Südafrika

Auch zu dieser Reise gibt es ein Video: https://1drv.ms/v/s!Atl63EVwUq_mh5VwfsHDzz3bvxgtLQ?e=dyrkLf

Wir haben uns ganz zufällig kennengelernt.
Elena, knapp 30, Managerin der Abteilung Automobilrennsport bei Mercedes.
Sehr hübsch, schlank, mit leichtem Akzent. Sie wohnt ganz nah beim Nürburgring.
Wir haben uns nie gesucht und doch gefunden. Und ehe wir uns versahen, haben wir die ganze Nacht miteinander verbracht.
Nach dem Abendessen (Sie: vegetarisch, Ich: Hühnchen) hatten wir uns soo viel zu erzählen. Und ja, wir hatten unseren Spaß. Großen Spaß. Irgendwann wurden wir müde. Uns fielen die Augen zu. Wenn ich kurz erwachte, schob ich ihre Decke wieder über ihre Schultern, damit sie nicht frieren musste. Ich fror nicht, im Gegenteil. Mir war ganz schön heiß zumute. Immer öfter wurden wir beide gleichzeitig wach und lächelten uns an. Die Nacht hatte keine Chance. Um fünf Uhr dreißig bestellte ich das Frühstück für uns. (Sie: vegetarisch, Ich: Rührei). Wir hatten uns noch so viel zu sagen. Beide wussten wir, dass sich diese Nacht nie wiederholen würde. 

Moment mal. Ich habe mir diese Einleitung gerade noch mal durchgelesen. Es könnte sein, dass ich mich da etwas missverständlich ausgedrückt habe. Elena und ich haben sich zwar tatsächlich nur zufällig kennengelernt, weil eben der Sitzplatz auf ihrem Flugticket genau neben meinem war. Das hätte ich besser dazu schreiben sollen. Sie saß am Fenster, ich am Gang der A340 der South African Airlines. Ein Kasten, der gut und gerne 20 Jahre auf dem Buckel hatte. Sie ist tatsächlich für FormelEins-Rennen weltweit für das Management tätig und sie ist auch tatsächlich hübsch, schlank und stimmlich leicht regional eingefärbt.
Und ja, die Nacht haben wir auch miteinander verbracht. Im Flugzeug. Es war ein Nachtflug von Frankfurt nach Johannesburg in Südafrika, ca. 11 Stunden lang. Und wir haben auch zusammen gegessen, getrunken und geredet. Und ich befürchte, dass sich das auch nicht wiederholen lässt. Aber schön war es doch.

Und jetzt zurück zu den Tatsachen. Die Firma TrendTours hatte mich tatsächlich ein weiteres Mal dazu gebracht, eine ihrer berüchtigten Rentnerreisen anzutreten. Diesmal kein Schnäppchen, denn rund 2600.- Euro ohne die ganzen Extras vor Ort sind schon eine Hausnummer. Die Reise sollte zunächst nach Johannesburg führen, von dort – nach drei Rundreisetagen – mit dem Flieger nach Kapstadt und von dort auf dem selben Weg wieder heim. Alles in 12 Tagen, wovon der An- und Abreisetag besagte Nachtflüge waren. Also eigentlich „Südafrika total in 10 Tagen“.

Nur vom Feinsten.

Gleich nach der Ankunft in Johannesburg gegen 8:30 Uhr Ortszeit gab es mal wieder ein Problem, weil zwei Reisegäste partout nicht auftauchten. Wie sich nach einer Stunde herausstellte, waren sie auch gar nicht mitgeflogen. Das könnte man bestimmt besser organisieren, denn eine Stunde sinnlos auf einem Flughafen rumstehen ist nicht jedermanns Lieblingsbeschäftigung. Ich hatte die Zeit genutzt, eine SIM-Karte bei Vodafone zu erwerben, die laut Schwarmintelligenz des Internets überall in Südafrika funktionieren würde. Umgerechnet 35 Euro für 10 Gigabyte Datenvolumen. Außerdem wechselte ich 10 Euro in den südafrikanischen „RAND“ um, abgekürzt „R“. Das war vielleicht eine Show! Zunächst musste ich meinen Pass abgeben, der zweimal fotokopiert wurde. Dann tippte die Dame am Schalter alle Daten des Passes noch einmal per Hand in den Computer. Da sie etwa vier Zentimeter lange Fingernägel hatte, traf sie in der Regel immer gleich zwei bis drei Tasten gleichzeitig. Das zog sich also, bis sie meinen Pass (den sie ja schon als Kopie hatte) nochmals abgetippt hatte. Dann druckte sie zwei Formulare aus. Eines musste ich unterschreiben, ein zweites sollte ich immer mit mir führen. Das Geld war während dieser umständlichen Prozedur offenbar schon wieder entwertet worden. Statt der mir zustehenden 163 Rand erhielt ich nur 132 Rand. Natürlich musste ich den Empfang des Bargeldes noch einmal getrennt bestätigen. Wer mitrechnen will: Den Betrag in Rand mal sechs nehmen und zwei Nullen abstreichen – dann hat man ungefähr den Gegenwert in Euro.

Untendrunter kommt nur noch der Südpol.
Johannesburg im Vorbeifahren

Unser Reiseleiter, ein schwarzer, gut aussehender Afrikaner mit Rasta-Locken und begrenztem deutschen Wortschatz namens „Mandla“, führte unsere Reisegruppe, die jetzt „nur“ noch aus 40 Personen bestand.

Johannesburg streiften wir im Wortsinn nur peripher, es ging gleich ins erste Museum, ins  „Apartheid“-Museum. Schwerster Tobak gleich zum Auftakt der Reise. Was diese gerade mal 4 Millionen Weiße in diesem Land den 44 Millionen Schwarzen angetan haben, lässt sich kaum in Worte fassen. Den Schwarzen wurde fast ihr ganzes Land weggenommen. Sie konnten sich gerade mal 8% sichern. 92% beanspruchten die weißen Männer. Die Schwarzen durften nur niedere Arbeiten ausführen, wurden von jeglicher Bildung ausgeschlossen und mit brutaler Gewalt von den Weißen getrennt. Man kann es sich kaum vorstellen, aber es war bei Strafe verboten, dass Weiße mit Schwarzen oder Mischlingen zusammenkamen. Ein weißer Vater, der eine schwarze Frau geschwängert hatte, durfte sein Kind nur alle drei Monate vier Stunden lang mit gerichtlichem Beschluss sehen. Eine widerliche rassistische Regierung machte das alles möglich. Zusätzlich hatten die Schwarzen auch noch untereinander Krieg. 

Getrennte Tickets für Weiße und Schwarze, bzw. Mischlinge

Bereits 1920, nachdem sich die vier Kolonien Kap, Oranje-Freistaat, Fatal und Transval zur Südafrikanischen Union zusammengeschlossen hatten, begann die weiße Bevölkerungsminderheit die schwarze Bevölkerung von Beginn an zu unterdrücken.

Die aktuelle Verfassung

1913 wurde der „Native´s Land Act“ erlassen, der besagte, dass schwarze Einwohner nur noch in bestimmten Gebieten Südafrikas Land erwerben durften.
1923 wurden alle Schwarzen aus den Städten geworfen und in Baracken außerhalb der Städte verbannt, den sogenannten „Townships“. Um in der Stadt arbeiten zu dürfen, brauchten sie eine Genehmigung der Regierung.
1948 gewann dann die „National Party“ (NP) die Parlamentswahlen, an denen nur Weiße teilnehmen durften. Bis 1994 blieb sie an der Macht und baute das System der Unterdrückung systematisch weiter aus. So wurde 1950 anhand pseudo-wissenschaftlicher Kriterien festgelegt, welcher Rasse jeder Bürger angehört.
Proteste wie 1980 in Sharpeville wurden von der Polizei niedergeschlagen. Nelson Mandela und andere Führer des verbotenen ANC (Afrikanischer Nationalkongress) begannen ihren Guerilla-Kampf gegen die Regierung.
Der internationale Druck wuchs ständig – 1963 wurde Südafrika von den Olympischen Spielen ausgeschlossen und verlor seine Mitgliedschaft in der UN-Vollversammlung.

Die Proteste nahmen zu. 1985 wurde der Ausnahmezustand ausgerufen, der bis 1990 dauerte. Immer mehr Regierungen verhingen Sanktionen gegen das weiße Regime.
1989 wurde F.W. de Klerk Staatspräsident. Überrascht sah die Weltgemeinschaft, wie der weiße Präsident das Apartheim-System langsam lockerte. Das Verbot der ANC und anderer Widerstandsbewegungen wurde aufgehoben und Nelson Mandela kam aus dem Gefängnis frei.
1994 fanden dann freie und geheime Wahlen statt, an denen alle Südafrikaner teilnehmen durften. Der ANC gewann haushoch, und Nelson Mandela wurde Staatspräsident. 1997 trat eine neue demokratische Verfassung in Kraft, die allen Bürgern gleiche Rechte versprach.
So, das war ein Schnelldurchlauf durch die traurige Geschichte des Landes. Genauso kurz wie der Besuch des Museums, für das man besser einen ganzen Tag einplanen sollte.

Eins der vielen Denkmäler für Nelson Mandela

Nach diesem schweren Brocken ging es zunächst zum Mittagessen in ein dörfliches Lokal in Soweto. Nebenan hatte Bischof Desmond Tutu gewohnt, und Nelson Mandela nur wenige Meter die Straße aufwärts. Das Essen in Buffet-Form war ordentlich, der Wein für umgerechnet 2,24 Euro sehr lecker. Während des Essens gab es immer wieder Showeinlagen junger Männer, die sich mit alten „Eingeborenen-Tänzen“ ein paar Rand dazuverdienen wollten.

Unsere Eintänzer beim Mittagessen

Auch ein Tierstimmen-Imitator, der nahezu alle Tiere des Urwaldes drauf hatte, versuchte Aufmerksamkeit zu erregen, leider vergeblich. Also weiter zu Fuß durch den Ort Soweto. So langsam klingelte es auch in meinem Hirn. Da war doch was…
Oh ja. 1967 erschoss die Polizei dort rund 800 Kinder, weil die es gewagt hatten, gegen einen unmenschlichen Lehrplan zu protestieren. Die Kinder, die bisher in Englisch unterrichtet wurden, sollten innerhalb von zwei Monaten den gesamten Lernstoff auf Afrikaans draufhaben. Ein Ding der Unmöglichkeit. Und eigentlich auch nur ein weiterer Versuch der weißen Machthaber, die Schwarzen von Bildung fernzuhalten. Auch hier gibt es ein Museum, das diesen Fall aufgearbeitet hat. Wenn man das alles sieht und liest, bleibt einem fast das Herz stehen. Soviel Grausamkeit, Unmenschlichkeit und Unterdrückung habe ich noch nirgendwo gesehen. Und je mehr diese Faschisten und Nazis in Deutschland sich wieder bei uns breit machen, desto klarer ist mir, dass diese Art „Mensch“ niemals wieder an die Macht kommen darf. Leider sind sowohl die „Fakenews“ im Internet als auch die immer länger werdende Riege der Rechtspopulisten in der ganzen Welt Zeichen dafür, dass der Mensch immer noch nichts kapiert hat. Es sind schon soviel Scherben zerbrochen worden, dass ich an eine Instandsetzung unserer lebensnotwendigen Demokratie zu zweifeln begonnen habe.

Seweto – Jeder Stein ein ermordetes Kind


Nach diesem erneuten Schlag in die Magengrube verließen wir Soweto und nahmen Kurs auf Pretoria. Zu allem Überfluss hatte es inzwischen sehr stark zu regnen angefangen. Im Bus machte uns das zwar nichts aus, aber dadurch entfiel auch eine Stadtrundfahrt durch Pretoria. Stattdessen wurden wir nun – endlich! – ins Hotel gefahren. Vier Sterne, sehr ordentlich, gutes Restaurant. Nur eins klappte bei mir nicht: Die Buchung zusätzlicher Ausflüge. Dafür verantwortlich war eine Mitarbeiterin des lokalen Veranstalters im Hotel, die die Wünsche aufnahm. Ich hätte gerne etwas gebucht, fand mich aber jedesmal an ca. 10. Stelle in einer langen Schlange. Da bin ich lieber erst mal essen gegangen. Als ich zurückkam, war die Schlange aufgelöst und die Reisebürotante nach Hause gegangen. Also keine Extratouren diesmal.
Inzwischen war ich gut 36 Stunden auf den Beinen und freute mich auf mein Bett. Endlich mal in der Waagerechten einschlafen! Noch flugs die kleinen Helferlein an die Steckdose geklemmt und ab in die Heia.

Der nunmehr schon dritte Urlaubstag begann mit einem gewöhnungsbedürftigem Frühstück. Die Südafrikaner hatten offenbar viele Bräuche und Rezepte der Engländer und Holländer, die sich ja hier jahrzehntelang breit gemacht hatten, übernommen. Unsere Koffer wurden von den Jungs im Hotel in die Rezeption geschleppt. Abfahrt 8:30 Uhr. Ich hatte mich nach der Identifikation meines Koffers sofort in den Bus begeben und ein freies Plätzen ergattert. Leider stellte sich heraus, dass ich im falschen Bus war. Trendtours hatte insgesamt 84 Touristen ins Land gekarrt, die auf die Gruppen „Gelb“ und „Grün“ aufgeteilt wurden. Ich saß fälschlich in „Gelb“, gehörte aber natürlich zur grünen Gruppe…

Blick auf Pretoria

Heute lagen 600 Kilometer Überlandfahrt vor uns, nur durch gelegentliche Pippipausen, Besichtigungen von irgendwelchen Felsen, Wasserfällen und Canyons unterbrochen.
Beeindruckende Landschaften und umfangreicher Ackerbau bestimmten das Bild links und rechts der größtenteils sehr gut ausgebauten Straßen. Im Bus gab es fast durchgehend eine brauchbare Internetverbindung, was sonst? So konnte ich während der Fahrt auch allerlei Bürokram erledigen. Das Mittagessen war nicht im Preis inkludiert, wie der Reisefachmann so schön sagt, sondern musste extra entrichtet werden. Da ich nach dem gründlichen Frühstück keinen Hunger verspürte, ließ ich es aus. Nur um dann zwei Stunden später irgendwo einen ungesunden Käse/Schinken-Sandwich zu erstehen, der meinen ganzen Kalorienvorteil wieder auffraß.

Landschaften gab´s reichlich …

Mein Handy hatte über Nacht keinen Strom bekommen und war daher schon zum Frühstück leer. Zum Glück gab es im Bus einen USB-Stecker an jedem Sitz, mit dem ich das Ding ruckzuck wieder aufladen konnte. Denn zu filmen gab es viel. Hauptsächlich tolle Landschaften.

Gleich zwei Wasserfälle auf einmal

Gegen halb sieben kamen wir zu unserem letzten Programmpunkt: Folklore mit Essen. Ein prächtiges Anwesen mit echten freilaufenden Nilpferden und Krokodilen erwartete insgesamt vier Busse voller Touristen aus Frankreich, Japan und Deutschland. Nach einem schnellen Glas Wein wurden wir in eine Art Manege geführt. Im Halbrund saßen wir vor der ebenerdigen Bühne, die schon von afrikanischen Trommlern laut beschallt wurde. Und dann legten sie los, die Mädels und Buben der Tanztruppe. Auch wenn man das auf Arte vielleicht schon tausendmal gesehen hat, ist eine Live-Darbietung doch noch von ganz anderem Kaliber. Was uns diese Truppe da mit ihrer unglaublichen Energie vortanzte, war ganz große Kunst. Und sicher auch ziemlich schmerzhaft für die Tanzenden, die sich z.B. aus großer Höhe einfach auf den Boppes fallen ließen. Jeder normale Sterbliche hätte da mit einem Steißbein-Bruch das Krankenhaus aufgesucht, aber diesen jungen Leuten machten selbst Spagate aus zwei Meter Höhe auf den Boden nichts aus.
45 Minuten dauerte das Spektakel, das leider vom Publikum nicht so gewürdigt wurde, wie es der Leistung entsprach. Jedenfalls war das Trinkgeld, dass man auf einem Fell ablegen durfte, ziemlich dürftig.

Rhythmische Gymnastik zum Abendessen


Dann folgte das Abendessen. Wie immer in Büffetform. Unter anderem gab es Raupen zu essen, schön gegrillt mit diversen Soßen. Immerhin haben das Einige von uns tatsächlich probiert. Ich habe aber beim Krokodil zugeschlagen. Ich dachte mir, ehe so ein Viech Dich frisst, iss´ es lieber selber. Schmeckt ausgesprochen lecker. Und nein, es schmeckt nicht wie Hühnchen. Auch kann ich ein Scheibchen vom „Gnu“ sehr empfehlen, während das Rindersteak zumindest hier sehr zäh war. In Verbindung mit ein paar Gemüsesorten, die wir in der Schule nicht durchgenommen haben, war es ein sehr leckeres Abendessen. Um halb neun stiegen wir erneut in den Bus, um unsere Übernachtungsstätte anzusteuern: Das PINE LAKE INN in der Nähe des „Kruger Nationalpark“. Etwa gegen 22 Uhr waren alle Koffer auf den Zimmern. Nur zwei weitere Mitreisende und ich saßen noch – bei einem Glas Wein – draußen auf der Terrasse. Die anderen waren einfach nur fix und fertig. Sie hatten einen guten Grund, direkt ins Bett zu gehen: Die morgige Safari sollte bereits um 4:30 Uhr beginnen. Und da es nach 22 Uhr auch keine Getränke mehr in diesem Hotel gab, fügte ich mich meinem Schicksal und legte mich nach diesen Zeilen auch ins riesige Doppelbett in meinem Luxusapartment und schlief sofort ein.

Erstaunlich munter stand ich um 3:45 Uhr nach einem telefonischen Weckruf auf und machte mich Safari-tauglich. Also kurze Hose, Turnschuhe und T-Shirt. Auf Anraten des Reiseleiters hatte ich auch eine Jacke eingepackt, diese aber aufgrund einer Außentemperatur von 24 Grad (morgens um 5!) im Bus liegen gelassen. Die Fahrt bis zum Kruger Nationalpark dauerte etwa eine Dreiviertelstunde. Und nein, er heißt NICHT „KRÜGER“, sondern „KRUGER“ Nationalpark. Mit Hardy Krüger hat er nämlich so gar nichts zu tun, sondern mit dem damaligen Präsidenten Paul Kruger, der das Wildschutzgebiet bereits am 26. März 1898 gegründet hatte. 1926 erhielt es den Status „Nationalpark“ und wurde in seinen heutigen Namen umbenannt. (OK, das habe ich bei Wikipedia nachgelesen, wusste das auch nicht…)

Eine echte Giraffe

Um halb sieben öffneten die Pforten, und etwa 50 Jeeps strömten zunächst auf den zentralen Haupteingang. Dazu noch zig Touristenbusse und nach und nach hunderte von Einzel-PKW, die auf eigene Faust (Foto)-Jagd auf die wilden Tiere machten. Ich hatte wohlweislich nur den ersten Teil der Tour mitgemacht, da er ohnehin im Reiseplan vorgesehen war. Die zusätzliche zweite Hälfte musste man extra buchen. Zehn Personen hatten in jedem Jeep Platz. Das Reinklettern in diese umgebauten Landrover gestaltete sich gar nicht so einfach. Der Muskelkater hielt drei Tage an. Unser Fahrer hatte immer eine direkte Funkverbindung mit seinen Kollegen, sodass wir für den Fall, dass irgendwo ein Tier auftauchen würde, sehr schnell an Ort und Stelle sein würden.
Aber das dauerte noch eine ganze Weile. In der ersten Viertelstunde, die wir mit Tempo 40 bis 50 durch betonierte Straßen innerhalb des Resorts fuhren, tat sich tiermäßig mal so gar nichts. Endlich sahen wir drei oder vier junge Antilopen friedlich am Straßenrand grasen. Vollbremsung, Fotos und Videos ohne Ende. Dann weiter. Irgendwo in 500 Meter Entfernung will der Fahrer vier Löwen gesehen haben, alle männlich. Ich habe gar nichts gesehen. Auch die ersten Elefanten waren so winzig klein in der Entfernung zu erahnen, dass schon der Verdacht ausgesprochen wurde, es handle sich um Attrappen, um uns Opfer bei Laune zu halten. Aber im Verlauf der irrwitzigen Jagd nach echten Tieren sahen wir tatsächlich ab und zu Hyänen, Elefantenfamilien, Büffel und mit sehr viel gutem Willen auch einen Löwen von hinten. Bei einem Zwischenstopp an einem See verpassten wir leider alle Krokodile, die wohl heute frei hatten. Auch Schlangen oder Affen waren nicht zu entdecken. Alles in allem war die Ausbeute ziemlich enttäuschend. Und das bei zwar 26 Grad, aber gleichzeitig eisigem Fahrtwind. Denn der Jeep war natürlich ringsum offen – nur ein Dach schütze uns vor dem Regen, der uns anfangs auch noch begleitete. Meine Jacke lag noch im Bus, und ich zitternde bibbernd vor mich hin.
Gegen 11 war der „Halbe Tag“ für mich vorbei. Außer zwei weiteren vernünftigen Menschen hatten alle Reisenden auch die zweite Hälfte gebucht. Da hat es dann richtig angefangen zu regnen, was wohl auch den Tieren nicht gefallen hat. Es gab aber immerhin einen Leoparden zu bewundern, der gerade eine frisch erlegte Beute wegtransportierte. 

Elefantenfamilie auf dem Heimweg

Mir stellte sich aber doch langsam die Frage nach dem Sinn einer solchen „Safari“? Tut es der Natur wirklich gut, wenn da täglich hunderte von Diesel-Jeeps und tausende von anderen Solotouristen mit den Auspuffgasen ihrer Privatwagen durch die Gegend rasen? Ist das Geknatter der Motoren nicht vielleicht sogar der Grund dafür, dass sich die Tiere bewusst verstecken? Wäre es nicht sinnvoller, sich die Tiere in Fotobänden oder Fernsehdokumentationen anzusehen als sie hier in der Wildnis zu jagen – und sei es nur für ein unscharfes Foto auf dem Handy? Man wird einwenden, dass durch die Eintrittsgelder erst überhaupt der Unterhalt dieses Parks – so groß wie Hessen – möglich ist. Aber das könnte man doch auch mit einer Art „Parksteuer“ bei Einreise ins Land ermöglichen. Und die vielen Jeepfahrer? Könnte man zu Parkhütern umschulen. Geld wäre dann ja genug da.
Wie auch immer – der Gipfel der unnötigen Luftverschmutzung gipfelte darin, dass wir drei, die die Verlängerung der Tour verweigert hatten, von unserem Bus zurück ins Hotel gefahren wurden! Fünf Leute (Fahrer, Reiseleiter und wir drei) in einem Bus für 53 Personen! Natürlich fuhr der Bus dann wieder zurück in den Park, um alle Anderen abzuholen.
Greta, ich höre Dich heulen.
(Und ja, sorry für den Flug nach Südafrika.)

Ein feines Hotel, bei dem man um 22 Uhr im bett liegen musste

Im Hotel gab es für uns drei dann sogar noch ein kostenloses Mittagessen. Übersichtlich, aber recht lecker. Als wir gerade beim Nachtisch waren, öffnete der Himmel mal wieder seine Schleusen. Schnell ins Zimmer, ein bisschen was gearbeitet und ein kleines Schläfchen abgehalten. Als ich so gegen 16:30 Uhr wieder in den großartigen Garten des Hotels kam, lagen viele Gäste auf den bereit gestellten Liegestühlen im Garten oder schwammen durch den wunderschönen Pool. Und immer zwischendrin: Ein großartiger Pfau, das Maskottchen des Hauses. Leider ein nachtaktives Tier, das die ganze Nacht über laute Kreischlaute von sich gab.
Ein Wort zur Architektur des Landes: Alle Häuser, die wir bisher gesehen haben, waren von ausgesucht gutem Geschmack geprägt. Kein Kitsch, keine 08-15-Bauweise – nein, jedes Haus war ein Unikat. Alles war sehr geschmackvoll und stilsicher eingerichtet. Die Inneneinrichtungen waren ein Traum – tausende Mal schöner als der IKEA-Stil in Europa oder sonst wo. Kein Pressholz, kein Plastik, keine verstörenden Farbkombinationen. Einfach schön. Bewundernswert schön.


Um 18.00 Uhr mussten wir schon wieder essen. Da das Hotel für alle Gäste zu klein war,  wurde in stundenweisen Etappen diniert. Wir waren die Vorhut. Ich suchte mir einen freien Platz und landete bei einem Paar aus Thüringen. Hinzu kam kurz danach noch ein Ehepaar aus dem Kölner Raum. Das Essen schmeckte gut, die Getränke waren optimal, bis dann die Gespräche auf die Politik kam. Speziell Ausländerpolitik. „Die von der AFD sind übrigens sehr gebildete Leute!“, hörte ich da. „Unsere Apotheke ist jetzt von einem Iraner übernommen worden! Da gehe ich doch nicht mehr hin!“- „Das sind zu 60% Männer im jugendlichen Alter! Da ist doch keiner mehr sicher!“ – „Ich habe meinem Enkel verboten, ins Schwimmbad zu gehen, solange da Schwarze rumlungern“ – „So kann das nicht weitergehen, das wird man ja dann wohl mal sagen dürfen!“, sagte die Dame aus Thüringen mit 3% Ausländer-Anteil.

Ich ließ das Dessert aus und verließ den Tisch. Draußen saßen lustige Damen aus Stuttgart. Es wurde dann doch noch ein schöner Abend.

Der Weckdienst des Hotels riss mich schon um kurz nach sechs aus den Federn, obwohl wir erst um acht Uhr abfahren würden. Ich habe versucht, wieder einzuschlafen, aber gerade als ich so weit war, weckte mich mein iPhone zur geplanten Zeit um sieben Uhr.
Der heutige Tag war mal wieder ein Reisetag. 5 Stunden Busfahrt, zwei Stunden Warten am Flughafen in Johannesburg, 2 Stunden Flug und nochmal eine halbe Stunde Transfer ins Holiday Inn in Kapstadt. Feinste Adresse mitten im Zentrum. Um 19 Uhr sollten wir schon wieder zum Essen antreten. Bis dahin war jedoch noch nicht einmal mein Koffer in meinem Zimmer im 10. Stock angekommen.

Biologieunterricht über Strauße

Ich hatte also genug Zeit, darüber nachzudenken, was uns unser Reiseleiter über das aktuelle Südafrika sagen konnte. Vor einigen Jahren hatte die Regierung beschlossen, den Schwarzen ihr annektiertes Land wieder zurückzugeben. Voraussetzung war, dass man nachweisen konnte, überhaupt Land besessen zu haben. Das hatte schon die meisten Bewerber abgeblockt. Dann aber wurden doch viele landwirtschaftlich erfolgreiche Großunternehmen rück-abgewickelt. Das heißt, der Staat hat den weißen Grundbesitzern, die den Schwarzen das Land gestohlen hatten, selbiges für teuer Geld abgekauft und an die mittellosen Schwarzen verschenkt. Die waren nun ganz heiß darauf, die landwirtschaftliche Nutzung zu ihrem neuen Lebensmittelpunkt zu machen. Was die Regierung nicht bedacht hatte, waren zwei Punkte: Erstens nahmen die weißen Altbesitzer sämtliche Maschinen und Wasserpumpen mit (denn die standen dummerweise nicht im Vertrag) und zweitens verließen alle ausgebildeten Landarbeiter die Betriebe, weil die neuen Herren ja alle Jobs mit der eigenen Familie besetzen wollten. Die großen Lebensmittelketten waren trotzdem froh über die friedliche Lösung und schlossen langfristige Verträge mit den neuen Bauern.
Nur stellte sich ganz schnell heraus, dass es doch von großem Vorteil ist, wenigstens ein bisschen was von Landwirtschaft zu verstehen. Da ja die Bildung der schwarzen Bevölkerung systematisch heruntergefahren worden war, wusste nun keiner der Jungbauern genau, wie denn z.B so eine Banane behandelt werden muss, damit sie schön groß wird und der EU-Norm entspricht. Sie fanden nur heraus, dass Bananen zweimal im Jahr von ganz alleine wachsen und geerntet werden können. Dass man sie z.B. früh morgens gießen muss, auch wenn man da viel lieber ausschlafen möchte und die sensiblen Pflänzchen auch vor Ungeziefern beschützt werden müssen, war den neuen Farmern leider nicht bekannt. Und so kam es, wie es kommen musste: Die Bananen waren plötzlich nur noch so groß wie ein Daumen. Das gefiel den Einkäufern der weltweiten Lebensmittelindustrie überhaupt nicht, und sie kündigten die Verträge. Da saßen die stolzen Landbesitzer nun tonnenweise auf ihren Kinderbananen und wurden sie höchstens noch am Straßenrand an Einheimische los. Die Ernüchterung kam recht schnell. Um nicht in Konkurs zu gehen, verkauften die gebeutelten Jungunternehmer das Land also wieder zurück. Und zwar an die alten Besitzer. Die sahen sich die runtergewirtschafteten Höfe an und boten höchstens ein Drittel des damaligen Kaufpreises. Da muss Champagner geflossen sein, das kann man sich gar nicht vorstellen. Ein Lottogewinn ist ein Dreck dagegen. Und natürlich hat dann auch irgendwann die Regierung gecheckt, dass sie Mist gebaut hat. Inzwischen ist die Rückwandlung von Land an die schwarzen Einwohner des Landes wieder gestoppt worden. Allerdings – und das ist nun mal der Lauf der Dinge – hat die junge Generation der Schwarzen inzwischen Schulen besucht, Ackerbau studiert und einige Erfahrungen gesammelt. Jetzt könnte der Plan eigentlich aufgehen, aber nun spielt die Regierung nicht mehr mit. Das Leben ist kompliziert.


Gegenüber meiner bisherigen Vorstellung muss ich bewundernd anerkennen, dass Südafrika ein extrem hoch entwickeltes Land ist. Das ist sicher auch der weißen Minderheit zu danken, die Ihr Geld und Ihr Wissen für den Fortschritt des Landes eingesetzt hat. Und seit auch die schwarzen Einwohner seit 1994 endlich frei und vor allem gleichgestellt sind, hat sich im Land die positive Entwicklung fortgesetzt. Klar gibt es immer wieder Knatsch zwischen einzelnen Parteien, Ansichten und Positionen, aber die gehören nun mal zu einer Demokratie wie die Milch in den Tee (Nein, ich trinke ihn schwarz/mit Zucker/mit Zitrone). Das Leben in einer Demokratie besteht aus der Akzeptanz von Kompromissen. Da dauert es halt eine Weile, bis die von allen akzeptiert werden. Das erleben wir leider auch gerade in Deutschland. Hier sind Kompromisse inzwischen völlig out. Jeder Wutbürger fordert die Durchsetzung seiner eigenen Meinung. Leute, das wird nichts.

Inzwischen war mein Koffer angekommen. Ich „machte mich frisch“, wie es immer so schön heißt und begab mich in das Restaurant des Holiday Inn. Dort landete ich bei einem älteren Paar aus Sachsen, drei Wein und dem üblichen Buffet-Schmaus. Als ich den Dialekt der Beiden erkannte, fürchtete ich, schon wieder in eine AFD-Außenstelle zu geraten. Zum Glück war das Gegenteil der Fall. Nach einem weiteren Wein in der Bar des Hotels ein bisschen auf dem Laptop rumgehämmert und dann zur Abwechslung mal wieder Schlafen gegangen.

Die Tage mit elend langen Fahrtzeiten häuften sich. Heute sollte es nach Knysna gehen, eine Stadt am Meer, die man „Neißa“ ausspricht. Um dort hinzugelangen, fuhren wir erst einmal 6 1/2 Stunden mit unserem Bus. Natürlich gab es die üblichen Toilettenpausen mit Nippesverkauf, aber die Strecke war schon ganz schön lang. Landschaftsmäßig sah man nur Wiesen oder Berge, ab und zu mal eine Schlucht. Ja, sehr schön und erhaben, auf 6,5 Stunden aber auch gähnend langweilig.

Unser Reiseleiter vertrieb uns die Zeit mit lustigen Geschichten aus dem wahren Leben. Wobei man bei ihm ganz sicher nicht alles glauben darf, was er so erzählt. Unser Sunnyboy kennt in jedem Hotel Mädels, die ihn anhimmeln, und er weiß auch ganz genau, wie er bei der Damenwelt ankommt.
Manla ist inzwischen verheiratet und hat sogar drei Kinder. Und das, obwohl er uns erzählt hat, was auf einen Mann zukommt, der heiraten will.
Die übliche Story ist doch die: Mann verliebt sich in Frau, gesteht ihr seine Liebe. Frau ziert sich, ziert sich noch länger und sagt dann irgendwann, dass sie ihn auch liebt. Das ist quasi der Anfang vom Ende. Denn jetzt kann der Mann nicht mehr aussteigen. Er kann nur noch versuchen, in der Lotterie zu gewinnen, um den Schaden möglichst gering zu halten. Denn kaum, dass es sich herumgesprochen hat, dass die beiden heiraten wollen, wird es teuer. Zunächst einmal fordern alle Familienmitglieder der Braut so eine Art Bewerbungsgeschenk. Also z.B. Parfum von DIOR, Schuhe von NIKE, ein Handy von APPLE oder was auch immer. Mit ein bisschen Glück wissen die Familienmitglieder nicht, wie das Parfüm von DIOR riecht, NIKE-Schuhe oder APPLE-Handys aussehen, sodass der zukünftige Ehemann den Krempel beim billigen Chinesen als Raubkopie kauft. Das schadet zwar DIOR, NIKE und APPLE, schont aber den Geldbeutel vom Bräutigam. Diese Geschenke sind leider nur der Anfang. Denn der Bräutigam muss nun, je nach Zustand der Braut, echte Kühe in die zukünftige Ehe einbringen. Dabei gilt: ist die Frau noch Jungfrau, werden 12 Kühe fällig. Sollte sie bereits einschlägige Erfahrungen haben, wird die Zahl der Kühe auf 11 reduziert. Und sollte sie gar bereits ein Kind haben, gibt es pro Kind weitere 3 Kühe als Abzug. Rein rechnerisch müsste eine Braut mit vier Kindern dann selbst eine Kuh mitbringen. Aber das ist jetzt nur eine Mutmaßung. Außerdem muss man auf jeden Fall eine „Stand-by-Kuh“ im Hinterhalt haben.

Weiter gehts. Kaum, dass der Hochzeitstermin feststeht, weiß davon die halbe Welt und fühlt sich selbstverständlich eingeladen. Manche wissen dann nicht einmal, auf wessen Party sie sind, aber dabei sein ist eben wichtig. Und um die ganzen Schmarotzer satt zu bekommen, muss man dann schon mal drei der Kühe schlachten. Und besagte Stand-By-Kuh ist dann eminent wichtig, falls es doch SEHR viel mehr Gäste werden als erwartet. Denn nichts ist schlimmer, als wenn man nach Jahrzehnten noch von der Hochzeit spricht, bei der die Leute nicht satt geworden sind.

Fütterungszeit

So verging der Morgen. Nach sechseinhalb Stunden waren wir nicht etwa schon am Tagesziel. Nein, wir waren an einer Straußenfarm in Oourdtshoorn angekommen, wo unser Mittagessen auf uns wartete. Natürlich gab es Straußen-Filets – sehr lecker und durchaus eine Alternative zum Rinderfilet. Anschließend wurden wir ein wenig in die „Strauß-Industrie“ eingeführt. Rund 1800 Tiere aus Afrika und Australien lebten hier. Wir lernten, dass die Tiere bis zu zwei Meter groß werden und 70 Jahre alt werden können. So ein Straußenei enthält soviel Eiweiß und Eigelb wie 24 Hühnereier, ist aber cholesterinmäßig nicht sonderlich zu empfehlen. Die Biester sind dumm wie Brot. Ein Auge eines Tieres wiegt mehr als sein Gehirn, nämlich 60 Gramm gegenüber 40 Gramm. Die meisten Strauße werden mit zwei Jahren per Elektroschock getötet und anschließend verspeist. Pro Tier kann man mit rund 45 Kilo Fleisch rechnen – bei ca. 80 Kilo Gesamtgewicht. Ausgewachsene Tiere bringen es auf über 120 Kilo. Die Federn werden ebenfalls verwertet, obwohl sie potthässlich sind. Selbst die ebenso hässliche Haut muss für Decken und Handtaschen herhalten. Sollte ein Strauß nicht zum Verzehr vorgesehen sein, wird er mit 3 Jahren geschlechtsreif und legt zunächst kleine, unbefruchtete Eier. Wenn er den Dreh raushat, legt er die berühmten großen Straußeneier, die dann auch meist befruchtet sind. Etwa 40% der gelegten Eier nimmt man den Tieren aus dem Nest, damit sie nicht aufhören, weitere Eier zu legen. Übrigens brüten mehrere Weibchen und ein Männchen die Eier gemeinsam aus. Tiere, die keine Eier mehr legen können (so ab dem 25. Lebensjahr) werden als Ammen für den Nachwuchs eingesetzt. Die Biester können fast 80 km/h schnell rennen, obwohl sie kaum Feinde haben. Straußenrennen sind zum Glück aus Tierschutzgründen in Südafrika verboten.
Mit ihren zwei Zehen (Australische Strauße haben drei) können sie Angreifer abwehren und aufschlitzen. In dem angeschlossenen Verkaufsladen konnte man dann die zerfledderten Tiere in neuer Form erwerben. Vor allem die riesigen Straußeneier machen in Form von Teelichtern und Lampen oder schlicht bemalt, bedruckt oder graviert bestimmt einen guten Eindruck im modernen Haushalt älterer Generationen. Also zum Beispiel bei mir – ganz sicher nicht. 

Hübsches Kerlchen

Gegen 16.00 Uhr verließen wir die Farm, um dann nach vielen weiteren Kilometern durch gut ausgebaute Gebirgsstraßen um 19.00 Uhr endlich in besagtem Knysna anzukommen. Ein schönes kleines Juwel mit Yachthafen. Leider machten wir keine Stadtbesichtigung, sondern mussten schon wieder essen. Das für uns vorgesehene Strandlokal platzte aus allen Nähten, da auch die TrendTours-Gruppe „Gelb“ aufgekreuzt war.
Und genauso schnell waren wir auch wieder weg, denn das Hotel, das für die kommenden beiden Nächte vorgesehen war, befand sich hoch oben am Hang. Ganze fünf Sterne hatte das Hotel mit gerade mal 25 Apartments auf einer Breite von ca. 500 Metern. Ich wohnte natürlich ganz am Rand. Fünf Sterne hätte ich sicher nicht vergeben, da doch die Einrichtung schon ziemlich abgenutzt war, die Teppiche versifft und die Fugen im Bad reichlich verschimmelt waren.
Nachdem ich endlich meinen Koffer erhalten hatte, machte ich mich nach einem kurzen Renovierungsversuch wieder auf den Weg ins Hauptgebäude, wo es eine Bar geben sollte. Ich musste mir den Weg zeigen lassen, da nicht erkennbar war, wo sich die Getränkeausgabe befand. Was ich sah, war enttäuschend. Eine riesige, U-förmige Theke mit ein paar Tischen drumherum, die alle schon bedeutend bessere Zeiten gekannt haben mussten. An den Wänden liefen tonlose Sportveranstaltungen auf TV-Schirmen, und die Eismaschinen liefen auf Hochtouren. So war es wenigstens nicht totenstill, wenn es schon todlangweilig war. Anfangs war ich der einzige Gast, später kamen noch sechs weitere Tourmitglieder dazu. Und nach dem Upload der aktualisierten Fassung dieses Blogs lief ich die 500 Meter zu einem Apartment, die sich jetzt wie 5000 Meter anfühlten, wieder zurück. Es waren genau 346 Schritte. Man hat ja sonst nichts zu tun …

Nach dem Frühstück mit traumhaftem Ausblick ins Tal sah das Programm einen freien Tag vor. Zum Glück hatte ich dann doch noch eine kleine Tour buchen können, denn den ganzen Tag hoch droben auf der Alm zuzubringen, hätte zu einer mentalen Disruption führen können. Interessanterweise konnte man diese Apartments auch kaufen, wenn man rund 14.000 Euro dafür hingelegt hätte. Klingt wie ein Schnäppchen, ist es aber nicht, denn für diesen Preis hätte man lediglich einmal im Jahr 14 Tage lang in seinem Teil-Eigentum wohnen dürfen. Es gibt anscheinend immer noch Dumme, die darauf reinfallen und sich so einen Klotz ans Bein binden. Denn zu den 14.000 Euro kommen noch anteilig die gesamten Betriebskosten und eine Menge Steuernachteile. Das Verkaufsbüro im Hotel war trotzdem schon am frühen Morgen besetzt.

Ein traumhafter Ausblick

Etwa 20 Reisende unserer Gruppe haben den Ausflug auf eine kleine Insel mitgemacht. Zunächst wurden wir in ein Boot umgeladen, dass außer uns – und auch Reisenden der „Gelben Gruppe“ – auch noch „normale“ Touristen aufnahm. Bis ich im Boot ankam, waren nur noch Plätze neben zwei afrikanischen Teenagern frei. Na ja, etwas ältere Teenager, so um die 25 rum, würde ich vermuten. Beide hatten traumhaft hübsche Gesichter, die allerdings auch stark geschminkt waren. Die Mädels trugen knallenge, superkurze Kostüme mit großen Ausschnitten an den Stellen, wo man sie erwartet. So weit, so angenehm – wenn beide nicht leider unterhalb des Kinns ca. 40 Kilo zu viel gehabt hätten. Da muss erblich irgendwas mit Elefanten im Spiel gewesen sein. Manche Männer stehen ja auf sowas. Laut Analyse unseres Reiseleiters Mandla würden „starke“ Frauen von den Männern eher geheiratet als dünne. Das Fett symbolisiere Stärke und Kraft, während dünne Frauen als zerbrechlich und anfällig für Krankheiten dastünden. Na ja, wie auch immer: Der Anteil der Elefantendamen hier in Südafrika ist erschreckend hoch und lässt sich eher auf den Verzehr von fast Food und literweise Cola zurückführen denn auf die Erfüllung männlicher Wünsche. Meine beiden Hübschen hatten auch noch einen weiteren Schaden – einen Dachschaden nämlich. Von Anfang bis Ende der Tour schauten sie ausschließlich in Ihr Handy, um sich dabei selbst zu fotografieren, bzw. Ihr Konterfei übers Internet live an irgendwelche Jungs zu senden, die vermutlich dafür bezahlen durften. Die Dicke direkt neben mir hatte sogar ZWEI Handys, mit denen sie teilweise gleichzeitig agierte. Über ein paar belanglose Sätze kamen wir nicht hinweg, weil das „Ping“ ihrer Selbstdarstellungsapparate sie immer wieder vor die Linse zwang. Mit Kussmund und verführerischem Augenaufschlag versprach sie irgendwelchen notgeilen Bubis draußen im Lande alles Mögliche. Manchmal schrieb sie auch ein paar Worte ins Handtelefon, was mit den ellenlangen Fingernägeln auch hier wieder ein Problem darstellte. Aber Übung macht bekanntlich den Meister. Schöne neue Welt!

Es gab auch weniger entzückende Anblicke


Doch zurück ins wirkliche Leben. Die Insel war vor zwei Jahren komplett abgebrannt. Also nicht die Insel an sich, sondern alles, was darauf gewachsen war. Die gesamte Vegetation wurde durch eine unachtsam weggeworfene Zigarettenkippe innerhalb von zwei Tagen vernichtet. Kein Wunder, dass hier seitdem Rauchverbot herrschte, was einem Teil unseres Klientels gar nicht schmeckte. Sie rauchten dann heimlich auf der Toilette, wie man dort riechen konnte. Die Toiletten gehörten zu einem großartigen Restaurant, das nach dem Feuer ebenfalls innerhalb der letzten zwei Jahre wieder aufgebaut wurde. Wir hatten die Aufgabe, uns Fauna und Flora der Insel anzuschauen und die Vielzahl diverser Vögel zu bestaunen. Dazu wurden wir in einen martialischen Supertraktor gesetzt und etwa einen Kilometer Richtung Berggipfel gefahren. Von dort aus ging es einen 2,6 Kilometer langen Hindernisparkour wieder bergab, aber eben zu Fuß. Das war schon recht anspruchsvoll; selbst die hotten Sweeties mussten das Handy in der (breiten) Gesäßtasche lassen. Unten angekommen, wurde ein wundervolles Buffet aufgefahren, dass uns alle vorherigen Strapazen vergessen ließ. Und kaum, dass wir aufgegessen hatten, wurden wir schon wieder zurück ins Boot gedrängt, weil die nächste Reisegruppe vor den Töpfen stand. Wieder an Land, durften wir noch eine gute Stunde im Hafen herumlaufen. Der heutige Ausflug stand bekanntlich nicht im Programm, sondern musste mit rund 45 Euro selbst bezahlt werden. Die andere Hälfte unserer Gruppe, die im Hotel SINOLA geblieben war, hatte einen extrem langweiligen Tag hinter sich. Sie waren alle heilfroh, dass wir gegen 18.00 Uhr zurückkamen und von unserer wilden Bergtour berichten konnten. Da das Restaurant im Hotel nicht für eine solche Menge von Gästen eingerichtet zu sein schien, brachte uns der Bus um 19.00 Uhr wieder zurück in die Stadt in ein weiteres 5-Sterne Hotel nebst angeschlossenem Restaurant, wo es das gleiche Essen wie immer gab und Wein nur flaschenweise bestellt werden konnte. Auch die Gruppe „Gelb“ fand sich ein – ein Austausch zwischen den beiden Reisegruppen unterblieb allerdings weiterhin.
Abends dann noch zwei Stunden in der Bar des SINOLA verbracht, diesmal nicht alleine am Tresen sitzend und Texte schreibend, sondern inmitten einiger Gäste. Die 346 Schritte bis zu meinem Apartment dauerten wohl etwas länger als üblich…

Unser Bus war kaputt. Die Klimaanlage hatte ihren Geist aufgegeben. Als Notlösung füllte ein Mechaniker ein paar Liter Kühlflüssigkeit nach, die für die 650 Reisekilometer des heutigen Tages reichen sollten. Mandla sprach zwar von „GAS“, das nachgefüllt werden müsse – ich bin aber sicher, dass es sich um Kühlflüssigkeit handeln musste. Der Bus der Marke VOLVO („Oh, ein Volvo – gutes Auto!“ (Insiderwitz)) hatte ohnehin seine guten Jahre schon lange hinter sich, obwohl er sehr gepflegt war. Aber es gab z.B. keine USB-Buchsen zum Nachladen von Handys, keinen funktionierenden Kühlschrank für das Wasser, das man an Bord kaufen konnte, sehr enge Sitzreihen und eine blechern klingende Mikrofonanlage mit Wackelkontakt. Auch der Ein- und Ausstieg in der Mitte war extrem schwierig und nur unter Mithilfe sämtlicher Muskeln zu bewältigen.
Die lange Strecke wurde nur durch Toilettenpausen und ein selbst zu zahlendes Mittagessen in Form von Sandwiches oder Powerriegeln unterbrochen. Nein – ich vergaß: Wir besuchten den südlichsten Punkt Südafrikas, das Kap Agulhas! Ein wirklich beeindruckendes Erlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte.

Am südlichsten Punkt Afrikas


Am frühen Abend checkten wir wieder im Holiday Inn in Kapstadt ein. Ich hatte das gleiche Zimmer, nur 5 Stockwerke tiefer. Eigentlich war ich mit meinem Sohn verabredet, der zufällig auch gerade mit seiner Freundin hier in Kapstadt weilte. Die beiden waren ebenfalls auf der Garden Route unterwegs gewesen, allerdings eine gute Stunde hinter uns. Über AirBNB mussten sie noch ihr neues Domizil für die nächsten Tage beziehen, bevor wir uns treffen konnten. Ich ahnte, dass sich das noch eine Weile rauszögern könnte und begab mich mal wieder ans Buffet, um erneut den immer wiederkehrenden Speiseplan abzuarbeiten. Julian – mein Sohn – und Mahela – seine Freundin, waren mit ihrem Zimmer voll auf die Nase geflogen. Ein Drecksnest erster Güte. Egal, wir waren verabredet, die beiden kamen dann um halb zehn ins Hotel. Wir sind nur ein paar Meter weiter gegangen und fanden uns in einem wunderbaren Restaurant wieder, wo es allerbestes Essen zu moderaten Preisen gab. Langusten, frischen Fisch, Gambas mit Nudeln aller Art. Köstlich. Und ich war schon satt. Also musste ich den Kids zusehen, wie sie die feinsten kulinarischen Spitzenprodukte in sich rein schaufelten. Die beiden waren schon etwas länger hier, hatten aber im Gegensatz zu uns eher die nähere Umgebung ausgekundschaftet anstelle Megatouren ins ferne Knysna zu unternehmen. Das sei den Planern bei TrendTours gerne hinter die Ohren geschrieben: Eine Reise mit möglichst vielen Buskilometern ist nicht jedermanns Sache. Ganz sicher hätten wir auch in der Nähe eine Straußenfarm gefunden. Wir verabredeten uns dann noch für den nächsten Tag und beendeten unser Wiedersehen in Südafrika etwa gegen Mitternacht.

Mahela


Am nächsten Tag machte unsere Reisetruppe einen Ganztagesausflug zum Kap der guten Hoffnung. Genau das hatte ich auch vor, allerdings nicht mit dem Bus, sondern mit Julian & Mahela. Die beiden hatten mir schon angekündigt, dass sie sich für den Urlaub einen super-duper-Schlitten gemietet hätten. Ich wartete also geduldig, bis die jungen Leute ihr Drecks-Apartment wieder rück-abgewickelt hatten und so gegen dreiviertel zehn am Hotel ankamen. Direkt vorfahren wollte Julian mit den Wagen nicht, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Und das aus gutem Grund. Bei dem Superschlitten handelte es sich nämlich um einen Renault „KWID“, von dem man in Deutschland aus gutem Grund noch nie was gehört hat. Das Auto, das vor allem in Indien sehr beliebt ist, ist nämlich ein Kleinwagen, der gerade mal 3500.- Euro kostet. Man kann es kaum glauben, aber für das Geld schrauben die Franzosen tatsächlich einen fahrbaren Untersatz zusammen. Mit 50-PS-Motor, vier Türen, Radio, Navigationssystem und elektrischen Fensterhebern vorn. Dass man sich beim Einsteigen hinten unvermeidbar den Schädel anstößt, liegt an den doch recht kleinen Maßen dieser Geh-Hilfe. Aber Hallo! Das alles für 3500.- Euro! Dafür bekommt man bei BMW noch nicht einmal eine einzige Felge mit Reifen. Mahela ist die ganze Strecke gefahren, da Julian noch immer mit seiner Erkältung zu kämpfen hatte. Außerdem kennt sie sich infolge ihrer vielen Australien-Aufenthalte sehr gut mit Linksverkehr aus. (Denn wie sollte es anders sein, wenn Engländer mal irgendwo das Sagen hatten: LINKSVERKEHR!)

Robben ohne Ende


Wir fuhren die gleiche Strecke ab, die auch unser Reisebus Stunden zuvor zurückgelegt hatte. Die Küste entlang in die noblen Badeorte Clifton und Camps Bay Richtung Kap der guten Hoffnung. In Clifton gab es erst mal Frühstück für die beiden. In dem Café, das sie ausgesucht hatten, war sogar schon mal Leonardo DiCaprio Gast, und am Nachbartisch fand gerade ein ausgesucht aufwändiges Shooting statt. Die Temperaturen stiegen langsam – 24 Grad um elf Uhr versprach noch mehr Sonne für den Rest des Tages. Weiter ging es nach Hout Bay. Dort bestiegen wir zusammen mit etwa 30 weiteren Touristen ein Boot, das uns nach Seal Island brachte. Wie der Name schon sagt, waren da die Robben zu Hause. Tausende der putzigen Tiere sonnten sich auf den Felsen vor der Insel oder kühlten sich im wellenreichen Wasser ab. Sonderlich spektakulär war der Kurzausflug nicht, weil wir auf die Nutzung der bordeigenen Bar verzichtet haben, aber sowas sieht man ja auch nicht alle Tage.

Nun wollten wir direkt ans „Kap der guten Hoffnung“, das auf Englisch tatsächlich auch „Cap of good hope“ heißt, wurden aber durch eine Straßensperre ausgebremst, die wohl leider jeden Mittwoch zwischen 10.00 Uhr und 16.00 Uhr aus Umweltgründen durchgeführt wurde. Deshalb war unser Bus auch so früh losgefahren…
Also mussten wir außen rum fahren. Durch die Stadt Simon´s Town, die meine beiden Tour Guides auch schon kannten. Gezielt landeten wir in einem wunderbaren Restaurant mit frischem Fisch, Garnelen und dem ganzen teuren Kram, der hier nur Peanuts kostet. (Wobei ich nicht weiß, was hier Peanuts kosten, aber Ihr wisst, was ich meine…) Nur der Wein schmeckte nicht so dolle. Die erste Lieferung mussten wir sogar zurückgehen lassen. OK, man kann ja nicht alles haben. Was wir dann aber doch noch hatten, waren Pinguine. Nicht als Essen, sonders als leibhaftig rumturnende Wesen auf einem kleinen Felsen am Strand von Simons Town. Wie die da hingekommen sind, ist mir ein Rätsel. Sie waren auch relativ klein – ca. 40 bis 50 cm hoch. Aber sie waren putzig und natürlich die Attraktion der Stadt.

Echte Pinguine – in Afrika!

Eine weitere Attraktion, wenn auch kommerziellerer Natur, war eine Gesangsgruppe in viel zu knappen Kostümen, die schöne afrikanische Volkslieder sang. Die Mädchen waren zwischen 12 und 14 Jahre alt und hatten während des Tanzens Probleme, mit ihren Mini-Oberteilen die knospenden Brüste zu bedecken. Am helllichten Tag. Sicher hat sich da niemand was bei gedacht…


Nun aber sollte es endlich zum Kap der guten Hoffnung gehen. Direkt am Eingang wurden wir gestoppt. Der Eintrittspreis betrug 19,20 Euro (umgerechnet) pro Person. Wir haben nicht lange überlegt. Das war eine reine Abzocke. Stattdessen haben wir uns auf YOUTUBE entsprechende Videos angeschaut. Außer den üblichen Tinnef-Ständen sieht man nur das berühmte Schild, dass man hier am Kap der guten Hoffnung, des südwestlichsten Punkt Afrikas sei. Da ich schon am südlichsten Punkt war, war das nicht unbedingt eine Steigerung. Aber die Worte „Good Hope“ – gute Hoffnung – spielten und spielen immer noch eine große Rolle in diesem wunderschönen Land.
Wir machten uns also wieder auf die Heimreise und ließen dabei einen Botanischen Garten in Kirstenbosch aus, den meine Bus-Reisenden besucht hatten. Soll toll gewesen sein.
Wieder im Hotel, vermutete ich unsere Bande im Restaurant des Holiday Inn. Fehlanzeige. Keiner war da. Über die Rezeption bekam ich eine Telefonverbindung mit Mandla, der mich daran erinnerte, dass wir ab 18:30 in einem Restaurant an der Waterfront dinieren würden. Hatte ich natürlich vergessen. Hinterher zu fahren, wäre zu spät gewesen, da die Gruppe gerade mitten im Essen war. Also bin ich wieder die paar Meter in das Restaurant um die Ecke gegangen, in dem ich schon gestern mit Mahela und Julian war. Ich bestellte Nudeln mit Lachs und bekam eine Portion, die für Großfamilien tagelang ausgereicht hätte. Als ich den optisch fast vollen Teller zurückgehen ließ, kamen sofort der Koch und der Manager, um zu fragen, ob alles in Ordnung wäre. Ich zeigte auf meinen nicht gerade schlanken Bauch und entschuldigte mit meinem Unwissen über die Größe der Portionen in diesem Etablissement. Als die Kellnerin dann den großen Rest auch noch als Doggy-Bag vorbeibrachte, bat ich sie freundlich, es wegzuwerfen, da ich in meinem Hotel keine Speisen erwärmen könnte. Sie hatte eine bessere Idee und gab die Portion an einen der draußen herumlungernden Bettler dieser ganz und gar nicht reichen Stadt.

Und damit zu einem unschönen Thema: Armut, Gewalt, Drogen, Aids. Und obendrauf noch Bestechlichkeit bis zum Abwinken.

Es git leider immer noch viel zu viele Menschen in diesem Land, die vom Wohlstand noch ausgeschlossen sind. Sei es durch fehlende Bildung, Arbeitslosigkeit (was Armut bedeutet), Alkohol und vor allem Drogen. Es hat wohl mal einen ganzen Stadtteil gegeben, den kolumbianische Drogenbosse „geleitet“ haben. Leider gibt es immer noch viele Nachkommen. Am helllichten Tag sieht man in der Innenstadt Halbleichen, entweder im Drogenrausch oder volltrunken dahin vegetierend. Natürlich alles Schwarze. Und selbst, obwohl die Regierung jährlich bis zu 80.000 kleine Häuser für die bis dahin in den Slums wohnenden Mitbewohner baut, sinkt die Zahl der Verlorenen kaum. Die Kriminalität ist extrem hoch. Fast kein Geschäft kann es sich erlauben, auf einen Wachposten vor dem Laden zu verzichten. Tagsüber kommt uns Touristen das lächerlich vor, aber in der Nacht herrschen andere Gesetze. Die Zahl der durch Gewalttaten getöteten Menschen liegt weit über dem weltweiten Durchschnitt. Jedes, aber wirklich jedes Haus ist durch hohe Zäune und Stacheldraht gesichert.
Es ist ein riesiger Konflikt. Auf der einen Seite haben wir ein extrem modernes Land mit gut verdienenden Arbeitnehmern in tollen Jobs. Auf der anderen Seite gibt es leider noch sehr viel Menschen, die an dem ganzen Wunder nicht teilhaben können. Der Fehler der Apartheid-Regierung, den Schwarzen die Bildung zu verweigern, ist ja mit der Auflösung dieser Gesetze 1994 nicht behoben worden. Es wird noch viele Generationen brauchen, bis auch nur annähernd eine wirkliche Gleichheit ALLER erreicht ist. Bisher gibt es nur die Gleichheit von Schwarzen und Weißen, die in etwa dasselbe Bildungsniveau haben. Und solange die Schwarzen immer wieder als billige Servicekräfte genutzt werden, damit sie sich gar nicht um eine berufliche Zukunft kümmern können, wird sich das kaum ändern.

Und wenn Menschen kein Geld haben, schlagen sie, morden sie, klauen sie, betrügen sie und setzen sich und ihre Frauen für Sex ein.

Wozu das führt, ist ja allgemein bekannt. Afrika – und eben auch Südafrika – hat die höchste Aidsrate weltweit. Man spricht von 28 – 32% der gesamten Bevölkerung. Zuverlässige Zahlen gibt es nicht, weil sich Kranke nicht melden und versuchen, ihre Krankheit zu verheimlichen. Jahrelang hieß es, dass dicke Frauen (also die Standardfrauen in Südafrika) kein Aids bekommen könnten, weil sie durch Ihre statische Stabilität dafür nicht anfällig seien. Dürre Frauen hingegen wären höchstansteckend. Das führte logischerweise dazu, dass die meisten der opulenten Damen angesteckt wurden und die Dürren etwas besser davongekommen sind. Mittlerweile muss man mit Aids nicht sofort sterben. Aber die Kosten für die Medikamente sind extrem hoch und die Lebenserwartung ist entsprechend geringer. Männer: 60,3 Jahre, Frauen: 67,6 Jahre.

Erstaunlicherweise ist Südafrika auch beim Thema „Homo-Ehe“ weit vorne. Es war das erste Land, das sie erlaubt hat und ist eins von nur 5 Ländern auf dem Kontinent, wo Beziehungen unter Männern nicht strafbar sind. Kapstadt ist daher auch eine Hochburg für homosexuelle Schwarze, wie wir auch ständig sehen konnten, ohne dass es irgendjemandem unangenehm aufgefallen wäre. (Selbst in unserer ultrabiederen Reisegruppe scheint es zu diesem Thema – endlich – keine Vorbehalte mehr zu geben).

So, zurück zum Reiseverlauf. Nachdem ich in dem Restaurant um die Ecke den Doggy-Bag an Obdachlose verschenken ließ, waren es ja nur ein paar Meter bis ins Holiday Inn. Zu meiner Überraschung saßen da in der kleinen Bar am Eingang des Hotels noch 5 Leutchen aus der Gruppe und sprachen alkoholischen Getränken zu. Ich gesellte mich zu ihnen und half ihnen beim Vernichten der Alkoholvorräte des Lokals.

Auf zum Gipfel!

Kapstadt hat bekanntlich eins der sieben modernen Weltwunder zu bieten: den Tafelberg. Und den galt es zu besteigen. Nein, nicht zu Fuß. Mit der Seilbahn. Um halb acht am nächsten Morgen wurden wir von unserem Ersatzbus abgeholt und zur Talstation gebracht. Es gibt nur zwei Waggons, die allerdings jeweils 60 Personen fassten. Und damit jeder auch wirklich alles sehen konnte, drehte sich der Boden der Gondel im Kreis. Kapiert? Nee? Also nochmal: Die Kabine hängt fest an den Seilen, aber innen drin dreht sich der Boden auf einer Art Drehbühne. Dadurch kann jeder mal in alle Richtungen gucken. Sehr gute Idee, mit der vermieden wird, dass sich die Reisenden um die Fensterplätze prügeln. Nach etwa drei Minuten waren wir schon oben – 1000 Meter hoch. Die Aussicht war einfach traumhaft.

Einfach schön.

Egal, von wo aus man ins Tal schaute – immer waren wir beeindruckt von der Schönheit der Landschaft. Auf dem Tafelberg selbst gab es ein Café mit deutlich höheren Preisen als am Boden des Berges. Mehrere markierte Wanderwege führten über das Plateau. Ich wanderte hin und her, führte dabei auch noch ein Video-Telefongespräch mit einer guten Freundin über WhatsApp, was erstaunlich gut funktionierte. So konnte Eva in Deutschland den Ausblick über Kapstadt live miterleben – ein Hoch der Computertechnik!
Nach einer guten Stunde fuhren wir mit der Seilbahn wieder genauso schnell nach unten, wie wir hochgefahren waren (was ja wohl auch logisch ist …).

Mit der Seilbahn auch wieder runter

Ein Teil der Reisenden wurde   im Hotel abgesetzt, der harte Kern – natürlich mit mir – durfte sich auf die fakultative Weinprobe freuen. (Fakultativ = muss man extra bezahlen, genau wie den Ausflug auf den Tafelberg). Dazu fuhren wir in das wunderschöne Städtchen Stellenbosch, das wie so viele Städte sehr holländisch anmutete. Die Außentemperatur war mittlerweile auf 34 Grad geklettert. Bis zur Weinprobe hatten wir noch eine Stunde Zeit, daher sollten wir versuchen, in irgendwelchen Lokalen oder im Supermarkt etwas zu essen zu bekommen. Ich landete in einem sehr angesagten, klimatisierten Lokal mit gutem Essen und feinen Getränken, in diesem Fall Sprudelwasser MIT Kohlensäure. Das findet man in den Regalen der Supermärkte nur mit der Lupe. Nach ein paar Minuten gesellte sich Mandla zu mir, der hier auch was essen wollte. Er hatte Unterlagen seiner Firma „Thompson“ dabei, in der alles stand, was man als Reiseleiter wissen muss. Und bei der Gelegenheit erfuhr ich auch, dass TrendTours gar nicht der wirkliche Veranstalter war, sondern eben „Thompson“, einer der größten südafrikanischen Reiseveranstalter. TrendTours hatte die Tour hier einfach eingekauft. Und auf die Beschwerden der deutschen Kundschaft, die vielen Buskilometer betreffend, hatte man auch schon reagiert: 2020 wird es diesen langen Ausflug bis Krysna nicht mehr geben, stattdessen viel mehr Ausflüge in die Nähe von Kapstadt. Als das Essen kam, legte Mandla seine Unterlagen neben mich auf die Bank und vergaß sie dort auch, als er mit dem Essen fertig war. Er hatte sein Geld im Bus vergessen und wollte mit Kreditkarte bezahlen. Ich nutzte die Gelegenheit, mich mal erkenntlich zu zeigen für seine wirklich großartige Reiseleitung und lud ihn zum Essen ein, was er erstaunt, aber dankbar annahm. Dann musste er schon wieder weiter, ans Telefon. Seine Mappe lag noch neben mir. Aber er konnte natürlich auf mich zählen. Ich schaute mal kurz rein und sah, dass er da eine Menge Statistiken auszufüllen hatte. Keine schöne Arbeit. Als ich ihm den Ordner zurückgab, war er sichtlich geschockt, dass er sie einfach liegen gelassen hatte.

Teure Weine für schnelle Trinker

Wir besuchten das Weingut „Blaauklippen“. Ein wunderschöner Landsitz mit wahnsinnig vielen Hektar Land. Zunächst erzählte eine Mitarbeiterin uns eine ellenlange Geschichte über die bisherigen Besitzer der Immobilie. Der aktuelle Besitzer war erst seit zwei Jahren am Drücker. Aufgrund des heißen Klimas in der Region wurden hier nur rote Trauben angebaut – für Rotwein eben. Da aber der Kunde auch vermehrt nach Weißwein ruft, wurden zusätzlich weiße Trauben aus anderen Regionen angekauft und hier verarbeitet. Zum Glück verließen wir nach dieser Einführung den überhitzten Garten und stiegen in den kühlen Keller der Weinmanufaktur. Na ja, hier wurde uns das Übliche erklärt. Riesige Stahlbehälter waren mit dem edlen Nass gefüllt und sorgten dafür, dass der Wein in Ruhe und Kühle reifen konnte. Uns interessierte natürlich dann doch eher das Endprodukt denn der Reifeprozess als solcher. Und so wurden wir schließlich in einen großen Raum geführt, in dem Tische und Stühle U-förmig aufgestellt waren. An jedem Platz ein Weiß- und ein Rotweinglas sowie ein Wasserglas nebst Wasserflaschen. Auch der eine oder andere Spucknapf war vorhanden, sollte man den Wein nicht mögen oder einem frühen Betrinken aus dem Weg gehen wollen. Und natürlich lag an jedem Platz ein Bestellformular für das zu testende Produkt. Der billigste Wein sollte 10.95 Euro pro Flasche (0,7 ltr.) kosten, und das Ende der Preisliste zeigte 45,95 Euro für den Dessertwein an. Zuzüglich Versandkosten, versteht sich. Immerhin waren Verpackung und Zoll bereits eingerechnet, und ab ca. 300.- Euro entfielen sogar die Versandkosten. Apropos Kosten: Das Ver-Kosten begann mit dem billigsten Wein, der mir sogar am besten schmeckte. Bedienstete schenkten uns nur einen kleinen Schluck pro Sorte ein, damit wir nicht vorzeitig im Vollrausch endeten. Mandla war auch hier bei den (weiblichen) Angestellten sehr beliebt: Er erhielt immer den größten Schluck in sein Glas, das er auch tapfer austrank. Die Promoterin des Hauses, sehr schön und sehr schwanger, versorgte uns bei jedem Wein mit den dazugehörigen Informationen. Woher, wie alt, wie lange lagerbar, nach welchen Ingredienzen schmeckend und vor allem, wie das edle Produkt sich nannte, damit man auf dem Bestellformular die richtige Menge eintragen konnte. Ich weiß nicht, ob die Weinprobe einfach nur zu schnell ging, aber ich konnte mich mit keinem der Weine wirklich anfreunden. Der erste schmeckte noch am besten, aber auch nicht anders als das Zeugs, das ich mir immer bei Aldi kaufe. Rotwein ist sowieso nicht mein Ding, und mit Dessertwein – auch noch in Rot – kann man mich jagen. Leichte Kopfschmerzen deuteten das baldige Ende der Nipperei an. Ich weiß nicht, ob jemand aus unserer Gruppe irgendeine Bestellung abgegeben hat, aber deswegen war uns keiner böse. Immerhin war ja inzwischen auch die Gelbe Gruppe angekommen – vielleicht waren die ja im Kaufrausch nach dem Weinrausch.
Wir fuhren zurück ins Hotel und hatten Freizeit, die ich zunächst mit einem Ausnüchterungsschläfchen ausfüllte. Ich musste ja zu unserem Abschieds-Abendessen wieder fit sein!

Selbiges fand im Restaurant „Rockwell Dinner Theatre“ statt. Das ist ein Theater mit Buffet. Gibt’s bei uns auch immer öfter in großen Hotels als „Dinner-Theater“. Dieses hier war etwas besonderes: Im Rahmen der Apartheidpolitik wurde damals das gesamte Stadtviertel dem Boden gleich gemacht. Alle Schwarzen hatten ja aufs Land zu verschwinden. Die Neubauten gehörten dann nur den Weißen. Es war den rechtmäßigen Besitzern des Landes sogar verboten, weiter als Schauspieler oder Sänger zu arbeiten.
Dieses Thema hatte man für die abendliche Aufführung in Form einer Musikrevue verarbeitet. Bevor es losging, brachte uns das Personal die Vorspeise. Danach wurde es laut.

Sehenswerte Revue!

Eine drei-Mann-Band mit elektronischem, zugespieltem Schlagzeug und acht sehr musikalische Darsteller/Sänger erzählten die Geschichte dieses Viertels mit kleinen Sketchen und gekonnten musikalischen Einlagen. Der Saal fasste etwa 200 Personen, die nach dem ersten Teil tischweise zum Buffet gebeten wurden. Erstaunlich schnell hatten alle ihre Teller voll, sodass die Show weitergehen konnte. Das Dessert wurde uns wieder von der Crew persönlich überreicht. Auch die Lieferung der Getränke und die abschließende Bezahlung selbiger klappte erstaunlich schnell. Pünktlich um 22.00 Uhr stiegen wir wieder in unseren (inzwischen reparierten) Bus. Bin dann gleich ins Bett.

Non Stop Hits aus Afrika

Um halb neun wurden die Koffer abgeholt. Und wir natürlich auch. Unser letzter Morgen führte uns zu Fuß durch die Innenstadt von Kapstadt. Wir starteten in Boo Cap mit den bekannten bunten Häuschen samt zugehörigem Museum, besichtigten das „Alte Rathaus“, ein architektonischer Mix aus italienischer Renaissance und britischen Kolonialstil und liefen ein wenig durch den „Company´s Garden“, der grünen Lunge Kapstadts.

Boo Cap – schön bunt

Das letzte Ziel war eine Festung aus dem 17. Jahrhundert, wo gerade eine tierisch laute Militärkapelle den Soundtrack für eine Videoproduktion lieferte. Ich glaube, es ging um einen TV-Werbespot. Das Lied war nur vier Takte lang, die leider sooft wiederholt wurden, bis der Regisseur mit seinen Aufnahmen zufrieden war. Also mehr als zwanzig Minuten lang.

Sehr laut. Sehr, sehr laut.

Tja, und dann ging es wieder ins kalte Good old Germany. Erst nach Johannesburg, dann nach Frankfurt. In Johannesburg hätte ich um ein Haar den Flieger verpasst, weil ich es mir bei einem Italiener gemütlich gemacht hatte und ein bisschen an diesem Blog rumkritzelte. Plötzlich war es 18:40 Uhr, die Zeit, zu der ich hätte einchecken müssen. Geld hatte ich keins mehr und die Kreditkartengeräte waren fast alle kaputt, bzw. die Batterien alle. Bis ich da wegkam, waren weitere zehn Minuten vergangen. Mein Gate befand sich genau am anderen Ende des Flughafens. Und ich war noch nicht einmal durch die Sicherheitskontrollen, geschweige denn durch die Passkontrolle gekommen. Die Schlangen waren lang und länger. Ich zeigte meinen Boarding Pass, murmelte was von „I´m very late. Please let me go through, otherwise I miss my plane!“ oder so ähnlich. Erstaunlicherweise ließen mich alle durch. Der Sicherheitscheck war ohnehin recht oberflächlich und die Passkontrolle passierte ich schon fast rennend. Ich kam 5 Minuten nach der geplanten Startzeit am Gate an – und sah, wie gerade der letzte Passagier durch die Schranke ging. Noch mal gut gegangen.

Kommen wir zum Fazit: Zunächst einmal das Negative. Ich habe zwei Kilo zugenommen und mir im Flugzeug eine veritable Männergrippe eingefangen.
Aber sonst war die Reise einfach wunderbar – zumindest, solange wir nicht in einem Bus sitzen mussten. Die Mitreisenden waren gut auszuhalten, die Reiseleitung trotz kleiner sprachlichen Schwächen außerordentlich gut, die Organisation einfach nur perfekt – und Land und Leute ohne jede Einschränkung einen Besuch wert.

Und ich kann nur hoffen, dass Südafrika seine Hoffnung nicht aufgibt, Weiße und Schwarze wirklich gleichberechtigt leben zu lassen. Es sind übrigens „nur“ 8,9% Weiße von knapp 58 Millionen Einwohnern dieses wunderschönen Landes, die aber noch eindeutig die Zügel in der Hand haben. Ich hoffe, dass man die Bestechlichkeit in den Griff bekommt, die Slums langsam aber sicher in Wohnungen umgewandelt werden und sich die rund 20 verschiedenen kirchlichen Strömungen weiterhin nicht in die Quere kommen. Und natürlich wäre es für das Land ein Segen, wenn das Thema Aids nicht mehr so einen großen Stellenwert hätte wie es jetzt noch der Fall ist.

Von Moskau bis Sankt Petersburg

Vorneweg das Video zum Blog: https://1drv.ms/v/s!Atl63EVwUq_mhsoFaF6lCe3CzmbhMw?e=XO1RCY

Der erste Tag
Der erste Tag begann in der Früh´ um 4:30 Uhr und war – soviel sei schon jetzt verraten – für die Katz. Er diente lediglich der Anreise und der Einquartierung ins Hotel „SALUT“ in Moskau. Mit anderen Worten: Der Rest des Tages war frei. Ich hätte was draus machen sollen. Hab´ ich aber nicht, und die Gründe sprechen auch nicht gegen mich.

Immerhin hatte die Tour sehr vielversprechend begonnen. Mein Taxi stand pünktlich um halb sechs vor der Tür, und ich war sogar mehr als zwei Stunden vor dem Start am Flughafen. Genauer gesagt war ich mit der ganzen Registrierung inklusive Körperscan bereits nach 20 Minuten durch und setzte mich am Gate A44 auf einen der langweiligen Wartestühle. Der Bereich füllte sich schnell, und ich schloss mit mir interne Wetten ab, wer alles zu meiner Reisegruppe gehören würde.

Ich hatte schon wieder bei „Trendtours“ gebucht, weil das Prospekt für diese Russland-Rundreise gar zu verlockend gestaltet worden war. Zwei Tage Moskau, dann die Wolga entlang bis nach St. Petersburg, das abschließend auch noch mal zwei Tage besichtigt werden sollte. Mein Preis als Einzelreisender für die insgesamt 11 Tage sollte 1768.- Euro betragen – darunter auch einige Extras und Zusatzunternehmungen.
Die zur Gruppe gehörenden Trend-Tourer erkannte man sofort an den grauen Haaren der Herren, den praktischen Kurzhaarfrisuren der mitreisenden Damen sowie an den Dialekten. Es ist immer wieder erstaunlich, dass so wenige ältere Herrschaften Hochdeutsch sprechen.

Eine bildhübsche Südamerikanerin fiel mir auf. Nicht, weil sie zu unserer Gruppe gehören könnte – weit gefehlt! -, aber sie versuchte vergeblich, ihr Handy an einer der vielen Steckdosen unter den Sesseln aufzuladen. Leider waren die wohl alle stromlos. Ich bot ihr dann meinen Power-Akku an, der mir ja schon seit geraumer Zeit gute Dienste tut. Das Mädel mit dem bauchfreien Top war zwar erstmal völlig perplex, dass ihr ein älterer, gut aussehender Mann (also ich) einfach so helfen wollte, nahm aber das Angebot dankbar an und lud ihr Samsung-Teil mit der zersplitterten Oberfläche bis zum Abflug auf. Dann gab sie mir die Powerbank brav zurück, verwickelte mich noch in ein kleines (spanisches) Gespräch, reichte mir ihr kleines Patschhändchen und eilte davon. Elvira, so hieß sie, flog ganz woanders hin, wie sich herausstellte. So eine gute Tat hebt doch die Stimmung.

Eine schöne Kirche in Moskau.

Das Einsteigen verzögerte sich. Eine Familie Erhard – ja, die hieß genauso wie ich, nur anders geschrieben – war nicht aufgetaucht. Ihr Gepäck war allerdings schon im Flieger. Also mussten die Koffer der beiden „No-Shows“ wieder aus dem Gepäckraum der Maschine gepult werden. Erst dann durften wir einsteigen. Und blöderweise hat mich der Bordkarten-Automat der Lufthansa auf einen Mittelplatz im A320-Flieger gesetzt. Platz 16B. Auf 16C saß bereits eine alte englische Lady, die zu einer Reisegruppe alter englischer Ladies gehörte, die alle Gangsitze ringsum weggebucht hatten.
Dann aber kam meine Belohnung für die gute Tat am Morgen. Auf Platz 16A setzte sich eine junge Russin, vielleicht 25 Jahre alt, recht hübsch, mit sehr guten Englischkenntnissen und dem festen Wunsch, mit mir zu plaudern. Sie hatte gerade eine Freundin in Frankfurt besucht und schwärmte von Deutschland, speziell der Rhein-Main-Gegend. Mehr kannte sie ja auch nicht. Sie fand es sehr lustig, dass ich keine Ahnung hatte, wo ich die Nacht verbringen würde. Aber so ist das halt mit den Gruppenreisen. Dein Ziel erfährst Du erst am Ziel. Und wer Dich begleitet, leider auch. Meine schöne Russin verschwand jedenfalls kurz nach der Passkontrolle am Flughafen in Moskau, weil sie auch nicht auf einen Koffer warten musste. Die jungen Dinger haben ja alles, was man für eine Woche braucht, in ihrem Rucksack.
Mit meinem Koffer könnte man auch eine Weltreise machen. Er hat die Strapazen in Indien tatsächlich überlebt (siehe Indien-Blog) und harrte seinem zweiten Einsatz.
So langsam sammelte sich die „Trendtours“-Truppe dann im Vorraum des größten russischen Flughafens, der wohl gerade erst fertig geworden ist. Es soll keine Verzögerungen beim Bau gegeben haben. (Hallo BER, es geht!!!) Während sich die Truppe sammelte, habe ich die SIM-Karte im Handy gewechselt. 8 GB für umgerechnet 10.- Euro pro Monat. Natürlich LTE immer und überall. Und später im Hotel überall kostenloses WLAN. Nein, ich schimpfe jetzt nicht auf Deutschland. Es gibt bestimmt irgendeinen guten Grund, warum wir noch hinter dem Mond leben. Ich kenne ihn nur noch nicht.

Noch eine schöne Kirche.

Die Gruppe. Ich hatte mit maximal dreißig Teilnehmern gerechnet, aber es wurden immer mehr. 52 waren es am Ende! ZWEIUNDFÜNZIG! Wie man mit dieser Menschenmenge anständige Führungen veranstalten will, war mir schon da ein Rätsel. Und dabei sollte es nicht bleiben. Wir 52 waren nur die Vorhut. Trendtours hat das schöne Land noch mit weitaus mehr Touristen überfallen, äh, beglückt. Im Laufe des Tages sollten weitere Maschinen aus allen möglichen Städten in Moskau landen, um die russlandfreundlichen Deutschen zu bündeln. Insgesamt sollten es ca. 300 Touristen werden, die dann auf insgesamt 7 Busse aufgeteilt werden sollten.
Als ich das hörte, hatte ich so ein mulmiges Gefühl im Bauch. 300 deutsche Touristen gleichzeitig im Kreml, auf dem roten Platz und auf dem Schiff? Das hatte ich mir anders vorgestellt. Unsere Reiseleiterin hatte zwar einen guten deutschen Akzent, aber ansonsten kaum Ahnung von Grammatik oder Vokabeln. Im Bus erzählte sie viele widersprüchliche Dinge, so als wäre ihr selbst nicht ganz klar, worauf sie sich mit uns eingelassen hatte.

Der Bus kam um ca. 14:30 nach einem endlosen Stau am Hotel „Salut“ an. Die Pässe wurden eingesammelt. Das Verteilen der Tür-Magnetkarten ging relativ schnell. Nach einer kurzen Pause von vielleicht 45 Minuten, um sich frisch zu machen, hätten wir uns alle ins Getümmel stürzen können.
Konnten wir aber nicht. Nicht nur, dass kein weiterer Programmpunkt für diesen Tag geplant war. Unsere „Reiseleiterin“ war ja damit beschäftigt, weitere Kohorten aus Deutschland vom Flughafen abzuholen. Nein, wir konnten quasi nicht aus dem Hotel. Der schreckliche Kasten aus den 60er-Jahren war zwar leidlich renoviert, aber ganz sicher kein 4-Sterne-Hotel. Um uns rum nur Schnellstraßen oder Wohnblöcke. Hie und da ein Lebensmittelgeschäft. Die nächste Haltestelle der Metro, der weltberühmten Moskauer U-Bahn, war 1,7 km entfernt. Aber selbst, wenn wir den Shuttle-Bus des Hotels in Anspruch genommen hätten, hat sich doch keiner getraut, dieses Abenteuer ohne Führung zu unternehmen. Wir Schisser! Aber es ist wirklich nicht einfach. Man kommt sich vor wie ein Analphabet, weil die kyrillische Schrift uns immer nur „Bahnhof“ verstehen lässt. Nur wenige Schilder – wie im Flughafen – werden zusätzlich mit lateinischer Schrift versehen.
Also bin ich einfach ein bisschen durchs Hotel gelaufen. Irgendwo fand ich die Wechselstube und tauschte ein paar Euro in Rubel um. Für einen Euro bekommt man hier rund 70 Rubel. Die Preise sind ähnlich hoch wie in Deutschland. Als ich das Hotel dann vollständig begriffen hatte, bin ich eben aus Langeweile rund ums Hotel gelaufen. Und da hat man schon was zu tun! Das Hotel hat 22 Stockwerke mit je 67 Zimmern pro Etage. Hab´ jetzt gerade keine Lust, auszurechnen, wie viele Touristen hier rein passen…
Das Wetter war genau richtig. 22 Grad, ein bisschen Wind und Sonne. Luftqualität durchwachsen, aber für eine 15-Millionen-Stadt durchaus annehmbar. Siri, mein kleines Helferlein aus dem iPhone, hatte mir eine Pizzeria empfohlen, die ich nach sieben Minuten strammen Fußmarsches erreichen hätte sollen. Da, wo Siri den Laden vermutete, stand ein Kinderspielplatz. Aber auf der gegenüberliegenden Straßenseite, 8 Spuren gegenüber, gab es tatsächlich eine Pizzeria. Zwar mit anderem Namen, aber das war ja egal. Ich beobachtete die herumlaufenden Einwohner und fand heraus, dass es eine Unterführung gab. Nach etwa einer halben Stunde hatte ich tatsächlich ganz selbstständig ein Restaurant gefunden! Warum ich am helllichten Tag was essen wollte? Nun, im Hotel gab es erst abends etwas. Das Frühstück im Flieger war schon lange verdaut, und mein Magen knurrte. Was also sollte ich machen? ich öffnete die APP „Google-Übersetzer“ und sprach auf deutsch rein: „Ich hätte gerne eine kleine Pizza mit Schinken und Champignons!“. Und das Ding übersetze im Nu meine Bestellung ins Russische. Die Bedienung staunte nicht schlecht, als mein Handy in reinstem Russisch meinen Wunsch über den Lautsprecher kundtat. Sie antwortete auf englisch. „Dauert 15 Minuten. Kostet 450 Rubel“. So langsam wurde mir klar, dass ich meinen Übersetzer gar nicht brauchte. Hier sprechen alle jüngeren Leute ein sehr gutes Englisch. Die Älteren sprechen sogar deutsch. Wahrscheinlich nicht unbedingt gerne.

Meine erste selbst bestellte Pizza in Russland.

Wieder im Hotel fiel mir auf, dass nicht nur die Deutschen inzwischen immer zahlreicher geworden waren. Auch die Chinesen hatten eine Division geschickt, um das Hotel zu füllen.
Dann wurde es ein bisschen langweilig. Müdigkeit übermannte mich. Ein kleines Nickerchen konnte nicht schaden. Zum Abendessen ab 19.00 Uhr hatte ich noch keinen Hunger. Daher ein Besuch der Hotelbar mit leckerem spanischem Wein. Um zehn zu Bette.

Der zweite Tag
Der Tag begann ungewohnt früh. Ich wachte auf, weil es taghell in meinem Zimmer war. Ein Blick auf die Apple-Watch signalisierte 4.00 Uhr. Meinte die Uhr 16.00 Uhr und ich hätte somit 16 Stunden durchgepennt? Das macht wach. Aber nein, es war wirklich vier Uhr morgens. Ganz einfach, weil um 3:45 Uhr bereits Sonnenaufgang war und meine Vorhänge die gleißende Sonne kaum abhielten. Es dauerte lange, bis ich endlich wieder einschlief. Meinen Wecker hatte ich auf 7:15 Uhr gestellt – viel zu früh, wie sich herausstellte. Nach einem reichhaltigen Frühstück im Kreis von rund 600 Deutschen und Chinesen Abfahrt ins Zentrum von Moskau. „Stadtbesichtigung“ hieß der Programmpunkt, der sich leider so ganz anders darstellte als erhofft. Wir waren davon ausgegangen, dass wir einfach zu irgendwelchen interessanten Stellen fahren, dort aussteigen und uns die Chose von Nahem ansehen. Ich hatte extra nur ein dünnes, kurzärmeliges Hemd angezogen, weil es so schön warm war. Schuld am Desaster war ausnahmsweise nicht Gelina, unsere desinteressierte Reiseleiterin. Nein, schuld war das Wetter. Trotz einer gegenteiligen Vorhersage fing es plötzlich an zu regnen. Das bedeutete, dass keiner mehr den Bus verlassen wollte. (Ich ehrlich gesagt auch nicht.) So sahen wir die City halt nur durch die verregneten Fensterscheiben unseres Busses. Moskau ist schon imposant, wenn auch nicht ganz so imposant wie Peking. Aber Moskau ist sehr sauber. Nirgendwo findet man Schmutz auf der Straße. Der Straßenverkehr ist – wie überall in den Großstädten dieser Welt – grauenhaft, aber die Verkehrsregeln sind klar; jeder hält sich daran. Die Autos kommen aus Korea, Japan und Deutschland (in der Reihenfolge), und die Linienbusse fahren größtenteils elektrisch mit Oberleitung. Rentner dürfen alle Verkehrsmittel übrigens kostenlos benutzen, nur Taxis kosten natürlich Geld. In Russland gibt es seit dem Ende der Sowjetunion außer einer kostenlosen „Ersten Hilfe“ keine Krankenversicherung. Eine 3-Zimmer-Eigentumswohnung kostet etwa 60.000 bis 100.000 Euro – fast alle haben eine. Eigenheime oder Reihenhäuser habe ich nicht gesehen, nur riesige Wohnblocks. Für die Promis gibt es zwar auch ein paar Vorzeige-Villen, aber die sind völlig untypisch für die Stadt. Außer der Grundschule sind weiterbildende Schulen seit der „Wende“, wie die Auflösung der Sowjetunion auch hier genannt wird, kostenpflichtig. Überall schießen Privatschulen und -Universitäten aus dem Boden. Und immer wieder hören wir: „Moskau ist nicht Russland!“ Nun gut, das werden wir ja noch sehen.

Rainer am roten Platz. Im roten Hemd natürlich.

Endlich dürfen wir dann doch raus, weil der Regen sich zu einem Nieselregen verdünnt hat. Am berühmten „Roten Platz“ bekommen wir zwei Stunden Auslauf. OK, unsere Reiseleiterin hat uns kurz etwas über die Hintergründe des Platzes erzählt (Roter Platz heißt übersetzt eigentlich „Guter Platz“), aber ihre Stimme drang trotz ihres umgehängten Mini-Lautsprechers nur selten durch den Straßenlärm. Natürlich haben wir nach Matthias Rust gefragt. Das war der durchgeknallte Typ, der auf dem roten Platz gelandet ist. Und das war sogar eine Fake-Meldung, denn er ist gar nicht auf dem Platz gelandet, sondern auf der Brücke, die auf den Platz führt. Unsere Reiseleiterin war angeblich dabei. Mit einer Schweizer Reisegruppe. Sie wurde deswegen auch verhört. Da Reiseleiter damals in der UDSSR als hochgradig verdächtig galten, gab sie an, sie wäre während der Landung mit ihrer Gruppe im Zirkus gewesen. Was ja auch irgendwie stimmte, denn der Zirkus um diesen Vorfall war enorm. Die gesamte Flugabwehr war wohl an diesem Tag besoffen. Der eine oder andere Kopf dürfte damals gerollt sein…
Sie zeigte uns das vermutlich größte Moskauer Einkaufszentrum, das direkt an den Roten Platz anschließt und gab uns zwei Stunden Freizeit. Da es schon wieder anfing zu regnen, haben wir uns alle in diesem Einkaufszentrum die Füße vertreten. Und da gab es wirklich viel zu sehen! Drei Passagen von etwa 300 Metern Länge – und das auf drei Stockwerken. Mit den Zwischengängen rund drei Kilometer Einkaufsparadies. Und die Moskauer High Society war auch reichlich vertreten. Alle großen Modemarken der Welt sind hier mit sehr aufwändig gestalteten Geschäften vertreten. Ohne Frage eins der imposantesten Einkaufszentren, das ich je gesehen habe, USA eingeschlossen. Da ich nun keine Lust auf eine neue Gucci-Tasche oder eine Boss-Unterhose hatte, habe ich mir schlauerweise einen Schirm gekauft! So eine Art „Knirps“ für 1000 Rubel, also rund 14 Euro. Kostet bei uns höchstens 3,95, beim Chinesen sogar nur die Hälfte. Da unser Programm kein Mittagessen vorsah, habe ich mir in diesem Zentrum auch noch eine kleine Nudelspeise erlaubt. Ich wollte mal testen, ob ApplePay in Russland funktioniert und hielt meine Uhr an das Terminal. Eine Sekunde später war die Rechnung bezahlt. Der Kellner war noch nicht einmal ein ganz klein bisschen erstaunt. Ok, wer aus Deutschland kommt, hat selbst in den Augen der Russen keine IT-Kompetenz.

Immer noch am roten Platz.

Wieder draußen im Regen musste ich nun meinen Zusatzausflug „Der Kreml“ durchstehen. Bei mittlerweile strömendem Regen war das trotz meines nagelneuen Schirms keine große Freude. Es wurde auch zunehmend kälter. Ein Gewitter drückte die Temperatur auf 16 Grad runter. Und ich hatte immer noch mein dünnes, kurzärmeliges Hemdchen an, das allerdings inzwischen patschnass war. Wo immer es möglich war, quetschten wir uns durch heiß umkämpfte Eingänge zu irgendwelchen alten Kirchen, die auf dem Kreml-Gelänge rumstehen. Unsere Freunde aus China hatten auch keine bessere Idee. So waren denn die Gotteshäuser endlich mal wieder voll, auch wenn die Predigt nur von Dutzenden von Reiseleitern in mindestens zehn Sprachen kam.

Die berühmte Kongresshalle mit ihren 6000 Plätzen war leider geschlossen, und die „richtigen“ Regierungsgebäude waren für uns natürlich tabu. Putin hatte auch schon Feierabend. Also kämpften wir uns wieder an den angrenzenden Roten Platz und bestaunten noch die sehr hübsche „Christ-Erlöser“-Kathedrale, zumindest von außen. Dann wurden wir wieder zu Freizeit verdonnert, um die Zeit bis zur Abholung durch unseren Bus zu überbrücken. Also ich wieder rein ins Einkaufszentrum. Es zog sich. Um 16.00 Uhr sollte der Bus uns abholen. Er kam aber erst um halb fünf.
Im Hotel mal kurz geduscht, umgezogen und stadtfein gemacht. Nach dem Abendessen stand uns nämlich noch ein weiteres Highlight bevor: MOSKAU BEI NACHT!

Wer aber glaubt, wir wären jetzt erstmal in irgendeinen Club gefahren, um mit Wodka vorzuglühen, irrt gewaltig. 

Wir sind U-Bahn gefahren.

Hier geht´s in die Gewölbe der Metro.

Genauer gesagt, die berühmte METRO. Eine der tatsächlich schönsten und saubersten U-Bahnen der Welt. Vermutlich die allersauberste im ganzen Universum, denn es lang wirklich nirgendwo auch nur ein Fitzelchen auf dem Boden. Jede Station ist anders gestaltet, sehr künstlerisch oder sehr – nun ja, russisch. Die gesamte russische Geschichte spiegelt sich in den Marmor-Skulpturen wieder. Die Bahnen machen einen Höllenkrach, weswegen unsere Reiseführerin zu modernster Technik (aus China) griff. Jeder bekam einen Bluetooth-Empfänger um den Hals gehängt, zusammen mit einem Ohrstöpsel. Gelina hatte den Sender und das Mikrophon. Und tatsächlich konnten wir sie alle bis zu einer Entfernung von rund 20 Metern kristallklar hören. Leider auch, als sie ohne Vorwarnung anfing, ein russisches Lied zu singen. Aber so ein Ohrstöpsel ist ja schnell aus dem Gehörgang gezogen…
Wir fuhren insgesamt 5 verschiedene Stationen an. Jedesmal stiegen wir aus, bestaunten die Architektur und fuhren weiter. Interessant: Wenn Jugendliche uns alte Klappergestalten wahrnahmen, erhoben sie sich sofort und boten uns ihren Sitzplatz an. Das ist mir in Deutschland schon jahrzehntelang nicht mehr passiert. Ok, ich sollte mal wieder U-Bahn fahren. Vielleicht hat sich da was geändert.

Zur Abwechslung mal eine Moschee. ebenfalls am Roten Platz.

Und wieder landeten wir am Roten Platz. Der sah plötzlich ganz anders aus. Alle Gebäude waren kunstvoll illuminiert. Das Einkaufszentrum sah aus, als wäre schon wieder Weihnachten. Aber die ganzen historischen Gebäude, der Kreml, die Kathedralen – alles war wunderhübsch anzusehen. Nach vielen Aahs und Oohs war dann aber auch mal wieder Zeit für die Heia. Nur leider kam der Bus nicht. Der Fahrer war wohl irgendwo eingeschlafen. Erst 30 Minuten nach der verabredeten Zeit tauchte er auf und verfuhr sich zu allem Überfluss auch noch im nächtlichen Moskau. Unsere Reiseleiterin konnte einen Schreikrampf kaum vermeiden.
Letztendlich im Hotel dann doch noch ein Bier an der Bar genossen. Um ein Uhr war der Tag dann rum. Schade. Wieder viel Zeit mit nichts verbracht. Wenn der Abschluss am Roten Platz nicht so schön gewesen wäre, hätte ich jetzt langsam schlechte Laune.

Der dritte Tag
Auch heute wieder Abfahrt um neun Uhr. Die Massenabfertigung im Hotel funktioniert zwar ohne Stau (Allein sechs Kaffeeautomaten!), aber man hechtet ständig hin und her, um die notwendigen Zutaten fürs Frühstück einzusammeln. Wenn man zurückkommt, sitzen plötzlich neue Leute am Tisch. Es wird Zeit, diesen Kasten zu verlassen. Laut Plan steht uns eine ganz besondere Ausstellung bevor: Die „Leistungsschau der russischen Industrie“. Das klingt schon mal sehr bombastisch und ist es auch, bzw. wäre es auch, wenn wir etwas davon mitbekommen hätten. Es handelt sich um nichts Geringeres als eine Weltausstellung nur für Russland. Oder ein Disneyland ohne Disney. Oder einen Rummelplatz ohne Fahrgeschäfte. Oder eine Museumsinsel ohne Museen. Was wir sahen, war ein riesengroßer Park mit vielen kitschigen Brunnen und ebenso kitschigen Hallen, bzw. Gebäuden ringsherum. Leider habe ich die Mietstation für die Seqways nicht entdeckt und musste daher die ganzen vielen Kilometer zu Fuß durch das Gelände laufen. Vereinzelt unternahm ich den Versuch, eine der protzigen Hallen zu besuchen, die irgendwelche Highlights der russischen Wirtschaft feierten. Leider waren die alle geschlossen oder gerade im Umbau. Unsere Reiseleiterin versprach aber als absolute Sensation den Besuch der „Cosmos“-Station, in der man die Original MIR-Raumstation und diverse Sputniks sehen können sollte. Als ich nach knapp einer Stunde schmerzenden Fußes dann endlich dort ankam, war die Halle noch geschlossen. Öffnung erst um halb zwölf. So lange konnte ich nicht warten, da wir  bereits um zwölf weiterfahren sollten. Immerhin konnte man eine Kopie der Rakete sehen, mit der Gagarin damals zum Mond geflogen sein soll. Sie war vor der Halle zusammen mit einigen anderen militärischen Fluggeräten aufgebaut. Frustriert lief ich die vielen tausend Meter wieder zurück zum Eingang. Also wieder ein falsches Reisemanagement unserer „Leiterin“. Angeblich kannte sie die Öffnungszeiten nicht. Weiß sie überhaupt was? Zum Beispiel die Öffnungszeiten für das Lenin-Mausoleum? Oder eben für die Cosmos-Halle? Nein, weiß sie nicht. Auch auf viele Fragen der Mitreisenden ging sie nicht ein oder antwortete ausweichend. Mein Bereitschaft, sie mit Trinkgeld zu beglücken, schwand stündlich. Danach hatten wir eine weitere Stadtrundfahrt vor uns. Der Fahrer von gestern wurde übrigens ausgetauscht. Nur, weil er sich verfahren hat? Wir werden es nie erfahren. Wir sahen viele schöne Gebäude, zum Teil mit historischen Hintergrund. Was man halt so in einer Großstadt braucht. Außenministerium, Amerikanische Botschaft, Oper, Theater,  KGB etc.

Die beiden waren auch da. Leider nur aus Pappe.

Wir parkten an einer angeblichen Einkaufsstraße. Tatsächlich ist es wohl eher eine Touristenstraße. Viele Lokale, unter anderem das „Hard Rock Café“, viele Kunstläden und alternative Unterhaltungsmöglichkeiten. Dazu Dutzende von Malern und Zeichnern, die die Straße im Wechsel mit Musikgruppen bevölkerten. Die Straße war wie überall extrem sauber, was unter anderem daran lag, dass pausenlos Reinigungswagen mit Druckwasserdüsen den Staub wegwischten. Ich habe mein Mittagessen im Hard Rock Cafe echt genossen.

Damit war Juri Gagarin schon mal auf dem Mond.

Und dann war es auch schon vorbei mit Moskau. Wir haben kaum was gesehen, aber doch einen ganz guten Eindruck bekommen. Es ist halt eine Großstadt. Eine Weltstadt. Ein bisschen sehr ruhig zwar, aber dafür sauber und ordentlich. Keine Kritzeleien an den Wänden, keine Bettler, kaum Junkies, Ein glückliches Volk? Das kann ich nicht beurteilen. Die aktuellen Demonstrationen lassen hoffen, dass es einen Willen zu Veränderungen gibt. Hoffentlich bleibt es friedlich.

Wir fuhren zur Anlegestelle. Ab hier sollte die Reise mit einem Fluss-Kreuzfahrtschiff weitergehen. Die „MS RUSS“ wurde wohl schon in den Achtziger-Jahren des letzten Jahrhunderts gebaut, seitdem aber viel Male umgerüstet und modernisiert. Sie fasst genau die etwa 300 Passagiere, die Trendtours für den Trip zusammengekarrt hat. Seit 2017 ist die russische Reederei Partner der Frankfurter Firma. Von Ende Mai bis in den Oktober schippert der Kahn die Wolga rauf und runter, im Konvoi mit bis zu sieben weiteren Schiffen dieser Art, die von anderen Agenturen bestückt werden. Meist mit Chinesen. Wie viele Schiffe insgesamt die Wolga hoch- und runterfahren, war nicht rauszufinden.

Helden der Arbeit.

Wir konnten also einsteigen. Die Koffer wurden von den Matrosen direkt vor die Zimmer gebracht. Sagte ich „Zimmer?“. Schon mal falsch. Es sind Kabinen, eigentlich eher „Kabinchen“ oder bessere Schlafkojen. Mein Domizil war genau zwei Meter breit und drei Meter fünfzig lang. Das musste für mein Bett (90 cm breit), einen Schrank, eine Ablage und ein Winzig-Bad reichen. Die Dusche war direkt vor dem Waschbecken angebracht. Ein Vorhang schützte die Toilette vorm Wasser, aber der Rasierapparat und alles Andere am Waschbecken wurden natürlich mitgeduscht. Ich glaube, selbst Schwerverbrecher haben eine komfortablere Zelle als die Reisenden auf diesem Schiff. Und ich hatte ja sogar eine Einzelkabine gebucht! Die Doppelzimmer waren zwei Meter dreißig breit, was den persönlichen Aktionsradius bei zwei Reisenden aber auch nicht sonderlich erweiterte.

Diese Kirche war mal bedeutend größer.

Egal, der Mensch gewöhnt sich an alles. Das Fenster ließ sich immerhin öffnen, um den etwas miefigen Geruch zu neutralisieren. Leider ließ sich ein offenes Fenster auch von außen von der Reling aus öffnen, was die Sicherheit meiner bescheidenen Schätze (wie iPad oder Macbook Air) dann doch etwas einschränkte. Einen Tresor gab es nicht.
Das Bett war ultrahart und zur Kabinenmitte hin durchgelegen. So langsam fürchtete ich mich vor der Nacht. Dass meine Kabine nur wenige Meter neben der Panorama-Bar lag, tröstete nur wenig.

Aber erst einmal wurden wir alle ganz herzlich begrüßt. Vom Kapitän, der nur russisch sprach, und den ganzen wichtigen Leuten an Bord. Man hatte uns mal wieder in Gruppen unterteilt. Ich gehörte zur Gruppe zwei von insgesamt sechs Gruppen. Und mit dieser Festlegung wurde uns auch gleich der Tisch zugeteilt, an dem wir uns die Speisen zu Munde führen sollten. Gruppe 2, Tisch 9. Keine Änderung möglich. Wir sind halt in Russland.

Die Leiterin der Reederei, Olga, machte bei ihrer Vorstellung eine in jeder Hinsicht gute Figur. Auch unsere Gruppenleiterin Anja machte einen souveränen Eindruck. Überhaupt war das gesamte Personal von ausgesuchter Freundlichkeit. Die meisten Mitarbeiter sprachen eine durchaus akzeptables Deutsch.
Nachdem wir alle in unseren Kabinen untergebracht waren, ging es weiter mit einer Informationsstunde im „Versammlungsraum“. Da dieser Raum nur maximal 150 Personen fasste, musste Olga ihren Vortrag (und auch alle späteren) zweimal halten. Wir wurden informiert, dass es extrem wichtig sei, die Fenster vor Einbruch der Dunkelheit zu schließen, um einer derzeit grassierenden Mückenplage zu entgehen. Wir lernten alles über das Verhalten bei Landgängen und wurden ermahnt, alle Zeiten pünktlich einzuhalten. Im letzten Jahr hätten zwei Deutsche nach einem Landgang das Schiff nicht mehr pünktlich erreicht und mussten daher mit einem nachfolgenden Schiff hinterherfahren. Das wäre nicht so schlimm gewesen, wenn es sich bei diesem Schiff nicht um ein Schiff voller Chinesen gehandelt hätte. (Hier kam ein großer Lacher. Ich habe wirklich nichts gegen Chinesen, aber in großen Gruppen sind sie schon sehr anstrengend)

Da fährt gerade die Transsibirische Eisenbahn drüber. Echt!

Nach dieser Informationsstunde gab es dann auch noch eine Sicherheitsübung. Alle Passagiere mussten in Ihre Kabine gehen und sich die Schwimmweste anziehen, die sich unter den Betten befand. Das Personal checkte dann, ob alle sich richtig angeschnallt hatten (was bei vielen übrigens nicht klappte) und erklärte uns dann für „gerettet“.

Und dann war auch schon Zeit für das Abendessen. Ich hatte aus alten Erfahrungen damit gerechnet, dass man uns – wie üblich – ein üppiges Buffett aufbauen würde, dass wir Ruck-Zuck gestürmt und geleert hätten, um uns dann das weitere Bordprogramm einzupfeifen.
Dem war nicht so. Wir wurden bedient wie im 5-Sterne-Lokal. Mit einem Essen wie im 5-Sterne-Lokal. Mit Getränke-Preisen wie im 5-Sterne-Lokal. Vorspeise, Suppe, Hauptgericht, Nachtisch. Und das Beste: Bei allen Kategorien konnte man aus zwei bis drei Varianten auswählen. Selbst Veganer kamen auf ihre Kosten. Und damit die Küche nicht große Mengen wegwerfen musste, hatte man hier an Board eine sehr clevere Idee: Wir Gäste mussten immer am Vortrag in einem Formular ankreuzen, was wir am nächsten Tag gerne essen wollten. So musste die Küche nicht unnötig Gerichte vorhalten, die sowieso keiner wollte. Das Ausfüllen dieses Formulars war leider für eine Tischnachbarin nicht trivial. Sie hat das Prinzip nicht verstanden. Ich habe dann gerne ausgeholfen.

Unser täglicher Speiseplan (wechselnd).

Nach dem hervorragendem Abendessen ging das Programm dann natürlich noch weiter. In der Panoramabar spielte eine ältere Dame lustige Weisen auf dem Klavier, und unser Speisesaal wurde zur Disco umgebaut. Ich habe mich mit meiner elektronischen Schreibhilfe unter Zuführung einiger Winzig-Portionen weißen Weines in die Bar gesetzt und diese Zeilen verfasst.
Danach auf meiner Pritsche eine schwierige Nacht verbracht. Bei jeder Drehung bin ich irgendwo angestoßen. Lange Paranoia wegen Mücken, die eventuell doch eingedrungen sein könnten.
War aber nix.
Nettoschlafzeit höchstens 5 Stunden.

Der vierte Tag

Das Frühstücksbuffet an Board der „MS RUSS“ war zwar nicht überbordend, aber dennoch ausreichend und lecker. Das Schiff hatte über Nacht schon einige Meilen abgearbeitet und dabei sechs Schleusen passiert. Von der Mündung der Wolga bis zu zu ihrem Ende im Kaspischen Meer, etwa 3300 km, müssen rund 220 Meter Höhenunterschied überbrückt werden. Wir fuhren allerdings „nur“ 1318 km weit. In der gar nicht so guten alten Zeit, ohne die Stauseen, vertrocknete der Fluss im Sommer, so dass Zwangsarbeiter die Holzschiffe über das Flussbett ziehen mussten. Stalin war es wohl, der den Auftrag gab, das Problem mithilfe von Stauseen zu lösen. Das bedeutete aber auch, dass zigtausende von Häusern umgesiedelt werden mussten, weil sie sonst unter dem Wasserspiegel gelegen hätten. Der Bau der Schleusen wurde von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen durchgeführt, die dabei auch gleich ihr Leben ließen. Besonders zimperlich war Stalin bekanntlich nie.

Um elf Uhr erwartete uns zunächst ein Vortrag über die bevorstehende Reiseroute. Im Versammlungssaal erklärte uns die schöne Olga, was wir warum wo sehen würden. Dazu gab es ein paar schöne Bildchen auf der Leinwand, die man für zehn Euro auch anschließend auf DVD gepresst kaufen konnte. Währenddessen spielte die andere Hälfte des Schiffes Bingo.
Und dann war auch schon wieder Mittagszeit. Das Essen war auch jetzt wieder außergewöhnlich gut. Statt mich beim Russisch-Kurs anzumelden, bin ich fauler Sack dann doch lieber wieder zurück in meine Koje gefallen. Das ungewohnte Bett(chen) hatte mich schon ziemlich gerädert.

Um 16:30 erreichten wir dann – nach einer weiteren Schleuse – die Stadt Uglitsch. Unser erster Ausflug stand bevor. Vor dem Verlassen des Schiffes musste man seinen Zimmerschlüssel abgeben und gegen ein Umhängeschild eintauschen, dass uns auch 30 Meter gegen den Wind als Touristen brandmarkte. Auch hier wurden wir wieder in sechs verschiedene Gruppen eingeteilt. Jede Gruppe bekam eine eigene, sehr gut deutsch sprechende Reiseleiterin. Zu Fuß liefen wir die direkt an der Kaimauer liegende Stadt und besuchten mal wieder eine Kirche, die sogenannte „Demetrius-Kirche“. Ich habe es schon in Moskau aufgegeben, diese ganzen Kirchen und die Gründe ihrer Existenz, deren Glaubensrichtung oder Daseinsberechtigung auseinanderzuhalten. Das würde den Rahmen dieses Blogs auch deutlich sprengen. Und wahrscheinlich passt hier der Spruch: „Kennste Wayne?“ – Nee – „Wayne interessiert´s?“. Die Kirchen in Russland wurden regelmäßig niedergebrannt, wieder aufgebaut, zerstört und neu errichtet. Da blickt doch eh keiner durch. Im Moment wird wieder alles restauriert. Die Bildchen und Fresken gleichen sich sowieso weltweit.
Umso schöner war die Idee der Veranstalter, uns in dieser Kirche ein Konzert darzubieten. Vier Herren mit schönen Stimmen sangen uns zwei wunderschöne russische Lieder. Dann empfahlen Sie uns den Kauf ihrer CDs, was auch bei einigen Mitreisenden einen sofortigen Kaufimpuls auslöste. Unsere coole Stadtführerin erzählte uns noch einige schöne schaurige Geschichten von dem achtjährigen Sohn von Zar Ivan dem Schrecklichen, der schon seinen Zweitgeborenen im Zwist mit seinem Zepter niederstreckte. Der Achtjährige war der Sohn seiner siebten Ehefrau und wurde angeblich im Auftrag von Papa meuchlings ermordet. Es soll dann gleich zwei Typen gegeben haben, die behaupteten, als genau dieser Bub wieder auferstanden zu sein. Alles sehr verwirrend und sicher selbst mit Unterstützung der Bildzeitung nicht mehr aufzuklären. Also schon damals: Alles Fake-News.

Manche Kathedralen bringen ernsthaft Qualen.

Die rund einstündige Führung endete mit Freigang. Sonderlich viel gab es ohnehin nicht zu sehen. Also bleib ich in einem Café hängen, in dem auch Bier ausgeschenkt wurde. Netter Kontakt zu anderen Vielreisenden gefunden. Um 19.15 Uhr mussten wir wieder an Bord sein. Hier tauschten wir unsere Hundemarke wieder gegen unsere Zimmerschlüssel zurück. Das Abendessen wartete bereits auf uns. Motto: „Zurück in die UDSSR“. Will das denn wirklich jemand? Das Essen war trotzdem sehr lecker.
Nach dem Essen verpasste ich den musikalischen Vortrag „Geschichte Russlands in 7 Noten“ mit der Bord-Pianistin Vera. Das waren mir dann doch zu wenig Noten für so viel Geschichte. Auch die „Tanz- und Unterhaltungsmusik“ mit dem bordeigenen Sänger OLEG ließ ich aus. Ich versäumte sogar den gewiss spannenden Film „Gefangen im Kreml – die russischen First Ladies“ im Veranstaltungsraum. Nein, ich setzte mich ins Panorama-Cafe, schrieb an diesem Blog weiter und hatte noch ein paar nette Gespräche mit Mitreisenden von irgendwoher aus Deutschland.
Ach, ganz vergessen: Es gab tatsächlich zwei Frauen auf dieser Tour, die ich aus Bad Homburg kannte! Und zwar die Witwe unseres damaligen Hausmeisters des Kaiserin-Friedrich-Gymnasiums samt ihrer Schwester. Rolf Steinmetz war wohl der beliebteste Hausmeister ever. Noch Jahrzehnte nach meinem Abitur trafen wir uns immer wieder bei allen möglichen Veranstaltungen. Die Welt ist doch wirklich klein.

Gegen 22.00 Uhr in die Kajüte. Noch ein paar Artikel im Spiegel gelesen, dann todmüde ins Bett.

Der fünfte Tag
So langsam kehrte Routine ein. Nach dem reichhaltigen Frühstück wurde im Veranstaltungsraum in täglichem Wechsel alles Mögliche angeboten: Russischkurse, Einführung in die russische Küche, Gesangstunden mit Tanja, russische Märchen und diverse Videovorführungen. In den Zeiten dazwischen wurde gegessen oder in der Bar rumgesessen. Einmal am Tag hatten wir Landgang. Heute ging es nach Jaroslawl. 600.000 Einwohner und mindestens 35 Kirchen, von denen rund ein Dutzend noch in Betrieb sind. Ich erspare mir die Details. Nett wurde es im städtischen Museum. Drei junge Damen in der Kleidung des 19. Jahrhunderts führten uns durch „ihr“ Schloss. Perfekte Darsteller mit sehr guten Deutschkenntnissen. Das Ganze endete im Ballsaal, wo ein kleines Trio, bestehend aus Klavier, Cello und Geige aufspielte. Und nicht nur das. Die drei Grazien forderten uns zum Tanzen auf! Morgens um elf! Wenn sich unsere Museen auch solche Dinge einfallen ließen, würde ich bestimmt öfter mal eins besuchen…
Danach hatten wir noch ein wenig Freigang. Auf einem kleinen Markt erwarb ich „garantiert echte“ Nike-Turnschuhe für umgerechnet 27 Euro. Sie sitzen perfekt.
Nach vier Stunden Landaufenthalt bei strahlendem Sonnenschein ging die Fahrt weiter. An Bord versäumte ich den Kurs „Wir bemalen die russische Holzpuppe Matrjoschka“ und die Anleitung, wie man russische Pelmeni macht, so eine Art Ravioli. Auch die Teezeremonie ließ ich aus, genau wie den Kurs mit den russischen Tänzen. Selbst das Konzert mit russischer Volksmusik, dargeboten vom bordeigenen Ensemble „SLAWITSA“, wurde ohne meine Anwesenheit gegeben. Ich interessierte mich auch nicht für die Sonderpreise von Fabergé-Eiern, Ostsee-Bernstein und Lackdosen im Souveniershop des Schiffs noch für den Erwerb der Fotos, die ein fleißiges Fototeam während der ganzen Schiffsreise von uns machte. Auch hatte ich kein Ohr für den DJ des Schiffes, OLEG, der leider alle Titel, deren Texte er ungefähr kannte, auch mitsang oder gar ein Auge für die Filmvorführung „Katharina die Große – Frauen, die Geschichte machten“.
Nein, ich machte rein gar nichts außer Faulenzen und ein bisschen Schreiben. Und essen. Und trinken. Genau. Das war der Fokus.

Eine unserer reizenden Gruppenleiterinnen.

Der sechste Tag
„Zu Gast bei russischen Märchen“ lautete das heutige Motto auf dem Schiff. Und obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, die Frühgymnastik mit LENA mitzumachen, um „energiegeladen in den neuen Tag“ zu kommen, war ich leider eine halbe Stunde zu spät aufgestanden. Während im Versammlungsraum über russische Ikonen debattiert wurde, war ich einer der letzten am Frühstücksbuffet.
Um 11.00 Uhr erreichten wir die Stadt Goritzy. Auch hier wurden wir wieder von Bussen abgeholt und in ein Kloster gekarrt. Das „Kyrillov-Kloster“ ist wohl sehr berühmt, aber stinklangweilig. Auch hier erwarteten uns wieder ein paar Sangesbarden, um uns zwei Liedchen vorzusingen. Große Kunst – Perlen vor die Säue geworfen. Wir Kunstbanausen konnten die Leistung kaum würdigen.
Bei der Rückkehr zum Bus fing es plötzlich an wie aus Eimern zu gießen. Meinen Schirm hatte ich längst irgendwo verloren. Aber so eine frühe Dusche macht ja auch wach. Rund ums Schiff Dutzende von Verkaufsständen für den üblichen Schnick-Schnack.
Beim Mittagessen großes Entsetzen: Meine Tischnachbarin hatte am Vortag den Menuzettel falsch ausgefüllt und bekam jetzt weder eine Vor- noch eine Hauptspeise. Nur ihr Mann durfte essen. Wir anderen hatten das zwar vorher bemerkt und beschlossen, sie auflaufen zu lassen, getreu dem Motto: „Nur durch Fehler kannst Du lernen“! Hat sie leider nicht. Am nächsten Tag kreuzte sie wieder völlig planlos alles Mögliche an, nur nicht die Gerichte für sie oder ihren Mann.
Nach dem Mittagessen hätte ich gerne eine Gesangsstunde bei TANJA und KIRA genommen, aber die beiden waren nicht auf Männer eingestellt. Und „Sopran“ singe ich schon lange nicht mehr. Ich hätte mir alternativ russische Märchen anhören oder das Video „Schlafend zum Baikalsee – 7500 km mit der sibirischen Eisenbahn“ anschauen können. Stattdessen bekam ich mehr oder weniger plötzlich böse Schmerzen im linken Handgelenk. Ich konnte die Hand nicht mehr nach links drehen und nur unter großen Schmerzen irgendwas anfassen. Wie sich später herausstellte, hatte ich mir doch tatsächlich aus heiterem Himmel eine Sehnenscheidenentzündung eingefangen. So konnte ich beim Konzert unseres Bordensembles „SLAWITZA“ gar nicht mitklatschen. Und auch der geplante Tanzabend MIT UNSEREN BORDBEGLEITERINNEN (!) beschränkte sich auf einen Tanz, den ich zudem gleichzeitig auf Video aufnahm. Und zwar zur atemlosen Musik von Helene Fischer, die ja bekanntlich aus Russland stammt.
Sicherheitshalber dann gleich ins Bett. Im Bordradio lief ein literarisches Werk von Alexander Puschkin, „Schneesturm“, vorgelesen von „DMITRIJ“ – mit musikalischer Untermalung. Zum Glück kann man den Lautsprecher abstellen.

Der siebte Tag
Gleich nach dem Frühstück habe ich die Bordärztin aufgesucht. Die Ferndiagnose meiner Schwester stimmte zu 100%. Sehnenscheidenentzündung. Behandlung mit Ibuprofen und Diclofenac-Salbe. Handgelenk mit Verband fixiert. Ist schon besser geworden. Der Arztbesuch kostete 2500 Rubel, also rund 35 Euro. Die Verwaltungsarbeit für die Rechnung dauerte länger als die Behandlung.
Danach wartete wieder ein Vortrag der schönen Olga auf uns. Im vollbesetzten Veranstaltungsraum erzählte sie uns alles über Russland, was wir nicht zu fragen wagten. Ich hoffe, ich bekomme die ganzen Facts noch zusammen.

Also, Russland ist das größte Land der Erde, 47 mal so groß wie Deutschland übrigens. Während bei uns 22 Menschen pro Quadratkilometer leben, sind es in Russland gerade mal acht. Insgesamt hat das Land mit seinen 22 Republiken (von denen die KRIM die jüngste ist) insgesamt 145 Millionen Einwohner. Es gibt zwar 11 Zeitzonen, aber nur noch die Sommerzeit. Die 22 Republiken haben übrigens eigene Gesetze.
Olga ließ es sich auch nicht nehmen, dass sie die Annektierung der Krim für richtig hält. 90% der Krim-Bevölkerung hätten immerhin für den Anschluss an Russland gestimmt.

Der Baikalsee ist der größte Süßwassersee der Welt. Der längste Fluss heißt Lena und ist 4400 km lang. Die Staatsgrenze sogar 58.000 km. Die Wälder Russlands sind doppelt so groß wie der Amazonas. Die Temperaturen reichen von – 70 Grad (in Sibirien) bis hin zu + 45 Grad.
Dreiviertel aller Russen wohnen in Städten, weil man auf dem Land keine Arbeit findet. Die größte Stadt mit geschätzten 15 Millionen Einwohnern ist natürlich Moskau. Übrigens wohnen auch noch immer rund 300000 Deutsche in Russland.
Die Durchschnittsrussin bekommt 1,6 Kinder. Das ist zu wenig. Daher gibt es z.B. für das zweite Kind eine Prämie von umgerechnet 6000.- Euro, die kindesbezogen zu verwenden ist. Beim dritten Kind zeigt sich der Staat besonders großzügig: Dann schenkt er seinen Untertanen ein Grundstück! Land ist ja genug vorhanden…

Die Kids kommen mit drei Jahren in den Ganztags-Kindergarten. Der kostet inkl. Essen und Trinken nur 30.- Euro pro Monat. Und hier lernen die Kinder schon früh Fremdsprachen, Lesen und Schreiben. Zur Einschulung mit sechs oder sieben Jahren muss man das nämlich schon können!

Die Arbeitslosenquote liegt bei offiziellen 2,4%, ist in Wirklichkeit aber bedeutend höher. Da man auf sein Einkommen generell nur 13% Steuern zahlt sowie 36% für Rente, Wohnen und sonstige Abgaben, werden viele Gehälter doppelt bezahlt: Einmal offiziell zum Mindestlohn und dazu ein Umschlag mit zusätzlichen Scheinchen, die nicht versteuert werden. Weiß jeder, ist dem Staat wohl egal. Es kümmert sich niemand darum. Der Mindestlohn beträgt umgerechnet 100.- Euro, der Durchschnittsverdienst 500.- Euro. Alle arbeitsfähigen Russen haben mehrere Jobs, um über die Runden zu kommen. Aber trotz der Steigerung aller Einkommen ist der Realverdienst sogar gesunken.
Olga erzählt, dass sie 5 Monate im Jahr auf diesem Schiff arbeitet – ohne Pause, ohne einen einzigen freien Tag. Ihre Tochter wohnt derzeit bei den Großeltern, ob es denen passt oder nicht. Das hat noch einen Vorteil: Auf dem Land gibt es kaum Internet, sodass ihre Kleine lieber im Freien spielt als auf ein Handy zu glotzen.
Abgeordnete verdienen übrigens deutlich mehr: Offiziell ist von umgerechnet 6500.- Euro monatlich die Rede; inoffiziell dürften es noch ein paar Euro mehr sein.
Die Rente beträgt gerade mal 200.- Euro. Das Rentenalter wurde neulich angehoben: Bei Männern auf 65 Jahre, bei Frauen auf 60 Jahre. Das klingt moderat, aber der russische Mann lebt leider statistisch nur 67,5 Jahre. Frauen werden 77 Jahre alt, wodurch in Russland ein Überschuss von rund 10 Millionen Frauen vorhanden ist.
Das Leben ist billig. Eine gemietete 3-Zimmer-Wohnung kostet z.B. nur 45 Euro Miete. 87% aller Russen haben allerdings eine eigene Wohnung. Früher wurden die Wohnungen vom Staat verschenkt, heute kommt man nur noch durch eine Erbschaft dran. Wer das Glück hat, eine Wohnung kaufen zu dürfen, zahlt etwa 20.000 Euro für eine 60qm-Wohnung im Umland von Moskau. Bei 10-12% Immobilienzinsen ist das allerdings auch nicht gerade günstig. Noch immer wohnen daher in der Regel drei Generationen in einer Wohnung. Für den Sommer besitzt fast jeder Russe eine „Datscha“ irgendwo im Grünen. Mehr als umgerechnet 3000.- Euro kostet sie selten. Während der dreimonatigen Sommerferien verbringt die Familie dort die Zeit mit den Großeltern. Jeder hat seinen eigenen Gemüsegarten und lebt so relativ autark.
Olga beendete ihren Vortrag mit der Feststellung, dass alle Russen sehr gastfreundlich seien, nur lachen würden, wenn es einen Grund dafür gäbe und sich ansonsten aus der Politik heraus hielten.

Chorprobe auf dem Schiff.

Danach hätte ich die Chance gehabt, mit „LENA“ und „ANJA“ alles über Line-Dancing zu Country-Musik zu lernen. Ich habe dankend verzichtet. Leider habe ich auch den Besuch der Brücke verpasst, der mich sogar interessiert hätte. Das Schiff, die MS RUSS, wurde 1987 gebaut, und zwar in der damaligen DDR. Ein Video über die Museumsinsel „KISCHI“, die wir am Nachmittag besucht haben, fand ebenfalls ohne mich statt.
Um 15:30 Uhr erreichten wir den nördlichsten Punkt unserer Reise, eben die Museumsinsel KISCHI. Sie steht unter dem Schutz der UNESCO und gehört zum Weltkulturerbe. Es gibt dort keine Autos; Rauchen ist verboten, und man sollte festes Schuhwerk dabei haben. Meine neuen Nikes waren dafür wie geschaffen. Was gab es zu sehen? Nun, vor allem alte Häuser und natürlich alte Holzkirchen. Eine reizende einheimische Reiseleiterin, die perfekt deutsch sprach, führte uns rund zwei Stunden über die Insel. Sie wohnt sogar selbst dort. Wir konnten einen Zimmermann beobachten, der – nur mit einer scharfen Axt bewaffnet – eine Dachschindel aus Birkenholz für die Kirche herstellte. Er trug keinerlei Schutzkleidung, sodass man leider sehen konnte, dass er sich im Laufe seines Lebens bereits zwei Finger abgehackt hatte. Aber für die Kirche macht man ja bekanntlich alles.

Kaum, dass wir wieder an Bord waren, schlug das Wetter um, aber das störte uns ja wenig.
Das Schiff war inzwischen von Piraten gekidnappt worden. Das bedeutete, dass sich unsere Betreuer, alles übrigens Studenten und Studentinnen aus Moskau, als Piraten verkleidet hatten und ein bisschen Radau machten. Alles sehr zahm, unserem Klientel angepasst.

Unser Klientel. Mhm. Ich gehörte eigentlich nicht zu diesem Klientel. Ich saß – außer am Essenstisch, dessen Sitzordnung ja vorgegeben war, meist allein an der Bar oder an Deck. Mit gerade mal drei anderen Paaren hatte ich einen etwas ausführlicheren Kontakt, aber 90% der Mitreisenden waren mir schnurzpiepegal. Das waren alles Liebhaber deutscher Schlager, politisch eher rechts angesiedelt, bieder und altbacken gekleidet und meist sehr einfach gestrickt. Vor allem einige ältere allein reisende Damen hielt ich streng fern von mir, sehr zu deren Kummer. OK, ich höre den Aufschrei schon jetzt, aber es war wirklich so. Und nein, ich bin nicht nach Russland gefahren, um mir eine Frau aus dem Katalog auszusuchen.

Das Abendprogramm sah noch ein „Piratenspiel“ vor, bei dem zwei Mannschaften ein paar Fragen beantworten und ein Glas Bier schnellstmöglich austrinken mussten.
In der größeren der beiden Bars dann wieder „Klaviermusik mit VERA“. Sie hat zwar schöne Stücke im Repertoire, steht aber offensichtlich mit ihren Fingern auf dem Kriegsfuß. Wie man als angeblicher Profi so falsch spielen kann, wird mir immer ein Rätsel bleiben. Heute hatte VERA sogar zusätzlich ein Keyboard mitgebracht. Das erhöhte bei ihr den Stress ganz ungemein. Denn natürlich kamen ihre Finger nicht mit dem Rhythmus mit, den das eingebaute Schlagzeug vorgab. Und so hing sie ständig zwei bis drei Akkorde hinterher, um sich am Ende dann doch wieder einzuholen, damit der Schlussakkord wieder stimmte. Das Publikum hat das alles anscheinend nicht gestört, denn sie wurde beklatscht wie ein Weltstar.
Ich saß an der Bar und spielte SUDOKU, Expertenstatus.

Der achte Tag
Uns sollten heute 24 bis 26 Grad Sonnenschein erwarten. Bevor wir unser letztes Ausflugsziel, Mandrogi, erreichen sollten, wurde uns im Veranstaltungsraum das Video vorgeführt, das ein Fototeam während unserer Reise gedreht hatte. Nun, zumindest alles, was bisher geschah, denn dieser Tag und vor allem St. Petersburg standen uns ja noch bevor. Wie ich mir schon dachte, hatten die beiden Filmemacher einfach ein vorgefertigtes Video genommen und an bestimmten Stellen einfach unsere Leute reingeschnitten. Dazu die übliche russische Musik und sehr viel Blenden, hunderte von Blenden. Ich bin dauernd eingenickt und habe den Film nicht gekauft. Als DVD hätte er 30.- Euro gekostet, als USB-Stick sogar 38.- Euro. Ich selbst war sowieso nur zweimal kurz zu sehen, da ich den Knipsern meist aus dem Weg gegangen bin. Die rund 2000 Fotos, die sie von uns machten, habe ich mir nicht einmal angesehen.

Nun zur Insel Mandrogi. Man nennt sie den „Grünen Ableger“. Es handelt sich um ein Freizeitreservat mit einem See, Pferden, einem Wodkamuseum, einem Kindergarten, ein paar Wohn- und Ferienhäusern und einer megagroßen Grillstation. Ach so, fast vergessen: Abermillionen von Souvenirs harrten ihres Kaufs. Bei so viel Natur fühlten sich vor allem auch Wespen und Mücken besonders wohl. Da es nichts zu erklären gab, durften wir die Wildnis auf eigene Faust erkunden. Ich bin dann also einmal durch das gesamte Gebiet gelaufen und habe mich dann brav zum Mittagessen angestellt. Unser Schiffsteam musste die Tische selbst vorbereiten (Deckchen, Besteck, Teller mit Salat, Kartoffel, Becher Kirschsaft, Brötchen mit Hackfleisch und ein Stück Beerenkuchen). Alles aus Plastik. (Bis auf das Essbare natürlich!) Als Hauptspeise gab es wahlweise Schweine- oder Hähnchenspieß. Dazu musizierte in passender Tracht ein bedauernswertes Musikerensemble im Sklaveneinsatz. Denn wir waren ja nicht die Einzigen, die die unberührte Natur erleben wollten. Inzwischen waren bereits drei große Schiffe gelandet, um mit ihren rund 1000 Touristen die kleine Insel der Ruhe in ein großes Tollhaus zu verwandeln. Wer hier seinen Urlaub bucht, muss wirklich einen an der Klatsche haben.

Ich habe mich nach dem Essen verabschiedet und in mein Kämmerchen verzogen. Die meisten waren noch im Wodka-Museum, wo man für 400 Rubel bis zu vier Sorten testen durfte.

Es wurde Zeit, dass diese Schifffahrt zu Ende ging. Ich bekam langsam einen Lagerkoller. Egal, wo man hinschaute: Man sah entweder Wasser oder Wald. So ruhig und bequem das alles auch sein mag – mit dem Bus erlebt man mehr. Aber glücklicherweise nahte das Ende. Bis zur Ankunft in Petersburg hatten wir nur noch ein Kapitäns-Abendessen und das „JE-KA-MI“ Abschiedskonzert zu überstehen.

Das Essen war schon mal wunderbar und sehr stimmungsvoll, da sich auch alle Kreuzfahrt-gerecht in feine Schale geschmissen hatten. Die Küche übertraf sich selbst, und der Captain – in einer viel zu großen Anzugjacke – gab jedem Gast persönlich sein Schwitzehändchen. Die schöne Olga bedankte sich bei uns allen für den dollen Umsatz, äh, den tollen Einsatz bei den ganzen russischen Lernkursen an Bord. Und damit auch jeder sehen konnte, was dabei herauskam, wurden wir anschließend in den Veranstaltungsraum geladen, der dadurch aus den Nähten platzte. Der Radio-DJ, der uns über die Bordlautsprecher immer an alle Termine erinnert hatte, leitete die Show. Denn jetzt erfolgte nicht nur ein Konzert mit russischen Volksliedern – nein, sie wurden sogar von den Reisenden selbst gesungen. Eine Sängerin trat auch auf und sang ein – was wohl? – russisches Volkslied. Außerdem hatte die Crew mit einigen Gästen ein lustiges Theaterstück eingeübt, das weniger durch Text als durch Action glänzte. Kurzum, es war sehr kurzweilig und entschädigte für einige langweilige Momente. Um 23.00 Uhr ging es dann in der Bar weiter. VERA klimperte wieder auf dem Klavier und wir Gäste ließen uns die Reise noch mal durch den Kopf gehen. Ich war dann der Vorletzte, der ins Bett ging. (Die Letzte war Tatjana, die Bedienung).

Der neunte Tag
Nun hieß es „Schiff Ade“. Dazu gehörte die Begleichung der Rechnung, das Zurückfordern des Reisepasses, die Abgabe des Zimmerschlüssels und des Trinkgeldes in einem verschlossenen Umschlag sowie eines Bewertungsbogens – nur für das Schiff, bzw. das Personal. Ich konnte hier nur Höchstnoten geben. Ab 9.00 Uhr standen die Busse bereit. Wir wurden allerdings in neue Gruppen eingeteilt. Ab sofort war ich in Gruppe 5. Das war die Gruppe, die in Sankt Petersburg keine zusätzlichen Ausflüge gebucht hatte; knapp 40 Leute.

Der erste Eindruck vom Hafen aus war nicht so dolle. Hochhäuser wie in Moskau, Schnellstraßen und schlechte Luft. Das änderte sich allerdings schnell, je näher wir in die Innenstadt kamen. Da die Zimmer in unserem Hotel um diese frühe Zeit noch nicht belegt werden konnte, begannen wir direkt mit einer Stadtrundfahrt. Leider blieben wir fast nirgendwo stehen, denn was wir sahen, war schon sehenswert. Nicht umsonst nennt man St. Petersburg das „Venedig Russlands“. Die Stadt besteht aus rund 35 Inseln, die mit über 600 Brücken verbunden sind. Und im Gegensatz zu Venedig sind hier die Häuser nicht vergammelt und kurz vorm Zusammenbrechen, sondern aufwändig restauriert und picobello in Schuss. Und zwar JEDES Haus, ohne Ausnahme. Bei 5 Millionen Einwohnern kommen da ein paar Häuser zusammen. 

So schön sind hier fast alle Häuser.

Unsere neue Reiseleiterin war extrem schusselig. Vor der berühmten Eremitage, die wir natürlich zielstrebig ansteuerten, dauerte es fast eine Stunde, bis sie unsere Gruppe mit Kopfhörern versehen hatte. Ein Teil der Leute verschwand immer mal wieder auf der Toilette. Das ist eigentlich kein Problem. Aber vor dem Hintergrund, dass St. Petersburg täglich von mindestens 100.000 Touristen überfallen wird, von denen ganz sicher mindestens 10.000 in die Eremitage rennen, ist es schon nicht blöd, die Leute zusammenzuhalten. Da außerdem auf dem großen Platz vor dem Museum gerade sehr lautstark für eine Fernsehsendung geprobt wurde, die leider erst am Sonntag stattfinden sollte, gab es gar keine andere Möglichkeit, als sich über Funk zu unterhalten. Leider funktionierte die BlueTooth-Anlage nicht. Erst als ich der Reiseleiterin erklärte, dass sie den Stecker ihres Mikrofons in den Sender stecken müsste, waren endlich alle auf Empfang. Und so rannten wir dann durch eins der größten Museen dieser Welt. Ich sah Rembrandts, Michelangelos, Tizians – alle im Original. Wenn auch nur sekundenweise. Die rund 30.000 Quadratmeter des Museums mit seinen Hunderten von Ausstellungshallen beherbergt so viele Kunstwerke, dass man 11 Jahre bräuchte, um sie wenigstens alle einmal kurz angeschaut zu haben. Das hat irgendjemand ausgerechnet, der sich damit auskennt. Ich also nicht. Die Klimaanlage des Museums drehte im roten Bereich, ohne die Säle ausreichend abkühlen zu können. Bei inzwischen 26 Grad im Freien kam man sich in manchen Sälen wie in einer Sauna vor. Und wem hat St. Petersburg dieses Museum zu verdanken? Einer Deutschen! Katharina die Große heiratete damals einen gewissen Peter. Nach seinem Tod wurde sie selbst Zarin, ihre Tochter dann auch noch. Danach war aber Schluss mit den weiblichen Zarinnen; ab dann wurden wieder Herren ins höchste Amt gewählt. 

Noch so ein alter Kasten (Im Hintergrund…).

1703 wurde St. Petersburg gegründet. Sehr schnell war es die Hauptstadt Russlands. Moskau war es erst viel später. Wer jetzt von mir erwartet, dass ich in ein paar lockeren Zeilen die Geschichte Russlands erzähle, wird enttäuscht sein. Ich habe versucht, mich reinzulesen, aber es spielen einfach zu viele Personen mit. Und es gab zu viele Kriege. Ein paar tausend Seiten mit einschlägiger Literatur bringt den Leser sicher weiter als mein Versuch, das alles unter einen noch verständlichen Hut zu bringen.
Nach der Eremitage wurden wir wieder ins Hotel gefahren. Das bedeutete, dass für mich der Rest des Tages frei war, denn ich hatte keine abendliche Bootsreise gebucht. Ich dachte mir, nach 5 Tagen Schiffchen fahren hätte ich davon die Nase voll. Ich erkundete lieber zu Fuß die Gegend rund um das Hotel „Moskau“, in dem wir untergebracht waren. Das größte Hotel am Platz. Voll mit Deutschen und Chinesen, was sonst. Da rund um das Hotel nicht viel zu sehen war, legte ich mich ein bisschen hin. Um 18.00 Uhr wurden wir ja schon wieder zum Abendessen gerufen. Und das war dann doch ein Schock. Der Speisesaal ist in etwa so groß wie ein Fußballstadion. In der Mitte gibt es eine Bühne mit einer extrem hellen Videoleinwand, vor der ein russisches Orchester russische Volksmusik spielte. Leider sehr laut. Das wäre gerade noch durchgegangen, wenn nicht auch noch vier Mädels so alle 10 bis 15 Minuten auf die große Bühne gekommen wären und beim Ausüben irgendwelcher historischer Hoppsereien schrille Quietschlaute von sich gaben, die leicht mit Alarmsignal eines Feuermelders verwechselt werden könnten. An Unterhaltung war nicht zu denken. Zu allem Überfluss waren auch noch alle Chinesen zum Essen erschienen. Da wir keine festen Plätze hatten, mussten wir notgedrungen die chinesisch-deutsche Gastfreundschaft aufleben lassen. Wegen sprachlicher Inkompetenz auf beiden Seiten blieb es aber beim Versuch. Verständlicherweise gab es in diesem Speisesaal keine servierten Gerichte, sondern ein Buffett, das genauso langweilig schmeckte wie immer. Also ab ins Zimmer und den neuen Spiegel runter geladen. Dazu ZDF eingeschaltet. Das Bild begann zu flackern, setzte immer häufiger aus und verabschiedete sich dann ganz. Schuld war nicht das Programm, sondern ein plötzlich einsetzendes Unwetter, bei dem hektoliterweise Regen in die Stadt prasselte. Wie schön, dass ich auf die Bootsfahrt verzichtet hatte…

Der zehnte Tag
Dies sollte unser letzter Tag in dieser wirklich schönen Stadt sein. Der Regen hatte sich bis zum nächsten Morgen abgeregt, und so gab es keinen Hinderungsgrund, unsere letzte Stadtbesichtigung zu absolvieren. Unsere Gruppe war auf 22 Leute geschrumpft, weil ein größerer Teil nicht pünktlich zur Abfahrt da war. Diesmal hatten wir eine sehr pfiffige Reiseführerin, die ein ausgezeichnetes Deutsch sprach und sehr schön sarkastisch sein konnte. Im Grunde genommen fuhren wir dieselbe Strecke wie gestern ab; nur blieben wir diesmal überall stehen und konnten Fotos machen. Das Wetter war traumhaft schön und die Straßen mit Touristen übervölkert.

Mit dem Boot durch Petersburg. Gleich regnet´s!

Gegen Mittag wurden wir vor die Wahl gestellt, zurück ins Hotel gefahren zu werden oder auf eigene Faust weiter zu machen. Ich blieb natürlich in der Stadt. In einem Restaurant mit Tischen am Straßenrand bestellte ich gegrillten Lachs, der köstlich mundete. Rund 5 Kilometer lief ich danach vom Zentrum ausgehend zunächst in die falsche Richtung. Ich hatte das Hotel am anderen Ende der Straße vermutet. Da dem nicht so war, lief ich als die komplette Hauptstraße wieder zurück. Und da es so schön war, die Leute so nett und sich alles so harmonisch fügte, kaufte ich mir dann doch ein Ticket für eine Bootsfahrt. Und es war wie verhext: Nach zehn Minuten Bootsfahrt kippte das Wetter um und es begann zu nieseln. Zum Glück dauerte der leichte Regen nur ein paar Minuten – die Bootsfahrt aber 1,5 Stunden. Danach war es auch schon Zeit für das Hotel. Da der Abend ebenfalls programmfrei war, nutze ich nach dem Abendessen einen netten kleinen Sitzplatz in der Hotelbar mit Blick ins Freie, um diesen Blog zu Ende zu bringen. Zu Ende? Ja, das war’s! Am 11. Tag erfolgte nur noch der Rückflug nach Frankfurt. Und auch da hatte ich Glück, da „mein“ Flieger erst um 14.00 Uhr startete. Andere Gäste flogen schon sehr früh ab, teilweise um drei Uhr morgens. Manche mussten, um nach Düsseldorf zu kommen, über Moskau fliegen. Und auch die Leipziger mussten erst nach Frankfurt. Es ist doch schön, in so einer zentralen Stadt wie Frankfurt zu wohnen…

Und noch ein Selfie. Jetzt weiß ich ja endlich, wie das mit dem iPhone funktioniert. Leider waren das auch alle Fotos, die ich gemacht habe. Dafür gibt´s aber noch ca. 1,5 Std. Videomaterial in 4K-Auflösung. Sobald der Film geschnitten ist, füge ich hier einen Link ein. Videos kann man in diesem Programm zu meinem größten Bedauern nicht hochladen

Das Fazit.

Das Fazit ist diesmal ganz besonders schwer. Die Reise war perfekt organisiert – das muss man Trendtours lassen. Weniger gut waren die Ausflüge in Moskau durchdacht. Und die 5 Ausflüge vom Schiff aus waren auch nicht alle wirklich sinnvoll, aber es gibt da nun mal nichts anderes.

Für St. Petersburg hätte ich mir noch mindestens einen regulären Ausflug mehr gewünscht, weil wir sonst doch zu viel Freizeit hatten. Glücklicherweise lässt sich diese hier aber wunderbar totschlagen, sodass ich dieses Argument schon wieder zurückziehe.

Das Schiff hatte zwar sehr kleine Kabinen, war aber ansonsten absolut in Schuss. Das Personal und vor allem die Praktikanten-Studenten sorgten dafür, dass immer alles perfekt klappte. Diese ganzen Russisch-Kurse, die Tanzübungen oder was auch immer da gewurschtelt wurde, finde ich für mich persönlich unwichtig, aber sie könnten für andere Reisende sehr einladend wirken. Das Essen auf dem Schiff war so was von hervorragend, dass ich noch jahrelang davon schwärmen werde. Und trotz der vielen Mahlzeiten habe ich in Russland sogar ein halbes Kilo abgenommen!

Das Hotel in Moskau war ein hässlicher alter Bau mit viel zu vielen Zimmern. Das Hotel in St. Petersburg war ebenfalls das größte in der Stadt mit allen Nachteilen so eines Massenbetriebs. Zum Glück waren wir hier ja nur jeweils zwei Nächte.

Ich hatte ja schon geschrieben, dass ich mit einem nicht unerheblichen Teil meiner Mitreisenden fremdelte. Es ist halt nicht einfach, mit anderen Leuten auf einer Welle zu sein. Schon gar nicht, wenn die eigene Welle gegen den Strom schwimmt. Jeder hat seine Daseinsberechtigung und niemand zwingt mich, mit allen anderen gut Freund zu sein. Ich glaube, mit dieser Einstellung muss ich leben.
Um zu Schluss aber nun wirklich zur wichtigsten positiven Erfahrung zu kommen, die diesen Urlaub ohne wenn und aber lohnenswert gemacht hat, dann ist es der Kontakt zu der russischen Bevölkerung. Nun gut, wir hatten eigentlich nur Kontakt zu Russen, die in irgendeinem direkten Zusammenhang mit unserer Reise standen. Die „russische Seele“ zu ergründen, dürfte in einem so kurzen Zeitraum unmöglich sein. Sicher ist aber, dass niemand Angst vor „den Russen“ haben sollte. Sie sind ein wirklich sehr, sehr freundliches Volk, das nichts anderes als seinen Frieden will. Die Leute haben seit der Wende ein komplett anderes Leben kennengelernt. Wo früher alles in Grau und Schwarz/Weiß getaucht war, erstrahlen die Städte jetzt in farbenfrohem Glanz. Hier leben glückliche Menschen, die sich freuen, endlich auch ein wenig vom Wohlstand abbekommen zu haben. Hier will ganz sicher niemand in einen Krieg ziehen.

Inwieweit das für Politiker gilt, vermag ich nicht zu sagen.

Rainer Maria Ehrhardt
29. Juni 2019
info@rme.de