NEU: Jetzt auch als Audio-Podcast!
Download unter
https://www.dropbox.com/s/t7rmgenk03iljar/Indien.mp3?dl=0
Und auch als Full-HD-Video (Ca. Eine Stunde und 20 Minuten Länge):
https://1drv.ms/v/s!Atl63EVwUq_mhsVcmRg0o1Mw5NHb6Q?e=4QZFg1
Indien
15.3. bis 28.3.2019
Ist das ein Traum!
Ich sitze hier in meinem Bungalow in Aymar, ca. 6 Stunden Zugfahrt südlich von Delhi, und genieße die Ruhe. Ein wunderschöner Bungalow auf einem wunderbar angelegten Landsitz bei angenehmen 28 Grad im Schatten. Eben war ich noch im Restaurant, um ein paar indische Köstlichkeiten zu mir zu nehmen. Chicken Curry, Reis, merkwürdige, aber leckere Salate und danach ein Vanilleeis mit heißer Schokoladensoße. Ja, es ging mir schon bedeutend schlechter.
Und lange sah es so aus, als hätte mein letztes Stündlein bereits geschlagen …
Wie konnte es nur dazu kommen? Wieso bin ich in Indien?
Freitag, der 15.3.2019
8.00 Uhr morgens. Meine langjährige Freundin (und ehemalige Gattin) Eva war so lieb, mich zum Flughafen zu fahren. Mieses, regnerisches Wetter und ein paar Sturmböen zwangen Eva zu ruhiger, gelassener Fahrweise, was mir als übelsten Beifahrer aller Zeiten sehr entgegenkam. Im Terminal 2, bei Gulf Air, wartete schon eine kleine Schlange auf mich. Direkt vor mir eine Inderin mit zwei kleinen Kindern. Das Mädchen, etwa 6 Jahre alt, hüpfte zwar dauernd durch die Gegend, war aber ansonsten auszuhalten. Ihr kleiner Bruder, vielleicht zwei, war hingegen jetzt schon in seiner Rolle als Haustyrann eine perfekte Besetzung. Es verging keine Minute, in der dieser Schreihals nicht das Sicherheitspersonal in Wallung brachte. Und wie es kommen musste, saß dieses Monsterkind später im Flieger direkt eine Reihe schräg hinter mir. Schreiend. Brüllend. Krakelend. Die Mutter lächelte unentwegt verschämt, konnte ihn aber nicht zur Ruhe bringen. Selbst eine laute Beschwerde des Passagiers direkt vor ihm brachte keine Besserung. Das Einzige, was half, waren die bordeigenen Kopfhörer der A-320, die man einfach bis zum Anschlag aufdrehen musste, um das Schreikind wenigstens ein wenig in den Hintergrund zu drängen. Auf dem Flug bis Bahrein habe ich mir notgedrungen drei Hollywood-Schmonzetten reingezogen, um nicht zum Kindermörder zu werden.
Warum Bahrein? Ei, weil Golf Air nicht direkt bis nach Delhi fliegt, ganz einfach. Und Delhi war ja mein Ziel. Der wohlbekannte Reiseveranstalter „TrendTours“ hatte mir nämlich vor ca. neun Monaten einen schönen Prospekt geschickt, in dem man mir kundtat, so ziemlich ganz Indien in nur 14 Tagen kennen zu lernen. Dass Indien dann schon noch ein ganzes bisschen größer ist, und wir eigentlich nur einen kleinen, aber bedeutsamen Teil des Landes sehen sollten, wurde mir dann irgendwann auch klar. Wir sollten Delhi und den Bundesstaat Rajasthan erkunden. Selbiger ist so groß wie Deutschland und hat auch ziemlich genau 80 Millionen Einwohner.
Der Preis (1299.- Euro) klang sehr verlockend, auch wenn es dann mit den ganzen Zuschlägen für die beste Saison, mein Einzelzimmer und diverse zusätzliche Ausflugsprogramme dann doch rund 2500.- wurden.
Der Zwischenstopp im Königreich Bahrein – nach etwa sechs Stunden Flugzeit – war sehr nervig und dauerte geschlagene vier Stunden! Der Flughafen ist in etwa zehn Minuten komplett durchwandert. Es gibt zwar einen großen, neuen DutyFree-Bereich, der aber außer dem üblichen Luxusmarken-Gedöns zu überhöhten Preisen nichts wirklich Interessantes bietet. Einen roten BMW 8er hätte ich gewinnen können, wenn ich dem Model, das grinsend am Wagen stand, ein teures Los abgekauft hätte. Habe ich aber nicht, obwohl sie es mir sogar viermal mit immer denselben, auswendig hingeleierten Worten angeboten hatte. Erst als ich wahrheitsgemäß sagte, dass schon mal einen 8er besessen hätte und derzeit was Besseres fahre, ließ sie den Mund weit offen stehen und ignorierte mich für den Rest meiner Rumlauferei auf diesem Elendsflughafen. (Gut, mein 8er war gebraucht und hatte vor 25 Jahren nur 20.000 DM gekostet – und keine 240.000 Euro, wie diese Neuauflage mit Elektromotörchen, aber das musste sie ja nicht wissen.)
Ich hätte mich auch gleich in die darunter liegende Abflughalle begeben können, aber dem standen zwei Probleme im Weg: Erstens, es gab dort keine Klimaanlage, dafür aber viel dicke Luft und zweitens brachte dort ein gewisser indischer Zweijähriger mit seinen Schreianfällen Adrenalin in die Adern aller Passagiere.
Inzwischen hatte ich die Uhr zwei Stunden vorgestellt. Um 22:40 Ortszeit ging es dann endlich weiter nach Delhi. Mit einer A-321. Zuverlässiges Flugzeug. Die Inderin mit ihren beiden Problemkindern war NICHT an Bord – Juhu! (Vielleicht ist sie auch vom Sicherheitspersonal erschossen worden, keine Ahnung), aber dafür – und das ist wirklich wahr! – saß nun in der Reihe vor mir eine Mutter mit einem Säugling. Dreimal dürft Ihr raten, was die Lieblingsbeschäftigung dieses Balgs war! Also Kopfhörer auf den Schädel, Vollgas und noch irgendeinen, diesmal deutschen Film, geschaut. Die Hollywood-Schinken waren auf diesem Flug gesperrt, warum auch immer. Irgendwann hörte das Kind mal für eine gute Stunde auf mit seinem Stimmbandtraining, und ich konnte ein wenig schlafen.
Unser Kapitän hatte irgendwas genuschelt, das wir wegen des Pakistan-Konfliktes einen kleinen Umweg fliegen müssten. Die beiden ehemals zusammengehörenden Staaten Pakistan und Indien stehen ja bekanntlich noch immer im Kriegsverhältnis zueinander. Erst vor zwei Wochen gab es da wilde Scharmützel an der Grenze samt abgeschossenen Flugzeugen. Um diesem Schicksal zu entgehen, flogen wir also nicht direkt nach Delhi (und damit über Pakistan hinweg), sondern machten den Umweg bis nach Mumbai, das Älteren noch als Bombay bekannt sein dürfte. Dieser Umweg kostete immerhin 45 Minuten zusätzliche Flugzeit. Immer noch besser als abgeschossen zu werden. Da die Uhr inzwischen weitere 2,5 Stunden nach vorne gestellt werden musste, ist unser Flieger dann so gegen 5.00 Uhr morgens in Delhi angekommen. Ich freute mich auf unser Hotel, eine Dusche, frische Wäsche, ein schönes Frühstück und wenigstens ein paar Stunden Schlaf..
Leider kam aber alles anders.
Nach kilometerlangem Lauf durch die unendlichen Gänge des Flughafens in Delhi wartete natürlich erst einmal die Grenzschutzpolizei auf uns. Die Wartezeit bei jedem der etwa 20 Einreiseschalter lag bei 30 Minuten. Gut, wenn man da alle geforderten Dokumente parat hatte. Wer z.B. sein Einreisezettelchen nicht ordnungsgemäß ausgefüllt hatte, wurde freundlich, aber bestimmt wieder an den Anfang der Schlange verwiesen. Mich wollten sie auch erst wieder zurückweisen, weil ich im Feld „Adresse in Indien“ nichts eingetragen hatte. Mit Händen und Füßen erklärte ich dem Beamten, dass ich keine Ahnung hätte, wo ich wohnen würde, weil ich ja mit einer Reisegruppe angereist wäre. Ich zeigte ihm meine Reisebestätigung und konnte dann endlich nach Indien einreisen.
Die Reisegruppe bestand aus insgesamt 33 Reisenden aus ganz Deutschland. Mit Gulf-Air flogen 15 Leute, und mit einer türkischen Airline kamen die restlichen achtzehn etwa eine Stunde später. Bis die alle die Einreiseformalitäten hinter sich gebracht hatten, sammelten wir uns nach und nach vor dem Haupteingang des Flughafens. Unser Reiseleiter, der sich „Singh“ nannte, obwohl er ganz anders hieß (wie seine Visitenkarte später verriet), ein Hindu etwa Ende dreißig, hatte eine wirklich ausgesprochen gute deutsche Aussprache. Mit den Vokabeln und der Grammatik hatte er zwar ein paar größere Baustellen, aber im Wesentlichen konnte man ihn doch gut verstehen. Gelernt hatte er sein Deutsch in einem der sechs Goethe-Institute in Indien. Na also, geht doch!
Die Reisegruppe. Mhm, was soll ich da jetzt schreiben? Mein erster Eindruck war „Worauf hast Du Dich denn da wieder eingelassen?“ Kaum einer, der herausragte, interessant schien oder mir irgendwie imponiert hätte. Mit ein paar Ausnahmen alle mal wieder dicht am Rentenalter und weit drüber. Dialekte aus allen Teilen Deutschlands drangen an mein Ohr. Genauer gesagt war ich wohl der Einzige, der hochdeutsch sprach. Ich beschloss, mir ein Urteil erst gegen Ende der Reise zu erlauben. Zu oft stellt sich heraus, dass Äußerlichkeiten zu einer völlig falschen Beurteilung von Menschen führen. Danke Hollywood, danke Facebook, danke Instagram!
Das Thermometer zeigte übrigens gerade mal 12 Grad, als wir endlich in unseren Reisebus stiegen. Morgens um sieben.
Singh erklärte uns, dass es eine kleine Programmänderung gäbe. Oh wie ich dieses Wort hasse! Wir würden jetzt zwar ins Hotel fahren und dort frühstücken, dann aber gleich weiter zur Stadtbesichtigung schreiten, da die Zimmer frühestens ab 14.00 Uhr zugänglich wären. Eigentlich hätte ich mir das ja denken können, aber es stand nun mal anders im Programm.
Und so quälte sich der Bus an diesem Samstag frühmorgends durch eine nie schlafende Großstadt. Indien hat 1,4 Milliarden Einwohner, die vermutlich nichts anderes wollen als den Straßenverkehr zum Stillstand zu bringen. Auf den Schnellstraßen zwischen dem Flughafen und der Büro-Vorstadt ging es ja noch einigermaßen, aber kaum dass man sich dem Stadtkern näherte, hatte der Schallpegel infolge tausender hupender Inder einen gehörschädigenden Zustand erreicht – trotz geschlossener Fenster. Es gibt sowieso nur eine Regel im Straßenverkehr: Hupen und in die nächste Lücke fahren. Irgendeiner wird schon bremsen. Staunend betrachteten wir das Verkehrschaos, nicht wissend, dass dies nur ein Vorspiel war. Schlimmer geht immer.
So gegen halb neun trafen wir im Hotel ein. Fleißige Helfer, von denen es in Indien eine Unmenge gibt, brachten die Koffer in die Rezeption, wo sie auch brav stehen blieben. Wir hatten ja noch keine Zimmer. Dafür aber die Gelegenheit, ein durchaus brauchbares Frühstücksbuffet zu genießen. Nur den Wassermelonen-Saft sollten wir bitte schön besser nicht trinken, sagte uns Singh, der diese Indien-Rundfahrt ja schon viele Jahre für Trendtours mitmacht. Dies war übrigens die 71. Tour, wie er uns verriet. „Und daher sage ich, was gemacht wird. Es gibt keine Diskussionen. Ich weiß, was für uns alle am besten ist. Keine Widerrede.“ Nicht genau in diesen Worten, aber mit diesem festen Vorsatz ließ Singh jedwede Kritik im Keim ersticken.
Nach dem Frühstück trollten wir uns also wieder in den Bus, nicht ohne zuvor etwaige Medikamente eingenommen zu haben, die noch im Koffer auf ihren Verbrauch warteten.
Delhi teilt sich den alten Teil, „Old Delhi“ und den neuen Teil, „New Delhi“. Ist ja naheliegend. Vom Hotel aus durchquerten wir einige schlimme Slums, bis wir dann in eine Vorstadt kamen, in der der gemeine Inder zu arbeiten pflegt. Er wohnt in Delhi und arbeitet in der Vorstadt – also genau andersrum als bei uns. Die im 10-Sekundentakt anrollenden U-Bahnen spuckten wahre Menschenmassen aus. Und das an einem Samstag.
Vom neuen Delhi kann ich nur Gutes berichten. Wunderbare, breite Alleen, bis zu sechsspurige Straßen, wunderschöne Häuser und Gärten. Kein Wunder, hier wohnt ja auch die Regierung. Wir durften an den ganzen Regierungsgebäuden leider nicht aussteigen, sondern nur ein paarmal drumrum fahren. Wer genug Geld hat, findet also in New Delhi durchaus das eine oder andere Schmuckstück als Behausung.
Als nächsten Programmpunkt hatten wir das Ghandi-Mausoleum vorgesehen. Mahatma Ghandi ist in Indien gar nicht so der große Zampano, wie man es uns weis machen will. Laut Singh wird er nur von etwa einem Drittel der Inder anerkannt. Ghandi war ein Sohn reicher Eltern, der zum Studieren nach England durfte. Die Juristerei war nicht so sein Ding, so dass er irgendwann nach Afrika ging und sich mit Hungerstreiks zur Behebung eines sozialen Missstands hervor tat. Als er zurück nach Indien kam, eilte ihm wohl sein Ruf voraus, und so war er 1947 nicht nur an der Unabhängigkeit Indiens beteiligt, sondern hat auch die Teilung von Pakistan mit gut 200.000 Toten zu verantworten. 1948 wurde er ermordet. T-Shirts mit seinen bekanntesten Sprüchen findet man natürlich heute noch an jeder Straßenecke. Dann kam eine gewisse Frau Irinda Ghandi an die Reihe. Sie war zwar nicht im geringsten mit Mahatma (= der Selige) verwandt, hatte aber einen Herrn Ghandi geheiratet, der zufällig genauso hieß. Tatsächlich war sie die Tochter des damaligen ersten Präsidenten, Nehru, an dem Singh auch kein gutes Wort ließ. Sie wurde auch ermordet. Und deren Kinder sind inzwischen auch in der Politik angelangt. Wie das halt so ist unter Freunden… (Sie leben noch!)
Nun waren wir schon fast 4 Stunden unterwegs und hatten noch keine Moschee oder ein Minarett gesehen. Das sollte sich jetzt ändern. Und hier bin ich leider geistig ausgestiegen, weil ich mir beim besten Willen nicht merken will, wer da wem und warum irgendein Minarett gebaut hat. Auf demselben Gebäude gab es auch die älteste Moschee zu sehen, zumindest Teile davon. Dann blieb mir nur noch im Gedächtnis, dass sich 12500 Frauen nach einem Krieg für ihre gefallenen Männer geopfert haben, indem sie in ein riesiges Feuer gesprungen sind. Dieser Unsinn soll sich sogar noch zweimal wiederholt haben, allerdings mit weniger spektakulären Opferzahlen. Das eine Mal waren es „nur“ noch 6500, und zum Schluss gab es nur noch 1200 Freiwillige, die auf diese grausame Weise den Freitod suchten. Warum? Die Alternative wäre gewesen, von den Eroberern vergewaltigt zu werden, was schon damals keinen guten Ruf hatte. Was mit den ganzen Kindern passiert ist, die es ja wohl auch gegeben haben muss, ist nicht überliefert.
Apropos Vergewaltigung: Entgegen anderer Mutmaßungen steht Indien laut einer Statistik, die Singh anführte, erst an 66. Stelle. Deutschland ist auf Platz 22, und die USA auf Platz vier. Den „Sieger“ dieser Statistik hat er uns nicht verraten.
Also schnell Schwamm drüber und in die Altstadt von Delhi. Für 100 Meter Strecke brauchte der Bus etwa 20 Minuten. Uns stand eine ganz besondere Überraschung bevor: Eine Fahrt mit der Rikscha. Das sind muskelbetriebene Fahrräder mit einem Sitz und einem Dach darüber. Die Fahrräder haben keinerlei Getriebe oder etwa Luftreifen. Nein, Hartgummi ist für den blöden Touristen genau das Richtige, um ihn von seinem hohen Ross zu stoßen. „Mein Fahrer“ hatte noch Glück, dass er mich alleine chauffieren durfte. Die anderen Rikschas waren durchweg mit zwei Personen besetzt, von denen so einige deutlich über 100 Kilo wogen. Statt nun auf einer geraden, übersichtlichen Straße zu bleiben, radelte der muskulöse Fahrer mitten in die Altstadt hinein. Teilweise waren die Straßen nur einen Meter fünfzig breit. Links und rechts lagen die Waren der vielen Geschäfte auf der Straße und begrenzten den vorhandenen Platz noch mehr. Auch das wäre noch auszuhalten gewesen, wenn in dieser Altstadt eine Einbahnstraßenregelung vorhanden wäre. Nein, Rikschas, Tuk Tuks, Motorräder und sogar Autos teilten sich den knappen Platz in beide Richtungen. Immer wieder mussten wir zurücksetzen, weil irgendein Mopedfahrer in die Lücke geschossen kam.
Ich selbst konnte mich nur mit beiden Händen am Gestänge festhalten, bis mir die Gelenke schmerzten. Außerdem war ich mit meinen gerade mal 1,76 m viel zu groß für das Gefährt. Bei jedem Schlagloch – und davon gab es Unzählige – knallte ich mit der Birne ans Gestänge. Die Fahrt dauerte unglaubliche 40 Minuten! Sobald ich mir sicher war, dass wir wieder in der Ausgangsstraße angekommen waren, habe ich mich mit 100 Rupien aus dem Gefährt gekauft.
Auf Facebook gibt es übrigens ein kleines Video über die Fahrt. Man kann sich denken, welche panische Angst ich hatte, dass mir das iPhone runterfallen oder von bösen Buben geklaut werden könnte.
Danach haben wir noch irgendein altes Denkmal besichtigt, dessen Namen und Zweck ich leider nicht notiert hatte. Denn eigentlich waren wir alle fix und fertig. Am Vortag morgens um sieben bin ich aufgestanden, um die halbe Welt geflogen, alte und neue Gemäuer bestaunt und Rikscha gefahren. Es wurde nach nunmehr etwa 31 Stunden Zeit, mal die Heia aufzusuchen. Aber auch hier hatte der Veranstalter eine neuartige Variante bereit. Wir sollten also mit unserem Koffer ins Zimmer gehen, uns dort frisch machen und dann den Koffer wieder runterbringen. Häh? Ja , denn der nächste Besichtigungstag begann mit einer sechsstündigen Zugfahrt. Und da dieser Zug nur genau zwei Minuten halten würde, kämen wir 33 Passagiere mit 33 Koffern überhaupt nicht schnell genug in den Zug. Also wurden alle Koffer noch vor dem Abendessen abgeholt und mit unserem Bus in den Zielort gefahren. Gut, wer da noch eine kleine Handtasche mit sich führte, um sich morgens wenigstens die Zähne putzen oder rasieren zu können. Auf eine Diskussion ließ sich Singh selbstverständlich nicht ein. „Wir haben das schon oft gemacht – es ist die einzig mögliche Lösung. Es wird gemacht, was ich sage. Basta.“ Manchmal hatte er was von unserem Ex-Bundeskanzler.
Und so lief es denn auch. Kurz geduscht, umgezogen und den Koffer wieder abgegeben. Dann zum Abendbuffet den aufkommenden Hunger befriedigt. Ich war so blöd, mir zwei 0,1-Gläser Weißwein aus Australien zu bestellen. Umgerechnet 21.- Euro kostete dieser Spaß. Und dabei schmeckte er noch nicht einmal. Der indische Wein, den Mitreisende getrunken hatten, schmeckte wohl viel besser. War aber genau so teuer …
Tag drei
Wecken um 5:10 Uhr, Fahrt zum Bahnhof (mit einem anderen Bus als bisher) um 6:15 Uhr. Der Zug kam dann viertel vor sieben. Wir hatten natürlich personalisierte Plätze (so wie wir auch in unserem Bus an jedem Tag die Plätze wechseln mussten, um sich besser kennen zu lernen…)
Das Hotel hatte uns ein Frühstückspaket mitgegeben, bestehend aus einem Sandwich, zwei Eiern und zwei Bananen. Das hätten die sich auch sparen können, weil im Zug ebenfalls ein Frühstück verteilt wurde. Kostenlos, versteht sich. Ich saß an einem Sechsertisch mit recht lustigen Reisegenossen. Solange man es vermied, die Toilette zu benutzen, war alles auch recht ordentlich. Das Ziel der Reise war die Stadt Aymar. Leider war unser Bus nicht am Bahnhof geparkt, so dass wir diesmal mit diesen kleinen, entsetzlichen Tuk Tuks zum Parkplatz gefahren wurden. Wenn die Rikscha-Fahrt schon extrem gefährlich war, war dieser Höllenritt noch um einige Klassen gefährlicher. Die Dinger fahren locker 50, 60 Sachen. Es gibt in Indien immer Gegenverkehr. Egal, ob Busse, LKW oder einfach nur Motorräder. Jeder nutzt die einzige Regel, die er hier für den Straßenverkehr gibt: So schnell wie möglich in jede sich auftuende Lücke reinfahren. Der Andere wird schon aufpassen. Außerdem wird natürlich gehupt. Nur tote Inder hupen nicht. Als besondere Herausforderung gilt dabei auch, keine der überall rumstehenden Kühe oder Ochsen umzufahren. Ja, es ist wirklich so. Überall laufen Kühe rum. Selbst mitten in Delhi. Irgendwie gewöhnt man sich schnell dran und schaut gar nicht mehr hin.
Wir haben die Fahrt überlebt (die bei einem Frontalzusammenstoß sicher tödlich gewesen wäre) und unseren Bus bestiegen. Nach vierzig Minuten Fahrzeit kamen wir an unserem neuen Domizil an. Ein unglaublich schönes Resort! Bungalow mit Klimaanlage, Fernseher und tollem Ausblick. Nach dem Mittagessen durften wir uns sogar das erste Mal ein wenig ausruhen! Zwar nur bis 16.00 Uhr, aber immerhin. Der Bus holte uns dann zu einer Stadtbesichtigung von Aymar ab. Früher war das wohl mal eine Hippie-Hochburg, aber heute erlaubt die Regierung keinen Aufenthalt, der über 4 Wochen hinausgeht. So ist die Hippie-Kommune inzwischen deutlich reduziert, obwohl immer noch Dutzende Lebenskünstler aus aller Herren Länder durch die Straßen schlurfen und Drogen konsumieren.
Berühmt ist Aymar für seinen heiligen See. Eine dreckige Pfütze, in der sich die Gläubigen baden dürfen. Rings um den See stehen allerdings wunderbare Paläste. Sie gehörten früher den indischen Königen, von denen es wohl reichlich viele gab. Manch Königreich war kleiner als Bad Homburg, um mal ´ne Hausnummer zu nennen. Es gab aber auch Riesenreiche, die etwa ein Drittel Rajasthans ausmachten. 1947 war Schluss mit lustig. Mit der Einführung der Demokratie hatten die Könige abzudanken. Sie mussten sich also überlegen, wie sie nun statt Steuern einzutreiben ohne Arbeit zu Geld kommen konnten. Daher haben viele ehemalige Königsfamilien ihre ganzen Paläste, die ja damals den ganzen Prunk Indiens ausmachten, in Hotels umgewandelt. Und aus den Königen wurden Maharadschas.
Die Stadt Aymar selbst ist ein einziger Basar. Dutzende von Straßen sind links und rechts mit Geschäften der üblichen Art vollgemüllt. T-Shirts, „Gold“, Schuhe, Kinderspielzeug und so weiter und so fort. Das hat man alles schon hundert mal gesehen, und auch diesmal wollte sich bei mir kein Kaufimpuls einstellen. Die ständig um uns herum kreisenden Mopeds machten den Besuch dieses Viertels auch zusätzlich hochgefährlich. Denn trotz des offiziellen Linksverkehrs fuhren die jungen Burschen natürlich wie sie gerade Lust hatten. Zwischendurch kamen ein paar Kamele durch die Straße, Rinder, Kühe, Büffel und Schweine mit ihrem Nachwuchs. Wahrhaft freilaufend! Nach 40 anstrengenden Minuten traf sich die Truppe vor einem Café wieder, wo uns Singh einen solchen ausgab. Er war pappsüß, hatte eine Milchhaut und schmeckte mir gar nicht. Also der Kaffee, nicht Singh.
Dann durften wir wieder in unserer traumhaftes Resort zurückkehren. Noch ein paar Minuten abgeruht, dann war schon wieder Zeit für das Abendessen. Diesmal habe ich zwei (kleine) indische Weine getrunken, die hier – genau wie das Bier – ebenfalls sehr teuer waren. Nach dem Essen habe ich endlich Zeit gefunden, den Laptop auszupacken und an diesem Block zu schreiben. Um halb zehn bin ich dann ins Bett. Leider verlief die Nacht ganz anders als ich mir das vorgestellt hatte.
Und so muss ich den ersten Satz dieses Reiseberichts leider abändern.
Aus „Ist das ein Traum“ wird nun „Ist das ein Alptraum!!!“
Es stellte sich heraus, dass in unmittelbarer Nähe unserer Idylle ein Club sein Geschäft geöffnet hatte. Und so knallten in wahnsinniger Lautstärke indische Techno-Hits durch die Nacht. Kennt man einen, kennt man alle. Der Versuch, einzuschlafen, war nicht von Erfolg gekrönt. Endlich – so gegen halb elf, hörte der Lärm auf. Aber nur, um einem ganz anderen Lärm Platz zu machen. Unzählige Hunde hatten sich wohl zu ihrem abendlichen Plausch verabredet und bellend die Neuigkeiten des Tages ausgetauscht. Das ging ungelogen bis halb zwei!
Dann bin ich endlich eingeschlafen.
Aber nur kurz. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich mich. Irgendetwas in einem Bauch rumorte da rum. Die Schmerzen wurden stärker, aber auch ein Toilettenbesuch änderte nichts daran. Mühsam versuchte ich, das Grimmen auszuhalten, aber es wurde immer schlimmer. Und so kam es, wie es kommen musste: Ein Brechreiz jagte den nächsten, und eine große Menge der heute gegessenen indischen Köstlichkeiten verließen meinen Magen auf dem Weg, auf dem sie hineingekommen waren. Das ganze verteilte sich auf etwa fünf Stunden und wurde dann schließlich mit einem veritablen Durchfall abgeschlossen. Mir war zwar immer noch schlecht, aber ich hatte das Gefühl, dass mir jetzt nicht mehr viel passieren kann. Und während ich versuchte, endlich einzuschlafen, klingelte der Wecker…
Der vierte Tag
Um acht Uhr musste mein gepackter Koffer vor der Türe stehen. Wie in Trance packte ich alles zusammen, vergaß dabei mein mitgebrachtes Shampoo und das Duschgel im Bad und kam als letzter in den Speisesaal. An Essen war natürlich nicht zu denken. Immerhin mümmelte ich ein trockenes Toastbrot vor mich hin und verspeiste eine Banane. Dazu eine Tasse Tee. Das war’s.
Zum Glück war unser heutiges Pensum sehr übersichtlich: Acht Stunden Busfahrt inkl. Tempelbesichtigung, Mittagessen (Pfui Teufel!) und Abendmahl. (Danke nein!)
Während ansonsten alle Mitreisenden bester Laune waren, weil sie sich offenbar mit dem indischen Teufelszeug besser auskennen als ich, saß ich still und alleine in Reihe zwei des Busses, der geforderten Sitzplatz-Rotation folgend, und versuchte, nicht auszutrocknen. Ich trank Unmengen Wasser und versuchte vor allem, wenigstens ein bisschen Schlaf nachzuholen. Da wir auf einer sechsspurigen Autobahn fuhren, war das sogar relativ problemlos möglich. Ja, auch hier liefen natürlich Kühe auf der Autobahn rum. Und Büffel. Und Ochsen. Und das ganze andere Viech, das hier ein ideales Leben hat. Warum Kühe in Indien heilig sind, muss ich noch herausfinden. Es hat sicher was mit Göttern zu tun.
Denn davon gibt es hier eine ganze Menge, wenn nicht sogar eine Unmenge. Rund 80% der Inder sind Hindus, etwa 17% Moslems (wobei deren Anteil derzeit sprunghaft steigt) und immerhin 0,2%, also knapp drei Millionen Einwohner sind Christen. Etwa genauso viele Atheisten soll es geben.
Der Hinduismus ist die einzige Religion, für die es keine überlieferte „Handlungsanweisung“ gibt, also z.B. kein Testament oder den Koran. Es gibt auch keinen Gründer wie beispielsweise Mohammed oder von mir aus Jesus. Sie beruht einfach nur auf dem Gedanken, möglichst immer das Richtige zu machen. Dazu hat man ein paar Götter eingeführt, die aber alle ein einziges abstraktes, übernatürliches Wesen symbolisieren. Man glaubt an die Re-Inkarnation, an ein „absolutes Sein“, das sich in vielerlei Gestalten äußert und an den Glauben von Ursache und Wirkung. Man muss in seinem Leben dem richtigen Weg folgen, um vom ewigen Kreislauf von Geburt und Tod befreit zu werden.
Ja, da raucht einem schon die Birne.
Der Obergott heißt „Brahma“. Er ist der Gott der Weisheit und hat angeblich die vier Bücher der Weisheit direkt von Buddha bekommen. In Abbildungen hat er vier Köpfe, rote Haut und trägt weiße Kleidung. Er reitet auf einer Gans, hat vier Arme, mit denen er die Bücher, einen Zepter, einen Wasserkrug und ein Perlekettsche trägt. Manchmal statt der Perlen auch einen Bogen oder einen Löffel.
Es wird noch irrer.
Brahma brachte aus seinem eigenen Fleisch eine Partnerin hervor, die unter dem Namen Saraswati firmiert und sowohl sein Tochter als auch seine Ehefrau ist. So weit so logisch.
Mit ihr zusammen gebahr er die menschliche Rasse. Saraswati ist die Göttin der Weisheit und des Lernens.
Damit nicht genug. Die nächste Gottheit heißt „Vishnu“ und ist für Rechtschaffenheit, Wahrheit und Bewahrung des Lebens zuständig. Vishnu wurde inzwischen zehn mal wiedergeboren. Ihre elfte Re-Inkarnation steht angeblich kurz bevor.
Dann gibt es noch den bösen „Shiva“, den Gott des Todes und des Zerfalls. Sein Schrein wird in den Tempeln immer getrennt von den anderen Göttern aufgestellt. Und damit das alles nicht zu einfach wird, ist Shiva auch noch der Gott der Yogis, selbstkontrolliert und zölibatär, und trotzdem gleichzeitig der Liebhaber seiner Lebensgefährtin Shakti. Shiva ist also der Zerstörer der Welt, die Brahma erschaffen und Vishnu bewahrt hat. Shiva ist nicht nur für Tod und Zerstörung verantwortlich, sondern auch – im positiven Sinn – für die Zerstörung des Egos, das Loslassen von alten Gewohnheiten und Bindungen. In der Zerstörung wird nicht wirklich etwas zerstört, sie macht den Weg frei für eine neue Schöpfung, für neue Entfaltungsmöglichkeiten der Schönheit und des „Dramas universeller Illusionen“.
Und damit lasse ich es mal gut sein. Die Liste der weiteren wichtigen Götter ist noch ellenlang. da gibt es z.B. den blauäugigen „Krishna“, „Ganesha“ in Elefantengestalt und den Liebling „Rama“, der nichts mit Margarine am Hut hat. Wer sich für den Hinduismus interessiert, sollte viel Zeit und Geduld mitbringen. Im Grunde genommen ist der Hinduismus auch nichts anderes, als ein Ansinnen der Mächtigen, den einfachen, dummen Menschen soviel Angst wie nötig zu machen, damit sie sich nicht daneben benehmen. Denn wer das tut, hat „schlechtes Karma“ und muss nach seinem Tod noch einmal von vorne antreten. Wer sehr böse ist, kommt dann schon mal in den Slums zur Welt.
Was ich von Religionen halte, habe ich in früheren Reiseblogs ja schon das eine oder andere Mal anklingen lassen. Daran hat sich nichts geändert – im Gegenteil. Religion dient nur dazu, den Menschen zu unterdrücken, Hass zu verbreiten und im Namen irgendeines Gottes andere Menschen zu töten.
Dennoch schauen wir uns natürlich auf unseren Reisen immer wieder an, was die Religion so alles an erstaunlichen Bauwerken zustande gebracht hat. Denn war die Not auch noch so groß – für einen Tempelbau war immer noch was übrig.
Noch vor der Mittagspause führte uns Singh zu einem etwas unbekannteren Tempel, dessen Besuch auch nicht im Programm stand. Er war auf jeden Fall irgendeinem der oben genannten Götter gewidmet und von außen sehr hübsch mit unzähligen Figuren verziert. Muslimische Barbaren (O-Ton Singh) hatten zwar die Gesichter der Steinfiguren zerstört, aber es war auch so noch ganz ordentlich was übrig. Der Tempel war nicht mehr in Betrieb, so dass man diesmal die Schuhe anbehalten durfte. (Warum es bei Tempeln, in denen noch gebetet wird, anders gehandhabt wird, erschließt sich mir auch nicht. Das Ausziehen der Schuhe bewirkt doch nur, dass der Straßendeck draußen bleibt. Und das täte doch auch den nicht mehr genutzten Tempeln gut…)
Egal, wir fuhren weiter. Das Mittagessen habe ich immer noch nicht anrühren können. Nichts gegessen, aber mein Bauch drohte langsam zu platzen. Zuviel Wasser ist wohl auch nicht gesund.
So gegen 16.00 Uhr kamen wir an unserer nächsten Destination an. Wieder ein wunderbarer Landsitz mit einem prächtig ausgestatteten Park. Die zweistöckigen Bungalows stammten zwar aus den 60er-Jahren, waren aber sehr geschmackvoll eingerichtet. Das Bad war größer als die Kinderzimmer meiner Söhne.
Kaum, dass ich mal kurz probeweise auf dem Bett lag, fielen mir die Augen zu und öffneten sich erst um 19:45 Uhr wieder. Ich hatte mich keinen Millimeter bewegt, so fertig war ich. Das Abendessen war schon fast beendet, als ich in den Speisesaal kam. Auch jetzt wieder nur ein Stückchen Fladenbrot gekaut und Tee getrunken.
Danach ging es mir wieder einigermaßen gut. Ich setzte mich noch ein, zwei Stündchen auf meine Terrasse mit dem traumhaften Blick auf den Park und schrieb an diesem Blog weiter. Gegen zehn ins Bett, noch ein bisschen gelesen und mich gefreut, dass ich mein Magen-Darm-Problem offenbar ohne bleibende Schäden überstanden hatte.
Dass unser Hotel direkt an einer Bahnlinie lag, war dann schon gar nicht mehr so schlimm. Statt bellender Hunde gab es hier eben lang tutende Züge. Man gewöhnt sich an alles. (Dafür gibt’s bestimmt auch einen Gott).
Der fünfte Tag
Ich hatte doch glatt vergessen, meinen Wecker zu stellen und wachte daher erst um viertel nach sieben auf. Gut, die Tour begann erst um halb neun, und es waren auch keine Koffer zu packen, da wir in diesem traumhaften Resort noch eine weitere Nacht verbringen würden. Aber ich war so trödelig beim Aufstehen, dass ich fast nichts mehr zum Frühstück bekommen hätte. Da ich aber ohnehin mit einer Scheibe Toastbrot und einem Tee zufrieden gestellt war, war das kein Problem.
Das Problem war ein Anderes: mein Kreislauf. Leider wurde mir ständig schwarz vor Augen. Und als wir dann in Udaipur ausstiegen, um uns einen weiteren Tempel anzutun (nämlich den Jagdish-Tempel), musste ich leider streiken. Zu viele Stufen, zu viel Sonne. (Außerdem wollte ich nicht schon wieder mein Schuhe ausziehen.)
Direkt danach ging es zum Stadtpalast, dem größten Palast Indiens innerhalb einer Stadt. OK, der war ordentlich groß und sehr imposant. Auch hier habe ich die Führung ins Innere des Palastes sausen lassen müssen, weil es keinen guten Eindruck gemacht hätte, wenn ich einfach so umgekippt wäre. Das Thermometer in meiner Apfeluhr zeigte übrigens 33 Grad an. Eigentlich eine angenehme, weil trockene Hitze, aber für Leute mit Kreislaufproblemen nicht geeignet. Zusammen mit vier anderen Abtrünnigen wartete ich brav in einem Café. Erst als mir die Idee kam, es mal mit einer Cola zu versuchen, ging es mit meinem Kreislauf wieder etwas aufwärts. Unsere ältesten Mitreisenden (Sie: 79, Er: mindestens 84), die die gut neunzigminütige Tortur durch die vielen Treppen und Räume des Stadtschlosses auch nicht durchgestanden hätten, gesellten sich zu mir und erzählten von ihren unzähligen Reisen in die ganze Welt. Überhaupt war hier jeder aus dieser Reisegruppe in gefühlt fünf mal mehr Ländern als ich, aber das ist eine andere Geschichte. Die beiden waren wirklich nicht mehr sonderlich fest auf den Beinen, und bei Ihr war auch das Oberstübchen schon ein wenig an Demenz erkrankt. Nett waren sie allemal, und die Geschichten, meist von ihm in breitem Berliner Dialekt vorgetragen (und von ihr natürlich ständig kommentiert oder korrigiert), waren sehr unterhaltsam. Noch wusste keiner von Beiden, was bald auf sie zukommen würde …
Nach dem Besuch des Stadtschlosses ging es zu Fuß weiter an den angrenzenden Pichola-See, auf dem schon die kleinen Motorboote auf ihre Beute warteten. Wir passten nicht alle in ein Boot, und so dauerte es schon ziemlich lange, bis die ganze Truppe auf einer Insel inmitten des Sees abgesetzt wurde. Neben mir saß eine junge Amerikanerin, die mich gleich in ein Gespräch verwickelte. Sie war tatsächlich alleine hier und hatte einen persönlichen Tourguide dabei, der natürlich stehen musste. Vornehm geht die Welt zu Grunde. Auf der Insel auch wieder traumhafte Gärten, teure Gastronomie und viele hübsche Kunstwerke. Die Insel wird gerne für Hochzeiten vermietet. Bei so einer Feier soll Beyonce hier neulich mal rumgetanzt haben. Ich dachte, dass wir hier unser Mittagessen bekommen, aber das war für TrendTours wohl eine Nummer zu teuer. Nach einer halben Stunde Aufenthalt tuckerten wir wieder an Land und wurden in irgendein Restaurant im Stadtinneren gefahren, in dem wir im Garten des Hauses unter einem Zelt wie üblich bespeist wurden. Dank meines wiedererstarkten Kreislaufs wagte ich erneut ein Bier, konnte es aber nicht einmal zur Hälfte austrinken. Das Essen ging auch immer noch nicht an mich. (Aus mir raus ging es immer noch ruck-zuck, falls das jemanden interessiert).
Blieb noch der Frauengarten samt des dazugehörenden Badehauses. Wir Männer durften auch rein, weil heutzutage da gar keine Frauen mehr baden. Viel interessanter war hier die Gartenarchitektur mit den tollen Beeten, den vielen kleinen Springbrunnen und den großzügigen Wiesen. Vorm Eingang lungerten die üblichen Horden der fliegenden Händler, die beinahe eine unserer Mitreisenden um viel Geld gebracht hätten. Für eine Kokosnuss bezahlte sie 500 Rupien statt 50, also 6 Euro statt 60 Cent. Als Singh das mitbekommen hatte, ging er mit ihr zu der Verkäuferin und forderte das Geld zurück. Sie gab es ihm, ohne zu murren. Mit so einem schlechten Karma würde sie sonst wohl das nächste Mal als Ratte auf die Welt kommen.
Für uns war das Ausflugsprogramm für diesen Tag beendet. Singh verabschiedete sich um 16.00 Uhr, um sich Frau und Kind zu widmen (denn er kommt aus dieser Stadt), und der Bus setzte uns wenig später erneut in unserem großartigen Luxus-Landhotel ab.
Essen, trinken & Schreiben/Lesen as usual. Danach noch ein bisschen ums Geld-Verdienen gekümmert. Muss ja auch sein. Gegen Mitternacht ins Bett, ohne diesmal von hupenden Güterzügen aus dem Schlaf gerissen zu werden.
Der sechste Tag
Ein Tag, der zumindest für zwei Mitglieder unserer Gruppe so schnell nicht in Vergessenheit geraten dürfte.
Nach dem – für mich inzwischen selbstverständlichen spartanischen Frühstück (Scheibe Toast, Tasse Tee) brachte uns der Bus nach einer längeren Fahrt zum Jain-Tempel von Ranakpur. Beim Namen „Jain“ klingelt es vielleicht ein bisschen. Deutsche Bank-Anleger dürften bei dem Namen Pickel bekommen. Die „Jains“ sind die reichsten Inder der Welt. Allein schon deswegen sind sie hochangesehen, was ja an sich ein Widerspruch in sich ist. Der prächtige Jain-Tempel wurde bereits im 15. Jahrhundert von einem Mitglied der Dynastie – nach einer „göttlichen Erleuchtung“ errichtet. Auch hier mussten wir wieder Schuhe ausziehen, die Hosen bis über die Knie tragen und durften kein Leder mit hineinnehmen. Die Jains trinken kein Alkohol und sind Veganer, vermehren sich anscheinend trotzdem. Bis zur Öffnung der Kassen um zwölf mussten wir noch zwanzig Minuten warten, die wir mit einem Spaziergang durch die Umgebung des Tempels ausfüllen sollten. Endlich ging es los. Der Tempel soll ja sa-gen-haft schön sein. Widerwillig trennte ich mich von meinen Schuhen, bezahlte die 100 Rupien für die Fotografier-Erlaubnis und stellte mich am Eingang an. Leider ließ mich so eine höchstens 18-jährige Türstehern mit dem Tonfall einer Gefängnisaufseherin nicht rein, weil meine Hosen angeblich zu kurz wären. Sie gingen deutlich übers Knie, aber wohl nicht deutlich genug. Ich hätte mir für weitere 100 Rupien eine Leihhose drüber ziehen können, aber dazu war ich nicht bereit. Ich dachte mir „Steckt Euch doch Euren Tempel sonst wohin und lasst mir meine Ruhe“, verließ den Eingang, zog meine Schuhe wieder an, gab Singh das Foto-Ticket wieder und schmollte.
Plötzlich große Aufregung. „Da ist jemand gestürzt!“, riefen die Leute durcheinander. Und tatsächlich: Am Seiteneingang des Geländes war unsere 79-jährige, wackelige Reiseweltmeisterin auf einem Sandweg ins Rutschen geraten und auf die rechte Hüfte geknallt. Da lag sie nun und konnte das rechte Bein nicht mehr bewegen. An Aufstehen war sowieso nicht zu denken. Außer den üblichen Gaffern gab es auch Helfer, die versuchten herauszufinden, wie schwer die Verletzung war. Gemeinsam trugen wir sie dann auf einen Stuhl, wo sie weiterhin über große Schmerzen im Hüftbereich jammerte. Ein zufällig anwesender Arzt einer anderen Reisegruppe unternahm eine erste Inspektion der Gestürzten. „Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Sie anfasse? Ich bin Arzt“, fragte er. (Den Spruch muss ich mir merken). Nach ein paar Gelenktests diagnostizierte er eine Prellung der Hüfte. Soweit waren wir auch schon, aber dazu passte nicht, dass der rechte Fuß völlig unnatürlich nach rechts verschoben war.
Inzwischen hatte das Personal einen Rollstuhl aus dem ersten Weltkrieg aufgetrieben, in den sie nun gehievt wurde. Das kaputte Bein konnte sie inzwischen wieder ein bisschen bewegen. Ihr Mann war daher der Meinung, dass man erstmal mit ein paar Schmerztabletten zur Überbrückung warten solle, ob da noch was Schlimmeres passiert sei. Ich tippte auf Ausrenkung des Oberschenkels aus der Hüftpfanne, lag aber damit genauso falsch wie der Doktor, der gerne mal anpackt. Inzwischen war auch unser Tourleiter wieder bei uns. Die Frau wurde in den Bus gesetzt und sollte bei Ankunft desselben in Jodphur dort in ein Krankenhaus gebracht werden. Die Fahrt dorthin dauerte – mit den üblichen Unterbrechungen für Essen, Rauchpausen und Toilettengängen – noch über vier Stunden. Tapfer hielt sie durch, vielleicht auch längst vergessen habend, was ihr passiert war. Wir erfuhren erst am nächsten Morgen, was die Ärzte feststellten. Keine gute Nachrichten für Beide. Davon gleich mehr.
Denn mit dem Erreichen der Stadt Jodphur waren wir ja auch in unserem nächsten Hotel angekommen.
Und das war leider ein Fehlgriff des Veranstalters – zumindest, wenn man dieses Hotel mit den bisher besuchten Edelherbergen vergleicht. Die Zimmer waren sehr klein, hatten aber sage und schreibe achtzehn (!) Lichtschalter! Alleine, um herauszufinden, welche der ganzen Schalter z.B. für einen nächtlichen Toilettengang vonnöten sind, um nicht auf die Fresse zu fliegen, dauerte seine Zeit. Außerdem wurde in unserer Etage wohl erst kürzlich neu gestrichen. Es roch wie in einem Farbeimer. Die Fenster ließen sich nicht öffnen, die Bedienungsanleitung der Klimaanlage könnte Lämmer zu Wölfen machen, und an den erwähnten Schaltern klebte Fliegenkot und ähnlich widriger Dreck. Die Trennscheibe zwischen Bad und Dusche war im unteren Bereich kaum noch durchsichtig, und vor der Türe standen (bis zum nächsten Morgen!) Teller mit Essensresten.
Ach ja, Essen musste man in dritten Stock, in einer besseren Kantine. Der bestellte Wein war nicht nur teuer, sondern warm und nahezu ungenießbar. Schnell wieder ins winzige Zimmer und am Blog weitergeschrieben. Des Nachts die üblichen Rumpeleien im Margen-Darm-Trakt. Gut, dass ich mir die Lichttasten gemerkt hatte, durch die ein peinliches Desaster verhindert wurde. Es wird also nicht besser.
Der siebte Tag
Kurz nach dem Frühstück erhielten wir die Nachricht, dass sich unsere alte Dame den Oberschenkelhalsknochen gebrochen hatte. Das bedeutete: Operation, 5 Tage Aufenthalt, Heimflug.
Wir werden sie und Ihren Mann vermutlich auf dieser Reise nicht mehr sehen.
Für die verbliebenen 31 Reisenden ging es zunächst mal zum Einkaufsbummel. Genauer gesagt, in ein angebliches Großhandelsgeschäft, bei dem es die besten Preise und natürlich die beste Qualität zu kaufen gäbe. Singh hörte gar nicht auf, von dem Laden zu schwärmen, den wir nach kurzer Fahrt in einer dreckigen Seitenstraße dann auch fanden. Der Laden war von außen genauso verschmoddert wie von innen. Im Erdgeschoss stapelten sich Tausende von Skulpturen aus Gold, Messing, Stein oder was weiß ich. Dicke Staubschichten auf allen Exponaten, die Bodenteppiche mit Klebeband verbunden, Siff & Seuche, wohin man sah. Singh schien das gar nicht zu kümmern. Wir sollten ihm in den Keller des Gebäudes folgen, hier gäbe es die tollen Sachen zu sehen. Und als hätte ich nicht geahnt, worauf das hier hinausläuft, wurden wir in einen ca. 80 qm großen Raum getrieben, indem ringsherum Stühle und Sitzgelegenheiten aufgebaut waren. „Eine Kaffeefahrt also“, stellten wir ziemlich deprimiert fest. Aber Singh ließ sich nicht entmutigen und schwärmte weiter von den tollen Schals und Decken, die wir gleich zu sehen bekämen. Denn darum ging es hier: Um den Verkauf von Seidenschals und ähnlichem Schnickschnack. Der Chef persönlich – natürlich ein „Jain“ – leitete die perfekt choreografierte Verkaufsshow. Im landestypischen gelben Sari gekleidet, mit Hipster-Bart, Brille und perfekter englischer Aussprache schien es für ihn eine echte Freude zu sein, uns alle von sich und seinem Laden zu überzeugen. Erst zeigte er uns ein paar einheimische Decken, die mir gar nicht gefielen. Die Leute wurden schon unruhig und starrten Singh entgeistert an. Dann rückte Jain mit den aktuellen Kollektionen raus. Seide, Kaschmir, Pekunia. Eine Sorte feiner als die vorherige. Zum Teil wurden diese Schals aus dem Barthaar von Yaks gewebt, die in tausend Meter Höhe in Tibet leben. Auch jetzt glaubte ich ihm noch kein Wort. Dann zeigte er abgegriffene, aber weltberühmte Modemagazine der letzten Jahre, in denen über seine Firma berichtet wurde. Einer der Reisenden musste so einen Artikel aus der deutschen „Vogue“ sogar vorlesen. Und als er sagte, dass Mick Jagger sogar zweimal in seinem Laden war, wurde ich doch etwas hellhörig. Auch Sting und Madonna waren hier. Angeblich. Die Decken und Schals, die er uns zeigte, waren teilweise die neueste Kollektion von Hermez und Roberto Cavalli, diese bekannten Modefuzzis. Angeblich. Ein 3 mal 3 Meter großes Tuch würde z.B. in Frankfurt am Flughafen im „Hermez“-Laden knapp 3000.- Euro kosten. Angeblich. Dann nannte er uns seinen Preis. Ich verrate ihn hier nicht, weil ich das Ding als Geschenk gekauft habe. Hergestellt werden die Schals angeblich von einer Kooperation von 1850 Nähern und Designern hier in Indien. Er beschwor, nur echte Materialien zu verwenden (sonst könnte er sich hier überhaupt nicht halten) und nannte weitere Prominente, die ihren Krempel hier einkauften. Die Schals und Tücher waren wirklich extrem zart und dünn. Das Design war aufregend und teilweise in verschiedenen Farben vorhanden. Man konnte die Teile zusammen knäueln, ohne dass sie anschließend zerknittert waren. Und im Vergleich zu Plastikware, die wir anfühlen sollten, war der Unterschied tatsächlich eminent.
Kurzum: Entweder ich bin auf einen der geschicktesten Schwindler aller Zeiten hereingefallen oder ich habe in diesem Kellerloch wirklich ein Schnäppchen gemacht. Übrigens nicht nur ich. Nahezu alle kauften mindestens zwei Teile. Bezahlt wurde mit Kreditkarte. Zu denken gibt mir immer noch, dass dieser Ladenbesuch nicht im Programm stand und dass sich Singh einen Wolf freute, dass wir so viel Zeug da raus schleppten.
Vielleicht freute er sich aber auch nur darauf, dass wir heute das „Holi“-Fest feiern durften. Ein Fest, das angeblich bereits von 70 Ländern übernommen wurde. Hierbei werfen sich die Menschen gegenseitig mit Farbpulver voll, verschmieren sich das auf Kleidung und Haut und springen tanzend und singend durch die Straßen. Die meisten Geschäfte waren daher geschlossen. Als Zeichen, dazu zu gehören, malte uns Singh einen roten Punkt mit dem Farbpulver auf die Stirn.
So aufgebrezelt, kam dann mal wieder ein historisches Bauwerk in Jodphur an die Reihe, das „Fort Mehrangarh“ nämlich. Steil ging es bergauf, zu steil manchmal für einige von uns. Und überall und immer mehr lag das liebe Vieh auf der Straße rum. Im Gegensatz zu uns Menschen verließen sie ihre Plätze auch nicht, wenn man sie anhupte oder anrempelte. Das bringt uns auf die Frage zurück: „Warum dürfen die das?“
Nun, das ist so: Die Kuh ist heilig. Punkt. Damit wäre eigentlich alles gesagt, denn was in Indien heilig ist, kann machen, was es will. Aber es gibt natürlich auch eine etwas treffendere Begründung. Die Kuh ist das Arbeitstier schlechthin. So wie bei den Bauern der Traktor. Die Kuh gibt Milch, Butter, Joghurt, Käse etc., lässt sich vor einen Karren spannen, kann die Felder pflügen und gibt selbst in totem Zustand in Form von Leder noch Einiges her. Nie würden die Inder so ein wertvolles Nutztier essen. Es gehört quasi zur Familie. Jedenfalls ist das auf dem Land so. Dort wird sie auch als Nutztier eingespannt. In den Städten geht die Liebe inzwischen nicht mehr so weit. Viele würden die Innenstädte von den Wiederkäuern gerne befreien. Die meisten Kühe gehören übrigens niemandem. Sie laufen einfach so rum und werden durch Spenden und von den Einwohnern gefüttert. Und da das oft nicht zum Leben reicht, werden die meisten Kühe auch nicht sonderlich alt. Wenn sie nicht „zufällig“ von einem LKW angefahren werden, sorgen Angehörige der niedrigsten Kaste dafür, dass die Viecher heimlich abtransportiert und zerlegt werden. Knochen und Fell dürfen sie behalten – den Rest erledigen die Geier, Hunde und sonstiges Gewürm. In größeren muslimischen Gemeinden – ohne hinduistische Nachbarschaft – landet so eine Kuh dann allerdings auch mal auf dem Speiseplan. Das gilt natürlich auch für Ochsen, die den Kühen, was „Freilaufen“ betrifft, in nichts nachstehen.
Kinder, deren Mutter im Kindbett gestorben ist, können angeblich nur mit Kuhmilch überleben. Die Butter der Kühe soll hervorragend schmecken. Und der Urin der Kühe – sofern sie noch keine Kälber geworfen haben – soll gegen Krebs helfen. Angeblich. Man muss schon bei allen Aussagen ab und zu den Realitätsfilter einschalten, sonst wird man ganz duselig. Obwohl.: Erste Krebsmedikamente auf dieser Basis sind bereits zugelassen.
Wir schauten uns auch noch ein weiteres Mausoleum an: Das Jaswant Thada-Mausoleum nämlich. Schön, das wir darüber gesprochen haben. Der Bus hatte noch einen weiten Weg bis Jaisalmer vor sich.
Nach dem Mittagessen in einem sehr noblen Restaurant kam eine andere deutsche Reisegruppe hinzu, die das Holifest bereits voll verinnerlicht hatte. Und ehe man bis drei zählen konnte, waren die meisten unserer Mitreisenden von oben bis unten mit Farbe bekleckert. Gelb, rot, orange und blau. Wahrscheinlich die heiligen Farben. Dazu ertönte plötzlich Faschingsmusik aus einem zufällig (?) da rumstehenden Lautsprecher. Und siehe da: Die sonst doch so megasteifen Mitglieder unserer Seniorengruppe tanzten sich den Wolf. Singh kam kaum dazu, sie wieder in den Bus zu stopfen. Leider fiel ihm da auf, dass sich paar von uns der Maskerade entzogen hatten und still und heimlich auf ihrem Platz saßen, bis das Unheil vorbei sein würde. Der Autor dieser Zeilen gehört natürlich auch dazu. Ich habe gerade mit Müh und Not Fasching überstanden, indem ich konsequent jeder Veranstaltung aus dem Weg gegangen war. Und jetzt sollte ich hier doch noch kalt erwischt werden? Singh hatte Marianne Rosenberg, Drafi Deutscher und natürlich die komplette Helene Fischer-Kollektion auf seinem Handy. Kaum, dass er diese Gassenhauer über die Lautsprecheranlage abspielte, lagen sich unsere bisher so schüchternen Gäste hemmungslos in den Armen, schunkelten und grölten, dass es eine Freude war, äh, Zumutung war. Wehe, wenn sie losgelassen. Dazu gab es 45%-igen Rum für alle. (Außer für mich, ich mochte das nicht). Und nun ging Singh, der inzwischen Gefallen an dem Trubel gefunden hatte, dazu über, die paar verbliebenen Unbunten mit Farbe einzuschmieren. Mich erwischte er von hinten auf dem Kopf. Als er dann von vorne mein Gesicht sah, ließ er von weiteren Verzierungen ab. Wenn Blicke töten könnten, hätten wir jetzt keinen Reiseleiter mehr. Ja, ich weiß, ich bin da eine Spaßbremse, aber ich kann es wirklich nicht mehr ab. 30 Jahre als Discjockey erzeugen eine große Antipathie gegenüber schunkelnden, grölenden, besoffenen Menschen, die sich grundlos in die Arme fallen. Ich las´ weiter demonstrativ auf meinem iPad das neue Buch meines ehemaligen HR-Kollegen Tim Frühling, „Der Kommissar mit dem Sonnenbrand“. Das war viel lustiger.
Nach etwa 45 Minuten war der Spaß vorbei. Vor allem für die, die mit grünem Farbpulver angemalt waren. Das entwickelte im Zusammentreffen mit Wasser eine eine sehr intensive rote Farbe, die sich nicht mehr entfernen ließ. Bis zum Schluss der Reise nicht – und vermutlich noch viele Wochen danach. Das bisschen Orange aus meinem Haar hatte ich schnell raus gebürstet.
Unser nächstes Reiseziel sollte also die Stadt Jaisalmer werden.
Auf dem Weg zum Hotel fuhren wir übrigens viele Kilometer lang an einem Armeegebiet entlang, auf dem Indien seine unterirdischen Atombombenversuche durchgeführt hatte. Die Grenze zu Pakistan war nur noch 140 km entfernt. Zur Erinnerung: Pakistan ist ein Feind Indiens – und beide haben Atomwaffen. Das Hotel schien auch so eine ehemalige Kommandantur der Armee gewesen zu sein. Leider befinden sich die Gästezimmer in diesem riesigen Areal nicht mehr in bestem Zustand. Die Zahl der Lichtschalter stieg zwar auf 22, aber viel Anstellen konnte man damit nicht. Dafür hatte ich ein ganz besonderes Duscherlebnis: Egal, welchen der beiden Kräne man aufdrehte, es kam nur (fast) kochendes Wasser heraus. Bei meinem Zimmernachbarn war es übrigens umgekehrt: Er hatte nur KALTES Wasser.
Der achte Tag
Wir verließen das ehemalige Fort nach dem Frühstück (Toast + Tee), um uns mal wieder eine Festung anzuschauen. Gebaut wurde sie im 15. Jahrhundert auf einem Hügel in Jaisalmer, was bedeutet, dass wir ganz schön bergauf laufen mussten, um uns das Ding reinziehen zu können. Der Bauherr der Festung bekam übrigens Stress mit seinem Sohn, und das führte dazu, dass der Bub ca. 300 km weiter eine eigene Festung baute. Ja, man kann schon jetzt davon ausgehen, dass wir uns die auch anschauen werden. Aber auch hier wieder: Toll gebaut, gut erhalten, alles prima. Wenn nicht ständig diese halbstarken Motorrad-Futzis den Weg rauf und runter rasten, ohne Sinn und Zweck, just for fun. Ich durfte mir einen frisch aufgewickelten Turban aufsetzen und erntete dafür auf Facebook entsprechende Kommentare.
Die anschließende Besichtigung der dazugehörenden Altstadt war dann schon ziemlich „hard core“. Es fehlte in dieser Altstadt an allen Ecken vor allem an Hygiene. Der Müll lag einfach so rum – die Kühe rissen die Müllbeutel auf und fraßen, was sie für essbar hielten, meist Plastik. Kein Wunder, dass so eine Kuh nur ein kurzes Leben hat. Die Kanalisation, die am Straßenrand verlief, war andauernd unterbrochen. Leicht konnte man in so einen Abflusskanal fallen, wenn man nicht alle Augen offen hielt. Und trotzdem wurde dieses bereits verseuchte Wasser benutzt, um z. B. Wäsche zu waschen oder Tiere zu tränken. Die alten Bauten, die wir besichtigen sollten, waren in gutem Zustand, aber das gesamte Dorf machte auf mich einen sehr traurigen Eindruck. Die vielen Bettler, zum Teil übel missgestaltet, ließen keine Freude aufkommen. Und was man in den Geschäften kaufen konnte, war nicht der Rede wert. Ein abgewrackter Touristenort, der zum Scheitern verurteilt ist.
Liegt es am Schulsystem? Von den Engländern übernommen, ist einheitliche Schulkleidung natürlich Pflicht. Tatsächlich gehen die meisten Kinder auch zur Schule, aber der Ausbildungsstand ist international unter aller Sau, wie neulich im Spiegel stand. Es fehlen vor allem Fachkräfte. Es gibt Millionen von Hilfsarbeitern, aber keine wirklich gut ausgebildeten Ingenieure, Ärzte oder von mir aus Rechtsanwälte. Auf eine ausgeschriebene Stelle für 10.000 Putzjobs bei der Bahn haben sich zwei Millionen Inder gemeldet, die so was Ähnliches wie ein Abitur haben. Erfolgreich kann man nur werden, wenn man einen Abschluss auf einer der wie Pilze aus dem Boden schießenden Privatschulen nachweisen kann.
Laut Singh geht es den Indern trotzdem gut. Alle Familien haben ein kleines Vermögen in Form von Gold, Schmuck oder Hausbesitz. Und bevor das nicht aufgebraucht ist, wird es keine Revolution – in welche Richtung auch immer – geben. Die Inder sind anscheinend leicht auszunutzen. Die vielen Plünderungen der vergangenen Jahrhunderte beweisen das. Und noch was haben angeblich alle Inder zuhause, obwohl es streng verboten ist: OPIUM! Es ist ein Zeichen vollendeter Gastfreundschaft, seinen Gästen zur Begrüßung erstmal ein wenig Opium-Saft anzubieten. Es wird also anscheinend nicht geraucht, sondern getrunken. Wer davon Abstand nehmen will, muss dies mit einer bestimmten, festgelegten Geste zum Ausdruck bringen, sonst ist der Gastgeber beleidigt.
Apropos beleidigt: Ich hatte bisher immer mit einem bestimmten Typ Inder zu tun, den ich so gar nicht leiden konnte. Agenturen aus Delhi, die mir vorschreiben wollten, welche Honorare ich zu akzeptieren hätte, wenn ich für eine deutsche Firma für sie arbeiten würde, um mal ein Beispiel zu nennen. Wenn ich dann freundlich antwortete, dass ich kein Interesse an einer Zusammenarbeit hätte, wurden sie oft pampig. Ich wurde manchmal am Telefon beschimpft, weil ich „unhöflich“ wäre und dergleichen mehr. Inzwischen sehe ich ein, dass sie alles versuchen mussten, um mich zu beschäftigen, weil sie sonst ihren Kunden in Deutschland verloren hätten. Denn DER ist natürlich der Böse. Billig Outsourcen heißt die Devise, aber da mache ich eben nicht mit. Nun lernte ich die Inder mal von „Mann zu Mann“ kennen. Ganz ehrlich: Die meisten sind unglaublich höflich, freundlich, zuvorkommend, aufmerksam und interessiert. Auch unser eher resoluter Reiseleiter entpuppte sich so langsam als liebenswerter Zeitgenosse mit kleinen Schwächen.
So, das habe ich jetzt endlich im Kasten.
Apropos Kasten. Die gibt es seit der Unabhängigkeitserklärung 1947 ja offiziell nicht mehr. Aber trotzdem spielt sich das ganze Leben in Indien weiterhin nach diesen Vorschriften ab. Es gibt (bzw. gab) vier Kasten mit unzähligen Unterkasten. Ganz oben, also die Kaste Nummer 1, sind die Brahmen, die auch als Brahmanen bekannt sind. Sie können Sanskrit lesen und schreiben, die Sprache der Vorväter, und fungieren nicht nur als Lehrer, sondern sorgen für den korrekten Ablauf aller Zeremonien – wie Heirat, Kindstaufe und Tod. Sie sind extrem hoch angesehen, verdienen aber recht wenig. Viele sind Asketen, die sich nur von Luft und Liebe ernähren. Manche laufen sogar splitternackt durch die Gegend. Die zweite Kaste sind dann die Soldaten und Krieger. Sie sorgen für die Sicherheit im Land, verdienen ordentlich und sind ebenfalls hoch anerkannt. Bei Kaste drei sammeln sich dann alle Handwerker. Diese Kaste ist logischerweise die größte und verdient das meiste Geld. Die Kaste vier ist dann schon eher nicht so beliebt. Kadaver & Co. sind so ihre Haupteinnahmequellen, wie zuvor schon berichtet. Aber wie gesagt – es gibt seit 1947 offiziell keine Kasten mehr. Bis das aber in den Köpfen der Menschen verschwunden ist, werden noch sehr viele Jahre vergehen. Denn das Kastendenken ist in einem anderen Punkt nach wie vor aktuell: Man darf niemanden heiraten, der einer anderen Kaste angehört. Und wenn man jemanden aus seiner eigenen Kaste ehelichen will, muss dieser oder diese aus einem anderen Dorf stammen – um der Inzucht zu entgehen. Und wer einmal in einer Kaste geboren wurde, darf diese niemals wieder verlassen. Soviel also dazu, dass das Kastendenken aus den Köpfen ist. Das Gegenteil ist der Fall.
Doch weiter im Programm. Ich muss gestehen, dass ich bisher noch nie auf einem Kamel geritten bin. Und diese Chance sollte ich heute bekommen. „Kamelreiten in den Sonnenuntergang“ lautete der Programmpunkt der Agentur. Unser Bus fuhr uns also – an vielen streng bewachten Armeestützpunkten vorbei – in die Wüste.
Singh erklärte uns genau, wie wir uns zu verhalten hätten. Ein Teil der Truppe zog den Transport mit einem Anhänger vor, der von einem Kamel gezogen wurde – aber das war im Endeffekt die schlechtere Lösung. Als Alleinreisender hatte ich (bzw. das Kamel) das Glück, alleine auf dem Tier zu sitzen. Das Raufsteigen war zwar nicht ganz einfach, aber irgendwie hat es hingehauen. Beim Aufstehen des Tieren muss man sich zunächst nach hinten und dann nach vorne lehnen, damit man nicht gleich wieder runterfällt. Mein Kameljunge „Akib“ hat mir das schön erklärt – und schwups, schwebte ich zwei Meter über dem Boden. „Alla“, mein Kamel und ich wurden schnell gute Freunde. Akib gab mir sogar die Zügel in die Hand. Ich hätte zwar gerne mal einen Sprint hingelegt wie der junge Bursche, der uns da mit ca. 65 km/h auf seinem Rennkamel entgegen kam, aber ich fürchte, da benötige ich noch etwas Erfahrung.
Unangenehm waren die Schmeißfliegen am Start der etwa 30-minütigen Kameltour. Diese unsympthatischen fliegenden Händler wollten sie mir schon jetzt Getränke für meinen Durst am Ziel andrehen. Sie erfanden deutsche Namen, damit ich mich an sie erinnern würde – „You remember, I´m Fritz, you ordered one Coke“ – ich war davon so genervt, dass ich am Ende überhaupt nichts getrunken habe.
Nach einer halben Stunde endete der Ritt inmitten einiger Sandhügel mit Blick auf den sich anbahnenden Sonnenuntergang. Und dann lief alles ein bisschen durcheinander. Akip suchte nach mir und wollte, dass ich wieder auf Alla steige (das Kamel!), obwohl ich von meinem Kamel inzwischen wirklich mehr als genug hatte. Der Knauf direkt vor dem Bauch hat mir so in denselben gepiekst, dass ich es noch tagelang spüren würde. Die Sonne würde noch lange nicht untergehen, und der Bus stand nur etwa 300 Meter entfernt. Ich lief also durch die Sanddünen zurück zum Bus, einen traurigen Akip, der wohl in mir einen Freund fürs Leben erhofft hatte, zurücklassend. Sorry Akip, aber wir haben wirklich nicht zusammengepasst. Alla war’s wohl egal.
Und ja, es waren Kamele und keine Dromedare. Nach dem Abendessen direkt ins Bett.
Der neunte Tag
Die Abstände zwischen den Orten wurden immer größer. Rund 300 km Busreise lagen zwischen Jodphur und Bikaner. Das war der Ort, in dem der aufsässige Filius seinen eigenen Palast gebaut hat. Dazu hat er auch noch gleich eine ganze Stadt gegründet. Einer der späteren englischen Besitzer (oder Besatzer?) – übrigens der Einzige, der angeblich im 1. Weltkrieg zusammen mit den Indern gekämpft hat – hatte die geniale Idee, eine 6000 Kilometer lange Wasserleitung durch halb Rajasthan zu verlegen. Eine der Grundlagen für den wirtschaftlichen Erfolg der Gegend. Die aktuelle Besitzerin wohnt sogar noch in dem Gebäude. Von diesen ganzen Bauten habe ich natürlich Unmengen Videoaufnahmen gemacht, sodass ich mir – wenn ich mal alt bin – den ganzen Krempel zusammenschneiden kann.
Nach einer Kaffeepause wurden wir auch schon wieder in eine neues Hotel gefahren, mitten im Ort. Es lohnt sich nicht, darüber was zu schreiben. Außer, dass ich auf der Stelle weggeknickt war, als ich mich aufs Bett gelegt hatte. Der Anruf unseres Reiseleiters riss mich aus meinem Tiefschlaf. Am liebsten wäre ich im Bett geblieben, aber das Highlight dieses Tages durfte ich natürlich nicht verpassen: Folklore-Abend mit Volkstänzen und Dinner im Wüstenzeltlager.
Es ging ca. 45 Minuten lang durch die Pampa. Kaum noch als Straße erkennbar, führte der Weg durch mehrere kleine und kleinste Dörfer hindurch.
An einer Kreuzung kamen uns mehrere Wagen entgegen, die voll mit Muslimen beladen waren. Und nun geschah etwas, was ich unserem friedfertigen Reiseleiter überhaupt nicht zugetraut hätte. Singh begann lauthals über die Muslime zu schimpfen. Nicht Pakistan, sondern die Invasion der Muslime sei das wirkliche Problem Indiens. In manchen Gemeinden hätten sie schon die Einheimischen vertrieben. Es sind zwar erst 17% der Bevölkerung muslimischen Glaubens, aber das könnte sich ja bei der hohen Geburtenrate der Einwanderer schnell ändern. 10 Kinder seien bei denen normal – gegenüber nur zwei Kindern bei Hindus. Außerdem würden sie ihre eigene Religion ausleben anstatt zum Hinduismus umzuschwenken, wie es doch im Koran stünde. Nun gehört das Studieren des Korans nicht zu meinen üblichen Lesegewohnheiten, aber das konnte ich mir nun wirklich nicht vorstellen. Wir waren erschüttert, wie viel Hass plötzlich aus unserem sehr gläubigen Reiseleiter quoll. Wenn es stimmt, was Singh da voraussagt, gibt es in Indien in ca. 30 Jahren mal wieder ein Riesenproblem. Singh hat es leider schon heute – und ich befürchte, da helfen keine Diskussionen mehr.
Doch zurück zu unserer Open-Air-Party in den Dünen der Wüste. Man hatte ein Halbrund aufgebaut, ähnlich wie in antiken Theatern, und eine Bühne in die Mitte gestellt. Dort fand dann die Folklore statt. Vier Musiker spielten irgendwelche alten Weisen, während zwei schlanke Mädels sich dazu geschickt auf der Bühne bewegten. Der etwas beleibte Chef der Truppe sang sogar den einen oder anderen Hit aus den Charts des 15. Jahrhunderts. Währenddessen wurden an unseren Tischen Kerzen angezündet, und es wurde das Essen dargereicht. Es gab das Gleiche, was es hier in Indien überall jeden Tag gibt – bis auf eine Ausnahme: Ausgerechnet das Auftaktgericht waren Pommes mit Ketchup. Jawohl, Pommes Frites und ein Klacks Ketchup. Danach war ich eigentlich schon wieder satt. Ich hatte mir erlaubt, anlässlich dieses großartigen Events ein Fläschchen Weißwein zu ordern. Mit 1000 Rupien, ca. 12 Euro, war das sogar noch recht günstig für 0,375 Liter Inhalt. Also musste ich noch eine zweite Flasche nachordern. Danach waren mein Bargeldvorrat in Rupien nahe Null und der Fröhlichkeitsfaktor deutlich gestiegen. Zumal eine der Tänzerinnen auch noch Fakir-ähnliche Fähigkeiten zeigte und auf Nägeln und Messern rumtanzte. Zum Glück ging das alles ohne Verletzungen ab – und war wohl auch nicht wirklich gefährlich. Einer der Veranstalter leuchtete uns nach dem Ende der Veranstaltung so gegen 21.00 Uhr mit einem Gasbrenner den Weg. Leider war das Gas schon nach ein paar Metern alle. Ein Pluspunkt für mein iPhone, dessen Taschenlampe die Helligkeit der Gasfunzel ohnehin übertraf.
Im Bus ging es dann weiter. Singh holte wieder seinen 49%-igen Rum aus dem Versteck („Diesmal nicht von der Agentur, sondern aus eigener Tasche!“) und füllte uns erneut ab. Dass dann wieder Marianne Rosenberg und der ganze andere Quatsch von neulich lief, hat mir diesmal weniger ausgemacht. Nur meine Stimme, die war plötzlich weg.
Seit Tagen husteten sich ja alle Passagiere im Bus die Seele aus dem Leib. Es wurde leider nicht besser, sondern bei allen jeden Tag schlimmer. So also auch bei mir. Als wir im Hotel ankamen, musste ich Singh die Teilnahme am Besuch des Rattenmuseums, der für morgen früh geplant war, leider absagen, bzw. abkrächzen. Die Gesundheit ging vor.
Dass ich dann doch noch bis fast ein Uhr an diesem Blog geschrieben habe, war ziemlich dumm. Entsprechend mies ging es mir am nächsten Morgen.
Der zehnte Tag
Bevor wir Rajasthan verlassen sollten, stand uns noch der Besuch „Palastfestung Junaghar“ bevor. Ein Märchenpalast, der vom immensen Reichtum der Stadt erzählt. Was wir z.B. nicht wussten: Indien ist ganz und gar kein armes Land. Das Land mit den fünftmeisten Millionären der Welt ist tatsächlich Indien. Und für diese ganzen Superreichen stehen auch überall die umgebauten Paläste als Hotels zur Verfügung. Als TrendTourer hatten wir da wohl nichts verloren. Dachten wir jedenfalls bis dahin.
Insgesamt saßen wir – mit den üblichen Unterbrechungen für Toilettengänge und Mittagessen – sieben Stunden im Bus, um von Bikaner nach Jaipur zu fahren. Jaipur ist die Hauptstadt des Bundeslandes Rajasthan mit ca. 3,5 Millionen Einwohnern. Genau weiß man es nicht, da die letzte Volkszählung schon wieder acht Jahre her ist. Die Fahrt ging nur teilweise über vierspurige Autobahnen – denn größtenteils fuhren wir auf schmalen Landstraßen mit entsprechendem Gegenverkehr. Unser Fahrer ist wirklich ein Genie. Wie er es immer wieder geschafft hat, auch die unmöglichsten Überholvorgänge zu überstehen, ohne dass wir zerbröselt wurden, bedarf schon einer großen Erfahrung. Und notfalls fasst die Straße dann eben auch mal vier Fahrzeuge nebeneinander. Unser Wasserjunge machte ebenfalls einen guten Job. Etwa einmal pro Stunde lief er durch den Bus und verkaufte Mineralwasser, Cola und Bier. Außerdem reinigte er täglich den gesamten Innenraum, half den Passagieren beim Ein- und Ausstieg, desinfizierte unsere Hände nach jeder Besichtigung und lud die Koffer ein und aus. Ein fleißiger, bettelarmer junger Mann, der bei dieser Reise vom Verkauf der Getränke und seinem Trinkgeld leben musste. Und da wären wir schon wieder bei dem Thema, bei dem es jedesmal auf Gruppenreisen Streit gibt. Wieviel gibt man wem und warum? Singh war da ganz ehrlich. Er wäre mit dem Vorschlag der Agentur absolut einverstanden. Das wären dann ein Euro für den Wasserbub, zwei Euro für den Fahrer und drei Euro für den Reiseleiter. Pro Tag, versteht sich. Und das von jedem Mitreisenden natürlich. Das wären für Singh dann zum Beispiel 3 Euro mal 12 Tage mal 31 Reisende = 1116.- Euro. Da er die Tour zweimal im Monat macht, sind das schon 2232.- im Monat. Netto. Davon gehen keine Steuern ab. Oder Sozialabgaben. Das Geld wird nirgendwo registriert. Die Saison dauert maximal sechs Monate, das sind dann schon über 13000.- Euro als „Belohnung“ für seine Arbeit, wie er sagte. Denn ein Gehalt bekommt er natürlich auch noch. Das muss er allerdings versteuern. Mir ist das egal, solange er einen guten Job macht – und das tut er. Das Trinkgeld ist auch nicht verpflichtend. Trotzdem sollten wir ihm und den beiden anderen das Geld einzeln in Umschlägen geben und einen netten Satz dazu schreiben, weil er bei guten Kritiken bessere Konditionen erzielen könne. „Und bitte den Namen nicht vergessen!“. Soviel zum Thema Datenschutz.
Wir kamen schon gegen 17.00 Uhr in Jaipur an. Eine erste Fahrt durch die Stadt machte alles andere als einen angenehmen Eindruck. Die Altstadt, „Pink City“ genannt, weil die Häuser dort alle pinkfarben angestrichen sind, wirkte marode und äußerst verdreckt. Wie sich überhaupt bei uns so langsam die Erkenntnis breit machte, dass dieser ganze Dreck mehr oder weniger zum System gehört. Es gibt z.B. anscheinend keine richtig funktionierende Müllabfuhr. Überall hinterlassen die Einwohner ihren Unrat. Und wenn der nicht von Tieren zusammen mit den Plastiktüten gefressen wird, fliegt er ewig durch die Gegend. Wenn irgendwo gebaut wird, räumt niemand den Bauschutt weg – auch Jahre später nicht. Wenn irgendwas kaputt geht, wird es nicht repariert. Überall herrscht nur Provisorium. Da wird halt mal eben was zusammengefriemelt und bleibt dann so für immer. Indien ist eine einzige Baustelle. Nicht nur an den Stellen, an denen wirklich gebaut wird. Die Luftqualität ist in allen Städten unter aller Sau. Meine Apfeluhr warnt mich jeden Tag davor, ins Freie zu gehen. Sie zeigt überaus ungesunde Werte an. Und in dem Moment fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren, woher der ganze Husten unserer Gruppe kam: Von der dreckigen Luft! Der verzweifelte Versuch geschundener Körper, dieses Dreckszeug aus der Atemluft wieder zu entsorgen. Schuld sind natürlich die Engländer, sagt Singh. Denn in ihrer Kolonialzeit hätten die sich in Indien ein schönes Leben gemacht und sich einen Teufel darum geschert, das Land voranzubringen. Und so hinkt das gesamte Leben dem europäischen um mindestens 70 Jahre hinterher. Bis auf das Internet: Überall 4G, also LTE-Geschwindigkeit. Zum Bruchteil der Kosten, die wir in Deutschland berappen müssen. Aber das ist ja nun schon lange kein Bonmot mehr, sondern einfach eine Unverschämtheit der deutschen Politiker, die die Milliardeneinnahmen bei der Netzvergabe nicht in den Ausbau desselben, sondern in andere Projekte gesteckt haben.
Zurück nach Indien: Alleine der dringend nötige Straßenbau würde Milliarden verschlingen. Die Einrichtung von Fußgängerzonen in den Altstädten wäre ebenso dringend wie zwingend. Ein generelles Hupverbot würde viele Nerven sparen und und und. Ich kenne mich natürlich viel zu wenig aus, um da über irgendetwas mitreden zu können. (Tu´s aber doch…)
Ich bin mal gespannt, ob die Regierung an unserer Meinung, an der Kritik der Touristen, in Form einer Umfrage vor der Abreise interessiert ist. Bisher sind es ja „nur“ 9 Millionen Touristen pro Jahr, die das riesige Land aufsuchen. Bis zu einem wenigstens „Vier-Sterne-Reiseland“ ist es noch ein extrem weiter Weg. Ich würde bisher höchstens zwei Sterne vergeben, und die auch nicht überall. Die Antwort vorneweg: Es interessiert die Regierung anscheinend überhaupt nicht, was die Touristen über ihr Land denken.
Unser Hotel in Jaipur lag außerhalb, aber direkt an einer vielbehupten Straße. Das Clarion „Bella Casa“, direkt neben einem „Marriott“, sah von außen gruselig aus, war aber von innen recht ordentlich. Eine riesengroße Halle bis hoch zum sechsten Stock. In jedem Stockwerk gab es einen Rundgang mit Zugang zu den Zimmern. Die Zimmer waren geschmackvoll eingerichtet und sehr ordentlich. Das Bad war allerdings winzig, und diesmal hatte ich nur kaltes Wasser in der Dusche.
Das „Restaurant“ im 5. Stock war denn eher wieder Durchschnitt, Typ Firmenkantine. Leider waren auch für die ganzen Gäste nicht genügend Plätze vorhanden, sodass sich Reisende aus China auf jeden freien Platz setzten (ohne zu fragen) und sich die Teller übervoll packten, um dann wie ganz schlecht erzogene Hunde das Zeugs in sich reinzuwürgen. Bäh, war das ekelig. Dass sie außerdem ungeniert rotzten und schnieften, war da schon fast verzeihlich.
Schnell in die Bar. Aber die war auch ein Flop. Eine Flasche Bier kostete umgerechnet sieben Euro. Außer einem Paar aus unserem Bus und mir war niemand da. Die Klimaanlage war wohl defekt, es war stickig und heiß. Und meine VISA-Karte konnte ich auch nicht zum Bezahlen verwenden, weil das Kartenlesegerät keine Verbindung zum Server aufnehmen konnte.
Also mal wieder früh ins Bett.
Der elfte Tag
Ich war ein bisschen spät dran und verpasste leider das Frühstück. Eine Tasse Tee und ein trockenes Toastbrot war nach wie vor mein Safety-Mal. Also gleich rein in den Bus und schon wieder in die Hauptstadt zurück. Jaipur ist tatsächlich eine dreckige Stadt. Das haben wir an diesem Morgen bestätigt bekommen. Sie hat zwar eine Menge Sehenswürdigkeiten zu bieten, aber das Drumherum macht den guten Eindruck schnell wieder kaputt.
Wir begannen mit dem Besuch des Palastes – was sonst. Weil er sehr hoch liegt, wurden wir in Jeeps gesetzt und nach oben gekarrt. Mal was Neues. Die letzten 300 Meter mussten wir aber dann doch zu Fuß wandern. Auf jedem dritten Meter stellte sich irgendeine Schmeißfliege in den Weg, um uns jeden nur erdenklichen Unsinn anzudrehen. Wehe, man man Blickkontakt aufnahm. Dann war man eine Weile verloren. Ich bin zum Schluss einfach geradeaus durch die Angreifer (O-Ton Singh) durchgegangen – in letzter Sekunde haben sie dann wirklich den Weg freigemacht. Dazu hunderte von Touristen aus aller Welt, ganze Herden von Elefanten, die die Touris durch die Gegend trugen und sowas von verdreckte Toiletten, dass man sie beim besten Willen nicht benutzen konnten.
Der Palast selbst ist grandios. Er gehört zu einem ehemaligen winzigen Königreich und besteht aus drei sehr großen Teilen, die wir natürlich alle durchwandert haben. Details siehe Wikipedia. Interessant ist, dass es um das gesamte Königreich eine 10 km lange Mauer gibt, die mit ihren Wachtürmen noch sehr gut erhalten ist. Mit dem Jeep ging es auch wieder runter. Diesmal direkt in das Zentrum der Altstadt – „Pink City“ genannt. Auf die Idee, die Stadt anzumalen, kam ein Engländer, der auch sonst ziemlich einen an der Mütze zu haben schien. Weiterfahrt mit Motor-Rikschas. Dieses unglaubliche Verkehrschaos glaubt man einfach nicht. Allein die Geräuschkulisse tausender knatternder Zweitakter im Duett mit quäkenden Hupen aller Tonhöhen und Lautstärken würde in Deutschland unter „Folter“ laufen. Alle paar hundert Meter Fotostopp. Endlich mal das berühmte Motiv des Schlangenbeschwörers live auf der Straße gesehen und gefilmt. Dann endlich – nach zähen 30 Minuten – der Besuch eines weiteren Palastes. Ein Tempel war wohl auch dabei. Hier haben die Engländer immer ihre Sitzungen mit den ganzen Königen abgehalten. Fotos von Mr. Mountbutton und anderen Schurken dieser Zeit bekleideten die Wände und durften nicht fotografiert werden. Ob die Engländer wirklich Schurken waren oder es gut gemeint haben, kann ich nicht beurteilen. Die Inder sind zwar froh über die ausgehandelte Selbstständigkeit im Jahr 1947, aber die damit verbundene Trennung von Pakistan und die dadurch nachfolgenden 200.000 Toten (andere sprechen von einer Million) war wohl doch nicht das Gelbe vom Ei beim damaligen Verhandlungsmarathon.
Als nächstes konnten wir uns ein Observatorium ansehen, von denen es insgesamt sechs in Indien gibt. Ich habe diesen Programmpunkt aber geschwänzt und bin mit einer mitreisenden Kolumbianerin aus Deutschland, die auch keinen Bock hatte, endlich was Frühstücken gegangen.
Danach fuhren wir mit den Rikschas eine weitere Stunde durch den Dreck und husteten den Beifang dann im Bus wieder aus.
Das Mittagessen fand etwas außerhalb in einem kleinen Vorort von Jaipur statt. Für Touristen gibt man sich hier immer noch ein bisschen Mühe. Alles war sauber und ordentlich – bis auf die Toiletten, aber daran hatten wir uns ja schon gewöhnt.
Ich hatte ein Problem mit meinem Koffer. Bei den ständigen Ein- und Ausladungen wurde irgendwo eins der Räder abgebrochen. Das Plastik, das als Radlager diente, ragte seitwärts raus und war schon zur Gefahr für andere Koffer geworden. Es musste also ein neuer Koffer her. Mit Singh hatte ich schon am Vortag darüber gesprochen. Er rief daher jemanden an, der jemanden kennt, der weiß, wer in Jaipur Koffer verkauft. Dieser Händler würde also zur Mittagspause bei uns auflaufen, mich mit seinem Auto zu seinem Geschäft fahren und mir seine Kollektion zeigen. Danach würde er mich wieder rechtzeitig vor der Weiterfahrt des Busses wieder zurückfahren.
Der beleibte Leder-Mann kam auch pünktlich an und fuhr mich in seinem Honda zum Laden. Um Zeit zu sparen, nahm er die Abkürzung durch das Dorf. Und hallo, wenn die offiziellen Straßen schon kaum befahrbar sind, gilt das um so mehr für den einen Kilometer durch ein Trümmerfeld namens Dorfstraße. Egal, wir kamen an. Der Laden sah von außen aus wie alle Läden und war von innen sehr fein eingerichtet. Ich musste in den ersten Stock gehen – dort würden die Koffer lagern. „Die“ Koffer waren leider nur zwei in meiner gewünschten Größe. Der eine hatte weder ein Schloss noch Räder, sollte aber 240.- Euro kosten (JA!!!) und der andere, ein englisches Markenmodell, sogar 350 .- Euro. Was sollte ich machen? Handeln war nicht drin, also biss ich in den sauren Apfel und nahm das Betrügerangebot an. Der englische Markenkoffer ist zwar schön und groß, aber höchstens 150 Euro wert. Der ehrenwerte Händler wird den Rest der Woche mit Saufgelagen verbracht haben …
Danach hatte unsere Gruppe tatsächlich mal Freizeit. Sie wurde dahingehend genutzt, nach Ankunft im Hotel sofort in Tiefschlaf zu verfallen. Denn das Programm sollte nach dem Abendessen weitergehen. „Lichterinstallation“ der Stadt Jaipur hieß der Programmpunkt. Die einzelnen Installationen sollten wir mit einem offenen Jeep anfahren. Und genau das passierte auch. Um viertel vor sieben holten uns sechs Jeeps vom Hotel ab, um genau denselben Weg, den wir schon ein paar Mal ertragen mussten, erneut mit dem Jeep abzufahren. Von großartigen Lichtinstallationen kann nicht wirklich die Rede sein – es waren nur etwa ein Dutzend Bauten, die ein paar Lämpchen angemacht hatten. Direkt aus dem Jeep konnte man die kaum sehen oder gar fotografieren, so dass wir alle paar Minuten für eine Fotopause anhielten. Ich saß vorne im Jeep, und zwar angeschnallt. Vermutlich als einziger Mensch in dieser Indien. Sogar der Fahrer amüsierte sich. „In the night it´s not necessary!“ Ein paar Videos der Kamikazefahrt zeigen allerdings das Gegenteil. Um das Desaster leichter ertragen zu können, war Singh auf die perverse Idee gekommen, kleine Cola-Fläschchen mit Rum zu mixen und diese an die Reisenden auszugeben. Diesmal musste aber jeder 100 Rupien für den Rum bezahlen – eine erneute Einladung war nicht im Plan. Ich trank im Verlauf der zwei Stunden gleich drei davon. Dann hatte sich bei mir so ein leichtes „is ja eh egal“-Gefühl eingestellt. Die Altstadt war genauso voll wie am Tag, und die Luft war kein bisschen besser, weil auch noch überall Räucherstäbchen vor sich hin glommen. Nachdem wir sowohl die Altstadt als auch die Neustadt mit ihren „Lichtinstallationen“ bewundert hatten, fuhren die Jeeps doch allen Ernstes noch einmal hoch in den Palast, den wir doch schon am Morgen stundenlang bewundert hatten. Diesmal war aber alles wirklich anders: Keine widerlichen Straßenhändler, keine Bettler, keine anderen Touristen, keine Elefanten, kein Musikgedudel, sondern nur eine wunderbar beleuchtete Festung. Das war wirklich sehr schön und sollte nicht verpasst werden. Die Heimfahrt haben wir dann auch noch überlebt.
Der zwölfte Tag
Die Abfahrt war schon früh um sieben. Verschlafene und verkaterte Gesichter allenthalben. Lange Busfahrt mit weiteren Tempeln, Rikschafahrten, Essenspausen und dem Besuch eines Vogelparks. Zu viel Eindrücke, zu viele Details, zu viel Hitze. Die Durchschnittstemperatur während der Reise betrug übrigens 31 Grad. Im Sommer werden es 50. Gibt es noch Themen, die ich nicht angesprochen habe?
Ja. Einige. Zum Beispiel das Thema Frauen. Singh kann uns lang und breit erzählen, dass die Stellung der Frau in der modernen indischen Gesellschaft der in Europa gleich käme, aber das ist natürlich völliger Unsinn. Wir sind stundenlang an den Feldern entlang gefahren, an denen die Frauen, und zwar ausschließlich Frauen, das Getreide geerntet oder das Stroh eingesammelt haben. Frauen sieht man nie auf der Straße – es sei denn als Bettlerin. Frauen müssen einen roten Punkt auf der Stirn tragen, wenn sie verheiratet sind. Natürlich nicht als Strafe, sondern als Zeichen des Erfolgs, zu Ihrem Glück einen Mann abbekommen zu haben (O-Ton Singh). Frauen sind in Indien kaum besser gestellt als Sklaven.
Oder das Thema Tod. Im Hinduismus wird man grundsätzlich verbrannt. Diese Verbrennungen müssen direkt am Wasser erfolgen. Es gibt Städte, in denen jeden Tag Tausende von Menschen öffentlich verbrannt werden. Die trauenden Hinterbliebenen müssen sich einen kleinen Teil der Asche besorgen und diese ins Wasser werfen, um den Toten die Wiedergeburt zu ermöglichen. Eine Riesensauerei. Einen TV-Bericht über Kalkutta konnte ich damals nicht zu Ende schauen.
Witwenverbrennungen sind inzwischen verboten, waren aber früher durchaus üblich. Eine Frau, die sich mit ihrem toten Mann auf den Scheiterhaufen legte, wurde damals wie eine Heilige angesehen. Die Verbrennung der Toten wird übrigens von einer Untergruppe der vierten Kaste durchgeführt. Als Lohn dürfen diese Menschen nach der Verbrennung die Asche filtern und sieben, um eventuelle Schmuckstücke oder Zahngold zu finden. Das ist dann der Lohn der Barbarei.
Das Schulsystem ist in einem desolaten Zustand. Vor Jahrzehnten kamen die Studenten aus über 70 Ländern, um hier zu studieren. Nach der zwischenzeitlichen Machtübernahme des Muslime wurden alle Bücher verbrannt und die Universitäten zerstört. Aktuell besteht bei den öffentlichen Schulen eine brisante Bildungsmisere, während die teuren Privatschulen wie Pilze aus dem Boden schießen. Die Kosten betragen zwischen 6000 und 60.000 Dollar pro Jahr. Woher deren Lehrer kommen, kann man sich ja denken.
Kurzum: Da liegt noch Einiges im Argen.
Unser letztes Hotel, das wir am späten Nachmittag erreichten, war dann nochmal der Hammer. Schrieb ich noch vor kurzem, dass diese Maharadscha-Paläste für das Budget unseres Reiseveranstalters wohl zu hoch seien, strafte er uns heute eines besseren. Wir übernachteten in einem echten Königspalast! Die Suiten waren gut und gerne 40 qm groß, die Einrichtung stilvoll und in bestem Zustand. Der Speisesaal war ein Traum. Eine ideale Kulisse für jeden Bollywood-Schinken. Alles sehr weitläufig angelegt, mit großartigem Park und natürlich einem Swimmingpool. Leider gab es auch reichlich viel Mücken, sobald die Sonne unterging.
Ich nutzte die Freizeit, um diesen Blog weiter fort zu schreiben. Uns stand nur noch der letzte Tag bevor. Und mit ihm der Besuch des Taj Mahal.
Der dreizehnte Tag
Der Morgen begann schon um halb sechs. Nach der Morgenwäsche mussten die Koffer gepackt und vor das Zimmer gestellt werden. Ich musste noch mein Getränk vom Vorabend per Kreditkarte bezahlen, da mein restliches Geld, Euro und Rupien, für die Trinkgelder draufgehen würde. Danach in den Frühstückssaal zum fürstlichen Morgenmal, mit Omelett, Tee und Toast. Ich war sehr überrascht, dass plötzlich einer der Zimmerjungs in den Saal kam und meine Laptoptasche in der Hand hielt. Ich hatte sie doch allen Ernstes vergessen!! Ich glaube, das ist mir schon mal passiert. Sollte mal meine Gehirnwindungen checken lassen.
Der dreizehnte und letzte Tag sollte uns vor allem zum Highlight der Reise führen, dem berühmten Taj Mahal. Singh erzählte uns die rührende Geschichte um den Bau dieses Mausoleums, die bestimmt schon Dutzende Male als Bollywood-Schnulze verfilmt wurde. Die Lieblingsfrau eines damals regierenden Moslems starb bei der Geburt ihres 14. Kindes. Ihr Mann, leider gerade im Kriegsgeschäft auf Achse, war natürlich sehr traurig und schwor, ihr ein Andenken zu bauen, das die Welt noch nie gesehen hätte. Über zwei Jahre ließ er planen, bis er dann dieses einmalige Riesengebäude errichten ließ. Die Stadt Agra, in der das Gebäude steht, lebt nahezu ausschließlich von diesem Touristenmagneten. Vom Bus bis zum eigentlichen Bauwerk waren es viele hundert Meter, die wir in sengender Hitze laufen mussten. Die meisten hatten bereits lange Hosen angezogen, weil ja am Abend unser Abflug bevorstand und kein weiterer Hotelaufenthalt geplant war.
Wenn man dann vor dem Taj Mahal steht, ist es wirklich großartig anzuschauen. Hunderte von Selfies wurden von hunderten von Touristen aus hunderten von Ländern gemacht, und auch die professionellen Fotografen bekamen ihre Chance. Sie knipsten vor diesem exklusiven Szenario das einzige Gruppenfoto unserer Reise. Die gedruckten Fotos bekamen wir etwa zwei Stunden später zum Mittagessen persönlich angeliefert.
Beim Gang durch das Mausoleum darf man die Schuhe anbehalten, muss aber Plastik-Überschuhe anziehen, um den Marmor nicht zu verdrecken. Die Route ist exakt vorgegeben und dauert keine drei Minuten, dann ist man wieder draußen. Es gibt ohnehin nichts zu sehen. Hinter einem Marmorgitter im Form eines Oktagons konnte man den Sarg der geliebten Frau sehen. Ihr Mann, der zu Lebzeiten übrigens alles andere als beliebt gewesen sein soll (er tötete zwei Brüder und seinen Vater), lag in einem weiteren Sarg daneben und zerstörte damit die perfekte Synchronität der Anlage.
Links vom Taj Mahal steht eine Moschee, die aber nur zum Freitagsgebet geöffnet wird, und rechts davon ein exaktes Gegenstück dazu, bisher aber ohne jede Funktion.
Nach einer guten Stunde waren wir wieder draußen.
Die Weiterfahrt wurde noch durch den Besuch einer weiteren Festung und das übliche Mittagessen unterbrochen. Dann ging es schnurstracks zurück nach Delhi.
Während der langen Fahrt erzählte uns Singh noch ein paar Details aus dem Alltagsleben der Inder. Krankenversichert oder Rentenempfänger sind in Indien nur Mitarbeiter staatlicher Betriebe. Alle anderen haben keine Krankenkasse. Das ist nicht ganz so schlimm, wie es sich anhört, da die Medikamente und sogar Operationen im Krankenhaus umsonst sind. Jeder Einwohner über 65 Jahren erhält eine Minirente in Höhe von 1000 Rupien, also rund 12 Euro. Aber: Jeder angemeldete Bürger hat eine kostenlose Wohnung mit einem Zimmer, einer Küche und einer Toilette. Und wer Not leidet, bekommt vom Staat Reis, Zucker, Tee und Weizen, auch umsonst.
Und je näher wir Delhi kamen, desto „normaler“ wurde das Straßenbild. Derzeit werden Abertausende von neuen Wohnungen gebaut, die der Inder dann umgerechnet ab 100.000 Euro kaufen kann. Das ist für eine drei-Zimmer-Wohnung recht günstig. Mietwohnungen gibt es kaum, hier zählt nur das Eigentum.
Am Flughafen verließen 13 Reisende, darunter auch ich, den Bus zum Einchecken. Die anderen hatten noch einen Hotelaufenthalt vor sich, der aber nur bis 2 Uhr morgens dauern würde. Dann mussten die auch zum Flieger.
Die Ausreiseformalitäten verliefen schnell und problemlos. Und als besonderes Bonbon hatte uns TrendTours auch noch eine Lounge gemietet, in der wir kostenlos bewirtet wurden und uns bis zu unserem Einstieg um 20.50 Uhr noch mal ein bisschen ausruhen konnten.
Und damit können wir den Blog schließen, denn die Heimreise verlief – zwar verspätet, aber letztendlich doch nach Plan – wieder über Bahrein nach Frankfurt. Pünktlich um sechs Uhr morgens landeten wir wieder in der Heimat.
Daher nun Zeit für das Fazit: Muss man wirklich nach Indien fliegen? Mhm, schwere Frage. Man muss gar nichts. Wenn man an anderen Kulturen interessiert ist und mal sehen will, wie es in diesem zweit-bevölkerungsreichsten Land der Erde so abgeht, dann muss man herkommen und diese persönliche Erfahrung machen. Aber man muss sich auch darüber im Klaren sein, dass alles noch viel schlimmer ist als man es sich vorgestellt hat. Nicht für uns Touristen selbst, sondern für den armen indischen Durchschnittsbürger. Uns Touristen haben sie absolut fair und zuvorkommend behandelt – kein böses Wort oder gar Beschimpfungen waren jemals auszumachen. Man muss sich auch darüber im Klaren sein, dass wir insgesamt alleine mit dem Bus 2700 km in zehn Tagen gefahren sind, was nicht für jeden ein Vergnügen darstellt. Das Risiko der Nichtverträglichkeit des fremden Essens ist hoch, wie unsere Durchfallquote zeigte. Und nach dem Abendessen ist Schluss mit lustig. Meist ist man danach sowieso fix und fertig und nicht mehr willens, noch groß was zu erleben. Die unglaubliche Menge an Sehenswürdigkeiten haben meine Sinne eher verstopft als geweitet. Vieles muss ich noch mal in Ruhe nachlesen und vielleicht erst dann richtig verstehen. Also, hier die Antwort: Man muss schon mal nach Indien fliegen. Aber sicher kein zweites Mal.
Was die Organisation durch TrendTours angeht, kann ich nur Bestnoten vergeben. Unser Reiseleiter war ein sympathischer, äußerst eloquenter Typ, der jedes Problem im Nu lösen konnte. Der Fahrer des Busses war eigentlich sogar noch wichtiger, denn in seine erfahrenen Hände legten wir unser Leben. Und der Wasserjunge hat sich jeden Euro Trinkgeld redlich durch seine sympathische Freundlichkeit, seine unaufdringliche Hilfsbereitschaft und sein herzliches Lächeln verdient.
Und die Reisegruppe? Mhm. Manchmal ist es besser, zu schweigen.
Ach ja, eins noch: alle indischen Männer haben einen Schnurrbart. Alle.
Delhi, 27.3.2019