Beim Griechen

Oder „Keine Sterne in Athen“

DER ERSTE TAG (Anreise)

Ich habe mal wieder beim RSD, dem „Reisedienst Deutschland“ (einem türkischen Reiseveranstalter) zugeschlagen, nachdem er mir ein durchaus verlockendes Angebot per Mail in den Rechner flattern ließ.

„Griechenland. Eine Woche mit -zig Weltkulturerbe-Städten und 4-Sterne-Hotel inkl. Halbpension“ für irgendwas knapp unter 1000 Euro. Also mit den ganzen Zuschlägen (Flughafen, Ferien- und Saisonzuschlag, Einzelzimmer, Zusatzessen, weitere Ausflüge) dann doch fast 1500.- Euro. „Warum so günstig?“ fragt der geneigte Leser. Weil derzeit noch Vorsaison ist. Deshalb. Für die Hotels eine tolle Gelegenheit, das neue Personal einzuarbeiten, nachdem man das Alte wegen mangelnder Aufträge entlassen hatte.

Griechenland also. Aber nicht die 1000 Inseln, die man als Badetourist besiedelt, sondern das alte, klassische, völlig zerbröselte Griechenland der grauen Vorzeit. Mich erwarteten also Steine ohne Ende. Und alle Mitreisenden, die noch nicht versteinert waren, waren zumindest dicht dran.

Die nagelneue Maschine einer ebenso neuen Lufthansa-Tochter hatte allerdings schon in Frankfurt eine gehörige Portion Verspätung. Und als die Passagiere aus der Maschine endlich raus durften, standen zehn Polizisten vom Grenzschutz am Gate und kontrollierten die Papiere aller Ankömmlinge. Und es kam, wie es demnächst immer häufiger passieren wird: ein armes Schwein – vermutlich arabischer Herkunft – konnte keine Aufenthaltserlaubnis oder sonst irgendwas Wertvolles vorweisen, um die geliebte Bundesrepublik betreten zu dürfen. Stattdessen wurde er wieder „zurückgeführt“. Dazu setzte man ihn wieder in den Flieger – letzte Reihe, Einzelplatz, holte vorher sein Gepäck aus dem Bauch der Maschine und schob es wieder rein. Fliegen durfte er alleine. Die griechischen Kollegen werden sich sehr gefreut haben, den jungen Mann wieder im Land zu haben. Oder auch nicht.

Jedenfalls waren wir jetzt in Athen. Wir – das waren sage und schreibe 90 Personen (auf zwei Flieger verteilt) aus deutschsprachigen Landen, die nicht nur Lust auf OUZO hatten. Schon im Flieger hatte ich die Befürchtung, dass diverse Nachbarn in den Reihen neben, vor oder hinter mir zur Reisegruppe gehören könnten. Alle so um die 60 bis 80, übergewichtig und des Hochdeutschen nicht mächtig. Die Befürchtung stimmte zu nahezu hundert Prozent, mich eingerechnet. (Ich war der mit dem Hochdeutsch…) Aber ich war ja durch viele Reisen mit „RSD“ darauf gedrillt, die Gruppe erst einmal völlig ohne Vorurteile oder Antipathien anzunehmen. Na ja, fast. Da waren schon ein paar Exemplare dabei, die besser im Dorf geblieben wären.

Mit einstündiger Verspätung landeten wir um 15:30 Uhr Ortszeit (was 14:30 Uhr in Deutschland entsprach) und liefen ohne irgendwelche Passkontrollen dem Gepäckband entgegen. Als neuestes Schmankerl hatte ich mir ein sogenanntes „AirTag“ der Firma Apfel in den Koffer gelegt, um zweifelsfrei zu wissen, in welcher Metropole er verloren gegangen ist. Es ging aber alles gut – das Handy zeigte mir einen Abstand von 400 Metern zwischen dem Koffer und mir an. Wenig später tauchte er dann auch schon auf dem Gepäckband auf – zusammen mit einem äußerlich völlig gleichen Koffer in derselben Farbe. Die Dame reklamierte dann auch meinen Koffer als den ihren, weil meiner ein paar Sekunden früher als der Ihrige auftauchte. Mittels Gepäckticket konnte ich ihr den Raub meines Koffers dann ausreden. Und schon hatte ich den ersten persönlichen Kontakt mit einer Mitreisenden, ohne ihn jedoch auch nur im Entferntesten wahrnehmen zu wollen. Aber es gibt ja Damen, die lassen nicht locker…

Der nächste Schock war die Reiseleiterin. Ungefähr so alt wie meine Mutter, also neunundneunzig, versuchte sie, die ihr zugeteilten 45 Reisenden in den Bus zu trommeln. Na ja, sicher nicht ganz so alt, aber gewiss die bisher älteste Reiseleiterin, die ich erlebt habe. Wahrscheinlich bekommt sie so wenig Rente, dass sie einfach bis zum Umfallen weiter macht. Und Organisieren konnte sie gut. Anscheinend hat ihr die jahrzehntelange Erfahrung geholfen, uns zusammengewürfelte Truppe tatsächlich in einen Bus zu bugsieren. Der Fahrer hatte beim Einräumen der Koffer bereits ein paar Liter Flüssigkeit verloren, was aber bei seinem Gewicht nicht sonderlich auffiel. Kurz vor dem Start der Reise schenkte er allen Reisenden sogar eine Flasche Wasser. Ab morgen sollte die dann 50 Cent pro Flasche kosten, was ein durchaus annehmbarer Preis für das eiskalte Getränk war. Man musste allerdings schon sehr stark sein, den Deckel zu öffnen, ohne ein paar Hautfetzen zu verlieren.

Unsere dem Alter der Mitreisenden angepasste Reiseleiterin – eine Griechin natürlich – spulte während der Fahrt routinemäßig ihren Text runter. Ihr Deutsch war akzeptabel, aber es klang immer so, als würde eine Maschine sprechen – mit Pausen an den falschen Stellen und unpassenden Betonungen. Egal, eine gute Stunde brauchte der Bus, um unser Hotel in Korinth zu erreichen.

Es lag in einem Wohnviertel in einem älteren Vorort von Korinth, etwa 400 Meter vom Strand entfernt. Insgesamt waren es sieben Gebäude, die durchaus schön und modern aussahen. Ein riesiges Hauptgebäude mit Empfang, Bar und Restaurant machte einen sehr gemütlichen Eindruck. Die Zimmer selbst stammten allerdings noch aus dem Altertum. Die Griechen damals konnten höchstens einen Meter fünfzig groß gewesen sein – wie sonst lassen sich die Höhe und der Durchmesser des Klos erklären? Auch hier Badewanne statt Dusche, aber immerhin ein kleiner Fernseher mit zwei deutschen Sendern: „arte“ und „tagesschau 24“.

Nach dem Einräumen meiner Klamotten in die großzügigen Schränke war es Zeit für das Abendessen. Der nächste Schock: Es gab nur große runde Tische mit Platz für jeweils neun Personen. Ich kannte doch keinen, habe mich deshalb an den einzig noch freien Tisch gesetzt. Und ruckzuck setzte sich ein Paar aus Österreich neben mich, das ich schon im Flugzeug akustisch und inhaltlich nur schwer verstanden hatte. Es sollten nicht die einzigen Ösis bleiben…

Das Essen war so, wie es anscheinend immer und überall bei Buffets ist. Teils lecker, teils ungenießbar. Positiv erwähnen muss ich die drei jungen Mädchen, die Getränke gebracht, Teller abgeräumt, Unterschriften für die Getränke-Rechnungen gesammelt haben und danach auch noch weiter an der Bar arbeiten durften – äh – mussten. Apropos Getränke: Das 0,2l-Glas Hauswein kostete 4,50 Euro, der halbe Liter 9.- Euro. Absolut fair und auch gar nicht so unlecker.

Und während ich diese Zeilen mutterseelenallein an der Bar sitzend ins MacBook tippte, tranken die Damen und Herren aus dem Parallelbus nebenan bereits auf Brüderschaft.

Morgen geht’s nach Athen.

DER ZWEITE TAG

Wie immer in fremden Betten, war alles ziemlich ungewohnt. Mal war es mit Decke zu warm, mal ohne Decke zu kalt, mal guckten die Füße und mal die Schultern raus. Die Klimaanlage surrte leise im Hintergrund und sorgte für überflüssige Kälte. Eigentlich hätte ich auch schon um vier Uhr morgens aufstehen können.
Das Frühstück war aber auf 8:00 Uhr terminiert, die Tagesreise nach Athen sollte um 8:30 Uhr beginnen. Und so war es auch. „Unser“ Bus wartete schon. Die einfache Strecke war 210 km lang, was einige Stunden Busfahrt bedeutete. Unsere Reiseleiterin verteilte an uns kleine Funkempfänger mit Ohrhörern, damit sie sich mit uns verständigen konnte. Bei so vielen Leuten sei das notwendig. Es ist allerdings riskant, moderne Technik an Leute zu verteilen, die beim Faxgerät stehen geblieben waren. Vor allem, wenn man das Ding selbst nicht benutzen kann. Wie sie die Bedeutung der einzelnen Tasten (Kanal auf/ab, Gerät an/aus, Lautstärke lauter/leiser) dem geneigten Seniorenbus zu erklären versuchte, war kafkaesker Slapstick vom Feinsten. Irgendwann konnte ich das „Können Sie mich hören?“ nicht mehr hören. Der erste Einsatz der Funkgeräte erfolgte in irgendeinem alten Kloster, wo Madame uns in irrsinnig langen und langweiligen Erzählungen den Sinn oder Unsinn der Wandmalereien erklärte. Da war sie in ihrem Element, hatte sie doch Jahre ihres Lebens geopfert, die Geschichte dieses Klosters selbst unter Folter aufsagen zu können. Tja, und das war leider auch das Hauptproblem der ganzen Reise. Egal, was sie uns erzählte, es war mehr oder weniger völlig unverständlich. Sie sprang ständig in den Jahrhunderten – ja, sogar in den Jahrtausenden – hin und her und entwickelte dabei einen Satzbau, der schlicht und einfach unverständlich war. Viel interessiert hat uns das monotone Geschwätz wenig, und nach einer knappen Stunde zog unser Tross weiter gen Athen, der Hauptstadt Griechenlands.

Zwischen 3,8 und 5 Millionen Menschen wohnten 2025 hier schätzungsweise. Das Land insgesamt hat nur knapp 10 Millionen Einwohner. Das bekannteste Denkmal dürfte wohl die „Akropolis“ sein, die in frühen Jahren der sportlichen Ertüchtigung gewidmet war – also der Olympiade. Auf dem Weg dorthin sahen wir vom Bus aus leider auch die negative Seite der Stadt. Die Vororte waren völlig verwildert. Ein Gebrauchtwagenhändler neben dem nächsten, nur ab und zu durch Schrotthändler unterbrochen. Leerstehende Häuser, Hausgerippe und runtergekommene Buden aller Art. Dreck ohne Ende. Der größte Verkaufshit in Athen muss damals die Spraydose gewesen sein. So viele Schmierereien sieht man selten. Fast kein einziges Gebäude blieb davon verschont. Das ließ erst nach, als wir die dann doch sehr großzügig angelegte Innenstadt erreichten. Wir bestaunten imposante Gebäude, Museen, Schlösser, großartig angelegte Parks und Denkmäler ohne Ende. Heinrich Schliemann hatte mal hier gewohnt. Seit er den Löffel abgegeben hat, wohnt jetzt ein Museum in seinem Haus.

Die Besteigung der Akropolis war für alle Teilnehmer eine sportliche Höchstleistung. Die steil nach oben führenden Treppen mit unterschiedlichen Stufenhöhen ohne irgendeine Möglichkeit, sich festzuhalten, erwiesen sich zusätzlich noch als ziemlich rutschig. Während wir da rumkraxelten, sind zwei Frauen gestürzt. Eine hatte nur eine blutige Delle am Dez, die andere einen Genickbruch. Game over.
Wir waren beileibe nicht die Einzigen, die das Denkmal erklimmen wollten. Tausende von Gleichgesinnten hatten sich das dreißig Euro teure Ticket für den maximal dreistündigen Besuch gekauft. Für die Jüngeren war das Rumhüpfen auf den Stufen kein Problem, aber wir älteren Semester hatten doch schon die eine oder andere Gleichgewichtsstörung. Ich machte meine obligatorischen Fotos (Hintergrund: Denkmal, Vordergrund: Ich) und hoffte, da heil wieder rauszukommen. Es ist mir gelungen.

Die Steine (hinten) sind älter.
Wer ist wohl älter? Die Steine oder der Kerl im Vordergrund?

Nach der Bergsteigerübung liefen wir zu Fuß in die Athener Altstadt, oder besser, den für Touristen aufgehübschten Teil der Metropole. Hier gab es wie in allen Touristenzentren den üblichen Nepp wie blöd bedruckte T-Shirts und Narrenkappen sowie ein paar Restaurants der Marke „Hierher kommen Sie nur einmal – garantiert!“. Ich hatte Hunger und setzte mich in eins dieser Nepp-Buden. Auf der Karte klang „Kebab vom Lamm mit Fladenbrot“ nicht übel. Leider sah es aus wie Hundekacke vom Dobermann (Zwei Rollen) mit salzlosen Pommes. Der Pinot Grigio dazu war pisswarm, passte also auch zum Gesamteindruck. Darauf angesprochen, beschwor der Chef, dass der Kühlschrank auf 6 Grad eingestellt sei. Wir einigten uns auf Eiswürfel. Fühlte mich gleich wie zuhause beim Eiscafé Pellegrin…


Ja, das kann man essen!

Danach bummelte ich weiter durch die Gassen, immer den Treffpunkt im Auge. Der sollte um 16:30 Uhr direkt am Ende der Touristenfalle sein. Dort, wo die Busse immer nur ganz kurz halten dürfen.
Wer pünktlich da war, war ich. Sonst niemand. Zum Glück hatte ich mir die Telefonnummer der Reiseleiterin ins Handy geladen. Als ich sie anrief, war sie schon völlig außer Atem. Ich erklärte ihr, dass ich genau da sei, wo sie mich und die anderen hinbestellt hatte. Und dass ich ziemlich alleine wäre, aber absolut pünktlich. Und dann sah ich sie. Vielleicht hörte ich sie auch schreien. Auf der anderen Straßenseite, sechs Fahrspuren und drei rote Ampeln entfernt.
Es stellte sich heraus, dass die große Mehrheit unserer Truppe nach meiner Abspaltung per Funk („Können Sie mich hören?“) von ihr erfahren hatte, dass der Abholpunkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite wäre. Und da es mit dem Hellsehen bei mir immer noch nicht so richtig klappt, war ich eben „lost“. Ja, das Funkgerät war eingeschaltet, konnte die Straße aber nicht überbrücken.

Mit dennoch nur 5 Minuten Verspätung begann Teil drei des Ausflugs: Die Stadtrundfahrt. Das war auch was, was man sich komplett sparen sollte. Denn so ein Bus fährt ja auf Straßen. Und wenn die Straße frei ist, fährt er weiter. Er bleibt gerne an roten Ampeln stehen oder im Stau, aber niemals an den Stellen, an denen sich ein Halt lohnen würde. So rasten brausten wir an eindrucksvollen Gebäuden vorbei, ohne auch nur den Hauch einer Chance gehabt zu haben, irgendwas davon aufzusaugen und im Hirn abzuspeichern. Leider war der Himmel den ganzen Tag sehr bedeckt, bzw. von Abgasen verdunkelt. Das Lied „Keine Sterne in Athen“ von TRIO gilt also noch heute…

Die Heimfahrt zog sich. Feierabendstau. Um 18:45 Uhr kamen wir endlich wieder im Hotel an. Kurze Erholungspause, dann Abendessen wie gewohnt. Am selben Tisch, mit denselben Tischnachbarn. Business as usual eben. Heute einfach nur Spaghetti Bolognese gegessen. Schmeckte eher italienisch. Aber gut, ich bin ja noch neu, was die Küche angeht…

DER DRITTE TAG

Die Nächte wurden kürzer. Heute sollte die  dreieinhalbstündige Fahrt nach Olympia schon um 8:15 Uhr beginnen. Die zweite Nacht – nach einer gründlichen Neueinstellung der Klimaanlage – verlief schon wesentlich besser. Aber mitten in der Nacht stellte ich fest, dass ich nicht alleine im Zimmer war.
Kaum zu glauben, aber ich hatte eine Mitbewohnerin.
Und wer jetzt für mein Seelenheil hofft, dass es sich um ein weibliches Wesen aus dem unerschöpflichen Fundus der Mitreisenden oder des bedeutend verlockenderen Personals handelte, muss leider enttäuscht werden. Die neue Bewohnerin hieß Kaker. Etwa 5 cm groß, in Europa auch als Kakerlake bekannt. Sie hatte sich im Eingangsbereich breit gemacht und riss weder durch Anbrüllen noch durch Aufstampfen mit dem Fuß aus. Sie saß einfach da und schaute mich traurig an. Vielleicht war das auch ein hungriger Blick? Wer kennt sich schon mit diesen Viechern aus? Ich gab ihr eine Chance und ließ sie allein. Sie sollte Zeit bekommen, sich über ihre Lage im Klaren zu sein. Was wollte sie von mir, dem Touristen aus Deutschland, der ja noch nicht mal kakerlakisch sprach, geschweige denn Interesse an einer engeren Beziehung hatte? Ich wusste nicht einmal, wie sich so eine Beziehung gestalten würde. Sprechen konnte sie ja schon mal nicht. Was Kakerlaken gerne speisen, war mir auch nicht bekannt. Ein Loose-Loose-Verhältnis also. Ich hatte sie nach einem Toilettenbesuch entdeckt, wusste aber nicht, welche Bedeutung das für Kaker hätte. Also ging ich wieder ins Bett und hoffte, dass sie sich mit ihren kleinen Füßchen nicht an der Bettdecke hochkämpfen würde.

Am nächsten Morgen stand sie noch genau an derselben Stelle, an der ich sie schnöde im Dunkeln stehen gelassen hatte. Mit nunmehr klarem Kopf war mir klar, dass ich die Affäre beenden musste. Ein Sidekick unter den Schrank ließ sie im Nu aus meinem Flur entschwinden. Leider nicht lange. Nach wenigen Sekunden kam sie wieder völlig verstaubt raus und lief mir entgegen. Ich wich aus, sie folgte mir. Ich sprang über sie zurück zur Türe – sie rannte sofort hinterher. Und zwar ganz schön schnell. Ich sah ein, dass die einzige Chance, diesem Mordanschlag zu entgehen (denn um was anderes konnte es sich ja wohl nicht handeln!) die sofortige Eliminierung des Mörderinsekts war. Ein kräftiger Schlag mit dem Schuh auf den Panzer des Eindringlings beendete dessen Laufbahn mit einem lauten Knacken ebenso schnell wie meine Angst. Kleiner Hinweis an das Personal: Kaker liegt unter dem Kühlschrank. Vielleicht kommt ja ihre Familie und peppt sie wieder auf. Aber bitte erst ab nächstem Donnerstag!!!

Doch nun zu unserem Ausflugsprogramm. Nachdem wir gestern das alte Olympiastadion in Athen erklettert hatten, stand uns heute das Original bevor. Die Stadt Olympia nämlich, 3,5 Stunden Busfahrt entfernt. Natürlich gab es auch Pausen, denn am Stück war das doch eine ziemliche Tortur. Mir fiel in den Toilettenpausen immer häufiger auf, dass ich fast nur noch Mitreisende aus Österreich traf. Also nicht auf dem Klo, sondern überall. Bevor wir die Besichtigung des originalen Olympiageländes begannen, durften wir noch was essen. Auch hier wieder lauter Ösis. Ich benutze dieses Wort jetzt einfach, weil es schneller zu schreiben ist als „Österreicher“ und vor allem respektvoller klingt als „Schluchtenscheißer“, was mir Google als Synonym vorgeschlagen hatte. Würde ich nie sagen. Es kam raus, dass ich tatsächlich außer einer weiteren Person der einzige Deutsche im Bus war. „Rainer unter Ösis“ also. Die andere deutsche Person war mir schon in Frankfurt aufgefallen. Sie stellte sich als Religionslehrerin im Ruhestand vor, war angezogen wie auf einer Nil-Kreuzfahrt mit Hut, wasser- und mückendichtem Umhang sowie Bergsteigerfußwerk. Wir beide mussten also ab jetzt die Bundesrepublik Deutschland in dieser österreichischen Enklave vertreten.

Aber zurück zum Programm. Nach dem Essen (mein erstes „Moussaka“) besuchten wir zunächst das Museum von Olympia. Mit einem Wort: GROSSARTIG! Tolle Exponate aus den Zeiten seit 776 vor Christus – da fingen die Spiele nämlich an. Man wollte dem Gott ZEUS huldigen und ließ nur Männer für die Kämpfe zu. Im Jahr 393 nach Christus wurden die Spiele, die bis dahin alle vier Jahre stattfanden, verboten. Erst 1896 fanden die Olympischen Spiele der Neuzeit wieder alle vier Jahre statt – in Paris, anfangs auch immer noch den Männern vorbehalten. Die Mädels durften dann ab 1900 mitkämpfen. Ab 1924 kamen dann noch die Winterspiele dazu, die erst seit 1994 im zweijährigen Wechsel mit den Sommerspielen stattfinden. Diese Zusammenfassung konnte ich dank künstlicher Intelligenz in meinem Handy finden, da die Vorträge unserer Reiseleiterin so verworren waren, dass keiner verstehen konnte, um was es überhaupt ging.


Dem Herrn fehlt so Einiges…

Das Museum zeigte eine große Auswahl aus Fundstücken der gesamten Zeit. Einfach großartig! Man muss es gesehen haben oder sich wenigstens im Internet ein paar der sensationellen Ausgrabungen anschauen. Am Ende des etwa einstündigen Museumsbesuchs konnten wir noch das Modell des damaligen Olympiadorfs anschauen. Und dieses Modell hat es uns sehr erleichtert, anschließend das Original zu erkunden. Leider sind die Säulen und Gebäude  größtenteils zusammengebrochen. Es fehlen viele Details, weil der Zahn der Zeit in den fast 3000 Jahren hübsch dran rumgenagt hat. Aber eine ganz bestimmte Stelle hat auch heute noch ihre Funktion: Der Ursprung der olympischen Flamme. Ich stand neben der Stelle, an der für alle Spiele das olympische Feuer angezündet und von dort von Läufern bis in die Stadien der Welt getragen wird. Ein echter Gänsehaut-Moment. Ich war fast versucht, eine Gedenkrede anzustimmen.

Aber das war es auch schon. Wir mussten uns sputen, den Bus zu erreichen, der ja noch 3,5 Stunden Heimweg vor sich hatte. Um 20.00 Uhr kamen wir endlich im Hotel an, stürzten auf das Buffet und quasselten wie blöde. Das Schöne war, dass an „meinem“ Tisch inzwischen auch ein paar Deutsche Platz genommen hatten – die aus Bus Nummer 2 nämlich. Und so entstand dann tatsächlich eine unterhaltsame Konversation zwischen Oldies aus Österreich und Deutschland. Aufhänger war Donald Trump, der aktuelle Präsident der USA, der gerade mal wieder einen unglaublichen Berg an Blödsinn ausgespuckt hatte.

Die fleißige, bildhübsche Servicekraft hatte sich die Haare heute ganz besonders schön gemacht. Ja, sowas fällt mir auf! Ich ihr wohl auch. Sie weiß meine Zimmernummer inzwischen auswendig. Leider nur für die Rechnungen. Träum weiter, alter Mann…

Nach dem Essen spielte erstmals eine Kapelle in der Bar. Laut, sehr griechisch und für meine Tätigkeit als Protokollant der Reise eine schöne akustische Zutat. Also bestellte ich mir noch einen Wein und hörte Sirtaki. Zum Lernen ist man nie zu alt.


DER VIERTE TAG

Insgesamt sollten wir heute „nur“ 4,5 Stunden im Bus verbringen. Zum Glück nicht am Stück, sondern immer wieder durch großartige Sehenswürdigkeiten (also zerbröselte Steine) unterbrochen. Die erste Unterbrechung hätte ich fast verpennt. Erst als es plötzlich verdächtig ruhig war, erwachte ich aus einem kurzen Nickerchen und stellte fest, dass man mich im Bus vergessen hatte. Der Busfahrer war bereits dazu übergegangen, den Unrat im Bus einzusammeln, als er mich entdeckte. Hurtig entstieg ich dem 50-Sitzer und eilte der Seniorengruppe hinterher. An der Kasse fiel mir auf, dass ich gar keine Eintrittskarte hatte. Die Verteilung derselben hatte ich auch verpennt. Deshalb bin ich statt durch den EINGANG durch den AUSGANG auf das Gelände gelaufen. Hat wunderbar funktioniert, wurde weder angesprochen noch eingesperrt.

Wir besuchten die angeblich weltberühmte „Burg von Mykene“, die seit 1999 zum UNESCO-Welterbe zählt. Der olle Heinrich Schliemann entdeckte hier die Goldmaske des Agamemnon. Wir schauten uns die Königsgräber an sowie das beeindruckende Löwentor und landeten anschließend natürlich in einem Museum mit Funden des Schatzhauses von Atrea – was immer das bedeutet. Hier hätte ich wieder meine Eintrittskarte vorzeigen müssen, die ich ja nicht hatte, wurde aber ich hier problemlos durchgelassen. Erst später war mir klar, dass heute ja Sonntag war und sonntags der Eintritt in griechische Museen umsonst ist. (Nicht nur umsonst, sondern auch vergebens, wenn ich mir überlege, was von den ganzen Trümmern da in meinem Hirn hängengeblieben ist…)

Nach dieser kulturellen Ertüchtigung ging es wieder ums Essen. Wir stoppten an einer der extra für Touristen geöffneten Massenspeiseabfertigungen und wurden auch prompt innerhalb von einer Minute bedient. Statt das „Essen nach Bildern“ zu bestellen, wurde uns heute das echte Essen auf einem fahrbaren Tablett vorgeführt. „Essen auf Rädern“ quasi. Moussaki, mit Reis gefüllte Tomaten, irgendwas Gegrilltes, Salat und toten Fisch gab es heute. Immer mit Pommes. Später wurde uns die Speisekarte nachgereicht, damit wir nachlesen konnten, was der Krempel kosten sollte. Zwischen 16 und 25 Euro wurden hier aufgerufen, Getränke extra. Das Essen kam ca. 45 Sekunden nach der Bestellung auf den Tisch – die Getränke brauchten nur unwesentlich länger. Klar, wenn in so einem Lokal um die Mittagszeit herum rund 500 Gäste gefüttert werden müssen, zählt jede Sekunde.

Lecker Moussaki…

Als wir nach einer guten halben Stunde alle gezahlt hatten (nur Bares war hier Wahres), fuhr uns der Bus weiter nach Epidauros. Auch hier galt es zunächst, das Museum zu besuchen. Ein Highlight für unsere Reiseführerin, die natürlich jedes einzelne Ausgrabungsstück persönlich kannte. Sie konnte mit Kennerblick sicher bestimmen, ob die antiken Brocken echt oder Kopien waren. Und hier waren viele Kopien. Die Originale sollen alle in Athen rumstehen. Vielleicht haben wir sie sogar dort gesehen, was weiß ich denn schon.
Lustig wurde es, als eine junge Dame einer anderen Reisegruppe das übergroße Fortpflanzungsgerät einer männlichen Statue in die Hand nahm, um ohne jede Scheu, aber mit breitem Grinsen anzügliche Bewegungen durchzuführen. Unsere Führungsmutti hat fast einen Schlaganfall bekommen und das Mädel laut und sehr bestimmt angewiesen, weitere Handlungen an diesem Ausstellungsobjekt ihrer Begierde auf der Stelle zu unterlassen. Leider habe ich meine Kamera nicht schnell genug einschalten können…


Hier könnte die Volksbühne spielen, wenn das Kurhaus in Bad Homburg abgerissen wird…

Abschließend ging es nun noch ins Theater. In ein riesengroßes, 14000 Besucher fassendes Open-Air-Stadion, in dem sogar schon mal die Frau Callas geträllert haben soll. Die „Bühne“ bestand aus einem etwa 30 Meter großem Kreis, um den die steinernen Sitze halbkreisförmig viele, viele Reihen hochgestapelt waren. Das Theater ist tatsächlich noch in Betrieb, wenn auch nur noch etwa sechs bis zehn Mal im Jahr. Frühere Intensivnutzung hatte viele Schäden nach sich gezogen, so dass man das Spektakel heute nur noch selten erleben kann. Natürlich musste ich mit dem berühmten Satz „To be or not to be!“ die Akustik des Theaters testen. Sie war hervorragend – man hörte mich ohne Verstärkung bis hoch in die letzte Reihe, wie ich am Applaus einiger Teenager, die da oben rumturnten, bemerkte. Nach mir fingen dann zwei Italiener an, irgendeine Passage aus irgendeiner Oper zu trällern. Da war der Applaus noch viel stärker. Das fanden alle toll, bis auf die Security, die sofort einschritt, um das Geträllere zu verbieten. Musik und Singen war streng verboten. Als die beiden einfach weitersangen, wurde der Wächter extrem böse und brüllte sie an, sofort damit aufzuhören, sonst würden sie bestraft. Situationsgerecht wäre da eine Auspeitschung passend gewesen, aber zu dieser Eskalation ist es leider nicht gekommen.

Unser Tag war damit noch lange nicht beendet. Das nächste Ziel war eine sehr, sehr schöne, aber derzeit völlig überlaufene Hafenstadt namens Nauplia. Hier durften wir in Eigenregie eine gute Stunde durch die Gegend laufen und uns die Altstadt mit ihren austauschbaren Touristenläden anschauen. Wegen des Sonntags war die Stadt nicht nur mit Touristen, sondern auch mit Einheimischen völlig überlaufen. Die Sehenswürdigkeiten in diesem Ort waren zwei alte Festungen hoch oben auf den Bergen. Zum Glück mussten wir uns die nicht auch noch ansehen – dazu hätten wir eine Bergsteigerausrüstung gebraucht. Ich setzte mich daher in ein belebtes Café direkt am zentralen Dorfplatz und trank einen Wein. Nicht, dass ich wirklich Durst oder Lust darauf hatte, aber ich musste dringend mal für kleine Jungs – und einfach ohne was zu verzehren nutze ich ungern fremde Toiletten. Inzwischen war es achtzehn Uhr, und das Café hatte deutlich unter dem Ansturm sowohl der Bevölkerung als auch der Touristen gelitten. Dreck ohne Ende, genervtes Personal, schreiende und rumstreunende Kinder, besoffene Touristen und immer wieder Schmutz und Seuche. Weder konnte man die Toilettentüre abschließen, noch gab es Seife, Wasser zum Händewaschen oder wenigstens Toilettenpapier. Der Weg auf den Pott war steil wie eine Dachbodentreppe – natürlich ohne Haltegriffe. Ich habe nach erfolgter Erledigung meines natürlichen Bedürfnisses glücklicherweise nach ein paar Metern einen aktiven Brunnen entdeckt, der mich vom gröbsten Schmutz befreite.


Ein wahres Drecks-Café

Der Bus stand pünktlich ab Abholpunkt, sodass wir die 1,5 Stunden Heimfahrt sofort antreten konnten. Zum Abendessen waren wir dennoch die Letzten. Unser Tisch beherbergte jetzt vier Ösis, vier Deutsche und mich. Äh, also fünf Deutsche. Die vier anderen Deutschen kannte ich schon seit dem ersten Abend. Sie waren mit ihrem rheinischen Dialekt auch tatsächlich so gut drauf, wie man das allgemein von Rheinländern annimmt. Nach dem Essen haben wir fünf dann noch auf der Terrasse gesessen und bei wunderbar sinnfreiem Gequatsche weitere Getränke vernichtet.
Um 23.00 Uhr war Feierabend, weil die anderen ja morgen früh schon wieder in den Bus steigen mussten. Ich aber hatte meinen freien Tag vor mir, weil ich die angebotene „fakultative“ Besichtigung einer Ölmühle mit anschließender Verkaufsshow tunlichst NICHT gebucht hatte. Eine Flasche Öl hält in meiner Küche circa zwei Jahre. Und ich habe erst vor einem halben Jahr eine neue Flasche gekauft …


DER FÜNFTE TAG

Ausschlafen! Spät frühstücken – fast allein im großen Speisesaal. Auf dem iPad gemütlich die Zeitung gelesen, das Hotelgelände erkundet. Dabei zwei große Swimmingpools entdeckt, etwa fünf weitere Gebäude aus den Anfängen des Unternehmens und den toll angelegten Garten bewundert.
Dann wurde es mir langweilig. Auf der Terrasse noch einen Kaffee getrunken. Wieder rumgelaufen.  In die Sonne gesetzt. Zu heiß. In den Schatten gesetzt. Zu windig. Mannomann, das konnte doch nicht alles gewesen sein? Wäre ich doch bloß mit zur Ölmühle gefahren! Wie sollte ich diesen Tag rumkriegen?
Um zwölf Uhr hatte ich dann eine Lösung gefunden. Unsere Reiseleiterin hatte im Bus vorgeschlagen, eine Bootsfahrt durch den „Kanal von Korinth“ zu buchen. Da könnte man mit dem Taxi hinfahren und für 25.- Euro eine gute Stunde mit dem Boot zwischen den Felsen durchfahren. Es wäre es tolles Erlebnis, sagte sie uns.

Da ich noch keine 500 Schritte gelaufen war, beschloss ich, den Weg zum Hafen per Pedes anzutreten. Vom Hotel runter bis an den Strand war es nicht weit. Nur war am Strand weit und breit kein Schiff zu sehen. Den Hafen entdeckte ich dann ein großes Stück weiter unten. Für einen Hochleistungssportler wie mich kein Problem. Ich trabte also gemütlich den Strand entlang, der bis auf gerade mal drei Grazien völlig leer war, und stellte beim Erreichen des Hafens fest, dass es sich um den falschen Hafen handeln musste. Die drei Schiffchen hier waren nicht auf Touristen, sondern auf Fischchen aus. Also wieder brav zurück zu Hotel gelaufen. Nun hatte ich bereits drei Kilometer auf dem Buckel. An der Rezeption bat ich, mir ein Taxi zu rufen, das mich an die richtige Anlegestelle des Ausflugsdampfers bringen sollte. Das hat man auch gerne gemacht und mir einen schönen Ausflug gewünscht. Die Konversation lief auf Englisch, obwohl ich später mitbekam, dass die Concierge besser Deutsch als Englisch sprach.

Das Taxi kam innerhalb von zehn Minuten angedüst, so dass ich noch eine halbe Stunde Zeit bis zur Abfahrt des Schiffes hatte. Der Fahrer des uralten Mercedes, „Elias“, hatte sein Auto gut im Griff. Er durchfuhr Kurven gerne doppelt so schnell wie ich mich trauen würde und konnte dabei sogar noch telefonieren. Tja, er fuhr und fuhr. Und fuhr. Es nahm kein Ende. Ich war nicht sonderlich beunruhigt, da ich ja wusste, dass Taxifahren in Griechenland extrem billig sein sollte und dass der Fahrer vor allem sein Ziel kannte. Wenigstens fast. Er musste erst nochmal einen Kumpel anrufen, der ihn dann ferndirigierte, um die Schrottkiste zur Anlegestelle zu leiten.
Inzwischen war das Taxi sage und schreibe 30 Minuten gerast und der Spaß sollte 30 Euro kosten. Verifizieren konnte ich den Betrag leider nicht, weil er „vergessen“ hatte, das Taxameter einzuschalten. An meinem Seitenfenster war ein Aufkleber befestigt, auf dem in mehreren Sprachen sinngemäß stand, dass der Fahrgast erst bezahlen soll, wenn er den Beleg erhalten hat und vor allem die Zahlung nur per Karte zu erfolgen habe. Barzahlung war laut diesem Aufkleber eindeutig verboten.
Also gut, dann waren es eben 30 Euro. Ich hielt ihm meine Kreditkarte in Form meiner Apple-Watch hin und sagte „with Card please“. Da wich jede Farbe aus seinem Gesicht. Ein Kartenlesegerät hatte er gar nicht bei sich. Einen Beleg konnte er mir auch nicht ausstellen, da sein Taxameter ja schweigend mitgefahren war. Leider sprach er weder Englisch, spanisch oder Deutsch. Er wurde plötzlich sehr nervös, als ich auf den Aufkleber zeigte und irgendwas für ihn ohnehin Unverständliches murmelte. Dann hatte er eine zündende Idee, tippte etwas in sein Handy und ließ das Getippte auf Deutsch übersetzen: „Taxameter kaputt, Fahrt kostet 30 Euro, nur Bargeld. Ich warten hier bis Du bist zurück, weil hier es gibt kein Taxi.“
Um die Abfahrt des Schiffes nicht zu verpassen, gab ich ihm das Geld in bar und vergewisserte mich nochmal, dass er bestimmt auf mich warten würde. Glücklich, doch noch zu seinem Geld gekommen zu sein (und dabei gesehen zu haben, dass ich noch genügend Cash für eine ewig lange Rückfahrt dabeihatte), verabschiedete er mich mit „Good friend, one hour here!!
Also, geht doch.


Im Kanal von Korinth

Die Schifffahrt selbst war ganz unspektakulär. Das zweistöckige Boot fasste circa 200 Leute – es waren aber nur etwa 40 an Bord. Aus den weißen Boseboxen auf dem Oberdeck säuselte Musik, bis bei Fahrtbeginn eine weibliche „Touristenführerin“ auf Englisch die Geschichte dieses Kanals erzählte. Kurz zusammengefasst: Der Kanal von Korinth trennt die Halbinsel Peloponnes vom griechischen Festland. Schiffe können sich somit die Umfahrung des Peloponnes ersparen und damit den Seeweg erheblich verkürzen. Zum Beispiel spart man bei der Strecke Piräus nach Patras ganze 400 Kilometer. Gebaut wurde er zwischen 1881 und 1893. Er ist über 6300 Meter lang und wurde quasi in den Felsen gesprengt. Die ungarischen Baumeister haben damit tatsächlich ein einmaliges Kunststück vollbracht. Der Kanal ist an der Wasseroberfläche zwischen 21 und 27 Meter breit und öffnet sich nach oben hin auf 75 Meter Breite. Bis zu 79 Meter tief ist der Graben von der Oberfläche bis auf den Boden, wobei die Wassertiefe rund 8 Meter beträgt. Ganze fünf Brücken sorgen dafür, dass auch auf der Oberfläche der Verkehr weiterläuft.

Die Fahrt dauerte eine knappe Stunde, in der genau NICHTS passierte. Ich war sehr gespannt, ob sich das Taxi nach der Rückkehr noch am Anlegesteg befinden würde. Jupp, es war noch da. Diesmal schaltete der Fahrer sein Radio ein, und zwar schön laut. Leider waren die Bassboxen defekt, sodass das Gekrächze aus den völlig verzerrten Boxen schrill und unangenehm klang. Genauso unangenehm, wie ihm am Ende weitere 30 Euro auszuhändigen, die er freundlichst entgegennahm und mich ab sofort „My friend“ titulierte.

Ich traf im Hotel auf unsere Reiseleiterin, die, wie sich inzwischen herumgesprochen hatte, auf den Namen „Dimitra“ hörte und tatsächlich schon 77 Jahre alt war. Sie will arbeiten, solange man sie lässt. Es bleibt ihr bei ihrer kleinen Rente auch nichts anderes übrig.
Ich erklärte ihr die Sache mit dem Aufkleber, Taxikosten nur nach Empfang einer Quittung zu zahlen, und zwar ausschließlich mit Kreditkarte. Sie lachte und sagte, das habe der Gesetzgeber zwar so beschlossen, aber niemand würde sich in Griechenland an so etwas halten. Das Land sei vor Bulgarien das zweitkorrupteste Land Europas. Jeder weiß es, jeder tut es, und ohne Bestechung würde im Land so gut wie nichts mehr funktionieren. Sollte ein Politiker es wagen, gegen die Korruption anzukämpfen, könne er mit Sicherheit damit rechnen, nicht gewählt zu werden. Wieder was gelernt. Das viele EU-Geld ist also sicherlich nicht nur in den (vorbildlichen!) Straßenbau geflossen, da müssen noch viele andere mitverdient haben.

Abends im Hotel waren einige der Reisenden an unserem Tisch endlich etwas aufgetaut – allerdings nur die Deutschen. Österreich blieb stumm und still. Nach dem Essen saßen wir fünf dann noch lange draußen auf der Terrasse und erfreuten uns am leicht harzigen Wein oder süffigem Bier. Ein Bauunternehmer mit seiner Frau, ein Orthopäde, ebenfalls beweibt, und ich.
Spät zu Bette und leider früh wieder raus. Abfahrt um acht Uhr.


DER SECHSTE TAG

Heute sollte es nach Delphi gehen, zur Besichtigung des berühmten Orakels von Delphi. Leider ist Delphi ein schönes Stück von Korinth entfernt, sodass sowohl die An- als auch die Rückreise jeweils 5 Stunden in Anspruch nahm, Pausen eingerechnet.

Die zwei „Besichtigungsstunden“ musste ich schwänzen, denn weiter als bis zum „Nabel der Welt“ (auch nur ein Stein…) bin ich nicht gekommen. Hier haben meine Knie gestreikt. Die steilen Treppen schienen unendlich zu sein, wie üblich ohne Haltestangen. So habe ich die Ruinen des Apollo-Heiligtums mit Theater, ein weiteres Stadion und das sogenannte Athener Schatzhaus leider nicht persönlich begutachten können. Man versicherte mir aber, dass ich nichts Wesentliches versäumt hätte, da alle Bauten ohnehin völlig zerbröselt seien.


Weiteres Gebrösel.

Das berühmte „Orakel von Delphi“ bekamen wir gar nicht wirklich zu sehen. Bis zum 4. Jahrhundert nach Christus haben hier Mönche oder „Seherinnen“ alle möglichen Weissagungen getätigt. Die Stätte galt lange Zeit sogar als „Mittelpunkt der Welt“. Die Geschichte ist so kompliziert und vielseitig, dass ich dem geneigten Leser einen Blick in „Wikipedia“ empfehle. Fest steht, dass die verklausulierten Weissagungen immer auf mehrere Arten gelesen werden konnten. Aus heutiger Sicht war das aber alles nur Mumpitz. Keine der behaupteten Sprüche habe nachweisbar irgendeinen Einfluss auf die Geschichte gehabt. Sicher ist nur, dass da reichlich Drogen im Spiel waren.

Im angeschlossenen archäologischen Museum schmiss Dimitra mit den Jahrtausenden nur so um sich. Hier hatte man anscheinend alles aufgebaut, was man irgendeiner Epoche zuordnen konnte. Mit anderen Worten: Wenn man das nicht studiert hat, versteht man nur Bahnhof. Ganz nebenbei kam auch noch raus, dass ein großer Teil der Fundstücke nur Kopien seien, deren Originale in Athen rumliegen würden. Wir alle hatten die Nase von den alten Steinen nun gründlich voll und waren froh, den Heimweg antreten zu dürfen.


Ägyptische Statuen gibt´s in Griechenland auch jede Menge…

Abends dasselbe Programm wie am Vorabend. Lustiges Essen und lustiges Trinken mit lustigen Leuten. Diesmal schon gegen zehn im Bett.


DER SIEBTE TAG

Uns fehlten noch die Städte Sparta und Mystras (von der ich nie etwas gehört hatte…). Wieder einige Stunden Busfahrt, diesmal in den Süden. Die spektakuläre Ruinenstadt von Mistral war mir wahrscheinlich deswegen unbekannt, weil sie auch wieder nur aus Trümmern bestand. Nun gut, ziemlich weit oben gab es den „imposanten Palast von Mistral“ und unter anderem die freskengeschmückte Metropoliskirche. Hier soll nach Goethes Erzählungen Faust nach der schönen Helena gegriffen haben und nichts als ihren Schatten gefasst haben. Außerdem gab es noch das Pantanassa-Kloster, wo heute noch Nonnen leben. Wie ich später hörte, konnte man dort oben aber gar nichts besichtigen, weil umfangreiche Renovierungsarbeiten einen Zugang unmöglich machten. Zum Glück hatte ich mich mit zwei österreichischen Paaren, denen das Gerümpel genauso auf den Keks ging wie mir, von der Gruppe abgespaltet und in einem Café in der Nähe auf die Rückkehr der Wandersleute gewartet.

Noch ganz viele alte Steine verbergen sich hinter dieser Treppe!

Was zu viel ist, ist einfach zu viel. Ich kann keine Ruinen mehr sehen! Im langweiligen Sparta selbst aßen wir das übliche gekochte Zeugs zu Mittag und fuhren dann wieder zurück ins Hotel, wo wir gegen 17.00 Uhr ankamen und erst einmal die Funkgeräte abgeben mussten. Bei der Gelegenheit konnten wir uns auch beim Fahrer für seine großartigen Fahrkünste bedanken, am besten mittels Bargelds.

Der wirkliche Schock wurde uns jetzt erst mitgeteilt: Aufstehen morgen früh – für die Fahrt zum Flughafen – bereits um 4:30 Uhr!!! Weckruf für alle um 3 Uhr morgens!


DER ACHTE TAG

Als das Telefon mich um drei Uhr aus dem Tiefschlaf riss, war mir klar, dass der Tage gelaufen war. Missmutig erledigte ich meine Morgenroutinen und packte den Koffer. Nachdem ich alles verstaut und den Koffer mittels Zahlenschlosses gesichert hatte, fiel mir noch ein Stapel unbenutzter Unterwäsche im Schrank auf, den ich vergessen hatte. Also alles wieder zurück und neu verpackt.
Das Frühstück war sehr rudimentär angelegt, die Kaffeemaschine defekt, keine Eier und kein Schinken.
Alle Gäste, die Frankfurt als Flugziel hatten, stiegen danach in einen neuen Bus mit einem neuen Fahrer, aber der alten Reiseleiterin. Am Flughafen ging alles recht schnell. Pünktlich hob die A320 NEO um 8:15 Uhr in Athen ab und landete ebenso pünktlich um 10:15 Uhr in Frankfurt, genau drei Stunden später also, wenn man den Zeitunterschied mit einrechnete.
Mein Auto stand diesmal pünktlich vor dem Empfangsgebäude, sodass ich schon um halb zwölf wieder zuhause ankam.


DAS FAZIT

Tja, das ist gar nicht so leicht zu beurteilen. Auf der einen Seite besticht Griechenland durch die sehr freundlichen Einwohner, ein großartiges Klima (zumindest jetzt im Mai) und wunderbare Landschaften (voller Ölbäume), enttäuscht andererseits durch große Armut, Unmengen von Bauruinen und Bestechung an allen Ecken und Enden, was das Land zum „kranken Mann von Europa“ macht.
Was den Touristen an Altertümern gezeigt wird, ist zwar imposant, aber ob der Menge kaum zu bewältigen. Außerdem fehlen an nahezu allen Treppen Geländer oder wenigstens Haltegriffe.
Immerhin hatten wir ein sehr schönes, wenn auch etwas abgehalftertes Hotel mit sehr freundlichem Personal.
Weiterhin kann ich nur über das Festland berichten. Die 1000 schönen Inseln, die Griechenland zu bieten hat, warten noch auf mich. Dort sieht es sicher ganz anders aus.

Der Reisegesellschaft „RSD“ muss ich allerdings bedeutend größere Vorhaltungen machen:
1. Eine Reisegruppe sollte maximal zwanzig Personen beinhalten – wir waren vierundvierzig! Viel zu viele, um sich kennen zu lernen.
2. Die Reiseleiterin, die zwar sehr gut im Organisieren war, konnte als „Guide“ überhaupt nicht überzeugen. Die Erklärungen zu den Sehenswürdigkeiten waren dermaßen sprunghaft und durcheinander, dass wohl niemand ihr folgen konnte.
3. Warum man mich und eine weitere Person in einer Gruppe mit 42 Österreichern untergebracht hat, konnte mir auch niemand erklären, denn auch in der anderen Gruppe gab es Österreicher, die lieber bei ihresgleichen geblieben wären.
4. Die täglichen Busfahrten sternförmig vom Hotel aus zu allen Besichtigungszielen sind viel zu lang. 80% der gesamten Besichtigungszeit ging dafür drauf. Das kann man sicher besser regeln, zum Beispiel mit einem zweiten Hotel.

Immerhin war ich jetzt endlich auch mal „beim Griechen“. Hat ja lange genug gedauert. Sprachlich hatte ich null Chancen, da Neugriechisch mit seiner eigenen Schrift von meinem trägen Gehirn nicht mehr gelernt werden wird.
Mein Tipp: Griechenland muss man gesehen haben, aber nicht unbedingt mit diesem Anbieter. Und für einen sonnigen Urlaub sind die vielen griechischen Urlaubsinseln sicher viel besser geeignet.