jahre, bei Frauen auf 60 Jahre. Das klingt moderat, aber der russische Mann lebt leider statistisch nur 67,5 Jahre. Frauen werden 77 Jahre alt, wodurch in Russland ein Überschuss von rund 10 Millionen Frauen vorhanden ist.
Das Leben ist billig. Eine gemietete 3-Zimmer-Wohnung kostet z.B. nur 45 Euro Miete. 87% aller Russen haben allerdings eine eigene Wohnung. Früher wurden die Wohnungen vom Staat verschenkt, heute kommt man nur noch durch eine Erbschaft dran. Wer das Glück hat, eine Wohnung kaufen zu dürfen, zahlt etwa 20.000 Euro für eine 60qm-Wohnung im Umland von Moskau. Bei 10-12% Immobilienzinsen ist das allerdings auch nicht gerade günstig. Noch immer wohnen daher in der Regel drei Generationen in einer Wohnung. Für den Sommer besitzt fast jeder Russe eine „Datscha“ irgendwo im Grünen. Mehr als umgerechnet 3000.- Euro kostet sie selten. Während der dreimonatigen Sommerferien verbringt die Familie dort die Zeit mit den Großeltern. Jeder hat seinen eigenen Gemüsegarten und lebt so relativ autark.
Olga beendete ihren Vortrag mit der Feststellung, dass alle Russen sehr gastfreundlich seien, nur lachen würden, wenn es einen Grund dafür gäbe und sich ansonsten aus der Politik heraus hielten.

Chorprobe auf dem Schiff.

Danach hätte ich die Chance gehabt, mit „LENA“ und „ANJA“ alles über Line-Dancing zu Country-Musik zu lernen. Ich habe dankend verzichtet. Leider habe ich auch den Besuch der Brücke verpasst, der mich sogar interessiert hätte. Das Schiff, die MS RUSS, wurde 1987 gebaut, und zwar in der damaligen DDR. Ein Video über die Museumsinsel „KISCHI“, die wir am Nachmittag besucht haben, fand ebenfalls ohne mich statt.
Um 15:30 Uhr erreichten wir den nördlichsten Punkt unserer Reise, eben die Museumsinsel KISCHI. Sie steht unter dem Schutz der UNESCO und gehört zum Weltkulturerbe. Es gibt dort keine Autos; Rauchen ist verboten, und man sollte festes Schuhwerk dabei haben. Meine neuen Nikes waren dafür wie geschaffen. Was gab es zu sehen? Nun, vor allem alte Häuser und natürlich alte Holzkirchen. Eine reizende einheimische Reiseleiterin, die perfekt deutsch sprach, führte uns rund zwei Stunden über die Insel. Sie wohnt sogar selbst dort. Wir konnten einen Zimmermann beobachten, der – nur mit einer scharfen Axt bewaffnet – eine Dachschindel aus Birkenholz für die Kirche herstellte. Er trug keinerlei Schutzkleidung, sodass man leider sehen konnte, dass er sich im Laufe seines Lebens bereits zwei Finger abgehackt hatte. Aber für die Kirche macht man ja bekanntlich alles.

Kaum, dass wir wieder an Bord waren, schlug das Wetter um, aber das störte uns ja wenig.
Das Schiff war inzwischen von Piraten gekidnappt worden. Das bedeutete, dass sich unsere Betreuer, alles übrigens Studenten und Studentinnen aus Moskau, als Piraten verkleidet hatten und ein bisschen Radau machten. Alles sehr zahm, unserem Klientel angepasst.

Unser Klientel. Mhm. Ich gehörte eigentlich nicht zu diesem Klientel. Ich saß – außer am Essenstisch, dessen Sitzordnung ja vorgegeben war, meist allein an der Bar oder an Deck. Mit gerade mal drei anderen Paaren hatte ich einen etwas ausführlicheren Kontakt, aber 90% der Mitreisenden waren mir schnurzpiepegal. Das waren alles Liebhaber deutscher Schlager, politisch eher rechts angesiedelt, bieder und altbacken gekleidet und meist sehr einfach gestrickt. Vor allem einige ältere allein reisende Damen hielt ich streng fern von mir, sehr zu deren Kummer. OK, ich höre den Aufschrei schon jetzt, aber es war wirklich so. Und nein, ich bin nicht nach Russland gefahren, um mir eine Frau aus dem Katalog auszusuchen.

Das Abendprogramm sah noch ein „Piratenspiel“ vor, bei dem zwei Mannschaften ein paar Fragen beantworten und ein Glas Bier schnellstmöglich austrinken mussten.
In der größeren der beiden Bars dann wieder „Klaviermusik mit VERA“. Sie hat zwar schöne Stücke im Repertoire, steht aber offensichtlich mit ihren Fingern auf dem Kriegsfuß. Wie man als angeblicher Profi so falsch spielen kann, wird mir immer ein Rätsel bleiben. Heute hatte VERA sogar zusätzlich ein Keyboard mitgebracht. Das erhöhte bei ihr den Stress ganz ungemein. Denn natürlich kamen ihre Finger nicht mit dem Rhythmus mit, den das eingebaute Schlagzeug vorgab. Und so hing sie ständig zwei bis drei Akkorde hinterher, um sich am Ende dann doch wieder einzuholen, damit der Schlussakkord wieder stimmte. Das Publikum hat das alles anscheinend nicht gestört, denn sie wurde beklatscht wie ein Weltstar.
Ich saß an der Bar und spielte SUDOKU, Expertenstatus.

Der achte Tag
Uns sollten heute 24 bis 26 Grad Sonnenschein erwarten. Bevor wir unser letztes Ausflugsziel, Mandrogi, erreichen sollten, wurde uns im Veranstaltungsraum das Video vorgeführt, das ein Fototeam während unserer Reise gedreht hatte. Nun, zumindest alles, was bisher geschah, denn dieser Tag und vor allem St. Petersburg standen uns ja noch bevor. Wie ich mir schon dachte, hatten die beiden Filmemacher einfach ein vorgefertigtes Video genommen und an bestimmten Stellen einfach unsere Leute reingeschnitten. Dazu die übliche russische Musik und sehr viel Blenden, hunderte von Blenden. Ich bin dauernd eingenickt und habe den Film nicht gekauft. Als DVD hätte er 30.- Euro gekostet, als USB-Stick sogar 38.- Euro. Ich selbst war sowieso nur zweimal kurz zu sehen, da ich den Knipsern meist aus dem Weg gegangen bin. Die rund 2000 Fotos, die sie von uns machten, habe ich mir nicht einmal angesehen.

Nun zur Insel Mandrogi. Man nennt sie den „Grünen Ableger“. Es handelt sich um ein Freizeitreservat mit einem See, Pferden, einem Wodkamuseum, einem Kindergarten, ein paar Wohn- und Ferienhäusern und einer megagroßen Grillstation. Ach so, fast vergessen: Abermillionen von Souvenirs harrten ihres Kaufs. Bei so viel Natur fühlten sich vor allem auch Wespen und Mücken besonders wohl. Da es nichts zu erklären gab, durften wir die Wildnis auf eigene Faust erkunden. Ich bin dann also einmal durch das gesamte Gebiet gelaufen und habe mich dann brav zum Mittagessen angestellt. Unser Schiffsteam musste die Tische selbst vorbereiten (Deckchen, Besteck, Teller mit Salat, Kartoffel, Becher Kirschsaft, Brötchen mit Hackfleisch und ein Stück Beerenkuchen). Alles aus Plastik. (Bis auf das Essbare natürlich!) Als Hauptspeise gab es wahlweise Schweine- oder Hähnchenspieß. Dazu musizierte in passender Tracht ein bedauernswertes Musikerensemble im Sklaveneinsatz. Denn wir waren ja nicht die Einzigen, die die unberührte Natur erleben wollten. Inzwischen waren bereits drei große Schiffe gelandet, um mit ihren rund 1000 Touristen die kleine Insel der Ruhe in ein großes Tollhaus zu verwandeln. Wer hier seinen Urlaub bucht, muss wirklich einen an der Klatsche haben.

Ich habe mich nach dem Essen verabschiedet und in mein Kämmerchen verzogen. Die meisten waren noch im Wodka-Museum, wo man für 400 Rubel bis zu vier Sorten testen durfte.

Es wurde Zeit, dass diese Schifffahrt zu Ende ging. Ich bekam langsam einen Lagerkoller. Egal, wo man hinschaute: Man sah entweder Wasser oder Wald. So ruhig und bequem das alles auch sein mag – mit dem Bus erlebt man mehr. Aber glücklicherweise nahte das Ende. Bis zur Ankunft in Petersburg hatten wir nur noch ein Kapitäns-Abendessen und das „JE-KA-MI“ Abschiedskonzert zu überstehen.

Das Essen war schon mal wunderbar und sehr stimmungsvoll, da sich auch alle Kreuzfahrt-gerecht in feine Schale geschmissen hatten. Die Küche übertraf sich selbst, und der Captain – in einer viel zu großen Anzugjacke – gab jedem Gast persönlich sein Schwitzehändchen. Die schöne Olga bedankte sich bei uns allen für den dollen Umsatz, äh, den tollen Einsatz bei den ganzen russischen Lernkursen an Bord. Und damit auch jeder sehen konnte, was dabei herauskam, wurden wir anschließend in den Veranstaltungsraum geladen, der dadurch aus den Nähten platzte. Der Radio-DJ, der uns über die Bordlautsprecher immer an alle Termine erinnert hatte, leitete die Show. Denn jetzt erfolgte nicht nur ein Konzert mit russischen Volksliedern – nein, sie wurden sogar von den Reisenden selbst gesungen. Eine Sängerin trat auch auf und sang ein – was wohl? – russisches Volkslied. Außerdem hatte die Crew mit einigen Gästen ein lustiges Theaterstück eingeübt, das weniger durch Text als durch Action glänzte. Kurzum, es war sehr kurzweilig und entschädigte für einige langweilige Momente. Um 23.00 Uhr ging es dann in der Bar weiter. VERA klimperte wieder auf dem Klavier und wir Gäste ließen uns die Reise noch mal durch den Kopf gehen. Ich war dann der Vorletzte, der ins Bett ging. (Die Letzte war Tatjana, die Bedienung).

Der neunte Tag
Nun hieß es „Schiff Ade“. Dazu gehörte die Begleichung der Rechnung, das Zurückfordern des Reisepasses, die Abgabe des Zimmerschlüssels und des Trinkgeldes in einem verschlossenen Umschlag sowie eines Bewertungsbogens – nur für das Schiff, bzw. das Personal. Ich konnte hier nur Höchstnoten geben. Ab 9.00 Uhr standen die Busse bereit. Wir wurden allerdings in neue Gruppen eingeteilt. Ab sofort war ich in Gruppe 5. Das war die Gruppe, die in Sankt Petersburg keine zusätzlichen Ausflüge gebucht hatte; knapp 40 Leute.

Der erste Eindruck vom Hafen aus war nicht so dolle. Hochhäuser wie in Moskau, Schnellstraßen und schlechte Luft. Das änderte sich allerdings schnell, je näher wir in die Innenstadt kamen. Da die Zimmer in unserem Hotel um diese frühe Zeit noch nicht belegt werden konnte, begannen wir direkt mit einer Stadtrundfahrt. Leider blieben wir fast nirgendwo stehen, denn was wir sahen, war schon sehenswert. Nicht umsonst nennt man St. Petersburg das „Venedig Russlands“. Die Stadt besteht aus rund 35 Inseln, die mit über 600 Brücken verbunden sind. Und im Gegensatz zu Venedig sind hier die Häuser nicht vergammelt und kurz vorm Zusammenbrechen, sondern aufwändig restauriert und picobello in Schuss. Und zwar JEDES Haus, ohne Ausnahme. Bei 5 Millionen Einwohnern kommen da ein paar Häuser zusammen. 

So schön sind hier fast alle Häuser.

Unsere neue Reiseleiterin war extrem schusselig. Vor der berühmten Eremitage, die wir natürlich zielstrebig ansteuerten, dauerte es fast eine Stunde, bis sie unsere Gruppe mit Kopfhörern versehen hatte. Ein Teil der Leute verschwand immer mal wieder auf der Toilette. Das ist eigentlich kein Problem. Aber vor dem Hintergrund, dass St. Petersburg täglich von mindestens 100.000 Touristen überfallen wird, von denen ganz sicher mindestens 10.000 in die Eremitage rennen, ist es schon nicht blöd, die Leute zusammenzuhalten. Da außerdem auf dem großen Platz vor dem Museum gerade sehr lautstark für eine Fernsehsendung geprobt wurde, die leider erst am Sonntag stattfinden sollte, gab es gar keine andere Möglichkeit, als sich über Funk zu unterhalten. Leider funktionierte die BlueTooth-Anlage nicht. Erst als ich der Reiseleiterin erklärte, dass sie den Stecker ihres Mikrofons in den Sender stecken müsste, waren endlich alle auf Empfang. Und so rannten wir dann durch eins der größten Museen dieser Welt. Ich sah Rembrandts, Michelangelos, Tizians – alle im Original. Wenn auch nur sekundenweise. Die rund 30.000 Quadratmeter des Museums mit seinen Hunderten von Ausstellungshallen beherbergt so viele Kunstwerke, dass man 11 Jahre bräuchte, um sie wenigstens alle einmal kurz angeschaut zu haben. Das hat irgendjemand ausgerechnet, der sich damit auskennt. Ich also nicht. Die Klimaanlage des Museums drehte im roten Bereich, ohne die Säle ausreichend abkühlen zu können. Bei inzwischen 26 Grad im Freien kam man sich in manchen Sälen wie in einer Sauna vor. Und wem hat St. Petersburg dieses Museum zu verdanken? Einer Deutschen! Katharina die Große heiratete damals einen gewissen Peter. Nach seinem Tod wurde sie selbst Zarin, ihre Tochter dann auch noch. Danach war aber Schluss mit den weiblichen Zarinnen; ab dann wurden wieder Herren ins höchste Amt gewählt. 

Noch so ein alter Kasten (Im Hintergrund…).

1703 wurde St. Petersburg gegründet. Sehr schnell war es die Hauptstadt Russlands. Moskau war es erst viel später. Wer jetzt von mir erwartet, dass ich in ein paar lockeren Zeilen die Geschichte Russlands erzähle, wird enttäuscht sein. Ich habe versucht, mich reinzulesen, aber es spielen einfach zu viele Personen mit. Und es gab zu viele Kriege. Ein paar tausend Seiten mit einschlägiger Literatur bringt den Leser sicher weiter als mein Versuch, das alles unter einen noch verständlichen Hut zu bringen.
Nach der Eremitage wurden wir wieder ins Hotel gefahren. Das bedeutete, dass für mich der Rest des Tages frei war, denn ich hatte keine abendliche Bootsreise gebucht. Ich dachte mir, nach 5 Tagen Schiffchen fahren hätte ich davon die Nase voll. Ich erkundete lieber zu Fuß die Gegend rund um das Hotel „Moskau“, in dem wir untergebracht waren. Das größte Hotel am Platz. Voll mit Deutschen und Chinesen, was sonst. Da rund um das Hotel nicht viel zu sehen war, legte ich mich ein bisschen hin. Um 18.00 Uhr wurden wir ja schon wieder zum Abendessen gerufen. Und das war dann doch ein Schock. Der Speisesaal ist in etwa so groß wie ein Fußballstadion. In der Mitte gibt es eine Bühne mit einer extrem hellen Videoleinwand, vor der ein russisches Orchester russische Volksmusik spielte. Leider sehr laut. Das wäre gerade noch durchgegangen, wenn nicht auch noch vier Mädels so alle 10 bis 15 Minuten auf die große Bühne gekommen wären und beim Ausüben irgendwelcher historischer Hoppsereien schrille Quietschlaute von sich gaben, die leicht mit Alarmsignal eines Feuermelders verwechselt werden könnten. An Unterhaltung war nicht zu denken. Zu allem Überfluss waren auch noch alle Chinesen zum Essen erschienen. Da wir keine festen Plätze hatten, mussten wir notgedrungen die chinesisch-deutsche Gastfreundschaft aufleben lassen. Wegen sprachlicher Inkompetenz auf beiden Seiten blieb es aber beim Versuch. Verständlicherweise gab es in diesem Speisesaal keine servierten Gerichte, sondern ein Buffett, das genauso langweilig schmeckte wie immer. Also ab ins Zimmer und den neuen Spiegel runter geladen. Dazu ZDF eingeschaltet. Das Bild begann zu flackern, setzte immer häufiger aus und verabschiedete sich dann ganz. Schuld war nicht das Programm, sondern ein plötzlich einsetzendes Unwetter, bei dem hektoliterweise Regen in die Stadt prasselte. Wie schön, dass ich auf die Bootsfahrt verzichtet hatte…

Der zehnte Tag
Dies sollte unser letzter Tag in dieser wirklich schönen Stadt sein. Der Regen hatte sich bis zum nächsten Morgen abgeregt, und so gab es keinen Hinderungsgrund, unsere letzte Stadtbesichtigung zu absolvieren. Unsere Gruppe war auf 22 Leute geschrumpft, weil ein größerer Teil nicht pünktlich zur Abfahrt da war. Diesmal hatten wir eine sehr pfiffige Reiseführerin, die ein ausgezeichnetes Deutsch sprach und sehr schön sarkastisch sein konnte. Im Grunde genommen fuhren wir dieselbe Strecke wie gestern ab; nur blieben wir diesmal überall stehen und konnten Fotos machen. Das Wetter war traumhaft schön und die Straßen mit Touristen übervölkert.

Mit dem Boot durch Petersburg. Gleich regnet´s!

Gegen Mittag wurden wir vor die Wahl gestellt, zurück ins Hotel gefahren zu werden oder auf eigene Faust weiter zu machen. Ich blieb natürlich in der Stadt. In einem Restaurant mit Tischen am Straßenrand bestellte ich gegrillten Lachs, der köstlich mundete. Rund 5 Kilometer lief ich danach vom Zentrum ausgehend zunächst in die falsche Richtung. Ich hatte das Hotel am anderen Ende der Straße vermutet. Da dem nicht so war, lief ich als die komplette Hauptstraße wieder zurück. Und da es so schön war, die Leute so nett und sich alles so harmonisch fügte, kaufte ich mir dann doch ein Ticket für eine Bootsfahrt. Und es war wie verhext: Nach zehn Minuten Bootsfahrt kippte das Wetter um und es begann zu nieseln. Zum Glück dauerte der leichte Regen nur ein paar Minuten – die Bootsfahrt aber 1,5 Stunden. Danach war es auch schon Zeit für das Hotel. Da der Abend ebenfalls programmfrei war, nutze ich nach dem Abendessen einen netten kleinen Sitzplatz in der Hotelbar mit Blick ins Freie, um diesen Blog zu Ende zu bringen. Zu Ende? Ja, das war’s! Am 11. Tag erfolgte nur noch der Rückflug nach Frankfurt. Und auch da hatte ich Glück, da „mein“ Flieger erst um 14.00 Uhr startete. Andere Gäste flogen schon sehr früh ab, teilweise um drei Uhr morgens. Manche mussten, um nach Düsseldorf zu kommen, über Moskau fliegen. Und auch die Leipziger mussten erst nach Frankfurt. Es ist doch schön, in so einer zentralen Stadt wie Frankfurt zu wohnen…

Und noch ein Selfie. Jetzt weiß ich ja endlich, wie das mit dem iPhone funktioniert. Leider waren das auch alle Fotos, die ich gemacht habe. Dafür gibt´s aber noch ca. 1,5 Std. Videomaterial in 4K-Auflösung. Sobald der Film geschnitten ist, füge ich hier einen Link ein. Videos kann man in diesem Programm zu meinem größten Bedauern nicht hochladen

Das Fazit.

Das Fazit ist diesmal ganz besonders schwer. Die Reise war perfekt organisiert – das muss man Trendtours lassen. Weniger gut waren die Ausflüge in Moskau durchdacht. Und die 5 Ausflüge vom Schiff aus waren auch nicht alle wirklich sinnvoll, aber es gibt da nun mal nichts anderes.

Für St. Petersburg hätte ich mir noch mindestens einen regulären Ausflug mehr gewünscht, weil wir sonst doch zu viel Freizeit hatten. Glücklicherweise lässt sich diese hier aber wunderbar totschlagen, sodass ich dieses Argument schon wieder zurückziehe.

Das Schiff hatte zwar sehr kleine Kabinen, war aber ansonsten absolut in Schuss. Das Personal und vor allem die Praktikanten-Studenten sorgten dafür, dass immer alles perfekt klappte. Diese ganzen Russisch-Kurse, die Tanzübungen oder was auch immer da gewurschtelt wurde, finde ich für mich persönlich unwichtig, aber sie könnten für andere Reisende sehr einladend wirken. Das Essen auf dem Schiff war so was von hervorragend, dass ich noch jahrelang davon schwärmen werde. Und trotz der vielen Mahlzeiten habe ich in Russland sogar ein halbes Kilo abgenommen!

Das Hotel in Moskau war ein hässlicher alter Bau mit viel zu vielen Zimmern. Das Hotel in St. Petersburg war ebenfalls das größte in der Stadt mit allen Nachteilen so eines Massenbetriebs. Zum Glück waren wir hier ja nur jeweils zwei Nächte.

Ich hatte ja schon geschrieben, dass ich mit einem nicht unerheblichen Teil meiner Mitreisenden fremdelte. Es ist halt nicht einfach, mit anderen Leuten auf einer Welle zu sein. Schon gar nicht, wenn die eigene Welle gegen den Strom schwimmt. Jeder hat seine Daseinsberechtigung und niemand zwingt mich, mit allen anderen gut Freund zu sein. Ich glaube, mit dieser Einstellung muss ich leben.
Um zu Schluss aber nun wirklich zur wichtigsten positiven Erfahrung zu kommen, die diesen Urlaub ohne wenn und aber lohnenswert gemacht hat, dann ist es der Kontakt zu der russischen Bevölkerung. Nun gut, wir hatten eigentlich nur Kontakt zu Russen, die in irgendeinem direkten Zusammenhang mit unserer Reise standen. Die „russische Seele“ zu ergründen, dürfte in einem so kurzen Zeitraum unmöglich sein. Sicher ist aber, dass niemand Angst vor „den Russen“ haben sollte. Sie sind ein wirklich sehr, sehr freundliches Volk, das nichts anderes als seinen Frieden will. Die Leute haben seit der Wende ein komplett anderes Leben kennengelernt. Wo früher alles in Grau und Schwarz/Weiß getaucht war, erstrahlen die Städte jetzt in farbenfrohem Glanz. Hier leben glückliche Menschen, die sich freuen, endlich auch ein wenig vom Wohlstand abbekommen zu haben. Hier will ganz sicher niemand in einen Krieg ziehen.

Inwieweit das für Politiker gilt, vermag ich nicht zu sagen.

Rainer Maria Ehrhardt
29. Juni 2019
info@rme.de

Indien – mieses Karma oder was?

NEU: Jetzt auch als Audio-Podcast!
Download unter

https://www.dropbox.com/s/t7rmgenk03iljar/Indien.mp3?dl=0

Und auch als Full-HD-Video (Ca. Eine Stunde und 20 Minuten Länge):
https://1drv.ms/v/s!Atl63EVwUq_mhsVcmRg0o1Mw5NHb6Q?e=4QZFg1

Indien
15.3. bis 28.3.2019

Ist das ein Traum!
Ich sitze hier in meinem Bungalow in Aymar, ca. 6 Stunden Zugfahrt südlich von Delhi, und genieße die Ruhe. Ein wunderschöner Bungalow auf einem wunderbar angelegten Landsitz bei angenehmen 28 Grad im Schatten. Eben war ich noch im Restaurant, um ein paar indische Köstlichkeiten zu mir zu nehmen. Chicken Curry, Reis, merkwürdige, aber leckere Salate und danach ein Vanilleeis mit heißer Schokoladensoße. Ja, es ging mir schon bedeutend schlechter.

Und lange sah es so aus, als hätte mein letztes Stündlein bereits geschlagen …
Wie konnte es nur dazu kommen? Wieso bin ich in Indien?

Es gibt eigentlich gar keinen Grund zum Grinsen.

Freitag, der 15.3.2019

8.00 Uhr morgens. Meine langjährige Freundin (und ehemalige Gattin) Eva war so lieb, mich zum Flughafen zu fahren. Mieses, regnerisches Wetter und ein paar Sturmböen zwangen Eva zu ruhiger, gelassener Fahrweise, was mir als übelsten Beifahrer aller Zeiten sehr entgegenkam. Im Terminal 2, bei Gulf Air, wartete schon eine kleine Schlange auf mich. Direkt vor mir eine Inderin mit zwei kleinen Kindern. Das Mädchen, etwa 6 Jahre alt, hüpfte zwar dauernd durch die Gegend, war aber ansonsten auszuhalten. Ihr kleiner Bruder, vielleicht zwei, war hingegen jetzt schon in seiner Rolle als Haustyrann eine perfekte Besetzung. Es verging keine Minute, in der dieser Schreihals nicht das Sicherheitspersonal in Wallung brachte. Und wie es kommen musste, saß dieses Monsterkind später im Flieger direkt eine Reihe schräg hinter mir. Schreiend. Brüllend. Krakelend. Die Mutter lächelte unentwegt verschämt, konnte ihn aber nicht zur Ruhe bringen. Selbst eine laute Beschwerde des Passagiers direkt vor ihm brachte keine Besserung. Das Einzige, was half, waren die bordeigenen Kopfhörer der A-320, die man einfach bis zum Anschlag aufdrehen musste, um das Schreikind wenigstens ein wenig in den Hintergrund zu drängen. Auf dem Flug bis Bahrein habe ich mir notgedrungen drei Hollywood-Schmonzetten reingezogen, um nicht zum Kindermörder zu werden.

Warum Bahrein? Ei, weil Golf Air nicht direkt bis nach Delhi fliegt, ganz einfach. Und Delhi war ja mein Ziel. Der wohlbekannte Reiseveranstalter „TrendTours“ hatte mir nämlich vor ca. neun Monaten einen schönen Prospekt geschickt, in dem man mir kundtat, so ziemlich ganz Indien in nur 14 Tagen kennen zu lernen. Dass Indien dann schon noch ein ganzes bisschen größer ist, und wir eigentlich nur einen kleinen, aber bedeutsamen Teil des Landes sehen sollten, wurde mir dann irgendwann auch klar. Wir sollten Delhi und den Bundesstaat Rajasthan erkunden. Selbiger ist so groß wie Deutschland und hat auch ziemlich genau 80 Millionen Einwohner.

Der Preis (1299.- Euro) klang sehr verlockend, auch wenn es dann mit den ganzen Zuschlägen für die beste Saison, mein Einzelzimmer und diverse zusätzliche Ausflugsprogramme dann doch rund 2500.- wurden.

Der Zwischenstopp im Königreich Bahrein – nach etwa sechs Stunden Flugzeit – war sehr nervig und dauerte geschlagene vier Stunden! Der Flughafen ist in etwa zehn Minuten komplett durchwandert. Es gibt zwar einen großen, neuen DutyFree-Bereich, der aber außer dem üblichen Luxusmarken-Gedöns zu überhöhten Preisen nichts wirklich Interessantes bietet. Einen roten BMW 8er hätte ich gewinnen können, wenn ich dem Model, das grinsend am Wagen stand, ein teures Los abgekauft hätte. Habe ich aber nicht, obwohl sie es mir sogar viermal mit immer denselben, auswendig hingeleierten Worten angeboten hatte. Erst als ich wahrheitsgemäß sagte, dass schon mal einen 8er besessen hätte und derzeit was Besseres fahre, ließ sie den Mund weit offen stehen und ignorierte mich für den Rest meiner Rumlauferei auf diesem Elendsflughafen. (Gut, mein 8er war gebraucht und hatte vor 25 Jahren nur 20.000 DM gekostet – und keine 240.000 Euro, wie diese Neuauflage mit Elektromotörchen, aber das musste sie ja nicht wissen.)
Ich hätte mich auch gleich in die darunter liegende Abflughalle begeben können, aber dem standen zwei Probleme im Weg: Erstens, es gab dort keine Klimaanlage, dafür aber viel dicke Luft und zweitens brachte dort ein gewisser indischer Zweijähriger mit seinen Schreianfällen Adrenalin in die Adern aller Passagiere.

Inzwischen hatte ich die Uhr zwei Stunden vorgestellt. Um 22:40 Ortszeit ging es dann endlich weiter nach Delhi. Mit einer A-321. Zuverlässiges Flugzeug. Die Inderin mit ihren beiden Problemkindern war NICHT an Bord – Juhu! (Vielleicht ist sie auch vom Sicherheitspersonal erschossen worden, keine Ahnung), aber dafür – und das ist wirklich wahr! – saß nun in der Reihe vor mir eine Mutter mit einem Säugling. Dreimal dürft Ihr raten, was die Lieblingsbeschäftigung dieses Balgs war! Also Kopfhörer auf den Schädel, Vollgas und noch irgendeinen, diesmal deutschen Film, geschaut. Die Hollywood-Schinken waren auf diesem Flug gesperrt, warum auch immer. Irgendwann hörte das Kind mal für eine gute Stunde auf mit seinem Stimmbandtraining, und ich konnte ein wenig schlafen.

Unser Kapitän hatte irgendwas genuschelt, das wir wegen des Pakistan-Konfliktes einen kleinen Umweg fliegen müssten. Die beiden ehemals zusammengehörenden Staaten Pakistan und Indien stehen ja bekanntlich noch immer im Kriegsverhältnis zueinander. Erst vor zwei Wochen gab es da wilde Scharmützel an der Grenze samt abgeschossenen Flugzeugen. Um diesem Schicksal zu entgehen, flogen wir also nicht direkt nach Delhi (und damit über Pakistan hinweg), sondern machten den Umweg bis nach Mumbai, das Älteren noch als Bombay bekannt sein dürfte. Dieser Umweg kostete immerhin 45 Minuten zusätzliche Flugzeit. Immer noch besser als abgeschossen zu werden. Da die Uhr inzwischen weitere 2,5 Stunden nach vorne gestellt werden musste, ist unser Flieger dann so gegen 5.00 Uhr morgens in Delhi angekommen. Ich freute mich auf unser Hotel, eine Dusche, frische Wäsche, ein schönes Frühstück und wenigstens ein paar Stunden Schlaf..

Leider kam aber alles anders.

Nach kilometerlangem Lauf durch die unendlichen Gänge des Flughafens in Delhi wartete natürlich erst einmal die Grenzschutzpolizei auf uns. Die Wartezeit bei jedem der etwa 20 Einreiseschalter lag bei 30 Minuten. Gut, wenn man da alle geforderten Dokumente parat hatte. Wer z.B. sein Einreisezettelchen nicht ordnungsgemäß ausgefüllt hatte, wurde freundlich, aber bestimmt wieder an den Anfang der Schlange verwiesen. Mich wollten sie auch erst wieder zurückweisen, weil ich im Feld „Adresse in Indien“ nichts eingetragen hatte. Mit Händen und Füßen erklärte ich dem Beamten, dass ich keine Ahnung hätte, wo ich wohnen würde, weil ich ja mit einer Reisegruppe angereist wäre. Ich zeigte ihm meine Reisebestätigung und konnte dann endlich nach Indien einreisen.

Die Reisegruppe bestand aus insgesamt 33 Reisenden aus ganz Deutschland. Mit Gulf-Air flogen 15 Leute, und mit einer türkischen Airline kamen die restlichen achtzehn etwa eine Stunde später. Bis die alle die Einreiseformalitäten hinter sich gebracht hatten, sammelten wir uns nach und nach vor dem Haupteingang des Flughafens. Unser Reiseleiter, der sich „Singh“ nannte, obwohl er ganz anders hieß (wie seine Visitenkarte später verriet), ein Hindu etwa Ende dreißig, hatte eine wirklich ausgesprochen gute deutsche Aussprache. Mit den Vokabeln und der Grammatik hatte er zwar ein paar größere Baustellen, aber im Wesentlichen konnte man ihn doch gut verstehen. Gelernt hatte er sein Deutsch in einem der sechs Goethe-Institute in Indien. Na also, geht doch!

Die Reisegruppe. Mhm, was soll ich da jetzt schreiben? Mein erster Eindruck war „Worauf hast Du Dich denn da wieder eingelassen?“ Kaum einer, der herausragte, interessant schien oder mir irgendwie imponiert hätte. Mit ein paar Ausnahmen alle mal wieder dicht am Rentenalter und weit drüber. Dialekte aus allen Teilen Deutschlands drangen an mein Ohr. Genauer gesagt war ich wohl der Einzige, der hochdeutsch sprach. Ich beschloss, mir ein Urteil erst gegen Ende der Reise zu erlauben. Zu oft stellt sich heraus, dass Äußerlichkeiten zu einer völlig falschen Beurteilung von Menschen führen. Danke Hollywood, danke Facebook, danke Instagram!

Tuk Tuks für alle

Das Thermometer zeigte übrigens gerade mal 12 Grad, als wir endlich in unseren Reisebus stiegen. Morgens um sieben.
Singh erklärte uns, dass es eine kleine Programmänderung gäbe. Oh wie ich dieses Wort hasse! Wir würden jetzt zwar ins Hotel fahren und dort frühstücken, dann aber gleich weiter zur Stadtbesichtigung schreiten, da die Zimmer frühestens ab 14.00 Uhr zugänglich wären. Eigentlich hätte ich mir das ja denken können, aber es stand nun mal anders im Programm.
Und so quälte sich der Bus an diesem Samstag frühmorgends durch eine nie schlafende Großstadt. Indien hat 1,4 Milliarden Einwohner, die vermutlich nichts anderes wollen als den Straßenverkehr zum Stillstand zu bringen. Auf den Schnellstraßen zwischen dem Flughafen und der Büro-Vorstadt ging es ja noch einigermaßen, aber kaum dass man sich dem Stadtkern näherte, hatte der Schallpegel infolge tausender hupender Inder einen gehörschädigenden Zustand erreicht – trotz geschlossener Fenster. Es gibt sowieso nur eine Regel im Straßenverkehr: Hupen und in die nächste Lücke fahren. Irgendeiner wird schon bremsen. Staunend betrachteten wir das Verkehrschaos, nicht wissend, dass dies nur ein Vorspiel war. Schlimmer geht immer.

So gegen halb neun trafen wir im Hotel ein. Fleißige Helfer, von denen es in Indien eine Unmenge gibt, brachten die Koffer in die Rezeption, wo sie auch brav stehen blieben. Wir hatten ja noch keine Zimmer. Dafür aber die Gelegenheit, ein durchaus brauchbares Frühstücksbuffet zu genießen. Nur den Wassermelonen-Saft sollten wir bitte schön besser nicht trinken, sagte uns Singh, der diese Indien-Rundfahrt ja schon viele Jahre für Trendtours mitmacht. Dies war übrigens die 71. Tour, wie er uns verriet. „Und daher sage ich, was gemacht wird. Es gibt keine Diskussionen. Ich weiß, was für uns alle am besten ist. Keine Widerrede.“ Nicht genau in diesen Worten, aber mit diesem festen Vorsatz ließ Singh jedwede Kritik im Keim ersticken.

So sah das Frühstück aus.

Nach dem Frühstück trollten wir uns also wieder in den Bus, nicht ohne zuvor etwaige Medikamente eingenommen zu haben, die noch im Koffer auf ihren Verbrauch warteten.

Delhi teilt sich den alten Teil, „Old Delhi“ und den neuen Teil, „New Delhi“. Ist ja naheliegend. Vom Hotel aus durchquerten wir einige schlimme Slums, bis wir dann in eine Vorstadt kamen, in der der gemeine Inder zu arbeiten pflegt. Er wohnt in Delhi und arbeitet in der Vorstadt – also genau andersrum als bei uns. Die im 10-Sekundentakt anrollenden U-Bahnen spuckten wahre Menschenmassen aus. Und das an einem Samstag.

Vom neuen Delhi kann ich nur Gutes berichten. Wunderbare, breite Alleen, bis zu sechsspurige Straßen, wunderschöne Häuser und Gärten. Kein Wunder, hier wohnt ja auch die Regierung. Wir durften an den ganzen Regierungsgebäuden leider nicht aussteigen, sondern nur ein paarmal drumrum fahren. Wer genug Geld hat, findet also in New Delhi durchaus das eine oder andere Schmuckstück als Behausung.

Das Grabmal von Mahathma Ghandi

Als nächsten Programmpunkt hatten wir das Ghandi-Mausoleum vorgesehen. Mahatma Ghandi ist in Indien gar nicht so der große Zampano, wie man es uns weis machen will. Laut Singh wird er nur von etwa einem Drittel der Inder anerkannt. Ghandi war ein Sohn reicher Eltern, der zum Studieren nach England durfte. Die Juristerei war nicht so sein Ding, so dass er irgendwann nach Afrika ging und sich mit Hungerstreiks zur Behebung eines sozialen Missstands hervor tat. Als er zurück nach Indien kam, eilte ihm wohl sein Ruf voraus, und so war er 1947 nicht nur an der Unabhängigkeit Indiens beteiligt, sondern hat auch die Teilung von Pakistan mit gut 200.000 Toten zu verantworten. 1948 wurde er ermordet. T-Shirts mit seinen bekanntesten Sprüchen findet man natürlich heute noch an jeder Straßenecke. Dann kam eine gewisse Frau Irinda Ghandi an die Reihe. Sie war zwar nicht im geringsten mit Mahatma (= der Selige) verwandt, hatte aber einen Herrn Ghandi geheiratet, der zufällig genauso hieß. Tatsächlich war sie die Tochter des damaligen ersten Präsidenten, Nehru, an dem Singh auch kein gutes Wort ließ. Sie wurde auch ermordet. Und deren Kinder sind inzwischen auch in der Politik angelangt. Wie das halt so ist unter Freunden… (Sie leben noch!)

Nun waren wir schon fast 4 Stunden unterwegs und hatten noch keine Moschee oder ein Minarett gesehen. Das sollte sich jetzt ändern. Und hier bin ich leider geistig ausgestiegen, weil ich mir beim besten Willen nicht merken will, wer da wem und warum irgendein Minarett gebaut hat. Auf demselben Gebäude gab es auch die älteste Moschee zu sehen, zumindest Teile davon. Dann blieb mir nur noch im Gedächtnis, dass sich 12500 Frauen nach einem Krieg für ihre gefallenen Männer geopfert haben, indem sie in ein riesiges Feuer gesprungen sind. Dieser Unsinn soll sich sogar noch zweimal wiederholt haben, allerdings mit weniger spektakulären Opferzahlen. Das eine Mal waren es „nur“ noch 6500, und zum Schluss gab es nur noch 1200 Freiwillige, die auf diese grausame Weise den Freitod suchten. Warum? Die Alternative wäre gewesen, von den Eroberern vergewaltigt zu werden, was schon damals keinen guten Ruf hatte. Was mit den ganzen Kindern passiert ist, die es ja wohl auch gegeben haben muss, ist nicht überliefert.
Apropos Vergewaltigung: Entgegen anderer Mutmaßungen steht Indien laut einer Statistik, die Singh anführte, erst an 66. Stelle. Deutschland ist auf Platz 22, und die USA auf Platz vier. Den „Sieger“ dieser Statistik hat er uns nicht verraten.

Also schnell Schwamm drüber und in die Altstadt von Delhi. Für 100 Meter Strecke brauchte der Bus etwa 20 Minuten. Uns stand eine ganz besondere Überraschung bevor: Eine Fahrt mit der Rikscha. Das sind muskelbetriebene Fahrräder mit einem Sitz und einem Dach darüber. Die Fahrräder haben keinerlei Getriebe oder etwa Luftreifen. Nein, Hartgummi ist für den blöden Touristen genau das Richtige, um ihn von seinem hohen Ross zu stoßen. „Mein Fahrer“ hatte noch Glück, dass er mich alleine chauffieren durfte.  Die anderen Rikschas waren durchweg mit zwei Personen besetzt, von denen so einige deutlich über 100 Kilo wogen. Statt nun auf einer geraden, übersichtlichen Straße zu bleiben, radelte der muskulöse Fahrer mitten in die Altstadt hinein. Teilweise waren die Straßen nur einen Meter fünfzig breit. Links und rechts lagen die Waren der vielen Geschäfte auf der Straße und begrenzten den vorhandenen Platz noch mehr. Auch das wäre noch auszuhalten gewesen, wenn in dieser Altstadt eine Einbahnstraßenregelung vorhanden wäre. Nein, Rikschas, Tuk Tuks, Motorräder und sogar Autos teilten sich den knappen Platz in beide Richtungen. Immer wieder mussten wir zurücksetzen, weil irgendein Mopedfahrer in die Lücke geschossen kam.

Ich selbst konnte mich nur mit beiden Händen am Gestänge festhalten, bis mir die Gelenke schmerzten. Außerdem war ich mit meinen gerade mal 1,76 m viel zu groß für das Gefährt. Bei jedem Schlagloch – und davon gab es Unzählige – knallte ich mit der Birne ans Gestänge. Die Fahrt dauerte unglaubliche 40 Minuten! Sobald ich mir sicher war, dass wir wieder in der Ausgangsstraße angekommen waren, habe ich mich mit 100 Rupien aus dem Gefährt gekauft.
Auf Facebook gibt es übrigens ein kleines Video über die Fahrt. Man kann sich denken, welche panische Angst ich hatte, dass mir das iPhone runterfallen oder von bösen Buben geklaut werden könnte.

Danach haben wir noch irgendein altes Denkmal besichtigt, dessen Namen und Zweck ich leider nicht notiert hatte. Denn eigentlich waren wir alle fix und fertig. Am Vortag morgens um sieben bin ich aufgestanden, um die halbe Welt geflogen, alte und neue Gemäuer bestaunt und Rikscha gefahren. Es wurde nach nunmehr etwa 31 Stunden Zeit, mal die Heia aufzusuchen. Aber auch hier hatte der Veranstalter eine neuartige Variante bereit. Wir sollten also mit unserem Koffer ins Zimmer gehen, uns dort frisch machen und dann den Koffer wieder runterbringen. Häh? Ja , denn der nächste Besichtigungstag begann mit einer sechsstündigen Zugfahrt. Und da dieser Zug nur genau zwei Minuten halten würde, kämen wir 33 Passagiere mit 33 Koffern überhaupt nicht schnell genug in den Zug. Also wurden alle Koffer noch vor dem Abendessen abgeholt und mit unserem Bus in den Zielort gefahren. Gut, wer da noch eine kleine Handtasche mit sich führte, um  sich morgens wenigstens die Zähne putzen oder rasieren zu können. Auf eine Diskussion ließ sich Singh selbstverständlich nicht ein. „Wir haben das schon oft gemacht – es ist die einzig mögliche Lösung. Es wird gemacht, was ich sage. Basta.“ Manchmal hatte er was von unserem Ex-Bundeskanzler.

Und so lief es denn auch. Kurz geduscht, umgezogen und den Koffer wieder abgegeben. Dann zum Abendbuffet den aufkommenden Hunger befriedigt. Ich war so blöd, mir zwei 0,1-Gläser Weißwein aus Australien zu bestellen. Umgerechnet 21.- Euro kostete dieser Spaß. Und dabei schmeckte er noch nicht einmal. Der indische Wein, den Mitreisende getrunken hatten, schmeckte wohl viel besser. War aber genau so teuer …

Tag drei

Wecken um 5:10 Uhr, Fahrt zum Bahnhof (mit einem anderen Bus als bisher) um 6:15 Uhr. Der Zug kam dann viertel vor sieben. Wir hatten natürlich personalisierte Plätze (so wie wir auch in unserem Bus an jedem Tag die Plätze wechseln mussten, um sich besser kennen zu lernen…)

Am Bahnhof herrscht wildes Treiben.

Das Hotel hatte uns ein Frühstückspaket mitgegeben, bestehend aus einem Sandwich, zwei Eiern und zwei Bananen. Das hätten die sich auch sparen können, weil im Zug ebenfalls ein Frühstück verteilt wurde. Kostenlos, versteht sich. Ich saß an einem Sechsertisch mit recht lustigen Reisegenossen. Solange man es vermied, die Toilette zu benutzen, war alles auch recht ordentlich. Das Ziel der Reise war die Stadt Aymar. Leider war unser Bus nicht am Bahnhof geparkt, so dass wir diesmal mit diesen kleinen, entsetzlichen Tuk Tuks zum Parkplatz gefahren wurden. Wenn die Rikscha-Fahrt schon extrem gefährlich war, war dieser Höllenritt noch um einige Klassen gefährlicher. Die Dinger fahren locker 50, 60 Sachen. Es gibt in Indien immer Gegenverkehr. Egal, ob Busse, LKW oder einfach nur Motorräder. Jeder nutzt die einzige Regel, die er hier für den Straßenverkehr gibt: So schnell wie möglich in jede sich auftuende Lücke reinfahren. Der Andere wird schon aufpassen. Außerdem wird natürlich gehupt. Nur tote Inder hupen nicht. Als besondere Herausforderung gilt dabei auch, keine der überall rumstehenden Kühe oder Ochsen umzufahren. Ja, es ist wirklich so. Überall laufen Kühe rum. Selbst mitten in Delhi. Irgendwie gewöhnt man sich schnell dran und schaut gar nicht mehr hin.

Wir haben die Fahrt überlebt (die bei einem Frontalzusammenstoß sicher tödlich gewesen wäre) und unseren Bus bestiegen. Nach vierzig Minuten Fahrzeit kamen wir an unserem neuen Domizil an. Ein unglaublich schönes Resort! Bungalow mit Klimaanlage, Fernseher und tollem Ausblick. Nach dem Mittagessen durften wir uns sogar das erste Mal ein wenig ausruhen! Zwar nur bis 16.00 Uhr, aber immerhin. Der Bus holte uns dann zu einer Stadtbesichtigung von Aymar ab. Früher war das wohl mal eine Hippie-Hochburg, aber heute erlaubt die Regierung keinen Aufenthalt, der über 4 Wochen hinausgeht. So ist die Hippie-Kommune inzwischen deutlich reduziert, obwohl immer noch Dutzende Lebenskünstler aus aller Herren Länder durch die Straßen schlurfen und Drogen konsumieren.
Berühmt ist Aymar für seinen heiligen See. Eine dreckige Pfütze, in der sich die Gläubigen baden dürfen. Rings um den See stehen allerdings wunderbare Paläste. Sie gehörten früher den indischen Königen, von denen es wohl reichlich viele gab. Manch Königreich war kleiner als Bad Homburg, um mal ´ne Hausnummer zu nennen. Es gab aber auch Riesenreiche, die etwa ein Drittel Rajasthans ausmachten. 1947 war Schluss mit lustig. Mit der Einführung der Demokratie hatten die Könige abzudanken. Sie mussten sich also überlegen, wie sie nun statt Steuern einzutreiben ohne Arbeit zu Geld kommen konnten. Daher haben viele ehemalige Königsfamilien ihre ganzen Paläste, die ja damals den ganzen Prunk Indiens ausmachten, in Hotels umgewandelt. Und aus den Königen wurden Maharadschas.
Die Stadt Aymar selbst ist ein einziger Basar. Dutzende von Straßen sind links und rechts mit Geschäften der üblichen Art vollgemüllt. T-Shirts, „Gold“, Schuhe, Kinderspielzeug und so weiter und so fort. Das hat man alles schon hundert mal gesehen, und auch diesmal wollte sich bei mir kein Kaufimpuls einstellen. Die ständig um uns herum kreisenden Mopeds machten den Besuch dieses Viertels auch zusätzlich hochgefährlich. Denn trotz des offiziellen Linksverkehrs fuhren die jungen Burschen natürlich wie sie gerade Lust hatten. Zwischendurch kamen ein paar Kamele durch die Straße, Rinder, Kühe, Büffel und Schweine mit ihrem Nachwuchs. Wahrhaft freilaufend! Nach 40 anstrengenden Minuten traf sich die Truppe vor einem Café wieder, wo uns Singh einen solchen ausgab. Er war pappsüß, hatte eine Milchhaut und schmeckte mir gar nicht. Also der Kaffee, nicht Singh.

Dann durften wir wieder in unserer traumhaftes Resort zurückkehren. Noch ein paar Minuten abgeruht, dann war schon wieder Zeit für das Abendessen. Diesmal habe ich zwei (kleine) indische Weine getrunken, die hier – genau wie das Bier – ebenfalls sehr teuer waren. Nach dem Essen habe ich endlich Zeit gefunden, den Laptop auszupacken und an diesem Block zu schreiben. Um halb zehn bin ich dann ins Bett. Leider verlief die Nacht ganz anders als ich mir das vorgestellt hatte.

Und so muss ich den ersten Satz dieses Reiseberichts leider abändern.

Aus „Ist das ein Traum“ wird nun „Ist das ein Alptraum!!!“

Es stellte sich heraus, dass in unmittelbarer Nähe unserer Idylle ein Club sein Geschäft geöffnet hatte. Und so knallten in wahnsinniger Lautstärke indische Techno-Hits durch die Nacht. Kennt man einen, kennt man alle. Der Versuch, einzuschlafen, war nicht von Erfolg gekrönt. Endlich – so gegen halb elf, hörte der Lärm auf. Aber nur, um einem ganz anderen Lärm Platz zu machen. Unzählige Hunde hatten sich wohl zu ihrem abendlichen Plausch verabredet und bellend die Neuigkeiten des Tages ausgetauscht. Das ging ungelogen bis halb zwei!

Dann bin ich endlich eingeschlafen. 

Aber nur kurz. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich mich. Irgendetwas in einem Bauch rumorte da rum. Die Schmerzen wurden stärker, aber auch ein Toilettenbesuch änderte nichts daran. Mühsam versuchte ich, das Grimmen auszuhalten, aber es wurde immer schlimmer. Und so kam es, wie es kommen musste: Ein Brechreiz jagte den nächsten, und eine große Menge der heute gegessenen indischen Köstlichkeiten verließen meinen Magen auf dem Weg, auf dem sie hineingekommen waren. Das ganze verteilte sich auf etwa fünf Stunden und wurde dann schließlich mit einem veritablen Durchfall abgeschlossen. Mir war zwar immer noch schlecht, aber ich hatte das Gefühl, dass mir jetzt nicht mehr viel passieren kann. Und während ich versuchte, endlich einzuschlafen, klingelte der Wecker…

Der vierte Tag

Um acht Uhr musste mein gepackter Koffer vor der Türe stehen. Wie in Trance packte ich alles zusammen, vergaß dabei mein mitgebrachtes Shampoo und das Duschgel im Bad und kam als letzter in den Speisesaal. An Essen war natürlich nicht zu denken. Immerhin mümmelte ich ein trockenes Toastbrot vor mich hin und verspeiste eine Banane. Dazu eine Tasse Tee. Das war’s.
Zum Glück war unser heutiges Pensum sehr übersichtlich: Acht Stunden Busfahrt inkl. Tempelbesichtigung, Mittagessen (Pfui Teufel!) und Abendmahl. (Danke nein!)
Während ansonsten alle Mitreisenden bester Laune waren, weil sie sich offenbar mit dem indischen Teufelszeug besser auskennen als ich, saß ich still und alleine in Reihe zwei des Busses, der geforderten Sitzplatz-Rotation folgend, und versuchte, nicht auszutrocknen. Ich trank Unmengen Wasser und versuchte vor allem, wenigstens ein bisschen Schlaf nachzuholen. Da wir auf einer sechsspurigen Autobahn fuhren, war das sogar relativ problemlos möglich. Ja, auch hier liefen natürlich Kühe auf der Autobahn rum. Und Büffel. Und Ochsen. Und das ganze andere Viech, das hier ein ideales Leben hat. Warum Kühe in Indien heilig sind, muss ich noch herausfinden. Es hat sicher was mit Göttern zu tun.
Denn davon gibt es hier eine ganze Menge, wenn nicht sogar eine Unmenge. Rund 80% der Inder sind Hindus, etwa 17% Moslems (wobei deren Anteil derzeit sprunghaft steigt) und immerhin 0,2%, also knapp drei Millionen Einwohner sind Christen. Etwa genauso viele Atheisten soll es geben.

Der Hinduismus ist die einzige Religion, für die es keine überlieferte „Handlungsanweisung“ gibt, also z.B. kein Testament oder den Koran. Es gibt auch keinen Gründer wie beispielsweise Mohammed oder von mir aus Jesus. Sie beruht einfach nur auf dem Gedanken, möglichst immer das Richtige zu machen. Dazu hat man ein paar Götter eingeführt, die aber alle ein einziges abstraktes, übernatürliches Wesen symbolisieren. Man glaubt an die Re-Inkarnation, an ein „absolutes Sein“, das sich in vielerlei Gestalten äußert und an den Glauben von Ursache und Wirkung. Man muss in seinem Leben dem richtigen Weg folgen, um vom ewigen Kreislauf von Geburt und Tod befreit zu werden.

Ja, da raucht einem schon die Birne.
Der Obergott heißt „Brahma“. Er ist der Gott der Weisheit und hat angeblich die vier Bücher der Weisheit direkt von Buddha bekommen. In Abbildungen hat er vier Köpfe, rote Haut und trägt weiße Kleidung. Er reitet auf einer Gans, hat vier Arme, mit denen er die Bücher, einen Zepter, einen Wasserkrug und ein Perlekettsche trägt. Manchmal statt der Perlen auch einen Bogen oder einen Löffel.
Es wird noch irrer.
Brahma brachte aus seinem eigenen Fleisch eine Partnerin hervor, die unter dem Namen Saraswati firmiert und sowohl sein Tochter als auch seine Ehefrau ist. So weit so logisch.
Mit ihr zusammen gebahr er die menschliche Rasse. Saraswati ist die Göttin der Weisheit und des Lernens.

Damit nicht genug. Die nächste Gottheit heißt „Vishnu“ und ist für Rechtschaffenheit, Wahrheit und Bewahrung des Lebens zuständig. Vishnu wurde inzwischen zehn mal wiedergeboren. Ihre elfte Re-Inkarnation steht angeblich kurz bevor.
Dann gibt es noch den bösen „Shiva“, den Gott des Todes und des Zerfalls. Sein Schrein wird in den Tempeln immer getrennt von den anderen Göttern aufgestellt. Und damit das alles nicht zu einfach wird, ist Shiva auch noch der Gott der Yogis, selbstkontrolliert und zölibatär, und trotzdem gleichzeitig der Liebhaber seiner Lebensgefährtin Shakti. Shiva ist also der Zerstörer der Welt, die Brahma erschaffen und Vishnu bewahrt hat. Shiva ist nicht nur für Tod und Zerstörung verantwortlich, sondern auch – im positiven Sinn – für die Zerstörung des Egos, das Loslassen von alten Gewohnheiten und Bindungen. In der Zerstörung wird nicht wirklich etwas zerstört, sie macht den Weg frei für eine neue Schöpfung, für neue Entfaltungsmöglichkeiten der Schönheit und des „Dramas universeller Illusionen“.

Und damit lasse ich es mal gut sein. Die Liste der weiteren wichtigen Götter ist noch ellenlang. da gibt es z.B. den blauäugigen „Krishna“, „Ganesha“ in Elefantengestalt und den Liebling „Rama“, der nichts mit Margarine am Hut hat. Wer sich für den Hinduismus interessiert, sollte viel Zeit und Geduld mitbringen. Im Grunde genommen ist der Hinduismus auch nichts anderes, als ein Ansinnen der Mächtigen, den einfachen, dummen Menschen soviel Angst wie nötig zu machen, damit sie sich nicht daneben benehmen. Denn wer das tut, hat „schlechtes Karma“ und muss nach seinem Tod noch einmal von vorne antreten. Wer sehr böse ist, kommt dann schon mal in den Slums zur Welt.

Was ich von Religionen halte, habe ich in früheren Reiseblogs ja schon das eine oder andere Mal anklingen lassen. Daran hat sich nichts geändert – im Gegenteil. Religion dient nur dazu, den Menschen zu unterdrücken, Hass zu verbreiten und im Namen irgendeines Gottes andere Menschen zu töten.

Dennoch schauen wir uns natürlich auf unseren Reisen immer wieder an, was die Religion so alles an erstaunlichen Bauwerken zustande gebracht hat. Denn war die Not auch noch so groß – für einen Tempelbau war immer noch was übrig.

Noch vor der Mittagspause führte uns Singh zu einem etwas unbekannteren Tempel, dessen Besuch auch nicht im Programm stand. Er war auf jeden Fall irgendeinem der oben genannten Götter gewidmet und von außen sehr hübsch mit unzähligen Figuren verziert. Muslimische Barbaren (O-Ton Singh) hatten zwar die Gesichter der Steinfiguren zerstört, aber es war auch so noch ganz ordentlich was übrig. Der Tempel war nicht mehr in Betrieb, so dass man diesmal die Schuhe anbehalten durfte. (Warum es bei Tempeln, in denen noch gebetet wird, anders gehandhabt wird, erschließt sich mir auch nicht. Das Ausziehen der Schuhe bewirkt doch nur, dass der Straßendeck draußen bleibt. Und das täte doch auch den nicht mehr genutzten Tempeln gut…)

Egal, wir fuhren weiter. Das Mittagessen habe ich immer noch nicht anrühren können. Nichts gegessen, aber mein Bauch drohte langsam zu platzen. Zuviel Wasser ist wohl auch nicht gesund.

So gegen 16.00 Uhr kamen wir an unserer nächsten Destination an. Wieder ein wunderbarer Landsitz mit einem prächtig ausgestatteten Park. Die zweistöckigen Bungalows stammten zwar aus den 60er-Jahren, waren aber sehr geschmackvoll eingerichtet. Das Bad war größer als die Kinderzimmer meiner Söhne.
Kaum, dass ich mal kurz probeweise auf dem Bett lag, fielen mir die Augen zu und öffneten sich erst um 19:45 Uhr wieder. Ich hatte mich keinen Millimeter bewegt, so fertig war ich. Das Abendessen war schon fast beendet, als ich in den Speisesaal kam. Auch jetzt wieder nur ein Stückchen Fladenbrot gekaut und Tee getrunken.
Danach ging es mir wieder einigermaßen gut. Ich setzte mich noch ein, zwei Stündchen auf meine Terrasse mit dem traumhaften Blick auf den Park und schrieb an diesem Blog weiter. Gegen zehn ins Bett, noch ein bisschen gelesen und mich gefreut, dass ich mein Magen-Darm-Problem offenbar ohne bleibende Schäden überstanden hatte.
Dass unser Hotel direkt an einer Bahnlinie lag, war dann schon gar nicht mehr so schlimm. Statt bellender Hunde gab es hier eben lang tutende Züge. Man gewöhnt sich an alles. (Dafür gibt’s bestimmt auch einen Gott).

Der fünfte Tag

Ich hatte doch glatt vergessen, meinen Wecker zu stellen und wachte daher erst um viertel nach sieben auf. Gut, die Tour begann erst um halb neun, und es waren auch keine Koffer zu packen, da wir in diesem traumhaften Resort noch eine weitere Nacht verbringen würden. Aber ich war so trödelig beim Aufstehen, dass ich fast nichts mehr zum Frühstück bekommen hätte. Da ich aber ohnehin mit einer Scheibe Toastbrot und einem Tee zufrieden gestellt war, war das kein Problem.
Das Problem war ein Anderes: mein Kreislauf. Leider wurde mir ständig schwarz vor Augen. Und als wir dann in Udaipur ausstiegen, um uns einen weiteren Tempel anzutun (nämlich den Jagdish-Tempel), musste ich leider streiken. Zu viele Stufen, zu viel Sonne. (Außerdem wollte ich nicht schon wieder mein Schuhe ausziehen.)
Direkt danach ging es zum Stadtpalast, dem größten Palast Indiens innerhalb einer Stadt. OK, der war ordentlich groß und sehr imposant. Auch hier habe ich die Führung ins Innere des Palastes sausen lassen müssen, weil es keinen guten Eindruck gemacht hätte, wenn ich einfach so umgekippt wäre. Das Thermometer in meiner Apfeluhr zeigte übrigens 33 Grad an. Eigentlich eine angenehme, weil trockene Hitze, aber für Leute mit Kreislaufproblemen nicht geeignet. Zusammen mit vier anderen Abtrünnigen wartete ich brav in einem Café. Erst als mir die Idee kam, es mal mit einer Cola zu versuchen, ging es mit meinem Kreislauf wieder etwas aufwärts. Unsere ältesten Mitreisenden (Sie: 79, Er: mindestens 84), die die gut neunzigminütige Tortur durch die vielen Treppen und Räume des Stadtschlosses auch nicht durchgestanden hätten, gesellten sich zu mir und erzählten von ihren unzähligen Reisen in die ganze Welt. Überhaupt war hier jeder aus dieser Reisegruppe in gefühlt fünf mal mehr Ländern als ich, aber das ist eine andere Geschichte. Die beiden waren wirklich nicht mehr sonderlich fest auf den Beinen, und bei Ihr war auch das Oberstübchen schon ein wenig an Demenz erkrankt. Nett waren sie allemal, und die Geschichten, meist von ihm in breitem Berliner Dialekt vorgetragen (und von ihr natürlich ständig kommentiert oder korrigiert), waren sehr unterhaltsam. Noch wusste keiner von Beiden, was bald auf sie zukommen würde …

Herrliche Parks

Nach dem Besuch des Stadtschlosses ging es zu Fuß weiter an den angrenzenden Pichola-See, auf dem schon die kleinen Motorboote auf ihre Beute warteten. Wir passten nicht alle in ein Boot, und so dauerte es schon ziemlich lange, bis die ganze Truppe auf einer Insel inmitten des Sees abgesetzt wurde. Neben mir saß eine junge Amerikanerin, die mich gleich in ein Gespräch verwickelte. Sie war tatsächlich alleine hier und hatte einen persönlichen Tourguide dabei, der natürlich stehen musste. Vornehm geht die Welt zu Grunde. Auf der Insel auch wieder traumhafte Gärten, teure Gastronomie und viele hübsche Kunstwerke. Die Insel wird gerne für Hochzeiten vermietet. Bei so einer Feier soll Beyonce hier neulich mal rumgetanzt haben. Ich dachte, dass wir hier unser Mittagessen bekommen, aber das war für TrendTours wohl eine Nummer zu teuer. Nach einer halben Stunde Aufenthalt tuckerten wir wieder an Land und wurden in irgendein Restaurant im Stadtinneren gefahren, in dem wir im Garten des Hauses unter einem Zelt wie üblich bespeist wurden. Dank meines wiedererstarkten Kreislaufs wagte ich erneut ein Bier, konnte es aber nicht einmal zur Hälfte austrinken. Das Essen ging auch immer noch nicht an mich. (Aus mir raus ging es immer noch ruck-zuck, falls das jemanden interessiert).

Ein Mann im Frauenbadehaus. Wenn das mal gut geht …

Blieb noch der Frauengarten samt des dazugehörenden Badehauses. Wir Männer durften auch rein, weil heutzutage da gar keine Frauen mehr baden. Viel interessanter war hier die Gartenarchitektur mit den tollen Beeten, den vielen kleinen Springbrunnen und den großzügigen Wiesen. Vorm Eingang lungerten die üblichen Horden der fliegenden Händler, die beinahe eine unserer Mitreisenden um viel Geld gebracht hätten. Für eine Kokosnuss bezahlte sie 500 Rupien statt 50, also 6 Euro statt 60 Cent. Als Singh das mitbekommen hatte, ging er mit ihr zu der Verkäuferin und forderte das Geld zurück. Sie gab es ihm, ohne zu murren. Mit so einem schlechten Karma würde sie sonst wohl das nächste Mal als Ratte auf die Welt kommen.

Für uns war das Ausflugsprogramm für diesen Tag beendet. Singh verabschiedete sich um 16.00 Uhr, um sich Frau und Kind zu widmen (denn er kommt aus dieser Stadt), und der Bus setzte uns wenig später erneut in unserem großartigen Luxus-Landhotel ab.
Essen, trinken & Schreiben/Lesen as usual. Danach noch ein bisschen ums Geld-Verdienen gekümmert. Muss ja auch sein. Gegen Mitternacht ins Bett, ohne diesmal von hupenden Güterzügen aus dem Schlaf gerissen zu werden.

Der sechste Tag

Ein Tag, der zumindest für zwei Mitglieder unserer Gruppe so schnell nicht in Vergessenheit geraten dürfte.
Nach dem – für mich inzwischen selbstverständlichen spartanischen Frühstück (Scheibe Toast, Tasse Tee) brachte uns der Bus nach einer längeren Fahrt zum Jain-Tempel von Ranakpur. Beim Namen „Jain“ klingelt es vielleicht ein bisschen. Deutsche Bank-Anleger dürften bei dem Namen Pickel bekommen. Die „Jains“ sind die reichsten Inder der Welt. Allein schon deswegen sind sie hochangesehen, was ja an sich ein Widerspruch in sich ist. Der prächtige Jain-Tempel wurde bereits im 15. Jahrhundert von einem Mitglied der Dynastie – nach einer „göttlichen Erleuchtung“ errichtet. Auch hier mussten wir wieder Schuhe ausziehen, die Hosen bis über die Knie tragen und durften kein Leder mit hineinnehmen. Die Jains trinken kein Alkohol und sind Veganer, vermehren sich anscheinend trotzdem. Bis zur Öffnung der Kassen um zwölf mussten wir noch zwanzig Minuten warten, die wir mit einem Spaziergang durch die Umgebung des Tempels ausfüllen sollten. Endlich ging es los. Der Tempel soll ja sa-gen-haft schön sein. Widerwillig trennte ich mich von meinen Schuhen, bezahlte die 100 Rupien für die Fotografier-Erlaubnis und stellte mich am Eingang an. Leider ließ mich so eine höchstens 18-jährige Türstehern mit dem Tonfall einer Gefängnisaufseherin nicht rein, weil meine Hosen angeblich zu kurz wären. Sie gingen deutlich übers Knie, aber wohl nicht deutlich genug. Ich hätte mir für weitere 100 Rupien eine Leihhose drüber ziehen können, aber dazu war ich nicht bereit. Ich dachte mir „Steckt Euch doch Euren Tempel sonst wohin und lasst mir meine Ruhe“, verließ den Eingang, zog meine Schuhe wieder an, gab Singh das Foto-Ticket wieder und schmollte.
Plötzlich große Aufregung. „Da ist jemand gestürzt!“, riefen die Leute durcheinander. Und tatsächlich: Am Seiteneingang des Geländes war unsere 79-jährige, wackelige Reiseweltmeisterin auf einem Sandweg ins Rutschen geraten und auf die rechte Hüfte geknallt. Da lag sie nun und konnte das rechte Bein nicht mehr bewegen. An Aufstehen war sowieso nicht zu denken. Außer den üblichen Gaffern gab es auch Helfer, die versuchten herauszufinden, wie schwer die Verletzung war. Gemeinsam trugen wir sie dann auf einen Stuhl, wo sie weiterhin über große Schmerzen im Hüftbereich jammerte. Ein zufällig anwesender Arzt einer anderen Reisegruppe unternahm eine erste Inspektion der Gestürzten. „Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Sie anfasse? Ich bin Arzt“, fragte er. (Den Spruch muss ich mir merken). Nach ein paar Gelenktests diagnostizierte er eine Prellung der Hüfte. Soweit waren wir auch schon, aber dazu passte nicht, dass der rechte Fuß völlig unnatürlich nach rechts verschoben war.
Inzwischen hatte das Personal einen Rollstuhl aus dem ersten Weltkrieg aufgetrieben, in den sie nun gehievt wurde. Das kaputte Bein konnte sie inzwischen wieder ein bisschen bewegen. Ihr Mann war daher der Meinung, dass man erstmal mit ein paar Schmerztabletten zur Überbrückung warten solle, ob da noch was Schlimmeres passiert sei. Ich tippte auf Ausrenkung des Oberschenkels aus der Hüftpfanne, lag aber damit genauso falsch wie der Doktor, der gerne mal anpackt. Inzwischen war auch unser Tourleiter wieder bei uns. Die Frau wurde in den Bus gesetzt und sollte bei Ankunft desselben in Jodphur dort in ein Krankenhaus gebracht werden. Die Fahrt dorthin dauerte – mit den üblichen Unterbrechungen für Essen, Rauchpausen und Toilettengängen – noch über vier Stunden. Tapfer hielt sie durch, vielleicht auch längst vergessen habend, was ihr passiert war. Wir erfuhren erst am nächsten Morgen, was die Ärzte feststellten. Keine gute Nachrichten für Beide. Davon gleich mehr.

Denn mit dem Erreichen der Stadt Jodphur waren wir ja auch in unserem nächsten Hotel angekommen.

Wie in der Kantine.

Und das war leider ein Fehlgriff des Veranstalters – zumindest, wenn man dieses Hotel mit den bisher besuchten Edelherbergen vergleicht. Die Zimmer waren sehr klein, hatten aber sage und schreibe achtzehn (!) Lichtschalter! Alleine, um herauszufinden, welche der ganzen Schalter z.B. für einen nächtlichen Toilettengang vonnöten sind, um nicht auf die Fresse zu fliegen, dauerte seine Zeit. Außerdem wurde in unserer Etage wohl erst kürzlich neu gestrichen. Es roch wie in einem Farbeimer. Die Fenster ließen sich nicht öffnen, die Bedienungsanleitung der Klimaanlage könnte Lämmer zu Wölfen machen, und an den erwähnten Schaltern klebte Fliegenkot und ähnlich widriger Dreck. Die Trennscheibe zwischen Bad und Dusche war im unteren Bereich kaum noch durchsichtig, und vor der Türe standen (bis zum nächsten Morgen!) Teller mit Essensresten.
Ach ja, Essen musste man in dritten Stock, in einer besseren Kantine. Der bestellte Wein war nicht nur teuer, sondern warm und nahezu ungenießbar. Schnell wieder ins winzige Zimmer und am Blog weitergeschrieben. Des Nachts die üblichen Rumpeleien im Margen-Darm-Trakt. Gut, dass ich mir die Lichttasten gemerkt hatte, durch die ein peinliches Desaster verhindert wurde. Es wird also nicht besser.

Der siebte Tag

Kurz nach dem Frühstück erhielten wir die Nachricht, dass sich unsere alte Dame den Oberschenkelhalsknochen gebrochen hatte. Das bedeutete: Operation, 5 Tage Aufenthalt, Heimflug.
Wir werden sie und Ihren Mann vermutlich auf dieser Reise nicht mehr sehen.

Für die verbliebenen 31 Reisenden ging es zunächst mal zum Einkaufsbummel. Genauer gesagt, in ein angebliches Großhandelsgeschäft, bei dem es die besten Preise und natürlich die beste Qualität zu kaufen gäbe. Singh hörte gar nicht auf, von dem Laden zu schwärmen, den wir nach kurzer Fahrt in einer dreckigen Seitenstraße dann auch fanden. Der Laden war von außen genauso verschmoddert wie von innen. Im Erdgeschoss stapelten sich Tausende von Skulpturen aus Gold, Messing, Stein oder was weiß ich. Dicke Staubschichten auf allen Exponaten, die Bodenteppiche mit Klebeband verbunden, Siff & Seuche, wohin man sah. Singh schien das gar nicht zu kümmern. Wir sollten ihm in den Keller des Gebäudes folgen, hier gäbe es die tollen Sachen zu sehen. Und als hätte ich nicht geahnt, worauf das hier hinausläuft, wurden wir in einen ca. 80 qm großen Raum getrieben, indem ringsherum Stühle und Sitzgelegenheiten aufgebaut waren. „Eine Kaffeefahrt also“, stellten wir ziemlich deprimiert fest. Aber Singh ließ sich nicht entmutigen und schwärmte weiter von den tollen Schals und Decken, die wir gleich zu sehen bekämen. Denn darum ging es hier: Um den Verkauf von Seidenschals und ähnlichem Schnickschnack. Der Chef persönlich – natürlich ein „Jain“ – leitete die perfekt choreografierte Verkaufsshow. Im landestypischen gelben Sari gekleidet, mit Hipster-Bart, Brille und perfekter englischer Aussprache schien es für ihn eine echte Freude zu sein, uns alle von sich und seinem Laden zu überzeugen. Erst zeigte er uns ein paar einheimische Decken, die mir gar nicht gefielen. Die Leute wurden schon unruhig und starrten Singh entgeistert an. Dann rückte Jain mit den aktuellen Kollektionen raus. Seide, Kaschmir, Pekunia. Eine Sorte feiner als die vorherige. Zum Teil wurden diese Schals aus dem Barthaar von Yaks gewebt, die in tausend Meter Höhe in Tibet leben. Auch jetzt glaubte ich ihm noch kein Wort. Dann zeigte er abgegriffene, aber weltberühmte Modemagazine der letzten Jahre, in denen über seine Firma berichtet wurde. Einer der Reisenden musste so einen Artikel aus der deutschen „Vogue“ sogar vorlesen. Und als er sagte, dass Mick Jagger sogar zweimal in seinem Laden war, wurde ich doch etwas hellhörig. Auch Sting und Madonna waren hier. Angeblich. Die Decken und Schals, die er uns zeigte, waren teilweise die neueste Kollektion von Hermez und Roberto Cavalli, diese bekannten Modefuzzis. Angeblich. Ein 3 mal 3 Meter großes Tuch würde z.B. in Frankfurt am Flughafen im „Hermez“-Laden knapp 3000.- Euro kosten. Angeblich. Dann nannte er uns seinen Preis. Ich verrate ihn hier nicht, weil ich das Ding als Geschenk gekauft habe. Hergestellt werden die Schals angeblich von einer Kooperation von 1850 Nähern und Designern hier in Indien. Er beschwor, nur echte Materialien zu verwenden (sonst könnte er sich hier überhaupt nicht halten) und nannte weitere Prominente, die ihren Krempel hier einkauften. Die Schals und Tücher waren wirklich extrem zart und dünn. Das Design war aufregend und teilweise in verschiedenen Farben vorhanden. Man konnte die Teile zusammen knäueln, ohne dass sie anschließend zerknittert waren. Und im Vergleich zu Plastikware, die wir anfühlen sollten, war der Unterschied tatsächlich eminent.

Kurzum: Entweder ich bin auf einen der geschicktesten Schwindler aller Zeiten hereingefallen oder ich habe in diesem Kellerloch wirklich ein Schnäppchen gemacht. Übrigens nicht nur ich. Nahezu alle kauften mindestens zwei Teile. Bezahlt wurde mit Kreditkarte. Zu denken gibt mir immer noch, dass dieser Ladenbesuch nicht im Programm stand und dass sich Singh einen Wolf freute, dass wir so viel Zeug da raus schleppten. 

Heute ist Holi-Tag

Vielleicht freute er sich aber auch nur darauf, dass wir heute das „Holi“-Fest feiern durften. Ein Fest, das angeblich bereits von 70 Ländern übernommen wurde. Hierbei werfen sich die Menschen gegenseitig mit Farbpulver voll, verschmieren sich das auf Kleidung und Haut und springen tanzend und singend durch die Straßen. Die meisten Geschäfte waren daher geschlossen. Als Zeichen, dazu zu gehören, malte uns Singh einen roten Punkt mit dem Farbpulver auf die Stirn.

So aufgebrezelt, kam dann mal wieder ein historisches Bauwerk in Jodphur an die Reihe, das „Fort Mehrangarh“ nämlich. Steil ging es bergauf, zu steil manchmal für einige von uns. Und überall und immer mehr lag das liebe Vieh auf der Straße rum. Im Gegensatz zu uns Menschen verließen sie ihre Plätze auch nicht, wenn man sie anhupte oder anrempelte. Das bringt uns auf die Frage zurück: „Warum dürfen die das?“
Nun, das ist so: Die Kuh ist heilig. Punkt. Damit wäre eigentlich alles gesagt, denn was in Indien heilig ist, kann machen, was es will. Aber es gibt natürlich auch eine etwas treffendere Begründung. Die Kuh ist das Arbeitstier schlechthin. So wie bei den Bauern der Traktor. Die Kuh gibt Milch, Butter, Joghurt, Käse etc., lässt sich vor einen Karren spannen, kann die Felder pflügen und gibt selbst in totem Zustand in Form von Leder noch Einiges her. Nie würden die Inder so ein wertvolles Nutztier essen. Es gehört quasi zur Familie. Jedenfalls ist das auf dem Land so. Dort wird sie auch als Nutztier eingespannt. In den Städten geht die Liebe inzwischen nicht mehr so weit. Viele würden die Innenstädte von den Wiederkäuern gerne befreien. Die meisten Kühe gehören übrigens niemandem. Sie laufen einfach so rum und werden durch Spenden und von den Einwohnern gefüttert. Und da das oft nicht zum Leben reicht, werden die meisten Kühe auch nicht sonderlich alt. Wenn sie nicht „zufällig“ von einem LKW angefahren werden, sorgen Angehörige der niedrigsten Kaste dafür, dass die Viecher heimlich abtransportiert und zerlegt werden. Knochen und Fell dürfen sie behalten – den Rest erledigen die Geier, Hunde und sonstiges Gewürm. In größeren muslimischen Gemeinden – ohne hinduistische Nachbarschaft – landet so eine Kuh dann allerdings auch mal auf dem Speiseplan. Das gilt natürlich auch für Ochsen, die den Kühen, was „Freilaufen“ betrifft, in nichts nachstehen.
Kinder, deren Mutter im Kindbett gestorben ist, können angeblich nur mit Kuhmilch überleben. Die Butter der Kühe soll hervorragend schmecken. Und der Urin der Kühe – sofern sie noch keine Kälber geworfen haben – soll gegen Krebs helfen. Angeblich. Man muss schon bei allen Aussagen ab und zu den Realitätsfilter einschalten, sonst wird man ganz duselig. Obwohl.: Erste Krebsmedikamente auf dieser Basis sind bereits zugelassen.

Unser schönes, aber altes Hotel

Wir schauten uns auch noch ein weiteres Mausoleum an: Das Jaswant Thada-Mausoleum nämlich. Schön, das wir darüber gesprochen haben. Der Bus hatte noch einen weiten Weg bis Jaisalmer vor sich.
Nach dem Mittagessen in einem sehr noblen Restaurant kam eine andere deutsche Reisegruppe hinzu, die das Holifest bereits voll verinnerlicht hatte. Und ehe man bis drei zählen konnte, waren die meisten unserer Mitreisenden von oben bis unten mit Farbe bekleckert. Gelb, rot, orange und blau. Wahrscheinlich die heiligen Farben. Dazu ertönte plötzlich Faschingsmusik aus einem zufällig (?) da rumstehenden Lautsprecher. Und siehe da: Die sonst doch so megasteifen Mitglieder unserer Seniorengruppe tanzten sich den Wolf. Singh kam kaum dazu, sie wieder in den Bus zu stopfen. Leider fiel ihm da auf, dass sich paar von uns der Maskerade entzogen hatten und still und heimlich auf ihrem Platz saßen, bis das Unheil vorbei sein würde. Der Autor dieser Zeilen gehört natürlich auch dazu. Ich habe gerade mit Müh und Not Fasching überstanden, indem ich konsequent jeder Veranstaltung aus dem Weg gegangen war. Und jetzt sollte ich hier doch noch kalt erwischt werden? Singh hatte Marianne Rosenberg, Drafi Deutscher und natürlich die komplette Helene Fischer-Kollektion auf seinem Handy. Kaum, dass er diese Gassenhauer über die Lautsprecheranlage abspielte, lagen sich unsere bisher so schüchternen Gäste hemmungslos in den Armen, schunkelten und grölten, dass es eine Freude war, äh, Zumutung war. Wehe, wenn sie losgelassen. Dazu gab es 45%-igen Rum für alle. (Außer für mich, ich mochte das nicht). Und nun ging Singh, der inzwischen Gefallen an dem Trubel gefunden hatte, dazu über, die paar verbliebenen Unbunten mit Farbe einzuschmieren. Mich erwischte er von hinten auf dem Kopf. Als er dann von vorne mein Gesicht sah, ließ er von weiteren Verzierungen ab. Wenn Blicke töten könnten, hätten wir jetzt keinen Reiseleiter mehr. Ja, ich weiß, ich bin da eine Spaßbremse, aber ich kann es wirklich nicht mehr ab. 30 Jahre als Discjockey erzeugen eine große Antipathie gegenüber schunkelnden, grölenden, besoffenen Menschen, die sich grundlos in die Arme fallen. Ich las´ weiter demonstrativ auf meinem iPad das neue Buch meines ehemaligen HR-Kollegen Tim Frühling, „Der Kommissar mit dem Sonnenbrand“. Das war viel lustiger.

Nach etwa 45 Minuten war der Spaß vorbei. Vor allem für die, die mit grünem Farbpulver angemalt waren. Das entwickelte im Zusammentreffen mit Wasser eine eine sehr intensive rote Farbe, die sich nicht mehr entfernen ließ. Bis zum Schluss der Reise nicht – und vermutlich noch viele Wochen danach. Das bisschen Orange aus meinem Haar hatte ich schnell raus gebürstet.

Unser nächstes Reiseziel sollte also die Stadt Jaisalmer werden.

Auf dem Weg zum Hotel fuhren wir übrigens viele Kilometer lang an einem Armeegebiet entlang, auf dem Indien seine unterirdischen Atombombenversuche durchgeführt hatte. Die Grenze zu Pakistan war nur noch 140 km entfernt. Zur Erinnerung: Pakistan ist ein Feind Indiens – und beide haben Atomwaffen. Das Hotel schien auch so eine ehemalige Kommandantur der Armee gewesen zu sein. Leider befinden sich die Gästezimmer in diesem riesigen Areal nicht mehr in bestem Zustand. Die Zahl der Lichtschalter stieg zwar auf 22, aber viel Anstellen konnte man damit nicht. Dafür hatte ich ein ganz besonderes Duscherlebnis: Egal, welchen der beiden Kräne man aufdrehte, es kam nur (fast) kochendes Wasser heraus. Bei meinem Zimmernachbarn war es übrigens umgekehrt: Er hatte nur KALTES Wasser.

Der achte Tag

Wir verließen das ehemalige Fort nach dem Frühstück (Toast + Tee), um uns mal wieder eine Festung anzuschauen. Gebaut wurde sie im 15. Jahrhundert auf einem Hügel in Jaisalmer, was bedeutet, dass wir ganz schön bergauf laufen mussten, um uns das Ding reinziehen zu können. Der Bauherr der Festung bekam übrigens Stress mit seinem Sohn, und das führte dazu, dass der Bub ca. 300 km weiter eine eigene Festung baute. Ja, man kann schon jetzt davon ausgehen, dass wir uns die auch anschauen werden. Aber auch hier wieder: Toll gebaut, gut erhalten, alles prima. Wenn nicht ständig diese halbstarken Motorrad-Futzis den Weg rauf und runter rasten, ohne Sinn und Zweck, just for fun. Ich durfte mir einen frisch aufgewickelten Turban aufsetzen und erntete dafür auf Facebook entsprechende Kommentare.

Steht mir gar nicht.

Die anschließende Besichtigung der dazugehörenden Altstadt war dann schon ziemlich „hard core“. Es fehlte in dieser Altstadt an allen Ecken vor allem an Hygiene. Der Müll lag einfach so rum – die Kühe rissen die Müllbeutel auf und fraßen, was sie für essbar hielten, meist Plastik. Kein Wunder, dass so eine Kuh nur ein kurzes Leben hat. Die Kanalisation, die am Straßenrand verlief, war andauernd unterbrochen. Leicht konnte man in so einen Abflusskanal fallen, wenn man nicht alle Augen offen hielt. Und trotzdem wurde dieses bereits verseuchte Wasser benutzt, um z. B. Wäsche zu waschen oder Tiere zu tränken. Die alten Bauten, die wir besichtigen sollten, waren in gutem Zustand, aber das gesamte Dorf machte auf mich einen sehr traurigen Eindruck. Die vielen Bettler, zum Teil übel missgestaltet, ließen keine Freude aufkommen. Und was man in den Geschäften kaufen konnte, war nicht der Rede wert. Ein abgewrackter Touristenort, der zum Scheitern verurteilt ist.
Liegt es am Schulsystem? Von den Engländern übernommen, ist einheitliche Schulkleidung natürlich Pflicht. Tatsächlich gehen die meisten Kinder auch zur Schule, aber der Ausbildungsstand ist international unter aller Sau, wie neulich im Spiegel stand. Es fehlen vor allem Fachkräfte. Es gibt Millionen von Hilfsarbeitern, aber keine wirklich gut ausgebildeten Ingenieure, Ärzte oder von mir aus Rechtsanwälte. Auf eine ausgeschriebene Stelle für 10.000 Putzjobs bei der Bahn haben sich zwei Millionen Inder gemeldet, die so was Ähnliches wie ein Abitur haben. Erfolgreich kann man nur werden, wenn man einen Abschluss auf einer der wie Pilze aus dem Boden schießenden Privatschulen nachweisen kann.

Ganz wie daheim…

Laut Singh geht es den Indern trotzdem gut. Alle Familien haben ein kleines Vermögen in Form von Gold, Schmuck oder Hausbesitz. Und bevor das nicht aufgebraucht ist, wird es keine Revolution – in welche Richtung auch immer – geben. Die Inder sind anscheinend leicht auszunutzen. Die vielen Plünderungen der vergangenen Jahrhunderte beweisen das. Und noch was haben angeblich alle Inder zuhause, obwohl es streng verboten ist: OPIUM! Es ist ein Zeichen vollendeter Gastfreundschaft, seinen Gästen zur Begrüßung erstmal ein wenig Opium-Saft anzubieten. Es wird also anscheinend nicht geraucht, sondern getrunken. Wer davon Abstand nehmen will, muss dies mit einer bestimmten, festgelegten Geste zum Ausdruck bringen, sonst ist der Gastgeber beleidigt. 

Apropos beleidigt: Ich hatte bisher immer mit einem bestimmten Typ Inder zu tun, den ich so gar nicht leiden konnte. Agenturen aus Delhi, die mir vorschreiben wollten, welche Honorare ich zu akzeptieren hätte, wenn ich für eine deutsche Firma für sie arbeiten würde, um mal ein Beispiel zu nennen. Wenn ich dann freundlich antwortete, dass ich kein Interesse an einer Zusammenarbeit hätte, wurden sie oft pampig. Ich wurde manchmal am Telefon beschimpft, weil ich „unhöflich“ wäre und dergleichen mehr. Inzwischen sehe ich ein, dass sie alles versuchen mussten, um mich zu beschäftigen, weil sie sonst ihren Kunden in Deutschland verloren hätten. Denn DER ist natürlich der Böse. Billig Outsourcen heißt die Devise, aber da mache ich eben nicht mit. Nun lernte ich die Inder mal von „Mann zu Mann“ kennen. Ganz ehrlich: Die meisten sind unglaublich höflich, freundlich, zuvorkommend, aufmerksam und interessiert. Auch unser eher resoluter Reiseleiter entpuppte sich so langsam als liebenswerter Zeitgenosse mit kleinen Schwächen.
So, das habe ich jetzt endlich im Kasten.

Apropos Kasten. Die gibt es seit der Unabhängigkeitserklärung 1947 ja offiziell nicht mehr. Aber trotzdem spielt sich das ganze Leben in Indien weiterhin nach diesen Vorschriften ab. Es gibt (bzw. gab) vier Kasten mit unzähligen Unterkasten. Ganz oben, also die Kaste Nummer 1, sind die Brahmen, die auch als Brahmanen bekannt sind. Sie können Sanskrit lesen und schreiben, die Sprache der Vorväter, und fungieren nicht nur als Lehrer, sondern sorgen für den korrekten Ablauf aller Zeremonien – wie Heirat, Kindstaufe und Tod. Sie sind extrem hoch angesehen, verdienen aber recht wenig. Viele sind Asketen, die sich nur von Luft und Liebe ernähren. Manche laufen sogar splitternackt durch die Gegend. Die zweite Kaste sind dann die Soldaten und Krieger. Sie sorgen für die Sicherheit im Land, verdienen ordentlich und sind ebenfalls hoch anerkannt. Bei Kaste drei sammeln sich dann alle Handwerker. Diese Kaste ist logischerweise die größte und verdient das meiste Geld. Die Kaste vier ist dann schon eher nicht so beliebt. Kadaver & Co. sind so ihre Haupteinnahmequellen, wie zuvor schon berichtet. Aber wie gesagt – es gibt seit 1947 offiziell keine Kasten mehr. Bis das aber in den Köpfen der Menschen verschwunden ist, werden noch sehr viele Jahre vergehen. Denn das Kastendenken ist in einem anderen Punkt nach wie vor aktuell: Man darf niemanden heiraten, der einer anderen Kaste angehört. Und wenn man jemanden aus seiner eigenen Kaste ehelichen will, muss dieser oder diese aus einem anderen Dorf stammen – um der Inzucht zu entgehen. Und wer einmal in einer Kaste geboren wurde, darf diese niemals wieder verlassen. Soviel also dazu, dass das Kastendenken aus den Köpfen ist. Das Gegenteil ist der Fall.

Wer ist das größere Kamel?

Doch weiter im Programm. Ich muss gestehen, dass ich bisher noch nie auf einem Kamel geritten bin. Und diese Chance sollte ich heute bekommen. „Kamelreiten in den Sonnenuntergang“ lautete der Programmpunkt der Agentur. Unser Bus fuhr uns also – an vielen streng bewachten Armeestützpunkten vorbei – in die Wüste.
Singh erklärte uns genau, wie wir uns zu verhalten hätten. Ein Teil der Truppe zog den Transport mit einem Anhänger vor, der von einem Kamel gezogen wurde – aber das war im Endeffekt die schlechtere Lösung. Als Alleinreisender hatte ich (bzw. das Kamel) das Glück, alleine auf dem Tier zu sitzen. Das Raufsteigen war zwar nicht ganz einfach, aber irgendwie hat es hingehauen. Beim Aufstehen des Tieren muss man sich zunächst nach hinten und dann nach vorne lehnen, damit man nicht gleich wieder runterfällt. Mein Kameljunge „Akib“ hat mir das schön erklärt – und schwups, schwebte ich zwei Meter über dem Boden. „Alla“, mein Kamel und ich wurden schnell gute Freunde. Akib gab mir sogar die Zügel in die Hand. Ich hätte zwar gerne mal einen Sprint hingelegt wie der junge Bursche, der uns da mit ca. 65 km/h auf seinem Rennkamel entgegen kam, aber ich fürchte, da benötige ich noch etwas Erfahrung.
Unangenehm waren die Schmeißfliegen am Start der etwa 30-minütigen Kameltour. Diese unsympthatischen fliegenden Händler wollten sie mir schon jetzt Getränke für meinen Durst am Ziel andrehen. Sie erfanden deutsche Namen, damit ich mich an sie erinnern würde – „You remember, I´m Fritz, you ordered one Coke“ – ich war davon so genervt, dass ich am Ende überhaupt nichts getrunken habe.
Nach einer halben Stunde endete der Ritt inmitten einiger Sandhügel mit Blick auf den sich anbahnenden Sonnenuntergang. Und dann lief alles ein bisschen durcheinander. Akip suchte nach mir und wollte, dass ich wieder auf Alla steige (das Kamel!), obwohl ich von meinem Kamel inzwischen wirklich mehr als genug hatte. Der Knauf direkt vor dem Bauch hat mir so in denselben gepiekst, dass ich es noch tagelang spüren würde. Die Sonne würde noch lange nicht untergehen, und der Bus stand nur etwa 300 Meter entfernt. Ich lief also durch die Sanddünen zurück zum Bus, einen traurigen Akip, der wohl in mir einen Freund fürs Leben erhofft hatte, zurücklassend. Sorry Akip, aber wir haben wirklich nicht zusammengepasst. Alla war’s wohl egal.
Und ja, es waren Kamele und keine Dromedare. Nach dem Abendessen direkt ins Bett.

Der neunte Tag

Die Abstände zwischen den Orten wurden immer größer. Rund 300 km Busreise lagen zwischen Jodphur und Bikaner. Das war der Ort, in dem der aufsässige Filius seinen eigenen Palast gebaut hat. Dazu hat er auch noch gleich eine ganze Stadt gegründet. Einer der späteren englischen Besitzer (oder Besatzer?) – übrigens der Einzige, der angeblich im 1. Weltkrieg zusammen mit den Indern gekämpft hat – hatte die geniale Idee, eine 6000 Kilometer lange Wasserleitung durch halb Rajasthan zu verlegen. Eine der Grundlagen für den wirtschaftlichen Erfolg der Gegend. Die aktuelle Besitzerin wohnt sogar noch in dem Gebäude. Von diesen ganzen Bauten habe ich natürlich Unmengen Videoaufnahmen gemacht, sodass ich mir – wenn ich mal alt bin – den ganzen Krempel zusammenschneiden kann.

Nach einer Kaffeepause wurden wir auch schon wieder in eine neues Hotel gefahren, mitten im Ort. Es lohnt sich nicht, darüber was zu schreiben. Außer, dass ich auf der Stelle weggeknickt war, als ich mich aufs Bett gelegt hatte. Der Anruf unseres Reiseleiters riss mich aus meinem Tiefschlaf. Am liebsten wäre ich im Bett geblieben, aber das Highlight dieses Tages durfte ich natürlich nicht verpassen: Folklore-Abend mit Volkstänzen und Dinner im Wüstenzeltlager.

So hat man uns im Hotel begrüßt.

Es ging ca. 45 Minuten lang durch die Pampa. Kaum noch als Straße erkennbar, führte der Weg durch mehrere kleine und kleinste Dörfer hindurch. 

Auf dem Weg zur Party

An einer Kreuzung kamen uns mehrere Wagen entgegen, die voll mit Muslimen beladen waren. Und nun geschah etwas, was ich unserem friedfertigen Reiseleiter überhaupt nicht zugetraut hätte. Singh begann lauthals über die Muslime zu schimpfen. Nicht Pakistan, sondern die Invasion der Muslime sei das wirkliche Problem Indiens. In manchen Gemeinden hätten sie schon die Einheimischen vertrieben. Es sind zwar erst 17% der Bevölkerung muslimischen Glaubens, aber das könnte sich ja bei der hohen Geburtenrate der Einwanderer schnell ändern. 10 Kinder seien bei denen normal – gegenüber nur zwei Kindern bei Hindus. Außerdem würden sie ihre eigene Religion ausleben anstatt zum Hinduismus umzuschwenken, wie es doch im Koran stünde. Nun gehört das Studieren des Korans nicht zu meinen üblichen Lesegewohnheiten, aber das konnte ich mir nun wirklich nicht vorstellen. Wir waren erschüttert, wie viel Hass plötzlich aus unserem sehr gläubigen Reiseleiter quoll. Wenn es stimmt, was Singh da voraussagt, gibt es in Indien in ca. 30 Jahren mal wieder ein Riesenproblem. Singh hat es leider schon heute – und ich befürchte, da helfen keine Diskussionen mehr.

Die Bühne

Doch zurück zu unserer Open-Air-Party in den Dünen der Wüste. Man hatte ein Halbrund aufgebaut, ähnlich wie in antiken Theatern, und eine Bühne in die Mitte gestellt. Dort fand dann die Folklore statt. Vier Musiker spielten irgendwelche alten Weisen, während zwei schlanke Mädels sich dazu geschickt auf der Bühne bewegten. Der etwas beleibte Chef der Truppe sang sogar den einen oder anderen Hit aus den Charts des 15. Jahrhunderts. Währenddessen wurden an unseren Tischen Kerzen angezündet, und es wurde das Essen dargereicht. Es gab das Gleiche, was es hier in Indien überall jeden Tag gibt – bis auf eine Ausnahme: Ausgerechnet das Auftaktgericht waren Pommes mit Ketchup. Jawohl, Pommes Frites und ein Klacks Ketchup. Danach war ich eigentlich schon wieder satt. Ich hatte mir erlaubt, anlässlich dieses großartigen Events ein Fläschchen Weißwein zu ordern. Mit 1000 Rupien, ca. 12 Euro, war das sogar noch recht günstig für 0,375 Liter Inhalt. Also musste ich noch eine zweite Flasche nachordern. Danach waren mein Bargeldvorrat in Rupien nahe Null und der Fröhlichkeitsfaktor deutlich gestiegen. Zumal eine der Tänzerinnen auch noch Fakir-ähnliche Fähigkeiten zeigte und auf Nägeln und Messern rumtanzte. Zum Glück ging das alles ohne Verletzungen ab – und war wohl auch nicht wirklich gefährlich. Einer der Veranstalter leuchtete uns nach dem Ende der Veranstaltung so gegen 21.00 Uhr mit einem Gasbrenner den Weg. Leider war das Gas schon nach ein paar Metern alle. Ein Pluspunkt für mein iPhone, dessen Taschenlampe die Helligkeit der Gasfunzel ohnehin übertraf.

Im Bus ging es dann weiter. Singh holte wieder seinen 49%-igen Rum aus dem Versteck („Diesmal nicht von der Agentur, sondern aus eigener Tasche!“) und füllte uns erneut ab. Dass dann wieder Marianne Rosenberg und der ganze andere Quatsch von neulich lief, hat mir diesmal weniger ausgemacht. Nur meine Stimme, die war plötzlich weg.

Seit Tagen husteten sich ja alle Passagiere im Bus die Seele aus dem Leib. Es wurde leider nicht besser, sondern bei allen jeden Tag schlimmer. So also auch bei mir. Als wir im Hotel ankamen, musste ich Singh die Teilnahme am Besuch des Rattenmuseums, der für morgen früh geplant war, leider absagen, bzw. abkrächzen. Die Gesundheit ging vor.
Dass ich dann doch noch bis fast ein Uhr an diesem Blog geschrieben habe, war ziemlich dumm. Entsprechend mies ging es mir am nächsten Morgen.

Der zehnte Tag

Bevor wir Rajasthan verlassen sollten, stand uns noch der Besuch „Palastfestung Junaghar“ bevor. Ein Märchenpalast, der vom immensen Reichtum der Stadt erzählt. Was wir z.B. nicht wussten: Indien ist ganz und gar kein armes Land. Das Land mit den fünftmeisten Millionären der Welt ist tatsächlich Indien. Und für diese ganzen Superreichen stehen auch überall die umgebauten Paläste als Hotels zur Verfügung. Als TrendTourer hatten wir da wohl nichts verloren. Dachten wir jedenfalls bis dahin.

Insgesamt saßen wir – mit den üblichen Unterbrechungen für Toilettengänge und Mittagessen –  sieben Stunden im Bus, um von Bikaner nach Jaipur zu fahren. Jaipur ist die Hauptstadt des Bundeslandes Rajasthan mit ca. 3,5 Millionen Einwohnern. Genau weiß man es nicht, da die letzte Volkszählung schon wieder acht Jahre her ist. Die Fahrt ging nur teilweise über vierspurige Autobahnen – denn größtenteils fuhren wir auf schmalen Landstraßen mit entsprechendem Gegenverkehr. Unser Fahrer ist wirklich ein Genie. Wie er es immer wieder geschafft hat, auch die unmöglichsten Überholvorgänge zu überstehen, ohne dass wir zerbröselt wurden, bedarf schon einer großen Erfahrung. Und notfalls fasst die Straße dann eben auch mal vier Fahrzeuge nebeneinander. Unser Wasserjunge machte ebenfalls einen guten Job. Etwa einmal pro Stunde lief er durch den Bus und verkaufte Mineralwasser, Cola und Bier. Außerdem reinigte er täglich den gesamten Innenraum, half den Passagieren beim Ein- und Ausstieg, desinfizierte unsere Hände nach jeder Besichtigung und lud die Koffer ein und aus. Ein fleißiger, bettelarmer junger Mann, der bei dieser Reise vom Verkauf der Getränke und seinem Trinkgeld leben musste. Und da wären wir schon wieder bei dem Thema, bei dem es jedesmal auf Gruppenreisen Streit gibt. Wieviel gibt man wem und warum? Singh war da ganz ehrlich. Er wäre mit dem Vorschlag der Agentur absolut einverstanden. Das wären dann ein Euro für den Wasserbub, zwei Euro für den Fahrer und drei Euro für den Reiseleiter. Pro Tag, versteht sich. Und das von jedem Mitreisenden natürlich. Das wären für Singh dann zum Beispiel 3 Euro mal 12 Tage mal 31 Reisende = 1116.- Euro. Da er die Tour zweimal im Monat macht, sind das schon 2232.- im Monat. Netto. Davon gehen keine Steuern ab. Oder Sozialabgaben. Das Geld wird nirgendwo registriert. Die Saison dauert maximal sechs Monate, das sind dann schon über 13000.- Euro als „Belohnung“ für seine Arbeit, wie er sagte. Denn ein Gehalt bekommt er natürlich auch noch. Das muss er allerdings versteuern. Mir ist das egal, solange er einen guten Job macht – und das tut er. Das Trinkgeld ist auch nicht verpflichtend. Trotzdem sollten wir ihm und den beiden anderen das Geld einzeln in Umschlägen geben und einen netten Satz dazu schreiben, weil er bei guten Kritiken bessere Konditionen erzielen könne. „Und bitte den Namen nicht vergessen!“. Soviel zum Thema Datenschutz.
Wir kamen schon gegen 17.00 Uhr in Jaipur an. Eine erste Fahrt durch die Stadt machte alles andere als einen angenehmen Eindruck. Die Altstadt, „Pink City“ genannt, weil die Häuser dort alle pinkfarben angestrichen sind, wirkte marode und äußerst verdreckt. Wie sich überhaupt bei uns so langsam die Erkenntnis breit machte, dass dieser ganze Dreck mehr oder weniger zum System gehört. Es gibt z.B. anscheinend keine richtig funktionierende Müllabfuhr. Überall hinterlassen die Einwohner ihren Unrat. Und wenn der nicht von Tieren zusammen mit den Plastiktüten gefressen wird, fliegt er ewig durch die Gegend. Wenn irgendwo gebaut wird, räumt niemand den Bauschutt weg – auch Jahre später nicht. Wenn irgendwas kaputt geht, wird es nicht repariert. Überall herrscht nur Provisorium. Da wird halt mal eben was zusammengefriemelt und bleibt dann so für immer. Indien ist eine einzige Baustelle. Nicht nur an den Stellen, an denen wirklich gebaut wird. Die Luftqualität ist in allen Städten unter aller Sau. Meine Apfeluhr warnt mich jeden Tag davor, ins Freie zu gehen. Sie zeigt überaus ungesunde Werte an. Und in dem Moment fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren, woher der ganze Husten unserer Gruppe kam: Von der dreckigen Luft! Der verzweifelte Versuch geschundener Körper, dieses Dreckszeug aus der Atemluft wieder zu entsorgen. Schuld sind natürlich die Engländer, sagt Singh. Denn in ihrer Kolonialzeit hätten die sich in Indien ein schönes Leben gemacht und sich einen Teufel darum geschert, das Land voranzubringen. Und so hinkt das gesamte Leben dem europäischen um mindestens 70 Jahre hinterher. Bis auf das Internet: Überall 4G, also LTE-Geschwindigkeit. Zum Bruchteil der Kosten, die wir in Deutschland berappen müssen. Aber das ist ja nun schon lange kein Bonmot mehr, sondern einfach eine Unverschämtheit der deutschen Politiker, die die Milliardeneinnahmen bei der Netzvergabe nicht in den Ausbau desselben, sondern in andere Projekte gesteckt haben.
Zurück nach Indien: Alleine der dringend nötige Straßenbau würde Milliarden verschlingen. Die Einrichtung von Fußgängerzonen in den Altstädten wäre ebenso dringend wie zwingend. Ein generelles Hupverbot würde viele Nerven sparen und und und. Ich kenne mich natürlich viel zu wenig aus, um da über irgendetwas mitreden zu können. (Tu´s aber doch…)
Ich bin mal gespannt, ob die Regierung an unserer Meinung, an der Kritik der Touristen, in Form einer Umfrage vor der Abreise interessiert ist. Bisher sind es ja „nur“ 9 Millionen Touristen pro Jahr, die das riesige Land aufsuchen. Bis zu einem wenigstens „Vier-Sterne-Reiseland“ ist es noch ein extrem weiter Weg. Ich würde bisher höchstens zwei Sterne vergeben, und die auch nicht überall. Die Antwort vorneweg: Es interessiert die Regierung anscheinend überhaupt nicht, was die Touristen über ihr Land denken.
Unser Hotel in Jaipur lag außerhalb, aber direkt an einer vielbehupten Straße. Das Clarion „Bella Casa“, direkt neben einem „Marriott“, sah von außen gruselig aus, war aber von innen recht ordentlich. Eine riesengroße Halle bis hoch zum sechsten Stock. In jedem Stockwerk gab es einen Rundgang mit Zugang zu den Zimmern. Die Zimmer waren geschmackvoll eingerichtet und sehr ordentlich. Das Bad war allerdings winzig, und diesmal hatte ich nur kaltes Wasser in der Dusche.
Das „Restaurant“ im 5. Stock war denn eher wieder Durchschnitt, Typ Firmenkantine. Leider waren auch für die ganzen Gäste nicht genügend Plätze vorhanden, sodass sich Reisende aus China auf jeden freien Platz setzten (ohne zu fragen) und sich die Teller übervoll packten, um dann wie ganz schlecht erzogene Hunde das Zeugs in sich reinzuwürgen. Bäh, war das ekelig. Dass sie außerdem ungeniert rotzten und schnieften, war da schon fast verzeihlich.
Schnell in die Bar. Aber die war auch ein Flop. Eine Flasche Bier kostete umgerechnet sieben Euro. Außer einem Paar aus unserem Bus und mir war niemand da. Die Klimaanlage war wohl defekt, es war stickig und heiß. Und meine VISA-Karte konnte ich auch nicht zum Bezahlen verwenden, weil das Kartenlesegerät keine Verbindung zum Server aufnehmen konnte.
Also mal wieder früh ins Bett.

Der elfte Tag

Ich war ein bisschen spät dran und verpasste leider das Frühstück. Eine Tasse Tee und ein trockenes Toastbrot war nach wie vor mein Safety-Mal. Also gleich rein in den Bus und schon wieder in die Hauptstadt zurück. Jaipur ist tatsächlich eine dreckige Stadt. Das haben wir an diesem Morgen bestätigt bekommen. Sie hat zwar eine Menge Sehenswürdigkeiten zu bieten, aber das Drumherum macht den guten Eindruck schnell wieder kaputt.
Wir begannen mit dem Besuch des Palastes – was sonst. Weil er sehr hoch liegt, wurden wir in Jeeps gesetzt und nach oben gekarrt. Mal was Neues. Die letzten 300 Meter mussten wir aber dann doch zu Fuß wandern. Auf jedem dritten Meter stellte sich irgendeine Schmeißfliege in den Weg, um uns jeden nur erdenklichen Unsinn anzudrehen. Wehe, man man Blickkontakt aufnahm. Dann war man eine Weile verloren. Ich bin zum Schluss einfach geradeaus durch die Angreifer (O-Ton Singh) durchgegangen – in letzter Sekunde haben sie dann wirklich den Weg freigemacht. Dazu hunderte von Touristen aus aller Welt, ganze Herden von Elefanten, die die Touris durch die Gegend trugen und sowas von verdreckte Toiletten, dass man sie beim besten Willen nicht benutzen konnten.
Der Palast selbst ist grandios. Er gehört zu einem ehemaligen winzigen Königreich und besteht aus drei sehr großen Teilen, die wir natürlich alle durchwandert haben. Details siehe Wikipedia. Interessant ist, dass es um das gesamte Königreich eine 10 km lange Mauer gibt, die mit ihren Wachtürmen noch sehr gut erhalten ist. Mit dem Jeep ging es auch wieder runter. Diesmal direkt in das Zentrum der Altstadt – „Pink City“ genannt. Auf die Idee, die Stadt anzumalen, kam ein Engländer, der auch sonst ziemlich einen an der Mütze zu haben schien. Weiterfahrt mit Motor-Rikschas. Dieses unglaubliche Verkehrschaos glaubt man einfach nicht. Allein die Geräuschkulisse tausender knatternder Zweitakter im Duett mit quäkenden Hupen aller Tonhöhen und Lautstärken würde in Deutschland unter „Folter“ laufen. Alle paar hundert Meter Fotostopp. Endlich mal das berühmte Motiv des Schlangenbeschwörers live auf der Straße gesehen und gefilmt. Dann endlich – nach zähen 30 Minuten – der Besuch eines weiteren Palastes. Ein Tempel war wohl auch dabei. Hier haben die Engländer immer ihre Sitzungen mit den ganzen Königen abgehalten. Fotos von Mr. Mountbutton und anderen Schurken dieser Zeit bekleideten die Wände und durften nicht fotografiert werden. Ob die Engländer wirklich Schurken waren oder es gut gemeint haben, kann ich nicht beurteilen. Die Inder sind zwar froh über die ausgehandelte Selbstständigkeit im Jahr 1947, aber die damit verbundene Trennung von Pakistan und die dadurch nachfolgenden 200.000 Toten (andere sprechen von einer Million) war wohl doch nicht das Gelbe vom Ei beim damaligen Verhandlungsmarathon.
Als nächstes konnten wir uns ein Observatorium ansehen, von denen es insgesamt sechs in Indien gibt. Ich habe diesen Programmpunkt aber geschwänzt und bin mit einer mitreisenden Kolumbianerin aus Deutschland, die auch keinen Bock hatte, endlich was Frühstücken gegangen.

Danach fuhren wir mit den Rikschas eine weitere Stunde durch den Dreck und husteten den Beifang dann im Bus wieder aus.

Die Apple-Watch hat uns gewarnt…

Das Mittagessen fand etwas außerhalb in einem kleinen Vorort von Jaipur statt. Für Touristen gibt man sich hier immer noch ein bisschen Mühe. Alles war sauber und ordentlich – bis auf die Toiletten, aber daran hatten wir uns ja schon gewöhnt.
Ich hatte ein Problem mit meinem Koffer. Bei den ständigen Ein- und Ausladungen wurde irgendwo eins der Räder abgebrochen. Das Plastik, das als Radlager diente, ragte seitwärts raus und war schon zur Gefahr für andere Koffer geworden. Es musste also ein neuer Koffer her. Mit Singh hatte ich schon am Vortag darüber gesprochen. Er rief daher jemanden an, der jemanden kennt, der weiß, wer in Jaipur Koffer verkauft. Dieser Händler würde also zur Mittagspause bei uns auflaufen, mich mit seinem Auto zu seinem Geschäft fahren und mir seine Kollektion zeigen. Danach würde er mich wieder rechtzeitig vor der Weiterfahrt des Busses wieder zurückfahren.
Der beleibte Leder-Mann kam auch pünktlich an und fuhr mich in seinem Honda zum Laden. Um Zeit zu sparen, nahm er die Abkürzung durch das Dorf. Und hallo, wenn die offiziellen Straßen schon kaum befahrbar sind, gilt das um so mehr für den einen Kilometer durch ein Trümmerfeld namens Dorfstraße. Egal, wir kamen an. Der Laden sah von außen aus wie alle Läden und war von innen sehr fein eingerichtet. Ich musste in den ersten Stock gehen – dort würden die Koffer lagern. „Die“ Koffer waren leider nur zwei in meiner gewünschten Größe. Der eine hatte weder ein Schloss noch Räder, sollte aber 240.- Euro kosten (JA!!!) und der andere, ein englisches Markenmodell, sogar 350 .- Euro. Was sollte ich machen? Handeln war nicht drin, also biss ich in den sauren Apfel und nahm das Betrügerangebot an. Der englische Markenkoffer ist zwar schön und groß, aber höchstens 150 Euro wert. Der ehrenwerte Händler wird den Rest der Woche mit Saufgelagen verbracht haben …

Danach hatte unsere Gruppe tatsächlich mal Freizeit. Sie wurde dahingehend genutzt, nach Ankunft im Hotel sofort in Tiefschlaf zu verfallen. Denn das Programm sollte nach dem Abendessen weitergehen. „Lichterinstallation“ der Stadt Jaipur hieß der Programmpunkt. Die einzelnen Installationen sollten wir mit einem offenen Jeep anfahren. Und genau das passierte auch. Um viertel vor sieben holten uns sechs Jeeps vom Hotel ab, um genau denselben Weg, den wir schon ein paar Mal ertragen mussten, erneut mit dem Jeep abzufahren. Von großartigen Lichtinstallationen kann nicht wirklich die Rede sein – es waren nur etwa ein Dutzend Bauten, die ein paar Lämpchen angemacht hatten. Direkt aus dem Jeep konnte man die kaum sehen oder gar fotografieren, so dass wir alle paar Minuten für eine Fotopause anhielten. Ich saß vorne im Jeep, und zwar angeschnallt. Vermutlich als einziger Mensch in dieser Indien. Sogar der Fahrer amüsierte sich. „In the night it´s not necessary!“ Ein paar Videos der Kamikazefahrt zeigen allerdings das Gegenteil. Um das Desaster leichter ertragen zu können, war Singh auf die perverse Idee gekommen, kleine Cola-Fläschchen mit Rum zu mixen und diese an die Reisenden auszugeben. Diesmal musste aber jeder 100 Rupien für den Rum bezahlen – eine erneute Einladung war nicht im Plan. Ich trank im Verlauf der zwei Stunden gleich drei davon. Dann hatte sich bei mir so ein leichtes „is ja eh egal“-Gefühl eingestellt. Die Altstadt war genauso voll wie am Tag, und die Luft war kein bisschen besser, weil auch noch überall Räucherstäbchen vor sich hin glommen. Nachdem wir sowohl die Altstadt als auch die Neustadt mit ihren „Lichtinstallationen“ bewundert hatten, fuhren die Jeeps doch allen Ernstes noch einmal hoch in den Palast, den wir doch schon am Morgen stundenlang bewundert hatten. Diesmal war aber alles wirklich anders: Keine widerlichen Straßenhändler, keine Bettler, keine anderen Touristen, keine Elefanten, kein Musikgedudel, sondern nur eine wunderbar beleuchtete Festung. Das war wirklich sehr schön und sollte nicht verpasst werden. Die Heimfahrt haben wir dann auch noch überlebt.

Der zwölfte Tag

Die Abfahrt war schon früh um sieben. Verschlafene und verkaterte Gesichter allenthalben. Lange Busfahrt mit weiteren Tempeln, Rikschafahrten, Essenspausen und dem Besuch eines Vogelparks. Zu viel Eindrücke, zu viele Details, zu viel Hitze. Die Durchschnittstemperatur während der Reise betrug übrigens 31 Grad. Im Sommer werden es 50.  Gibt es noch Themen, die ich nicht angesprochen habe?

Ja. Einige. Zum Beispiel das Thema Frauen. Singh kann uns lang und breit erzählen, dass die Stellung der Frau in der modernen indischen Gesellschaft der in Europa gleich käme, aber das ist natürlich völliger Unsinn. Wir sind stundenlang an den Feldern entlang gefahren, an denen die Frauen, und zwar ausschließlich Frauen, das Getreide geerntet oder das Stroh eingesammelt haben. Frauen sieht man nie auf der Straße – es sei denn als Bettlerin. Frauen müssen einen roten Punkt auf der Stirn tragen, wenn sie verheiratet sind. Natürlich nicht als Strafe, sondern als Zeichen des Erfolgs, zu Ihrem Glück einen Mann abbekommen zu haben (O-Ton Singh). Frauen sind in Indien kaum besser gestellt als Sklaven.
Oder das Thema Tod. Im Hinduismus wird man grundsätzlich verbrannt. Diese Verbrennungen müssen direkt am Wasser erfolgen. Es gibt Städte, in denen jeden Tag Tausende von Menschen öffentlich verbrannt werden. Die trauenden Hinterbliebenen müssen sich einen kleinen Teil der Asche besorgen und diese ins Wasser werfen, um den Toten die Wiedergeburt zu ermöglichen. Eine Riesensauerei. Einen TV-Bericht über Kalkutta konnte ich damals nicht zu Ende schauen.
Witwenverbrennungen sind inzwischen verboten, waren aber früher durchaus üblich. Eine Frau, die sich mit ihrem toten Mann auf den Scheiterhaufen legte, wurde damals wie eine Heilige angesehen. Die Verbrennung der Toten wird übrigens von einer Untergruppe der vierten Kaste durchgeführt. Als Lohn dürfen diese Menschen nach der Verbrennung die Asche filtern und sieben, um eventuelle Schmuckstücke oder Zahngold zu finden. Das ist dann der Lohn der Barbarei.

Das Schulsystem ist in einem desolaten Zustand. Vor Jahrzehnten kamen die Studenten aus über 70 Ländern, um hier zu studieren. Nach der zwischenzeitlichen Machtübernahme des Muslime wurden alle Bücher verbrannt und die Universitäten zerstört. Aktuell besteht bei den öffentlichen Schulen eine brisante Bildungsmisere, während die teuren Privatschulen wie Pilze aus dem Boden schießen. Die Kosten betragen zwischen 6000 und 60.000 Dollar pro Jahr. Woher deren Lehrer kommen, kann man sich ja denken.
Kurzum: Da liegt noch Einiges im Argen.

Unser Palast

Unser letztes Hotel, das wir am späten Nachmittag erreichten, war dann nochmal der Hammer. Schrieb ich noch vor kurzem, dass diese Maharadscha-Paläste für das Budget unseres Reiseveranstalters wohl zu hoch seien, strafte er uns heute eines besseren. Wir übernachteten in einem echten Königspalast!  Die Suiten waren gut und gerne 40 qm groß, die Einrichtung stilvoll und in bestem Zustand. Der Speisesaal war ein Traum. Eine ideale Kulisse für jeden Bollywood-Schinken. Alles sehr weitläufig angelegt, mit großartigem Park und natürlich einem Swimmingpool. Leider gab es auch reichlich viel Mücken, sobald die Sonne unterging.
Ich nutzte die Freizeit, um diesen Blog weiter fort zu schreiben. Uns stand nur noch der letzte Tag bevor. Und mit ihm der Besuch des Taj Mahal.

Der dreizehnte Tag

Der Morgen begann schon um halb sechs. Nach der Morgenwäsche mussten die Koffer gepackt und vor das Zimmer gestellt werden. Ich musste noch mein Getränk vom Vorabend per Kreditkarte bezahlen, da mein restliches Geld, Euro und Rupien, für die Trinkgelder draufgehen würde. Danach in den Frühstückssaal zum fürstlichen Morgenmal, mit Omelett, Tee und Toast. Ich war sehr überrascht, dass plötzlich einer der Zimmerjungs in den Saal kam und meine Laptoptasche in der Hand hielt. Ich hatte sie doch allen Ernstes vergessen!! Ich glaube, das ist mir schon mal passiert. Sollte mal meine Gehirnwindungen checken lassen.

Das ist keine Fotomontage! Ich war wirklich da!

Der dreizehnte und letzte Tag sollte uns vor allem zum Highlight der Reise führen, dem berühmten Taj Mahal. Singh erzählte uns die rührende Geschichte um den Bau dieses Mausoleums, die bestimmt schon Dutzende Male als Bollywood-Schnulze verfilmt wurde. Die Lieblingsfrau eines damals regierenden Moslems starb bei der Geburt ihres 14. Kindes. Ihr Mann, leider gerade im Kriegsgeschäft auf Achse, war natürlich sehr traurig und schwor, ihr ein Andenken zu bauen, das die Welt noch nie gesehen hätte. Über zwei Jahre ließ er planen, bis er dann dieses einmalige Riesengebäude errichten ließ. Die Stadt Agra, in der das Gebäude steht, lebt nahezu ausschließlich von diesem Touristenmagneten. Vom Bus bis zum eigentlichen Bauwerk waren es viele hundert Meter, die wir in sengender Hitze laufen mussten. Die meisten hatten bereits lange Hosen angezogen, weil ja am Abend unser Abflug bevorstand und kein weiterer Hotelaufenthalt geplant war.
Wenn man dann vor dem Taj Mahal steht, ist es wirklich großartig anzuschauen. Hunderte von Selfies wurden von hunderten von Touristen aus hunderten von Ländern gemacht, und auch die professionellen Fotografen bekamen ihre Chance. Sie knipsten vor diesem exklusiven Szenario das einzige Gruppenfoto unserer Reise. Die gedruckten Fotos bekamen wir etwa zwei Stunden später zum Mittagessen persönlich angeliefert.
Beim Gang durch das Mausoleum darf man die Schuhe anbehalten, muss aber Plastik-Überschuhe anziehen, um den Marmor nicht zu verdrecken. Die Route ist exakt vorgegeben und dauert keine drei Minuten, dann ist man wieder draußen. Es gibt ohnehin nichts zu sehen. Hinter einem Marmorgitter im Form eines Oktagons konnte man den Sarg der geliebten Frau sehen. Ihr Mann, der zu Lebzeiten übrigens alles andere als beliebt gewesen sein soll (er tötete zwei Brüder und seinen Vater), lag in einem weiteren Sarg daneben und zerstörte damit die perfekte Synchronität der Anlage.
Links vom Taj Mahal steht eine Moschee, die aber nur zum Freitagsgebet geöffnet wird, und rechts davon ein exaktes Gegenstück dazu, bisher aber ohne jede Funktion.

Ein kleiner Einblick in eine öffentliche Toilette …

Nach einer guten Stunde waren wir wieder draußen.
Die Weiterfahrt wurde noch durch den Besuch einer weiteren Festung und das übliche Mittagessen unterbrochen. Dann ging es schnurstracks zurück nach Delhi.
Während der langen Fahrt erzählte uns Singh noch ein paar Details aus dem Alltagsleben der Inder. Krankenversichert oder Rentenempfänger sind in Indien nur Mitarbeiter staatlicher Betriebe. Alle anderen haben keine Krankenkasse. Das ist nicht ganz so schlimm, wie es sich anhört, da die Medikamente und sogar Operationen im Krankenhaus umsonst sind. Jeder Einwohner über 65 Jahren erhält eine Minirente in Höhe von 1000 Rupien, also rund 12 Euro. Aber: Jeder angemeldete Bürger hat eine kostenlose Wohnung mit einem Zimmer, einer Küche und einer Toilette. Und wer Not leidet, bekommt vom Staat Reis, Zucker, Tee und Weizen, auch umsonst.
Und je näher wir Delhi kamen, desto „normaler“ wurde das Straßenbild. Derzeit werden Abertausende von neuen Wohnungen gebaut, die der Inder dann umgerechnet ab 100.000 Euro kaufen kann. Das ist für eine drei-Zimmer-Wohnung recht günstig. Mietwohnungen gibt es kaum, hier zählt nur das Eigentum.

Am Flughafen verließen 13 Reisende, darunter auch ich, den Bus zum Einchecken. Die anderen hatten noch einen Hotelaufenthalt vor sich, der aber nur bis 2 Uhr morgens dauern würde. Dann mussten die auch zum Flieger.
Die Ausreiseformalitäten verliefen schnell und problemlos. Und als besonderes Bonbon hatte uns TrendTours auch noch eine Lounge gemietet, in der wir kostenlos bewirtet wurden und uns bis zu unserem Einstieg um 20.50 Uhr noch mal ein bisschen ausruhen konnten.

Und damit können wir den Blog schließen, denn die Heimreise verlief – zwar verspätet, aber letztendlich doch nach Plan – wieder über Bahrein nach Frankfurt. Pünktlich um sechs Uhr morgens landeten wir wieder in der Heimat.

Daher nun Zeit für das Fazit: Muss man wirklich nach Indien fliegen? Mhm, schwere Frage. Man muss gar nichts. Wenn man an anderen Kulturen interessiert ist und mal sehen will, wie es in diesem zweit-bevölkerungsreichsten Land der Erde so abgeht, dann muss man herkommen und diese persönliche Erfahrung machen. Aber man muss sich auch darüber im Klaren sein, dass alles noch viel schlimmer ist als man es sich vorgestellt hat. Nicht für uns Touristen selbst, sondern für den armen indischen Durchschnittsbürger. Uns Touristen haben sie absolut fair und zuvorkommend behandelt – kein böses Wort oder gar Beschimpfungen waren jemals auszumachen. Man muss sich auch darüber im Klaren sein, dass wir insgesamt alleine mit dem Bus 2700 km in zehn Tagen gefahren sind, was nicht für jeden ein Vergnügen darstellt. Das Risiko der Nichtverträglichkeit des fremden Essens ist hoch, wie unsere Durchfallquote zeigte. Und nach dem Abendessen ist Schluss mit lustig. Meist ist man danach sowieso fix und fertig und nicht mehr willens, noch groß was zu erleben. Die unglaubliche Menge an Sehenswürdigkeiten haben meine Sinne eher verstopft als geweitet. Vieles muss ich noch mal in Ruhe nachlesen und vielleicht erst dann richtig verstehen. Also, hier die Antwort: Man muss schon mal nach Indien fliegen. Aber sicher kein zweites Mal.
Was die Organisation durch TrendTours angeht, kann ich nur Bestnoten vergeben. Unser Reiseleiter war ein sympathischer, äußerst eloquenter Typ, der jedes Problem im Nu lösen konnte. Der Fahrer des Busses war eigentlich sogar noch wichtiger, denn in seine erfahrenen Hände legten wir unser Leben. Und der Wasserjunge hat sich jeden Euro Trinkgeld redlich durch seine sympathische Freundlichkeit, seine unaufdringliche Hilfsbereitschaft und sein herzliches Lächeln verdient.
Und die Reisegruppe? Mhm. Manchmal ist es besser, zu schweigen.

Ach ja, eins noch: alle indischen Männer haben einen Schnurrbart. Alle.

Delhi, 27.3.2019

Usbekistan

Ein paar Sätze vorweg:
Dieser Reisebericht erhebt nicht den Anspruch, vollständig, genau oder gar objektiv zu sein. Nein, er spiegelt lediglich wieder, wie sich der Ablauf für mich persönlich dargestellt hat. Andere mögen Dinge, die ich bemängele, unwichtig finden, andere ärgern sich vielleicht über Vorfälle, über die ich nur lachen kann. Und was die ganzen angesprochenen Namen, Zeiten, Zahlen und Details jeder Art angeht, sind sie nur ein Spiegelbild dessen, was sich mein Kopf behalten hat. Für exakte Daten bemühe man bitte ein Lexikon, am besten „Wikipedia“ im Internet.

Geschafft. Und zwar völlig. Als mir morgens um 5:15 Uhr die Augen zufallen sollen, klappt es nicht so recht. Ich kann zu allem Überfluss noch nicht einmal einschlafen. Und das, obwohl in weniger als vier Stunden der Wecker klingelt. Schuld an der Misere ist ein großer Organisationsfehler meines Reiseanbieters „Trendtours“.
Ich war ja mit denen schon mal in Slowenien, da hat alles ja mehr oder weniger gut geklappt. Aber was man uns hier angetan hat, habe ich noch nicht erlebt.

Aber der Reihe nach. Trendtours bot vor etwa neun Monaten eine Reise nach Usbekistan an. Der geneigte Leser wird sich verwundert fragen, was um alles in der Welt man da will. Nun, wenn man in seinem Leben schon so oft in den üblichen Urlaubsländern war, muss man auch mal was Neues wagen. Dazu gehörte schon China, Slowenien und Südvietnam – die Reiseberichte finden sich ja alle weiter unten in diesem Blog. Diesmal also Usbekistan – oder Uzbekistan, wie die Einheimischen ihr Land nennen. Für knapp 1900 Euro bot man eine Rundreise durch die „alte Seidenstraße“, wie sich das Land auch gerne verkauft. Die Hotels wie immer vom Feinsten, Transport per Bus, Bahn oder Schiff und Hin- und Rückflug mit Aeroflot. Ich hatte erwartet, mit einer uralten Illjuschin Turbopropmaschine einen ihrer letzten Gnadenflüge mitzumachen, aber weit gefehlt. Die flotte Aeroflot gehört inzwischen zum Sky-Verbund und fliegt daher mit nahezu nagelneuen Airbus-Maschinen.

Um 14.15 Uhr ging es in Frankfurt fast pünktlich los. Bis auf ein paar Luftlöcher (ich weiß, sowas gibt es eigentlich gar nicht), die lautes Geschrei an Bord verursachten, war der Flug zum Zwischenlandepunkt Moskau auch wirklich in Ordnung. Das Essen war essbar, die russischen Stewardessen ausgesprochen ansehnlich, und meine Sitznachbarn waren auch sehr nett. Alkohol gab es übrigens keinen an Bord. Nicht einmal einen Begrüßungswodka mit dem Captain durfte man sich wünschen. Spaß beiseite: Die russische Luftfahrt ist inzwischen absolut auf Weltniveau.

In Moskau durften wir den Flughafen natürlich nicht verlassen, sondern mussten im Transitbereich auf unseren Anschlussflug warten. Wenn ich „wir“ sage, meine ich die anderen Gäste der Reise, die alle ziemlich eng beisammen saßen und sich so schon im Flieger näherkommen konnten. 39 Reiseteilnehmer waren wir. Alle schon alt bis sehr alt. Außer einem Ausreißer – einem jungen Mann um die 40 in T-Shirt und kurzen Hosen. Genug Ablenkung auf dem Moskauer Flughafen gab es, denn er ist im Grunde genommen nichts anderes als eine Mega-Duty-Free-Shopping-Mall. Hier findet man wirklich jeden noch so ausgefallenen Luxusartikel. Wahrscheinlich zu Preisen, die sich der gemeine Russe nicht leisten kann. Deswegen waren auch viele russische Urlauber an Bord, die sich bei diversen Frankfurter Händlern mit dem Nötigsten eingedeckt hatten. Aus Zollgründen trugen sie ihre ganzen Schätze in überdimensionalen Tüten mit sich rum.
Natürlich gab es kostenloses WLAN auf dem Flughafen, sodass ich in den zwei Stunden Wartezeit meine inzwischen aufgelaufenen Mails beantworten, den einen oder anderen Chat auf WhatsApp und Facebook führen und auch ein paar inzwischen fertiggestellten Sprechaufträge an die Kunden weiterleiten konnte.

Dann ging es endlich weiter nach Usbekistan. Hatten wir bisher mit dem Airbus A320 Vorlieb genommen, durften wir jetzt mit dem ungleich größeren A321 fliegen. Auch hier wieder: Neue Maschine, brauchbares Essen, nettes Personal, KEIN Alkohol.
Der Zeitunterschied zu Deutschland betrug in Moskau eine Stunde, in Usbekistan waren es dann schon drei Stunden.
Um halb drei Ortszeit, also eine halbe Stunde vor Mitternacht nach deutscher Zeit, landeten wir auf dem menschenleeren, recht überschaubaren Flughafen in Taschkent, der Hauptstadt von Usbekistan, wie ja jeder weiß. Wir waren sogar fast 30 Minuten schneller geflogen als es der Flugplan vorsah. Das hatte viele Vorteile, denn nachdem wir unsere Koffer in affenartiger Geschwindigkeit erhalten hatten, standen wir als Einzige vor ca. 20 Ausweiskontrollstellen. Das heißt, wir waren im Nu durch und standen dann plötzlich vor dem Flughafengebäude im Freien. Weit und breit kein Vertreter von „Trendtours“, weit und breit nur Taxifahrer, die in uns leichte Beute witterten.
Ich war einer der Ersten und entdeckte in etwa 200 Metern Entfernung ein paar Reisebusse. In der (richtigen) Annahme, dass hier unsere Reiseleitung sein müsste, liefen wir zu dem ersten Bus, der tatsächlich ein Schild mit „Trendtours“ in der Windschutzscheibe hatte. Die Dame, die uns dann völlig verschlafen entgegen kam, fragte, ob wir zu der Gruppe „Blablabla“ gehören würden (wobei ich mir den Namen natürlich nicht merken konnte). Erst als wir sie aufklärten, dass sie ja wohl die Reiseleiterin von „Trendtours“ sei, bemerkte sie ihren Irrtum und war sichtlich irritiert, dass wir alle schon vor ihr standen. Leider wusste sie nicht, wie viele Personen unsere Gruppe umfasste. Also dackelte sie wieder zurück in den Flughafen – mit „Trendtours“-Schild, um weitere Passagiere abzufangen. Es kamen aber keine mehr, denn wir waren ja alle längst im Bus. Nach ca. 20 Minuten kam sie dann endlich wieder, um zuzugeben, dass da keiner mehr war.

Kaum dass wir losfuhren, der nächste Schock. Unsere Reiseleiterin, eine resolute Frau um die fünfzig, sagte, wir wüssten ja, dass wir in zwei verschiedenen Hotels wohnen würden. Wussten wir natürlich nicht. Wir wussten ja nicht einmal den Namen von EINEM Hotel. Also schlug sie vor, dass wir erst einmal zum ersten Hotel fahren würden, dort alle aussteigen sollten, um herauszufinden, wer denn in diesem Hotel wohnen würde, und dann mit dem Rest ins zweite Hotel weiterzuziehen. Irgendwann wurde sie dann anscheinend doch etwas wacher, denn sie bot an, die Liste der Hotelgäste aus der Rezeption zu holen, um dann vorzulesen, wer alles im Hotel RAMADA wohnen würde. Der Rest müsste dann ja automatisch ins zweite Hotel, das „City-Plaza“ gehören.

Nach ca. 5 Minuten Fahrt ging ein widerlicher Pfeifton durch den angeblich ganz neuen Bus, der gerade erst aus China angeliefert worden sei (was nicht stimmen konnte, denn es fanden sich eine Menge Gebrauchsspuren im Inneren des Busses). Der Fahrer hielt an, stieg aus, kam wieder rein, öffnete ein Fach, entnahm einen Werkzeugkasten und begann, draußen im Freien eine Blinkerbirne zu wechseln. Nachts um halb vier. Als er fertig war, hörte das Pfeifen dann zum Glück auf.

Weitere 20 Minuten später kamen wir im RAMADA an. Unsere Reiseleiterin ging rein, holte die Gästeliste und las laut vor, wer da alles zu wohnen hatte. Datenschutz ade. Ich war jedenfalls nicht dabei. Das hatte ich mir schon gedacht. Übrig blieben genau fünf Einzelreisende, zwei Frauen und drei Männer. Wir mussten also dafür, dass es im ersten Hotel anscheinend keine Einzelzimmer gab, in ein anderes Hotel gekarrt werden.

Um viertel nach vier waren wir endlich da. Unsere Reiseleiterin sammelte unsere Pässe ein und ging zur Rezeption. Dort war man etwas verwundert ob des späten Besuchs. Zimmer waren nämlich keine reserviert. Und frei waren natürlich auch keine. Nicht einmal Doppelzimmer. „Frühestens in einer halben Stunde“ wäre das erste Zimmer dann beziehbar, die anderen jeweils eine halbe Stunde später.

Das muss man sich mal vorstellen. Da reist man zwölf Stunden durch halb Europa bis nach Zentralasien und erfährt dann, dass irgendjemand, dessen Kopf hoffentlich rollen wird, vergessen hat, uns zu buchen. Wir Männer haben natürlich den beiden Damen den Vortritt gelassen. Und die beiden jüngeren Männer haben mich dann auch vorgelassen, als mein Zimmer um 5:15 Uhr endlich bezugsfertig war. Der Jüngste ist gegen sechs ins Bett gefallen.
Das Zimmer ist OK, aber nicht berauschend. Das Bett ist extrem weich, das Kopfkissen hart wie eine Zervelatwurst. Es gibt keinen Tresor. Zum Duschen muss man in eine hochwandige Badewanne steigen.

Der zweite Tag

Und um neun klingelt der Wecker. Frühstück geht nur bis zehn. Ab elf beginnt das Tourprogramm, zunächst mit einer Stadtrundfahrt. Ich bin völlig zermatscht. Selbst nach einer Dusche bin ich nicht wirklich vorhanden. Das Frühstück schlinge ich wie in Trance in mich rein. Ich würde gerne noch ein wenig schlafen, aber es gelingt mir nicht. Immerhin gibt es kostenloses WLAN im Hotel, das sogar recht flott ist. Bis zur Abholung beantworte ich also mal wieder den täglichen Krimskrams aus dem Internet.
Draußen scheint die Sonne. 28 Grad sind angesagt. So wie an ca. 300 Tagen im Jahr.

Die „große Stadtrundfahrt“ entpuppt sich als ziemliche Enttäuschung. Wir besichtigen gerade mal zwei Sehenswürdigkeiten: Eine Moschee und ein jüdisches Museum. Unsere Reiseleiterin ist jetzt endlich in ihrem Element. Sie erzählt uns die gar nicht so schöne Geschichte des Landes emotionslos, schnell und ohne auf Fragen einzugehen. Als das Land noch zu Russland gehörte, gab es quasi keine Religion. Gerade mal fünf Moscheen soll es gegeben haben. Nach der Aufteilung der Länder in selbstständige Staaten 1991 gab es noch die GUS, bis Usbekistan dann ca. 1997 dann tatsächlich ein eigener Staat war. Und damit kamen auch die Moscheen wieder. Bis zu 50.000 Moscheen soll es gegeben haben, bevor man durch entsprechende Regulierungen die Anzahl auf heute ca. 5000 (davon alleine 500 hier in Taschkent) reduzierte. Wir traben durch die verschiedenen Teile der Moschee, lassen uns erklären, was da alles so gemacht wird (heute zum Beispiel das Freitagsgebet) und schauen uns in einem kleinen Basar auf dem Gelände recht hübsche Handarbeiten an. Punkt eins tönt aus dem Lautsprecher des großen Turms der Moschee der Vorsinger – und hunderte Muslime stimmen ein und erledigen ihre religiösen Verpflichtungen. Mein Problem mit Religionen aller Art ist dem Leser dieser Zeilen sicher bekannt, sofern er auch ein paar andere Reiseberichte von mir gelesen hat. Dies kann nicht der richtige Weg zu einem friedlichen Miteinander der Menschheit sein. Erlasst vernünftige Gesetze und lebt danach! Die zehn Gebote waren schon ein ganz guter Anfang, aber unser Grundgesetz regelt das alles noch bedeutend filigraner und vernünftiger.

Die Parkplätze rund um die Moschee sind vollgestellt von hunderten, wenn nicht gar tausenden kleinen weißen Autos der Marke Chevrolet. Ich weiß nicht, wer die Marke hierher verkauft hat, aber derjenige hat einen sauguten Job gemacht. Rund 90% aller Autos tragen den Markennamen Chevrolet, der allerdings inzwischen dem Daewoo-Konzern angehört. Und weil alle durcheinander parken, haben sich die Autobesitzer eine feine Sache ausgedacht: Auf fast jeder Windschutzscheibe befindet sich innen ein kleines Gerät, das man von außen durch Anklopfen „wecken“ kann. Dadurch wird der Besitzer des Wagens per Funk verständigt, dass seine Gurke irgendwie im Weg steht und er gefälligst sofort zu seinem Gefährt kommen soll.

Ich hab´s nicht getestet, denn wir müssen ja weiter.
Ein jüdisches Museum steht auf dem Programm. Schon wieder Religion. Wir sehen alte Teppiche, Keramiken, Wandgemälde und Holzschnitzereien. Belege vergangener Kulturen. Sicherlich sehr schön, gut erhalten und beachtenswert. Das schaue ich mir dann aber auch gerne mal auf ARTE an, dazu muss ich nicht um die halbe Welt reisen. OK, ich bin vielleicht ein Kulturbanause. Mich interessiert die aktuelle Wirklichkeit mehr als die Vergangenheit. Ich will sehen, wie die Menschen hier leben, wie sie wohnen, was sie verdienen. Von unserer Reiseleiterin höre ich nur, dass etwa 30% der Usbeken arbeitslos sind. Von den 32 Millionen Einwohnern (3 davon wohnen in Taschkent) sind allerdings 8 Millionen in Russland und anderen Ländern beschäftigt. Das bedeutet, dass rund 9 Millionen Usbeken arbeitslos sind.

Wir werden nach dem Besuch des jüdischen Museums jedenfalls erst mal wieder für eine Weile im Hotel geparkt, wo sich übrigens inzwischen noch niemand um das Zimmer gekümmert hat. Ein Teil der Truppe hat noch einen „fakultativen Ausflug“ in eine Keramikfabrik gebucht, was vermutlich eine Art Kaffeefahrt ist. Das brauche ich nicht. Ich brauche Schlaf! Und wenn es nur ein Stündlein ist…

Sechzig Minuten später stehe ich wieder vor dem Hotel. Abholung zum Abendessen. Abendessen? Abendessen um 17.00 Uhr? Ja, das ist der Plan. Immerhin hatten wir kein Mittagessen, sodass jeder Happen sehnlichst gewünscht wird. Um wenn ich die Zeitverschiebung einrechne, sind wir ja eigentlich innerlich immer noch bei 14.00 Uhr good old German time.

Wir fahren in ein riesiges Sportzentrum, in dem junge Athleten in allen möglichen Disziplinen trainieren. Sie stehen rum, haben irgendwelche wichtigen Schilder um den Hals hängen und warten auf irgendwas. Worauf sie warten, erschließt sich uns leider nicht.

Auf dem Gelände gibt es jedenfalls ein sehr, sehr, seeehr großes Speiselokal, in dem man uns bereits sehnsüchtig erwartet. Vier Tische á 10 Personen sind bereits eingedeckt. Der Vorspeisensalat steht auch schon da, hoffentlich noch nicht zu lange. Die Getränke gehen – bis auf das warme Wasser – zu unseren Lasten. Ich bin so blöd und bestelle einen Weißwein. Mhm. Wie soll ich den beschreiben? Schon der Essig-Geruch erzeugt Würgereflexe. Egal, ich bin Gast und trinke, was mir vorgesetzt wird.

Das Essen ist recht abwechslungsreich. Es gibt Suppe, Teigtaschen mit Hackfleischfüllung, Hammel mit Kartoffeln und Salat und zwei Sorten Melone. Um uns das Essen angenehmer zu gestalten, tritt vor der Hauptspeise unvermittelt eine Tänzerin in einem geschichtsträchtigen Kostüm auf. Sie tanzt sehr hübsch zur überlauten Musik und lächelt sich dabei einen Wolf. Na gut, genehmigt. Zum Nachtisch beginnt dann noch eine Liveband, sich im Zweiminutenabstand zu verdoppeln. Also erst eine Art Gitarre, dann eine zweite, dann plötzlich noch ein Schlagzeuger und ein Stehbass. Bevor nun als Nächstes acht Geiger und gar noch eine Bläsergruppe jede Unterhaltung unmöglich gemacht hätte, verlassen wir den Laden.

 

Unsere Reiseleiterin hat es eilig, denn ein Teil unserer Truppe (immerhin 14 Leute!) haben noch einen Besuch im Staatstheater gebucht: ROMEO UND JULIA als Ballett. Die Musik von Prokofiev liebe ich zwar sehr, aber Ballett ist nicht so mein Ding. Und das liegt nicht daran, dass ich in meiner Jugend das ARD-Fernsehballett mit meinen Eltern ertragen musste…
Blöderweise kann man bei „Trendtours“ auch nicht spontan entscheiden, diese fakultativen Ausflüge noch nachträglich zu buchen. Geht nicht, ist nicht vorgesehen, Umsatz verschenkt, dumm gelaufen.
Das waren also die Highlights aus Taschkent, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass so eine Dreimillionenstadt nicht doch noch mehr für Touristen zu bieten hat als Moscheen und jüdische Museen. Aber wir werden ja am vorletzten Tag nochmal hierher zurück kommen. Vielleicht sehen wir dann mehr. Was wir so aus dem Bus heraus gesehen haben, war jedenfalls sehr schön. Wunderbare, breite Allen mit riesigen Grünstreifen dazwischen. Bäume ohne Ende und dadurch eine vergleichsweise saubere Luft, obwohl noch der eine oder andere LADA und viele Dieselautos die Luft verpesten. Alle Bäume (im ganzen Land!) sind übrigens etwa 70cm hoch am Stamm mit weißer Farbe bemalt. Die Farbe enthält ein Insektenschutzmittel und soll Ameisen abhalten. Warum man diese Farbe auch auf Stein- oder Metallmasten aufträgt, bleibt mir allerdings ein Geheimnis. Die Nationen sind hier bunt gemischt, ohne sich gegenseitig zu bekämpfen und sehr freundlich zu uns Touristen. 60% der Einwohner sind unter 25 Jahre alt. Alte Menschen sieht man nur bei den Touristen. Wichtig: Die Sauberkeit. Usbekistan ist extrem sauber. Die Straßen werden ständig von älteren Frauen gekehrt, die vielen Grünanlagen werden durchgehend gewässert und eine großzügige Beleuchtung der Alleen („Straßen“ würde es nicht treffen) sorgt auch nachts für eine Wohlfühlatmosphäre. Usbekistan war bis vor zwei Jahren übrigens das sicherste Land der Welt. Nach dem Tod des damaligen Ministerpräsidenten betreibt sein Nachfolger wohl schon wieder gefährliche Kontaktgespräche mit den No-Go-Areas drumherum, aber er ist dennoch sehr beliebt, weil er eine Unmenge an Neubauten auf den Weg gebracht hat und sich das Bruttosozialprodukt langsam erholt. Die Bestechung ist allerdings wieder im Vormarsch (Platz 157 von 180 Ländern bei „Transparency International“) und die Bevölkerung wird an einer sehr kurzen Leine gehalten. Pressefreiheit gibt es schon gar nicht – viele Journalisten schauen sich das Land durch das Fenster ihrer Gefängniszelle an. Wir als Touristen merken zum Glück davon nichts, aber unsere Reiseleiterin (und meine Google-Nachforschungen) bestätigen das eben Geschriebene.

Wir fahren also zurück ins Hotel, das immer noch keine Zeit gefunden hat, mein Zimmer zu machen. Ich gebe ihnen eine letzte Chance, solange ich runter an die Hotelbar gehe, um bei einem Glas Gin Tonic den Tagesablauf zu notieren.
OK, das mit dem Gin Tonic war nichts. Es gibt kein Tonic-Water in Usbekistan – jedenfalls nicht in diesem Vier-Sterne-Hotel. Wir haben versucht, mit den vorhandenen Softdrinks irgendetwas Vergleichbares zu kreieren – war aber nichts. Ein Tuborg-Bier muss jetzt für die nötige Bettruhe sorgen. Tut es. Jedenfalls das Dritte.

Der dritte Tag

Um 5:30 Uhr Ortszeit bimmelt mich mein iPhone aus dem Tiefschlaf. Also rund 24 Stunden nach meiner Ankunft müssen wir das Hotel wieder verlassen. Vielleicht räumt ja jetzt irgend jemand das Zimmer auf. Ein puritanisches Frühstück (Kaffee, Banane und ein Joghurt) muss reichen. Was anderes gibt es um diese Uhrzeit auch gar nicht.

Beim Auschecken bekommen wir einen kleinen Zettel abgestempelt, der Ort und Dauer unseres Aufenthalts dokumentiert und für die Ausreise im Pass abgelegt werden muss. So prüft der Staat, ob wir vielleicht heimlich irgendwo hingefahren sind, wo man nicht hin darf. Vielleicht prüfen sie auch nur, ob die Hotels ihre Einnahmen ordentlich angeben.

Heute geht es mit dem Zug nach SAMARKAND. Unser Bus kommt relativ pünktlich um halb sieben. Und mit ihm eine neue Reiseleiterin. „Lina“ ist um die sechzig, Russin, wohnt aber schon seit 30 Jahren in Usbekistan. Mit ihrer Kurzhaarfrisur, ihren harten Gesichtszügen und Ihrer schnarrenden Stimme im Befehlston könnte sie sehr gut eine russische KGB-Agentin in einem James-Bond-Streifen abgeben. Vor allem aber ist sie müde, was für Reisebegleiter in diesem Land ein Dauerzustand zu sein scheint. Die letzte Reisegruppe hat sie erst um zwei Uhr zum Flughafen gebracht. Als erste Amtshandlung sammelt sie Trinkgelder für unseren Busfahrer ein. Ich gebe 50.000 Euro, quatsch SO´M, wie hier die Währung heißt. Das sind knapp 5 Euro und für ein Trinkgeld eigentlich viel zu hoch. Aber egal, kleinere Scheine habe ich sowieso nicht. Am Bahnhof werden wir mit unseren Koffern wie auf einem Flughafen kontrolliert, wenn auch nur sehr lasch. Es sind inzwischen schon wieder 20 Grad mit der Tendenz nach oben.
Unser Zug ist natürlich pünktlich und hochmodern. Er ist bereits eine halbe Stunde vor der Abfahrt eingelaufen. Wir fünf „Externen“ sind auch hier wieder vom Rest der Gruppe isoliert und sitzen in einem eigenen Abteil, direkt neben dem Bordrestaurant. Gerade als ich überlege, dieses aufzusuchen, um vielleicht doch noch was Frühstücksmäßiges zu bekommen, rollt wie im Flugzeug ein Servicewagen vorbei. Die freundliche Bedienung versorgt uns mit einem Becher heißen Wassers und einer Tüte mit lauter feinen Dingen: Kaffeepulver, Teebeutel, Milchpulver, Zucker, Löffel, Reinigungstuch und vor allem einem „Würstchen im Schlafrock“. Damit ist der erste Hunger erst einmal gestillt. Und umsonst war´s auch noch.

Die Bahn kommt genau zwei Stunden und 11 Minuten später pünktlich in SAMARKAND an. Das ist eine Stadt mit etwa 300.000 Einwohnern. Außerdem gibt es hier gleich zwei der bedeutendsten Bauwerke aus alten Zeiten zu sehen. Da wäre zum einen das Grab eines grausamen antiken Feldherren namens Amir Temur, der gerne mal Pyramiden aus Menschenschädeln errichten ließ. Hier lag er nun, zusammen mit seinem Sohn und Nachfolger, der wiederum von dessen Sohn geköpft wurde, weil er die Macht nicht an seinen Nachwuchs weitergeben wollte. Waren schon wilde Zeiten damals. Das Grabmal sieht eigentlich der Moschee von gestern ziemlich ähnlich. Ich kann mich aber auch täuschen, weil sich diese Riesenbauwerke alle irgendwie ähneln.

Die nächste Sehenswürdigkeit sieht wieder fast genauso aus. Nur handelt es sich diesmal um eine ehemalige Koranschule, genauer gesagt, mal wieder um eine Moschee mit diversen Nebengebäuden. Das riesige Gelände heißt „REGISTAN“. Wir verbringen gut eineinhalb Stunden in den vielen unterschiedlichen Gebäuden, lauschen einheimischen Musikern, besuchen Dutzende kleine Läden mit Handarbeiten, staunen über die schiefen Türme (Der Untergrund verschiebt sich ständig!) und warten auf das Mittagessen, das tatsächlich eine sehr angenehme Überraschung mit sich bringt. Für umgerechnet sieben Euro bekommen wir mehrere Vorspeisen, eine Hauptspeise und den obligatorischen Nachtisch. Ich habe keine Ahnung, was ich da alles gegessen habe, aber es war lecker. Es war viel durchgekochtes Gemüse dabei, Hackfleisch vom Hammel und Rind und sehr schön feste Kartoffeln. Dazu ein eiskaltes Bier vom Feinsten. Das mit dem Wein lasse ich hier mal besser sein…

Nach dem Essen lernen wir endlich unser neues Hotel kennen. Wundersamer Weise passen wir alle rein. Es heißt „KARVONS HOTEL“ und ist eine Bruchbude.

Mein Einzelzimmer direkt unter dem Dach ist so groß wie eine Gefängniszelle. Die Stromleitungen sind auf die Wände aufgetackert, der Fußboden besteht aus sich auflösendem Laminat. Der Kleiderschrank hat keine Knöpfe zum Öffnen mehr. Die Vorhänge lassen sich nicht lichtdicht verschließen und die Batterie der Fernbedienung für die Klimaanlage ist leer. Die Dusche ist undicht, sodass das gesamte Duschwasser unter der Duschwanne wieder hervorkommt und das gesamte (kleine) Bad unter Wasser setzt. Das Waschbecken ist nur auf den Untersatz aufgelegt und das Klo kippt nach vorne, wenn man sich draufsetzt. Dass das Türschloss verkehrt herum eingebaut wurde und die Klobrille jeden Moment abbricht, spielt da nur noch eine periphere Rolle. In anderen Zimmern fehlt mal ein Nachttisch oder eine Nachttischlampe. Die Deckenleuchten kann man vom Bett aus nicht ausschalten und die Schalter befinden sich ca. 50 cm über dem Boden neben der Eingangstür. Der Hammer aber ist, dass die Betten nur teilweise bezogen sind! Jawohl, es gibt eine Art Kissen und auch ein Bettlaken Der Bezug der Bettdecke liegt allerdings zusammengefaltet am Ende des Betts. Außerdem ein weiteres Laken und eine Überdecke. Diese Do-it-Yourself-Philosophie in der Gastronomie ist mir neu. Natürlich steht auch keine Wasserflasche bereit, was das Zähneputzen zu einem nicht geringen Risiko macht. Das ganze Gebäude sieht zwar von außen wunderbar aus, hat aber innen an allen Ecken und Enden größere Macken. So sind die Stufen im Treppenhaus (natürlich gibt es keinen Lift!) unterschiedlich hoch, was einen gerne zum Stolpern bringt. Alle Schalter und Steckdosen sind auf unterschiedlicher Höhe angebracht und in der Regel auch nicht im rechten Winkel, sondern mal nach links, mal nach rechts drehend. Ich habe das Gefühl, die noch recht jungen Inhaber des Hotels haben den Kasten selbst zusammengebaut, nachdem sie ein paar Stunden in der Lehre waren.
Wir haben nicht viel Zeit, uns zu beschweren, denn das Programm geht weiter. Der Besuch einer Seidenteppichmanufaktur steht im Plan. Also mal wieder eine Kaffeefahrt, sollte man meinen. Aber der afghanische Verkäufer, Abdullah, der während des Afghanistan-Krieges in einer deutschen Schule ein hervorragendes Deutsch gelernt hat, macht seinen Job mit einem solchen Spaß, dass er damit als Comedian auf Tour gehen könnte. Er ermuntert uns sogar, die Muster der Teppiche abzufotografieren, damit wir zu Hause am Wochenende in unserer Freizeit einen eigenen Teppich knüpfen könnten. Im Grunde ist die Show nicht anders als bei meinen beiden Besuchen in der Türkei, aber Abdullah macht es einfach bedeutend symphatischer. 1000 Leute werden hier im Laufe eines Tages durch die Räume geschleust, in allen Sprachen dieser Erde. Darunter auch Putin, Steinmeier und Hilary Clinton. Die Bilder scheinen jedenfalls echt zu sein.
Natürlich kauft sich keiner einen Teppich, was bei Preisen ab 1000 Dollar für Kleinkram bis hin zu 100000 Dollar für besonders edle Teile auch kaum verwunderlich ist. Die Zeit der Orientteppiche ist – zumindest in Deutschland – vorbei, obwohl meine Mutter nach wie vor von der Langlebigkeit dieser Produkte (im Vergleich zu meinen Autos) überzeugt ist.

Also wieder zurück ins Hotel. Kurz frisch machen. Dann schon wieder Essen. Diesmal nicht so dolle. Alles geht rasend schnell, als wollte man uns sofort wieder loswerden. Das Essen gleicht dem vom Mittag, ohne jedoch genauso gut zu schmecken. Salz fehlt z.B. völlig. Da unsere 39-köpfige Gruppe sich so langsam auf der Straße wiedererkennen würde, bilden sich inzwischen auch kleine Grüppchen. Wer sind denn die Leute, mit denen ich durch das wilde Usbekistan reise? Wir sind wohl sieben Alleinreisende und 16 Paare, bis auf einen Ausrutscher fast allesamt gut jenseits der sechzig. Gefühlt manche schon eher achtzig. Eine Dame aus Bad Nauheim läuft wegen Hüfte/Knie mit zwei Stöcken, ein Herr aus Krefeld wegen Kreuzkaputt mit nur einem Stock, dafür nur in Trippelschrittchen rum. Er ist aber auch schon 81. Seine Frau ist sehr viel jünger. Chapeau! (Für ihn, nicht für die Frau!). Der älteste Mitreisende ist gar 88 Jahre alt. Die Herren haben bis auf wenige Ausnahmen Übergewicht, die Damen nur zum Teil. Man kommt aus ganz Deutschland, natürlich auch aus dem Osten Deutschlands. Unser Youngster, Andreas aus Augsburg, bringt die Truppe immer gerne wieder in Schwung. Fünf Raucher (darunter auch Andreas) stehen regelmäßig vor den Restaurants auf der Straße, um ihr mitgebrachtes Qualmzeug zu rauchen. Alex hat so eine moderne Computerzigarette, die direkt nur den Tabak verbrennt und 30% weniger Schadstoffe haben soll. Wären mir immer noch 30% zu viel. Beim gemeinsamen Essen oder abends auf der Hotelterrasse kommt man sich näher und erzählt aus seinem Leben. Bis jetzt gab es keine Querköpfe oder Unsympathen in der Gruppe. Mit allen lässt es sich gut aushalten. Das mag daran liegen, dass meine Toleranzschwelle im Laufe der Jahre gesunken ist oder dass es sich wirklich um nette Leute handelt. Der Slogan von „Trendtours“ lautet ja: „Verreisen mit netten Leuten“. Ich nehm´s wie´s ist und schiele nur ein ganz klein bisschen neidisch auf die italienische Reisegruppe, die wir auch ständig überall wiedersehen. Da sind wirklich vier Generationen zusammengewürfelt.

So, inzwischen haben wir aufgegessen und fahren mal wieder mit dem Bus ins Hotel. Da vor dem REGISTAN (diese Moscheeähnliche Koranschule) heute Abend eine Open-Air-Veranstaltung mit berühmten Sängern (Oper), einem riesigen Live-Orchester und einer wahnwitzigen Lightshow stattfindet, machen wir da für einen Teil von uns nochmal halt und schauen uns das Spektakel aus 50 Meter Entfernung an. Tolles Orchester, toller Sänger. Tolle, schöne Menschen beiderlei Geschlechts säumen den Platz und die Wege. Toller Abschluss des dritten Tages. Die dreihundert Meter bis zum Hotel laufe ich zu Fuß. Und weil alles so schön ist, setze ich mich noch in den Hotelgarten und will ein bisschen an diesem Text feilen. Aber da kommen schon die anderen ebenfalls von dem Konzert zurück, setzen sich zu mir und helfen mir, eine weitere Flasche Bier zu leeren. Danach wird es richtig kalt und Zeit für die Heia.

Da die Klimaanlage immer noch läuft, ist es auch im Zimmer jetzt sehr kalt. In Verbindung mit der fehlenden Bettdecke habe ich eine sehr unruhige Nacht mit sehr merkwürdigen Alpträumen. Aber die behalte ich besser für mich.

Der vierte Tag

Sechs Uhr dreißig Wecken. Das geht ja noch. Ich bin froh, mich wieder anziehen zu dürfen. Im Bad wieder der Schock mit dem austretenden Duschwasser. Ich bin heute irgendwie sehr langsam und komme erst fünf Minuten vor der Abfahrt ins Frühstücksrestaurant. Dort sitzen noch einige unserer Tour-Teilnehmer und jammern vor sich hin. Den Kaffee kann man nur einzeln beim Kellner bestellen. Mit ein bisschen Glück bekommt man ihn dann eine Viertelstunde später, da er in einer Espressomaschine hergestellt wird und nur tropfenweise aus dem Gerät kommt. Also Tee. Teebeutel, genauer gesagt. Brot gibt es nicht mehr. Aber noch zwei Scheiben Wurst und ein Mini-Bockwürstchen. Käse: Nein danke. Eier? Schon lange aus. Butter hätten wir noch. Und Gulasch mit Kartoffeln, das langsam aber sicher in die Tage kommt und besser an die Hühner verfüttert werden sollte. Vier Stewardessen und zwei Piloten kommen auch mit mir zum Frühstück. Auch für sie gibt es nichts mehr. Ich möchte kein Fluggast sein, der von dieser Crew heute geflogen wird. Gerade als ich aufgeben will, kommt einer der beiden Jungs zurück von einem Lebensmittelgeschäft auf der anderen Straßenseite und bringt eine große Tüte mit Äpfeln mit, von denen ich mir einen ergattern kann.

Und damit beginnt unser Mammutprogramm für diesen Tag. Ich habe meine Kleidung den anderen Herren angepasst und auch auf “Kurze Hose“ umgestellt , weil es ja nun wirklich jeden Tag wunderbar warm wird.

Wir beginnen zur Abwechslung mal mit dem Besuch einer Seidenpapierfabrik. Fabrik ist nicht das richtige Wort, da das teure Seidenpapier hier von Hand hergestellt wird. Ein paar clevere Usbeken haben sich das Geheimnis der Herstellung patentieren lassen und beliefern inzwischen Behörden im In-und Ausland mit diesem widerstandsfähigen, fast unzerreißbaren dokumentenechten Papier. Wir schauen uns die Herstellung an und bekommen dafür auch noch ein Schälchen Tee gereicht. Die Zuckerwürfel haben übrigens die Form eines Seidenraupencoupons. Während der vier Touristenmonate (April/Mai und September/Oktober) ruht die Produktion. Dann läuft nur ein Touri-Programm mit diesen interessanten Vorführungen. Da das Papier mit den Blättern des Maulbeerbaums produziert wird, stehen auch hunderte dieser Bäume zum „Ernten“ um die Produktionsstätte herum. Außer Papier kann man noch eine Menge anderer Dinge mit dem Verfahren herstellen: Taschen, Mäntel, Kleidung, Püppchen und jede Menge Schnickschnack. Wir kaufen nix und fahren weiter.

Ein antikes Planetarium steht auf dem Programm. Irgendein Krieger, der sich sehr für Astronomie interessierte, hat monatelang nach einer Art Himmelsfernrohr gesucht und schließlich auch gefunden. Das Gestell für dieses Riesenmonster wurde in zwei halbrunden Aussparungen ca. 15 Meter unter der Erde hin und her bewegt (von entsprechend ausgebildeten Sklaven vermutlich, denn das Ding muss sehr, sehr schwer gewesen sein!). Der Lichtschein der Himmelskörper spiegelte sich dann auf dem Boden des „Objektivs“ (oder wie immer man das nennen soll). Auf diese Weise hat der feine Herr rund 1600 Sterne entdeckt, bzw. deren Laufbahn genau beschrieben. Die Abweichung betrug nur +/- ein Grad! Neben der Ausgrabung gibt es auch noch ein modernes Museum, in dem man noch sehr viel mehr über die Technik dieser Himmelsentdeckung erfahren könnte, wenn uns nicht der Tagesplan zum nächsten Veranstaltungsort getrieben hätte: Ein Mausoleum.

Nein, nicht EIN Mausoleum. Eine ganze Straße voller Mausoleen. Alle mindestens so groß wie ein dreistöckiges Haus. Wie überall, auch hier mit blauen Mosaiken verziert. Man darf die Räume sogar betreten, aber außer einem Steinklotz in Form eines Sargs ist da nicht viel zu sehen. Auf manchen Sarkophargen liegen sogar dicke Geldbündel drauf, obwohl dies verboten ist. Erstaunlicherweise scheint sich keiner zu trauen, dieses Geld zu mopsen.

Nach dem Mittagessen, an das ich mich schon gar nicht mehr erinnern kann, geht es weiter zu einer kaputten Moschee namens Bibi-Chanum. So langsam bringe ich die vielen Moscheen durcheinander. Ein paar werden noch benutzt, andere dienen als Basar. Es sind auf jeden Fall zu viele. Auf einem der vielen Basare beenden wir das heutige Programm. Was gibt es zu kaufen? Einfach gesagt: Nichts, was wir wirklich brauchen. Fellmützen für den Winter wären zwar zu erwägen, aber mit den hunderttausenden von Seidenschals jedweder Qualität kann ich nichts anfangen. Sie stehen mir einfach nicht.

Auch heute bekommen wir wieder ein wunderbares Abendessen. In der Regel besteht so ein Mahl aus drei bis vier Vorspeisen (Gekochtes Gemüse, Salate, irgendwas Undefinierbares), einer Suppe, einer Hauptspeise und einem Nachtisch. Wasser ist frei, aber die Getränke, meist Bier, müssen wir selbst bezahlen. Was bei ca. 2 Euro für 0,5 Liter auch nicht schwer fällt.

Zurück in unserem Bruchbudenhotel bildet sich noch eine Gruppe von ca. zehn Teilnehmern, die den Tag bei fröhlichen Gesprächen ausklingen lassen wollen. Leider gibt es nur insgesamt 8 kalte Biere. Danach nur noch warme. Mit einer improvisierten Eistruhe lässt sich das Problem immerhin teilweise übergehen.

Der fünfte Tag

Das Frühstück ab sieben Uhr gestaltet sich wie gewohnt sehr einseitig. Statt Kaffee aus der Espressomaschine gibt es heute Kaffeepulver und heißes Wasser. Sonst gibt es fast nichts mehr, als ich hinzustoße. Unsere Reiseleiterin, Oberst Lina, hat erst gegen Mitternacht ein Hotel gefunden. So lange hat man sie hingehalten, dass doch noch etwas frei werden würde. Die Zettel für die Aufenthaltsbestätigung sind ebenfalls noch nicht gedruckt. Gleich zwei Crews der Usbekischen Fluggesellschaft „Usbekistan Airlines“ befinden sich in lautstarken Streit mit der Geschäftsleitung. Aus nahezu allen Duschen tropft das Wasser inzwischen durch die Decke nach unten.

Wie kann man so ein Juwel so in den Keller fahren? Das Gebäude ist sehr schön, modern und extrem gut gelegen, nämlich nur 10 Minuten zu Fuß von der größten Touristenattraktion, dem Registan, entfernt. Das Restaurant bräuchte nur ein wenig Licht und weniger dunkle Teppiche an den Wänden. Die Zimmer ließen sich für vergleichsweise wenig Geld wieder in Schuss bringen. Was fehlt, ist ein Manager, der Ahnung vom Hotelbetrieb hat und in der Lage ist, Personal zu führen. Ach so, das Personal sollte auch aus der Branche kommen, sonst dauert es ja ewig.

Egal – das ist nicht unser Problem. Wir verlassen diese ansonsten wunderschöne Stadt mit diesen wunderschönen, sehr freundlichen Menschen und haben eine Tagesreise mit dem Bus vor uns. Heute Abend wollen wir in Bughara sein, 130.000 Einwohner.

Die Fahrt im Bus ist recht beschwerlich, da die Straßen in keinem wirklich guten Zustand sind. Es gibt immer mal ein paar Kilometer, auf denen unser Fahrer Gas geben kann, aber in der Regel schleicht er nur so um die Schlaglöcher. Zu sehen ist wenig. Hie und da ein landwirtschaftlicher Betrieb, in der Regel nur Wiesen und Bäume (Die brav einen weißen Baumstamm angemalt bekommen haben).
Zwischendurch müssen wir einen Nothalt durchführen. Einer der Gäste hat ein Malheur mit seiner Hose gemeldet. Auf deutsch: Er hat reingeschissen und ist damit das erste Opfer der ängstlich erwarteten Magen/Darm-Grippe, die einen hier leicht befallen kann.
Um die Hose wechseln zu können, muss der Fahrer zunächst seinen Koffer aus dem Bus fischen. Dann dackelt der Ärmste so weit es geht von dem Bus weg, um hinter einem Busch den Rest seines Geschäfts zu machen und dann mit neuer Hose (die alte hat er gleich weggeworfen) wieder zurück in den Bus zu kommen.
Shit happens.

Immerhin ist unser Kommandeur Lina nun in ihrem Element, weil wir ihr ja im Bus nicht weglaufen können. Sie erzählt uns lustige Geschichten aus lustigen Büchern, die von einer Art Till Eulenspiegel handeln. Ihre Laune bessert sich auch deshalb, weil wir in Richtung Heimat fahren. Lina ist ja vor 30 Jahren aus Russland nach Bughara versetzt worden, um den Kindern russisch beizubringen, wie wir jetzt schon das dritte Mal hören.
Das Mittagessen findet bei einer Familie zuhause statt. Ja, so ist es. Viele Familien sind Großfamilien mit sehr großen Häusern, Räumen oder Innenhöfen, in denen sie normalerweise ihre Hochzeiten feiern. Eine Hochzeit mit 200 Leuten ist geradezu popelig, so ab 1000 gehört man dazu. Und weil man sonst mit den riesigen Höfen nicht viel anfangen kann, vermietet man sie an Touristen zum Mittagessen. Das Ganze wird wohl auch kontrolliert, so dass man sicher sein kann, dass mit dem Essen alles in Ordnung ist. Ist es das wirklich? Am Nachmittag haben wir nämlich schon ein zweites Opfer. Wir kommen uns vor wie bei Agatha Christies „Zehn kleine Maximalpigmentierte“ (Negerlein). Wen wird es noch treffen?
Mir geht es weiterhin magenmäßig ausgezeichnet. Nur mein Schnupfen wird immer stärker, was wohl daran liegt, dass ich meine Allergietabletten nicht genommen habe. Und warum habe ich die nicht genommen? Weil ich die zusammen mit meiner ganzen Reiseapotheke im Hotel in Taschkent im Bad liegen gelassen habe. Wenn meine Ärztin das liest, bekommt sie sicher einen Schreikampf. Aber keine Angst, Anna, ich lebe noch und habe auch inzwischen Ersatzmedikamente besorgt, die z. B. meinen hohen Blutdruck senken sollen. Da wir am Samstag nochmal in Taschkent übernachten werden, kann ich mir meine Reiseapotheke aber am vorletzten Tag wieder in dem Hotel abholen, in dem sie inzwischen gefunden und für mich aufbewahrt wird.

Nach dem Essen stehen uns weitere fünf Stunden Busfahrt bevor. Füllen wir sie mit ein paar interessanten Facts.
Usbekistan hatte 2017 erstmals eine Million Touristen. Das Land ist 447 qkm groß, genauso groß wie Schweden. Aufgeteilt ist es in 12 Provinzen und eine Sonderprovinz rund um den ARAL-See. Den dürfen wir übrigens nicht besuchen, weil er streng bewacht wird. Drei Länder haben Zugriff auf das lebenswichtige Wasser des Sees. Leider entnehmen alle Länder soviel Wasser wie es nur irgendwie geht, so dass der Grundwasserpegel inzwischen gefährlich gesunken ist. Was passiert, wenn das Wasser alle ist, möchte ich mir nicht in meinen schlimmsten Träumen vorstellen. Dass das ohne Krieg geregelt wird, halte ich für ausgeschlossen. Danke, Nestlé & Co!

Geschrieben wird sowohl in lateinischer als auch kyrillischer Schrift, obwohl die seit 1991 nicht mehr gelehrt werden darf. Die Grundschule und die weiterführende Schule sind kostenlos, ab der Universität kostet der Unterricht aber Geld. Die Schule dauert mindestens neun Jahre. Man lernt ab der zweiten Klasse russisch und ab der dritten wahlweise deutsch oder englisch. Tatsächlich sprechen viele junge Usbeken ein gerade so brauchbares Englisch. Deutsch sprechen nur manche Kellner. 65% der Bevölkerung lebt auf dem Land und von der Landwirtschaft. Während es früher normal war, bis zu zehn Kinder zu bekommen, versucht man inzwischen, die Frauen diskret auf moderne Verhütungsmethoden einzustimmen. Mit Erfolg: Die Geburtenrate ist auf 3,8 Kinder zurückgegangen. Auch noch ´ne Menge, aber die Richtung stimmt ja. Und das Land hat viel Platz. 90% aller Usbeken sind Muslime. Allerdings läuft hier (fast) niemand verschleiert herum. Es ist ein – zumindest für unsere Augen – sehr freies tolerantes Miteinander zu beobachten. Wenn man als Europäer in so ein Land kommt, bekommt man ein ganz leichtes Gefühl davon, was es heißt, ein Fremder zu sein. Noch sind wir willkommene Fremde, weil wir ja auch gleich wieder abreisen. In Spanien ist es schon gekippt. Auf Mallorca wehren sich die Einheimischen inzwischen lautstark gegen die vielen deutschen und englischen Touristen, die ihre schöne Insel überrollen und hier billig überwintern. Aber ich schweife ab.

Wir sind nämlich inzwischen in Bughara angekommen. Bis auf den Kern der Altstadt wurden vor zwei Jahren alle Gebäude abgerissen und außerhalb wieder neu aufgebaut, natürlich in „modern“. Da steht da jetzt ein Haus neben dem anderen, ohne dass man auf den ersten Blick einen Unterschied zwischen den Häusern erkennen kann. Es gibt auch moderne Geschäftsstraßen, breit und großzügig angelegt mit Alleenbäumen. Wie gesagt, wurde das alles innerhalb von zwei Jahren von der (neuen) Regierung durchgezogen. Wahrscheinlich mit dem Erlös der riesigen Gasvorkommen, die es hier im Lande gibt.
Wir schauen uns die Neustadt aber gar nicht erst an, sondern halten kurz an unserem neuen Hotel „Alibaba“. Um Kalauern vorzubeugen: Es gab keine Räuber, schon gar keine vierzig. Der etwas ältere Kasten war sehr gemütlich eingerichtet. Die Zimmer zwar klein, aber zweckmäßig, die Betten knochenhart, Klimaanlage, Telefon, Fernseher – alles vorhanden. Man kann sogar die Fenster öffnen, weil Fliegengitter daran befestigt sind. Bei der Gelegenheit: Insekten scheint es auch hier nicht mehr zu geben. Ein paar Fliegen, das ist alles. Nachdem wir alle ausgepackt und uns frisch gemacht haben, fährt uns der Bus schon weiter in die Altstadt, bzw. vor die Tore derselben. Wir laufen ein paar Meter und sind plötzlich mitten in einem Touristenparadies. Ein kleiner künstlicher Teich wird umrandet von Speiselokalen, und die daran anschließende Flaniermeile beherbergt Dutzende von Geschäften mit dem üblichen Touristenkrempel. Aber auch mehr, wie sich bald herausstellen wird. Natürlich stehen irgendwelche Moscheen in Reichweite rum, aber darum geht es heute Abend ja nicht. Wir sind zu einem Abendessen in einem jüdischen Haus aus dem 19. Jahrhundert verabredet. Das Essen gehört zur gebuchten Halbpension, die Biere kosten 20.000 So´m, also 2 Euro für 0,5 Liter. Wie (fast) überall. In unserem neuen Hotel wandert die Flasche schon für 7.000 über die Theke, also rund 70 Cent. Die Beschreibung des Essens kann ich mir ab jetzt schenken, da es doch immer auf dieselbe Speisefolge hinausläuft. Lecker ist es immer, aber ist es auch bekömmlich? Wir haben inzwischen schon drei Ausfälle…
Nach dem Essen bringt uns der Bus wieder brav ins Hotel zurück. Es ist erst neun Uhr, sodass sich ein paar Unbeirrbare noch zu einem weiteren Bierchen im Innenhof des Hotels treffen. Ich gehöre natürlich auch dazu, verschwinde aber vor der zweiten Runde.
Der Schlaf auf dem knochenharten Bett ist recht ungewohnt, ich werde zigmal wach.

Der sechste Tag

Wie die Zeit vergeht. Wir haben schon mehr als die Hälfte hinter uns. Jetzt haben wir aber erst einmal sehr viel vor uns. Also nicht alle. Inzwischen haben wir schon FÜNF Magenkranke. Der gesunde Rest hakt nun zu Fuß folgende Sehenswürdigkeiten ab:

  1. Ein superhohes Minarett, das auch nachts hübsch leuchtet.
  2. Eine Koranschule
  3. Ein Geschäft für gewebte Seidenstoffe (inkl. Toilettengang)
  4. Ein Basar mit allem, was man nicht braucht
  5. Eine russische Kirche
  6. Eine weitere Koranschule (es gibt davon 32 Stück, aber nur diese ist in Betrieb!)
  7. Ein Geschäft für ultrascharfe Messer und Klingen (gut fürs Handgepäck im Flugzeug
  8. Ein deutsches Cafe, das von einer Mannheimerin geführt wird
  9. Einen weiteren Teppichladen

Dann gibt es endlich mal wieder was zu Essen, diesmal direkt an dem kleinen Wasserbecken im Zentrum. Am Nachmittag stehen dann noch folgende Programmpunkte auf dem nicht enden wollenden Programm:

  1. Eine Moschee (in Betrieb) mit 20 Holzsäulen
  2. Ein weiteres Mausoleum.
  3. Ein Laden mit Handpuppen und entsprechender Vorführung
  4. Eine Teepause (!)

Diese Pause nutze ich, um mir endlich eine usbekische SIM-Karte zuzulegen. Einer der Handpuppenspieler hat mir nämlich verraten, wo ich sie bekomme. Wer nicht weiß, was eine SIM-Karte ist, möge bitte seine Kinder fragen. Also tapere ich durch die schmalen Gässchen hinter der Touristenmeile, um das Geschäft zu finden. Ich finde leider nichts, auch nicht den Rückweg. Da sehe ich plötzlich einen uniformierten Mitarbeiter der UZ-Telekom mit seinem Rad vor mir. Ich spreche ihn an, aber er versteht nur Bahnhof, ist aber so freundlich, seine Frau rauszurufen, die des Englischen mächtig ist. Die sehr hübsche Usbekin sagt mir, es gäbe ein Geschäft namens „Market“, wo man meine Wünsche erfüllen könne. Und dann geht sie mit mir den langen Weg bis zur Touristenhauptstraße zurück, den ich alleine gar nicht gefunden hätte. Ich bin versucht, ihr ein Trinkgeld zu geben, aber das hätte sie sicher als unhöflich empfunden – sie wollte mir ja nur helfen. Also stehe ich da auf dieser Touristenmeile und suche einen „Market“. Eigentlich ist die ganze Straße ein Market, wie soll ich da herausfinden, wo es hier SIM-Karten gibt? Ich bin etwas verzweifelt, weil ich unseren vorletzten Programmpunkt, eine Folklore-Show mit Modenschau, nicht verpassen will. Plötzlich sehe ich das Schild „Market“, von oben nach unten geschrieben. Es scheint sich aber um einen Lebensmittelladen zu handeln. Egal, ich gehe rein und frage den Verkäufer nach einer SIM-Karte. Und siehe da: Er weist mich in eine Ecke des winzigen Ladens, wo eine rundliche, aber hübsche junge Usbekin, umringt von Bildschirmen und Laptops, das Telefongeschäft erledigt. Mein Wunsch nach einer SIM-Karte ist ihr nicht fremd. Sie fragt nach meinem Pass, den ich natürlich schon vorher aus dem Hotel mitgenommen habe. Und während sie die ganzen Daten meines Passes buchstabengetreu in ihren Rechner tippt, kommen ständig irgendwelche Einheimische, die ihre Telefonkarte aufladen wollen. Vermutlich geht das nicht automatisch über Bankkonten, sondern nur per Bargeld. Die Beträge, die da so eingezahlt werden, sind erstaunlich gering. Umgerechnet 20 Cent bis maximal 75 Cent werden da zum Auffüllen über die Theke gereicht.
Das Einrichten meiner SIM-Karte im iPhone geht dann erstaunlich schnell. Das Mädel hat zwar noch nie ein iPhone X gesehen, weiß aber genau, wo sie drücken muss, um die nötigen Zahlenkolonnen einzugeben. Nach zwei Minuten bin ich im Internet. Ich habe eine 4 Gigabyte-Karte gekauft und dafür unglaubliche 6,40 Euro bezahlt. Und das Schönste: Die UZ-Telekom schenkt mir als neuen Kunden noch weitere 4 Gigabyte dazu. Das sollte wohl für den Urlaub reichen.
Nur telefonieren kann ich mit der Karte nicht. Dafür habe ich aber das Programm „Satellite“ auf dem Telefon, mit dem man in der ganzen Welt kostenlos telefonieren kann, 90 Minuten pro Monat. Eine tolle Sache.

Die Folklore-Show hat schon angefangen. Vor vollem Haus in einer ehemaligen Moschee treten abwechselnd Models mit landestypischen Klamotten oder Tänzerinnen mit landestypischen Tänzen auf. Dazu spielt eine Live-Band, recht ordentlich sogar.

Nach sechzig Minuten ist der Spuk vorbei – es wird mal wieder Zeit, etwas zu essen. Unsere Reiseleiterin Lina (sie heißt tatsächlich sogar „Angelina“) hat sich ein Restaurant auf einem Dach ausgesucht, irgendwo in dem Viertel mit den vielen Moscheen, Minaretten oder Mausoleen. (Wer soll sich das alles merken?)
Leider, leider pfeift der Wind so kalt, so dass wir uns nacheinander in Tischdecken einwickeln, um nicht frühzeitig an Schwindsucht einzugehen. Zum Essen Bier und einen Wodka.
Und nach der Rückkehr ins Hotel wieder ein kurzer Plausch mit meinen Mitreisenden im Innenhof des Hotels – bei einem weiteren leckeren Bier.
So ein ereignisreicher Tag macht müde. Noch ein Stündchen E-Mails beantwortet und dann tief und fest geschlafen – trotz der Betonmatratze.

Der siebente Tag

Auch an unserem letzten Tag in dieser wunderschönen Stadt Bughara dürfen wir ausschlafen. Abfahrt ist erst um halb zehn. Als erstes besuchen wir mal wieder irgendein riesiges Grabmal. Außerdem gibt es hier wohl die einzige Frauenmoschee des Landes. Wir lernen, dass nur die Männer beten gehen. Die Frauen hüten derweil die Kinder, waschen die Wäsche und kochen das Essen. Wie es schon früher war. Und hier eben immer noch ist. Übrigens tragen die muslimischen Männer hier alle keine Bärte, was ihnen deutlich besser steht als diese angstmachende Islamisten-Haartracht bestimmter Volksgruppen, die es hier (derzeit) zum Glück nicht gibt.

Der nächste Programmpunkt ist das Haus eines ehemals sehr reichen Kaufmanns namens Faysulla. Es ist schon ein bisschen in die Jahre gekommen, und Faysulla wurde schon lange aus irgendwelchen Gründen geköpft, aber man sieht es immer noch als etwas Besonderes an. Besichtigen können wir nur das Frauenhaus. Das Männerhaus ist schon zerfallen. Völlig klar, dass kein Mann diesen Frauenhof (und die zugehörigen Zimmer) jemals betreten durfte, ohne sein Leben auf unschöne Weise beenden zu müssen. Als wir da sind, dreht ein junges Brautpaar gerade einen Hochzeitsfilm für die buckelige Verwandschaft auf dem Lande. Wir sind Zeuge, wie die Braut Teig in den Ofen steckt und dann ein fertiges Brot wieder heraus nimmt. Die Backzeit wurde als Filmtrick einfach übersprungen. Sie legt das Brot ihrem Göttergatten zu Füßen und macht ihm schöne Augen.
Schöne Augen haben die Mädels hier fast alle. Das macht wohl der persische Einfluss. Bei den russischstämmigen Damen sieht es allerdings wieder anders aus. Die Mischung vielen verschiedenen Volksstämme hat jedenfalls im Schnitt wirklich absolut vorzeigbare Exemplare hervorgebracht. Infolge der vielen gebackenen Brote gehen die Damen und Herren allerdings im Alter wieder auf wie Hefe, aber ist wohl der Lauf der Dinge. Wenn man im Schlachthaus sitzt, soll man nicht mit Schweinen werfen.

Weiter geht´s zur Abwechslung mal wieder zu einer inaktiven Koranschule, die man inzwischen nur noch nickend zur Kenntnis nimmt. „Studiosus“-Reisende müssen da schon mal einen zweistündigen Vortrag in Kauf nehmen. Lieber schauen wir uns bei einem Kriegsmemorabilien-Händler um, der zentnerweise russische Orden und Pistolen, Messer und anderes Kriegsgerät anbietet. Hier findet man auch einige gut erhaltene Schwarz/weiß-Fotos aus der Zeit des russischen Reiches, zu dem dieses Land ja sehr lange gehört hat. Die ersten Mützenkäufe finden statt.

Ein paar Worte zur Wasserversorgung: Hier gab es früher mal 97 Teiche, die aber bis auf fünf zugeschüttet wurden. Warum? Nun, diese Teiche waren mit üblen Viechern kontaminiert, die es fertig brachten, sich im Körper des Menschen breit zu machen und bis zu 2 Meter lange Würmer zu bilden, die dann durch die Haut nach außen stießen. Das Rausziehen und Aufwickeln der Widerlinge musste langsam und sorgsam geschehen, damit sie nicht abrissen. Es soll gar fürchterlich gewesen sein. Heute ist das Wasser zwar nicht für jeden trinkbar, aber zum Zähneputzen durchaus zu verwenden.

Und schwupps – ist es schon wieder Zeit für das Abendessen. Wir essen in einem wunderbaren Restaurant in der Altstadt. Auch wieder im Freien, aber diesmal bei sehr angenehmen Temperaturen. Drei Vorspeisen, Suppe, Fleisch/Kartoffelgericht, Nachtisch. Dazu Bier und Wodka. Same procedure als every day. Eigentlich würde das Abendessen , also die mit der Reise bezahlte Halbpension, völlig ausreichen. Aber Lina hat einen Deal mit „ihren“ Restaurants ausgemacht, dass wir dort für nur 7.- Euro die oben aufgeführten Köstlichkeiten vorgesetzt bekommen. Und da kann man ja wohl kaum nein sagen. Manche tun es dennoch, wenn auch unfreiwillig. Die Zahl der Kranken ist auf über zehn gestiegen. Dafür haben sich aber die ersten Opfer auch schon wieder erholt. Irgendein einheimisches Teufelsmedikament wirkt wahre Wunder. Mir geht es immer noch bestens, auch wenn ich ein gewisses Völlegefühl nach dem Essen nicht verneinen kann und daher schnell zu Bette möchte. Der morgige Tag soll sehr hart werden.

Der achte Tag

8 Stunden Fahrt durch die Wüste stehen uns bevor. 8 Stunden mit zwei Pinkelstops und einer Mittagspause. Die Straße ist auf den ersten 50 Kilometern in einem desolaten Zustand, dann wird es besser. Wir fahren, als hätten wir eine deutsche Autobahn unter den Reifen. Um Zwölf gibt es bereits Mittagessen, Hammelspieße und Nudelsuppe. Über die Hälfte unserer Teilnehmer meldet sich krank und mümmelt stattdessen Brot mit grünem Tee. Wir wollen nach Chiva, das auch Xiva oder Shiva geschrieben wird.

Gegen 18.00 Uhr kommen wir schwer erschöpft in Shiva an. Unser Hotel ist das Schönste (und Neueste), das wir bisher auf dieser Reise hatten. Drei Geschosse, riesengroßer, toll angelegter Garten, nagelneue Zimmer mit einer allerdings gewöhnungsbedürftigen Inneneinrichtung. So verbergen sich hinter den Vorhängen völlig unbenutzbare Bücherschränke mit Glasböden. Und so langsam fallen uns weitere Dinge auf: Der einzige Fahrstuhl ist defekt, der einzige Geldautomat ist außer Betrieb, das Wechseln an der Rezeption ist nicht möglich, weil man kein Bargeld vorhält, und das Wasser ist absolut untrinkbar: 3 Kilogramm Lehm pro Kubikmeter können nicht gesund sein. Wenn im Bad Wasserflächen trocknen, sieht man keine Wasserflecken, sondern Mehlstaub. Leider ist man in meinem Zimmer auch sehr sparsam mit dem Toilettenpapier. Egal, es ist trotzdem das Schönste Hotel von allen. Und daher sind wir auch sehr zufrieden. Das Abendessen gibt es ebenfalls hier im Speisesaal. Danach ist mein Akku ziemlich leer und ich will schnell ins Zimmer, um mich auszuruhen. Leider hindern mich diverse dringende Mails daran, das doch wieder knochenharte Bett vor 23.00 Uhr zu besteigen.
Um halb vier hatte ich dann endlich das Bedürfnis für ein Bedürfnis, um das mal freundlich zu umschreiben. Leider war aber – wie schon erwähnt – nicht genügend Toilettenpapier vorhanden, um das Geschäft erfolgreich abzuschließen. Also rief ich den Nachtportier an und schilderte ihm meinen Mangel. Brav brachte er mir eine neue Rolle ans Zimmer.

Das Frühstück war durchwachsen, aber annehmbar. Einige von uns hatten den gestrigen Abend bereits genutzt, sich die touristische Attraktion von Chiva anzusehen, aber jetzt waren wir alle bereit für eine der größten Sehenswürdigkeiten unserer Tour. Nein, nicht alle. Eine der Damen hatte bereits den Notarzt rufen müssen und bekam Infusionen.

Was ist das für eine Sehenswürdigkeit in Chiva? Eine kleine Stadt wie aus 1001 Nacht, nur in echt. Umhüllt mit einer hohen Stadtmauer, ist das Dorf nur etwa 700 mal 400 Meter groß. Drum herum gibt es eine mittelgroße Stadt mit ca. 70.000 Einwohnern. Auch hier sauber gefegte Straßen, egal, wo man hinschaut. Andreas hat beobachtet, dass ein Einheimischer ein Blatt vom Boden aufhob und zu einem der vielen Müllbehälter trug. Hat so was schon jemals jemand in Frankfurt auf der Zeil gesehen?

Ein Ersatzbus fährt uns die paar Meter zum Eingang. Unser Bus soll einen Schaden haben, der heute repariert werden soll. Eigentlich hätten wir auch laufen können, aber da unsere Gruppe aus lauter Halbgreisen besteht, war das der sicherere Weg.
Wir betreten die „Stadt in der Stadt“ durch das Osttor der Außenmauern und staunen. Innen befinden sich natürlich die üblichen Moscheen, Minarette und Mausoleen, aber auch ein Harem. Die „Großkopferten“ durften damals vier Hauptfrauen halten. Dazu noch jede Menge Konkubinen, also junge Mädels. Die Hauptfrauen hatten eigene Gemächer, durften die Kinder kriegen und waren auch sonst hoch angesehen. Die bis zu vierzig Konkubinen mussten es sich auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes bequem machen – den ganzen Tag dem Sonnenlicht ausgesetzt und auch sonst nur Frauen zweiter Wahl, falls der Hausherr mal Appetit auf was Neues hatte.
Wir könnten ein Minarett besteigen, aber dazu hat keiner Lust. Der Ort wird von lauter kleinen Händlern bevölkert, die den üblichen Krimskrams anbieten. Natürlich laufen uns auch wieder Brautpaare über den Weg. Erstmals sehen wir die Feierlichkeiten anlässlich einer Beschneidung eines bedauernswerten Jungen. Ob er weiß, was gleich mit ihm gemacht wird? Er guckt immerhin ziemlich gequält.

Einige Moscheen oder Mausoleen später gibt es Mittagessen. Der Nachmittag steht zu unserer freien Verfügung. Ich nutze die Freizeit, um mich mittels Google Maps wieder ins Hotel zu lotsen und schreibe ein bisschen an diesem Blog weiter. Um 18.00 Uhr werden wir schon wieder abgeholt, diesmal mit „unserem“ Bus. Wohin? Natürlich zum Essen. Ich habe eigentlich gar keinen Hunger mehr, zwinge mir aber doch das eine oder andere Teil hinter die Kiemen. Ich habe eine Riesenangst vor meiner Waage zuhause…
Nach dem Essen wieder zurück ins Hotel und mein täglich Brot verdient. Dann Heia. Wecken um 5:30 Uhr!

Der neunte Tag

Das Ende der Reise kommt näher. Nach dem Wecken, Aufstehen, Frühstücken und Transfer zum Flughafen in eine kleine, ca. 30 Kilometer entfernte Stadt checken wir zum Flug zurück nach Taschkent ein. Hier hat die Reise begonnen, hier wird sie enden. Auch dieser Flug findet in einem Airbus A320 statt, nahezu vollbesetzt. Nach nur etwa einer Stunde und zwanzig Minuten Flugzeit landen wir wieder da, wo sich anfangs keiner um uns gekümmert hat. Es ist diesmal ähnlich. Der Bus mit dem Schild „Trendtours“ steht zwar auf dem Parkplatz, aber der Fahrer will nichts mit uns zu tun haben. Er reinigt in Seelenruhe ein ausgebautes Sitzkissen mit Bürste und Seife. Lina ruft verzweifelt die Zentrale an. „Unser“ Bus liegt irgendwo mit einem Schaden auf der Straße und wird nicht kommen. Der vorhandene Bus ist eigentlich tatsächlich für eine spätere „Trendtours“-Gruppe geplant, aber durch den Ausfall muss er jetzt einspringen. Etwas widerwillig baut er das Sitzkissen wieder ein und räumt die Koffer in das Transportfach. Endlich fahren wir wieder in die Stadt. Bevor wir uns noch ein paar Plätze anschauen müssen, wird unsere Schwerkranke ins Hotel gebracht. Der Arzt ist informiert. Die Koffer bleiben noch drin, da der Besichtigungsplan sonst durcheinander geraten wäre. Das Hotel ist sehr klein und liegt in einer engen Nebenstraße. Auf dem Weg zum „Platz der Revolution“ oder so ähnlich bemerkt Andreas plötzlich, dass wir gerade neben dem Palace Hotel vorbeifahren, wo ich doch noch meine Tablettensammlung liegen habe. Ich bitte Lina, den Bus kurz anzuhalten. Dann sprinte ich über die vollbefahrene 8-spurige Hauptstraße, um das Kästchen im Hotel abzuholen. Dort hat sich gerade eine größere Reisegruppe angemeldet. Ich muss also warten. Endlich komme ich dran und erkläre dem Mädel mein Anliegen. Sie greift zum Telefon, quasselt irgendwas mit einem anderen Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin und sagt mir, die Tabletten wären gefunden worden und würden in zwei Minuten hergebracht. Erleichtert stelle ich mich an die Seite und warte. Und warte. Und warte. Es tut sich nichts. Ich bin die Concierge erneut um Hilfe. Sie telefoniert ein weiteres Mal und lächelt mich an, dass sie schon unterwegs wären.
In dem Moment kommt Lina reingeschneit. Der Bus konnte nicht länger warten und fährt seitdem in Kreisen um das Hotel. Was denn los wäre, fragt sie. Ich erklärte ihr, dass die Tabletten wohl jeden Moment kommen müssten. Lina sagte, das ist Quatsch, die müssten doch an der Rezeption liegen. Das hätte ihr jedenfalls das letzte Mal die Dame am Telefon gesagt. Das Mädel hinter den Tresen verneint, dass hier irgendwo was für mich liegen würde und schlug vor, dass wir direkt zu dem Mädchen gehen sollten, das die Tabletten gerade hat. Wir also in den Keller, ganz runter, bis in den Waschkeller. Hier hatte keiner auch nur den leisesten Schimmer, was wir überhaupt wollten. Geschweige denn, dass irgendjemand die Tabletten hätten. Also wieder hoch. Lina spielte ihre militärische Ausbildung voll aus und veranstaltete in der Lobby ein Tamtam, über das man noch Wochen sprechen wird. „Die Tabletten müssen hier in der Rezeption sein!“ sagte sie resolut (und natürlich auf usbekisch). Inzwischen waren schon drei Hansels hinter der Theke, die nun wild durcheinander alle möglichen Schubladen öffneten, ohne etwas zu finden. Sie wussten ja nicht einmal, wie das Kästchen aussieht! Dann empfahl die diensthabende Empfangsdame, dass wir doch bitteschön eine halbe Stunde warten sollten, dann käme die Finderin meiner Tabletten zu Dienst. An dem Punkt wollte ich aufgeben, aber Lina sagte, dass die Concierge lügen würde. Genau wie sie vorher gelogen hatte, dass die Tabletten im Haus unterwegs wären oder im Keller in der Wäscherei sein müssten. Alles Lügen. Sie forderte die Dame auf, nochmals gründlich alle Schubladen zu durchsuchen. Ich half mit einer genauen Beschreibung des Kästchens. Und plötzlich – ein Wunder! Die Kiste lag, in Plastik eingewickelt, die ganze Zeit direkt vor mir auf der anderen Seite des Tresens in der obersten Schublade, schön beschriftet mit: „Wird am 29.9. abgeholt. Zimmer 505“. Das muss man sich mal vorstellen: Die ganze Zeit hatte mir die Empfangsdame etwas vorgemacht und mich mit falschen Versprechungen hingehalten. Sie wusste von nichts und tat dennoch so, als wäre alles jeden Moment wieder in Ordnung. Lina sagte später, dies wäre leider ein sehr negativer Wesenszug der Usbeken. Sie erzählen einem die tollsten Sachen, halten aber nichts davon ein. Auf deutsch: Sie lügen wie gedruckt.

Als der Bus das nächste Mal um die Kurve kam, stiegen wir wieder ein. Bei der Gelegenheit ein großes Danke an die Mitreisenden, dass sie mich nicht gelyncht, sondern so geduldig auf mich gewartet haben. Die Besichtigung der großen Plätze war ohnehin viel langweiliger als unsere Geschichte.

Das letzte Mittagessen war wieder sehr gut. Meinen Gürtel muss ich ab sofort um ein Loch öffnen. Anschließend Freizeit. Ich habe mich eine halbe Stunde hingelegt und dann den Blog weitergeschrieben. Es muss ja zu einem Ende kommen.

Noch nicht ganz. Natürlich fehlt noch das letzte, gemeinsame Abendessen, an der tatsächlich wieder ALLE teilnehmen. Es ist ein ganz tolles Lokal mit dem besten Essen, das wir bisher bekommen haben. Kleiner Dämpfer: Direkt nach dem Abendessen sollen wir zu Bett gehen, da der Wecker bereits um 0:30 Uhr klingeln wird. NULL UHR DREISSIG! Tja, so ist es. Der Flieger nach Moskau – und weiter nach Frankfurt – geht schon um 4:00 Uhr morgens. Einige von uns beschließen, die paar Stunden bis zur Abreise durchzumachen.
Andreas bleibt auch gar nichts anderes übrig, da er sein Zimmer an Lina abgetreten hat. Lina hat nämlich mal wieder keinen Schlafplatz gefunden. Reiseleiter scheinen in der Hierarchie des Reisebusiness bestenfalls auf gleicher Ebene wie Straßenköter zu stehen. Pfui Trendtours! Wer immer dafür verantwortlich ist, sollte den Job mal selbst machen.

Und damit schließe ich diesen Reiseblog. Sollte sich noch etwas Weltbewegendes tun, werde ich es noch einbauen. Ansonsten gehe ich davon aus, dass wir morgen Nachmittag ab ca. 14.00 Uhr wieder in Frankfurt sind.

Außerdem will ich jetzt auch raus zu den anderen gehen, um die paar Stunden auch durchzumachen. Ich habe immer noch ein paar hunderttausend So´ms, die ich loswerden muss…

Taschkent, den 29.9.2018

Nachtrag: Mein Gewicht war nach zwei Tagen wieder auf dem „normalen“ Level, sofern man bei mir von „normal“ sprechen kann.

Vietnam – Hochs und Tiefs

Der Balkon ist ca. fünf Meter breit. Dunkle Holztüren mit gefakten Kupferbeschlägen führen ins Innere des Apartments. Ich sitze auf einer bequem gepolsterten Holzbank auf besagtem Balkon und starre in den Garten. Der Pool in diesem „Allezboo Beach Resort“ ist nur wenige Meter entfernt. Doch obwohl es früher Nachmittag ist, stört kein Kindergeschrei die gespenstische Ruhe in diesem Palmenmeer. Keine Bikinischönheit räkelt sich in gleißendem Sonnenlicht. Im Hintergrund hört man ab und zu Wellenrauschen, ansonsten nur das eintönige Prasseln des Dauerregens.
Ich bin in Südvietnam, und die Regenzeit sollte eigentlich bald vorbei sein. Mehr als ein paar Stunden Sonne am Tag sind nicht drin. Vor ein paar Wochen hat ein Tornado die Mitte Vietnams kurz und klein geschlagen; unzählige Existenzen haben buchstäblich alles verloren: ihr Haus, ihren Arbeitsplatz, ihre Familie, ihre Zukunft. Und jetzt regnet es wieder. An der ganzen langen Küste entlang. Das ist bei 29 Grad Außentemperatur nicht gerade angenehm. Und soeben ist auch noch der Strom ausgefallen.
Warum fahre ich dann hier her, wird sich der verwunderte Leser fragen.

Aber der Reihe nach.

Da gibt es so einen Newsletter namens „Travelzoo“. Der empfiehlt jede Woche irgendwelche besonders gute oder besonders günstige Reisen. Manchmal kommt Beides zusammen. So konnte man eine zweiwöchige Vietnam-Rundreise für unglaublich günstige 1600.- Euro (1200.- pro Person für Paare) buchen. In diesem Preis waren fast alle Ausflüge, alle Übernachtungen und das tägliche Frühstück enthalten. Alles, was darüber hinausging, musste man selbst zahlen. REWE hatte dieses Schnäppchen im Angebot. Natürlich hat der Lebensmitteldiscounter nichts mit der Organisation zu tun. Die verdienen nur ein paar Euro für die Vermittlung der Reisen. Ausrichter ist die Firma „CleverTours“. Ich hatte diese Reise schon im Januar oder Februar gebucht und freute mich wie dolle auf dieses exotische Ziel. Aber irgendwann hatte ich das Ganze wieder nach ganz hinten in meine Kopfschubladen geschoben und mich nicht mehr groß um die Vorbereitung der Reise gekümmert. Es kamen ja auch noch Reisen nach China, Montenegro und Dresden dazwischen. Umso verblüffter war ich, dass ich am 10.10. tatsächlich losfliegen sollte!

CleverTours hatte wenige Tage vor dem Abflug die Fluggesellschaft gewechselt, wodurch ich die Gelegenheit bekommen sollte, erstmals mit der größten Passagiermaschine der Welt, dem Airbus A 380 fliegen zu können. Natürlich flog die Maschine von „Emirates“ erst mal nach Dubai, damit die Passagiere in diesem internationalen Drehkreuz neu aufgeteilt werden konnten. Die Maschine war komplett ausgebucht. Um mich herum viele Deutsche, denen man eine gewisse Urlaubsfreude ansah. Doch wer würde mit mir weiter nach Saigon fliegen? Wer nach Australien, Singapur oder Thailand? Ich machte mir so meine Gedanken und hoffte vor allem, dass die junge hübsche Rechtsanwältin neben mir dasselbe Ziel gehabt hätte. Hatte sie aber nicht. Sie freute sich auf drei Wochen Strandurlaub in Bali. Wer mich kennt, weiß, dass ich mit dem Herumfaulenzen am Strand oder Pool so meine Probleme habe. Ich möchte das Land erobern, die Menschen kennenlernen, die Sprache ergründen, die Schrift studieren und in möglichst kurzer Zeit so viel erleben wie es eben möglich ist.

Die A380 landete nahezu geräuschlos aus dem Flughafen in Dubai. Sie rollte an das extra für diese Maschine 2013 neu erbaute Terminal und spuckte gut 500 Passagiere aus. Der vorgeschriebene Weg für den Weiterflug führte die Rechtsanwältin aus Köln und mich dann in den alten Trakt des Riesenflughafens. Hier was es so gar nicht mehr schön. Völlig versiffte Teppiche, dreckige Toiletten, billige Plastiksitze. Wir tranken einen Kaffee im Plastikbecher, dessen Ökobilanz verheerend gewesen sein muss, und trennten uns kurz vor ihrem Abflug nach Bali. Ich hatte noch ein Stündchen zu warten und lief wieder zurück in den „Duty-Free“-Bereich, um mir für meine Apple-Sammlung endlich die drahtlosen Ohrhörer, die sogenannten „iPods“ zu kaufen. Geniale Sache. Wenn sie mir nicht ständig aus den Ohren fielen.

Mit der etwas kleineren Boing 777-300 ging es dann weiter nach Saigon, der größten Stadt Vietnams mit ca. 10 Millionen Einwohnern. Und mit mindestens 8 Millionen Mopeds. Insgesamt war ich nun schon fast 20 Stunden unterwegs, die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln eingerechnet.
Es war hübsch warm in Saigon. Gute 28 Grad und sehr stickig. Die Luftfeuchtigkeit lag bei 88%. Das ist gefühlt pures Wasser. Luan, unser Reiseleiter, erwartete die Truppe bereits sehnsüchtig. Er hatte sehr kurz geschnittenes Haar, war 35 Jahre alt und sprach ein zwar grauenhaftes, aber dennoch einigermaßen verständliches Deutsch. Wie alle Vietnamesen war er sehr klein gewachsen, vielleicht 1,55m groß. Die fehlende Länge machte er durch sein großes Mundwerk wett. Davon werde ich noch viel zu erzählen haben. Luan – ein perfekter Selbstdarsteller mit der Gabe, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen.
Inzwischen war unsere Gruppe auf 26 Leute angewachsen – viele von ihnen hatte ich im Flugzeug bereits insgeheim dazu gezählt – einige allerdings nicht. Das war unsere Truppe:
Ein Ehepaar aus Berlin mit etwa 30-jähriger Tochter (leicht gehbehindert),
Marianne, eine Dame aus Ingolstadt, immer sehr lustig drauf,
Silke und Conny, zwei Freundinnen aus München und Karlsruhe,
ein Vater mit seiner etwa 29-jährigen Tochter,
ein allein reisender älterer Mann mit großer Lauferfahrung,
ein frisch verliebtes Paar um die 30,
sieben Ehepaare aus allen möglichen Gegenden Deutschlands – und ich natürlich. Das Durchschnittsalter dürfte trotz der insgesamt vier jungen Leute zwischen 55 und 60 gelegen haben. Das habe ich auch schon schlimmer erlebt.

Diese muntere Reisegruppe stieg nun in einen Bus, den wir die ganze Woche behalten sollten. Innen hübsch mit gestickten Deckchen verziert, fühlten wir uns gleich sehr heimelig. Der Busfahrer fuhr vorsichtig und besonnen, was die Verkehrslage auch dringend erforderte. Es gibt zwar in Saigon sehr viele Ampeln, aber so richtig beachtet werden sie in der Regel nicht. Ständig schwappten Tausende von Mopeds in den Strom, um die Fahrtrichtung für eine Weile zu ändern. Zur Kommunikation wird die Hupe benutzt. Der Busfahrer hatte eine ganz besonders laute, die er auch das eine oder andere Mal einsetzen musste. An Bord hatten wir außerdem einen „Waterboy“, dessen Aufgabe es war, uns alle zweimal am Tag mit frischen Wasserflaschen zu versorgen. Er hat übrigens während der ganzen Reise nur ein einziges Mal gesprochen. Und noch eine Besonderheit hatte dieser Bus: Es gab WLAN an Bord! Und tatsächlich konnten wir bis auf wenige Stellen später im Hochland jederzeit auf eine funktionierende LTE-Verbindung zurückgreifen. Hier ist uns Vietnam meilenweit überlegen! Auch in den Online-Preisen. Eine 20 Gigabyte-Simkarte mit LTE-Geschwindigkeit (4G) für mein iPad kostete knappe 20 Euro! Hatte ich mir gleich am Flughafen gekauft.

Luan versorgte uns während der rund einstündigen Fahrt zum Hotel mit den üblichen Basisdaten über die Stadt: Saigon heißt seit 1975 übrigens offiziell „Ho-Chi-Min-City“. Es werden aber beide Namen noch parallel verwendet. Die Stadt hat eine Grundfläche von etwas über 2000 Quadratkilometern und eine Bevölkerungsdichte von fast 4000 Menschen pro qkm. Saigon ist auch das wirtschaftliche Zentrum Vietnams. Es gibt außerhalb der Kernstadt kein zusammenhängendes Stadtgebiet, sondern ist eher mit einer dicht besiedelten Provinz vergleichbar. Saigon liegt im Süden des Landes etwas nördlich des Mekong-Deltas auf dem rechten Ufer des Saigon-Flusses. Die Metropole ist außerdem Verkehrsknoten und das Kulturzentrum des Landes mit Universitäten, Theatern, Kinos. Museen, Baudenkmälern und Parks. Wir sollten die meisten noch zu sehen bekommen. Irgendwie erinnerte mich alles ein wenig an Thailand vor zwanzig Jahren. Auch dort sind die damaligen Mopeds inzwischen den Autos gewichen – das steht hier auch unmittelbar bevor. Vietnam ist eine „sozialistische Republik“. Es gibt eine (kommunistische) Einheitspartei, die alles regelt. Außer den Führungskräften haben inzwischen aber auch über 500 Abgeordnete eine Menge Einfluss auf das politische Geschehen. Sogar Gesetzte können von den Abgeordneten alleine gemacht werden. Vietnam gilt als Schwellenland – die Elektronikindustrie macht inzwischen fast 26% des Bruttosozialprodukts aus. Obwohl 80% der Bevölkerung noch in der Landwirtschaft arbeiten, trägt diese nur zu 5% zum Wohlstand des Landes bei. Die Handelsbilanz des Lands ist zwar noch negativ, zeigt aber seit 2010 steil nach oben. In Kürze werden die Finanzen ausgeglichen sein. Wo dann statt der Mopeds die vielen Autos fahren sollen, steht allerdings noch in den Sternen. E-Bikes haben wir zwar auch gesehen, sind aber hier noch kein Kernthema.
Das Hotel „Le Duy“ lag mitten im Zentrum, hatte drei Sterne und war auch dementsprechend einfach ausgestattet. Kofferträger brachten uns – gegen ein oder zwei Euro Trägerlohn die Koffer auf die Zimmer. Euro? Ja, richtig gelesen. Mit dem Euro kommt man selbst hier fast überall zum Ziel. Auf dem Land ist das dann anders, aber hier in der Hauptstadt nimmt man gerne auch Dollars und den Euro.

Überhaupt das Geld. Die Währung heißt hier „Dong“ und hat sehr viele Nullen. Durch ständige Abwertungen in der Vergangenheit ist ein Euro mittlerweile 26.000 Dong wert. Am Automaten habe ich gleich mal drei Millionen Dong abgehoben und war damit nur 112,18 Euro ärmer. Der kleinste Schein ist der 1000-Dong-Schein, der immerhin 4 Cent wert ist. Münzgeld gibt es nicht – zumindest habe ich es nirgendwo gesehen.

Nachdem wir uns ein wenig frisch gemacht hatten, stand uns der Rest des angebrochenen Abends zur freien Verfügung. Ich schlenderte ein wenig durch die umgebenden Straßen und Parks auf der Suche nach dem „Nachtmarkt“, von dem Luan so geschwärmt hatte. Trotz einer Straßenkarte, die jeder Mitreisende ausgehändigt bekommen hatte, habe ich den Markt nicht gefunden. Stattdessen stand ich plötzlich vor einer Musikkneipe, aus der laute Rockmusik –offenbar live gespielt – durch die geschlossenen Türen und Fenster drang. Mutig ging ich rein. Der Türsteher fragte mich, welche Musikrichtung ich bevorzugte – Rock oder Pop – Ich sagte „Rock“, wurde aber in den ersten Stock zur „Pop“-Abteilung geführt. Und das war gut so. Eine mega-gute Coverband mit fünf Jungs und drei wirklich toll aussehenden Mädels spielte hier die Hitparade rauf und runter.

Ich wurde an die Bar geführt und sofort von einer der rund zehn jungen Damen im Minirock betreut. Ich bestellte ein Glas Weißwein aus Australien, bekam aber gleich die ganze Flasche. Es hätte auch etwas zu Essen gegeben, aber der Blick in die Schüsseln der anderen Besucher ließ mich davon Abstand nehmen. Das Mädel schenkte mir nach jedem Schluck, den ich machte, Wein nach, bis die Flasche nach einer guten Stunde leer war. Sie wollte sich auch dauernd mit mir über irgendwas unterhalten, aber ich habe sie leider nicht verstanden. Vielleicht war das auch besser so, wer weiß, was sie mit mir vorhatte. Die Zeche betrug 1.530000.- Dong, also nur 57 Euro und einundzwanzig Cents. Das war es mir wert.

Inzwischen war es schon fast ein Uhr Ortszeit geworden. Ich hatte eine superprofessionelle Showband gesehen und gehört, einen einigermaßen brauchbaren Wein getrunken und erste zarte Bande zur Bevölkerung geknüpft. Zeit, wieder ins Hotel zu gehen. Die Zahl der Mopeds hatte sich nur unwesentlich verringert, und der Versuch, eine Straße zu überqueren, kann durchaus ernste Folgen haben. Am besten ist es, einfach loszugehen, ohne mittendrin wieder stehen zu bleiben. Die Mopedfahrer rechnen nämlich damit, dass man weiterläuft – und passen ihren Fahrstil und die Fahrtrichtung entsprechend an. Wenn man aus Angst ständig stehenbleibt, irritiert das die Zweiradlenker und führt zu Staus und Unfällen. Auf grüne Fußgängerampeln muss man nicht achten, die sind nur zum Spaß da.
Direkt neben dem Hotel sah ich in einer kleinen Spelunke noch vier Mitreisende beim fröhlichen Trinken. Der Vater mit seiner Tochter sowie Jürgen mit seiner Frau. Ich gesellte mich dazu und bekam sogar noch den letzten Schluck Weißwein.

Um halb zwei lag ich dann endlich in meinem Bett. So langsam klangen nur noch vereinzelte Hupen an mein Gehör und der Schlaf übermannte meinen geschundenen Körper.

Der Dauerregen vor meinem Balkon hat plötzlich aufgehört. Es klopft an der Apartmenttür. Ich habe vorhin um Hilfe gebeten, weil der Hotelschlüssel nicht in seiner Halterung bleibt. Und wenn er nicht in der Halterung ist, habe ich keinen Strom und kein Licht. Die Jungs von der Hotel-Maintenance wurschteln ein bisschen hin und her und quetschen den Schlüssel dann mit Gewalt in die Halterung, so dass sogar ein bisschen Plastik abspringt. Schön, dass hätte ich auch selbst gekonnt.
Aber jetzt habe ich endlich Strom und kann meine ganzen Apple-Teile sowie die Videokamera aufladen. Noch drei Stunden bis zum Abendessen. Von den ursprünglich 26 Mitreisenden sind nur noch acht übrig geblieben. Wie konnte das passieren? 
Ich versuche mal, zu rekapitulieren, wie es so weit kommen konnte …

Das Frühstück im „Le Duy“ war nicht übel. Vor allem der Kaffee schmeckte außerordentlich gut. Ist ja auch kein Wunder, wenn man weiß, dass Vietnam der zweitgrößte Kaffeeproduzent der Welt geworden ist. Die Einheimischen trinken ihn allerdings mit süßer Kondensmilch, was den guten Eindruck schlagartig ins Gegenteil verkehrt. Es sei denn, man mag das. Wie Silke.
Laut Reiseplan wäre heute in freier Tag zur eigenen Erkundung der Stadt vorgesehen. Nahezu alle Teilnehmer buchten aber den zusätzlich angebotenen Ausflug nach Tai Ninh und Cu Chi. Punkt acht wurden wir von „unserem“ Bus aufgelesen und zum Haupttempel der Religionsgemeinschaft der „CAODAI“ gefahren. Wir trafen pünktlich um 12.00 Uhr zur täglichen Zeremonie ein, die man von einer Ballustrade aus beobachten konnte. Ich halte nicht viel davon, Menschen bei der Ausübung ihrer Religion zu beobachten (ich halte überhaupt nichts von Religionen, aber das ist ein anderes Thema) und hatte mich daher nicht mit in das durchaus schön gestaltete Kirchenhaus begeben. Dafür wurde ich draußen von diversen Mädchen angesprochen und angebettelt, bis Luan – der auch nicht mit reingegangen war – mich rettete.

Nach einer Harmonie-Pause – so heißt wie in China auch hier der gemeinsame Besuch der Toilette – ging es dann tief in die vietnamesische Geschichte, die an Grausamkeit kaum zu überbieten sein dürfte. Wir besuchten ein ehemaliges Rebellendorf bei Ben Douc im Bezirk Cu Chi, wo sich im Vietnamkrieg ein starker Widerstand gegen die USA festgesetzt hatte. Fast 200 Kilometer lang ist das Tunnelsystem, das auf drei Ebenen eine eigene kleine Stadt mit Wohnräumen, Lagern, Krankenhäusern, Befehlsständen und Küchen darstellt. Es wurde schon zu Zeiten der französischen Kolonisation gebaut und war Grund für die Franzosen, das Land sang- und klanglos zu verlassen. Für die Touristen hat man nun einige kurze Abschnitte restauriert und vor allem verbreitert, damit auch fette Amis durch die Öffnungen kommen. Amerikaner kommen wieder nach Vietnam? Nun, seit Präsident Barack Obama vor ein paar Jahren das Embargo gelöst und wieder diplomatische Beziehungen zugelassen hat, ist auch das wieder möglich. Überhaupt exportieren die Vietnamesen einen Großteil ihrer Produkte wieder in die USA. Das heißt aber nicht, dass die Vietnamesen die Amerikaner wieder lieben. Eher nicht, sagt Luan. Der muss es ja wissen.

Ein paar Mitglieder der Gruppe haben sich also durch die schmalen Öffnungen gequetscht und sind ein paar Meter unter der Erde lang gelaufen, bevor sie – nach 15 Metern – wieder an die Oberfläche durften. Die Partisanen waren damals sehr gewitzt. Überall gab es böse Fallen für die sogenannten „Retter“, die in Wirklichkeit das ganze Land zerstört hatten. 1975 hatten die Amis die Nase voll und verließen das Land an einem einzigen Nachmittag mit einer Luftbrücke. 3 Millionen Vietnamesen waren im Krieg umgekommen, und viele tausend spüren noch heute – viele Generationen später – was das Entlaubungsgift „AGENT ORANGE“ mit ihren Genen angestellt hat.

Etwas betreten fuhren wir wieder zurück ins Hotel. Es ist immer wieder unfassbar, zu welchen Gräueltaten Menschen fähig sind. Leider lernen sie nichts aus ihren Fehlern.

Am Abend versuchte ich dann mal wieder auf eigene Faust, ein gutes Restaurant zu finden. Ganz in der Nähe des Hotels musizierten ein Gitarrist und seine Begleiterin schöne Popsongs für die wenigen Gäste. Ich ging neugierig rein und bestellte mangels Ahnung „Spaghetti Bolognese“. Die Nudeln waren top, die Soße sehr süß. Andere Länder, andere Würzung. Also weiter durch die Straßen gelaufen. In einem Supermarkt gelandet, nichts gekauft. Verlaufen. Plötzlich stand ich wieder vor dem Musiklokal von gestern. Weil die Rockmusik auch VOR dem Lokal gut zu hören war, blieb ich davor sitzen und hörte mir bei einem Gin Tonic ein paar hervorragend interpretierte Rockoldies an. Bis ich wieder im Bett lag, war es auch schon wieder halb eins.

Jetzt – mit Licht im Zimmer – kann ich mir mein Apartment endlich mal richtig anschauen. Es ist recht groß und hat den üblichen Luxus. Fernseher, riesengroßes Bad (mit Fenstern zum Schlafzimmer – anscheinend typisch für Asien), große Schränke, viele Steckdosen (!) und ein King-Size-Bett, in dem eine ganze Familie schlafen könnte, ohne sich gegenseitig anzustupsen. Typisch auch die vielen aufgestellten Kopfkissen und das bombenfest irgendwo festgezurrte Laken, das man nur nach intensiver körperlicher Betätigung frei bekommt. In den Schränken ist genug Platz für den gesamten Inhalt meines Koffers, so dass dieser ab sofort nur noch für die Aufnahme der Schmutzwäsche herhalten muss. Ach ja, die Kleidung. Anscheinend habe ich vergessen, eine Badehose mitzunehmen. Und noch mehr kurze Hosen. Außerdem ist der Akku meines Rasierers leer. Wie kann das sein? Der hält schon seit vielen Jahren mindestens drei Wochen durch! Das Netzkabel habe ich zuhause gelassen, um mein Kabelgewirr nicht noch größer zu machen. Das habe ich nun davon. Ich muss mir ein Netzkabel kaufen. Und eine Badehose. Und bei der Gelegenheit vielleicht auch ein paar passende Sandalen …

Zurück nach Saigon. Da wir die kommende Nacht nicht in unserem Hotel in Saigon verbringen würden, mussten wir alle komplett auschecken. Der Vormittag gehörte einer Stadtrundfahrt durch Saigon. Beginnend im Historischen Museum, wurden wir erneut mit der Brutalität des Vietnam-Kriegs konfrontiert. Auf drei Etagen waren Belege für die größten Grausamkeiten, die Menschen sich gegenseitig antun können, ausgestellt. So manche Tränen ließen sich nicht vermeiden.

Danach hatten wir noch ein paar kurze Aufenthalte an der „Notre Dame“, einer prunkvollen Kathedrale aus der französischen Besatzungszeit, die aber gerade renoviert und daher nicht betreten werden konnte.

Dafür durften wir uns aber das Postgebäude ansehen, das auch einen unverwechselbaren französischen Baustil aufwies.

Außerdem mussten wir uns das Regierungsgebäude ansehen, das ziemlich öde aussah und keinerlei Interesse bei uns weckte.

Ein sehr schön erhaltenes Theater stand auch noch auf der Liste, die es abzuhaken galt.

Am Nachmittag stand die Fahrt ins Mekong-Delta auf der Liste. Hier ist die Heimat von Luan. Hier wohnen seine Frau und seine fünfjährige Tochter. Hier ist alles sehr viel einfacher. Aber es sollte einer der ereignisreichsten Tage seit Langem werden.

Luan hatte sich inzwischen die Vornamen der meisten Mitreisenden gemerkt und sprach uns immer wieder mal an. Vor allem mit Uwe und Norbert machte er seine Späße. Seit Norbert einmal zu spät am Bus war, brauchte er sich um Luans Spott nicht zu sorgen. Als netter und humorvoller Mann nahm er Luans Scherze aber nicht persönlich. Und da schon Luan so ziemlich jeden mit Vornamen anredete, kamen wir Touristen auch immer mehr untereinander ins Gespräch. Auf der etwa 180 Kilometer langen Strecke, die teilweise sogar über die (einzige) Autobahn führte, erfuhren wir wieder mal so einige interessante Dinge über dieses geheimnisvolle Land und unseren weltoffenen Reiseleiter. Luan hatte deutsch in der Universität in Saigon gelernt und nach seinem Abschluss Deutschland sogar besucht. Eine seiner ersten Käufe war die deutsche Flagge, die angeblich auch heute noch über seinem Bett in einer Wohngemeinschaft in Saigon hängt. Er pflegt sogar noch guten Kontakt zu den Menschen, die ihm damals geholfen haben, überhaupt ein Visum zu bekommen. Und Luan erzählte uns sehr viel aus dem Leben in seinem Dorf hier im Mekong-Delta. So kam raus, dass Juans Eltern sich erst am Tag der Hochzeit kennengelernt hatten. Es wurde trotzdem eine glückliche Ehe. Dass Liebespaare vor der Heirat zusammenwohnen, ist – zumindest auf dem Land – gänzlich ausgeschlossen. Eine weitere Regel besagt, dass die Ehefrau an den Wohnort des Ehemanns ziehen muss. In Luans Fall war das nicht einfach, da seine Zukünftige bereits einen guten Job in der Hotellerie hatte. Aber sie zog natürlich trotzdem zu ihm. Die Hochzeit dauerte zwei Tage. 600 Gäste wurden bewirtet – die Vorbereitungen dauerten ein ganzes Jahr. Die Hochzeitsreise ging mit Zug und Flugzeug auf irgendeine Insel. Zurück mussten sie mit Boot und Bus fahren, da Luans Braut das ganze Geld für den Rückflug für Einkäufe verprasst hatte. Man muss das nicht glauben, aber die Geschichte klang so echt, dass wir unserem großen Storyteller einfach alles abnahmen. Dachte ich anfangs noch, ich müsste mich bei diesen ganzen Hochzeitsdetails fremdschämen, musste ich dann doch einsehen, dass Luan uns ganz tief in sein Privatleben schauen ließ. So tief und ehrlich, wie ich es noch nie bei irgendeinem Reiseleiter bei meinen vielen Reisen rund um die Welt erlebt habe.

Inzwischen waren wir am Ziel angekommen, einem kleinen Dorf namens My Tho, wo wir in ein landestypisches Sampanboot umgebettet wurden. Wir tuckerten durch viele kleine Seitenkanäle des Mekong und besichtigten eine Farm, in der uns Luan nicht nur unzählige Pflanzen und Früchte vorstellte, von deren Existenz ich zwar mal gehört hatte, die ich aber noch nie „live“ gesehen, geschweige denn gegessen hatte. Er zeigte uns auch eine Krokodilzucht. Rund zwanzig Tiere, alle etwa 70cm lang, lagen träge in einem Becken und warteten auf den Verzehr ihrer selbst. Denn in Vietnam wird alles gegessen, was schwimmen kann – außer Schiffen (O-Ton Luan). Und natürlich auch alles, was fliegen kann – außer Flugzeugen. Und was nicht schnell genug wegrennen kann, kommt natürlich auch auf den Teller. Ob Schlangen, Frösche, Schildkröten oder Ratten – essen kann man fast alles.

Die große Überraschung in der Speisekarte unseres heutigen Mittagessens war ein ganzer Fisch, der sogenannte „Elefantenohrenfisch“, der senkrecht zwischen vier Holzstäben serviert wurde. Um ihn zu essen, musste man zunächst ein Reispapier etwas aufweichen, mit Grünzeug grundieren und dann eine Portion Fisch dazugeben, die man beherzt einfach mit den Fingern aus dem Fisch riss. Vor dem Verzehr wird das Reispapier eingerollt, so dass man so eine Art Frühlingsrolle hat. Die tunkt man dann in eine der beiden Soßen (Chili oder Soja) und genießt. Ich habe das als Video mal für die Nachwelt festgehalten. (Wird bald eingefügt!)
Silke hatte ein bisschen Pech: Ihr Fisch war innen ganz grün. Luan klärte das aber auf. „Is nich schlimm, kamma essen. Is nur Innerein pla!“ (Mit den Endungen hat´s Luan nicht so, da muss man viel Denkarbeit investieren). Die geplatzte Galle hatte den Fisch also innerlich verfärbt. Silke ist ein sehr patentes Mädel und hat das Tier trotz unserer Bedenken aufgegessen. Und siehe da: Sie hat´s überlebt.

Die Sojasauce kam übrigens von Maggi.

Ich hatte mir gebratenen Reis mit Seefrüchten bestellt. Ganze zwei Mini-Shrimps konnte ich darin ausmachen, der Rest bestand aus Reis und Gemüse.
So langsam kamen wir uns alle auch ein bisschen näher. Man tauschte Herkunft und Berufe aus und stellte erfreut fest, dass wir eine sehr homogene, freundliche Truppe waren, die sehr gut miteinander auskam. Sicher kann nicht jeder in jedem Punkt derselben Meinung sein, aber es gab keine Stänker, Miesepeter oder Stimmungstöter. Der soziale Status war in der Summe bedeutend höher als bei vielen meiner früheren Reisen.
Nach dem Essen wurden wir wieder in kleine Boote gezwängt. Vier Mann pro Boot plus eine Ruderin. Teresa, die Ehefrau des netten Ehepaars aus Königstein schaffte es sogar, mit einem Selfie uns alle vier aufs Bild zu bekommen.

Doch plötzlich überfiel uns mal wieder ein Schauer. Statt schneller zu rudern, warf die Bootsführerin einfach den eingebauten Motor an und steuerte uns schnellstmöglich ans Ziel. Ich war im dritten Boot und pitschnass. Alle, die nach mir kamen, sahen frisch geduscht aus. Aber so ein kleiner Tropenschauer trocknet ja schnell wieder. Weiter ging es mit der Kutsche. Wieder in Vierergruppen aufgeteilt, wurden wir von dünnen Mulis ein paarhundert Meter durch die Hauptstraße gezogen. Von dort ging es noch in eine Obstplantage und in ein Kokosnussdorf, wo wir landestypische Süßigkeiten kosten (und natürlich auch kaufen) konnten. Der Tag raste nur so an uns vorbei. Am späten Nachmittag erreichten wir dann mit dem Bus unser Übernachtungsziel, die Stadt Can Tho. Das „Fortuneland“-Hotel war um einiges moderner als der alte Kasten in Saigon.

Mein Abend war nicht sonderlich spektakulär. Ich war irgendwo essen. Und leider wieder nicht sonderlich glücklich mit meiner Wahl. Ich weiß, man kann mir vorwerfen, als Tourist hier viel zu hohe Erwartungen zu haben. Aber ganz so einfach ist es nicht. Die Thais leben mehr oder weniger auf demselben Breitengrad – gar nicht mal weit entfernt – und zaubern aus den gleichen Zutaten immer viel wohlschmeckendere Gerichte als die Vietnamesen. Nun gut, oft waren wir mit unserer Gruppe nur an einfachen Raststätten, die speziell für Touristen gebaut wurden. Hier muss die Abfertigung schnell gehen – da ist für gutes Essen keine Zeit. Umgekehrt wird ja wohl auch kein Mensch guten Gewissens von leckerer deutscher Küche reden, wenn er in einem Autobahnrestaurant gelandet ist. Oft habe ich auch aus Unkenntnis Dinge bestellt, die mir dem Namen nach bekannt vorkamen, obwohl diese gar nicht zu den wirklichen Spezialitäten gehörten. So ist es natürlich ziemlich dämlich, Spaghetti Bolognese zu bestellen, weil man denkt, da kann man nichts „falsch machen“. Falsch ist es ja auch nicht, nur eben anders. Die Soße ist süß, die Nudeln sehen völlig anders aus, und woraus das Fleisch besteht, sollte man besser gar nicht wissen.
Silke und Conny hatten jedenfalls ihren Spaß beim Essen irgendwo im Zentrum der Stadt. Ein wohl etwas debiler Einwohner der Stadt schlurfte am großen Kreisel langsam, aber sicher quer über die Fahrbahn zur Grünfläche in der Mitte, um sich dort vor den Augen aller Touristen gemütlich die Hose runterzuziehen und ein Häufchen in die Gegend zu setzen.
Womit wir beim Thema Toiletten wären.
Auch hier unterscheidet sich Vietnam kaum von seinem Nachbarland. Die Toiletten entlang der Autostraßen sind grenzwertig; Papier gibt es selten und die hygienischen Zustände würden deutschen Aufpassern Pusteln ins Gesicht treiben. In den Restaurants gibt es meist nur eine Toilette für beide Geschlechter. Immerhin ist das „Hock“-Klo größtenteils verschwunden. Überflüssig zu erwähnen, dass die Bäder und Toiletten in unseren Hotels ohne Fehl und Tadel waren. Das Bad im „Fortuneland“-Hotel war sogar ganz besonders luxuriös.
Schade, dass wir hier nur eine Nacht verbringen sollten, aber der Reiseplan zwang uns, wieder zurück nach Saigon zu fahren.

Immer noch zweieinhalb Stunden bis zum Abendessen. Ich beschließe, mir mal die Umgebung des Hotels anzusehen, bevor es dunkel wird. Die Anlage ist sehr großzügig geschnitten. Ein großer Pool und der Zugang zum Meer sind in Schrittnähe meines Apartments. Es sind kaum Hotelgäste zu sehen. Vorsaison eben. Und wenn man jemanden sieht, ist es garantiert ein Russe. Die Russen haben diesen Ort quasi okkupiert. (Nicht annektiert, das war woanders …) Kein Ladenschild ohne russische Übersetzung, keine Speisekarte ohne kyrillische Schrift, kaum ein Drink ohne Wodka. Und leider auch kaum eine freundliche Reaktion auf meine schüchternen „Hello“s.
OK, dann gehe ich mal die Hauptstraße entlang. Die betonierte Straße ist an manchen Stellen noch überschwemmt, an anderen Stellen weist sie respektable Löcher auf, die von den Mopedfahrern höchste Konzentration erfordern. Was wollte ich nochmal kaufen? Eine Badehose, T-Shirts und ein Netzkabel für meinen Rasierer. Nach rund einem Kilometer werde ich – zumindest teilweise – fündig. Die einzige Badehose, die mir gerade so passen könnte, ist, nun ja, sehr körpernah geschnitten. Balletttänzer hätten ihre Freude daran. Ich nehme sie trotzdem. Außerdem zwei Polohemden mit den kleinen Krokodilen drauf, die ganz bestimmt echt sind. Und ich finde sogar ein paar passable Sandalen. Kabel ist nicht. Auch kein Rasierapparat. Nur ein Körper-Shaver für Damen wird mir angeboten. Vielleicht muss ich morgen darauf zurückgreifen. Jetzt trotte ich bei einer Luftfeuchtigkeit von gefühlten 100% erst einmal wieder zurück in mein Hotel. Sie wollen ja sicher wissen, wie es weiterging mit unserer Reisegruppe. Und was mit den achtzehn anderen passiert ist. Ich meine ja, Schwund ist immer, aber so viele? Vorneweg sei verraten: Es war einfach unglaublich.

Samstag morgen. Schon um sieben Uhr in der Frühe mussten wir das Hotel wieder verlassen. Der Himmel war bewölkt, aber die Apple-Watch meldete 29 Grad, Schauer. Der heutige Morgen war den schwimmenden Märkten in My Tho gewidmet. Das ist so eine Art REAL-Markt auf lauter verschiedenen Schiffen. Die Kunden kommen mit dem Boot und kaufen Obst, Gemüse und Fleisch oder Fisch direkt auf den Booten ein. Es sei denn, es regnet. Und das tat es, kaum dass wir in das kleine Ausflugsboot gestiegen und ein paar Kilometer das Mekong-Delta hinunter gefahren waren. Obwohl man im Boot die blauen Vorhänge schließen konnte, peitschte der Sturm große Mengen Wasser ins Schiff und somit auch auf uns. Irgendwann hielt das Boot unter einer Brücke, um das Ende des Regengusses abzuwarten. Die hübsche Frau des Bootsbesitzers nutzte die Zwangspause, um unseren Damen diversen Krimskrams anzubieten. Silke kaufte sich irgendeine mehrfach nutzbare Haarklammer, andere fanden ihr Seelenglück im Erwerb von lustigen Holzkettchen.

Als dann der Regen endlich nachließ, fuhren wir noch ein paar Meter weiter ins Zentrum des „Schwimmenden Marktes“, in dem aber leider tote Hose herrschte. Es war schon kurz vor zehn und der Markt praktisch schon geschlossen. Also weiter zum nächsten Ziel: Eine kleine Farm mit vielen Pflanzen, die Luan uns mit großer Liebe zum Detail erklärte. Hier war er, der Bauer, wieder in seinem Metier. Ich habe mir nicht merken können, was wir alles gesehen haben. Das meiste war grün und essbar. Das muss jetzt hier mal reichen.
Anschließend liefen wir durch eine Fischmarkthalle. Da wurde so mancher kreideblass. Rund zweihundert Meter lang ein Fisch- oder Fleischhändler neben dem anderen, alle auf dem Boden hockend. Da zuckte noch so mancher Fisch vor sich hin oder sprang sogar aus der Schüssel, um vom „Besitzer“ schnell wieder eingefangen zu werden. Wir sahen enthäutete Ratten, Schlangen, Schildkröten, Haie, Lobster und was weiß ich noch für Viehzeug. Wie gesagt, die Vietnamesen essen alles. (Außer Flugzeuge und Schiffe). Erstaunlicherweise schmeckte mein Mittagessen heute besonders lecker: Gebratene Nudeln mit Seafood.
Zurück in Saigon besuchten wir dann natürlich auch noch das berüchtigte Chinatown, das nun wirklich ein bisschen arg heruntergekommen ist. Die ursprüngliche Markthalle wird derzeit renoviert – das kann aber noch ein paar Jahre dauern. Solange werden vor allem Lebensmittel einfach mitten auf der Straße angeboten. Das Mopedaufkommen war hier nochmal um Einiges höher als in der Innenstadt.

Danach war mal wieder ein Gotteshaus dran – nur wenige Meter von Chinatown entfernt. Erwartungsgemäß alles sehr chinesisch anmutend. Wer einen nennenswerten Betrag gespendet hatte, konnte sich übrigens auf roten Zetteln verewigen, die in großen Mengen an den Wänden hingen und den Namen des Spenders sowie den gespendeten Betrag auflisteten. Wie sieht es überhaupt mit der Religion hier in Vietnam aus? Wikipedia nennt andere Zahlen als Luan – was nun wahr ist, weiß ich nicht. Grundsätzlich sind die Vietnamesen nicht religiös. 81,5% der Vietnamesen nennen sich Atheisten. Wer doch an einen Gott glaubt, wählt hauptsächlich den Buddhismus (Ca. 20 Millionen), wobei gerade in Südvietnam auch viele Katholiken und Konfuzianer zu finden sind. Selbst 500.000 Protestanten und 50.000 Islamisten weist die Statistik aus. Viele glauben nicht an einen Gott, verehren aber dafür ihre Ahnen. Auch ist Geisterglaube sehr verbreitet. Unabhängig von der Konfession ist das Len-Dong-Ritual sehr beliebt, bei dem eine Schamanin im Trancezustand die Geister um Gesundheit und Wohlstand des Gastgebers bittet.
Details möge man bitte selbst nachlesen.

Für diesen Tag hatten wir genug gesehen. Wieder zurück im Hotel „Le Duy“ – jetzt aber in anderen Zimmern – hatten wir gerade genug Zeit, uns ein wenig frisch zu machen. Denn um 18.00 Uhr ging das Programm schon wieder weiter. Wir sollten uns ein „Wasserpuppenspiel“ ansehen. Das Theater erreichten wir zu Fuß. Was soll man sich unter einem „Wasserpuppenspiel“ vorstellen? Es ist gar nicht so einfach zu erklären. Die Story selbst entsprang wohl der vietnamesischen Geschichte oder Kultur. Die Bühne bestand aus einem dreckigen Wassertümpel, in dem Puppen in der Größe eines Hundes herumtollten. Die Puppenspieler standen dabei unsichtbar hinter einer Trennwand im Wasser und betätigten allerlei Stangen und mechanische Züge, um den Figuren ein wenig Leben einzuhauchen. So konnten die Drachen nicht nur Wasser, sondern sogar Feuer spucken. Die Geschichte habe ich nicht kapiert, da ich leider ein paarmal eingenickt bin. Dass ich nicht der Einzige war, dem das passiert ist, habe ich später herausgefunden. Schuld daran war die einschläfernde Musik. Links und rechst des Tümpels saßen nämlich sechs Musiker und Sänger, die recht monotone, sehr chinesisch klingende Musik aufführten. Was soll´s, den Kindern hat es offenbar gefallen, und nach 45 Minuten war der Spuk vorbei.

Für den Abend war ich zum ersten Mal auf dieser Reise in einem „richtigen“ Restaurant verabredet. Conny und Silke sowie Elke und ihr Mann Jürgen nahmen mich ins Restaurant „NGON“ mit. Ein unglaublich großes, wunderschön eingerichtetes Haus für sicher Hunderte von Gästen. Die Marke gibt es auch in anderen Städten, darunter sogar in Berlin.
Wir bestellten mit Bedacht und wunderten uns, dass das Essen bereits drei bis vier Minuten nach der Bestellung auf dem Tisch stand. Und obwohl Silke, die vor drei Tagen hier schon mal sehr erfolgreich speisen war, auch wieder eine landestypische Spezialität bestellt hatte, wurde sie diesmal etwas enttäuscht. Das Essen war einfach viel zu scharf gewürzt. Ich hatte mir ein thailändisches Chicken-Curry geordert, das zwar auch recht scharf, aber ansonsten sehr lecker war.

Fix und fertig nach so vielen Eindrücken an nur einem Tag lag ich bald im Bett.

17.00 Uhr. Es ist dunkel. Der Regen hat sich für heute wohl verzogen. Vielleicht sollte ich den Pool testen. Eine Badehose habe ich ja jetzt. Und da sonst niemand mehr am Pool sitzt, kann ich sie auch anziehen.
Das Wasser ist angenehm erfrischend. Und während ich so meine Bahnen ziehe, denke ich an den letzten Tag in Saigon. Und an die vielen Mitreisenden, die wir zurücklassen mussten. Übrig geblieben sind nur wir acht. Silke, die ganz bezaubernde Angestellte des öffentlichen Diensts, die doch schon älter als 35 ist, wie sie mir sagte. Und ihre gute Freundin Conny, auch nicht viel älter als Silke, die aus Karlsruhe zu uns gefunden hat. Conny ist ein wandelndes Lexikon. Ohne ihre berechtigten Korrekturen wäre das hier ein Fake-Reisebericht – so hat alles seine Richtigkeit. Norbert, über den ich ja schon berichtet habe, ist zwar auch hier nie pünktlich, dafür punktet er mit viel Charme und guter Laune. Er leitet ein Grafikstudio und kennt sich sehr gut mit Corporate Design aus. Seine Frau Corinna ist Texterin und findet daher immer die richtigen Worte. Marianne aus Ingolstadt ist ohne ihre große Familie auf Reisen und genießt ihre Unabhängigkeit. Mit dem Dialekt tun wir uns manchmal ein bisschen schwer, aber das ist ja unser Problem und nicht ihrs. Bleiben noch Elke und ihr Mann Jürgen. Elke ist eine Macherin. Ihr Berufsweg liest sich sehr spannend. Sie weiß, was sie will. Und natürlich will sie ihren Jürgen, der ein bisschen ruhiger auftritt und sich gerne im Hintergrund aufhält. Der achte bin ich selbst.
Warum wir nur noch zu acht sind, sollte sich im nächsten Kapitel klären.

Die beiden letzten Tage unserer „Sightseeing“-Tour durch Vietnam sollten wir in den Bergen verbringen. Die Abreisezeit hatte Luan auf 9.00 Uhr festgelegt. Ich hatte meinen Koffer schon vorm Frühstück in der Rezeption abgegeben und konnte so ganz unbelastet im neunten Stock frühstücken. Hier hatte man einen wunderbaren Panoramablick über die Metropole. Als ich wieder runterkam, war mein Koffer weg. Da aber unser Bus noch nicht da war, ahnte ich Böses. Und in der Tat: ich fand ihn in einem anderen Bus, der gerade abfahren wollte, wieder. Irgendein Kofferboy hatte ihn der falschen Gruppe zugeteilt. Gerade noch mal gut gegangen. Als alles richtig verstaut war, konnte unser Busfahrer loslegen. Insgesamt galt es 1500 Höhenmeter zu überwinden – oft mit engen Serpentinen, schmalen Straßen und allerlei Umwegen. Durch die vergangenen Regenfälle waren einige Straßen abgerutscht und somit unpassierbar geworden.
Unser erstes Ziel war ein mehr oder weniger leer stehender Vergnügungspark in der Nähe eines imposanten Wasserfalls. Wir waren hungrig und wir wollten lecker essen. Leider ging das dieses Mal gründlich schief. Einige Bestellungen waren falsch verstanden worden, obwohl Luan sie aufgegeben hatte, und das kulinarische Niveau des Gebotenen lag auf der untersten Stufe. Also weiter zum Wasserfall, der ein paarhundert Meter entfernt zu Fuß erreichbar war. Leider fing es genau in dem Moment, in dem wir losgingen, wieder zu regnen an. Und das nicht zu knapp. Silke ließ mich freundlicherweise unter ihren Regenschirm (denn ich hatte natürlich keinen dabei …) und bewahrte meine Kleidung so vor dem völligen Durchnässen. Der Wasserfall war imposant und sicherlich 60 bis 70 Meter hoch. Wir fuhren mit dem Aufzug einen Teil des Gefälles herunter und kletterten auf befestigten Wegen noch einige Meter weiter. Die aufbrausende Gischt des lautstark runterdonnernden Wassers sorgte dafür, dass nun wirklich keiner mehr trocken blieb. Endlich unten angekommen, gab es dann auch einen Souvenirladen, in dem ich mir einen pinkfarbenen Mädchen-Regenschirm kaufte (2 Euro). Hätte der nicht oben, am Fahrstuhl sein können?

Wieder zurück im Bus, trockneten wir dann so nach und nach wieder durch. Luan nutzte die lange Fahrzeit, um uns weitere Details über sein Land zu verraten. So kam zum Beispiel die Frage nach der Schulpflicht auf. Und da waren wir doch sehr erstaunt, dass es eine solche in Vietnam nicht gibt. Und noch viel unverständlicher für ein sozialistisches Land: Die Schule kostet auch noch Geld; selbst die Grundschule ist nicht umsonst. Da ist es kein Wunder, dass vor allem arme Familien auf dem Lande den Schulbesuch ihrer Gören wieder beenden, sobald die einigermaßen lesen und schreiben können. Dann werden sie in der Landwirtschaft als billige und willige Arbeitskräfte gebraucht. 32% der Einwohner sind unter 14 Jahre alt und nur 5,6% über 65! Die Lebenserwartung beträgt inzwischen sehr gute 75,7 Jahre (Frauen und Männer gemeinsam – einzeln 70,7 für Männer und 80,3 für die Frauen). Früher haben die vietnamesischen Frauen im Schnitt fünf Kinder zur Welt gebracht, heute nur noch knapp zwei. Dennoch ergibt sich dadurch ein leichtes Wachstum der Bevölkerung. Knapp 2,5 Millionen Vietnamesen leben übrigens im Ausland – und deren Überweisungen nach Hause sind ein wichtiger Posten für die Wirtschaft des Landes. Die meisten sind übrigens damals beim Vietnamkrieg in die USA geflohen. 88% der Einwohner sind „echte“ Vietnamesen. Daneben gibt es noch 53 anerkannte ethnische Minderheitengruppen, darunter fast 1,2 Millionen Auslandschinesen. Es gibt auch noch Nachfahren sogenannter „Bergvölker“, die aber nicht sehr angesehen sind und deren Sprache sich sehr von der Landessprache unterscheidet.
So, jetzt ist die Unterrichtsstunde beendet.
Wir hatten inzwischen für eine Kaffeepause halt gemacht und durch den Besuch einer sehr ekligen Toilette wieder für „Harmonie“ im Team gesorgt.
Da ich im iPhone eine Höhenmesser-App habe, sah ich, dass wir uns langsam ans Ziel geschraubt hatten. Unser Hotel in Dalat war nicht mehr weit und entpuppte sich als eine etwas in die Jahre gekommene 3-Sterne-Herberge. Meine Badezimmertür hielt besonders gut. Nach dem Schließen ließ sie sich nicht mehr öffnen. Zum Glück saß ich nicht IM Badezimmer. Also die Rezeption angerufen und den Sachverhalt geschildert. Die Reparatur durch einen Hotelangestellten mittels großem Schraubenzieher und deutlicher Gewaltanwendung dauerte nur wenige Sekunden. Ab da ließ ich das Bad lieber geöffnet.
Durch das wenig zufrieden stellende Mittagsmahl waren wir alle ganz schön hungrig. Neun Leute unserer Reisegruppe suchten sich ein Restaurant. Wir wurden ganz in der Nähe des Marktes fündig und nahmen Plätze ganz am Rand des Lokals ein, weil eine unglaublich falsch spielende Musikgruppe mitten im Lokal vor allem Lärm verbreitete. Ich habe mir mal wieder mutig eine Flasche des einzigen einheimischen Weins bestellt, der in Südvietnam angebaut wird. Leider gab es nur den „Dalat Export“, die mittlere Qualitätssorte. Der normale Dalat ist leider sehr gewöhnungsbedürftig, und der teuerste „Excellent“ geht gerade so durch. Kaum hatten wir unsere – diesmal sehr leckeren – Speisen auf dem Teller, spielte die Band das Lied „Rivers of Babylon“ – den bekanntesten Hit der Gruppe Boney M., bei deren Entstehung ich ja vor gut 40 Jahren beteiligt war. Das musste ich natürlich im Video festhalten und über facebook posten. Bis heute wurde das Video 538 mal angeschaut – ein Ende ist nicht in Sicht. Mal sehen, ob es irgendjemand schafft, Frank Farian, den Producer des Stücks, dieses Video zu zeigen.
Ich würde die Aufnahme hier gerne posten, aber WordPress erlaubt diese 4-K-Auflösung des iPhones leider nicht.
Nach dem Essen zogen fünf von uns einfach ein paar Meter weiter in eine Cocktailbar. Die anderen, allen voran Silke und Conny, zog es auf den Nachtmarkt.
Wir anderen diskutierten lange über die Höhe des Trinkgelds für Reiseführer und gingen dann relativ früh zu Bett.
Und da ich so früh ins Bett gegangen war, war ich auch wieder sehr früh wach. Um mich rum Totenstille. Eine gute Gelegenheit, ein paar anstehende Sprachaufnahmen zu machen. Mit dem befriedigenden Gefühl, alles erledigt zu haben, zum Frühstücksbuffet gegangen. Auch hier wieder mit Silke und Conny zusammengesessen. Wir hatten uns irgendwie inzwischen aneinander gewöhnt.
Der Vormittagsausflug führte uns zunächst in den Sommerpalast des letzten Kaisers. Ein schlichtes, durchaus zweckmäßiges Gebäude mit vielen Schlafzimmern. Die musste der Kaiser auch dringend haben, da er angeblich eine Ehefrau und an die achtzig Konkubinen gehabt haben soll. Diese Kaiser aber auch …

Weiter ging es zu einer großartigen Tempelanlage mit wunderschönen Gärten drumherum. Und direkt dahinter zu einer Seilbahn, die uns einige Meter ins Tal tragen sollte. Vier Personen pro Gondel – und ab ging die Post. Im Tal besuchten wir dann ein völlig verrücktes Haus. Es sah aus, als hätte Herr Hundertwasser bei diesem Entwurf etwas ganz besonderes geraucht. Lauter kleine Wege führten wie Brücken zu den unterschiedlichen Miniaturwohnungen. Natürlich haben wir uns alle mehrfach verlaufen. Man kam dann nur durch einen Andenkenladen wieder ins Freie, was man sich ja auch hätte denken können. Gegenüber noch ein Tässchen Kaffee getrunken.
Weiter ging es zur ältesten Bahnstation Vietnams mit einigen Original-Lokomotiven und gut erhaltenen Waggons.

Zurück in Dalat, hatten wir den Rest des Tages zur freien Verfügung. Während die anderen die Zeit zu einer ausdauernden Stadtbesichtigung nutzen, lief ich ins Hotel zurück und testete die Küche des Hauses. Die Vorspeise – Frühlingsrollen mit Seadfood – schmeckte hervorragend. Auch das Gemüse, das den Reis des Hauptgangs bedeckte, war frisch und sehr lecker.

Leider konnte man das von den gebratenen Shrimps nicht behaupten. Die waren mit Kopf und Füßchen schlicht und einfach in der Pfanne so lange gebrutzelt worden, dass man sie nicht mehr auseinander nehmen konnte. Sie gingen geschlossen zurück.
Luan hatte für unseren letzten Abend ein einfaches Restaurant direkt neben dem Hotel gebucht. Und hier kam ich wirklich auf meine Kosten. Ich weiß nicht mehr, wie das Gericht hieß, aber es waren eingewickelte Rindfleischstreifen mit landestypischen Pilzen. Die Pilze sahen aus wie lange Fäden und hatten eine leicht gummiartige Konsistenz. Irgendwelche Nebenwirkungen blieben erstaunlicherweise aus. (Bisher.)

26 Reiseteilnehmer und ein zunehmend gut gelaunter Luan waren die perfekten Zutaten für einen wunderbaren Abschiedsabend. Das Bier floss in Strömen, und irgendwann holte Luan auch noch die Reisschnapsflasche raus, die ihm seine Mutter bei seinem kurzen Besuch vor drei Tagen für uns „Langenasen“ mitgegeben hatte. Und als die Flasche alle war, bestellte er mit dem Geld, dass Annika noch von einer Sammlung für einen ganz anderen Zweck übrig hatte, mindestens zwei weitere Flaschen. Leider wurde wir dann auch ein bisschen laut. Das Bild des grölenden Deutschen im Ausland gehört nicht unbedingt zu meinen Lieblingsmotiven, aber es ließ sich hier und heute nicht vermeiden.

Wir hatten am Morgen im Hotel bereits das Trinkgeld für Luan, den Fahrer und unseren Wasserboy eingesammelt, so dass wir ihm „seinen“ Umschlag an diesem Abend überreichen konnten. Er war sehr dankbar, hatte fast schon Tränen in den Augen.
Fix und fertig, aber rundum glücklich in die Heia.

Es wird Zeit, sich umzuziehen. Wir acht haben vor, heute Abend Lobster zu essen. Lobster sind so ´ne Art Hummer, nur ohne Scheren. (Danke, Conny!) Auf der langen Straße vor den Hotels gibt es viele Restaurants, die das anbieten. „Mr.Lobster“ heißt das bekannteste. Zum Glück hat sich unser Jürgen in einem der vielen Massagesalons (keine Angst, ich komme darauf zurück!) mit einem Russen angefreundet, der ihm ein besseres und günstigeres Lobster-Restaurant empfohlen hat. Selbiges ist aber rund 4,5 km entfernt, sodass wir uns ein Taxi bestellen. Selbst Norbert ist pünktlich – so einen Lobsterschmaus lässt man sich ja nicht gerne entgehen. Kurz vor dem Ziel sehen wir so eine typische Einheimischen-Kneipe mit Wellblech und ultraweißen Neonlampen, aber ohne Außenwände. Silke lacht noch: „Stell´ Dir vor, wir werden jetzt in so eine Kaschemme gefahren!“ – „Das will ich nicht hoffen!“ – meine voreilige Antwort.
Und dann sind wir auch schon da. In genau so einer Kaschemme. Ein typisches Restaurant für die Einheimischen. Touristen würden hier freiwillig nicht reingehen. Es sei denn, sie wüssten, wie es hier schmeckt. Aber die Einheimischen sind in großer Zahl vorhanden – fast jeder Tisch ist besetzt. Wir reden uns das Lokal schön. „Wenn hier die Einheimischen essen, muss es ja gut sein!“


Die Lobster liegen in großer Zahl tot in Plastikgefäßen rum. Die offensichtliche Chefin des Lokals nimmt die Bestellungen auf. Jeder ausgesuchte Lobster wird gewogen und mit einem Zettel versehen an die Küche verschickt. Das Kilo kostet übrigens 600.000 Dong, also 22,41 Euro. Die meisten der Lobster sind sogar leichter als ein Kilo. Flinke junge Leute versorgen uns mit Getränken (Bier) und Vorspeisen. Und dann kommt auch schon der erste Lobster. Das Personal wartet, bis wir das aufgeschnittene Tier fotografiert haben und zerlegt es dann fachmännisch in essbare Einzelteile. Mannomann, ist das lecker. Jürgen schafft es sogar, mittels Nussknacker die Beinchen des Tieres auseinander zu knacken.
Und während wir da überglücklich feinste Lobster in uns reinstopfen, findet sich an einem Nebentisch eine Gruppe junger Leute zum Betrinken ein, wie wir an den lauten „Prost“-Rufen, die hier „Mo hei ba yo“ heißen, zweifellos feststellen können. Unsere Wirtin warnt uns davor, dass die Jungs sicher bald anfangen würden zu singen. Und so kommt es auch. Irgendeiner schleppt einen Riesenlautsprecher mit Karaoke-Einrichtung ins Lokal. Nach ein paar kurzen Feedbackproblemen mit den Mikrophonen geht es auch schon los. Die Buben und Mädels singen laut, manchmal falsch, aber mit großem Einsatz. Natürlich sparen wir nicht mit dem Applaus, zumal inzwischen eine Flasche Reis-Wodka bei uns auf dem Tisch gelandet ist, die sich verdächtig schnell leert. Und dann passiert, was ich auf jeden Fall vermeiden will: „Rainer, jetzt singst Du mal was!“ (Ich war so blöd, irgendwann damit geprahlt zu haben, schon mal bei einer Karaoke-Veranstaltung mitgemacht zu haben). Lange Rede, kurzer Sinn: Ich frage, ob sie das Playback von „Yesterday“ von den Beatles dabei haben – in der Hoffnung, dass sie ohnehin nur Musik aus Vietnam auf ihrem Tablet haben. Pustekuchen. „Yesterday“ ist da und ich muss singen. Zur Steigerung meines Schamgefühls nehmen meine Reisepartner das Gekrächze auch noch auf. Gema-Forderungen erwarte ich keine – da der Gesang doch stellenweise weit von Paul McCartneys Originalmelodie entfernt ist. Die Rechnungen für das vorzügliche Essen sind unglaublich niedrig. Wir sollten öfter bei den Einheimischen essen. Jetzt müssen wir uns aber noch schnell ein oder zwei Cocktails hinter die Binde gießen, um den Abend gebührend abzuschließen.
Ach, jetzt habe ich doch schon wieder vergessen, zu verraten, wo unsere 18 Mitreisenden geblieben sind. Im nächsten Kapitel bestimmt!!

Der letzte Tag der Rundreise durch Südvietnam war angebrochen. So richtig munter war zwar nicht jeder der Reisegruppe, aber die meisten hatten den gestrigen Abend mit den vielen Reisschnäpsen doch erstaunlich gut weggesteckt. Luans letzte Aufgabe war, uns in den Hotels am Strand abzusetzen, in denen wir die zweite Woche relaxen sollten. Denn die Reisebeschreibung lautete ja „Vietnam & Baden“. Und deshalb jetzt die Auflösung, wo unsere 18 „Kameraden“ verblieben sind. Sie waren nicht verschwunden, sondern einfach nur woanders.
Ein paar Tage vor Reisebeginn kam nämlich ein Brief von CleverTours, das im geplanten Strandhotel Bauarbeiten stattfänden und somit nicht gewährleistet sei, dass man wirklich Ruhe hat. Als Alternative bot man ein zweites Hotel an, dass zwar kleiner, etwas weiter weg vom Zentrum und auch sehr nett wäre. Spontan entschied ich mich (wie die sieben anderen unserer Truppe) für das neue Hotel, während das Gros der Reisenden trotz des zu befürchtenden Baulärms das originale Hotel bevorzugte. Inzwischen wissen wir, dass das Original-Hotel sehr abseits gelegen war und wir mit unserem Allezboo Beach Resort großes Glück gehabt haben. Sehr schöne, große Apartments (bis hin zu einer Suite!), toller Pool, sauberer Strand, extrem freundliches Personal, tolle Restaurants und alle Geschäfte in Laufweite. Selbst die zwei Flaschen Gratiswasser gab es jeden Tag. Und unsere Truppe war ja nun auch einmalig gut zusammengestellt. Wir haben „von den anderen“ höchstens Annika und Torsten vermisst – ansonsten hatten wir genug Spaß mit uns selbst. Es wäre langweilig, die Tagesabläufe dieser zweiten Woche detailliert zu beschreiben: Wie so ein Badeurlaub funktioniert, dürfte ja jedem klar sein. Frühstücken, an den Pool oder ans Meer, Abruhen, einkaufen oder rumbummeln, Abendessen, Heia.
Das Einzige, was es nicht in jedem Badeurlaub gibt, sind die vielen Massagestudios auf der Hauptstraße. Silke hatte gleich am ersten Tag Kontakt zu einer sehr geschäftstüchtigen Inhaberin solch eines Massagesalons. Nach und nach waren wir dann auch alle mal da, um uns durchkneten zu lassen. Ja, sogar ich Schisser habe da mitgemacht. Ich musste mich in einer durch Vorhänge abgetrennten Kabine bis auf die Unterhose ausziehen und auf den Bauch legen. Dann kam eine der kleinen Vietnamesinnen in die Kabine, um mich mal so richtig durchzukneten. Als sie dann plötzlich meine Unterhose ein gutes Stück runterzog, dachte ich erst, ich hätte eine Massage gebucht, bei der andere Körperteile als der Rücken die Hauptrolle spielen. Aber es passierte zum Glück nichts Schlimmes. Ich wurde einfach nur immer wieder durchgewalkt, bis dem Mädel die Kräfte ausgingen. Dann sollte ich mich umdrehen. Zum ersten Mal konnte ich meine Peinigerin ins Gesicht sehen. Sie war so um die 40 Jahre alt, einen guten Meter groß, natürlich schwarzhaarig und sehr freundlich. Ob ich denn auch eine Gesichtsmaske haben wolle, fragte sie. Ich dachte mir, jetzt ist eh alles zu spät. Warum also nicht? Es gibt immer ein erstes Mal. Dann legte sie mir Gurkenscheiben mit irgendeiner glitschigen Masse über das Gesicht, so dass ich erstens nichts mehr sehen konnte und zweitens kaum noch Luft bekam. Meine Peinigerin setzte danach die Massage von vorne fort. Immer, wenn sie bestimmte Punkte an meinen Fußsohlen zu kneten begann, bäumte sich mein geschundener Körper vor Schmerzen auf. Sowas kann ich ja gar nicht ab. Nach gut 45 Minuten war die Tortur überstanden. Das Gesicht war wieder frei von Schmiere, die Extremitäten abgetrocknet und eingeölt, und mir stand nur noch eine Pediküre bevor, die ich bei der Gelegenheit auch gleich mal erledigen wollte. Dazu musste ich mich auf einen Sessel direkt im Eingangsbereich setzen, sodass auch alle Passanten mitbekamen, was mit meinen Füßen passierte. Elke saß auch schon da, aber nicht der Füße, sondern der Fingernägel, bzw. des Nagellacks wegen. Die Angestellten des Etablissements sind wohl in mehreren Disziplinen ausgebildet, denn meine Kneterin übernahm jetzt auch die Lackierung von Elkes Fingernägeln. Mir wurde eine neue Angestellte zugeteilt, die mit relativ viel Vorsicht alles Menschenmögliche tat, um aus meinen Fußzehen wieder ansehnliche Exemplare zu machen. Leider hat sie mich plötzlich geschnitten. Ich erwog eine Klage wegen Körperverletzung, aber ein kleines Pflaster und die Selbstheilungskräfte meines Körpers langten völlig aus, um mich wieder ruhigzustellen. Ganz relaxed war ich dann bei der Bezahlung. Der ganze Spaß (Body-Massage, Gesichtsmaske und Pediküre) hatte umgerechnet etwas mehr als 8 Euro gekostet.

11.00 Uhr am Abreisetag. Die Koffer sind gepackt. Unser Bus wird uns um 16.00 Uhr abholen. Dann geht es zurück nach Saigon. Erst um 0.35 Uhr in der Nacht zum Montag werden wir – wieder über Dubai – nach Deutschland zurückfliegen. Da wir gegen die Zeit fliegen, kommen wir schon am Montagmittag um 13.15 Uhr in Frankfurt an.
Leider nicht alle aus unserer Gruppe. Corinna hat sich am Vorabend eine böse Fischvergiftung eingefangen. Sie war den ganzen Nachmittag im Krankenhaus und liegt jetzt auf ihrem Zimmer. An Fliegen ist nicht zu denken. Norbert ist natürlich bei ihr geblieben. Hoffen wir, dass alles gut ausgeht und die beiden bald nach Hause fliegen können.
Nachtrag: Die beiden konnten am nächsten Nachmittag Non-Stop nach Hause fliegen. Beinahe hätten sie uns noch überholt …

Das Fazit.
Ein Traumurlaub in einem traumhaften, aufregenden und aufstrebenden Land. Eine anstrengende Woche mit Dutzenden von unvergesslichen Eindrücken und eine weitere relaxte Woche in einem absolut phantastischen Hotel mit einer Gruppe wunderbar aufeinander abgestimmter Charaktere. Ich hoffe sehr, dass wir acht, die „Lobster Group Allezboo 2017“, noch lange miteinander in Kontakt bleiben. Mit dem umfangreichen Foto- und Videomaterial werde ich auf jeden Fall ein Reisevideo schneiden, das dann irgendwann (mit persönlichen Zugangsdaten) im Internet zu sehen sein wird. Ich hoffe auch, dass wir uns in ein paar Monaten nochmal bei mir in Frankfurt treffen werden, um an diesen Traumurlaub zurückzudenken.
Danke Silke, danke Conny, danke Norbert und Corinna, danke Marianne, danke Elke und Jürgen und vor allem Danke an Luan, dessen positives Denken uns allen Auftrieb gegeben hat.

Montenegro: Douze points

Montenegro: Douce points

Es wurde mal wieder Zeit für einen kurzen Urlaub. Mal woanders hin, mal was Anderes sehen. Neue Menschen, neue Städte, neue Sprachen, alles neu.
Die Wahl fiel auf Montenegro, eine der sechs Teilrepubliken des ehemaligen Jugoslawien. Allen wohl bekannt als Teilnehmer beim jährlichen Europäischen Gesangswettbewerb ESC. Die Wahl fiel auch deshalb darauf, weil ein Besuch Dubrovniks, der „Perle der Adria“ damit verbunden war und weil das Prospekt der Firma Trends Tours einen äußerst günstigen Preis für die achttägige Reise inklusive einiger Ausflüge anbot. Mit den diversen Extras und dem Einzelzimmerzuschlag waren es dann doch rund 1050 Euro, die sich in Urlauberglück umwandeln sollten. Aber wenn sogar Sophia Loren angeblich Gefallen an dem Ländle gefunden hatte, sollte mir das doch auch möglich sein.

Leider haben das Management der Firma Trends Tours und die Lufthansa zunächst einmal alles versucht, die Urlaubsvorfreude in Frust umzuwandeln. Der geplante Start in Frankfurt um 15.55 Uhr verzögerte sich um fast eine Stunde, weil schon am frühen Morgen der Nebel einige Maschinen in Frankfurt stranden ließ. Bis 16.50 Uhr, als der Airbus endlich abhob, war der Lufthansa-Fahrplan völlig aus dem Ruder gelaufen. Sagte jedenfalls der Kapitän. Und der klang sehr erfahren. Mindestens so erfahren wie die Stewardess, die zusammen mit zwei anderen fröhlichen Greisinnen Käse- oder Wurstbrot samt Softdrink verteilte. Auch wenn die Maschine dann relativ schnell nach Dubrovnik düste, war die Dunkelheit nicht mehr weit. Die ultraharte Landung inmitten von Bergmassiven war auch nicht jedermanns Sache. Und bis unsere kitzekleine Reisegruppe (13 People) sich endlich vor dem Flughafen in Dubrovnik versammelt hatte, war es schon dunkel. Ein Kleinbus mit Gepäckanhänger zuckelte uns nun Richtung Montenegro. Unser „Reiseführer“, den ich deshalb in Anführungszeichen setze, weil er der deutschen Sprache so überhaupt nicht mächtig war (Audio), verriet uns, dass wir nun noch eine rund zweistündige Busfahrt bis zum Hotel in Budva, der bekannten Touristenhochburg, vor uns hätten. Unterbrochen wurde die Fahrt von der kroatischen Grenze (30 Minuten), der Montenegrischen Grenze (25 Minuten) und einer Schiffsüberfahrt (9 Minuten). Hoch lebe Schengen! Dabei gibt es in Montenegro einen internationalen Flughafen, den man auch von Frankfurt aus anfliegen kann. Warum, bitteschön, karrt man uns im Dunkeln quer durch zwei Länder, wenn man auch vom Flughafen direkt ins Hotel hätte fahren können? Wegen der Aussicht? Es war stockdunkel!! Der „Reiseleiter“ erzählte zwar unentwegt, welch tolle Sachen man rechts und links des Weges sehen könnte, aber tatsächlich sahen wir schlicht und einfach nichts. Und damit man auch wirklich nichts sehen konnte, waren die Scheiben des Kleinbusses auch noch tief getönt. Also, da sollten die Touristikfritzen doch noch mal gründlich nachdenken. Wenn es denn unbedingt Dubrovnik sein muss, könnte man am Reisetag ja auch eine frühere Maschine nehmen. Die Lufthansa bietet fünf Flüge am Tag an.

Aber was soll´s, irgendwann sind wir an unserem Hotel „IBEROSTAR“ angekommen. Klingt jetzt gar nicht so montenegrisch, ist es auch nicht. Iberostar ist eine weltweit operierende Hotelkette, die alleine 33.500 Zimmer der 4 und 5-Sterne-Kategorie in 27 Ländern anbietet. Bei unserem 4-Sterne-Hotel handelt es sich um einen Riesenkomplex, der aus drei megagroßen Gebäuden besteht. Die ersten Eindrücke waren verstörend.

Dann begab es sich aber, dass man uns endlich was zu essen und zu trinken gab! (Getränke im Bus? No way!). Wir mussten uns allerdings sputen, da das Buffet ab 21:30 Uhr abgeräumt wurde. Immerhin durfte man seine bis dahin eilig zusammengehäuften Schätze einigermaßen friedlich aufessen. Wein gab es auch, ziemlich warm. Kam ja auch wie der Rotwein aus demselben Zapfsystem. Ich saß mit einem Ehepaar aus Frankfurt zusammen. Im Bus war mir der Mann schon durch seine ständigen Kalauer aufgefallen. Ich dachte immer, dass ICH hier die Witze mache. Die beiden waren schon in den siebziger Jahren mal hier – der Mann hatte wohl jugoslawische Wurzeln, wie seine Physiognomie vermuten ließ. Erstaunlicherweise müsste ich ihn sogar kennen, da er früher mal in Bad Homburg im Cafe Kofler gearbeitet hat – unser Stammcafé während der Schulzeit. Über die anderen kann ich noch nichts erzählen, die muss ich erst noch besser kennenlernen.

Es war immer noch 19 Grad warm, als wir in Dubrovnik landeten, und es wurde im Laufe des Abends kaum kälter. Und es war immerhin Ende September. Nach dem Essen stellte sich unser „richtiger“ Reiseleiter vor, ein Deutscher mit klarer, lauter Stimme und einigen Aussprachefehlern („Resturang“). Er führte uns in die Gartenanlage des Riesenkomplexes und erklärte die verschiedenen Bauten. Es gab also drei „Resturangs“, mehrere Bars und eine Bühne für Tanz und Animation. Letztere lief gerade. Mir fiel fast die Brille von der Nase. „Oktoberfest“ war das Motto. Wo sind wir denn hier gelandet? Den Reiseleiter konnte ich nicht fragen. Den habe ich dann nämlich nie mehr gesehen.

Während ich im Bus noch der mit Abstand jüngste Mitreisende war (kritisch geschätzt!), war ich inmitten dieser Mega-Touristen-Versorgungsanlage dann plötzlich doch wieder eine alte Socke. Und dann auch noch Alleinreisend. Ich finde, es macht nichts, alleine zu reisen. Umso freundlicher sind die ganzen Bedienungen zu mir, sogar die Jungs. Eben brachte mir der Kellner noch ein Glas Wein (lauwarm), obwohl die Alkoholbewirtung ab 23.00 Uhr beendet ist. Es ist 23.19 Uhr. Erwähnte ich schon, dass ich mal wieder so ein Bändchen am Handgelenk trage, das mich als dekadenten All-Inclusive-Schnäppchenjäger brandmarkt? Ich schwöre, dass ich das nicht vorher wusste!!!

Ich weiß überhaupt nicht, was mich hier erwartet, weil ich die Reise schon vor sieben Monaten gebucht habe und den Reiseverlauf irgendwann unter „P“ wie Papierkorb abgelegt habe. Ich habe immerhin schon herausgefunden, dass das Meer ziemlich nah sein muss. Das Hotel hat nämlich eine Strandbar. Morgen scheint die Sonne.

Aber jetzt wird es Zeit für die Heia.

Der zweite Tag.

So langsam lichtet sich das Dunkel. Mein sehr schön eingerichtetes Zimmer, in dem es leider eiskalt war, ließ mich den Schlaf der Gerechten schlafen, wenn das nicht so anmaßend klänge. Gegen neun bin ich dann aufgestanden. Das Frühstücksbuffet war erwartungsgemäß sehr umfangreich. Leider – oder besser zum Glück – kann ich morgens nicht viel essen. Eine Scheibe Toast mit Käse (Schinken gab´s nicht), zwei Kaffee mit Milch und ein bisschen Obstsalat. Viel mehr als zuhause, aber ich hatte ja heute noch ein anstrengendes Programm vor mir. Zuerst galt es mal, das Hotel zu erkunden. Die Strandbar entpuppte sich als Poolbar. Die Strandbar war weiter unten, am Strand, wo sonst. Und trotz der frühen Stunde waren schon Myriaden von Urlaubern unterwegs. Am Pool, am Strand, am Buffet, sogar an der Bar. Wie man um zehn schon Grappa trinken kann, wird nie in meinen Kopf gehen.

Ein kleiner Blick auf den Globus im iPad zeigte mir dann auch, wo ich mich derzeit aufhielt. Unser Flieger ist ja nach Kroatien geflogen – ein Land, dass sich ziemlich lang an der adriatischen Küste entlangschlängelt. Ganz im Osten liegt Dubrovnik. Von da sind wir mit dem Bus weiter nach Osten gefahren – eben bis Montenegro. Das winzige Land hat eine Menge Nachbarn. Im Norden zunächst einmal Bosnien und Herzegowina, daneben Serbien. Als ob das nicht schon genug Trouble machen würde, liegt im Osten auch noch der Kosovo und im Süden Albanien. Montenegro ist nicht in der EU, aber man kann hier mit dem Euro bezahlen. Genauer gesagt, man muss mit dem Euro bezahlen, denn das Land hat gar keine eigene Währung. Und deswegen haben sie einfach den Euro eingeführt. Sie stellen natürlich keine eigenen Scheine her, sondern nutzen nur das Geld, das die Touristen in den Umlauf bringen. Das ist doch mal eine geniale Idee, oder? Die EU kann oder will jedenfalls nichts dagegen unternehmen, dass der Euro hier okkupiert wurde.

Eine eigene Sprache haben sie auch nicht, weil die Leute im Grunde genommen serbisch sprechen. Um dennoch einen künstlichen Unterschied der beiden Sprachen einzuführen, hat der Staat drei zusätzliche Buchstaben eingeführt, die keiner kennt und kein Textverarbeitungsprogramm verarbeiten kann. Egal, Hauptsache anders.

Um halb elf lernte ich unseren Reiseleiter, Herrn Bierbaum, näher kennen. Er hatte die übliche Aufgabe, uns den Ablauf im Hotel zu erklären und möglichst viele Zusatzausflüge zu verticken. Außerdem wurden uns die Chefs vom Hotel vorgestellt. Beim Buchen der morgigen „fakultativen“ Tour mit Titos Eisenbahn lernte ich auch Lisa und ihre Mutter kennen, zwei Berliner Seelen, die vor über 25 Jahren in Bayern gelandet sind. Den Berliner Dialekt haben sie aber nie verloren. Unsere anfängliche Minigruppe war inzwischen auf über 50 Leute angewachsen. Das waren die „Trend-Tours“-Kunden aus Berlin, München, Köln und sonst woher. Bis auf Lisa alle schon reichlich alt. Sie war so was wie unsere „Seniorenbetreuerin“.

Nach dem lauwarmen Mittagessen begann dann auch gleich unsere erste Tour. Und wieder stellte sich ein neues Mädel vor: Katarina, jung, ganz ordentlich deutsch radebrechend (bis auf die Grammatik) und sehr plapperfreudig. Sie sollten wir die ganze Woche als Begleiterin haben. Es gab schon bedeutend Schlimmere.

Der Bus fuhr uns zunächst in den Hafen von Bodva, der Haupt-Urlaubsstadt von Montenegro. Da war es richtig nett, aber außer einem Gang auf eine öffentliche Toilette (die ich verweigerte), hatten wir dort zunächst nichts verloren. Wir stiegen in ein Motorboot ein, das unsere Gruppe gerade so fassen konnte. Zusammen mit Lisa und Ihrer Mutter saß ich sogar auf dem Vorderdeck des Schiffes, dem Kapitän die Sicht versperrend. Und so fuhren wir dann eine gute Stunde die Küste entlang und schauten uns die kleinen Inseln, die Strände, die Drachenflieger und die Motorbootfahrer an. Drinnen plapperte sich Katarina die Selle aus dem Leib, um den dummen Touristen die schaurig-schöne Geschichte des Landes näher zu bringen.

Wieder an Land, ging es nun in die Altstadt von Bodva. Eine wuselige Ministadt mit vielen Boutiquen, Schmuckgeschäften, Cafés, Bars und Restaurants. Außerdem die übliche Anzahl an Trümmern, wiederaufgebauten Kirchen und Museen. Wie man ja sicher weiß, hat es hier im damaligen Jugoslawien mehrfach erdbebenmäßig schwer gerummst. Das schwerste Beben in Montenegro war 1969 mit 6,4 auf der „nach oben offenen“ Richterskala. Damals war alles zerstört. Auch 1981, 84, 86, 90 und 2015 schoben sich da diverse Gesteinsplatten ineinander, was jedes Mal zu größeren materiellen Schäden führte. Die Altstadt von Budva wurde damals originalgetreu wiederaufgebaut. Ein paar Trümmer liegen zwar noch rum, da fehlt wohl die Kohle. Übrigens bebt die Erde auch heute noch jedes Jahr bis zu fünf Mal, allerdings in verträglichen Dosen. Hoffentlich bleibt das so.

Als Nächstes stand die Stadt „Bar“ auf der Liste der zu besuchenden Orte. Es handelt sich hierbei keineswegs um ein Etablissement zum Einnehmen alkoholischer Getränke, sondern um die frühere Hauptstadt des Landes. Sie lag im Landesinnern und wurde viele Jahrhunderte von den Osmanen, also den Türken, beherrscht. Irgendwann hatten die Einwohner die Nase voll und jagten die Stadt buchstäblich in die Luft. Das war 1878. Sie flohen ein Stückchen Richtung Küste und gründeten ein neues „Bar“. Der Grund, warum sie nicht gleich an die Küste gingen und damit vom weltweiten Handel hätten profitieren können, lag daran, dass es in Küstennähe nirgendwo einen Brunnen gab, der genug Wasser lieferte, um die Stadt zu beliefern.

Das war irgendwie auch nicht der Hit. „BAR“ wurde jedenfalls ein drittes Mal direkt an der Küste aufgebaut und entwickelte sich prächtig. Eine Zeitlang war die Stadt der wirtschaftliche Mittelpunkt der ganzen Gegend. Wie wir wissen, haben diverse Völkerkriege in dieser Gegend einen Strich durch die Rechnung gemacht. Was da im Einzelnen passiert ist, werde ich hoffentlich im Lauf der Tour noch erfahren.

Heute habe ich nur gelernt, dass die Arbeitslosigkeit von früher 50% auf immerhin 20% gesenkt werden konnte. Klingt gut, ist es aber nicht. Denn dieser Prozentsatz bezieht sich nur auf die Sommermonate, also die Zeit, in der die Touristen das Land übervölkern. Im Winter beträgt die Arbeitslosenquote nahezu 100 %. Es gibt keinerlei Industrie und nur marginale Landwirtschaft. Der deutsche Mindestlohn gilt hier sicher nicht.

Inzwischen waren wir im „mittleren“ BAR angekommen. Auch hier wurden viele Gebäude nach den Erdbeben restauriert. Enge Gassen, von Restaurants und kleinen Geschäften gesäumt, die nur eine Richtung kennen: Nach oben! Ins Original-BAR, das ebenfalls teilweise wiederaufgebaut wurde.

Man hatte uns vorher gewarnt, dass man für diese Besichtigung sicheres Schuhwerk tragen sollte. Und ganz ehrlich: es war sehr steil. Ein Orthopäde hätte hier täglich seine Kundschaft. Plapper-Kat überfüllte uns mit einer Unmenge von Details, an die sich keiner mehr erinnern wird.

Die Rückfahrt ins Hotel verzögerte sich um ein paar Minuten, weil Lisa in irgendeiner Kneipe hängengeblieben war. Ohne mich, um das klarzustellen.

Im Hotel das Übliche: Fressen, saufen, feiern. Jedenfalls für die meisten. Ich setzte mich brav irgendwo ins Freie und tippte diese Zeilen in den Laptop. Morgen muss ich um fünf Uhr aufstehen.

TITOs Eisenbahn wartet auf uns.

Der dritte Tag

Wie immer, wenn ich früh aufstehen muss, habe ich Angst zu verschlafen. Also wachte ich auch in dieser kurzen Nacht mehrmals auf, um mich zu vergewissern, dass ich noch weiter schlafen konnte. Als dann um fünf der Wecker klingelte, kam ich mir vor wie in einem Alptraum. Duschen, Anziehen – alles erledigte ich wie in Trance. Pünktlich um 5:30 erschien ich im Frühstücksraum. Die meisten waren schon hellwach – senile Bettflucht vermutlich. Nur Lisa saß wie in Trance mit Ihrer Mutter (Sigrid heißt sie) am Tisch und konnte außer Kaffee nichts zu sich nehmen. Unser Bus war kleiner als gestern, da es nur rund 30 Interessenten gab, die Titos Eisenbahn erleben wollten. Pünktlich um 6.00 Uhr fuhren wir ab – mal wieder nach Bar, wo der Bahnhof war. Plapper-Kat und ein neuer Busfahrer waren heute als Begleiter dabei. Dann kam der Zug. Unter Titos Eisenbahn hatte ich mir irgendwas Museales vorgestellt. Eine Dampflok mit Gesellschaftswagen wie in einem Agatha-Christie-Krimi. Tatsächlich war das ein großer Etikettenschwindel. Der Zug war ziemlich modern, vielleicht 15 Jahre alt. Es gab einzelne Abteile, in die wir jeweils zu sechst verteilt wurden. Immerhin hatten wir einen „eigenen“ Waggon. Die originale Tito-Bahn steht in irgendeinem Museum. Sie hätte wegen einer ganz anderen Spurweite auch gar nicht auf die Gleise gepasst. Na gut, wenn wir schon mal da waren, sollten wir auch mitfahren. Mit mir im Waggon war ein Schweizer Ehepaar, ein alter Sachse namens Fritz und eine gewisse Lisa mit ihrer Mama. Der Schweizer verteidigte die Volksentscheidungen seines Landes, der Sachsenfritze erzählte langwierige Reiseerlebnisse aus seiner Jugend und Lisa fotografierte sich die Seele aus dem Leib, bzw. die Speicherkarte Ihrer Sony-Kamera voll.

Unser Ziel war die Stadt Kolasin (sprich „Kolaschin“), die etwa 80 km nördlich in etwa 1000 Metern Höhe lag. Der Zug würde dann noch weiter bis nach Belgrad zuckeln, aber da wollte nun wirklich keiner hin. Während wir uns innerhalb der Felsmassive hochschraubten, durchquerten wir sage und schreibe 33 Tunnel und überfuhren unzählige Aquädukte. Wenn man zwischen zwei Tunneln schnell genug war, konnte man sogar schöne Aufnahmen einer atemberaubenden Landschaft machen. Je höher wir fuhren, desto grüner wurde die Natur.

Nun gut, sooo atemberaubend war das Ganze nun auch wieder nicht. Unser Bus war gleichzeitig parallel auf der Straße nach Kolasin gefahren und holte uns am Bahnhof ab. Wenige Meter später waren wir dann in dieser geschichtlich wohl sehr bedeutenden Stadt. Hier war nämlich das jugoslawische Kampfzentrum für den ersten und zweiten Weltkrieg sowie für die Balkankriege beheimatet. Deswegen standen in dem inzwischen winzigen Ort auch überall Büsten von berühmten oder berüchtigten Feldherren rum. 70 Minuten Aufenthalt zur eigenen Verfügung standen uns bevor. Katarinchen zeigte uns ein echtes Tito-Kaffee, in dem tatsächlich die gesamte Dekoration sehr sozialistisch anmutete – ein Wandteppich mit Titos Konterfei inklusive. Einen Espresso später waren wir dann auf uns allein gestellt. Ich bin einfach ein paarmal durch die sechs Straßen des Ortes gelaufen und stellte fest, dass es hier unheimlich viele Cafés gab. In jedem saßen ausnahmslos Männer. Die Frauen saßen wohl zu Hause, machten den Haushalt, wuschen die Wäsche und kümmerten sich um die Kinder. Business as usual.

Wir hätten hier auch irgendein montenegrisches Spezialessen ausprobieren können, so eine Art POLENTA mit extra Sahne. War mir nicht danach.

Ach ja: dieser Ort hat noch etwas Besonderes. Es ist einer der wenigen Ski-Hochburgen des Landes. Mein Aussage von gestern, dass es nur eine Sommersaison in Montenegro gibt, muss revidiert werden. Und der Ort profitiert selbst im Hochsommer von seiner Höhenlage. Wenn es an der Adria ungemütliche 45-50 Grad warm ist, kann man hier oben bei gemütlichen 25 Grad einen sehr angenehmen Sommer verbringen. Einer der wenigen Orte des Landes, der keine Fluktuation seiner Arbeitskräfte befürchten muss. Die vielen jungen Männer, meist ganz in schwarz gekleidet, sind gern hier oben auf 1000 Meter Höhe. Und noch was haben sie aus der sozialistischen Epoche übernommen: wenn sich die Burschen treffen, küssen sie sich. So wie wir es noch von Honecker kennen.

Und bevor die Sonne infolge meines langsam schütter werdenden Haupthaars Löcher in den Schädel brennen konnte, stiegen wir wieder in den Bus und fuhren die ganze Strecke wieder zurück, allerdings auf einer alternativen Route.

Dann stand ein Klosterbesuch auf dem Programm. Ein zugegeben perfekt gepflegtes Grundstück mit einer durchaus sehenswerten orthodoxen Kirche und den entsprechenden Nebenräumen für die Priester. Irritiert hat mich nur der Gesang einiger Frauen, die doch eigentlich da nichts zu suchen haben, oder? Nun bin ich bekanntermaßen nicht unbedingt ein Freund des Klerikalen, auch wenn ich letzte Woche in einem Theaterstück noch den Papst gespielt habe. Palaver-Kati, deren Deutsch nach nur einem Tag merklich schlechter geworden ist, ist wohl sehr gläubig und erzählte uns von den diversen Riten, denen man da unterworfen ist. Grund genug, das Weite zu suchen. Lisa hatte sich eine Stickdecke gekauft, die vor dem Kloster an einem Stand angeboten wurde. Ich habe es gewagt, ein Eis zu essen. Bisher haben die Salmonellen Ruhe gehalten.

Auf der Weiterfahrt gab es noch zwei Foto-Stopps und eine Vollsperrung. Der Grund dafür war mal wieder der Fortschritt. 2014 ist durch einen gewaltigen Erdrutsch der größte Teil der Straße zerstört worden. Statt die uralte Strecke mit ihren aberwitzigen Serpentinen zu reparieren, hat man eine neue, schnelle Straße in die Felsen gehauen. Leider ist sie noch nicht ganz fertig. Und wenige hundert Meter vor ihrem Ende war ausgerechnet heute eine Vollsperrung angesagt, damit die Bauarbeiten weitergeführt werden konnten. Es spricht für die Intelligenz unserer Truppe, dass wir uns nicht gegenseitig zerfleischt oder wenigstens einen Bagger umgeschmissen haben. Die Energie dazu hätten wir gehabt …

Rund elf Stunden, nachdem mein Wecker geklingelt hatte, waren wir wieder im Hotel. Das Lunch-Paket, das zum Ausflug gehörte, hatte ich kaum berührt. Ein weiches Brot, zwei Scheiben Wurst und Käse, ein Stück Butter, eine Banane und eine riesige Tomate. Die Banane hatte ich Lisa geschenkt, die Tomate hatte ich (kleckernd!) gegessen und den Rest dem Müll anvertraut. Also waren wir alle hungrig. Im Hotel gibt es einen Bereich, in dem man nahezu rund um die Uhr was zu essen bekam. Pizza, Nudeln, Eis und Süßigkeiten. Alles sehr gesund, versteht sich. Ich saß schon da und mümmelte eine kleine Portion lauwarmer Spaghetti, als sich Lisas Ma dazugesellte. Sie ist eben so wenig auf den Kopf gefallen wie ihre Tochter. Fragte mich ganz ungeniert nach meinem Beruf. Man vermutete, dass ich Finanzbeamter sei oder „so was“.

Der Schock saß tief. Wenn das meine Außenwirkung ist, muss ich schnellstens meinen Style verändern. Ich weiß zwar jetzt nicht, ob mein tatsächlicher Beruf einen besseren Eindruck macht als der, den ich in den Augen der Mitreisenden ausübe, aber ich hoffe, dass ich mein Image mit der Aufklärung über meine Person reparieren konnte.

Immerhin wollten wir drei uns zum Abendessen wiedersehen.

Leider war der Sachsenfritze schneller. Der Tisch auf der Terrasse hatte nur drei Plätze. Also keinen Platz für mich. Auch nicht schlimm.

Nach dem Essen bin ich noch mal im „Animationszentrum“ des Hotels gelandet. Inzwischen wurde es abends deutlich kühler als noch vor zwei Tagen. Das Programm auf der kleinen Bühne war ein Mischmasch irgendwelcher Volkstänze und landestypischer Folklore. Auch so eine Art Oktoberfest.

Es war erst 22:09 Uhr und ich war hundemüde.

Obwohl: Ein letzter Wein geht immer.

Der vierte Tag

Erstaunlich, wie schnell die Zeit verging. In Deutschland war Bundestagswahl und ich saß schon um acht Uhr dreißig im Frühstücksraum, um meinen Magen mit wabbligem Weißbrot und Käse zu füllen. Punkt neun erwartete Plapperkati ihre Kundschaft, um sie nach Dubrovnik zu fahren. Moment, da waren wir doch schon!? Ja, aber nur auf dem Flughafen. Diesmal sollte es in die berühmte Altstadt gehen. Das bedeutete, dass wir uns an diesem Sonntagmorgen vier Stunden Richtung Dubrovnik quälten. Wieder mit dem Umweg über die Fähre und über zwei Grenzkontrollen. Um 13.00 Uhr kamen wir bei Kaiserwetter am Rand der besagten Altstadt an. Und nicht nur wir. Der menschliche Inhalt von sage und schreibe drei Kreuzfahrtschiffen hatte sich heute dort ebenfalls eingefunden. Glücklicherweise durften wir vor Beginn der Stadtführung noch eine Stunde frei rumlaufen. Diese geschenkte Stunde habe ich für ein leckeres Mittagessen direkt an dem großen Terrassenrestaurant am Eingang der Altstadt genutzt. Dann kam Ruth. Ruth oder Frau Ruth? Keine Ahnung. Ein junges kroatisches Mädel etwa Ende zwanzig, abgeschlossenes Touristikstudium, frech, witzig und vor allem hochdeutsch sprechend! Und das, obwohl sie in München aufgewachsen ist! Mit ihrer klaren und lauten Stimme hatte sie uns alle sofort in ihren Bann gezogen. Und so haben wir die Geschichte dieser weltberühmten „Perle der Adria“ aus ihrem Mund vernommen. Leider ist in den vielen Jahrhunderten mit dieser Stadt dermaßen viel passiert, dass es diesen Blog sprengen würde, wenn ich das alles aufschriebe. Die Altstadt ist von einer starken Mauer umgeben, die sogar diverse Erdbeben ausgehalten hat. Es gab Feinde gegenüber in Italien und Feinde ringsherum. Man hat sogar den Feinden im Norden, also Bosnien, Land geschenkt, damit diese die Stadt gegen die Italiener verteidigten. Das hat alles sogar wunderbar geklappt. Dann kam das große Erdbeben, das 2000 Menschenleben kostete, der erste und der zweite Weltkrieg, diverse Besetzungen und schließlich die Neueinteilung Jugoslawiens durch Tito. Plötzlich waren viele Völker, die sich eigentlich auf den Tod nicht ausstehen konnten, miteinander verbrüdert. Auf Dauer konnte das nicht gut gehen. Wie immer hatte die Religion Schuld an den Konflikten. Während die Kroaten alle Katholiken waren, waren die Serben Orthodoxen, bzw. Muslime. Und schon gab´s den größten Krach. Kriege, die mir wohl nie verständlich sein werden. Und erst 1992, nachdem die vielen Landesteile sich selbstständig gemacht hatten, wurde ein Friedensvertrag unterzeichnet. Heute tut´s angeblich allen leid, aber die Abneigung der diversen Gruppen untereinander lässt sich immer noch spüren. So sprechen die Kroaten dieselbe Sprache wie die Serben – der Unterschied ist viel geringer als zwischen Hochdeutsch und bayerisch! Aber die Serben schreiben denselben Text in kyrillisch und die Kroaten in lateinischen Buchstaben. So etwas dürfte auch einmalig in der Welt sein. Montenegro ist mittendrin, aber wohl etwas mehr Serbien zugewandt.

Und wenn wir schon mal beim Lernen sind: Das Land hat gerade mal 645.000 Einwohner, ist nur 13.812 qkm groß (kleiner als Schleswig-Holstein) und steht beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) an 155. Stelle in der Welt, was nicht gerade ruhmreich ist.
Aber sie haben den Euro, wenn auch nur geklaut. Kroatien ist in der EU, hat aber den Euro NICHT. Verkehrte Welt.
Unsere Fremdenführerin in Dubrovnik, die ein abgeschlossenes Studium und ein Diplom vorweisen konnte, verdient gerade mal 500.- Euro im Monat. Ohne Trinkgelder, versteht sich. Die flossen heute reichlich, weil wir alle heilfroh waren, endlich mal wieder was Anderes zu hören als das Gestammel von Katastrofina. Mit unseren Trinkgeldern dürfte Ruth alleine heute ein weiteres halbes Monatsgehalt verdient haben.
Und wir hatten nach der Führung durch die völlig überfüllte Altstadt von Dubrovnik die Aufgabe, den ganzen Weg wieder zurückzufahren. Eineinhalb Stunden Stadtführung standen sieben Stunden im Bus gegenüber. Irgendwie passte das nicht zusammen.
Nach dem Essen mit Lisa und ihrer Mutter war ich dann noch eine Weile im Animationszentrum, um den Tag zu dokumentieren. Auf der Bühne stand eine KORG Triton mit schwachem Sänger. Für denjenigen, der nicht weiß, was das bedeutet: Die Triton ist ein „Keyboard“ und spielt alle Instrumente eines Orchesters samt zweiter oder dritter Stimmen. Der „Interpret“ muss nur noch selbst dazu singen und so tun, als würde er irgendwelche Tasten bedienen. Getanzt wurde trotzdem. Und immer, wenn die Tanzfläche voll war, wechselte der Sänger die Musikrichtung. Und schon tanzte niemand mehr.
Ich war dann auch bedient und habe noch eine Weile darüber sinniert, warum die AFD 12,6 Prozent der Wählerstimmen bekommen hat. Ich habe noch keine Erklärung gefunden, die diesen Aufstand der Wutbürger rechtfertigt.

Der fünfte Tag

Ein Tag ohne Plan, ohne Ausflug, ohne Verpflichtungen. Ich hätte zwar einen Ausflug buchen können, aber das Ziel lag ohnehin in unmittelbarer Nähe und wäre die 49.- Euro Zusatzkosten nicht wert gewesen.
Also endlich mal wieder ausschlafen! Um halb zehn erst am Frühstücksbuffet aufgetaucht. Der Blick nach draußen verhieß nichts Freudiges: REGEN und nur noch 15 Grad Außentemperatur.
Ich hatte eigentlich vor, heute mal die ganze Küste entlang zu laufen, soweit es möglich war, also etwa 3 Kilometer in östlicher Richtung. Der permanente Nieselregen machte mir einen Strich durch die Rechnung. Programm B war Lesen. Ich hatte ja mein iPad dabei – und damit ein paarhundert Bücher zur Hand. Ich entschied mich für „Tiere denken“ von David Richard Precht.
Hier zeigte sich ein Strukturfehler des Hotels. Ruhige Räume im Inneren der Komplexe gab es nicht. Man saß immer irgendwie im Freien, wenn auch überdacht. Dazu lief ständig Discomusik über irgendwelche unsichtbaren Lautsprecher. Ein Lob für den Hersteller der Kaffeemaschinen, die bisher noch nicht ein einziges Mal ausgefallen waren. Schon früh ausgefallen waren dagegen einige Urlauber, die mit ihrem Alkoholkonsum bereits direkt nach dem Frühstück begonnen hatten.
Um 15 Uhr sollte eine Sonderausgabe des „Spiegel“ erscheinen, die ich mir sofort herunterladen wollte. Da würde die Wahl in allen Details noch einmal aufgearbeitet. Es ist müßig, jetzt meine Meinung über dieses Desaster noch einmal kund zu tun, da dieser Blog in ferner Zukunft ja noch immer im Netz stehen wird und man sich dann vielleicht wundert, wovon ich überhaupt spreche.

So, weiter im Text. Mittagessen mit meinen neuen Freunden Lisa und ihrer Mam, ein weiterer Kaffee, eine kurze Mittagspause mit Schlafversuch, Durchlesung des inzwischen runtergeladenen „Spiegel“, Kuchenstückchen, ein weiteres Treffen mit Lisa & Ma. Sachsen-Fritze ist inzwischen auch immer dabei. (Irgendwann kennt man kaum einen anderen Menschen mehr) und zaghafter Auslauf am Strand. Wieder Regen, Rückkehr, Wein, Abendessen (mit den ab sofort nicht mehr extra erwähnten netten Menschen), Abendbespaßung („Ballett“), noch mehr Wein, Bett. Man nennt das wohl Urlaub.
Ich dachte, es müsste so etwa 21.00 Uhr sein, als ich mal wieder auf den Zeitmesser schaute: Es war schon 22:45 Uhr.
Der Abend fing ja gut an.

Und hörte auch sehr bald auf. Nach 23.00 Uhr gab es nichts mehr zu trinken.

Der sechste Tag

Wieder ein Tag ohne Gruppenzwang. Die fakultative Tour für 49.- Euro habe ich geschwänzt, da mich weder der Besuch der Hauptstadt des Landes, Podgorica, noch ein weiteres Wasser namens Skutarisee gelockt haben. Nur sieben Leute unserer Reisegruppe haben da mitgemacht – fanden es aber wunderbar.
Ich bin nach einem späten Frühstück dann tatsächlich nochmal in die Altstadt von Buvda gelaufen. Werter Leser, Du hast richtig gelesen: ICH BIN GELAUFEN! In unserem Hotel gab es einen kleinen Tunnel, durch den man unterhalb einer Terrasssenwohnanlage in die nächste Bucht laufen konnte. Immer am Strand entlang. Das Wetter war wieder vom Feinsten. Eigentlich sogar wieder viel zu heiß, sodass ich ein paar Ruhepausen für die Kopfoberfläche einlegen musste. Eine Mütze wäre wohl das Beste gewesen, hatte ich aber nicht.
Seit unserer Tour hatte sich die Altstadt erwartungsgemäß nicht geändert, sodass ich nach ein paar Kreiselbewegungen wieder den Heimweg antrat. Ja, auch den habe ich per pedes durchgestanden. Die gesamte Strecke dürfte etwa sechs Kilomater lang gewesen sein. (Höre ich da Applaus?)

Zurück im Hotel, war es Zeit für das Mittagsbuffet. Und wen sehe ich da? Nein, nicht Lisa samt Mama, sondern den Fritz. Hab´ mich dazugesetzt. Und ich habe so erfahren, wie der sozialistische Alltag in der ehemaligen DDR wirklich war. Fritz erzählte es mir schonungslos und vor allem sehr detailliert.
Und lange.
Um viertel vor drei haben sie uns dann mit freundlichen Worten aus dem Restaurant geschmissen.

Ich wollte mich dann in meinem Zimmer etwas erholen. Beim Öffnen der Terrassentüre fiel mir auf, dass sie gar nicht mehr verschlossen war. Als inzwischen vierfaches Einbruchsopfer fand ich es überhaupt nicht in Ordnung, dass die Reinigungsdamen nicht darauf geachtet hatten, dass die Türen weiterhin geschlossen sind. Immerhin wohnte ich auf der untersten Ebene. Jeder hätte hier ohne Probleme alles stehlen können, was ich nicht bei mir hatte. Das gibt leider einen Punktabzug.
Und als ich mich gerade so gemütlich auf mein Bett gelegt hatte, hörte ich plötzlich ein leises „Miau“. Da krabbelte doch allen Ernstes ein winziges Katzenbaby unter meinem Bett hervor. Das muss wohl während der Reinigung des Zimmers reingelaufen sein. Aber auch das sollte in so einem etablierten Hotel nicht vorkommen. Ich habe eine blöde Katzenallergie, die zum Glück bei dem kurzen Kontakt nicht ausgebrochen ist.
Bis zum Abendessen war dann doch noch viel Zeit, die ich mit Lesen des aktuellen „Spiegel“ an der Poolbar vollbracht habe.
Zum Abendessen war unser Quartett wieder zusammen. Vier Leute aus mehr als vier Jahrzehnten. Lisa, das Küken, mit ca. 35 Jahren, ihre Mutter mit knapp über 60, ich mit guten 60 und Fritz mit stolzen 78 Jahren.
Wie jeden Abend, haben sich die Damen sehr früh verbschiedet, um noch im Zimmer Fernsehen zu schauen.
Fritz und ich sind tapfer zur Animationsbühne gegangen und haben gemeinsam auf die Attraktion des Abends, der angekündigten „Varieté“-Show gewartet. Die kam dann zwar spät, aber gewaltig. Es hatte zwar nichts mit „Varieté“ zu tun, war aber eine Tanzshow von selten erlebter Präzision. Drei Typen und zwei Mädels mit aufregend schönen Körpern tanzten zu Songs von z.B. Michael Jackson, Queen und den Bee Gees. Und als wir dachten, dass es noch besser nicht werden kann, tanzten sie dann noch diese wahnsinnig komplizierten irischen Tänze, für die man in Frankfurt 40 Euro Eintritt bezahlt. Hey, das war supergut!!!!
Glücklich zu Bette.
Der siebte Tag

Das Aufstehen ging irgendwie heute nicht so leichtfüßig von der Hand wie gewohnt. Schon früh merkte ich, dass ich mir am Vortag mit der morgendlichen Wanderung in die Altstadt von Budva ein bisschen viel vorgenommen hatte. Meine Knochen jaulten bei jedem Schritt. Und heute sollten wir noch einmal viele Schritte laufen müssen.
Am letzten Tag gab es als Abschiedstour (im Preis enthalten) eine Fahrt nach Kotor.

Wie schon so oft, mussten wir wieder mit der Fähre auf die andere Seite der Bucht übersetzen. Dort fuhren wir aber erstmals nach rechts ab und nicht nach links Richtung Dubrovnik. Auf der Fahrt Richtung Kotor besuchten wir in einer vorgelagerten Bucht noch eine superluxuriöse Hafenstadt namens Porta Montenegro mit herrlichen Jachten, megateuren Hotels und einer Auswahl der feinsten Modemarken dieser Erde zu Preisen, die sicherlich genauso abgehoben waren wie deren Käufer. Ich kenne jemanden, der sich hier pudelwohl fühlen würde.
Das obligatorische Lunchpaket hatte ich bewusst wieder nicht abgeholt, da mir der Inhalt ja mittlerweile bekannt war. Im Bus belegten Lisa, Ihre Ma, Fritz und ich eine komplette Reihe. Und solange Katarina nicht plapperte, redete mir Fritz irgendwas in meine müden Ohren.
Die nächste Station war ein winziger Ferienort namens Perast, in dem es eine kleine künstliche Insel mit einer Kirche drauf zu sehen gab. Auch wenn es so aussah, war die Insel nicht mitten in einem See, sondern mitten in der Adria. Das Meer hatte sich tief in die Bucht geschlängelt. Zweihundert Jahre lang haben die Einwohner Schutt und Dreck an diesen Platz mitten auf dem Meer gefahren, um ein Fundament für die Kirche zu haben. Grund für die merkwürdige Bauwut war wohl eine suspekte Heiligensichtung an eben diesem Ort. Man kennt das ja. Gründe für den Bau einer Kirche findet man immer. Ein Motorboot, das unsere Gruppe, die heute mal wieder aus 52 Urlaubern bestand, brachte uns auf das künstliche Eiland. Aus Gründen, die ich nicht nachvollziehen kann, habe ich keine Eintrittskarte für den Besuch der Kirche erhalten. Da mich der Inhalt ohnehin wenig bis gar nicht interessiert hätte, blieb ich eben draußen und schaute die umliegenden Berge an. Als dann irgendwann auch noch ein Flussschiffdampfer an der Insel anlegte und weitere 200 Leute ausspuckte, konnten wir zum Glück wieder zurückfahren.
Blieb noch unser letztes Ziel für diesen Tag: die berühmte Stadt KOTOR, sehr geschützt im hintersten Winkel der Bucht von Kotor gelegen. Also angeblich ist die Altstadt sehr berühmt; ich kannte sie mal wieder nicht. Und das, obwohl die UNESCO 1979 die Stadt zum Weltkulturerbe erklärt hatte.
Als sich unser Bus der Stadt näherte, trauten wir unseren Augen nicht: Da war doch tatsächlich ein riesengroßes Kreuzfahrtschiff, die Queen Victoria, bis in den Hafen des winzigen Urlaubsorts gefahren! Und mit ihr 1990 Passagiere. Die 981 Mitarbeiter sind wohl an Bord geblieben. Das sah alles dermaßen gigantisch und gleichzeitig fehlplatziert aus, dass einem glatt die Luft wegblieb. Das Schiff war knapp dreihundert Meter lang, 32 Meter breit und so hoch wie ein fünfstöckiges Hochhaus. Mitten in einem kleinen, ja direkt winzigen, betulichen Hafen. Das war genauso bescheuert, als würde ein Jumbojet in meinem Garten parken.
Die Altstadt von Kotor ist wirklich ganz besonders schön. In den vielen Jahrhunderten ihres Bestehens hatten schon so manche Völker den Daumen drauf: Illyrer, Römer, Byzantiner, Venezianer, Österreicher, Russen, Serben und Türken bis zu den Franzosen unter Napoleon. Natürlich hat das große Beben 1979 hier auch Einiges zertrümmert, aber alle Gebäude wurden mit Originalbauteilen wieder zusammengebaut – manche stehen zwar ein bisschen schief wie der 1602 erbaute Renaissance-Uhrturm. In der Altstadt findet man unzählige kleine und kleinste Läden für Andenken, Boutiquen ohne Ende und einige Dutzend Restaurants und Kneipen. Trotz der hauptsächlich englischen Kreuzfahrt-Touristen war die Altstadt bei unserem Besuch nicht so überlaufen wie in Dubrovnik. Ich muss gestehen, dass ich die offizielle Führung mit Plapperina nicht mitgemacht habe, sondern mich bei einem Italiener mit einer Portion Spaghetti Bolognese den Bauch vollgehauen habe. Musste mal sein.
Um etwa 17:30 Uhr waren wir wieder im Hotel, nicht ohne eine nicht enden wollende Dankesrede von Katarina über uns ergehen lassen zu müssen. Wir wären ihr bisher bestes Publikum gewesen, sie wäre unendlich traurig, uns nun nach sieben Tagen verlassen zu müssen – blah blah blah. Es waren zwar nur sechs Tage, und da ich an zwei Tagen keinen Ausflug gebucht hatte, nur vier Tage für mich. Egal, sie hat sich Mühe gegeben, und was man nicht verstanden hatte, konnte man unterwegs in Wikipedia nachlesen. Endlose Umarmungen samt diskreter Geldübergabe, vereinzelte Tränen der Rührung – unserer Truppe schien es wirklich gut gefallen zu haben.
Der letzte Abend im Hotel brachte Lisa, Sigrid, Fritz und mich noch einmal zusammen. Ausnahmsweise stimmten die Damen dem Abendprogramm im Animationsbereich zu, wo heute die „80er-Jahre“ das Thema waren. Wieder war es eine reine Tanzshow zu bekannten Hits, diesmal etwas weniger gut als am Vorabend. An unserem Tisch saß noch eine junge Russin, bildhübsch, angeblich schon 30, obwohl sie bei mir auch für 21 durchgegangen wäre. Sie sprach ein akzentfreies Englisch und erzählte uns ein bisschen aus ihrem Leben und ihrer Arbeit bei LÓreal. Ein kleines Kind samt Oma hatte sie auch noch dabei. Wenn alle jungen Russen so weltoffen sind wie dieses Mädel, dann habe ich keine Angst vor der Zukunft.
Lisa langweilte die Show offenbar sehr, denn sie zog zusammen mit ihrer Mutter noch vor Ende der Show ab. Ich blieb mit Fritz noch eine Weile sitzen und ließ mir noch ein paar lustige Geschichten aus dem realen Sozialismus erzählen.

Der achte Tag

Um 13:30 Uhr brachte ein Bus alle Urlauber der Firma „TrendTours“, die auch in Frankfurt zugestiegen waren, wieder zurück nach Dubrovnik. Dort mussten wir wegen der inzwischen offenbar überall üblichen Verspätungen lange auf den Flieger warten. Als wir um 22.00 Uhr in Frankfurt landeten, war auch noch unser Ankunftsgate besetzt, was ich noch nie erlebt habe. 30 Minuten später war ein Ersatzgate gefunden. Leider hatte man wohl den Gepäckjungs nicht gesagt, dass unsere Maschine jetzt wo ganz anders steht, denn sonst hätte es nicht eine weitere halbe Stunde gedauert, bis das Gepäck endlich auf dem Laufband ankam.

Das Fazit:
Mein erster Ausflug nach Osteuropa ist äußerst angenehm verlaufen. Tolles Hotel, tolles Wetter, hochinteressante Ausflüge, nette Leute, tolles Essen und sogar WLAN! Was will man mehr. Das alles für einen sehr akzeptablen Preis. Bestimmt gibt es noch ein paar weitere Perlen, die man sich anschauen sollte. Mal sehen. Jetzt geht es erst mal nach VIETNAM!

China kompakt

China kompakt

Chinareise vom 2.3. bis 14.3.2017

(Aus gegebenem Anlass weise ich darauf hin, dass dieser Blog ausschließlich meine subjektiven Eindrücke wiedergibt und keinesfalls einen offiziellen Reiseführer ersetzt. Besserwisser und Oberlehrer werden freundlichst gebeten, diesen Blog NICHT zu lesen.)

China!
Land des Lächelns!
Elektronik-Mekka!

Und ich war noch nie da.

Das konnte ja so nicht weitergehen. Daher vermied ich in diesem Jahr meinen üblichen Fehler, „Last Minute“ der Sonne hinterher zu reisen, um dann enttäuschende Touri-Zentren abzuklappern. Diesmal sollte es China sein.

Die chinesische Firma „SINORAMA“, die seit zwei Jahren eine Dependance in Düsseldorf unterhält, machte mir ein gutes Angebot. 12 Tage Rundreise durch ganz China mit Flugzeug, Schiff, Bus und Bahn inkl. deutschsprachiger Reiseleitung und reichlich Essen und Trinken. Als Alleinreisender musste ich – mit einigen zusätzlichen Ausflügen und Alleinreisezuschlag –  genau 1818.- Euro auf den Tisch legen, was aber als durchaus preiswert gelten muss. Im Preis enthalten war auch ein zwingend vorgeschriebenes Visum, das ich schon Anfang des Jahres beauftragen musste. In dem Zusammenhang war auch ein neuer Pass fällig, was die Kosten dann doch noch mal etwas nach oben trieb.

Abflug in Frankfurt war um 14.15 Uhr – fast pünktlich. Die B777-300 der China Air hatte zwar schon einige Jahre auf dem Buckel, war aber so lautlos wie selten ein Flugzeug. Beim Einsteigen war der Flieger auf gefühlte 5 Grad runtergekühlt, aber das diente vermutlich nur dem Test der Klimaanlage. Nachdem alle Passagiere an Bord waren (ausgebucht!), stieg die Temperatur schnell auf ungemütliche 25 Grad. Die blutjungen, hübschen Stewardessen der staatlichen Fluglinie waren sehr freundlich, sprachen rudimentäres Englisch und lächelten ohne Unterlass. Damit hatte ich ja gerechnet. An Board gab es während des knapp 9-stündigen Hinflugs nach Peking (heißt in China „Beijing“) gleich zweimal warmes Essen, das im Vergleich zu anderen Fluggesellschaften als durchaus bekömmlich beschrieben werden kann. Jeder Passagier hatte einen kleinen LED-Bildschirm im Rücksitz des Vordermannes vor sich, mit dem man eine Menge lustiger Sachen anstellen konnte. So ließ sich z.B. die Flugroute aus verschiedenen Perspektiven darstellen, leider mit schlecht aufgelösten Grafiken als Background. Die 25 Titel umfassende Spielesammlung verkürzte mir mit dem einen oder anderen „Sudoku“, „Pac Man“ oder „Luxor“-Spielchen die Flugzeit. An den Titeln sieht man, dass die Technik schon einige Jahre auf dem Buckel hatte. Natürlich gab es auch Filme ohne Ende, wie üblich auf den Flieger zurechtgestutzt und mit störenden chinesischen Untertiteln versehen. Die Kopfhörer waren zwar wie neu, aber die Kopfhörerbuchsen im Sitz leider schon so ausgeleiert, dass höchstens mal der linke oder der rechte Kanal zu hören war. Beide Kanäle zusammen klappten nie – eher hörte man überhaupt nichts. Das bedeutete, dass ich mir also keinerlei Filme anschauen konnte. Die Benutzung des iPhones war übrigens verboten – „Flugmodus“ hin oder her. Nun gut, die Chinesen kennen das Gerät, sie bauen es ja schließlich selbst zusammen. Hab´ ich´s also nicht benutzt, sondern brav ausgeschaltet.

Ich saß in Reihe 46 auf Platz „J“ – also einem Gangplatz innerhalb der neun Sitzgelegenheiten pro Reihe. In der Mitte hatte sich ein chinesisches Pärchen mit Kleinkind breitgemacht. Erstaunlicherweise hielt das Kind die ganze Reise über den Mund, was auf eine gute Erziehung schließen lässt. Da habe ich schon ganz andere Erfahrungen gemacht.
Die Gäste waren etwa gleichmäßig Asiaten oder Europäer. Genauere Angaben kann man da nicht machen, ohne in die Pässe zu schauen.
Nach einer Traumlandung um 6:02 Uhr Ortszeit landeten wir dann in Beijing. (Ich bleibe jetzt bei der chinesischen Schreibweise des Städtenamens). Da wir in Richtung Osten geflogen waren, betrug die Zeitverschiebung genau sieben Stunden. Zuhause war es also erst 23.00 Uhr.

Und dann begann der Alptraum.

Der Flughafen ist nagelneu und riesengroß. Und im Gegensatz zum Berliner Flughafen wird er auch benutzt. Überall sieht man große Schilder, damit man sich nicht verlaufen kann. Vorausgesetzt, man kann chinesisch. Denn die – ebenfalls vorhandenen – englischen Beschriftungen waren ziemlich versteckt. Nun gut, ich bin einfach in der Masse mitgelaufen. Leider waren ein Teil der Mitflieger nur Transitpassagiere. Irgendwann wurde mir klar, dass es hier keine Gepäckabfertigung oder eine Einreisekontrolle geben würde, wenn ich direkt nach Bangkok weiterfliegen wollte. Also wieder zurück. Immer den Schildern „Exit and Luggage“ nach. Dadurch kam ich dann immerhin an die Einreisekontrolle. Unmengen Passagiere, drei offene Abfertigungsschalter. Das dauerte. Außerdem hatte ich kein Einreiseformular ausgefüllt, weil ich die Stewardess im Flieger missverstanden hatte. Zum Glück sprintete eine unglaublich liebe deutsche Touristin für mich aus der Schlange zum Schalter mit den Formularen und übergab mir den Wisch. So etwas auszufüllen, während man in einer sich bewegenden Schlange steht, eine Winterjacke im Arm hat und außerdem Laptop und Videokamera mit sich rumschleppt, gehört zu einer meiner Meisterleitungen.

Nach Abstempelung meines Einreiseformulars und Prüfung des in den Pass geklebten Visums war ich dann offiziell in China. Das Gepäck müsste ja dann auch irgendwann mal ausgegeben werden. Also lief ich den Weg, den alle gingen. Leider war niemand mehr aus dem Flieger unter diesen Leuten. Es waren eigentlich nur noch Chinesen um mich rum. Und alle, wirklich alle, glotzten auf ihr Smartphone und jagten „Pokemons“. Dann war der Weg plötzlich zu Ende. Dank meiner hohen Intelligenz konnte ich erkennen, dass nun ein Umsteigen in einen vollautomatischen Zug angesagt war. Der kam auch 60 Sekunden später, öffnete die Türen und ließ uns rein. Es fiel mir dann auf, dass es sich bei den Chinesen ausnahmslos um Mitarbeiter des Flughafens handelte, zu erkennen an der Hundemarke, die um die Hälse baumelten.

OK, irgendwas war wohl schiefgelaufen. Ich stand in einem selbstfahrenden Zug nach nirgendwo, umgeben von jungen Chinesen und Chinesinnen, von denen garantiert kein Einziger englisch sprechen konnte. Kein Tourist aus dem Flieger war auch nur in der Ferne zu entdecken, und der Zug fuhr jetzt schon zehn Minuten. Wie schön, dass ich dann hinter mir an der Wand einen Fahrplan entdeckte, der mittels Leuchtpunkten anzeigte, wo sich der Zug gerade befand und wo er überhaupt hinwollte. Und da standen dann endlich wieder die Worte „Exit“ und „Luggage“. Offenbar war ich immer noch (oder schon wieder) auf dem rechten Weg. Als ich dann den Zug endlich verlassen konnte, häuften sich die Hinweise auf die baldige Gepäckentgegennahme. Nach einigen hundert Metern Fußmarsch war ich dann endlich am Gepäckband Nummer 40, auf dem sich mein Koffer wohl schon eine Weile im Kreise gedreht hatte. Schlauerweise hatte ich mir einen der kostenlosen Kofferkulis geschnappt, so dass ich ab jetzt zumindest etwas bequemer durch das Labyrinth laufen durfte. Denn ein Ausgang war immer noch nicht in Sicht. Zunächst musste ich meinen Koffer durch einen Durchleuchtungsapparat des Zolls wuchten. Es war mir nicht ganz klar, warum das sein musste. Ich hatte ja wohl kaum vor, irgendwelche Luxusgüter in China einzuführen. Und die ganze Elektronik, die ich dabei hatte, kam ja ohnehin von hier. Egal, ich wuchtete den Koffer auf das Förderband und nahm ihn anschließend wieder auf, ohne dass irgendwer sich in irgendeiner Form davon beeindruckt sah.

Ich sah jedenfalls jetzt nur noch „EXIT“ – und der war dann auch nur noch ein paar hundert Meter entfernt. Ich hatte es geschafft! Panik-Modus aus.

Und die Reiseleiterin von „SINORAMA“ stand auch direkt am Ausgang und sammelte ihre Schäfchen ein. Es war halb acht. Der Bus, der uns ins Hotel fahren sollte, war für acht Uhr bestellt. Also hatten wir Zeit, noch ein paar wichtige Dinge zu erledigen. Dazu gehörte nach den Worten der Reiseleiterin der Besuch auf den großzügigen Flughafentoiletten. Den Toilettengang bezeichnete sie lustiger Weise als „Harmonie“. Die Toiletten waren allerdings nicht in so einem tollen Zustand wie der neue Flughafen. Gab es doch tatsächlich noch Stehklos! (Eigentlich sind es „Hockklos“, da die Chinesen sich zum Entleeren gerne hinhocken). Zum Glück gab es auch ein paar „normale“ WCs, sonst hätte ich ein Problem gehabt.

Dann hatte ich noch genug Zeit, etwas Geld zu wechseln und mir eine chinesische SIM-Karte fürs iPhone zuzulegen. Die kostete gerade mal 100 Yuan, was ziemlich genau 13,85 Euro entspricht. Wie viel Gigabyte Internettransfer darin enthalten waren, stand leider nirgendwo. Das blutjunge Mädel, das mir die Karte eingebaut hatte, machte das innerhalb weniger Sekunden so professionell, dass man nur staunen konnte. Gut, ich musste meinen Pass vorzeigen, damit man diesen Blog korrekt zuordnen können wird. Sollte ich also zu negativ über China schreiben, könnte ich ein Problem bekommen. Mal sehen, ob mich Gabriel raushaut.

Unsere Gruppe bestand aus 21 Leuten. 7 verheirateten Paaren, zwei Jungs, bei denen ich nicht weiß, ob sie ein Paar sind, zwei befreundeten Damen um die 50, einem Vater mit seiner Teenager-Tochter und mir als dem einzigen Alleinreisenden. Die Hälfte aller Mitreisenden kam aus dem Osten Deutschlands.

Der SINORAMA-Bus kam auf die Sekunde genau um 8.00 Uhr und stürzte sich – nach dem Einladen der Koffer –  in den Stop-and-go-Verkehr der Metropole. Mit 21 Millionen Einwohnern ist Beijing übrigens noch nicht mal die größte Stadt Chinas. Unsere Reiseleiterin mit dem einfachen Namen „XU“, der sich „SCHÜ“ ausspricht, plapperte das erste Mal munter drauf los. Und was sie da plapperte, war leider gar nicht schön. Lassen wir mal ihre sehr bescheidenen Deutschkenntnisse für den Moment weg (ich werde später darauf zurückkommen); sie teilte uns nämlich mit, dass die Betten in unserem Hotel leider noch nicht bezugsfertig seien und wir daher das Programm ändern würden. Statt also nach der langen Reise gemütlich in die Heia zu fallen, sollten wir nun die nächsten drei Stunden mit dem Betrachten eines großen Gartens irgendeines Kaisers verbringen. Drei Stunden LAUFEN! Und ich hatte ja noch nicht einmal meine extra für diese Reise gekauften Laufschuhe an! Außerdem war es saukalt! 5 Grad über Null, eisiger Wind. Gut, dass ich meine Jacke mit den Bärentatzen dabei hatte. – egal, wie out die Marke mittlerweile ist. Tja, und dann begann das Problem mit unserer Reiseleiterin. Ihr rudimentäres Deutsch reichte beim besten Willen nicht aus, irgendetwas von dem vernünftig zu erklären, was wir da gerade besichtigten. XU war knapp 50, sah sehr viel jünger aus und erwartete in diesem Jahr bereits ihre Pensionierung.

Diese ganzen Steinplätze mit ihren Wänden und Mauern waren ja nett anzusehen, aber wofür sie gut waren, wer sie warum gebaut hat und welche Funktion sie heute noch haben, blieb mir leider verborgen. Genau wie ein fehlender Stein in einem der Höfe. Knacks, war mein linker Fuß umgeknickt. Wenn ich was mache, dann mache es bekanntlich gründlich. Durch den Schreck und die nötige Gegenreaktion habe ich mir gleich noch mein Knie verzerrt. Die letzte Stunde war also ziemlich schmerzhaft für mich.

Endlich fuhr der Bus uns ins Hotel. Wieder durch eine völlig verstopfte Innenstadt. Im Hotel angekommen, bat XU uns, „kurz“ zu warten. Eine geschlagene Stunde später – um 12 Uhr Ortszeit – hatten wir endlich die Schlüssel zu unseren Zimmern in der Hand. Alle, bis auf einen: Mich. Irgendwie war mal wieder was schief gelaufen und es war für mich kein Zimmer reserviert worden. Das fand ich nun langsam so gar nicht mehr prickelnd.

Es dauerte weitere 30 Minuten, bis ich dann endlich doch ein chinesisches Zuhause hatte. Zimmer 749.
Das Warten hatte sich gelohnt. Als „Wiedergutmachung“ für ihren Fehler hatte man mir eine Suite gegeben, die mit Abstand das beste Hotelzimmer war, das ich je in meinem Leben hatte. Edle Möbel, Riesen-Doppelbett, Dusche UND Badewanne (die man vom Schlafzimmer aus sehen konnte, wenn man das wollte), beheiztes Klo, Klimaanlage, Waage, 55-Zoll-Fernseher, kleine Küche, überall Marmor. Ich sortierte meine Klamotten in die großzügigen Schränke ein, verband die Ladegeräte mit ihren Stromsaugern und legte mich mal „kurz“ hin. Richtig schlafen konnte ich natürlich nicht, weil die innere Uhr ja völlig durcheinander war. Zu allem Überfluss kamen dann auch schon die ersten Mails aus Deutschland, wo ja so langsam der neue Tag begann. Also iPhone gemutet und weiter gepennt.

Unser Hotel in Beijing – 5 Sterne

Für 17.00 Uhr war dann ein gemeinsames Essen bei einem Chinesen um die Ecke geplant. 15 der 21 Reisenden hatten sich eingetragen, darunter auch ich. Die übliche „Peking“-Ente wurde hier an einem großen runden Tisch mit einer mittleren Drehplatte serviert. Anders als bei uns üblich, gab es die Speisen jedoch nicht alle zusammen, sondern eine nach der anderen. Die Speisen hatte „XU“ ausgesucht. Ich hatte da kein Mitspracherecht. Deswegen musste ich damit leben, dass ausnahmslos alle Gerichte bis oben hin mit Knoblauch zugemüllt waren. Außerdem war Chili im Großeinsatz. Die Ente selbst war in extrem dünne Scheibchen geschnitten worden und sollte zusammen mit einer Teigtasche und etwas Grünzeug eingenommen werden.

Von einem Glas Wein zum Essen riet uns XU ab. Lieber sollten wir das chinesische Bier probieren, was wir auch taten. Da ich kein Biertrinker bin, kann ich leider nicht beurteilen, ob es was getaugt hat. Nachtisch gab´s auch nicht.

Ente gut, alles gut? Viel Fett für wenig Geld.

Wir saßen da insgesamt zwei lange Stunden, bis mich (und auch einige andere Mitreisende) die Müdigkeit übermannte. Beim anschließenden Bummel durch das riesengroße Hotel fand ich dann doch noch eine Bar, in der eine Band Livemusik darbot und Gin Tonic in der Getränkekarte stand. Bekommen habe ich dann zwar Gin mit Sodawasser, aber man soll ja dankbar für alles sein.

Um 22.00 Uhr Ortszeit ins Bett.

Der dritte Tag
Ja, so schnell ging die Zeit vorbei. Einen Tag lang angereist und einen zweiten Tag irgendwie verpeilt durch kaiserliche Gärten gewankt. Nach kurzem Erschöpfungsschlaf Ente gegessen und Bar besucht. Ente gut, alles gut.

Um sieben klingelte das Telefon neben meinem Bett. Ich habe zwar nicht verstanden, was mir der Weckcomputer auf chinesisch ins Ohr flüsterte, aber es ging natürlich darum, aufzustehen. Nach dem Duschen und Haare waschen wusste ich dann auch, was ich dieses Mal zu Hause vergessen hatte: Meinen Fön mit eingebauter Bürste. Der Hotel-Fön pustete meine Haare zwar auch trocken, hinterließ aber eine reichlich wirre Frisur, die so manchen Mitreisenden die Stirn runzeln ließ.

Das Frühstück gab es im Keller des Hotels. Es war extrem reichlich. Hier gab es fast alles außer Wurst, Schinken oder Käse. Käse mag der Chinese nicht, da dreht sich ihm der Magen um. Natürlich auch keinen Joghurt oder andere Milchprodukte. Butter gab es eigentlich nur speziell für die Touristen, die hier im Hotel ja auch den Löwenanteil darstellten. Der Kaffee war gut versteckt, schmeckte aber dafür sehr gut. Die Chinesen selbst frühstücken immer gleich ein ganzes Mittagessen.

Um halb neun dann Abfahrt zu unserem ersten Ziel des Tages. Dadurch, dass wir die kaiserlichen Gärten ja schon gestern abgeklappert hatten, hat uns XU eine weitere Programmänderung zugemutet: Den Besuch einer Zuchtperlenverkaufsorganisation. Also mal wieder eine Kaffeefahrt. Um dorthin zu kommen, musste der Bus fast eine Stunde durch die Großstadt fahren. Der Verkehr war heute, also am Samstag, vergleichsweise erträglich. Samstags dürfen in Peking auch alle privaten Autobesitzer in der Stadt rumfahren. Das dürfen die sonst nicht. Aufgrund der Endziffer ihrer Nummernschilder wird immer ein Fünftel der Autos aus der Innenstadt verbannt. Also montags die Endziffern 1 und 6, dienstags die Endziffern 2 und 7 und so fort. Wer jeden Tag Auto fahren will, braucht also mindestens zwei Autos. Dabei sind die Autos gar nicht das Problem. Davon gibt es jede Menge. Alle so gut wie neu, viele deutsche Luxusmarken, kaum Elektroautos. Das Problem ist die Zulassung, also das Nummernschild. Die Regierung lässt derzeit nicht mehr als 20.000 neue Zulassungen pro Monat zu. Das klingt wahnsinnig viel, ist aber bei 21 Millionen Einwohnern echt ein Engpass.

Blick aus dem Hotelfenster

Nun zu den Zuchtperlen. Ein Video mit einem miserablen sächsischen Sprecher erklärte uns, wie die Perlen gezüchtet werden. Man schneidet den jungen Austern schmale Streifen aus dem Leib, zerteilt diese in kleine Stücke und pflanzt sie wieder ein. Die Austern wollen die Implantate loswerden, schaffen das aber nicht. Stattdessen bilden sie im Laufe von 2 – 3 Jahren die eigentliche Perle rund um den Eindringling. Bei dieser Methode kann jede Auster gleichzeitig rund zwei Dutzend Perlen „generieren“. Bei Naturperlen entsteht ja immer nur eine einzige Perle, weswegen diese Exemplare auch sehr teuer sind.

Die nahezu perfekt englischsprechende Mitarbeiterin des Ladens zeigte uns dann an einigen Beispielen, woran man falsche von echten Perlen unterscheidet und verriet uns den Trick, dass viele Perlenfälscher die Ketten mit echten und falschen Perlen mischen, damit beim Echtheitstest nur die echten Perlen getestet werden, während der Plastikschund übergangen wird. Nun gut, das war für mich neu und durchaus interessant. Natürlich hatte ich aber nicht vor, mir irgendwelche Perlen zuzulegen. Weder als Krawattennadel (so was gab es früher wirklich mal!), noch als Manschettenknopf oder gar in Form von zerriebenen Perlen, die alles Mögliche aufrichten sollen. Ich saß brav die Wartestunde ab, unterhielt mich mit ein paar Mitreisenden über Kois  und Goldfische (davon gab es eine Menge in dem Laden) und stellte schlussendlich erfreut fest, dass niemand aus unserer Gruppe auf den Tinneff reingefallen war. Denn das ist ja wohl sicher: Auch wenn die Perlen bestimmt echt waren, waren sie hier doch echt zu teuer.

Einer unserer Mitreisenden hatte sich inzwischen draußen bei einem der üblichen fliegenden Händler eine Mao-Mütze gekauft, die er seitdem rund um die Uhr trägt. Matthias kommt aus Weißensee bei Cottbus und hört MDR1 Radio Sachsen. Den Sender, dem ich täglich ein paar Dutzend Male als Stationvoice meine Stimme leihe. Seine sehr nette Frau Ilka erinnerte mich sehr an eine Freundin aus Friedrichsdorf, nämlich Sonja. Erstaunlich, dass es zwei nahezu identische Frauen auf der Welt gibt.

Zurück im Bus erzählte uns XU ein paar wissenswerte Facts über China. So wurde erst 1994 die Krankenversicherung eingeführt. Und das Steuersystem hat man mehr oder weniger komplett aus Deutschland übernommen. Damals schickte man hunderte von Beamten zu uns, um das System zu verstehen und später anwenden zu können. Dadurch wurden viele beliebte Steuerschlupflöcher geschlossen. Bei einigen endete die Zeit der Steuerfreiheit hinter Gittern.

In Beijing ist es nicht üblich, Wohnungen zu mieten. Man kauft sie. Eine 90-Qudratmeterwohnung kostet derzeit etwa 200.000 Yuan, also rund 27.000 Euro. Dafür bekommt man aber kein fertig eingerichtetes Apartment, sondern tatsächlich nur die nackten Wände. Tapeten, Türen, Teppiche etc. muss man selbst einbauen. Die Baumarktindustrie brummt also gewaltig. Was nun die Preisumrechnung umgeht, bringt es nichts, einfach den Wechselkurs zu bemühen. Die Kaufkraft ist ja hier eine ganz andere. Bei einem Durchschnittsmonatseinkommen von umgerechnet 450 bis 500 Euro sind auch 27.000 Euro viel Geld für eine nackte Wohnung. Natürlich bekommt die nur ein Chinese, als Europäer können wir uns (noch) nicht billig hier einkaufen.

Auch ist der Benzinpreis von ca. 6 Yuan pro Liter für uns ein Klacks, für die Chinesen aber echt teuer.

Was das Thema Telekommunikation angeht, sind wir hier im Paradies. Wer morgens einen Breitbandanschluss fürs Internet bestellt, bekommt ihn spätestens drei Stunden später geschaltet. Fast die ganze Stadt ist über WLAN kostenlos vernetzt. Nur auf facebook, Google und Twitter muss man hier verzichten. Diese Adressen sind rigoros gesperrt. WhatsApp, dass ja auch zu facebook gehört, funktioniert hingegen. Die chinesische Alternative zu facebook funktioniert natürlich bestens und wird von allen Einwohnern rund um die Uhr für so gut wie alles genutzt. Ist aber leider nur auf chinesisch erhältlich, was für mich das Verständnis etwas erschwert.

XU ist ja der Meinung, dass chinesisch die einfachste Sprache der Welt sei. Es gäbe so gut wie keine Grammatik, und selbst kleine Kinder würden es lieben, die Schriftzeichen zu malen. Anhand einiger Symbole hat sie versucht, ihren Standpunkt zu untermauern, aber das ist ihr nicht geglückt. Denn es macht schon einen Unterschied, ob man 26 Buchstaben schreiben und lesen können muss oder eben einige hundert chinesische Bildzeichen, die das sogenannte „symplified Chinese“ beinhaltet, das Mao in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts eingeführt hatte . Mit 250 Zeichen hat man schon Babyniveau erreicht. Für eine Zeitung sollte man mindestens 2500 Zeichen kennen. Die Profiversion der Sprache hat noch zigtausend Zeichen mehr, aber das kann heute kaum einer mehr. Das Problem dieser Bildersprache ist die Komplexität. Es gibt weder Artikel noch Fälle noch irgendeine Grammatik. Dafür aber vier unterschiedliche Betonungen. Und deshalb muss man sich die deutschen Vorträge von XU auch immer wieder zu kompletten Sätzen umdenken. Nach ein paar Tagen hatte ich mich übrigens daran gewöhnt, Xus einzelne Vokabeln in sinnvolle Sätze zu übersetzen.

Hier wird die Weltpolitik gemacht.

Mittlerweile waren wir am Rand des „Platz des himmlischen Friedens“ angekommen. Wie wir alle wissen, war da nicht immer alles so friedlich wie die Regierung heute immer noch behauptet. Details zur Kulturrevolution finden sich in jedem einschlägigen Geschichtswerk. Am heutigen Samstag war auch ein besonderer Tag. Die Parteispitze hatte ihre Untertanen eingeladen, um ihnen das politische Programm der Regierung zu erklären. Und da damals wie heute jeder brave Bürger gehorcht, waren einige hunderttausend Menschen auf dem Weg zu der Kundgebung. Das bedeutete weitere Zeitverzögerungen durch Straßensperren und viele Kontrollen. Als „Langnasen“, wie wir Europäer hier weiterhin frech bezeichnet werden, kamen wir allerdings recht schnell durch die ganzen Sicherheitsabsperrungen. XU musste nur ihren Ausweis zeigen, und dann wurden wir meist auf einem parallelen Weg an den Scannern vorbeigeführt. Diese Unmenge von Soldaten und Polizisten führte zu einem etwas flauen Gefühl im Magen, zumal wir alle auch noch respektlos die Kameras auf die Uniformierten hielten. Aber das sind die hier anscheinend gewohnt. Fast jeder hatte ein Lächeln übrig, wenn ein Smartphone sie anpeilte.

Die Veranstaltung selbst haben wir uns natürlich nicht angesehen. Stattdessen gab es bereits um 11.15 Uhr Mittagessen. Und das war in etwa genauso wie am Abend zuvor, nur ohne Ente. Auch hier wieder entweder nur Bier oder Cola/Sprite als Getränk.

Nach dem Essen tauchten wir wieder in die Menschenmassen und näherten uns der „verbotenen Stadt“. Die heißt so, weil früher da nur der Kaiser samt seinem Gefolge wohnen und herrschen durfte. Das Gefolge bestand im Wesentlichen aus Beamten, Eunuchen und Konkubinen. Später mehr zum sündigen Leben der alten Kaiser.

Der Kaiserpalast teilt sich in sehr viele Gebäude auf, die sich dadurch auszeichnen, dass sie sich alle sehr ähnlich sehen. Allen Gebäuden war gemeinsam, dass man nicht hineingehen durfte. Und das, was man durch die Absperrung an den Eingangstüren sah, hätte auch nicht zum Hineingehen ermutigt. Leider war das alles recht lieblos gestaltet und teilweise ganz schön vergammelt. Aber wie überall in Beijing waren die Böden von ausgesuchter Sauberkeit. Ein Heer von Putzmännern wuselte durch die Plätze und Wege, um jeden noch so kleinen Dreck wegzuräumen. Mit zunehmender Wegstrecke wurde auch das Interesse der Reisenden immer reduzierter. Die jungen Chinesen hatten ohnehin nichts Anderes zu tun als Selfies mit den Altertümern zu schießen. Nirgendwo auf der Welt habe ich so viele Selfie-Sticks gesehen, also diese Stäbe, in die man das Handy einklemmt, um dann Fotos mit sich und dem entsprechenden Hintergrund zu machen.

Irgendwann wurde es dann etwas gemütlicher. Wir kamen zu den Häusern, in denen die Konkubinen wohnten. Also damals wohnten. Jetzt waren die Räume natürlich leergeräumt. Bis zu 6000 Stück dieser Lustbringer der diversen Kaiser sollen hier gelebt haben. Sie wurden jährlich höchstpersönlich von Eunuchen ausgewählt, die im Süden Chinas nach besonders hübschen Exemplaren suchten. Wegen der besseren Luft waren die Mädchen im Süden nämlich hübscher. Das soll heute noch so sein. Für die meist armen Familien war das natürlich eine Auszeichnung, wenn die Tochter eine Freundin des Kaisers wurde. Und mit ein bisschen Glück gab es ja auch enorme Aufstiegsmöglichkeiten. Da die Pille noch nicht erfunden war, blieb die eine oder andere Nacht des Herrschers nicht ohne biologische Folgen. Und schwupps –war wieder ein Herrscher geboren.

Und immer wieder drehen wir am Rad…

Nun darf man nicht davon ausgehen, dass das jeder Konkubine immer mal wieder passierte. Nein, dazu waren die Kaiser wohl zu faul. Immer, wenn so ein Herrscher Fleischeslust verspürte, bat er einen seiner (sehr vielen!) Eunuchen, ihm ein Weib auszusuchen. Aus Gründen der Gerechtigkeit gab es ein Losverfahren.  Der Despot wählte einen von vielen Tellern aus, auf deren Rückseiten die Namen der Damen standen. Man muss nicht viel von Wahrscheinlichkeitsrechnung verstehen, um zu realisieren, dass da nicht unbedingt ein wildes Treiben im Gange war. Die Aufgabe des Eunuchen war es, die ausgewählte Freudendame nur in ein Betttuch eingewickelt, also quasi gebrauchsfertig, dem Kaiser zu übergeben. Interessante Randnotiz: Wenn der Kaiser „fertig“ war, hustete er dreimal kurz. Das war das Zeichen für den Eunuchen, das Mädel abzuholen und zurück in ihr Gemach zu geleiten.

Dieses Sexualleben, basierend auf einem Zufallsprinzip, konnte doch nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Im Laufe der Jahrhunderte wurden dann auch immer weniger Mädels einberufen – am Ende der Kaiserzeit „nur noch“ zweitausend.

Nach zweieinhalb Stunden hatten wir die „verbotene Stadt“ hinter uns. Leider war das ein bisschen enttäuschend. Was hätte Disney aus so einem Stoff machen können!!?

Es war halb vier. Unser Bus fuhr wieder quer durch die halbe Stadt zu unserem letzten Ziel für heute: Abendessen. Jawohl, Abendessen um 16 Uhr. Als wir an dem Restaurant ankamen, war es allerdings noch geschlossen. Wir sollten gefälligst um 17.00 Uhr wiederkommen. Und schon hatten wir wieder eine Stunde zur freien Verfügung, wobei unsere Möglichkeiten sehr begrenzt waren: Der Bus hatte an einer vielbefahrenen Ausfallstraße gehalten. Es gab zwar viele kleine und kleinste Geschäfte auf beiden Seiten, aber die waren geschlossen. Auch wenn in der Regel die Geschäfte am Samstag geöffnet sind, war ja heute aufgrund der großen Kundgebung kein Mensch hinter seiner Theke.

In dem Gebäude hinter mir wohnten mal die Kaiser.

Irgendwo haben wir ein kleines Café gefunden, bei dem man einen „Cappuccino“ trinken konnte. Und dann ging es wieder in ein chinesisches Restaurant. Und wieder exakt der gleiche Ablauf wie zuvor. Nur gab es diesmal fast gar kein Fleisch mehr.

Ach ja, einen Hund haben wir auch gesehen. Lebend. (Noch?)

Und wie am Abend zuvor saß ich dann noch bis zehn alleine an der Bar, um bei einem Gin Tonic (diesmal hat´s geklappt) an diesen Zeilen zu feilen.

Morgen geht´s an die Mauer. Ein Thema, bei dem wir Deutschen ja bekanntlich mitreden können.

Der vierte Tag
(oder einer der anstrengendsten Tage meines Lebens)

Der Wecker klingelte bereits um halb sieben. Um acht Uhr brachte uns der Bus nämlich zur weltberühmten chinesischen Mauer. Für die Touristen hat man in der Nähe einen guten Kilometer der Mauer restauriert, etwa eineinhalb Stunden vom Zentrum der Stadt entfernt.

Bisher habe ich ja noch nicht über das Wetter gesprochen. Ich muss zugeben, dass wir ausgesprochenes Glück hatten. An beiden bisherigen Tagen schien die Sonne, und der berüchtigte Smog war kaum zu spüren. Gestern, am Tag der großen Kundgebung, wurden gar 14 Grad erzielt, was für Anfang März ein sehr hübscher Wert ist. Trotzdem hatte ich ständig ein Kratzen im Hals, eine verstopfte Nase und Stimmaussetzer. Es schien also sinnvoll zu sein, dass so viele Einheimische mit Mundschutz durch die Gegend liefen. Aber solange das nicht schlimmer würde, konnte ich damit leben.
Heute war es nun zwar immer noch genau so sonnig, aber leider bedeutend kälter. Als sich der Bus aus Beijing heraus in die Berge schlängelte, fielen die Temperaturen in Richtung Gefrierpunkt. Das allein wäre nicht das Problem gewesen, aber leider blies uns dazu ein so eiskalter Wind um die Ohren, dass es ohne Kapuze beim besten Willen nicht auszuhalten war. Gut, dass meine 3-Tatzen-Outdoor-All-Inclusive-Jacke eine solche besaß. Im Gegensatz zu unseren beiden Jungs beispielsweise, die nur im Jeansanzug angereist waren, war ich da glatt im Vorteil. Denn an der chinesischen Mauer wurde es richtig, richtig kalt.

Der Bus hielt gute 300 Meter vor dem Eingang zur Mauer. Wir sammelten uns zunächst in einem Andenkenladen vor dem Security Check, den hier jeder über sich ergehen lassen musste. Die abtastenden Beamten waren fast ausnahmslos weiblich, so dass ich schon am frühen Morgen ein wenig Körperkontakt bekam. Zimperlich waren die nicht. Nach meiner Abtastung konnte das Mädel absolut sicher sein, dass ich nirgendwo eine Bombe versteckt haben konnte.

Auf der Mauer, auf der Lauer.

Am Zugang zur Mauer konnte man sich entscheiden, ob man den (kürzeren) linken oder den (längeren) rechten Weg wählen wollte. Ich wählte natürlich den kürzeren Weg, der mir auch weniger steil erschien. Und zusammen mit ein paar Mitreisenden kraxelten wir dann los. Der Boden war glatt, nicht etwa stufig, und es ging steil bergauf. Sehr steil. So steil, dass ich nach etwa 300 Metern die Nase voll hatte. Man musste ja den ganzen Weg auch wieder zurück! Und bergab ist ja noch mal um Einiges schmerzhafter. Na gut, ich will mich nicht loben. Dafür gibt es nämlich keinen Grund. Ich habe kläglich versagt. Ich konnte die Mauer nicht bezwingen. Wie übrigens kaum einer aus einer Gruppe. Nur die beiden Jungs kamen ziemlich weit, bis ihnen die Eiszapfen aus der Nase wuchsen.

Ich hatte mich inzwischen wieder am Startpunkt eingefunden und wurde von einer älteren Dame aus unserer Gruppe angesprochen, die mir schon beim Zuchtperlekettschekauf aufgefallen war. Sie kam aus Nordrhein-Westfahlen, war wohl unendlich reich („Ich habe immer wieder Ärger mit meinen vier Mietern“), ist schon mal vom Pferd gefallen und konnte nur deswegen nicht auf die Mauer klettern, weil sie sich neulich beim Skifahren sämtliche Sehnen zerrissen hatte. Ihr gehört wohl eine Stoffdruckerei für blaue Farben, wenn ich das richtig verstanden habe.

Am „Basislager“ der Chinesischen Mauer gab es natürlich auch viele Andenkengeschäfte und kleine Imbissläden. Ich erwarb einen Cappuccino für umgerechnet 4,10 Euro, der bereits vorgesüßt war und gar nicht so schmeckte, wie man ihn von daheim kennt. Na ja, warum auch?
Die Zeit verrann und der Ausflug ging seinem Ende zu. Blöderweise hatte ich vergessen, welches der vielen Souvenirläden unser Treffpunkt war. Ich lief die ganze Straße runter und wieder hoch, ohne den Laden wiederzufinden. Ein mir entgegenkommendes Paar aus unserer Gruppe hatte dieselben Probleme, so dass wir dann kurzerhand XU anriefen. Die Nummer hatte ich sicherheitshalber dabei. XU war ganz aus dem Häuschen und bat uns, dort zu bleiben, wo wir gerade waren. Sie würde uns abholen. Nach ein paar Minuten sahen wir weitere Mitglieder unserer Gruppe und stellten fest, dass wir die ganze Zeit genau vor dem gesuchten Laden standen, ohne ihn wiedererkannt zu haben. Wir hatten ihn ganz einfach viel weiter unten vermutet. Peinlich, peinlich, ist mir noch nie passiert. Lag bestimmt an der Kälte.

Wieder im Bus konnte ich die Kapuze endlich abnehmen. Von einer Frisur konnte man ab jetzt allerdings bei mir nicht mehr sprechen. Wild und wirr wanden sich die schütteren Strähnen in alle Himmelsrichtungen.

Es war viertel nach zwölf und damit höchste Zeit für das übliche Mittagessen. Eigentlich. Aber unsere vorausschauende Reiseleitung hatte sich gedacht, dass wir doch bestimmt noch gerne eine weitere Verkaufsschau sehen wollten. Diesmal für Jade. Und auch hier bot man uns wieder eine perfekt, diesmal amerikanisches Englisch sprechende Promoterin, die uns die Kunst der Jadeschnitzerei näherbringen sollte. OK, es war schon sehr beeindruckend, was man aus diesem sehr harten Material alles so basteln kann. Vor allem Drachen. Das Ganze war allerdings ziemlich teuer. Ein Hausdrache in Hundegröße kommt schon auf ein paar tausend Euro. Da keiner unserer Reisenden Interesse an diesen Staubfängern hatte, durften wir uns dann im selben Gebäude an die bereits mehrfach beschriebenen runden Tische mit der Drehplatte setzen. Und schon wieder gab es diverse, teils kalte oder lauwarme Speisekreationen mit ständig sinkendem Fleischanteil. Auch hier wieder ein Glas Bier, Cola oder Sprite pro Gast. Kein Wasser. Dafür aber Bier, denn Bier trinkt der Chinese bekanntlich wie Wasser. Bei 2,5% Alkoholgehalt ist das auch nicht sonderlich gefährlich.

Die üblichen 8 Köstlichkeiten.

Um 13:30 Uhr Weiterfahrt. Es ging zurück in die Stadt in ein Viertel namens Hu-Ton. Das ist so eine Art Vergnügungsviertel, das rund um einen kleinen See gruppiert ist. Wenn es nicht so entsetzlich kalt gewesen wäre, wäre dies ein absolutes Highlight dieses Ausflugs geworden. Den Einwohnern schien die Kälte weniger auszumachen. Das Viertel mit seinen alten, eingeschossigen Häusern war überfüllt mit jungen Leuten in Frühlingsklamotten. Ein Restaurant reihte sich neben das nächste, eine Kneipe nach der anderen, überall Live-Musik, überall Straßenhändler, Schmuckgeschäfte und Klamottenläden ohne Ende. Und in dem ganzen Gewusel hunderte von Moped- oder Fahrradfahrern. Man hat sich hier in Beijing nämlich etwas sehr Schlaues ausgedacht. Überall in der Stadt stehen kleine gelbe Fahrräder rum. Damit sie nicht geklaut werden, sind sie mit einem stabilen Zahlenschloss versehen. Wer nun dringend irgendwo hinfahren will, schnappt sich so ein Rad, scannt den darauf abgedruckten Barcode mit seinem Handy ab und startet damit einen Mietvertrag. Das Handy teilt ihm den Code für das Zahlenschloss mit. Der Biker öffnet das Schloss und fährt los. Die ersten 30 Minuten sind sogar kostenlos. Wenn er am Ziel angekommen ist, scannt er den Code ein weiteres Mal und schließt das Fahrrad wieder ab. Sollte er länger als 30 Minuten gefahren sein, wird ihm der Betrag vom Konto abgebucht. Die Miete ist wohl sehr übersichtlich, da die Räder von unglaublich vielen Chinesen genutzt werden.

Eine Stunde später saßen wir wieder klappernd und zitternd im Bus. 17.00 Uhr – Zeit für das Abendessen, was sonst. Auf dem Weg in ein weiteres Touristenrestaurant der langsam nervigen Art hielten wir noch im Zentrum an einem Platz an, der sich „The Place“ nannte. Hier befand sich als Überdachung die größte derzeit bestehende LED-Beleuchtung der Welt. Darunter muss man sich eine Riesen-Cinemascope-Leinwand von etwa 100 Metern Breite mal 25 Metern Höhe vorstellen, auf der optisch aufreizende Motive gezeigt wurden. Fische, Weltraum, diverse Grafiken und so weiter. Eingerahmt von Starbucks, Zara und vielen anderen Luxusmarken war das schon ein sehr imposanter Beweis für die Weltläufigkeit dieser unglaublichen Stadt.

Der größte Fernseher der Welt.

Unglaublich, wenn man sich mal vor Augen hält, was hier in den letzten 30 Jahren stattgefunden hat. Ich kann mich noch an meinen Besuch in Hongkong erinnern, bei dem wir auch einen Tagesausflug in das damals völlig verarmte China unternahmen. Da gab es kaum Autos, eine verängstigte, überwachte Bevölkerung und großes Elend weit und breit. Und heute stellt sich dieses Peking als extrem westlich orientierte Megacity dar, gegen die New York wie ein Vorort aussieht. Auch wenn ich bisher nur einen Bruchteil der Stadt gesehen hatte, war ich ehrlich beeindruckt.

Ich schreibe oft, dass hier sehr viele junge Chinesen zu sehen sind. Das ist eigentlich erstaunlich, weil es 30 Jahre lang die 1-Kind-Regel gab. Chinesen dürfen erst seit drei Jahren wieder mehr als ein Kind straffrei zur Welt bringen, aber kaum jemand macht von diesem Angebot Gebrauch. Wer schon ein Kind hat, will auf keinen Fall ein Zweites. Und sehr viele junge Leute wollen überhaupt kein Kind mehr, nicht einmal heiraten. Das liegt sicher auch am gestiegenen Bildungsniveau. Das Schulsystem bietet viele Anreize. Das Vorschuljahr und 9 Schuljahre sind Pflicht und kostenfrei. Dann kann man sich entscheiden, ob man eine Ausbildung machen will oder die „Oberstufe“ besucht. Auf die Uni kommt man nur nach einer bestandenen zweitägigen Prüfung, die für alle Schulen des Landes an zwei bestimmten Tagen im Jahr durchgeführt werden. Die Kosten für ein Studium können dann allerdings schön ins Geld gehen. Aber auch hier gibt es Kredite und Stipendien, so dass wohl tatsächlich ein sehr gut ausgebildeter Nachwuchs bereitsteht, das Wohl des Volkes und des Staates zu mehren.

Aber unser Marathonbesuchsprogramm war immer noch nicht zu Ende. Es folgte die Besichtigung einer „Essensstraße“ (also quasi die „Fressgass“ Beijings), in der hunderte von hungrigen jungen Chinesen vor den Lokalen im Freien warteten, um einen Sitzplatz in den begehrten Fressplätzen zu ergattern. Angesichts der gerade erfolgten Speisung wurde uns die Chance leider verwehrt, mal etwas Anderes zu essen zu bekommen. Sehr schade.
Dann war der Besuch einer Einkaufsstraße dran. Nach der Ankündigung von XU, dass diese Straße ein Paradies für Frauen und die Hölle für Männer wäre, zog ich es vor, für die nächste Stunde im Bus zu bleiben, um mich etwas aufzuwärmen. Leider ließ der Busfahrer die Seitentüre auf, so dass die ganze Zeit Kaltluft auf mich blies. Ich hätte mir einen Pelzmantel kaufen sollen.

Schließlich fuhr der Bus noch einmal zum „Platz des himmlischen Friedens“. Ich kann gar nicht beschreiben, wie beeindruckend die Illumination der Gebäude und Straßen war. So etwas habe ich bisher nirgendwo gesehen. Und da ja auch gerade der Parteikader tagte, wurden alle städtischen Gebäude gleich mit in Lichtermeere getaucht. So ganz nebenbei erfuhren wir, dass es eine 40 Kilometer lange Straße durch die Stadt gibt, die mit hunderttausenden von Laternen beleuchtet wird. Strom scheint in China sehr günstig zu sein.
Wir fuhren durch das Botschaftsviertel mit seinen Kneipen und Bars und sahen die Innenstadt noch einmal mit seinen ganzen aufregenden Leuchtreklamen, dem pulsierenden Leben der vielen, meist jungen Chinesen und dem Eindruck einer großartigen, positiv gestimmten Weltstadt.

Und mit diesen bewegenden Worten beende ich den Bericht über diesen extrem anstrengenden Tag. Hatte ich doch mein „Bewegunsgziel“ bereits am frühen Nachmittag VERDOPPELT! Das können meine Knochen nur bestätigen.

Nach Notat zu Bett.

Der fünfte Tag
Gegen 23.00 Uhr war ich etwa eingeschlafen. Um 3 Uhr weckte mich das Bellen eines Hundes. 21 Millionen Einwohner, aber alles, was man nachts hört, ist das Bellen eines Hundes. Na ja, es war mehr ein Winseln, ein Jammern, ein Hilfeschrei einer armen gepeinigten Kreatur. Offenbar fror das Hündchen. Die „Hilferufe“ wurden immer leiser und vereinzelter, bis sie gegen 4:20 Uhr endlich aufhörten (und das arme Tier vermutlich tot war).

Ich war kaum wieder eingeschlafen, als der Wecker klingelte. 5.00 Uhr. Wir mussten so früh raus, weil um 9.00 Uhr unser Flieger nach Chongqing gehen sollte. Chongqing (sprich „TschonTschin“) ist die größte aller chinesischen Städte mit sage und schreibe 33 Millionen Einwohnern.

Das Auschecken aus dem Hotel ging sehr flott. Interessanterweise durften wir erst losfahren, nachdem das Hotelpersonal kontrolliert hatte, ob auch niemand was im Zimmer liegen gelassen hat. Jedenfalls war das der offizielle Grund. Tatsächlich wollten sie nur prüfen, ob sich vielleicht jemand an der Einrichtung bereichert hatte. Und tatsächlich wurden einem Paar unserer Gruppe zwei Bademäntel in Rechnung gestellt, die sie schnell und mit hochrotem Kopf bezahlt haben. Peinlich, peinlich! (Auch für das Hotel, das mit seinen 5 Sternen über einem solchen Verhalten stehen sollte…)

Der Flug nach Chongqing war fürchterlich. Alle Reisenden unserer Gruppe wurden auf Mittelplätze verteilt. Die recht betagte 737 war sehr eng bestuhlt mit völlig durchgesessenen Sitzen. Am Fenster neben mir eine Chinesin, die sich während des ganzen Fluges keinen Millimeter bewegt hat; neben mir am Gang ein junger Chinese in feinstem Zwirn, der sich jeden Staubfussel von der Kleidung gerubbelt hat. Falls er auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch war, hätte er vielleicht besser gestern Abend kein Knoblauch essen sollen…
Gut ein Drittel des dreistündigen Fluges ging zu allem Überfluss auch noch durch unruhiges Wetter. Bei jedem Rüttler kam eine ellenlange Ansage in chinesisch und englisch vom Band, dass man sich wieder hinsetzen soll. So oft habe ich meinen Kollegen John Lloyd, der die englischen Ansagen für Star Alliance, also auch für Air China spricht, noch nie gehört.

Der Pandabär befindet sich im Hintergrund links.

Nun gut, alles hat ein Ende, auch dieser Flug. Es war mal wieder Zeit, was zu essen.

Und ein weiteres Mal setzten wir uns in vorgegebener Besetzung rund um zwei Tische mit Drehscheibe. Und schon wieder kamen die gleichen, teilweise ekligen Sachen auf den Tisch. Kein Wunder, dass ich bereits wieder ein volles Kilo abgenommen hatte. Ich hätte gerne statt der obligatorischen Bierverköstigung ein Glas Wein bekommen, was aber auch hier nicht möglich war.

Danach fuhren wir etwa eine Stunde lang durch diese Megacity „Chongqing“. Leute, so etwas habe ich noch nicht gesehen. Bis zu vier Fahrbahnen übereinander, dazu U- und S-Bahnen, gewundene Straßenzüge wie in utopischen Science-Fiktion-Filmen von Luc Godard, abertausende von Hochhäusern mit so vielen Stockwerken, dass man die höchsten tatsächlich als „Wolkenkratzer“ bezeichnen konnte. Dazu die schlechte Luft, der Nebel, der Gestank und die Lautstärke einer Riesenmetropole. Und mittendrin wuselten unendlich viele Chinesen mir ihrem Mundschutz durch die Straßen, immer emsig, immer im Dienst.

Beijing war beeindruckend, großzügig, architektonisch auf dem neuesten Stand. Das alles fehlte dieser Stadt – was nicht heißt, dass es in zwei Jahren schon wieder ganz anders aussehen wird. Denn an allen Ecken und Enden wurde gebaut, als müsste morgen hier eine ganz neue Stadt stehen. So viele Großbaustellen habe ich auch noch nie gesehen.

Um unsere Stimmung wieder ein bisschen aufzuhellen, sind wir daher in den Zoo gefahren. Das hilft bei Kindern und auch bei Erwachsenen. Zumal es in diesem Zoo echte Panda-Bären gab. Ich muss gestehen, dass ich bisher keinen der derzeit lebenden rund 1800 Pandas „live“ gesehen hatte. Und hier gab es gleich drei dieser knuddeligen Tiere. Die liegen zwar nur den ganzen Tag faul rum und fressen ganze Bäume auf, sind aber wirklich sehr putzig anzusehen. Die drei Exemplare in diesem ansonsten völlig runtergerockten Zoo waren schon knapp 16 Jahre alt – und somit schon im Rentenalter. Pandas leben höchstens 20 Jahre. Kein Wunder, wenn man den ganzen Tag frisst und sich nicht bewegt – würde meine Hausärztin jetzt sicher dazu bemerken, nicht ohne einen strafenden Blick auf mich zu werfen.

Garantiert echt.

Im Zoo selbst gab es wohl noch ein paar weitere Tiere, die wir aber gar nicht gesehen haben, weil erstens der Regen wiedereingesetzt hatte und zweitens unsere geplanten 30 Minuten Aufenthalt abgelaufen waren.

Also ein weiteres Mal in den Bus, weitere 30 Minuten durch diesen Alptraum einer Großstadt bis hinunter an die Anlagestelle unseres Flusskreuzfahrtschiffes.

Genau. Richtig gelesen: Unseres Kreuzfahrtschiffes. Ab jetzt brauchten wir keinen Bus mehr. Die nächsten 5 Tage durften wir auf einem sehr luxuriösen Schiff verbringen, das mit seinen sechs Decks, diversen Restaurants und Bars, mit seinem Kino, diversen Sportmöglichkeiten, Vorträgen über Akupunktur und alternativer Medizin sowie Ringelpietz mit Anfassen wohl die meisten Wünsche abdecken sollte.

Unser Schiffchen.

Zum Glück mussten wir unsere Koffer nicht selbst bis aufs Schiff schleppen. Das erledigten arme, muskelbepackte Männer der chinesischen Unterschicht für uns. Die armen Kerle mussten dabei pro Gang vier volle Koffer gleichzeitig vom Straßenrand bis zum Schiff,  also rund 200 Meter, inklusive 40 steiler Treppenstufen, transportieren. Dazu haben sie die vier Koffer an einen Holzbalken gebunden, den sie dann auf ihrem Rücken geschleppt haben. Lange schafft das keiner, aber der Mensch zählt ja hier nicht viel. Leider haben sie dabei den Griff an meinem Koffer abgerissen.

Das Boarding gestaltete sich ungewohnt bürokratisch. Um zu vermeiden, dass ein Tourist irgendwo auf dem Land ausgetauscht wurde, musste sich jeder fotografieren lassen und diese Bildausweise nach jedem Landbesuch wieder vorweisen. Das Schiff fasste rund 450 Passagiere, war aber nicht ausgebucht. Rund 300 Gäste waren angeblich nur an Board. Dazu etwa 150 Angestellte, allesamt blutjung und hübsch anzusehen. Damit sich die Touristen nicht etwa an chinesische Namen gewöhnen mussten, hatten sich die Angestellten selbst westliche Namen gegeben. Wir waren mit unserer 21-köpfigen Minigruppe übrigens die einzigen Deutschen an Board. Der Großteil kam aus Kanada und den USA. Diese beiden Länder sind ja auch die Hauptkunden von SINORAMA.
Und dann ging es in die Zimmer. Wow! Damit hatte ich so gar nicht gerechnet. Außenkabine, ca. 20 qm groß. Riesiges Doppelbett, 50-Zoll-Fernseher, Tresor, komplett eingerichtetes Bad, Schränke, Schreibtisch, Sessel, eigener Balkon. Und alles nahezu neu. Die Renovierung unseres Schiffes schien noch nicht lange her zu sein. Meine Kabine lag im dritten Stock,  etwa in der Mitte des Schiffes.

Eine ordentliche Kajüte.

Schnell war der Koffer ausgepackt. Meine mitgebrachten Stromadapter (vorher aus China importiert, wie umweltfreundlich…) passten perfekt in die Steckdosen. Es gab im Bad sogar einen in Plastik verpackten Kamm, den ich dankbar auspackte. Ein Fön hat leider gefehlt, aber bei meinem Wuschelkopf war der ja ohnehin keine gute Idee.
Als Nächstes gab es ein informatives Treffen und eine Programmvorschau in der riesengroßen Bar des Schiffes, oben im 5. Stock. Diese Show war eigentlich nur für die an Bord befindlichen Kanadier und Amerikaner gedacht, aber ein paar von uns hatten sich auch eingefunden.

Gin Tonic geht immer.

Und wie nicht anders zu vermuten war, sollte in der Bar natürlich auch was getrunken werden. Und dann kam auch schon der erste Schock. Die Getränkepreise waren weit höher als bei dem üblichen Preisniveau zu erwarten gewesen wäre. Außerdem wurde man ständig dazu aufgefordert, „Packages“ zu kaufen, also von vornherein große Mengen auf einmal zu bestellen, um Geld zu sparen. Im Falle von Weißwein wäre das eine teure Falle gewesen. Weißwein gab es eigentlich nur flaschenweise. Lediglich eine einzige, ziemlich süße Sorte wurde für 50 Yuan pro Glas offeriert, also ca. 6,90 Euro für 0,1 Liter. Die Flaschen kosteten dann zwischen 300 und 400 Yuan, also zwischen 42 und 55 Euro, was schon ganz schön happig ist. Auch ein Gin Tonic war mit 8,30 Euro nicht gerade günstig. Damit war auch klar, warum streng verboten war, selbst Getränke mit an Bord zu bringen. Der Preis, der von SINERAMA an die Reederei gezahlt wurde, dürfte kaum kostendeckend gewesen sein, sodass sich die Differenz zu einem lukrativen Betrieb fast ausschließlich durch den Verkauf von Bord-Alkoholika finanzierte.
Außerdem gab es noch weitere Einnahmequellen für die Crew: Wireless LAN kostete 300 Yuan für die Reise. Bei dem Preis war sogar WLAN in der Kabine inbegriffen. Und natürlich kosteten alle SPAs, Sport- und Fitness-Einrichtungen extra Geld, was mich aber (bekanntlich) sowieso nicht interessiert hat. Lediglich der Pool war kostenlos nutzbar, wenn auch nur zu bestimmten, akribisch festgelegten Zeiten.

So sieht´s im Inneren unseres Schiffes aus.

Nach einem Blick auf die Uhr war klar, dass wir schon lange nichts mehr gegessen hatten. Also ab in den Speisesaal, der pünktlich um 19.00 Uhr seine Pforten öffnete.

Und jetzt endlich machte sich auf den Gesichtern unserer Mitreisenden wieder ein sattes Lächeln breit. Wir saßen zwar wieder wie gewohnt an den runden Gruppentischen, aber ab jetzt klatschte uns niemand irgendwelche Sachen auf die Drehscheibe, die keiner essen wollte. Es gab nämlich ein sehr großzügiges Buffet, rund 40 Meter lang gut und lecker bestückt. So langsam taute unsere Gruppe auch auf; die ersten privaten Gespräche kamen auf. Und ich fiel natürlich auf den Wein-Trick rein. Ich wollte mir nur ein einziges Glas bestellen, hatte aber plötzlich doch eine ganze Flasche am Hals. Nun gut, der Wein aus Australien schmeckte lecker, und man gönnt sich ja sonst nichts. Lisa, meine persönliche Betreuerin am Tisch, schenkte mir immer wieder nach, bis ich dankend abwinkte. Ich hatte gar nicht viel getrunken, fühlte mich aber dennoch am Limit für heute.

Das Mädel in der weißen Uniform ist Bella.

Unser Schiff hatte noch gar nicht abgelegt. Das sollte erst mitten in der Nacht um 22:30 Uhr passieren. Davon habe ich allerdings nichts mehr mitbekommen. Ich ruhte in Morpheus Armen und schlief den berühmten Schlaf des Gerechten. 11 Stunden lang. Ohne auch nur einmal aufzuwachen.
Ich war endlich angekommen.

Der sechste Tag
Als ich so langsam wieder zu mir kam, bewegte sich das Schiff im Schleichtempo an einer atemberaubenden Kulisse flussabwärts. Unser geplantes Tagesprogramm war im Gegensatz zu den anderen Tagen sehr übersichtlich. Eigentlich stand nur ein Ausflug zur Roten Pagode auf der Liste. Bis dahin war noch viel Zeit. Das Frühstück fand natürlich wieder im Restaurant statt. Inzwischen hatte ich noch weitere Reisegruppen zuordnen können. Es waren auch Australier und sogar Mexikaner an Bord. Die diversen Programmpunkte wurden über eine Lautsprecheranlage in den Kabinen mehrsprachig angekündigt. Immer zweimal hintereinander, damit man ja nichts verpasste. Das Frühstück bot zwar Unmengen an Speisen, die mich nicht interessierten, aber leider nur eine Käsesorte und weder Schinken noch Wurst.
An der Rezeption kaufte ich mir den oben schon erwähnten Internetzugang, der auch in meiner Kabine funktionieren sollte, was er aber nicht tat und daher zu einer Gutschrift führte. Außerdem buchte ich einen weiteren Ausflug, der bisher nicht angeboten wurde und staunte nicht schlecht, dass reihenweise alte Damen sich an der Rezeption beschwerten, dass die Matratzen zu hart wären.

Anschließend gab es Vorträge über Akupunktur und chinesische Heilkunst, die ich nur mit halbem Ohr verfolgte, weil ich an diesem Blog weiterschreiben wollte. Es war aber ziemlich makaber, dass der China-Doc einer freiwilligen „Patientin“ diverse Nadeln in den Körper steckte. Wenn´s hilft…

Der Speisesaal des Schiffes.

Nach dem sehr üppigen Mittagessen stand dann nach einer kleinen Verdauungspause die erwähnte „Rote Pagode“ auf dem Programm. Das Besondere an diesem Tempel ist, dass er komplett aus Holz gebaut wurde und keinen einzigen Nagel enthält. Trotzdem scheint er seit Jahrhunderten nicht zusammenzufallen. Bevor wir das Schiff verlassen durften, mussten wir uns wieder spezielle „Boarding Cards“ umhängen. Der Weg zum Tempel war gesäumt von hunderten von Andenkenläden mit dem entsprechenden Verkaufspersonal. Und was konnte man hier Schönes kaufen! Schlipse mit Panda-Muster, Spielsteine aus Jade oder Plastik, Drachen aus Pseudo-Jade, T-Shirts („I climbed the Chinese wall“), Seidentücher (fake), Goldmünzen (fake) und Buddhas in allen Größen. Und schon wieder hatte ich keine Lust auf den Erwerb dieses Mists.
Interessanter war dann schon die Geschichte dieser Stadt. Wie wir ja sicher alle noch wissen, hat China vor rund 8 Jahren einen großen Staudamm am Yangtse gebaut. Das gab damals keine gute Kritik der Einheimischen. Viele Ortschaften sind dabei nämlich schlicht und einfach abgesoffen, also vom Wasser überspült worden. Als Ausgleich hatte man die Bevölkerung umgesiedelt. Das fanden die Wenigsten in Ordnung. Es muss wohl ziemlichen Stress gegeben haben. Wie auch immer, der Staudamm ist jetzt in Betrieb und die neuen Städte sind mit Sicherheit moderner als die Steinhütten aus der Vorzeit. Trotzdem sind die ganzen jungen Leute abgewandert, um ihr Glück in der Industrie zu suchen. Zu Hause blieben nur die Alten und Gebrechlichen. Und die standen jetzt vor ihren Andenken-Läden und übten einen recht zaghaften Kauf-Druck auf uns aus. Man wurde zwar manchmal leicht berührt, aber im großen Ganzen war das noch akzeptabel.

Das zeigte mein Navi an, als ich wissen wollte, wo wir sind.

Nach einem langen Zugangsweg kamen wir dann endlich an die Pagode. Früher stand sie 30 Meter hoch alleine auf einem Felsen. Durch den Staudamm war das Wasser inzwischen bis fast an die Grundmauern gestiegen. Zuerst mussten wir eine etwa 100 Meter lange Hängebrücke überqueren, die ganz schön stark schwankte. Stahlseile unter den Holzplanken vermittelten aber ein Gefühl der Sicherheit. Die Pagode selbst besteht fast ausschließlich aus Treppenstufen. Sieben Stockwerke musste man hochklettern, bevor man in den eigentlichen Tempel kam. Dort waren dann diverse Figuren (aus Holz) übermenschengroß aufgebaut, die irgendwas bedeuteten. Was genau, müsste ich schnell mal nachlesen, aber leider habe ich meinen Reiseführer nicht dabei.
Und was man hochkletterte, musste man auch wieder runtersteigen. Der Weg bis zum Schiff zog sich dann auch noch mal ganz schön. Meine Apfeluhr machte „bling“, weil ich schon wieder mein Tagesziel übertroffen hatte.

Um 17.00 Uhr öffnete die Bar mit 20%-Nachlass für Cocktails. Um 17:45 Uhr stellte sich dann endlich der Kapitän mit seiner Crew vor. Dazu spendierte er irgendein Getränk, dessen Zusammensetzung ich nicht erkennen konnte. Es war was mit blauen Früchten und Sekt. Der arme Kapitän, ca. 60 Jahre alt, grauhaarig und hager, verzog keine Miene, als er gezwungen wurde, für die Touris Fotos mit sich machen zu lassen. Er sah eher aus, als wäre er ursprünglich auf einem Kriegsschiff Kapitän gewesen. Vermutlich war dieses Touristen-Kommando eine Strafversetzung.

Und schon war wieder Zeit für das Abendessen. Der Geräuschpegel im Restaurant war so hoch, dass man beim besten Willen keine Gespräche führen konnte. Also wieder ab in die Kabine.

Leider hatte die sonne in meinem Urlaub selbst Urlaub.

Aber das war noch nicht alles. Um 20.45 Uhr gab es eine große Begrüßungsshow, die von den Angestellten des Schiffes ausgerichtet wurde. Um die Stimmung aufzuheizen, wurde am Eingang jedem Gast so eine Art „Plastikhand“ übergeben, mit der man laut klatschen konnte. Heißa, war das spaßig. Die Darbietungen hingegen waren wirklich sehr schön. Es ging natürlich um chinesische Tänze und chinesische Musik; um Liebe, Freude, Eierkuchen – das ganze Programm eben. Etwa 16 Crewmitglieder hatten die Tänze einstudiert und hinterließen einen durchaus positiven Eindruck beim Publikum. Wir sahen tolle Kostüme und sehr akkurat einstudierte Tänze. Nur als am Schluss das Publikum aufgerufen wurde, selbst mitzuhoppsen, habe ich das Weite gesucht. Ich hatte noch einen dringenden Sprechauftrag für den MDR zu erledigen. Leider war es fast unmöglich, die Datei über das Internet in den Sender zu transportieren. Das WLAN auf dem Schiff ist extrem langsam und auch nur an zwei Orten vorhanden. Da das Signal über Satellit empfangen und versendet wird, waren die Download- und vor allem die Upload-Raten extrem niedrig. So saß ich dann in der Rezeption und wartete auf den erfolgreichen Upload der 35 Megabyte. Irgendwann hatte ein Crewmitglied Erbarmen mit mir und koppelte sein iPhone (4G) mit meinem Macbook Air. Dann dauerte es „nur“ noch zehn Minuten, bis die Mail mit den 35 MB versendet war.

Leider für die Katz, weil der MDR so große Mails gar nicht annimmt, wie sich am nächsten Morgen herausstellte. Da weder Dropbox noch „YouSendIt“ in China erlaubt waren, hatte ich jetzt ein echtes Problem. Ein Problem, das noch viel größer wurde, als ich leichtsinnigerweise einem anderen Kunden zusagte, ein paar Lernprogramme auf dem Schiff zu sprechen, zu schneiden und zu versenden. Da reden wir dann nicht mehr von 35 Megabyte, sondern von knapp 2 Gigabyte! Bei dem Tempo der Internetverbindung sollte man da mal ein gutes Jahr einplanen…

Frustriert ins Bett.

Der siebte Tag
Nach dem Frühstück, das für mich inzwischen nur noch aus süßen Brötchen mit Käse bestand, musste ich zunächst einmal ein bisschen arbeiten. Mehrere Lernkurse für Boehringer Ingelheim mussten dringend fertig werden, wie gestern schon angedeutet. Da es auf dem Schiff verhältnismäßig ruhig war, konnte ich die Aufnahmen ohne größere Unterbrechungen fertig stellen.

Der einzige Ausflug, der für diesen Tag geplant war, sollte uns später, so gegen 11:30 Uhr, in die „Drei Schluchten“ führen. Hier wohnt noch immer ein Bergvolk, dass sich durch allerlei Folklore und Touristenbespaßung am Leben erhält. Nach etwa 45 Minuten Busfahrt kamen wir dann auch mitten in dieser atemberaubenden Landschaft an. Da wir eine recht kleine Gruppe waren, durften wir die Weiterfahrt ins Zentrum der Schluchten mit einem kleinen Ausflugsboot weiterführen. Die uns zugeteilte Reiseführerin war ziemlich sauer, dass ihr XU die ganze Arbeit abnahm. Ihr blieb nur noch übrig, zu den Erzählungen von XU die passenden Fotos aus einem Bildband zu zeigen, den wir dann am Ende hätten kaufen können. Hat natürlich niemand getan. Am Zielort angekommen, wanderten wir auf kleinen, schwankenden Wegen aus Plastikblöcken zum Zentrum der Touristenattraktion. Hier war eine kleine Bühne aufgebaut, auf der die Bergführer aus heiterem Himmel anfingen zu singen und zu tanzen. Über kurz oder lang mussten die Touristen mittanzen. Der Weg führte dann weiter bis zu einem Wasserfall, der aber an diesem Tag im Urlaub war. Wasser war nicht, wie überhaupt der Wasserspiegel erstaunlich niedrig war. So niedrig übrigens, dass unser Schiff nicht mehr weiterfahren konnte. Ab jetzt spielten sich alle Exkursionen vom selben Liegeplatz aus ab. Nach ein paar Minuten wanderten wir wieder zurück zu den Ausflugsbooten und drehten dann noch eine längere Runde auf dem Fluss, hier und da am Boden kratzend. Unsere (schweren) Herren mussten sich vom Aussichtsdeck ins Innere des Bootes begeben, damit kein weiterer Schaden am Schiff entstand.

Heute war der „Tag der Frau“.

Das Internet ging inzwischen überhaupt nicht mehr, obwohl die SIM-Karte weiterhin einwandfrei funktionierte. Das hatte vielleicht was mit den Mails zu tun, die ich von meinem chinesischen Provider mittlerweile bekommen hatte. Also bat ich XU, die mal zu übersetzen. Und siehe da: Mein Internetguthaben war aufgebraucht. Anders als bei der Telekom konnte ich es auch nicht selbst wieder aufladen. Aber XU konnte es. Sie hatte irgendeine App auf ihrem Handy, mit der sie MEIN Handy aufladen konnte. Ich gab ihr dann einfach das Bargeld, 100 Yuan. Und schon war ich wieder mit der Welt verbunden! Kaum 100 Mails später zeigte sich, dass ich nicht viel versäumt hatte.

Der Ausflug war so getimed, dass wir pünktlich zum Mittagessen wieder an Bord waren. Danach habe ich mich wieder in meiner Kajüte verbarrikadiert, um die Aufnahmen des Vormittags sauber zu schneiden. Das bedeutet, Fehler und Atmer aus der Aufnahme zu entfernen. Außerdem musste so gut wie jeder Satz einzeln mit einem eigenen Dateinamen abgespeichert werden. Eine Arbeit, die ich hasse wie die Pest, aber sie gehört nun mal dazu.

Um 17.00 Uhr gab es in der Bar und auf dem Oberdeck in Ebene 6 Martinis zum Sonderpreis. Genauer gesagt, mit 20% Preisnachlass. Statt 60 nur noch 48 Yuan. Immer noch sauteuer, aber auch saugut. Zwei Stück habe ich geschafft, dann musste schon wieder gegessen werden. Und da ich schon so gut drauf war, habe ich mir an diesem Abend gleich noch eine weitere Flasche Chardonnay aus Australien gegönnt. Wenn man sich Mühe gibt, kann man die alleine an einem Abend schaffen, wie sich herausgestellt hat.

Für mich war es der „Tag des Weins“.

Anschließend gab es noch die übliche Kurzdisco im 5. Stock. Diesmal mussten sich die Gäste mit Masken verkleiden. Habe ich allerdings nicht mitgemacht. Lieber habe ich den 22. Geburtstag von Alexandra mitgefeiert, dem schon erwähnten Teenager mit ihrem Vater, die ja dann wohl doch schon ein Twen war. Eines der schüchternsten Menschen, die ich jemals erlebt habe. Und dabei von oben bis unten gepierct und tätowiert. Passt alles nicht zusammen. Naja, geht mich ja nichts an.

In der Bar.

Dann eine Schocknachricht meiner Schwester, der meine Stimmung schwer runterzog: Meine Mutter hatte einen Schlaganfall. Bisher nur leichte Lähmungen, aber starke Probleme beim Sprechen. Geistig noch völlig fit. Das stellt uns vier Kinder vor ein echtes Problem: In elf Tagen wollte sie eigentlich in ein Heim für „betreutes Wohnen“ umziehen. Daraus wird jetzt wohl nichts mehr. 91 Jahre sind kein Pappenstiel.

Gegen 22.00 Uhr ins Bett.

Der achte Tag
Der letzte Tag auf dem Flusskreuzfahrtschiff war angebrochen. Inzwischen hatten wir die vielen hübschen und hilfsbereiten Chinesen und Chinesinnen an Bord liebgewonnen. Bei jedem Ausflug standen sie Spalier, um uns daran zu erinnern, den Kopf einzuziehen oder „Mind your step“ zuzurufen.
Der heutige Tag bot noch einmal zwei Highlights: Den Besuch des nun schon oft angesprochenen Staudamms und eine Fahrt zu einer „Flussfamilie“, was immer das sein sollte.

Die Busfahrt zum Staudamm dauerte wieder die üblichen 45 Minuten. 45 Minuten Fahrt durch eine verdreckte Industriestadt, die für die Zwangsumsiedler aus dem Boden gestampft worden war. Auch hier wieder Unmengen von Hochhäusern, die doch keiner wirklich haben will. Viele standen auch noch leer.

Alles für das größte Projekt, das China je auf die Beine gestellt hat. Der „Drei-Schluchten-Staudamm“ wurde zwischen 1993 und 2009 gebaut, nachdem man fast 80 Jahre daran geplant hatte. 24.000 Arbeiter waren daran beteiligt, und die endgültigen Kosten sind noch nicht abzusehen. Man rechnet mit zwischen 60 und 120 Milliarden US-Dollar. Zu 80% aus chinesischen Haushaltsmitteln finanziert!

Bisher ist der Staudamm „erst“ der drittgrößte der Welt. Wenn alles fertig ist, wird er aber die beiden Staudämme in Paraguay und Venezuela überholt haben, was die Stromleistung angeht. Natürlich haben auch viele deutsche Firmen hier mitgemischt; Siemens zum Beispiel. Eine Zeit lang hatten die Amerikaner ihre Unterstützung beim Bau zugesagt, diese aber wieder zurückgezogen, als die politischen Umstände sie dazu nötigten.

Die Besichtigung des Bauwerks ist leider stinklangweilig. Man kann sich ein Modell des Staudamms ansehen und sich dabei mit Andenken eindecken. Man sieht zwar den Damm, aber nicht den Stausee. Wer Beton mag, kommt allerdings voll auf seine Kosten.

Man kann es den Chinesen nicht verdenken, dass sie stolz auf ihr Bauwerk sind. Immerhin werden durch den Staudamm 86 Milliarden Kilowattstunden erzeugt, was für 13 Großstädte, 140 Kleinstädte, 1352 Dörfer und 657 Fabriken reicht. Hab´ ich nachgezählt. 632 qkm Land mussten wegen des Projektes geflutet und 1,3 Millionen Menschen umgesiedelt werden.

Die Besichtigungsstunde mit unzähligen Rolltreppen war wirklich sehr langweilig. Da hätte man auch mehr draus machen können.

Beim Mittagessen fing ich an zu schwächeln. Ich war kurz davor, den bereits bezahlten dreistündigen Spaziergang zu dieser ominösen Wasserfamilie zu schwänzen. Aber XU überredete mich, sich das nicht entgehen zu lassen. Und sie hatte Recht. Der Ausflug gehörte zu den absoluten Highlights dieser Chinareise.

Den Weg zum Bus waren wir ja nun schon einige Male gelaufen. Quer durch drei weitere Schiffe, die aufgrund des niedrigen Wasserpegels gestrandet waren. Dann über eine gewaltige „Passagierhebekabine“ auf Parkplatzhöhe. Und dann mit dem Bus eine Stunde durch die Megacity, bis die Straße immer schmaler wurde und der Bus eine beängstigende Slalomfahrt am Rand der Steilküste absolvieren musste. Unsere Fahrerin hatte einen ziemlichen Kamikaze-Stil drauf. So manches Mal stockte uns der Atem, bis der Gegenverkehr in letzter Sekunde ausweichen konnte.

Wen soll ich mir als Braut aussuchen?

Der Ort, den wir da besuchten, nennt sich „Water village“ und wird von einer der vielen chinesischen Minderheiten bewohnt. Die Führerin unserer Gruppe nannte sich „Vera“, und wir waren ihre „Vera-family. Von dem autark lebenden Ort selbst sahen wir nur einen kleinen Teil, der extra für uns Touristen vorbereitet war. Entlang eines Flusslaufes entdeckten wir Komorane, Affen und Fische. Die Einheimischen sangen sich quer über das Flussbett Liebeslieder zu, zwei Buben versuchten sich auf einer Art Blockflöte und ein junges Mädel spielte auf einem Zither-ähnlichen Instrument. Alles richtig nett. Gegen 16.00 Uhr wurde uns dann sogar eine Hochzeit vorgespielt, bei der die Braut sich einen jungen Mann aus dem Publikum angelte. Dazu laute atonale chinesische Musik und erklärende Worte des Dorfältesten. Nach einer guten Stunde waren wir durch und wurden wieder zurückgekarrt. Von wegen dreistündiger Spaziergang. 60 Minuten + 120 Minuten Busfahrt waren es nur. Trotzdem hatte ich mein Bewegungsziel heute um 200% übertroffen!

Irgendwohin müssen die Kilos ja geflossen sein…

Auf dem Schiff stand das Kapitänsdinner auf dem Programm. „Schön angezogen“ sollten wir uns pünktlich um 18:30 Uhr im Restaurant an unseren Tischen versammeln. Der Kapitän kam erst um sieben, bellte ein paar launige Worte ins Mikrophon und verloste ein paar Gutscheine. Dann durften wir essen. Anders also sonst kamen heute wieder die ganzen Speisen auf die Drehscheibe, die wir sonst nie angerührt hatten. Das Zeug musste ja weg! Es wurde so laut und stickig im Raum, dass ich mich sehr schnell zurückzog und den freien Platz an der Rezeption nutzte, meine 2005 Yuan an Extras zu bezahlen.
Es wurde Zeit, die Koffer zu packen. Bis 22:30 Uhr sollten die auf den Gängen vor den Zimmern stehen. Logistisch eine kleine Herausforderung, da man nach Abgabe seines Koffers ja nur noch sein Handgepäck mit sich rumschleppte. Und da passte nun mal der Rasierapparat nicht mit rein. Eine Ersatzzahnbürste samt Zahnpasta lag im Bad, aber rasieren musste ausfallen. Da der Wecker auf 5:45 Uhr stand, war ich um zehn im Bett, ein leichtes Kratzen im Halse verspürend …

Der neunte Tag
Oder der Tag, den ich gerne aus meinem Gedächtnis löschen möchte.

Unser Wecker klingelte pünktlich, es war Zeit, das Schiff zu verlassen. Meine Zimmerschlüssel (in Form einer Code-Karte) hatte ich schnell abgegeben, das Frühstück bot wie immer nur Käse mit süßen Brötchen für mich. Während wir uns für das Ausschiffen sammelten, nutze ich die Zeit, ein paar Takte auf dem Flügel zu spielen, der an der Rezeption stand. Ich kann es wohl noch; den Leuten hatte es anscheinend gefallen.

Da unser Schiff ja bekanntlich festlag, sollte der heutige Tag komplett mit Busfahrten verbracht werden. Ziel war die Provinzhauptstadt Wuhan-City mit „nur“ 11 Millionen Einwohnern. Ich hatte daher meine Winterjacke in den Koffer gequetscht und mir stattdessen nur mein Jackett angezogen.

Das war ein Fehler.
Denn nicht nur im Bus war es – anfangs – extrem kalt, auch draußen, bei diversen Zwangspausen, zitterte ich vor Kälte. Teils, weil es tatsächlich nur noch 10 Grad waren, teils, weil ich mir inzwischen eine gründliche Erkältung eingefangen hatte, bei der meine Nasen literweise Schleim produzierte. Der erste Stopp war an einer Tankstelle. Hier gab es auch einen Supermarkt, der aber nur Süßigkeiten und Getränke verkaufte. Leider keine Papiertaschentücher. Die Getränke musste man nicht extra kühlen, denn selbstverständlich war kein Raum in dem Gebäude beheizt.

Das wurde auch bei unserer nächsten Besichtigung, einem Museum in Jinzhou mit echter Mumie, leider nicht besser. Hier war es in den Räumen sogar noch kälter als draußen. Also weiter zum Mittagessen nach gewohntem Muster. Ungewohnt war nur, dass auch hier weit und breit keine Heizung existierte. Im Sommer soll es hier über 40 Grad heiß werden. Warum man dann im Winter die Kälte akzeptiert und kein Haus in der Stadt eine Heizung hatte, werde ich nie verstehen. Außerdem haben wir uns eine Stadtmauer mit diversen ungeheizten Verkaufsräumen angeschaut und einen weiteren Stopp an einer Tankstellen-Toilette gemacht, bei der es leider schon wieder kein Nasenputz-Papier gab, nicht einmal in der Toilette.

Gegen 17.00 Uhr kamen wir dann in den Feierabendverkehr der Großstadt Wuhan. Und diese Stadt war dann noch einmal um Einiges größer, schriller, durchgeknallter als alles, was ich städtebaulich bisher so gesehen habe. Überall wurden alte, zehngeschossige hässliche Hochhäuser abgerissen und durch neue, 40-geschossige hässliche Hochhäuser ersetzt. Auf den Straßen nur Mittel- und Luxusklassewagen, ein Drittel davon aus Deutschland. Und die Chinesen mittendrin nur frühlingshaft gekleidet! Bei diesen Temperaturen! Hier waren bestimmt irgendwo die berühmten Einkaufstempel, die ich mir gerne mal angesehen hätte, aber wir durften uns nur in der Kälte ein paar Wellblechhütten rund um das Restaurant ansehen. Da habe ich immerhin einen USB-Stick erstanden. Ich muss leider erwähnen, dass das Essen von Mal zu Mal immer schlechter wurde. Die „Acht Köstlichkeiten“ verwandelten sich langsam in Acht Kötzlichkeiten“. Nicht wenige hatten des Öfteren mit Magenverstimmungen zu kämpfen. Vor allem das „Fleisch“ sollte man besser nicht essen. Das angebliche Rind oder Schwein war meist sehr fettig und nur durch die Vermengung mit irgendwelchen Pilzen überhaupt genießbar. Warm war übrigens nur der Tee, der gratis ausgeschenkt wurde.

Und immer wieder dreht sich alles ums Essen…

Selbst das Abendessen in Wuhan in einem optisch sehr schönen tibetischen Ambiente (aber mit immer den gleichen, lauwarmen Essenszutaten wie bisher) zeichnete sich durch Eiseskälte aus. Kein Wunder, wenn man alle Türen auflässt. Ich wollte nur noch so schnell wie möglich in ein möglichst warmes Hotelzimmer. In der (ungeheizten) Lobby des Holiday Inn-Hotels ging die Verteilung der Zimmerschlüssel zum Glück sehr schnell und das anfangs eiskalte Zimmerchen war nach einer Stunde erträglich warm.

Eigentlich wollte ich mich am Abend noch mit einem chinesischen Sprecher treffen, der viel für mich arbeitet. Der hatte aber terminliche Probleme und musste mir absagen. Gut so, denn in der Hotelbar wäre er mir sicher erfroren.

Ich wollte ihm den USB-Stick mit meinen Aufnahmen mitgeben, damit er sie an meinen Kunden nach Deutschland schickt. So musste ich mal wieder auf das hoteleigene Internet zurückgreifen. Leider hat das, wie inzwischen üblich, auch hier nicht funktioniert. Meine Kunden werden sich weiter gedulden müssen.

Deshalb bereits um 21.00 Uhr ins Bett. Der Schlaf war sehr unruhig, da auch der unermüdliche Verkehr deutlich bis zu mir in den sechsten Stock drang.

Nachts um eins meldete sich dann meine Alarmanlage. Nicht die in meinem Zimmer, sondern die von zuhause. „Einbruchsversuch“ stand auf dem Handy. Da ich das Handy aber auf „Nachtmodus“ gestellt hatte, konnte ich diese Meldung erst am nächsten Morgen nach dem Wecken sehen. Zum Glück klärte sich der Alarm auf. Mein Sohn Benjamin hatte mich zuhause besucht.

Der zehnte Tag
Der Wecker klingelte an diesem Tag bereits um fünf Uhr früh. Es sollte ein weiterer Reisetag werden. Laut Plan würden wir um 7:36 Uhr mit einem Highspeed-Train nach Shanghai düsen. Die 700 Kilometer sollte der Zug in 4-5 Stunden schaffen; gebraucht hat er sechseinhalb. Das wird daran gelegen haben, dass wir alle paar Minuten anhielten, während der wirkliche Hochgeschwindigkeitszug auf dem anderen Gleis ohne Zwischenstopps das Weite suchte.  Der Zug selbst ist hochmodern. Die Sitze können je nach Fahrtrichtung mit wenigen Handgriffen umgedreht werden. Die Bezeichnung der Sitze erinnerte ein wenig an Flugzeuge. Ich hatte Reihe 1, Platz A, also am Fenster. Alle paar Minuten kam eine Bedienstete mit Obst, Getränken und Sandwiches vorbei, und um elf Uhr konnte man sogar ein Mittagessen für 12.00 Uhr vorbestellen. Ich wählte „Rind mit Reis und Gemüse“ und kriege jetzt noch Würgereflexe, wenn ich an das Fleisch denke. Reis und Gemüse waren OK.
Nach der Ankunft und einem weiteren überflüssigen Sicherheitscheck (die Sensoren piepten noch nicht einmal mehr) ging es dann mal wieder mit dem Bus weiter. Neuer Fahrer, alter, abgerockter Bus. Und nun passierte etwas Merkwürdiges. Laut Reiseplan hätten wir jetzt in unser Hotel fahren sollen, um uns etwas auszuruhen und den Rest des Tages zur freien Verfügung zu haben. Wer – wie ich – die Nachttour gebucht hatte, sollte diese so ab 18.00 Uhr antreten. Nun erzählte uns XU, bzw. ihre neue Kollegin „Christine“ (sie nennt sich wirklich so), dass das Hotel leider eineinhalb Stunden vom Zentrum entfernt sei. Wenn man also erst ins Hotel führe, müsse man ja dann gleich schon wieder zurückfahren. Da wäre es doch besser, den Stadtbummel vom Folgetag jetzt gleich anzuschließen und die Nachttour dann natürlich auch gleich mit. Das klang auf den ersten Blick ganz vernünftig, brachte uns jedoch leider am Ende nur Nachteile. Doch der Reihe nach.

Vom Bahnhof bis in die Innenstadt sind es ein paar Kilometer, bzw. über eine Stunde Fahrzeit. Zeit genug, um uns über ein paar Kennzahlen von Shanghai ins Bild zu setzen. Die zweitgrößte Stadt Chinas hat so um die 24 Millionen Einwohner. Auf den 6300 qkm Grundfläche tummeln sich 20.000 Busse und 50.000 Taxis. Die würden nicht größer auffallen, wenn nicht jeder Einwohner mindestens ein Auto hätte. Die Neuzulassungen sind hier auf 8000 Stück pro Monat beschränkt. Auch hier ist das Nummernschild unter Umständen teurer als das Auto. Die Nummer „88888“ soll angeblich 1 Million Yuan gekostet haben. Shanghai hat den größten Hafen der Welt und das höchste Bauwerk sowieso: Der „Shanghai Tower“ ist 632 Meter hoch. Derzeit ragen sage und schreibe 6000 Hochhäuser in den Himmel – und täglich werden es mehr. Der Bauboom geht schon einige Jahre, hat aber zuletzt noch mal Fahrt aufgenommen. Bis 2020 werden die 19 U-Bahnlinien ganze 800 km lang sein. Und das alles baut der Chinese bei einer Arbeitszeit von 8 Stunden täglich mit zwei freien Tagen in der Woche. Hut ab!

Shanghai and I.

Endlich waren wir im Zentrum angekommen. Wir wurden an der Uferpromenade ausgespuckt, um uns einen ersten Eindruck der Metropole mit ihren Myriaden von Wolkenkratzern machen zu können. Brav liefen wir 20 Minuten hin und her und stiegen wieder ein. Als nächstes hielt der Bus an einer Kreuzung mitten in der Fußgängerzone der „größten Einkaufsstraße“ von was weiß ich, vermutlich der Welt. Die „Nanjing-Straße“ ist zwar nur 5 Kilometer lang, aber schwer angesagt. 200.000 Besucher laufen jeden Tag über diese Straße. Und natürlich findet man hier alle angesagten Marken der Welt. Von Gucci bis Rolex, von Apple bis Samsung, von Porsche bis Lamborghini. Und man sieht unheimlich viele Fressketten. Die Chinesen essen wirklich den ganzen Tag, am liebsten Süßigkeiten. Vor manchen uns völlig unbekannten Süßwarenverkäufern standen lange Schlangen. Während ich da so zuschaute, wurde ich plötzlich von zwei blutjungen, sehr hübschen Chinesinnen angesprochen. In feinstem Englisch wollten sie gerne mit mir einen Tee trinken gehen. Einen kurzen Moment fühlte ich mich echt geschmeichelt. Bis die kleine Alarmglocke im Hirn mich darauf aufmerksam machte, dass dies ein beliebter Trick ist, alleinstehende Männer nach Strich und Faden auszunehmen. Bestimmt, wenn auch ungern, lehnte ich dankend ab. Viel interessanter waren dafür die vielen kleinen Nebenstraßen, die von allerlei Straßenhändlern bevölkert wurden. Aber wenn man bei „China“ sofort an „Billig“ denkt, kommt man hier nicht weit. Die ganze sogenannte „Fake“-Ware ist weit und breit nicht zu sehen. Hier ist alles echt und sehr teuer. Teurer als in Deutschland.

Sicher gibt es irgendwo Märkte, auf denen diese Imitationen verkauft werden. Aber wir Touristen sollen davon nichts mitbekommen. Wir werden bewusst (?) von diesem negativen Bild Chinas ferngehalten.

Deswegen die unscheinbaren, kleinen Restaurants irgendwo in Nebenstraßen. Deswegen die Hotels, die so weit weg vom Zentrum liegen, dass man als Tourist kaum den Mut hat, die Stadt auf eigene Faust zu erkunden. Denn die Sprachbarriere ist schon deutlich: Es spricht fast niemand in China englisch, jedenfalls kein Taxifahrer oder Hotel-Rezeptionist.
Wir wurden jedenfalls nach 30 Minuten Einkaufsstraße wieder in den Bus geschoben und haben uns dann dem nächsten Programmpunkt gewidmet: Die optionale Nachttour durch Shanghai für ca. 30.- Euro Extrapreis. Natürlich begann sie mit dem Abendessen. Diesmal ging es in ein ziemlich dreckiges Restaurant direkt gegenüber einer Gefängnismauer. Die Stimmung kippte ein wenig. Also schnell weiter. Eine Bootsfahrt stand an. Der Bus brauchte – wie immer – eine Weile, um in die Nähe der Anlegestelle zu kommen, die nur ein paar Meter neben der Stelle war, an der wir vor kurzem erst die Uferpromenade bevölkert hatten. Auf die Idee mit dem Boot sind außer uns noch viele andere gekommen. Das bedeutete Warten. Lange warten. Noch länger warten. Hatte ich schon erwähnt, dass es sehr kalt war? Um 19:35 fuhr legte das Schiff dann endlich ab und drehte eine Runde im Hafenbecken. Die Leuchtreklamen der Wolkenkratzer sahen wirklich beeindruckend aus. Die rund tausend Passagiere knipsten sich Selfies aus der Seele, als gäbe es kein Morgen. Damit hätte die Nachttour eigentlich zu Ende sein können. Immerhin waren wir seit 5 Uhr auf den Beinen und hatten unseren Koffer immer noch im Bus. Aber es war noch lange nicht Schluss. Als Nächstes stoppte unser Fahrer inmitten der drei höchsten Wolkenkratzer. Leider konnte ich die Gruppe nicht einig werden, ganz nach oben zu fahren. Irgendeiner ist immer dabei, der das nicht bezahlen will. Ich war es nicht, da ich geschwächelt habe und im Bus geblieben war. Der Schnupfen hatte inzwischen mehrere Quadratmeter Toilettenpapier befeuchtet. Meine Schniefnase entwickelte sich zu einem echten Problem, nicht nur für mich. Der letzte Programmpunkt fehlte noch: Der Besuch eines angesagten Szeneviertels. Und da war es wirklich supertoll. Da hätte ich gerne ein paar Stunden bei Wein, Weib und Gesang verbracht, aber die Reiseleiterin gab uns nur 20 Minuten. Immerhin konnte ich in einem der Geschäfte den bekannten „Lego“-Porsche sehen. Er war komplett zusammengebaut und kostete umgerechnet knapp 1800.- Euro.

Dieser Hund ist ein Lautsprecher.

Das Viertel gehörte ausnahmsweise nicht zu irgendwelchen Hochhäusern, sondern war inmitten der Altstadt entstanden. Wer weiß, wie lange sich diese Szene hier halten kann. An vielen anderen Stellen waren die alten Häuser bereits abgerissen oder warteten auf ihr Ende. Stattdessen werden dort sehr bald weitere Hochhäuser stehen, ganz ohne Frage.

Wieder zurück im Bus, mussten wir noch eine gute Stunde bis zu unserem Hotel fahren. Es lag, wie gesagt, völlig außerhalb von Shanghai und war von einem Golfplatz umgeben. Außerdem war es nicht beheizt. Weder die Rezeption noch die Bar noch das Restaurant. Das Zimmer schon gar nicht. Kurz nach 23.00 Uhr bin ich dann ermattet ins Bett gefallen. 18 Stunden auf den Beinen. Viel gesehen, viel erlebt, aber alles nur kurz gestreift. Der zweite Tag in Shanghai würde hoffentlich alle Lücken schließen.

 

Der elfte Tag
(Oder der Tag, an dem alles kippte)
Sieben Uhr aufstehen. Das war ja direkt luxuriös. Im Gegensatz zum Frühstück in einem unbeheizten Frühstücksraum mit offenen Türen und Nieselregen vor denselben.
Es gab zwar eine Kaffeemaschine, die aber rund zwei Minuten für jede Tasse brauchte. So viel Zeit hatte ich nicht. Der Fertigkaffee schmeckte dafür nach Wasser. Also mehr nach Wasser als nach Kaffee. Die Butter war tiefgefroren und die süßen Brötchen waren trocken und alt. Käse gab es nicht, Schinken gab es nicht, Wurst gab es nicht. Nur komplette Mittagsgerichte, wie hier in China üblich.
Nach dem Frühstück begann Teil zwei der Merkwürdigkeiten des vergangenen Tages. Eigentlich hätten wir heute die Stadtbesichtigung durchführen und die Einkaufsstraße besuchen sollen. Dazu hätten wir dann ja auch genug Zeit gehabt. Da wir dies aber aus den oben genannten Gründen bereits gestern erledigt hatten, war nun plötzlich – oh Wunder – ein Zeitfenster für gleich drei weitere Verkaufsshows frei. So trafen wir gegen 9:30 Uhr in einem staatlichen Verkaufsbüro für Seidenwaren ein. Ein sehr gut deutschsprechender Chinese erklärte uns, wie man aus dem Kokon der Seidenraupe Bettwäsche macht. Praktischerweise konnte man die dann gleich vor Ort kaufen. Und erstmals hat sogar jemand aus unserer Gruppe zugeschlagen und reichlich Bettwäsche geordert. Im Nebenraum gab es dann noch hunderte von weiteren Produkten aus Seide, natürlich auch die nicht weg zu denkende Krawatte mit Panda-Motiv. Wir hätten eigentlich draußen frei rumlaufen und uns die Stadt selbst erobern sollen. Stattdessen standen wir in diesem Laden und schüttelten bloß noch den Kopf. Es sollte aber noch schlimmer kommen. Weitere 20 Busminuten später hielten vor einem Einkaufszentrum an, indem es einen Kaschmir-Laden gab. Natürlich sollten wir auch hier wieder fleißig einkaufen, aber das klappte diesmal nicht so gut. Die Preise fand ich auch extrem hoch, bin aber kein Fachmann für Kaschmir. Mir reicht mein Wollpulli (den ich leider zu Hause liegen gelassen hatte).  Lediglich die Frau, die vom Pferd gefallen war, deckte sich mit Kaschmirteilen ein. „Bei uns auf dem Land ist es ja so, dass die Damen bei unseren Empfängen doch immer mehr oder weniger dasselbe tragen. Da muss man die Gelegenheit nutzen, die Garderobe zu erweitern.“ Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Wenige Meter weiter stolperten wir in die nächste Verkaufsfalle. Diesmal ging es um Seidenstickerei.

Diese Dame fühlt sich im wahrsten Sinne des Wortes seidig an.

Ja, toll, schönes Hobby, wunderbare Arbeit, aber was soll ich damit? Oder irgendjemand anders aus unserer Gruppe? Genau: Nix. Zumal die Preise für ansehnliche Stickereien so bei 4000 Dollar anfingen. Nach diesem Reinfall war es – der geneigte Leser ahnt es bereits – mal wieder Zeit für das Mittagessen. Das befand sich ebenfalls in dem Einkaufszentrum, das ansonsten unter anderem noch Tanzschulen für Mädchen und Karateschulen für Jungs beherbergte. Und jetzt – Tusch – gab es eine Überraschung! Wir saßen nicht wieder zu zehnt an einem runden Tisch, auf dem uns 8 Kötzlichkeiten vorgesetzt wurden. Wir saßen diesmal zu zehnt an einem runden Tisch beim Japaner, der die insgesamt drei Gerichte vor unseren Augen brutzelte. Auch hier war das Fleisch leider wieder eine Zumutung, weil es praktisch nur aus Fett bestand. Aber zusammen mit dem frischen Gemüse bekam man es runter. Nach den drei Gängen war Schluss. Der Koch ging und ward nimmer gesehen. Kein Nachtisch, nicht mal die obligatorische Melonenscheibe. Nachdem unsere Betreuungsdamen auch schon lange nicht mehr zu sehen waren, standen wir halt auf und gingen auf die Suche. Die beiden hatten sich wohl viel zu erzählen und die Zeit vergessen…

Englischunterricht in China.

Das Wetter hatte uns leider nun völlig im Stich gelassen. Der Nebel verdeckte einen Großteil der Wolkenkratzer-Spitzen, und es hatte zu regnen begonnen. Erst zaghaft, später immer heftiger. Aber das war ja für unsere Reiseleitung kein Problem. Was macht man mit Besuch bei schlechtem Wetter? Richtig, man schickt sie ins Museum. Da lernen sie was und müssen nicht dumm sterben. Und außerdem muss man sich dann ein paar Stunden nicht um sie kümmern. Auf diese geniale Idee kamen leider auch noch ein paar hundert Andere, sodass wir erst einmal eine halbe Stunde im Regen Schlange stehen mussten. Eine andere SINORAMA-Reisegruppe wurde diskret an einem Seiteneingang hereingelassen – wir haben brav bis zum bitteren Ende in der großen Schlange gewartet. Nun, das ist nicht sonderlich schlimm, aber wenn es schon Sonderbehandlungen gibt, sollten sie auch uns zur Verfügung stehen. Unsere Damen hätten sich dafür allerdings ein bisschen ins Zeug legen müssen, was ihnen inzwischen offenbar nicht mehr so wichtig war. Sie verschwanden jedenfalls mit den Worten „Um halb 5 am Eingang“ und ließen uns dann gute drei Stunden in diesem Museum alleine.

Nun gut, ein Museum kann etwas Tolles sein. Ins Technische Museum in München könnte man mich drei Tage einschließen, ohne dass ich mich auch nur eine einzige Sekunde langweilen würde. Aber dieses Museum hier in Shanghai beschäftigte sich ausschließlich mit alten Krügen, Keramiken, Geldstücken, Schriftrollen und Möbeln. Klar, das ist höchst interessant. Für ein paar Krüge, ein paar Keramiken oder Geldstücke. Aber nicht für hunderttausende akkurat beschriftete Exponate dieser Art auf vier Stockwerken mit rund 20 Themensälen. Wenn man den Krempel nicht gerade beruflich macht, lässt die Aufmerksamkeit dann doch schnell nach. Und der Kaffee im Museumscafé war auch schnell getrunken. Nur die Uhr, die lief nicht schnell genug. Ein paar Gäste der Gruppe hatten sich heimlich abgeseilt, um nochmal die Einkaufsstraße wiederzufinden. Der klägliche Rest traf immer mal wieder aufeinander, um die Uhren zu vergleichen. Pünktlich um 16:30 Uhr kamen die beiden Reiseleiterinnen dann wieder zu ihrer Gruppe. Der Bus fuhr nun zur Abendveranstaltung, die außer einem Abendessen noch eine Akrobatenshow beinhaltete. Als ich das in der Reisebeschreibung gelesen hatte, habe ich dieses Zusatzangebot natürlich abgelehnt, zumal auch das Fotografieren und Filmen streng untersagt gewesen wäre. Auch einige andere Gruppenmitglieder waren davon nicht begeistert und hatten die Teilnahme abgelehnt. Also wurden wir Abtrünnigen vom Bus ins Hotel gekarrt, während die Nightlife-Teilnehmer zusammen mit anderen Gruppen in einem anderen Bus zunächst zum Abendessen gefahren wurden.
Und das war meine Chance: Kaum war ich im Hotel, stürmte ich (mit meiner Winterjacke bekleidet) die Bar, bestellte einen Gin-Tonic und eine Portion Spaghetti Carbonara. Kinder, hat das trotz der Kälte gut geschmeckt!

Dieser Kaffee wurde sehr liebevoll zubereitet.

Gegen 21.00 Uhr ins Bett. Was soll man hier auch sonst machen? Als europäischer Tourist ohne Sprachkenntnisse in einem 40 Kilometer vom Zentrum entfernten Landhotel? Mit laufender Nase, klappernden Knochen und fast abgelaufener SIM-Karte?

Der zwölfte Tag
Heute hatten wir endlich Freizeit. Bis 15.00 Uhr. Ich nutzte die freien Stunden, um zunächst auszuschlafen und mich dann nach einem leider wieder misslungenen Frühstück meiner angeschlagenen Gesundheit zu widmen. Inzwischen kam zum Schnupfen ein unangenehmer Reizhusten hinzu. Keine Frage: Aus meiner Männergrippe war eine Vogelgrippe geworden, mindestens. Also blieb mir gar nichts anderes übrig, als mit Hilfe einer Mitreisenden ein Taxi zu ordern, das mich zu einer Apotheke bringen sollte. Ilka aus Weißensee hatte mir ihre leere Packung mitgegeben, damit der Apotheker verstehen würde, was mir fehlt. Ihr ging es nämlich nicht anders, nur dass bei ihr die Symptome infolge einer rechtzeitigen Einnahme der Medikamente nicht sichtbar waren. Das Taxi kam auch gleich und fuhr mich in irgendein winziges Dorf in der Nähe des Hotels, in dem außer der Apotheke nur noch zwei Restaurants geöffnet waren. Die Chinesen essen ja bekanntlich immer. Für knapp 5 Euro erhielt ich dann das chinesische Pendant zu Grippostat C. Nach etwa einer Stunde verspürte ich eine Wirkung. Statt die Nase alle 30 Sekunden putzen zu müssen, vergrößerte sich das Zeitfenster auf 10 Minuten.

Nach dem Einkauf war das Taxi blöderweise verschwunden, weil ich nicht ausdrücklich darum gebeten hatte, dass es warten soll. Also blieb mir nichts Anderes übrig, als ein paar hundert Meter durch den Regen in Richtung U-Bahnstation zu laufen, die man gut von Weitem sehen konnte. Ja, es regnete natürlich wieder. Mir wurde berichtet, dass es dort ein Einkaufszentrum gäbe. Nun, der Begriff Einkaufszentrum ist ein bisschen hoch gegriffen– da bietet selbst das Taunuskarré in Friedrichsdorf bedeutend mehr, aber es war immerhin eine willkommene Abwechslung vom Regen. Es gab dort ein paar Baby-Läden, ein Uhrengeschäft, eine SAMSUNG-Dependance, einen großen Lebensmittelmarkt und unzählige Fressbuden, die – morgens um 11 – alle schon voll besetzt waren. Wo nimmt der Chinese den Appetit her? Und warum wird er davon nicht dick? Fragen, die sich so auf die Schnelle nicht beantworten lassen.
Fragen wir lieber mal die Mitreisenden, die gestern beim großen Akrobaten-Abend teilgenommen hatten, wie es denn so war. Da scheine ich tatsächlich etwas verpasst zu haben, denn sowohl das Essen als auch die Akrobatik sollen vom Feinsten gewesen sein. Unter anderem sind die Wahnsinnigen mit acht Motorrädern gleichzeitig in einer Stahlkugel rumgefahren. Also die Akrobaten, nicht die Mitreisenden.

Da nun außer unserer Heimreise nichts mehr passieren dürfte, wird es Zeit für ein Fazit.

 

FAZIT
China ist toll, gigantisch, einzigartig. Die Weltwirtschaft wird sich warm anziehen müssen, wenn sie den Chinesen Paroli bieten will. Aber leider hat man uns nur einen sehr kleinen Teil des Landes gezeigt. Den Teil der Superlative, der Wolkenkratzer, der Besserverdienenden. Es gibt sicher noch ein anderes China, in dem nicht alles so rund läuft. Damit wir dieses andere China nicht zu Gesicht bekommen, hat man uns vermutlich in weit entfernte Hotels gesteckt, um eigene Ausflüge zu verhindern.
Es war nicht sonderlich klug, uns in den 12 Tagen fast 4000 Kilometer mit Taxen, Bussen, Bahnen, Schiffen und Flugzeugen durch die Gegend zu karren. Zu viel Zeit hat man dadurch nur mit Warten verbracht. Wahrscheinlich geht es aber den Chinesen nicht anders, wenn sie in einer Woche ganz Europa besichtigen müssen…
Die Organisation der Reise ist also optimierungsbedürftig. Das Essen war fast immer unter einem akzeptablen Niveau. Die Lokale waren viel zu einseitig ausgewählt. Die Beschränkung auf ein Glas Bier/Cola oder Sprite und das quasi ausgesprochene Weinverbot gehören sich ebenfalls nicht. Bei den Hotelzimmern musste man Glück haben. Manche Gäste hatten ein völlig verschimmeltes Badezimmer (Peking) oder Bettwäsche mit gelben Flecken (Shanghai).

So sah das Bettlaken nur unter LED-Licht aus. Trotzdem eklig.

Und was das Besuchsprogramm angeht, kann ich mir gut vorstellen, dass eine Stadt wie Shanghai noch andere Möglichkeiten bietet, Touristen informativ zu unterhalten, als sie dreieinhalb Stunden im Museum einzusperren (na ja, das war immerhin das einzige Gebäude der Stadt, das beheizt war).

Die Rückreise begann verspätet gegen 21.00 Uhr mit einem Flug nach Peking. Dort hatten wir vier Stunden Aufenthalt, bevor es nach Hause ging. Am nächsten Morgen um halb sechs Ortszeit waren wir wieder in Frankfurt. Für mich war hier Ende, aber viele Mitglieder unserer Gruppe hatten noch weite Wege vor sich.

Ach ja, ich habe zwei Kilo abgenommen.

 

La Gomera – die Rückkehr der Hippies

„Überall wird getrommelt“.

Das ist schon mal das erste, was einem auffällt, wenn man auf der Kanareninsel La Gomera in Valle Gran Rey landet. Diese Trommelei verhindert, dass man dauernd eindöst, weil sonst so gar nichts passiert. Angie, unsere Bundeskanzlerin, ist auch gerade auf der Insel, weil sie hier wohl tatsächlich mal in Ruhe gelassen wird.

Aber wie, und vor allem wieso kommt man überhaupt hierher? Nun, nach meinem grandios gescheiterten Massentourismus-Experiment auf Gran Canaria wollte ich doch zu gerne rausfinden, was denn die anderen kanarischen Inseln so zu bieten haben. Und vor allem: Gibt es alternative Urlaubsszenarien, Urlaub mit einigermaßen Gleichgesinnten? Das Fazit vorneweg: Das gibt es. Genau hier auf La Gomera. Und man muss dazu auch keinen an der Waffel haben oder als Spät-Hippie verkleidet barfuß durch die Gassen schlurfen.

Jetzt, Anfang April 2016, ist es hier ja schon hübsch warm in der Sonne. So um die 20-22 Grad im Schatten entsprechen fast 30 Grad in der Sonne. Und diesmal fuhr ich auch nicht aufs Geradewohl in den Süden. Nein, diesmal ging alles auf Empfehlung meines Freundes Micky, der hier schon fast dreißig Mal Ferien gemacht hat – das letzte Mal erst vor vier Wochen. Und weil er ohnehin nichts Besseres zu tun hatte, kam er gleich auch wieder mit. Zusammen mit seiner Freundin, die wir hier mal Chris nennen wollen. Und natürlich zusammen mit seiner Trommel, extrem gründlich in Plastik eingewickelt und 15 Kilo schwer.

Der Condor-Flieger landete leider nicht direkt auf La Gomera, weil diese großen Kisten und die wenigen Einwohner der Insel irgendwie wirtschaftlich nicht zusammenpassen. Also fliegt man erst einmal nach Teneriffa. Im Flieger sehr entspannte Atmosphäre, die wir nicht zuletzt einer gut gelaunten Chef-Stewardess verdankten, die die üblichen Ansagen mit sehr viel eigenem Text erweiterte: „Ziehen Sie die Sauerstoffmaske erst sich selbst an, bevor Sie Ihren Ehemännern oder anderen gebrechlichen Personen helfen“.

Oder: „Schön, dass sie bis zuletzt bei uns geblieben sind. Nun warten sie bitte auch noch die paar Minuten, bis das Flugzeug irgendwo angekettet wurde, bevor Sie ihren Gurt lösen“. Das mit dem Essen hat die Condor noch nicht so gut im Griff: Als kostenlose Hauptmahlzeit gab es allen Ernstes nur eine kleine, wabblige Waffel zu essen. Dann doch lieber gar nichts!

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Pappwaffel. Absolut ungenießbar.

Der Flug begann um 12.00 Uhr in Frankfurt und endete gegen halb fünf auf Teneriffa. Dank der deutschen Sommerzeit gab es auch keine Zeitumstellung. Leider hatte die Trommel unter der Reise deutlich gelitten. Irgendein durch und durch unmusikalischer Flughafentroll hatte das Ding dermaßen aufgedotzt, dass es böse Risse bekommen hatte und überall Holzsplitter rausguckten. Micky war sauer. Und das mit Recht.

Am Flughafen von Teneriffa Süd haben wir drei uns dann ein altes Mercedes-Taxi geschnappt und sind die ca. 25 Kilometer zum Hafen gefahren. Hier hatten wir nun die Qual der Wahl. Gleich zwei Fährunternehmen buhlten hier um Passagiere, beide fuhren leider in etwa um dieselbe Zeit, also erst in zwei Stunden. Also hieß es, mal wieder zu warten. Beim Ticketerwerb zeigte sich einer der Vorteile des Älterwerdens: Statt 32.- Euro musste ich nur 25.- Euro für die Überfahrt bezahlen! Mein Alter wurde hierfür nicht etwa geschätzt (sonst hätte ich natürlich den vollen Tarif bezahlt J ), sondern mittels meines Personalausweises ermittelt. Und da steht halt so ´ne blöde Zahl drin, die mich zum alten Mann abstempelt. Bei Kaffee, Wein und Wasser ging die Wartezeit in der Hafen-Cafeteria aber schnell vorbei. Die Fähre war ein Riesenungetüm aus den 1950er-Jahren mit entsprechendem Interieur. Es passten unglaublich viele Autos und LKW hinein, von Menschen ganz zu schweigen. Natürlich wurden wir von der anderen Fähre, die nach uns startete, unterwegs eingeholt. Man kennt das ja von der Supermarktkasse.

Bis wir dann unseren Mietwagen abgeholt hatten, war es schon 20:30 Uhr. Doch wir waren noch lange nicht am Ziel. Jetzt mussten wir noch eine ca. 50 km lange Passstraße mit genau 419 engen Kurven und Serpentinen zurücklegen. Micky hatte sich bereit erklärt, den Chauffeur zu spielen, weil er die Strecke ja schon so oft gefahren war. Der einzige Weg zu irgendeinem der wenigen Dörfer auf La Gomera führt immer über den Gipfel des Vulkans, weil man keine Straße rings herum bauen kann. Na gut, man könnte das schon, aber wer soll das bezahlen? Die EU hatte schon die Renovierung der Passstraße großzügig gefördert, da muss man einfach mal dankbar sein. Ohne die Leuchtreflektoren an den Straßenrändern wären wir so manches Mal im Graben gelandet. So etwa am Gipfel des Vulkans wurden wir dann auch noch von dichtem Nebel überrascht. Chris, die immer alles weiß, wusste zu berichten, dass die Bäume den Nebel „melken“ und auf diese Weise überhaupt das Wasser nach La Gomera bringen. Wir beide hatten ziemliche Angst und mussten Micky immer wieder dazu verdonnern, langsamer zu fahren, aber letztendlich kamen wir doch heil in Valle Gran Rey an.

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Micky und Chris

Kurz vor 22:00 Uhr fanden wir dann noch ein feines Restaurant, ABRAXA, das noch geöffnet hatte. Wir waren zwar die Letzten, aber das war egal. Der deutsche Inhaber kochte uns gerne noch ein paar landestypische Leckereien. Zufällig erfuhren wir, dass RTL2 hier demnächst irgend so eine Restaurantkritik-Show drehen will. Werde ich leider nicht sehen können, da ich mir inzwischen immer noch nicht die Mühe gemacht habe, Privatsender in meinem Fernseher zu speichern. Gegen 23:30 Uhr kamen wir dann endlich an unserem Ziel an: einer kleinen Apartment-Siedlung am Fuße des Vulkans namens “Jardin Tropical“. Und das war nun wirklich eine Augenweide. Wunderbar eingerichtete Apartments mit eigener Küche, Bad und Wohnraum. Zusätzlich Sitzplätze VOR und ÜBER dem Apartment. Jede Einheit war anders gestaltet, auf verschiedenen Höhen, teilweise ineinander verschachtelt, aber trotzdem sehr privat. Fußböden aus Natursteinen, wunderschöne Designelemente, kleine Skulpturen, großzügige Dusche, ausreichend viele Schränke und Kommoden und vor allem genügend Steckdosen!

Nur leider kein WLAN.

Dieses leidige Thema verfolgt mich nun schon seit Jahren rund um die Welt. Natürlich gab es irgendwo in einer Ecke des Grundstückes ein mickriges Signal, mit dem man aber so gut wie nichts anfangen konnte. Daher musste mal wieder die Telekom mit ihren Internetpässen herhalten, bis ich am nächsten Morgen eine Lösung gefunden hatte.

TAG 2

Nach einer sehr ruhigen Nacht war ich schon um acht wieder hellwach. Es war eiskalt in meinem Zimmer. Kein Wunder. Es gab ja keine Heizung. Bei höchstens zehn Grad wäre es aber nicht die schlechteste Idee gewesen, wenigstens ein Elektroöfchen zur Verfügung zu haben. War aber nicht. Die Bedienung der Dusche war auch nicht ganz ohne. Der Warmwasser- und der Kaltwasserhahn wurden in entgegengesetzter Weise betätigt. Bis ich das raus hatte, hätte ich mich beinahe verbrüht.

Noch vor dem Frühstück habe ich dann ein paar Sprechaufträge erledigt, die am gestrigen Reisetag eingetrudelt waren. Mein mobiles Studio reist ja bekanntlich immer mit. Das Versenden über Dropbox war über das iPhone (als Hotspot) so gut wie unmöglich. Es musste eine neue SIM-Karte her, mit der ich meinen eigenen mobilen Hotspot füttern konnte. Also ab in die „Stadt“. Das Städtchen ist klein, aber fein. Überall hübsche kleine Läden, kein einziger Kettenladen, wenn man mal von einem „SPAR“-Lebensmittelgeschäft absieht. Und im einzigen Handyladen des Ortes konnte ich auch eine SIM-Karte erwerben, die inkl. 2 GB Transfervolumen nur 15.- Euro kostete. (Und natürlich nicht funktionierte, das war ja klar. Die Karte war nur zum Telefonieren zu gebrauchen. Mit „mobilen Daten“ konnte die Karte nichts anfangen.)

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Bisschen stürmig heut…

Danach lief ich weiter durch die kleinen Gassen bis vor zum Strand. Selbiger ist zwar recht steinig, bietet aber auch ein paar Stellen mit (schwarzem) Sand, wo es sich schon ein paar Urlauber gemütlich gemacht hatten. „Oben ohne“ ist hier kein Thema. Viele junge Paare – oft mit Babys – und auch alt gewordene Hippies fühlten sich offensichtlich sehr wohl im schwarzen Sand. Ich suchte erst einmal eins der vielen Cafés auf, um mit Micky, der dort vorbei lief, ein Käffchen zu verputzen. Im Nu hatten wir Kontakt zu anderen Besuchern der Insel, die ganz begeistert von diesem Fleckchen Erde waren. Sie hatten eigentlich Teneriffa gebucht und wollten nur mal schnell einen Tagesausflug nach La Gomera machen. Nun waren sie schon den zweiten Tag da und wollten überhaupt nicht mehr zurück. Olivia und Peter, so hießen die schöne Österreicherin und Ihr barhäuptiger Freund, gehörten zu dem Schlag Menschen, die einem auf den ersten Blick sympathisch sind. Schade, dass die Beiden schon um 17.00 Uhr wieder zurückfahren mussten.

Nach einem Frühstückssandwich habe ich mir dann wenigstens ein paar Flaschen Wasser fürs Zimmer gekauft, da man das Leitungswasser laut Micky nicht trinken sollte.

Der kurze, aber steile Rückweg zu unseren Apartments trieb meinen Schrittmelder wieder tüchtig nach oben. Leider würde ich aber nicht mehr lange auf meiner Uhr sehen können, wie viele Kalorien ich hier so verbrauchte: ich hatte das Ladekabel der Apple-Watch zuhause an meinem Bett liegen gelassen. Und dass ich hier in diesem Dörfchen ein solches Kabel bekommen sollte, hielt ich für absolut unwahrscheinlich. Also muss ich mir auch noch eine Uhr kaufen. (Trotzdem hat das iPhone meine Bewegungen natürlich weiter gemessen.)

 

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Sonnenuntergang mit Getrommel

Der Mittag verlief genauso ereignislos wie der Morgen: Ein bisschen rumlaufen, gucken, rumsitzen, essen, Wein trinken und eine Runde pennen. Micky und Chris waren zusätzlich noch in der Eisdiele. Ein paar Kilometer entfernt. Zu Fuß, was sonst. Man nennt das wohl URLAUB.

Als ich dann gegen 19.00 Uhr endlich aus meinem Mittagsschlaf aufwachte, besuchte ich Micky, der faul in seinem Apartment im Bett rumlag. Chris war Schwimmen gefahren – irgendwo weit weg, nur mit dem Auto erreichbar. Als wir zusammen Richtung Badestrand liefen, kam sie uns entgegen. Micky hatte seinen großen Trommel-Auftritt am Strand vor sich, und Chris wollte uns dann später zum Essen begleiten. Ich hatte meine Lederjacke im Zimmer gelassen, musste aber erkennen, dass es doch recht schnell kühl wurde. Aber eine neue Jacke (und bei der Gelegenheit eine neue Uhr) waren schnell gekauft. Auf ging es zu Mickys Auftritt!

Also TROMMELN.

Man mag nun kein großer Fan dieser der Musik zugehörenden Instrumentalkunst sein, aber hier auf La Gomera wird das Trommeln hoch geehrt. Zum einen werden die durch Schläge auf Tierfelle erzeugten Bummse vermutlich heidnischen Riten gerecht; zum anderen erfreut es den Trommler, mit seiner Präzision des Anschlags ein gewisses Aufleuchten in den meist weiblichen Fans dieser Schlagfertigkeit zu erzeugen. Außerdem bringt es den einen oder anderen Euro ein, wenn man nach erfolgtem Schlagwerk seine Mütze durch die staunende Menschenmenge schiebt und den hart verdienten Lohn einstreicht. Ein Leben im Luxus ist damit nicht drin, aber für den einen oder anderen Joint scheint es immerhin zu reichen. Sonderlich abwechslungsreich war das Konzert leider nicht. Laut Micky fehlte der Solist der Truppe, der üblicherweise sonst für die Aahs und Oohs sorgte. Einer der trommelnden Buben war auch noch in Personalunion als Feuerschlucker tätig; aber das habe ich dann verpasst.

Wir sind dann lieber was Essen gegangen. Micky hat seine Trommel vorher noch ins Apartment gebracht, weil 15 Kilo Ballast am Abend doch etwas hemmend sind. Auch das heutige Restaurant war wieder fest in deutscher – oder österreichischer – Hand. Wie überhaupt alle Läden und Restaurants, Cafés und Boutiquen von Deutschen, Österreichern oder Schweizern geführt werden. Spanier findet man in diesem Dorf (ca. 6000 Einwohner!) nur hie und da als Kellner oder Verkäuferinnen. So konnte ich mein wunderbares Spanisch so gut wie nie anwenden, weil mir grundsätzlich auf Deutsch geantwortet wurde.

Nach dem höchst vorzüglichen Essen (Ich hatte ein Filetsteak mit grünem Spargel, Kartoffelpüree, Salat und einer vorzüglichen Calvados-Soße mit zerkleinerten Nüssen für 15,90 Euro) sind wir einfach in das Lokal nebenan gezogen, in die Piano Bar. Dort trat gerade eine Jazzband auf. Ein Bassist, ein Schlagzeuger und ein Trompeter rissen das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin.

Und plötzlich trat Olivia ein.

Die schöne Olivia, Mitte dreißig, die eigentlich mit ihrem Freund Peter längst wieder in Teneriffa hätte sein müssen. Die beiden hatten Valle Gran Rey fristgerecht verlassen und waren auch pünktlich an der Fähre. Dummerweise hatten sie aber ihren Personalausweis nicht mitgenommen. Der lag noch gut versteckt im Kühlschrank ihres Apartments. Also blieb ihnen nichts anderes übrig als wieder zurück zu fahren und eine weitere Nacht zu buchen. Das Hallo war groß. Wir vier, also Olivia, Peter, Micky und ich hatten noch viel Spaß an der Bar. Chris war schon etwas früher schlafen gegangen.

Lange nach Mitternacht stolperten wir in unsere Bettchen. Ein schöner Tag. Und ein noch schönerer Abend.

  1. Tag

Um halb neun habe ich das erste Mal auf meine neue 9-Euro-Uhr geschaut. Eindeutig zu früh. Weitergepennt. Um halb elf dann endlich widerwillig aufgestanden. Micky hatte schon an meine Tür geklopft und gefragt, ob ich denn endlich wach wäre. Wir hatten uns am Vorabend noch locker mit Olivia und Peter am Strand zum Frühstück verabredet.

Die beiden kamen kurz nach uns, gut gelaunt wie immer. Und wie das so üblich ist, wenn man neue Menschen kennenlernt, haben wir uns gegenseitig unsere Lebensgeschichten erzählt. Aus Gründen des Datenschutzes will ich die hier nicht in den Blog schreiben, aber die beiden aus Österreich, wohnhaft am Bodensee, waren schon etwas sehr, sehr Nettes, wobei ich Olivia aus naheliegenden Gründen noch eine Portion netter fand als den Peter. Und das Wort „nett“ trifft es auch nur annähernd…

So gegen 12.00 Uhr stand schon wieder das erste Glas Weißwein auf dem Tisch. Peter nutzte die Zeit für einen Blitzbesuch beim Immobilienmakler, fand aber nichts brauchbares, und Micky brachte seine defekte Trommel zu einem Trommeldoktor irgendwo in der Nähe des Marktes. Ach ja, heute am Sonntag war ja Markt. Also sind Olivia, Peter und ich dorthin gelaufen. Jawohl, gelaufen! Einen guten Kilometer steil bergauf! Chris und Micky waren schon da. Wie nicht anders zu erwarten, kannten die beiden so gut wie jeden der Händler, die hier den üblichen handgefertigten Schmuck, selbstgeklöppelte Kinderschuhe oder rhythmische Häkelkurse für Männer anboten. Immerhin gab es auch ein Lokal, in dem es Wein gab. Eine gute Stunde später verließen wir unsere Freunde vom Bodensee unter herzlichen Umarmungen und dem gegenseitigen Versprechen, uns nicht aus den Augen zu verlieren. Ich hoffe, das klappt.

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Wein geht immer.

Micky und Chris überredeten mich, zu Fuß in einen anderen Ort zu laufen, in dem Micky auch schon einige Male gewohnt hatte. Chris wollte dort gerne ein bisschen schwimmen gehen. Dazu kam es dann doch nicht, weil die eine oder andere Pause die Pläne immer wieder veränderten. Schließlich landeten wir in einem kleinen Hafen und aßen spanische Tapas. Leider viel zu viele. Der Weißwein half, die Mengen runterzuspülen.

Weil Micky wieder zurück in das Bergdorf wollte, um seine inzwischen reparierte Trommel abzuholen, verließ ich die beiden und lief zu Fuß am Strand zurück nach Valle Grand Rey, gute drei Kilometer ohne Berge. Nach etwa der Hälfte der Strecke wurde ich von der Seite angesprochen. „Schau mal, da ist ja der Rainer!“ rief eine österreichische Stimme. Da saßen doch allen Ernstes Olivia und Peter vor einem Restaurant und schaufelten Tapas und Wein in sich rein.

„Hey, Ihr wisst aber schon, dass Eure Fähre um 19.00 Uhr losfährt und Ihr noch mindestens eine Stunde braucht, um über den Berg zu kommen?“, fragte ich. Es war inzwischen viertel nach fünf, und das Hauptgericht war noch nicht einmal da. Um drei Minuten vor halb sechs haben wir uns ein weiteres Mal verabschiedet. Ich konnte nur hoffen, dass die Beiden ihre Fähre noch rechtzeitig erreichen würden. Falls nicht, hatten wir uns schon mal prophylaktisch für den Abend verabredet. Tja, manchmal lassen Männer schöne Augen erblinden. Aber die beiden kamen leider nicht zurück. Musste wohl alles geklappt haben. Ich hoffe, dass Ihr Euch bald meldet, wenn Ihr das gelesen habt….

Der Abend endete in einem Restaurant am Strand. Micky trommelte seine Trommelungen, Chris gesellte sich später auf ein Glas Rotwein hinzu und ich hatte mal wieder Probleme mit dem Datenverkehr. Die SIM-Karte schien leer zu sein. Gegen Mitternacht ins Bett. Ich hätte mir gerne noch den aktuellen Spiegel runtergeladen, aber da ich ja internetmäßig mal wieder im Neuland war, war daran nicht zu denken.

Trotzdem war es schon wieder ein schöner Tag. 8,1 Kilometer gelaufen, meldete mein iPhone. Das übertraf meinen Promille-Wert doch um Einiges…

  1. Tag

Ein Tag, an dem in unserem kleinen Kosmos auf den Kanarischen Inseln nichts Weltbewegendes passiert ist. Morgens (also so gegen elf) erst mal Café con leche samt Sandwich verdrückt. Dann habe ich mir von Chris den Schlüssel für unseren Mietwagen geben lassen und im Nachbarort eine Inselrundreise für den nächsten Tag gebucht. Später habe ich dann unsere Vermieterin (natürlich auch eine Deutsche) getroffen und meine Restmiete bezahlt.

Billig ist es hier nicht. Das Apartment kostet ca. 70 Euro die Nacht. Auch zu zweit. Essen und Trinken gehen extra. Nix mit „all inklusive“. Das hat aber natürlich den Vorteil, dann man so nach und nach die besten Lokale findet. Das Restaurant an der Strandpromenade gehörte zum Beispiel nicht dazu. Leider hatte auch das wunderbare Lokal von gestern inzwischen abends geschlossen: Dem Chef ist blöderweise der Koch erkrankt. Nierensteine. Wir hatten quasi das letzte Essen bekommen.

So gegen drei bin ich dann mit Micky zu einem weiteren, recht einfachen Restaurant an der Strandstraße gegangen. Von hier konnte man ganz besonders schön den Sonnenuntergang verfolgen, weswegen die Plätze hier heiß begehrt waren. Ich habe mir einen Salat mit Hühnchen gegönnt, und Micky wartete auf einen Kumpel, der ihn zum Trommelunterricht abholen wollte. Man merkt, dass Micky das sehr ernst nimmt. Nach dem Unterricht war auch fast schon wieder Trommelzeit am Strand. Micky und ich konnten gerade noch einen Käseteller verdrücken. Wobei das Wort „Käseteller“ ein Bild im Kopf entstehen lässt, das mit der Wirklichkeit leider nicht übereinstimmt. Es gab nur EINE Sorte Käse (Ziegenkäse) und EIN Stück Weißbrot. Dafür schmeckte der Wein sehr gut. Während sich Micky mit seinen Buben die Finger wund trommelte, gesellte sich Chris zu mir, so dass ich das Programm nicht zum dritten Mal alleine hören musste.

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Vor meinem Apartment

Nach der Show beschlossen wir dann, noch mal „richtig“ essen zu gehen. Die Auswahl war nun schon deutlich kleiner, da auch viele Restaurants montags ihren Ruhetag hatten. Aber schließlich trauten wir uns doch noch in ein taiwanesisches Restaurant in einer Nebenstraße am Strand, wo das Essen extrem lecker war. Und billig noch dazu.

Es war dann doch schon nach 23.00 Uhr, bis wir in der La Gomera Pianobar auftauchten und uns so eine spanische Gitarren-Kapelle anhörten, die so ziemlich alles, was man mit spanischer Musik verbindet, zum Besten gab. Also auch die Gipsy Kings. Es war nicht sonderlich voll, verglichen mit Sonntag, und die Sammlung mit dem Hut hat angeblich nur 100.- Euro eingebracht. Das veranlasste den Boss Thomas (der übrigens der Ex-Mann meiner Vermieterin ist) anzukündigen, dass die Konzerte demnächst nur noch gegen Eintritt stattfinden könnten. Er könne nicht zulassen, dass die armen Musiker so schlecht bezahlt würden. Weise Entscheidung.

Wir waren mal wieder die letzten, die das Lokal verließen. Die Bedienung, sie heißt Tanja, hat mich mehrfach ganz lieb angelächelt.

Mal sehen, wer morgen spielt.

5.Tag

Die Inseltour, oder besser: Die Inseltortur. Der Bus stand wie verabredet um halb zehn unten am Strand. So nach und nach luden wir weitere Gäste aus den umliegenden Ortsteilen ein. Bis auf zwei Norweger kamen alle aus Deutschland. Das bedeutete aber, dass unsere Reiseleiterin alles zweisprachig von sich geben musste. Und die Dame redete leider wie ein Wasserfall, das Mikrophon viel zu nah vorm Mund.

Ich hatte ja jüngst schon auf Gran Canaria eine Inseltour durchgemacht und nicht viel Gutes darüber zu berichten gewusst. Viel besser wurde es auch diesmal nicht, obwohl die Straßen hier bedeutend besser ausgebaut sind. Es gab nur zwei Situationen, in denen unser Bus bei einer Begegnung mit einem anderen Bus zurücksetzen musste – sonst hatte er überall freie Fahrt. Und dass, obwohl an diesem Tag das Kreuzfahrschiff „AIDA“ angelegt hatte und zusätzliche 2000 Touristen auf den Berg spülte.
Da die ganze Insel eigentlich nur aus Bergen besteht, waren wir auch tatsächlich durchgängig im Gebirge. Und da es nur am Fuß der Berge, also z.B. in Valle Gran Rey, tropisch warm wird, hatten wir den ganzen Tag Temperaturen so um die 12-14 Grad, manchmal mit Nieselregen durchmischt. Auf der „AIDA“ hatte man die Touristen leider nicht darauf hingewiesen, und es sah schon schön dämlich aus, wie die alle in kurzen Hosen und Badelatschen durch den Regenwald kullerten.

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Blick auf Teneriffa

Das erste Ziel war eine Quelle irgendwo ziemlich weit oben, nur durch einen ca. 20-minütigen Fußmarsch erreichbar. Der Marsch wurde dann doch deutlich länger, weil unsere Plappertante jedes Blümelein am Wegesrand erklären musste, zweisprachig natürlich. Das Quellwasser wurde durch morsche Baumstämme in sieben Abfüllstellen umgeleitet. Jeder dieser Wasserspender hatte eine bestimmte Bedeutung. So dürfen Männer nur aus den ungeraden und Frauen nur aus den geraden Quellauslassungen trinken. Wenn nicht, gibt´s Pest oder kein Geld oder 100 Jahre schlechten Sex. Irgend so was halt. Ich habe vorsichtshalber nichts davon getrunken.

Ziel zwei war das Touristenbüro. Hier konnte man sich ein schönes Modell der Insel ansehen. Einmal ringsrum sind nur 98 Kilometer! Und hier gab es auch einen Eklat mit unserer Reiseleiterin. Eine der Tourteilnehmerinnen unterbrach ihren Redeschwall und bat sie, nicht dauernd so unpräzises Zeug von sich zu geben. So gäbe es kein „Weltkulturerbe“ mehr, sondern nur noch ein „Welterbe“, das die Kultur mit einschließt. Und das Geschwätz über die ganzen Pflanzen würde ihr gewaltig auf den Keks gehen. Die Getroffene jaulte auf, dass das doch alle interessant fänden – und überhaupt würde sie ja gar nicht alles sagen können, weil sie ja ständig von der Tourteilnehmerin unterbrochen würde. Da muss es also schon vorher gewaltig gekracht haben. Leider kam es dann doch nicht zum Schlammcatchen – die beiden haben sich einfach keines Blickes mehr gewürdigt.
Und dann haben sie mich vergessen. Jawohl, vergessen. Ich war kurz auf der Toilette, die ca, 100 m entfernt war und kam ca. eine Minute zu spät zum Treffpunkt zurück (weil die Toilette auch von AIDA-Reisenden besucht wurde…). Es war keiner mehr da. Eigentlich schade, weil es jetzt zum Mittagessen gehen sollte. OK, sagte ich zu mir, mach´ Dich nicht verrückt. Gehste halt solange in den Bus. Nur war der Bus leider auch nicht mehr da. Weg war er, einfach weg. Ich bin zweimal über den ganzen Parkplatz gelatscht und habe mir jeden Bus genau angesehen. Mein Bus war nicht mehr da. Nun wurde ich schon ein bisschen nervös. Wie sollte ich hier wegkommen? In einem anderen Bus mitfahren? Würde sicher nicht klappen. Taxis gab`s auch keine. Also fragte ich einen der Buschauffeure. Auf spanisch natürlich. Und so erfuhr ich, dass unser Restaurant ca. 300 Meter links vom Standort sein sollte. Also bin ich die Richtung gelaufen. Es waren zwar eher 400 Meter, aber als ich den Bus davor stehen sah, wusste ich, dass ich richtig war. Drinnen hatte man noch gar nicht bemerkt, dass ich fehlte, obwohl genau ein Platz unbesetzt war. Der Plappertante war das Ganze sehr peinlich. Vom Essen hatte ich nur eine Knoblauchpastete, die ich sowieso nicht angerührt hätte und eine inzwischen erkaltete Suppe verpasst. Zum Hauptgericht, Thunfisch mit Kartoffeln, kam ich also gerade richtig. Es gab auch Rot- oder Weißwein, den ich aber um diese Uhrzeit noch nicht trinken wollte. Nach einem typischen Nachtisch (Pudding mit „Palmhonig“) ging die Tour dann weiter. Palmhonig darf der Saft übrigens laut EU-Verordnung nicht mehr heißen, da es sich ja gar nicht um Honig handelt. Offiziell heißt er jetzt Palmsirup, was natürlich kein Mensch sagt.

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Die Beleuchtung beim Sonnenuntergang ist phänomenal.

Das nächste Ziel war die Stadt „Agolo“ in ca. 200 m Höhe. Von hier hatte man einen traumhaften Blick auf den schneebedeckten „Teide“ der Nachbarinsel Teneriffa. Das Städtchen ist wohl bekannt dafür, dass es viele original erhaltene Häuschen aus der Frühzeit La Gomeras bietet. Mir ist es vor allem dafür aufgefallen, dass es so gut wie keinen ebenen Weg gibt. Entweder geht es bergauf oder bergab. Nach der Stadtbesichtigung war ich absolut groggy.

Der Bus fuhr dann in ein weiteres Kaff, in dem wir uns mit dem Töpferhandwerk befassen sollten. Drei kleinste Töpfereien mit alten Muttchens drin sollten uns dazu bringen, hässliche Teller oder Pötte zu erwerben, die kein Mensch sich freiwillig in die Küche stellen würde. Zum Glück gab es noch eine Kneipe, in der ich mir einen Kaffee hinter die Binde gießen konnte.

Der letzte Punkt des Ausflugsprogramms fiel buchstäblich ins Wasser. Wir sollten eigentlich ein wenig durch den original Regenwald kriechen und uns dabei von unserer Quasselstrippe mit dem bayrischen Dialekt Fauna und Flora erklären lassen. Zum Glück war der Regen so stark, dass keiner aussteigen wollte.

Dann fuhr der Bus wieder zurück nach Valle Gran Rey. Auf dieser letzten Etappe erzählte uns die Dame am Mikrophon endlich die Geschichte La Gomeras, nicht ohne sich pausenlos zu entschuldigen, dass sie gar nicht genug Zeit hätte, uns alles zu erzählen. Und so konnte ich mir auch nur merken, dass die ersten Menschen ca. 3000 Jahre vor Christus auf dieser Insel gelandet sein müssen. In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts war die Insel ein beliebter Treffpunkt für Hippies aus aller Welt und vor allem aus den deutschsprachigen Gebieten. Daher rührt wohl auch die Tatsache, dass die Landessprache nicht etwa spanisch, sondern deutsch ist. Dann kommt erst noch englisch, bevor man mit spanisch verstanden wird.

Als Madame sich von ihren Gästen verabschiedete, legte sie uns noch nahe, ihr und dem Busfahrer ein Trinkgeld zu geben. Merkwürdig, dass am Ende ihrer Rede nicht mal ein einziger Gast geklatscht hat. Totenstille. Und da war auch schon meine Haltestelle. Schnell raus und weg. Das war mal so gar nichts.

Ich habe mir dann schnell mal unser Auto ausgeliehen und am Automaten frisches Geld besorgt. Nicht wenig davon habe ich dann abends beim Inder wieder ausgegeben. Während Micky seinen obligatorischen Trommelauftritt absolvierte, ging ich mit Chris schon mal in die La Gomera Lounge, also die Pianobar. Dort waren wir die ersten Gäste. Aber der Laden füllte sich schnell, weil heute zwei phantastische Flamenco-Gitarristen angesagt waren. Hatte ich schon erwähnt, dass es auch eine phantastische Bedienung gab, Tanja? Ja, ich weiß, meine Leser werden es mir übelnehmen: Eben noch ein klopfendes Herz für Olivia und kaum zwei Tage später ein lüsterner Blick auf Tanja. Aber seien wir doch mal ehrlich: Das Ganze spielte sich ohnehin nur in meinem Kopf ab; die Damen waren doch längst versorgt. Und die Hoffnung schwindet zuletzt. Es ist noch nicht aller Tage Abend.

Nur DIESER Abend war vorbei. Wieder fast die Letzten gewesen.

  1. Tag

Das Dorf leerte sich. Die meisten der Touristen, die man jeden Tag wie Statisten in einem Spielfilm alle paarhundert Meter gesehen hat, waren wieder in ihre Büros zurückgeflogen. Vereinzelte Neuzugänge und auch ein deutlicher Temperatursturz konnten nicht darüber hinweglügen, dass die Saison auf La Gomera jetzt erst mal vorbei war. Seit heute zahlte ich auch keinen Saisonaufschlag für mein Apartment mehr. Der Strand war völlig verlassen, was angesichts der kühlen Temperatur und vor allem wegen des starken Windes kaum verwunderlich war. Diesen Widrigkeiten zum Trotz hatte ich mir morgens Shorts angezogen. Shorts, die ich auf Gran Canaria gekauft hatte und noch nie anprobiert hatte. Sie passten so gut, dass sie sogar ständig runterrutschten. Dem Gürtel fehlten an den entscheidenden Stellen leider ein paar Löcher. Na schön, hier fiel es wenigstens keinem auf. Schon gar nicht, wenn man an der Strandpromenade seinen Kaffee schlürfte und seine Mails checkte. Inzwischen hatte ich in fast allen Restaurants oder Cafés Wireless-Lan-Passwörter erhalten, so dass der elektronische Verkehr einwandfrei funktionierte.

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Das blieb mir zum Glück erspart…

Die Hippies waren allerdings noch da – und jetzt sah man auch, dass es ganz schön viele waren, die ihren Lebensmittelpunkt auf diese Insel verlegt hatten. Und ohne Hilfe von außen würde auch keine der Gestalten diese Insel je verlassen können. Das bisschen Geld, das sie mit dem Verkauf ihres selbstgebastelten Schnickschnacks erzielten, würde nicht einmal für die Fähre nach Teneriffa reichen. Wer braucht auch schon Freundschaftsbändchen oder bemalte Steine in nennenswerten Mengen? Verkaufen durften sie ihre Produktion nur sonntags auf dem schon erwähnten Markt. Die sonst üblichen abendlichen Stände sind auf der Insel verboten, um den einheimischen Geschäften keine Konkurrenz zu machen. Aber sie sind friedlich. Sie nerven oder betteln nicht. Sie bleiben unter sich, werfen Tücher in die Luft oder trinken Bier, für das die Kohle anscheinend immer reicht. Die Trommler gehören dann schon zu einer besser gestellten Klasse, teilweise mit eigenem Auto – wie Thorsten, der Trommellehrer von Micky. Dass Micky in diesem Jahr erstmalig mittrommeln durfte, ist eine ganz besondere Ehrung für ihn. Er wurde natürlich nicht an den Einnahmen beteiligt, hatte sich aber dennoch recht professionell in das Team eingefügt. Natürlich wurde er dabei von Thorsten unterstützt, der sich seine Trommelstunden ja auch fair bezahlen ließ.

Am Nachmittag sollte ich die beiden zum Unterricht begleiten und Thorsten dabei auf Video aufnehmen, damit Micky dann zuhause weiter üben kann. Dazu fuhren wir ca. einen Kilometer aus dem Ort hinaus, Richtung „Playa des Inglese“, den es hier natürlich auch geben musste. Dort war es so einsam, dass keiner von der Trommelei gestört wurde. Außer uns waren nur ein paar Nackedeis in den Dünen, die sich hier bei Wind und Wetter nahtlos braun brutzelten. Nach einer guten halben Stunde musste ich die Videoproduktion leider abbrechen, weil mich ein S.O.S. –Ruf eines Kunden erreichte. In einem Messevideo war versehentlich eine falsche Zahl aufgenommen worden. Da die Messe schon lief, musste schnellstens eine Korrektur her. Zum Glück hatte ich noch im Kopf, welcher französische Kollege den Text gesprochen hatte – und zum Glück schickte er mir die Aufnahme nach nur einer halben Stunde zu. Kunde glücklich, Sprecher glücklich (100.- Euro extra), ich glücklich.

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Das alltägliche Urlaubsmotto

Zum Abendessen (vor der obligatorischen Trommelshow) landeten wir wieder im Abraxas, aber auch dieses Mal wurde mir nicht klar, warum RTL2 dieses Restaurant testen will. Es war alles recht ordentlich und schmeckte lecker, aber als besonderes Gourmet-Highlight konnte man das Essen beim besten Willen nicht bezeichnen. Der erste Wein des Tages schmeckte mir gar nicht.

Der Zweite Wein in der Gomera Lounge erst recht nicht. Das lag nicht am Wein, sondern daran, dass ich völlig am Ende war. Ich war in den letzten Tagen viele Kilometer gelaufen und noch mehr Treppen gestiegen. Irgendwann macht der Körper halt nicht mehr mit. Ich habe mir noch die ersten drei Nummern einer hervorragenden polnischen Mädchenkapelle angehört, mich dann aber Richtung Heia verabschiedet. Tanja hat ganz traurig geguckt. Wahrscheinlich weniger wegen mir als wegen des verlorenen Trinkgeldes…

  1. Tag

Ab hier gibt es eigentlich keine Neuigkeiten mehr, nur noch Klatsch und Tratsch. Das Leben hat sich eingespielt. Lange schlafen, frühstücken, spätes Mittagessen am Strand, rumlaufen, Trommeln zugucken oder auch nicht, essen und Gomera Lounge. Ich habe mir leider einen schmerzhaften Muskelriss in der Schulter zugezogen, den ich derzeit nur mit Ibuprofen aus Mickys Reiseapotheke bekämpfen kann. Micky hatte am Abend Probleme mit Thorsten, der nicht zum Trommeln auftauchte. Das wäre nicht so schlimm, wenn nicht Mickys Trommel noch in seinem Wagen gewesen wäre. So musste er also erstmals ausfallen. Die anderen Trommler hatten sich wohl auch ein wenig verzankt, so dass das abendliche Spektakel von nur noch drei Leuten ausgetragen wurde. Das Wetter hatte wieder seine gewohnte Qualität erreicht, und ein weiteres Restaurant erfreute uns mit hervorragendem Essen. Pünktlich um 18.00 Uhr deutscher Zeit konnte ich den aktuellen SPIEGEL runterladen, sodass ich also auch genügend Lesestoff hatte. In der Gomera Lounge war am Abend ein Liedermacher zu hören, der vom Hauspianisten und einem der vielen Trommler unterstützt wurde. Ab 22.00 Uhr legte dann eine deutsche DJane CDs auf. Das war für mich als ehemaligen DJ eine Zumutung. Es gab nicht einen einzigen Übergang, den man als solchen hätte stehen lassen können. Nein, sie spielte alle Platten vom ersten bis zum letzten Ton, mit einer schönen Pause zwischen den Titeln. Na ja, die Musik war für das eher ältere Publikum ganz passend. Auch für Micky, der natürlich sofort auf der Tanzfläche stand und hüpfte. Habe Tanja gefragt, ob sie am Sonntag, also ihrem freien Tag, mit uns essen gehen wollte. Wollte sie nicht; die Oma wäre zu Besuch. Die Antwort kam so aus der Pistole geschossen, dass man davon ausgehen kann, dass dies ihre Standard-Antwort für Typen wie mich ist. Um halb eins hatte ich genug von Wein, Weib und Gesang und ging mit vorsichtigen Schritten nach Hause. Micky tanzte immer noch, derweil auf spanische Flamencomusik.

  1. Tag

Samstag. Mit schrecklichen Schmerzen in der Schulter aufgewacht. Weitere Ibuprofens eingeworfen. So gegen 16.00 Uhr wurde es dann besser. Sonst war nichts los. Rumsitzen, rumlaufen, Rum trinken. Nee, Gin Tonic war´s. Micky hat seine Trommel wiederbekommen und gleich ein weiteres Gastspiel gegeben. Diesmal waren sie nur noch zu zweit. Dann kam uns Tanja entgegen, völlig verkatert. Sie muss am gestrigen Abend noch reichlich viel getrunken haben. In diesem Zustand konnte sie auch nicht arbeiten. Die Gomera Lounge musste am Abend ohne sie auskommen. Ich auch.
Zum Abendessen haben wir uns mit Johann und Silke getroffen, die beide auch in unserer Apartmentanlage wohnen. Johann sieht aus wie Richard Gere, hat einen Lehrstuhl an der Uni in Brandenburg und saniert Firmen. Das heißt, er lässt sich dort in den Vorstand berufen und saniert dann 3 – 5 Jahre rum, bis aus den schwächelnden Firmen wieder gewinnbringende Juwelen geworden sind. Wenn er dieses Ziel erreicht hat, sucht sich das nächste Ziel. Das Ganze ist eine solide WinWin-Situation. Nur fehlt ihm mittlerweile (er ist 55) etwas die Puste, täglich um die Welt zu jetten. Johann wohnt am Bodensee. Ein beeindruckender Mann, ohne Frage.

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Sooo kan man auch essen…

Um 23.00 Uhr war dann wieder Disco angesagt. In der Gomera Lounge spielte heute eine sehr witzige Band mit einer süßen Sängerin, die allerdings etwas schrill sang. Micky tanzte mal wieder durchgehend, teilweise sogar mit Chris, die aber bald nach Hause ging. So wie sie das jeden Abend machte. Als Bedienung war heute eine hübsche Spanierin hinter der Theke, die ich auch schon die anderen Tage lieb begrüßt und verabschiedet hatte. Als ich ihr sagte, dass dies mein letzter Tag in der Lounge wäre, war sie sichtlich traurig und hat mich nochmal herzlich umarmt. Irgendwie kam ich mit den Bewohnern des Ortes wunderbar klar. Auch die meisten der Besucher unterschieden sich grundlegend von der Belegung eines All-Inklusive-Hotels wie z.B. neulich in Las Palomas. Viele Künstler, auch Lebenskünstler, interessante Biografien, kluge Meinungen, spannende Diskussionen und und und. Irgendwie erinnerte mich der Ort ein kleines bisschen an Ao Sane auf Phuket, nur viel sauberer und luxuriöser. So gegen eins ins Bett.

  1. Tag

Der letzte Tag vor der Rückreise war angebrochen. Frühstück wie immer in der kleinen Dulceria am Strand, dann ein weiterer Besuch des Marktes. Inzwischen kannte ich ja die meisten der Händler (die alle auch als Trommler tätig waren) und konnte mich entsprechend frei bewegen. Und plötzlich sah ich Tanja. Sie war nicht allein. Ob Ihr es glaubt oder nicht, sie hatte ihre Oma dabei. Ich hatte ihr also Unrecht getan. Falls Du das jemals liest, liebe Tanja, bitte ich Dich hiermit um Verzeihung, Dir eine Ausrede unterstellt zu haben, um nicht mit uns essen zu gehen. Leider kam ich gar nicht dazu, mit den Beiden ein paar Worte zu reden, da Chris dringend etwas essen wollte und wir alle zusammen dann zu einem traumhaften Restaurant im alten Dorf gefahren sind, das einige hundert Meter höher lag. Chris und ich sind gefahren, Micky ist natürlich gelaufen. Ich bin aber nach dem Essen immerhin den kompletten Heimweg selbst zu Fuß gegangen! Insgesamt heute schon wieder fast 8 Kilometer! Danach ein wenig gefaulenzt und am Strand ein paar Tassen Kaffee getrunken. Micky hatte seinen üblichen, auch diesmal reduzierten Trommelauftritt. Unser Abschiedsessen fand dann wieder beim Inder statt. Leider war der Wein schauderhaft und warm. Das Essen war sehr fettig und roch unangenehm. Wir waren die einzigen Gäste, wenn man von den Besitzern des Lokals, zwei blonden deutschen älteren Damen, mal absah. Angesichts der bevorstehenden Abreise früh ins Bett.

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Die Fassade der Strandpromenade

Nein, nicht ganz so früh wie geplant: Als ich zur Sicherheit noch einmal mein Flugticket kontrollierte, war mir klar, was ich falsch gemacht hatte. Der Flieger sollte um 16:15 Uhr starten. Das stimmte. Aber nicht morgen, sondern heute!!!!

Ich war einen ganzen Tag zu lange in Valle Gran Rey geblieben! Zitternd rief ich bei der Condor an und fragte, ob man den Flug umbuchen könne. Konnte man natürlich nicht, aber man bot mir einen Ersatzflug am nächsten Tag um 16:15 Uhr an. Kostete „nur“ 260.- Euro. So gesehen, war der letzte Tag auf La Gomera auch mein teuerster. Jedes Mal, wenn ich nachts aufwachte und daran dachte, wie blöd jemand sein muss, sein Flugzeug zu verpassen, ging mein Puls auf 180. „Rainer“ ist ab sofort die kleinste Deppeneinheit.

Wahrscheinlich muss ich auch noch einen weiteren Tag im Apartment bezahlen, falls die Besitzerin das irgendwie mitbekommen sollte. Da sie aber am Freitag nach Thailand geflogen war, konnte ich dieses Risiko vernachlässigen.

  1. Tag

Pünktlich um 8:45 Uhr aufgestanden und das Apartment geräumt. Micky fuhr mich freundlicherweise quer über die Insel zum Hafen, von wo mich die Fähre nach Teneriffa rüberbringen würde. Ich gehe mal davon aus, dass die Rückreise auch wieder etwa 12 Stunden dauert. Sollte noch etwas Bedeutendes passieren, trage ich es später nach. Vorerst endet hier der Reisebericht. Die Bilder kommen im Laufe der Woche.

 

FAZIT:
La Gomera, und vor allem Valle Gran Rey ist großartig! Ein kleines verspieltes Kaff mit netten Lokalen, sehr netten und freundlichen Menschen, toller Architektur, prima Wetter, tollem Strand und gerade so viel Abwechslung, dass man wirklich das Gefühl hat, sich im Urlaub zu befinden. Nächstes Jahr will ich wieder hin. Hoffentlich kommt jemand mit. Es lohnt sich, und zwar nicht nur wegen mir …