Mit der Titanic in die Türkei

  1. Ein mehrseitiger Prospekt des Reiseunternehmers RSD („Reiseservice Deutschland“) fiel aus der Zeitschrift Titanic. Unter der Schirmherrschaft von niemand geringerem als dem TV-Journalisten Dieter Kronzucker warb das Unternehmen für eine Studienreise von Istanbul bis runter nach Antalya. Im Reisepreis eingeschlossen wären Flug, Transfer, Busreise, Reiseführer, sieben Übernachtungen und eben so viele Frühstücke. Ich schreibe den Preis jetzt nochmal hier hin: Der ganze Spaß sollte nur NEUNUNDNEUNZIG Euro kosten! Da fragt sich doch jeder: Wie soll das denn gehen? Die Antwort vorab: Es geht natürlich nicht. Es geht ganz und gar nicht. Es ist um ein Vielfaches teurer, aber dennoch als preiswert und vor allem „den Preis wert“ zu bezeichnen.

    Lecker Döner in Istanbul

    Doch der Reihe nach. Nachdem sich Dagmar sofort bereit erklärt hatte, mit mir diese Reise zu testen, habe ich bei „RSD“ angerufen. „Guten Tag, werter Titanic-Leser. Was kann ich für Sie tun?“ Angesichts der Aussicht, sieben Tage mit intelligenten Satire-Liebhabern und derer geschliffenen Konversationen zu verbringen, bat ich um zwei Plätze für je 99.- Euro. Nun stellte sich zunächst mal heraus, dass die 99.- Euro-Plätze „leider, leider“ schon ausverkauft seien. Frei waren nur noch diverse Termine, die für mich sehr ungünstig lagen und auch deutlich teurer waren. Je fortschreitender Kalenderwoche erhöhte sich nämlich der Preis ein wenig. Außerdem gab es Zuschläge auf bestimmte Termine und Abflughäfen. Um meine Arbeit nicht zu sehr im Stich zu lassen, wählte ich die Woche über Ostern (von Mittwoch bis Mittwoch). Die kostete jetzt schon 330.- Euro, was aber angesichts der zu erwartenden Leistungen immer noch als günstig zu bezeichnen war.

    Die Reiseunterlagen kamen wenige Tage vor Beginn der Reise. Es machte mich zwar ein wenig stutzig, dass die RSD-Werbung nun auch im Spiegel erschien, aber das war ja aus intellektueller Sicht kein Manko. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt gewusst, dass der Prospekt aus so ziemlich jeder regelmäßigen deutschen Publikation fiel, einschließlich jeder besseren Hundezüchterzeitung, wäre ich vielleicht noch abgesprungen. So aber: Mut wird belohnt! 330.- Euro für die oben erwähnten Leistungen ist absolut unschlagbar, selbst in der Wintersaison.

    Inmitten der Hagia Sophia

    Und der Winter spielte uns ja in diesem Jahr wirklich übel mit. Minus zwei Grad waren es, als wir von unsrem Freund Eddie morgens um fünf abgeholt wurden, um uns zum Flughafen bringen zu lassen. Danke nochmals für diese heroische Leistung!

    Um pünktlich 7:45 Uhr stieg der Airbus A 320 auf. Das ganze Flugzeug war von RSD gechartert worden, so dass wir schon mal zwei Stunden Zeit hatten, uns unsere künftigen Gesprächspartner näher anzusehen. Vielleicht lag´s am frühen Morgen, vielleicht an meiner fehlenden Sensibilität, aber Titanic-Leser konnte ich beim besten Willen nicht ausmachen. Oder sie hatten sich sehr gut verstellt.
    In Istanbul wurden wir dann auf sechs verschiedene Busse aufgeteilt. „Aha“, dachte ich mir, „die Zuordnung der Passagiere findet erst jetzt statt.“
    Tat sie aber nicht. Vielleicht waren wir im falschen Bus oder es war kein einziger Titanic-Leser auf den Prospekt hereingefallen. Da man sich das Alter eines Satireblatt-Lesers nicht sonderlich gut vorstellen kann (lesen junge Leute überhaupt noch?), fand ich es nicht befremdlich, dass fast alle Mitreisenden der Generation 60+ angehörten. Gerade mal zwei Teenies fielen in dem Graukopfgewirr positiv auf. Wir die wohl hier reingeraten waren? Erschreckend auch die hohe Anzahl an Studienräten, die sofort an Cordhose (Mann) oder praktischer grauer Kurzhaarfrisur (Frau) zu erkennen waren. Immerhin hatten wir – dank einheitlicher Osterferien – viele deutsche Zungen an Bord: aus Franken, aus Schwaben, aus Saarbrücken und aus Hessen natürlich. Hochdeutsch sprach so gut wie niemand.
    Istanbul bei Nacht
    Doch, der Reiseleiter. Der sprach ein ausgesprochen gutes Deutsch. Hatte er in der Schule gelernt. Außerdem war er mit seinem Vater des Öfteren in Deutschland. TUNC hieß er, wobei man sich bei dem „C“ einen kleinen Haken unten dran denken muss, sodass man seinen Vornamen wie „Tunsch“ ausspricht. Der Nachname ist in der Türkei nur für Behörden von Interesse. Tunsch (ich schreibe ihn jetzt weiter so, um nicht zu verwirren und weil ich das Sonderzeichen auf meinem Laptop nicht finden kann…) zählte uns ab (insgesamt bis zum Ende der Reise gefühlte tausend Mal) und stellte sich vor. Ein typischer türkischer Macho – das war der erste Eindruck. Glatze, dicke Silberringe, sehr teure und modische Kleidung, exquisite Accessoires, dicke Tätowierung am Unterarm, ein Gang wie ein Seemann und ober-ober-ober-ober-cool. Optisch sah er ein bisschen aus wir der kleine Bruder vom Kölner Tatortkommissar Schenk. Als Türsteher würde er sich auch perfekt machen.
    Aber – wie so oft täuscht der erste Eindruck: Der Mann war gebildet, hatte Germanistik studiert und dann aus pekuniären Gründen in den Tourismus gewechselt. Was man ihm hoch anrechnen musste: Er hat uns die Türkei aus einer sehr westlichen Sicht vorgestellt, die den meisten Deutschen eher unbekannt sein dürfte. Die Vorstellung der meisten Deutschen resultiert aus durchaus oft grenzwertigen Erlebnissen mit türkischen Gastarbeitern. Die Türkei – jedenfalls, das, was wir gesehen haben -, ist eine hochmoderne Nation mit sehr demokratischen Ansichten. Auch wenn die derzeitige Regierung innerhalb der zehn Jahre, in denen sie jetzt regiert hat, versucht, der Bevölkerung eine konservativere Ansicht aufzudrücken, so werden diese vom Volk nicht umgesetzt oder anerkannt. Zumindest in den Großstädten (und den Tourismuszentren) läuft keine Frau mit Kopftuch rum. Das Gejaule aus den Lautsprechern der Moscheen blendet unser Gehirn schnell weg – außer morgens um halb fünf. Ist mir eh ein Rätsel, wer da schon aufsteht, um zu beten…
    Trümmerreste aus Troia
    Tunsch erklärte also im Bus den Reiseverlauf. Dann sprach er davon, dass es ratsam wäre, ein oder zwei Zusatzprogramme zu buchen, um wirklich in den vollen Genuss der Reise zu kommen. Denn wie wir ja wussten, waren bisher das Mittag- und Abendessen nicht im Preis enthalten. Um nun wenigstens das Mittagessen zu erhalten, sollten wir die Bosporus-Flussfahrt mit buchen. Das wäre ohnehin sehr empfehlenswert, weil aufgrund der Verkehrssituation in Istanbul die Busfahrt sonst drei bis vier Stunden dauern könnte. Also gut, warum nicht. 150.- Euro für sieben Mittagessen und eine Flussfahrt ist da ein fairer Preis. Ach ja, wenn man auch die Eintrittskarten zu den ganzen Sehenswürdigkeiten haben möchte, sollte man das Zusatzpaket zwei wählen, das außerdem acht Abendessen enthielt. 158.- Euro. Wer beide Pakete nimmt, zahlt 258.- Euro. Gebongt. Wie man eine Studienreise durchstehen soll, ohne Eintritt zu den Sehenswürdigkeiten zu haben, hat sich mir allerdings nicht ganz erschlossen. Aus den 99.- Euro waren jetzt schon 588.- Euro geworden.
    Tunsch verkaufte die Zusatzpakete so routiniert, dass absolut alle den Zusatzkosten zustimmten.

    Der Bus legte an der Bosporus-Brücke an und wir bestiegen eins der üblichen Ausflugsschiffe. Abreise war erst, als alle sechs Busse angekommen waren und die insgesamt 200 Passagiere einen Platz gefunden hatten. Inzwischen war es ca. 14.00 Uhr nachmittags und wir hatten gewaltigen Hunger. Um so dankbarer waren wir, dass Bedienstete des Schiffes warmes Käsebrot und Tee austeilten. Während Tunsch uns die Stadt erklärte, kamen wir ins Gespräch mit einem pensionierten Studienrat, der seine Landkarten aus dem ersten Gipskrieg mitgebracht hatte und von uns wissen wollte, wo jetzt eigentlich das „Goldene Horn“ sei? Google-Maps konnte das Problem schnell lösen. Die kleine Auskunft (und ein paar Mails) veranlassten die Deutsche Telekom allerdings, mich darauf hinzuweisen, dass mein Datenvolumen mittlerweile auf 40.- Euro angewachsen sei. Erschrocken stellte ich mein iPhone ab. Die Käsebrötchen und der Tee kosteten zu allem Überfluss dann auch noch 11.- Euro. Ein paar Mutige, die am helllichten Tag bereits RAKI in sich reinschütteten, mussten noch einiges mehr zahlen. Nun war uns klar, dass unsere beiden Zusatzpakete erst am Abend im Hotel beginnen würden.

    Stalagmiten und Stalagtiten, wo man hinschaut
    Und das war einfach toll. Das Hotel. Nur unsere Gruppe wurde hier eingecheckt. Keine weiteren Gäste. Ein kleines Stadthotel namens Listana hat uns mit dem Tag und den ganzen Zusatzkosten versöhnt. Tolles Zimmer, WLAN so schnell wie bei mir zu Hause, wunderbares Essen (serviert, kein Büffet!) und sehr freundliches Personal. Nur die Getränke gingen (natürlich) extra. Wir saßen an einem eigenen Tisch, die anderen vorsichtig belauernd. Wie ein Titanic-Leser sah da niemand aus. Der Herr Kronzucker hatte sich auch bisher noch nicht vorgestellt.
    Am nächsten Tag wurden wir um halb sechs geweckt. Und das sollte so in etwa jeden Tag die Zeit sein, an der man uns aus dem Bett schmiss.
    Ich erspare es mir jetzt, die ganzen touristischen Höhepunkte aufzuzählen, die wir nun jeden Tag zu sehen bekamen. Zum einen habe ich die meisten Namen schon wieder vergessen, zum anderen interessiert das jetzt nicht in diesem Blog. Man kann das wunderbar bei Wikipedia nachlesen oder Dagmar fragen. Wie immer, hat sie jedes Detail für immer gespeichert. Nur so ein paar Stichworte: Wir waren Troia (das Troianische Pferd hatte leider gerade eine Auszeit in der Werkstatt), wir haben den Taurus überquert, Antalya besichtigt und eine Unmenge kaputter Steine bestaunt. Das Fazit ist entscheidend: Es hat alles unglaublich gut funktioniert! Die Hotels hatten 4 oder 5 Sterne, das Essen war lecker, gesund und ausgewogen. Die Frühstücksbüffets waren ein Traum. Alle, ich betone ALLE Menschen um uns herum waren immer sehr freundlich und hilfsbereit. Tunsch verkürzte uns die teilweise längeren Fahrzeiten mit sehr unterhaltenden Geschichten. Besonders gelacht haben wir über seine Schilderung des türkischen Alltags.
    Die Frau steht sehr früh auf und räumt die Wohnung auf. Vielleicht waren am Vorabend Gäste da oder man hat etwas Raki getrunken. Dann weckt sie die Kinder, wäscht sie, macht ihnen Frühstück und sorgt dafür, dass sie in die Schule kommen. Nun darf auch ihr Mann aufstehen. Sie reicht ihm das Handtuch beim Waschen und lässt ihn in Ruhe frühstücken. Dann kümmert sie sich um ihren Haushalt, während der Mann ins Kaffee geht, um zu philosophieren. Das heißt, er liest die aktuellen Zeitungen und tauscht mit seinen Freunden Meinungen aus. Dazu trinkt man ein paar Tassen Tee, raucht die eine oder andere Zigarette und geht dann zum Mittagessen nach Hause. Der Nachmittag gestaltet sich ähnlich. Das soll nun nicht heißen, dass der Mann nichts zu tun hat. Er entscheidet die wirklich wichtigen Dinge, also welche Partei gewählt wird oder welches Fernsehprogramm man sieht.
    Das war wohl mal ein riesengroßer Tempel
    Dieser Vortrag – mit der tiefen und abgeklärten Stimme unseres Reiseleiters – kam besonders gut an. Wir kennen inzwischen seine ganze Familiengeschichte. Seine erste Frau war wohl zu emanzipiert, die zweite ist gerade noch so akzeptabel (was ihre Emanzipation betrifft). Als wir in Antalya ankamen, haben wir sie sogar gesehen: Eine sehr schöne Frau mit kleinem Baby. O-Ton Tunsch: „Es ist zwar ein Mädchen, aber heutzutage ist es doch die Hauptsache, dass es gesund ist. Man denkt inzwischen anders in der Türkei.“ Aja.
    Unser letztes Hotel in Belek (nähe Side) stand vor zwei Jahren noch ganz allein in der Landschaft. Inzwischen hat das 2000-Betten-Monstrum eine Menge Konkurrenz zu erwarten. Rings herum wird gehämmert und gebaut, dass es ein Graus ist. Unser Fünf-Sterne-Hotel hat sich den Namen redlich verdient, was Unterbringung und Essen betrifft. Am letzten Tag haben wir jede übrige Mark hier in irgendwelche T-Shirts oder Handtaschen gesteckt. Natürlich nur, um den Einzelhandel zu stützen.
    Die Bretter, die die Welt bedeuten, waren früher aus Stein
    Bei drei anderen Pflichtbesuchen waren wir aber standhaft. Tunsch hatte uns schon mehrfach darauf hingewiesen, dass man eine solche Reise zu diesem Preis, die bei „Studiosus“ oder „Dr. Tigges“ nicht unter 3500.- Euro zu bekommen ist, ein paar Abstriche machen muss. Abstriche nicht hinsichtlich der Unterbringung, des Essens oder der Reiseleitung. Es handelt sich um dieselben Busse (Mercedes, Baujahr 2003), dieselben Reiseleiter und auch dieselben Hotels. Billiger wird es, weil die Hotels oft auf die Übernachtungskosten verzichten, um ihr Hotel im Winter nicht schließen zu müssen. Da bringen die Getränke das Geld. Es wird billiger, weil das Kulturministerium ein paar Euro dazugibt, um die Angestellten in den Hotels zu halten und es wird billiger, weil der RSD die Touristen zu den verhassten Verkaufsshows karren muss. Da geht es um Leder, Gold oder natürlich Teppiche. Jeder Verkaufsstop kostet Zeit. Allein die Teppichshow hat uns drei Stunden unserer Lebenszeit gekostet. Es war wirklich eine Verkaufsshow allerbester Güte. Kein Hollywoodregisseur hätte das besser hinbekommen. Wie bei einem Feuerwerk rollten die Mitarbeiter Dutzende von Teppichen aller Größen, Farben und Designs auf. Der Vortrag des charismatischen Chefs brachte uns fast dazu, über einen neuen Teppich nachzudenken. Damit hätten wir Arbeitsplätze auf dem Land gesichert und der Landflucht entgegengewirkt. Die Knüpferinnen sind nämlich wie bei einer Aktiengesellschaft am Umsatz beteiligt. Ich habe trotzdem keinen Teppich gekauft, auch wenn mein Facebook-Eintrag zu diesem Thema den Schluss nahelegen könnte, dass ich zukünftig meine Toiletten mit Seidenteppichen auslegen werde. Schlimm war dagegen die Lederverkaufsshow am nächsten Tag. Man wollte den Eindruck erwecken, dass die Jacken und Mäntel in diesem Hause hergestellt würden, dabei handelte es sich lediglich um eine Verkaufsagentur. Eine Jacke, die anfangs 1600.- Euro kosten sollte, landete am Schluss bei 400.- Euro. Wir soll man bei einem solchen Preisverfall innerhalb kürzester Zeit noch Vertrauen in diese Firma haben? Bei der ähnlich funktionierenden Gold & Silber-Verarsche haben wir uns gleich ausgeklinkt, weil ich mich mit ein bisschen Fieber rausreden konnte.
    Links – das ist Tunsch, unser Reiseleiter alias Schenk Junior.
    Tja, erkältet waren wir wohl alle. In Deutschland – 2 Grad, in Antalya 25 Grad. Zwischendurch diverse Klimaanlagen und viele hustende und niesende Menschen.
    Kurz vor der Abreise ein weiterer Grund, warum die Kosten so günstig waren: Wecken um Mitternacht, Abfahrt zum Flughafen um 1.00 Uhr, Abflug um 4.05 Uhr.

    Unser Fazit: Wenn man ein paar Abstriche macht und sich nicht zu fein ist, auch mit Menschen aus weniger intellektuellen Kreisen umzugehen, ist diese Reise ein durchaus akzeptables Angebot.