Kambodscha


Vorwort

Dienstag, der 28. Oktober 2025, 17 Uhr, und die Sonne versteckt sich hinter vielen Schleierwolken. Regen ist angesagt, so wie jeden Tag. Und trotzdem bekomme ich von dem Regen kaum etwas mit. Ab und zu mal ein paar Tropfen, OK; aber die dicken Schauer, die innerhalb von wenigen Minuten die Straßen überschwemmen, treiben ihr Unwesen ohne mich. Bisher.
Deshalb sitze ich trotz der Wolken im Freien und hoffe, dass mein Glück anhält. Glück in mehrfacher Hinsicht: Ich wohne jetzt schon den fünften Tag in einem Luxushotel nach dem anderen. Die Außentemperatur beträgt angenehme 28 Grad, der eiskalte Chardonnay im fünften Stock des KOULEN-Hotels mundet vom Feinsten. Ich bin mal wieder auf Reisen, diesmal nach Kambodscha. Ein sehr armes südostasiatisches Land, das noch immer unter der Herrschaft der ROTEN KHMER leidet, die von 1975 bis 1979 dauerte und bis zu zwei Millionen Menschen das Leben kostete. Vorausgegangen war ein Aufstand besagter Roten Khmer, einer kommunistischen Guerillabewegung unter dem Oberbefehl von POL POT, der 1970 den amtierenden Prinzen stürzte und dadurch an die Macht kam. Der Krieg wurde durch den Vietnamkrieg verschärft, da die USA auch Kambodscha bombardierte, um vietnamesische Stützpunkte zu treffen.
Angeblich haben die Amerikaner mehr Bomben auf Kambodscha geworfen als auf Deutschland im zweiten Weltkrieg.
1978 marschierte Vietnam in Kambodscha ein, und 1979 stürzten vietnamesische Truppen das Regime der Roten Khmer und benannten das Land in „Volksrepublik Kampouchea“ um. Die Roten Khmer zogen sich in den Dschungel zurück und führten noch bis in die 1990er Jahre einen Guerillakrieg, bis die Bewegung schließlich zerfiel. PolPot wurde nie vor Gericht gestellt und starb  1998. Viele andere Anführer wurden verklagt und sitzen teilweise noch heute im Gefängnis, da es im Kambodscha keine Todesstrafe gibt.
Dieser ganze Kuddelmuddel erklärt, warum Kambodscha im Vergleich zu den umliegenden asiatischen Ländern wie Vietnam, Laos oder Thailand wirtschaftlich sehr viel rückständiger ist. Das „BIP pro Kopf“ betrug 2024 nur 2744 US-Dollar. Vietnam: 4620 Dollar, die Philippinen 4154 Dollar, Thailand 7532 Dollar – und zum Vergleich die USA 89372 Dollar.

Trotzdem kommt mir das Land nicht wirklich „arm“ vor. Es gibt sehr viele Mopeds, auch schon eine große Menge relativ neuer Fahrzeuge, prachtvolle Bauten (in den Großstädten) und eine engagierte Jugend, die auch den größten Bevölkerungsanteil stellt. Der jetzige Zustand erinnert mich ein bisschen an die Lage in Thailand vor etwa 30 Jahren, als ich dort einige Male meine Urlaube verbrachte. Nach den Mopeds kamen die Kleinwagen, nach den Bambushütten die festen Bauten, nach den Straßenhändlern die „richtigen“ Geschäfte.
In Kambodscha gibt es inzwischen hervorragende Autobahnen, ein richtig gutes Tankstellennetz (Der Liter Super kostet ca. einen Euro…!), prachtvolle Gebäude und natürlich das hervorragende Essen, für das Kambodscha bekannt ist.

So, das wollte ich mal von vornherein klären. Und jetzt – bei einem weiteren Glas Chardonnay im Superduperluxushotel in SIEM REAP – fangen wir nochmal ganz von vorne an.

Der erste und zweite Tag (Die Anreise)

Donnerstag, der 23.10.2025. Um 14:30 komme ich am Flughafen in Frankfurt an. Eva hat mich freundlicherweise hingefahren. Ich muss zum Abfluggebäude 2, Abteilung E. Die Schlange ist gewaltig lang, aber offenbar passen alle diese Menschen in die Maschine, da an den Abflugschaltern keine weiteren Flüge von QATAR abgefertigt werden. Die BOING 787-9 fliegt zunächst nach DOAH, dann geht es mit einer kleineren Maschine, nämlich einer uralten BOING 777-300, weiter nach SAIGON.
Was zum Teufel wollen wir in Saigon, bzw. Hoi Chi Minh City? Das liegt nicht in Kambodscha, sondern in Vietnam? In Frankfurt stand doch noch Phnom Penh auf der Anzeigetafel!?

Nun ja, auch die Fluggesellschaften müssen sparen. Wir sollen einfach im Flieger sitzen bleiben und dann später zum Endziel weiterfliegen.
Das ist schon interessant, wie nach der Landung eine Armada von Hilfskräften das Flugzeug durchpflügt, Abfall einsammelt, Dreck wegsaugt und die Toiletten reinigt. Nach einer Stunde kommen dann die neuen Gäste an Bord. Da wir alle unsere Plätze behalten dürfen, verläuft das ganz problemlos. Nur ein gewaltiger Regenguss hindert uns am Weiterflug, aber der Schauer ist nach einer halben Stunde vorbei, sodass wir etwa eineinhalb Stunden nach der Landung in Vietnam weiter nach Kambodscha fliegen können.

Dort erwartet uns schon sehnsüchtig unser Reiseleiter, Chhin, gesprochen Tschem. Mitte 50, schwarz, selbstsicher, offenbar sehr erfahren. Er macht den Job auch schon seit 2008, wie uns mehrfach erzählt. Verheiratet, Kinder, etwas untersetzt, aber durchaus fit. Er spricht ein recht ordentliches Deutsch, das er sich bei einem dreijährigen Besuch in der damaligen DDR beigebracht hat.


Schon bei unserer Zwischenlandung in Saigon hat sich herausgestellt, dass man ganz gut zusammenpasst. Eine Gruppe mit 28 Teilnehmern ist deutlich angenehmer als die letzte Gruppe in Griechenland, die mit 44 Teilnehmern absolut unlenkbar war. (Siehe meinen vorhergehenden Reisebericht)

Bei der Einreise in Phnom Penh habe ich ein paar Probleme mit meinem Visum. Das habe ich zwar brav im Voraus bestellt und auch erhalten, aber zusätzlich hätte ich noch eine „Einreisebewilligung“ vorzeigen müssen, die ich nicht habe. An einem Stand in der Nähe des Einreiseschalters kann ich sie an einem iPad ausstellen lassen, was mir allerdings nur mithilfe der hoch dekorierten Zollbeamten gelingt. Mit etwa 15 Minuten Verspätung hole ich unsere Truppe dennoch ein, bevor wir zusammen zum Bus laufen.

Der hat ungefähr 40 Plätze, mehr als genug für uns 28 Reisende, die aus ganz Deutschland, der Schweiz und Österreich in Frankfurt zusammengekommen sind. Ein großer Flachbildschirm, ca. 50 Zoll groß, ist von allen Plätzen gut einzusehen. Er wird während unserer Reise aber nur ein einziges Mal benutzt, um die Landkarte Kambodschas anzuzeigen.
Aus Umweltgründen gibt es an Bord keine Wasserflaschen zu kaufen. Stattdessen erhält jeder Gast einen metallenen Trinkbecher, den er beliebig oft – und kostenlos – vorne beim Fahrer nachfüllen darf.
Der Busfahrer ist ein junger Kerl mit guten Manieren und hervorragenden Fähigkeiten im Umgang mit dem Bus. Unseren ersten Stopp erreichen wir nach etwa einer Stunde.

Zeit, um ein paar grundsätzliche Daten über Kambodscha zu erfahren. Kambodscha ist sehr klein – die Franzosen haben das Land bei Beendigung ihrer Besatzungszeit auf dem Papier gerade mal auf ein Drittel der vorherigen Größe gestutzt. In der Blütezeit seiner Geschichte war Kambodscha bis zu einer Million Quadratkilometer groß, bis es durch diverse Kriege immer kleiner wurde. Heute sind es nur noch 181.000 qm, also etwa 2,6 mal die Größe von Bayern. Daher leben derzeit nur noch rund 18 Millionen Menschen in dem Land. Die Geburtenrate liegt angeblich bei fünf Kindern pro Frau. Ich kann das nicht so ganz glauben, sehen wir doch auf der ganzen Reise keine einzige schwangere Frau oder irgendwelche Kleinkinder. Wer weiß, vielleicht müssen die auch zu Hause bleiben…

Das Land liegt am Golf von Thailand zwischen Thailand, Laos und Vietnam.
Die Staatsreligion ist der Buddhismus, und die Amtssprache ist Khmer. Das Klima ist tropisch und durch den Monsun geprägt. Die Regenzeit ist von Mai bis Oktober. Wir kommen also gerade am Ende der Regenzeit an. Die Geschichte Kambodschas werde ich in kleinen Portionen über den Blog weg verteilen. Nur so viel: In Kambodscha herrscht erst seit 25 Jahren Frieden!

Die Kriminalitätsrate ist – verglichen mit Deutschland – recht gering. Dennoch soll man nachts nicht alleine durch dunkle Viertel laufen. Habe ich auch nicht vor.
Sehr gefährlich ist es derzeit an der Grenze zu Thailand, wo trotz eines aktuellen Friedensabkommens des Öfteren nächtliche Scharmützel den Weg in die internationalen Schlagzeilen finden. Aber auch diese Gegend liegt nicht auf unserer geplanten Reiseroute. Spezielle Impfungen sind für Kambodscha übrigens nicht vorgeschrieben, aber zur Sicherheit sollte man gegen Hepatitis, Tetanus, Diphterie und Polio geimpft sein.

Und obwohl Kambodscha für unser Einkommen extrem billig ist, gilt es dennoch als teures Reiseland. Viele Waren müssen importiert werden, da Infrastruktur, Lieferketten und Produktion noch lange nicht so gut ausgebaut sind wie in den Nachbarländern.

Unser erstes Hotel in Phnom Penh, der Hauptstadt Kambodschas, heißt „CARAVAN HOTEL“. Es hat „nur“ vier Sterne, geht aber bei mir durchaus als 5-Sterne-Hotel durch. Insgesamt hat die Anreise bis zur Ankunft im Hotel genau 24 Stunden betragen. Die Uhren gehen hier natürlich anders: Wir sind der deutschen Zeit fünf Stunden (Sommerzeit), bzw. 6 Stunden (Winterzeit) voraus. Nach dem schnellen und problemlosen Einchecken – die Pässe dürfen wir behalten – muss ich mich erst mal duschen, um wieder fit zu sein.
Steckdosen im Hotelzimmer gibt es reichlich, und unsere Ladegeräte für das Handy etc. passen perfekt zum 220V-Stromnetz in Kambodscha.

Zum Abendessen werden wir wieder am Hotel abgeholt und in ein supertolles Restaurant direkt am Hafen gefahren. Leider fängt es fürchterlich zu schütten an, sodass wir nicht im Freien sitzen können. Daher hat man uns innerhalb des Restaurants zwei Tische mit je 14 Plätzen vorbereitet. Chhin und der Fahrer müssen am Katzentisch essen (und bekommen auch etwas ganz anderes, billigeres zu essen…).
Das gemeinsame Abendessen an den großen Tischen festigt die Verbundenheit zwischen den Reisenden, entlarvt aber auch die eine oder andere Schwäche. Die meisten kommen aus Deutschland; es sind aber auch ein paar Österreicher und Schweizer dabei. Fast alle älteren Leute sprechen ihren Heimatdialekt, was es manchmal für mich fast unmöglich macht, dem Gespräch zu folgen. Altersmäßig sind wir (fast) alle schon weit in den 60ern und 70ern. Spitzenreiter ist ein freundlicher Mann mit 85 Jahren, der noch erstaunlich rüstig ist. Er war mal Bergsteiger – kein Wunder. Und als Ausreißer haben wir eine einzige junge Frau dabei, die übermorgen ihren 39. Geburtstag feiern möchte. Maria heißt das hyperaktive Mädel, das schon bald das Regiment innerhalb der Gruppe übernehmen wird …

Das Essen ist sehr lecker – auch wenn ich leider nicht mehr sagen kann, was ich überhaupt gegessen habe. Ich weiß nur noch, dass der Wein 4,50 Dollar kostet. Apropos Währung: Der Euro hat hier nichts verloren. Man kann ihn zwar in den Banken und in diversen Wechselbuden umtauschen, bekommt aber keinen guten Kurs. Als Zahlungsmittel wird der Euro nicht akzeptiert. Bezahlt wird mit amerikanischen Dollar oder einheimischen Riel (Abkürzung KHR). Touristenlokale zeigen die Preise nur in Dollar an. Glücklicherweise akzeptieren aber nahezu alle Geschäfte und Restaurants die VISA-Karte, bei Kleinbeträgen sogar ohne PIN.


Nach dem Essen bringt uns der Bus zurück ins Hotel Caravan. Alle sind redlich müde und freuen sich aufs Bett. Die Besichtigungen beginnen morgen früh um acht Uhr. Ich stelle mir den Wecker auf sieben Uhr, kann aber kaum schlafen und stehe daher schon eine halbe Stunde früher auf.

Der dritte Tag
Nach einem – für meine Verhältnisse – sehr ungewohnten Frühstück steigen wir wieder in den Bus. Das Ungewöhnliche am Frühstück ist, dass es größtenteils aus „Mittagessen“ besteht, also Salaten, Suppen, Reis etc. Für uns Touris ist die Auswahl sehr dünn, abgesehen von einem Omelett, das uns vor unseren Augen frisch zubereitet wird.

Alle Kambodschaner, denen wir begegnen, sind von ausgesuchter Freundlichkeit. Sie haben immer ein Lächeln für uns bereit, falten dabei die Hände vor der Brust und murmeln irgendwas Einheimisches. Trotz ihrer oft harten Arbeit lassen sie keine Gefühle hinter dieser Maske erkennen. Oder vielleicht ist es gar keine Maske? Vielleicht bewirkt der Buddhismus ja, dass Geist und Körper so im Einklang sind., dass sie tatsächlich glücklich sind. Auch die Kinder sind von einer bewundernswerten Offenheit, voller Unschuld und naivem Vertrauen.

Inzwischen ist der Bus am ersten Ziel angekommen. Der Regen hat sich wieder völlig zurückgezogen. Wir besichtigen das Unabhängigkeitsdenkmal, das an den 9. November 1953 erinnert, an dem Kambodscha die französische Kolonialmacht endlich loswurde. Dass noch viele schlimmere Perioden auf das Land einprasseln sollten, habe ich am Anfang schon verraten…

Nach dem Denkmal sehen wir den ersten von unzähligen Tempeln dieser Reise. „WAT PHNOM“ heißt dieser hier. Weiter geht´s zum eindrucksvollen Königspalast mit der weltberühmten Silberpagode. Fotografieren ist nur an manchen Stellen erlaubt, aber wenige Touristen halten sich an das Verbot.
Der König wohnt übrigens zusammen mit seiner Mutter ebenfalls auf dem Gelände.


Ja, es gibt einen König; offiziell heißt das Land ja auch „Königreich Kambodscha“. Es handelt sich um eine sogenannte „Konstitutionelle Monarchie“ mit einem Mehrparteiensystem. Das Regierungssystem ist eine parlamentarische Demokratie mit einem Premierminister als Regierungschef. Der König hat quasi nichts zu sagen. Der derzeitige King, Norodom Sihanouk,  ist seit 2004 im Amt als Nachfolger seines Vaters, war ehemaliger Balletttänzer und Kulturförderer. Er lebt sehr zurückgezogen und ist politisch neutral.
Wir dürfen nahezu alle Bereiche des Palastes erkunden – lediglich seine Privatgemächer sind vor der Öffentlichkeit geschützt.

Nächster Stopp unserer Tour ist das Nationalmuseum. Hier könnte man Tage verbringen, aber wir hechten ziemlich schnell durch die Räume. Zu sehen sind außergewöhnliche Stücke der Khmer-Kunst und des Khmer-Handwerks.

Ein weiteres Museum, Tuol Sleng, klärt uns über die Geschichte von Kambodschas dunkler Vergangenheit auf.
Es erinnert an die Zeit der Roten Khmer, einer kommunistischen Bewegung, die das Land von 1975 bis 1979 regierte. Unter ihrem Anführer Pol Pot wollten die Roten Khmer eine „klassenlose Bauern-Gesellschaft“ schaffen. Dabei wurden Millionen Menschen zur Zwangsarbeit gezwungen, gefoltert oder getötet

Das Gebäude des Museums war früher eine Schule mit dem Namen Tuol Svay Prey High School. Als die Roten Khmer die Macht übernahmen, verwandelten sie die Schule in ein Gefängnis und Folterzentrum, das den Codenamen S-21 erhielt. Hier wurden Menschen festgehalten, die verdächtigt wurden, Feinde des Regimes zu sein – darunter Lehrer, Mönche, Beamte oder einfache Bürger.

In Tuol Sleng wurden etwa 14.000 bis 17.000 Menschen gefoltert und später auf den sogenannten Killing Fields hingerichtet. Um Munition zu sparen, töteten die Herrscher ihre Opfer durch Erschlagen. Nur wenige Gefangene überlebten.

Nach dem Ende der Schreckensherrschaft im Jahr 1979 wurde das Gebäude in ein Museum umgewandelt. Heute können Besucher die engen Zellen, Folterinstrumente und viele Fotos der Opfer sehen. Die Räume wurden fast unverändert gelassen, um zu zeigen, wie grausam die Zeit war.

Das Tuol-Sleng-Genozid-Museum ist heute ein wichtiger Gedenkort. Es soll an die Opfer erinnern und daran, wie gefährlich Hass, Gewalt und Machtmissbrauch sind. Der Besuch ist traurig und erschütternd, aber er hilft, die Geschichte Kambodschas besser zu verstehen und das Leid der Menschen nicht zu vergessen.



Zum heutigen Abschluss sehen und riechen wir (vor allem Letzteres!) asiatische Köstlichkeiten auf dem lebendigen Tuol-Tumpoung-Markt. Alles, was da auf dem Boden liegend angeboten wird, landet irgendwo im Essen. Gegessen wird eigentlich alles, was lebt. Auch Schlangen, Schildkröten, Insekten und sogar Ratten. Letztere werden gerne gegrillt zum Bier serviert. Natürlich bietet der Markt nicht nur Lebensmittel, sondern vor allem auch Kleidung an. Wir wuseln uns durch ein fast unüberschaubares Wirrwar von Gängen mit Geschäften aller Art. 50 Minuten haben wir dafür Zeit, bevor uns der Bus dann wieder abholt und ins Hotel zurückbringt. Kurze Zeit später werden wir erneut zum Abendessen gefahren. Alle Abendessen sind übrigens im Reisepreis inbegriffen. Lediglich die Getränke und die angebotenen Mittagessen gehören nicht zum Leistungsumfang. Ein paar Mitreisende sind noch fit für einen Absacker in einem nahegelegenen „deutschen“ Lokal. Ich bin dabei und verbringe noch ein gutes Stündchen bei gutem Weißwein. Das Lokal ist auf wundersame Weise mit dem deutschen Goethe-Institut verbunden. Tatsächlich spricht der Inhaber des Lokals ein recht ordentliches Deutsch – trotz seiner gut 80 Jahre.

Im Hotel geht es kurz nach dem Einchecken schon wieder weiter mit dem Abendessen. Das Restaurant Jaan Bal bietet uns eine große Auswahl verschiedener lokaler Gerichte an. Nach dem Essen werden wir wieder im Hotel abgeliefert. Ein Teil von uns feiert auf der Dachterrasse weiter. Auch dieses zweite Hotel ist einfach Spitze. Freundliches Personal, faire Preise (für die Drinks) und natürlich das angenehme Wetter fördern bei allen die gute Laune. Alles top, alles lecker, alles sauber.

Apropos „sauber“: In Kambodscha ist es an den für Touristen zugänglichen Stellen recht sauber. Nicht so clean wie in Deutschland, aber doch meist sehr ordentlich und vor allem viel sauberer als damals in Thailand…
Das Wasser ist angeblich nicht trinkbar. Ich habe aber ein Messgerät mitgenommen, mit dem ich die Wasserqualität messen kann. Das Gerät misst die „ppm“, die „Parts per Milliliter“. Ab 300 Parts wird´s kritisch. Diesen Wert haben wir nie erreicht. Im Gegenteil: In unserem letzten Hotel war das Kranenwasser sogar weniger belastet als das in Flaschen angebotene Trinkwasser. Nämlich 66 ppm gegenüber 84 ppm.

Außerdem gut zu wissen: Kambodscha ist nahezu vollständig mit dem Internet verbunden. Zwar nur 4G, aber das immerhin fast flächendeckend. In allen Hotels haben wir ein sehr gutes WLAN, aber leider nicht im Bus. Ich habe mir vorher eine E-SIM auf meinem iPhone eingerichtet, mit der ich 10 Gigabyte verbrauchen kann. Und so kann ich auch im Bus meine Mails beantworten oder Bilder verschicken.

Der fünfte Tag

Wie gewohnt Frühstück um 7:15 Uhr, Abreise um 8.00 Uhr. Allerdings nicht mit dem Bus. Chhin, unser Reiseleiter, hat uns 14 TukTuks besorgt, die uns heute zu den Sehenswürdigkeiten bringen sollen. Maria hat mir einen Platz freigehalten. Sie hat sich so langsam zur „Assistentin der Geschäftsleitung“ hochgearbeitet, indem sie Chhin bei der Aufnahme der Essenswünsche unterstützt oder die Verteilung der Hotelschlüsselkarten übernimmt. Mit dem Essen gibt es so einige Probleme hinsichtlich der Verträglichkeit, bzw. der Vorliebe einiger Mitreisenden. Der eine mag keinen Fisch, der andere kein Fleisch, der nächste kein Koreander und so weiter. Das alles unter einen Hut zu bringen und dem Koch klarzumachen, ist kein leichtes Unterfangen. Maria hat das bravourös gelöst – sie war ja mal bei der Bundeswehr. Ihren Anweisungen traut sich keiner zu widersprechen. Sie selbst isst nur Pommes oder Nudeln. Bei der Buchung wollte sie daher das Essenspaket im Wert von 250.- Euro nicht mit kaufen. Doch sagte man ihr, dass es in den Hotels und in der kargen Umgebung sonst nichts zu essen gäbe, woraufhin sie zähneknirschend doch das Essenspaket mit gebucht hat. Tatsächlich aber gibt es überall Essen jeder Art in Hülle und Fülle. Sie wird daher versuchen, das „Fresspaket“ von RSD-Reisen zurückzufordern. Ich drücke ihr alle Daumen.

Die TukTuks bringen uns wieder zu allen geplanten Zielen. Darunter sind die berühmten Pagoden „WAT BALAT“ und „WAT KAMHAENG“, deren Besichtigung sich einige Stunden hinzieht. Als letztes besuchen wir eine „Zirkus-Schule“, ein so genanntes Leuchtturm-Projekt, hinter dem sich Artistik, Musik, Theater und eine komplette Schule von der Grundschule bis zum Abitur verbirgt. „PONLEU SELPAK“ heißt die Schule. Wir hören eine Schülerband proben, sehen jungen Menschen beim Flic Flac zu und beobachten einen Bewegungskurs der Theaterabteilung. Das Projekt braucht dringend Geld, deshalb bittet uns der Schulleiter, der uns über das Gelände geführt hat, auch dringend um Unterstützung.
Leider gab es ein großes Missverständnis. In der Beschreibung des Reiseveranstalters steht: „…optionaler Besuch des Leuchtturms Ponleu Selpak“. Maria hat sich so auf einen Leuchtturm gefreut und ist jetzt sauer, dass weit und breit kein Turm zu sehen ist…

Ach ja, Maria hat ja heute ihren 39. Geburtstag! Eigentlich will sie uns allen einen Reisschnaps ausgeben, von dem sie 1,5 Liter auf einem der Märkte eingekauft hat. Leider wird daraus nichts, weil sie keine 28 kleinen Gläser auftreiben kann.
Stattdessen feiern wir ihren Geburtstag in der Roof-Top-Bar des Hotels. Den Schnaps hat sie leider im Hotel liegen gelassen …

Der sechste Tag

Wir beginnen – nach dem für europäische Verhältnisse sparsamen Frühstück – den Tag mit einem weiteren Besuch eines Marktes. Dieses Mal wird die Gruppe von einem einheimischen Koch geleitet, der tatsächlich ein paar Sachen einkauft und uns danach zu seinem „Restaurant“ führt. Aber es ist gar kein übliches Restaurant, sondern eine Kochschule. Wir 28 Leute sollen drei Gerichte kochen: einen Vorspeisensalat, eine Hauptspeise mit Fleisch und einen Bananen-Nachtischkompott.

Und so sitzen wir in Vierergruppen an den Tischen und zerkleinern abwechselnd diverse Gemüse, stampfen diese dann mit einem Eisenstampfer zusammen, mischen das Ganze mit dem Fleisch und fügen diverse Zutaten hinzu.
Leider findet direkt nebenan eine Trauerfeier für einen Mönch statt. Das bedeutet, dass überlaute Lautsprecher, entsetzlicher Gesang und völlig atonale Musik unsere Ohren quälen. Selbst meine Uhr warnt mich mehrmals vor der gesundheitsschädlichen Lautstärke. Wir machen gute Miene zum lauten Spiel und kochen weiter.

Das Ganze hat auch noch einen guten Zweck: Da wir viel zu viel gekocht haben, um es selbst aufzuessen, verpacken wir nach dem Essen insgesamt 12 Portionen in vier Behälter, die jeweils vier Abteilungen haben. Hier kommen Vorspeise, Hauptspeise, Nachtisch und Brot rein. Diese Pakete werden wir anschließend in ein Kloster bringen.

Das Kloster, eine Pagode, sieht ein bisschen vergammelt aus. Drei Mönche empfangen uns in ihren roten Kutten. Wir dürfen im Raum nicht stehen, nur sitzen. Ich bleibe also draußen am Eingang stehen, da ich sonst kaum wieder hochkomme. Der Hauptmönch in der Mitte empfängt die Essensboxen vom Lokalinhaber und bedankt sich ordentlich dafür. Dann dürfen wir ihm Fragen stellen. Einer aus unserer Gruppe will den Unterschied zwischen Christentum und dem Buddhismus erklärt bekommen. Die Antwort ist einfach: Er kenne das Christentum nicht, aber alle Menschen seien im Buddhismus willkommen.

Danach bekommen wir alle ein gelbes Band um das Handgelenk gewickelt, verbunden mit einem Segen, der hundert Jahre halten soll. Was ich von diesem Mumpitz halte, ist ja bekannt. Ich lasse mir das Armband trotzdem anbringen, um meinen Reiseleiter nicht zu enttäuschen.

Blöd ist, dass ich es ohne Schere wohl nicht mehr abbekomme.

Und dann geht unsere Reise schon wieder weiter in die nächste Stadt, wo uns das Highlight der Reise bevorsteht. Wir fahren nach „SIEM REAP“, der Heimstätte von „ANGKOR WAT“, dem Ziel, das alle Teilnehmer sehnsüchtig erwarten.

SIEM REAP ist die zweitgrößte Stadt in Kambodscha. Bei der Ankunft in unserem neuen Hotel gibt es einen Wechsel des Reiseführers und des Fahrers. Chhin muss zusammen mit dem Fahrer den Bus leer zurückführen, weil schon morgen die nächste Ladung Touristen ankommt. Ich gebe ihm eine Mischung aus Dollar und einheimischen Riel als Trinkgeld, ebenso dem Fahrer, da beide es wirklich verdient haben. Ich habe selten so einen guten Reiseführer gehabt und war auch begeistert von der Fahrweise des jungen Busfahrers.
Der neue Reiseleiter heißt KIM, ist noch ziemlich jung und versucht gerne, witzig zu sein. Sein Deutsch ist recht holprig, er verschluckt fast alle Endungen und steht mit der Grammatik auf Kriegsfuß. Als erste Amtshandlung hält er uns einen langen Vortrag über Pfeffer. Warum, weiß keiner.

Das Hotel ist nochmal größer, schöner und moderner als die beiden vorher. Ich habe kein Zimmer, ich habe eine Suite mit einem eigenen Vorraum, in dem z.B. mein Leibwächter schlafen könnte. Der hätte sogar eine eigene Toilette.
Alles ist perfekt – es gibt nur keinen Kofferablageplatz. Deswegen nehme ich den Fernseher von der Kommode und platziere den Koffer darauf. Das Bett reicht für eine ganze Familie, und der Balkon bietet einen atemberaubenden Blick über die ziemlich große Stadt. Vier Übernachtungen werden wir im Luxus schwelgen.

Am Abend sitzen einige von uns noch auf der Dachterrasse und besprechen die Weltlage. Da darf ich nicht fehlen. Es kommen also noch ein paar Weine dazu.

Der siebente Tag

Ein Tag, an dem ich über zehn Kilometer laufen werde! Wir schauen uns nämlich heute mehrere Weltkulturerbe-Stätten an. Darunter das berühmte ANGKOR WAT.
Statt mit dem Bus werden wir wieder von 14 TukTuks durch die Gegend gefahren. Und das ist auch gut so, denn mit dem Bus hätten wir einige Ziele des Tages gar nicht anfahren können. Wir – Maria und ich – haben TukTuk Nummer fünf, ein hochmodernes Gefährt im Rolls Royce-Look. Apropos Verkehr: Ich weiß nicht, wie ich den beschreiben soll. Jeder fährt grundsätzlich so, dass möglichst kein Quadratmillimeter der Straße unbesetzt bleibt. Ampeln gibt es nur an wenigen Durchgangsstraßen – und das auch nur, damit die Fußgänger eine Chance haben, die Straße zu überqueren. Es wird zum Glück wenig gehupt, weil sich sowieso niemand darum kümmern würde. Man fährt einfach drauf zu und versucht, eine Lücke zu ergattern, sodass der Gegenverkehr mal eine Pause machen muss. Nachts haben nur wenige Fahrzeuge Lichter an, und Sturzhelme findet man auch selten. Schon gar nicht für Kinder und Babys, die zusammen mit den Eltern gern mal zu fünft auf einem Moped sitzen. Bei Regen stülpen sie sich in Sekundenschnelle einen Plastikumhang um den Körper und düsen dann weiter, ohne irgendwelche Rücksicht auf die nun glitschigen Straßen zu nehmen.

Maria und ich im TukTuk.

Zurück zu Angkor Wat. Zunächst brauchen wir Eintrittskarten. Die bekommt man in einem riesigen Gebäude, das eher an einen Bahnhof oder einen Flughafen erinnert. Der Ticketverkauf verläuft in mehreren Schritten. Zunächst wird jeder Besucher fotografiert. Danach erhalten wir an einer ganz anderen Stelle einen Plastikumhänger, in den wir das inzwischen ausgedruckte Ticket mit unserem Foto schieben müssen. Das Umhängeschild muss immer getragen werden. Und wir werden tatsächlich auch einmal kontrolliert, ob das Bild mit unserem Aussehen übereinstimmt. Laut einer Anzeigetafel haben in diesem Jahr bisher 731600 Menschen Angkor Wat besucht. 1,2 Millionen sind es derzeit im Gesamtjahr. Vor Corona waren es doppelt so viele Besucher.

Das Gelände ist riesengroß, so dass wir immer wieder mal von unserem TukTuk weitergefahren werden. Trotzdem müssen wir reichlich viel laufen.

Wir betreten Angkor Wat von der Rückseite aus – vermutlich, um dem Besucherandrang am Haupteingang zu entgehen.

Und dann sehen wir das Bauwerk aus dem 12. Jahrhundert. Eine Menge schwarzer Steine mit teilweise begehbaren Teilen. Uralt, atemberaubend schön, völlig von Touristen umzingelt. Dutzende von Hochzeitspaaren lassen sich hier fotografieren.

Unser Reiseleiter redet sich den Mund fusselig und erzählt uns mehr oder weniger die ganze Geschichte des Bauwerks, das mal völlig vergessen und vom Urwald in Besitz genommen wurde. Hier die Kurzfassung:

Angkor Wat ist eines der bekanntesten Bauwerke der Welt und liegt nahe der Stadt Siem Reap. Die Tempelanlage wurde im 12. Jahrhundert unter König Suryavarman II. erbaut und war ursprünglich dem Hindugott Vishnu geweiht. Der Bau begann um 1113 und dauerte rund 30 Jahre. Mit einer Fläche von etwa 200 Hektar gilt Angkor Wat als größter Tempelkomplex der Welt.

Die Architektur des Tempels folgt der hinduistischen Vorstellung vom Universum. Der zentrale Turm symbolisiert den heiligen Berg Meru, den Sitz der Götter, und der umlaufende Wassergraben steht für den kosmischen Ozean. Zahlreiche Steinreliefs an den Wänden zeigen Szenen aus den hinduistischen Epen Ramayana und Mahabharata.

Nach dem Tod Suryavarmans II. und dem Niedergang des Khmer-Reiches wurde Angkor Wat im 13. Jahrhundert zu einem buddhistischen Heiligtum umgewandelt. Anders als viele andere Tempel wurde er nie völlig verlassen, weshalb er bis heute gut erhalten blieb.

Im 19. Jahrhundert wurde Angkor Wat durch den französischen Forscher Henri Mouhot im Westen bekannt. Seitdem gilt er als Symbol der kambodschanischen Kultur. 1992 wurde die Anlage zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt.

Heute ist Angkor Wat ein wichtiges Ziel für Pilger und Touristen aus aller Welt. Trotz der Herausforderungen durch Tourismus und Klima bleibt der Tempel ein Zeichen für die Größe und den Glauben des alten Khmer-Reiches – ein wahres Weltwunder.

Wir haben danach noch zwei weitere Tempel auf dem Gelände besucht, die aber nicht an Angkor Wat herankommen. Auch die „lächelnden Steinstatuen des „Bayon-Tempels“, der Tempelberg „Baphuon“, die „Elefantenterrasse“, und die mit Apsara-Kulturen geschmückte „Terrasse des Leprakönigs“ ist wohl mehr was für Spezialisten.

Deshalb bin ich froh, dass unser TukTuk als nächstes unsere Mittagessen-Station anfährt. Ein kleines, ziemlich enges Restaurant mit dem – für mich – bisher besten Essen: Nudeln mit Ei und Gemüse. Maria ist mit Pommes voll bedient, nur die Tomatensoße war sehr knapp …

Und wenn man denkt, jetzt kann nix Dolles mehr kommen, geht es erst richtig los: Per TukTuk geht es direkt zu Angelina Jolie. Na ja, nur indirekt. Wir besuchen jetzt nämlich den Tempel „TA PROHM“. Nie gehört? Nun, dieser buddhistische Tempel aus dem 12. Jahrhundert diente bereits als Kulisse für viele Hollywood-Produktionen. Am bekanntesten dürfte wohl der Film „Tomb Raider“ (2001) mit Angelina Jolie sein. Während der Dreharbeiten hat Angelina sogar ein kambodschanisches Kind adoptiert. Der Tempel ist einfach atemberaubend, für mich tausendmal schöner und aufregender als Angkor Wat. Es ist umwerfend, wie die Natur sich im Lauf der Jahrhunderte der Steine bemächtigt hat. Wenn ich wieder zu Hause bin, werde ich mir den Film „Tomb Raider“ gleich nochmal anschauen. Wichtig: Es gibt auch einen zweiten „Tomb Raider“-Film mit einer anderen, sehr jungen Darstellerin, der aber ganz woanders gedreht wurde und lange nicht an die Version mit Angelina Jolie herankommt.

Und noch immer ist die Tagestour nicht zu Ende. Unser TukTuk bringt uns über sehr elementare Wege zu einem Haus, das wohl einem Einheimischen gehört. Der lädt uns einfach so zu Schnaps mit Saft und kleinen Snacks ein. Viele kleine Kinder versuchen, uns Papiervögel oder Blockflöten – jeweils für einen Dollar – anzudrehen. So mancher hat ein weiches Herz und kauft sich eins der Andenken. Inzwischen habe ich auch gemerkt, warum wir hier angehalten haben. Kim, unser neuer Reiseleiter, fragt, ob wir Pfeffer kaufen wollen. Der Hausherr betreibt wohl einen Pfefferhandel für Touristen. Penibel nimmt Kim die Bestellungen auf und drängt danach zum Aufbruch. Ich bin mal gespannt, wie er das abrechnen will, denn er hat keine Namen, sondern nur die Anzahl der Bestellungen notiert.

Danach geht es (endlich) wieder ins Hotel, denn ich kann kaum noch laufen. Über 10 Kilometer habe ich heute geschafft! Das reicht sonst für einen Monat!

So ziemlich alle dürften die Pause bis zum Abendessen für einen kurzen Schlaf genutzt haben. Aber es geht ja noch weiter. Abendessen in einem Super-Duper-In-Lokal mit ganz speziellen Gerichten!
Und zwar so speziell, dass ich schon bei der Vorspeise, einem Salat mit Betel, Schweinebauch und anderen Ungenießbarkeiten dankend ablehnen muss.
Das Süppchen danach schmeckt nach Spülwasser und geht leider auch ungelöffelt zurück in die Küche. Der Hauptgang ist ganz in Ordnung, und der Nachtisch ist sogar hervorragend.
Maria bekommt natürlich nur Pommes mit Tomatensoße, sogar zweimal. Ich nasche ein wenig und finde Marias Entscheidung korrekt.

Der Abend klingt harmonisch auf der Dachterrasse aus.

Der achte Tag

Endlich ausschlafen! Heute ist unser freier Tag, jucheh!
Dennoch werde ich schon um acht wach und quäle mich unter die Dusche. Die Lauferei vom Vortag fordert ihren Tribut.
Die anderen erkunden heute in kleinen Grüppchen die Stadt Siem Reap., die als die „schönste Stadt von Kambodscha“ zählt. Ich bleibe trotzdem im Hotel, setze mich auf die Dachterrasse und schreibe an diesem Reisebericht. Es regnet anfangs ein wenig, aber sehr bald kommt die Sonne durch. Um vierzehn Uhr erreichen wir 30 Grad im Schatten mit sehr hoher Luftfeuchtigkeit. Also kaum auszuhalten.


Dem freien Tag folgt das gemeinsame Abendessen. Wir fahren in ein großes Theatergebäude, in dem authentische kambodianische Tänze aufgeführt werden. Und nicht nur das – zusätzlich gibt es hier für ca. 300 Gäste auch noch ein Buffett, das die Welt noch nicht gesehen hat. „ROYAL THEATRE RESTAURANT“ nennt sich das Spektakel, das uns wirklich staunen lässt.

Wir beginnen mit ein paar Vorspeisen und kämpfen uns dann durch das Buffet., das alles, aber wirklich alles enthält, was in Kambodscha auf den Tisch kommt.  Das Essen reicht für 300 Personen, es sind aber nur 69 Gäste am heutigen Abend anwesend. Noch während des Essens beginnt die Show. Zehn Tänzer und Tänzerinnen tanzen „The final battle of Ream Keh“. Steht so im Programmheft, das auf den Plätzen liegt. Die Kostüme sind atemberaubend schön, die Anmut der Tanzenden einmalig. Wir sind völlig geplättet – aber das war ja erst der Anfang.

Martial Arts im Royal Theater Restaurant

Der zweite Tanz „Martial Art“ zeigt auf offener Bühne einen Zweikampf zwischen zwei Männern. Beide haben unterschiedliche Waffen und beide greifen sich auf offener Bühne extrem gefährlich an – bis schließlich einer der Beiden liegen bleibt. Das Ganze ist natürlich nur gespielt – keiner tut dem anderen weh. Diese Art zu kämpfen gehört zum Wesen Kambodschas.

Die Tänzer werden von einem 5-Mann Miniorchester begleitet, in dem vor allem eine Eunuchenstimme herausragt. Der Sänger ist uralt, klingt aber wie ein junger Mann vor dem Stimmbruch. Die typische 5-Tonmusik Asiens wirkt zwar auf unsere Ohren ziemlich schmerzhaft, aber man gewöhnt sich ja an alles.

Es gibt dann noch drei weitere Tänze, deren Details ich jetzt hier nicht ausführen möchte. Im Video, das ich hoffentlich auch bald fertiggestellt habe, sieht man viel besser, wie großartig diese 25-köpfige Tanzgruppe ist.

Überwältigt und geflasht lassen wir uns von unserem Bus wieder ins Hotel bringen. Dort sitzen wir noch lange auf der Dachterrasse zusammen, um den schönen Abend bei diversen alkoholischen Getränken (Maria nur Cola!) ausklingen zu lassen.

Der neunte Tag

Heute werden wir uns einen weiteren Unesco-Welterbe-Tempel anschauen. „KOH KER“ liegt in der ursprünglichen Hauptstadt des Khmer-Königreichs mitten im Dschungel. Auch hier wird versucht, die Substanz zu halten – an Wiederaufbau ist nicht zu denken, solange die nötigen Gelder fehlen. Habe ich schon erwähnt, dass es circa 2000 Tempel in Kambodscha gibt? Da sind die ca. zwanzig, die wir besichtigt haben oder noch besichtigen werden, doch ein Klacks. Zum Beispiel den Tempel „BENG MEALEA“, der Angkor Wat als Vorbild diente. Die Besichtigungen dauern ihre Zeit, und die Strecken zwischen den einzelnen Sehenswürdigkeiten werden immer länger. Kein Wunder, dass es schon wieder Zeit für das Abendessen ist.

Diesmal sind wir wieder bei einer privaten Familie eingeladen. Und nein, es wird keine Verkaufsschau, es wird ein wunderbarer Abend. Das private Restaurant befindet sich irgendwo mitten in einem Dschungeldorf. Unser Bus muss rund 300 Meter rückwärts in einen Feldweg reinfahren, da er sonst nicht mehr rauskäme. Wir sitzen, wie allgemein üblich, an großen Tischen und erhalten gratis Long-Drinks und Softgetränke wie Cola für Maria, die natürlich auch wieder ihre geliebten Pommes vorgesetzt bekommt. Das Buffett enthält fast alles, was das Herz begehrt. Zum Essen begleitet uns eine fünfköpfige Band mit einheimischer Musik, die leider nicht sonderlich schön für westliche Ohren klingt. Aber es reicht aus, dass es Kim, unser Reiseleiter, tatsächlich hinbekommt, einen großen Teil der Gruppe zum Tanzen zu animieren. Na ja, Tanzen ist vielleicht das falsche Wort. Es handelt sich mehr um eine Art „merkwürdiges Gehen“, das da stattfindet. Auch hierzu werde ich ein schönes Video nachliefern. Das „Buffett unterm Sternenhimmel“ ist jedenfalls ein voller Erfolg.
Natürlich treffen wir uns anschließend wieder auf der Dachterrasse unseres Hotels, um den schönen Abend abzuschließen. Es ist leider die letzte Übernachtung in diesem Traumhotel.

Der zehnte Tag

Heute geht es raus aufs Wasser. Wir fahren nach „Kampong Khleang“, eines der schönsten Stelzendörfer am malerischen „Tonle Sap“-See. Dort besteigen wir ein Boot mit einem sehr lauten Motor. Meine Apple-Watch warnt mich ständig vor Überschreitungen des Lautstärkepegels, vor allem dann, wenn die jugendlichen Raser in ihren Schnellbooten vorbeizischen. Nach einer guten Stunde bleibt das Boot plötzlich stehen. Kim stellt sich in die Mitte und hält einen Vortrag. Einen Vortrag über die Ungerechtigkeit in der Welt. Kambodscha war dereinst viele Male größer als heute. Die Franzosen hätten willkürlich neue Landesgrenzen gezogen, die das Land auf rund ein Drittel verkleinert hätten. Seitdem versuchten alle umliegenden Statten wie Laos, Thailand oder Vietnam, sich auch noch den Rest einzuverleiben. Tatsächlich lebt Kambodscha erst seit 25 Jahren im Frieden. Die vielen Jahrhunderte davor waren von unzähligen Kriegen gezeichnet. Kim jammerte (zu Recht) über die schwache wirtschaftliche Lage des Landes, deren Erfolg ja fast ausschließlich von der Landwirtschaft abhängt, über die schlechten Löhne (350 bis 500 US-Dollar im Monat) und über ungerechte Gesetze. Kim erzählt, dass er vor ca. 15 Jahren eine Wohnung gekauft habe – per Kredit seiner Hausbank. Dann kam Corona, und Kim konnte seine Raten nicht weiterbezahlen. Die Bank gab ihm zwar ein Jahr Aufschub, aber danach war immer noch Corona. Das Ende vom Lied: Kim ist seine Wohnung los, die Schulden jedoch nicht.

Kims Monolog dauerte gut zwanzig Minuten, dann wurde der Motor wieder angeworfen, und wir fuhren die Strecke zurück direkt in das Stelzendorf. Die Häuser stehen auf Stelzen, weil der Pegel in der Regenzeit so hoch steigen kann, dass alle Häuser überflutet würden. Jetzt – nach der Regenzeit – sinkt der Pegel wieder, und man kann die Häuser nur noch über Leitern erreichen.

Das machen wir auch. Wir klettern mal wieder zu einer Familie ins Haus. Erst durch das Arbeitszimmer, dann durch das Schlafzimmer bis rein ins Wohnzimmer, wo uns ein Mittagessen erwartet. Jeder von uns erhält ein Paket, das aus Palmblättern geflochten ist. Innerhalb des Paketes befinden sich weitere rechteckige „Gefäße“ mit dem Essen. Auch Besteck aus Holz ist beigelegt sowie eine kleine Serviette. Die Verpackung ist so ideal, dass viele von uns sie mitnehmen möchten, was wir auch tatsächlich dürfen. Es ist fast schon überflüssig zu erwähnen, dass Kim auch hier dafür gesorgt hat, dass unsere Maria ihre Pommes erhalten hat.


Das Mittagessen-„Picknick“ ist eine tolle Idee der Veranstalter (RSD) mit einem Kritikpunkt, für den sie aber nichts können. Da das Picknick direkt am See stattfindet, rasen pro Minute auch ca. 20 Schnellboote mit ihren fehlenden Auspüffen an uns vorbei. Laut Warnung der Apple Watch entstehen dabei Geräusche bis über 90 Dezibel, was bei Dauerbelastung einen Hörschaden nach sich zieht. Ich befürchte, hier in diesem Ort sind alle inzwischen taub…

Zurück auf festem Boden fahren wir mit dem Bus weiter nach „KAMPONG THOM“. Dort gibt es eine beeindruckende Brücke zu besichtigen, die noch aus der Angkorzeit stammt und dennoch nicht zerfallen ist. Da könnte sich Deutschland ein Scheibchen abschneiden …

Anschließend erwartet uns ein weiteres Tempel-Juwel, das vom Unesco Welterbe unterstützt wird. Nämlich die Bauvorlage von Angkor Wat, die Tempel von „Sambor Prei KuK“. Auch hier laufen wir meilenweit durch die Anlage, die einst die Hauptstadt des „CHENLA“-Königreichs war.

Das Abendessen findet wieder irgendwo im Dschungel statt. Ein privates Gästehaus mit Pool überrascht mit der Tatsache, dass es keinen Wein gibt. Dafür Bier in vielen Sorten. Das Essen findet nicht unbedingt meine Zustimmung, aber ein bisschen von allem macht ja auch satt. Ich hätte – wie Maria – Pommes bestellen sollen.

Empfangshalle unseres Hotels in Kampong Thom

Und damit ist es Zeit für unser nächstes Hotel, ein angeblicher 4-Sterne-Kasten in „KAMPONG THOM“. Der Absturz nach all dem Luxus, den wir hatten. Es handelt sich um ein völlig aus der Zeit gefallenes Gebäude mit unglaublich großen, hässlichen Eichenmöbeln und Holzdekorationen an den Wänden. Die Zimmer sehen auch aus, als hätte seit 100 Jahren niemand mehr darin gewohnt. Das Personal versteht nicht einmal die einfachsten englischen Worte und sieht deutlich unterbezahlt aus.

Da ich ja beim Abendessen keinen Wein bekommen konnte, versuche ich es hier erneut. Und siehe da – es gibt Wein! Nach langem Anstehen (vor mir sind auch noch andere durstig!) gibt es keine Gläser mehr. Das Mädel rennt irgendwo hin, kommt schwer hechelnd eine Minute später zurück und bringt zwei neue Weingläser mit. Die müssen aber erst mal gewaschen werden. Und dann getrocknet. Und dann immer noch mal abgerieben werden. Es dauert also. Egal, irgendwann habe ich das geliebte Glas lauwarmen Weines in den Händen und setze mich zu den anderen, die bereits bedient wurden. Wir sitzen draußen auf einem schmalen Streifen bis zu den Stufen, die zum Pool führen. Die Stühle stehen so eng an der Treppe, dass wir jeden darauf aufmerksam machen, hier vorsichtig zu sein.

Und nachdem mein Glas leer ist, denke ich an ein weiteres Glas zwecks Erreichung einer Mindestbettmüdigkeit. Ich stehe also auf, hangele mich an zwei Stühlen vorbei und trete – ins Leere. Hier beginnt also schon die Treppe. Dank meiner Superreflexe kann ich nach vorne ausweichen, ein oder zwei weitere Stufen übertänzeln, bis ein Lappen auf der dritten Stufe zusammen mit mir durch die Gegend fliegt. Es tut einen Schlag, und ich liege blutend am Boden. Schnell bildet sich eine Blutlache, Schreie von überall her, „Ich hab doch gesagt, dass man da aufpassen soll“ und Ähnliches. Ich habe also eine Platzwunde über dem rechten Auge. Nicht so schlimm, meine ich, aber KIM, der inzwischen herbeigerufen wird, besteht darauf, mich ins Krankenhaus zu fahren. So langsam merke ich, dass außer der Platzwunde noch ein paar andere Sachen kaputt gegangen sind. Schürfwunden am rechten Bein, Verstauchung der linken Hand und vor allem eine Prellung der rechten Rippen. Gebrochen habe ich nichts.

Während wir auf den Krankenwagen warten, bzw. jemanden, der uns ins Krankenhaus fährt, verbinden mir meine Reisekollegen die blutende und angeblich klaffende Wunde über dem rechten Auge. Meine Brille hat es auch erwischt. Der rechte Bügel ist abgebrochen, aber die Gläser sind zum Glück heil geblieben.

Mit einem Privatwagen und Kim an meiner Seite geht es dann ins Krankenhaus, das keine fünf Minuten entfernt ist. Dort schauen dann fünf Leute zu, wie mir zunächst schmerzstillende Spritzen rund um die Wunde gespritzt werden und diese anschließend mit sechs Stichen säuberlich zugenäht wird. Ein hässliches Pflaster ziert ab nun mein Gesicht.

Zurück im Hotel lege ich mich gleich hin und versuche zu schlafen. Der Kopf tut nicht weh, aber alles andere. Ich kann mich nicht auf die Seite rollen, da die Rippen laut „AUA“ rufen. Nach Einnahme einer IBU 400 wird es aber allmählich besser und ich kann einschlafen. Ein nächtlicher Toilettenbesuch entwickelt sich aber dann doch noch zu einem schmerzhaften Desaster, das ich nie wieder erleben möchte. Irgendwann ist die Nacht um und wir verlassen nach einem kläglichen Frühstück das „SCHLOSS DES GRAUENS“.
Kim hat uns übrigens vor dem Hotel gewarnt. Es gehöre nicht zur üblichen Qualitätsstufe für die Reise. Leider wird der Ort aber so selten von Touristen besucht, dass es sich für die großen Hotelketten nicht lohnt, in diesem Kaff zu investieren.

Der elfte Tag

Unser letzter Urlaubstag ist angebrochen. Auf dem Weg zurück zu unserem ersten Hotel in Phnom Pen besuchen wir noch ein paar Sehenswürdigkeiten, die auf dem Weg liegen. Darunter einen weiteren Markt, auf dem man lebende Vogelspinnen kaufen kann. Kleine Kinder spielen damit herum und hängen die Spinnen den Touristen aufs Hemd – alles für ein paar Groschen Kleingeld. Nach dem Einchecken im Hotel erwartet und mal wieder eine Armada von Tuk Tuks, die uns zu 24 weiteren Sehenswürdigkeiten der Stadt karren. Die Veranstalter haben es sich hier ziemlich einfach gemacht: Jeder Gast erhält ein kleines SAMSUNG-Tablet mit Ohrhörern, auf dem insgesamt 24 Ziele in Videoform abgespeichert sind. Zu jedem Ziel erzählt eine (unprofessionelle) deutsche Sprecherin irgendwelche Details. Das ist nicht sonderlich praktisch. Entweder man schaut auf den Bildschirm und verpasst das Original oder man schaut sich das Original an und bekommt keine Details mit. Wir haben es dann so gelöst, dass wir die 3 bis 6-minütigen Beiträge immer schon während der Fahrt anschauen, bevor wir uns danach das Original ansehen. Es handelt sich teilweise um Ziele, die wir schon kennen – wie z.B. den Königspalast. Hier haben wir eine halbe Stunde „Freigang“. Heute ist Sonntag, und es sind eine Menge Menschen auf der Straße. Maria muss noch Zigaretten kaufen und übernimmt dafür die Kontrolle über einen der vielen Verkaufswagen, die überall rumstehen. Der Verkäufer muss nämlich mal schnell in sein Lager, um Marias Wünsche zu erfüllen. Er hat volles Vertrauen, dass Maria ihm nicht seinen Wagen leer plündert und das Weite sucht. Das Warten hat sich gelohnt, denn die Stange kostet nur 6 Euro! Dafür bekommt man in Deutschland noch nicht einmal eine einzige Schachtel…

Nach der TukTuk-Tour werden wir auf ein Schiff umgeladen. Eine Mekong-Flusskreuzfahrt erwartet uns nun auch noch nach all den vielen Überraschungen. Zu den kostenlosen Getränken (Bier und Cola & Co. in Dosen) kommen noch verschiedene Snacks wie Salzgebäck und Chips. Und so tuckern wir eine gute Stunde in den Sonnenuntergang hinein und erleben eine Skyline der Superlative. Eine farbenfroh erleuchtete Stadt mit Wolkenkratzern und Bambushütten, mit Luxusdampfern und Ruderbooten. Einfach schön.

Und weil das alles noch nicht genug ist, bekommen wir auch noch ein wunderbares Abendessen zum Abschluss. Auch dieses Restaurant gehört zur gehobenen Sorte, in dem die einzelnen Vorlieben peinlich genau beachtet werden. Und natürlich bekommt Maria wieder einen Riesenteller voller Pommes Frittes. So modern und chic das Restaurant ist, so lecker und schmackhaft die Speisen sind – der Lärmpegel ist leider kaum zu ertragen, da inzwischen auch noch drei weitere Reisegruppen im Lokal angekommen sind und zu allem Überfluss auch noch eine einheimische Kapelle unschöne Musik als Untermalung für ein paar tanzende Damen produziert..

Um 21.00 Uhr sind wir wieder im Hotel. Einige von uns ziehen noch ein wenig um die Häuser, aber die meisten gehen zu Bett. Morgen erwartet uns eine sehr, sehr lange Heimreise…

Der zwölfte und dreizehnte Tag (Die Rückreise)

Da unser Flieger erst um 17.00 abhebt, haben wir den ganzen Morgen Zeit, uns auszuschlafen oder noch in der Stadt rumzubummeln. Erst um 12:30 Uhr werden wir von einer weiteren, neuen Reiseleiterin zum Flughafen begleitet.
Vorher erfahre ich noch, dass Maria in der letzten Nacht den wahren Horror erlebt hat. Gegen zwei Uhr nachts will sie die Klimaanlage ausschalten, was ihr aber nicht gelingt. Nicht, weil sie zu blöd dafür wäre, sondern weil sich die Anlage einfach nicht abschalten lässt und laut vor sich hin rattert. Sie ruft die Rezeption, die einen Buben vorbeischickt, der eine halbe Stunde lang versucht, das Ding zum Schweigen zu bringen, bis er entnervt aufgibt. Also bietet man ihr ein anderes Zimmer an. Umzug nachts um halb drei. Das neue Zimmer hat eine Aussicht von ca. 60 cm. Dann kommt die Wand des Nachbargebäudes. Egal, sie will ja nur schlafen. Leider beginnen um sechs Uhr die Arbeiter vom Nachbarhaus pünktlich ihre Arbeit, indem sie hämmern, was die Arme hergeben. Als wäre das nicht schlimm genug, verweigert man Maria im Frühstücksraum den Zutritt, weil ihre – neue – Zimmernummer nicht in deren Liste steht. Ihr darauffolgender Auftritt beim Hotelmanager wird sicher in die Annalen des Hotels eingehen. Jetzt hat sie ihr Frühstück bekommen.

Die Rückreise erfolgt analog der Hinreise. Erst ein kurzer Flug nach Saigon, Sitzenbleiben im Flieger, dann sieben Stunden nach Doha, nach längerer Pause sechs Stunden nach Frankfurt. Wir landen am 12. Tag morgens um 6:25 Uhr.
Maria fliegt noch weiter nach Berlin, die anderen teilweise nach Bayern, Österreich, die Schweiz und in den Norden Deutschlands.

Da mich verständlicherweise kein Mensch um diese frühe Uhrzeit am Flughafen abholen will und die Busse und Bahnen mal wieder auf mehreren Teilstrecken ausfallen, gönne ich mir ein Taxi nach Bad Homburg. 76,50 Euro, mit Trinkgeld 80.- Euro kostet der Spaß. Egal. Ich bin wieder zu Hause!

Das Fazit:

Nach all den vielen RSD-Reisen, die ich schon hinter mir habe, ist dies mit Abstand die Beste gewesen. Das lag nicht nur an den tollen Hotels (abgesehen vom Gruselhotel), an dem abwechslungsreichen Programm mit sehr vielen Überraschungen, an der hervorragenden Leistung beider Reiseleiter oder an den tollen Menschen im Lande, sondern vor allem auch daran, dass wir alle sehr gut zusammengepasst haben. Es gab in unserer Gruppe keine Ausreißer – alle waren freundlich und hilfsbereit füreinander da. Es gab ernste, flapsige und auch politische Gespräche unter den Reisenden, ohne dass jemand laut wurde oder sein Gegenüber wegen andersartiger Meinung beschimpft hätte.
Das Essen war durch die Bank weg köstlich, auch wenn Maria da anderer Ansicht war, aber das zählt nicht…
Das Land ist bettelarm, aber die Bewohner machen aber dennoch einen glücklichen Eindruck. Ich wünsche Kambodscha für die nächsten 25 Jahre nicht nur Frieden, sondern den Fortgang des sich anzeichnenden wirtschaftlichen Erfolgs.

Bad Homburg, den 6. November 2025

Usbekistan

Ein paar Sätze vorweg:
Dieser Reisebericht erhebt nicht den Anspruch, vollständig, genau oder gar objektiv zu sein. Nein, er spiegelt lediglich wieder, wie sich der Ablauf für mich persönlich dargestellt hat. Andere mögen Dinge, die ich bemängele, unwichtig finden, andere ärgern sich vielleicht über Vorfälle, über die ich nur lachen kann. Und was die ganzen angesprochenen Namen, Zeiten, Zahlen und Details jeder Art angeht, sind sie nur ein Spiegelbild dessen, was sich mein Kopf behalten hat. Für exakte Daten bemühe man bitte ein Lexikon, am besten „Wikipedia“ im Internet.

Geschafft. Und zwar völlig. Als mir morgens um 5:15 Uhr die Augen zufallen sollen, klappt es nicht so recht. Ich kann zu allem Überfluss noch nicht einmal einschlafen. Und das, obwohl in weniger als vier Stunden der Wecker klingelt. Schuld an der Misere ist ein großer Organisationsfehler meines Reiseanbieters „Trendtours“.
Ich war ja mit denen schon mal in Slowenien, da hat alles ja mehr oder weniger gut geklappt. Aber was man uns hier angetan hat, habe ich noch nicht erlebt.

Aber der Reihe nach. Trendtours bot vor etwa neun Monaten eine Reise nach Usbekistan an. Der geneigte Leser wird sich verwundert fragen, was um alles in der Welt man da will. Nun, wenn man in seinem Leben schon so oft in den üblichen Urlaubsländern war, muss man auch mal was Neues wagen. Dazu gehörte schon China, Slowenien und Südvietnam – die Reiseberichte finden sich ja alle weiter unten in diesem Blog. Diesmal also Usbekistan – oder Uzbekistan, wie die Einheimischen ihr Land nennen. Für knapp 1900 Euro bot man eine Rundreise durch die „alte Seidenstraße“, wie sich das Land auch gerne verkauft. Die Hotels wie immer vom Feinsten, Transport per Bus, Bahn oder Schiff und Hin- und Rückflug mit Aeroflot. Ich hatte erwartet, mit einer uralten Illjuschin Turbopropmaschine einen ihrer letzten Gnadenflüge mitzumachen, aber weit gefehlt. Die flotte Aeroflot gehört inzwischen zum Sky-Verbund und fliegt daher mit nahezu nagelneuen Airbus-Maschinen.

Um 14.15 Uhr ging es in Frankfurt fast pünktlich los. Bis auf ein paar Luftlöcher (ich weiß, sowas gibt es eigentlich gar nicht), die lautes Geschrei an Bord verursachten, war der Flug zum Zwischenlandepunkt Moskau auch wirklich in Ordnung. Das Essen war essbar, die russischen Stewardessen ausgesprochen ansehnlich, und meine Sitznachbarn waren auch sehr nett. Alkohol gab es übrigens keinen an Bord. Nicht einmal einen Begrüßungswodka mit dem Captain durfte man sich wünschen. Spaß beiseite: Die russische Luftfahrt ist inzwischen absolut auf Weltniveau.

In Moskau durften wir den Flughafen natürlich nicht verlassen, sondern mussten im Transitbereich auf unseren Anschlussflug warten. Wenn ich „wir“ sage, meine ich die anderen Gäste der Reise, die alle ziemlich eng beisammen saßen und sich so schon im Flieger näherkommen konnten. 39 Reiseteilnehmer waren wir. Alle schon alt bis sehr alt. Außer einem Ausreißer – einem jungen Mann um die 40 in T-Shirt und kurzen Hosen. Genug Ablenkung auf dem Moskauer Flughafen gab es, denn er ist im Grunde genommen nichts anderes als eine Mega-Duty-Free-Shopping-Mall. Hier findet man wirklich jeden noch so ausgefallenen Luxusartikel. Wahrscheinlich zu Preisen, die sich der gemeine Russe nicht leisten kann. Deswegen waren auch viele russische Urlauber an Bord, die sich bei diversen Frankfurter Händlern mit dem Nötigsten eingedeckt hatten. Aus Zollgründen trugen sie ihre ganzen Schätze in überdimensionalen Tüten mit sich rum.
Natürlich gab es kostenloses WLAN auf dem Flughafen, sodass ich in den zwei Stunden Wartezeit meine inzwischen aufgelaufenen Mails beantworten, den einen oder anderen Chat auf WhatsApp und Facebook führen und auch ein paar inzwischen fertiggestellten Sprechaufträge an die Kunden weiterleiten konnte.

Dann ging es endlich weiter nach Usbekistan. Hatten wir bisher mit dem Airbus A320 Vorlieb genommen, durften wir jetzt mit dem ungleich größeren A321 fliegen. Auch hier wieder: Neue Maschine, brauchbares Essen, nettes Personal, KEIN Alkohol.
Der Zeitunterschied zu Deutschland betrug in Moskau eine Stunde, in Usbekistan waren es dann schon drei Stunden.
Um halb drei Ortszeit, also eine halbe Stunde vor Mitternacht nach deutscher Zeit, landeten wir auf dem menschenleeren, recht überschaubaren Flughafen in Taschkent, der Hauptstadt von Usbekistan, wie ja jeder weiß. Wir waren sogar fast 30 Minuten schneller geflogen als es der Flugplan vorsah. Das hatte viele Vorteile, denn nachdem wir unsere Koffer in affenartiger Geschwindigkeit erhalten hatten, standen wir als Einzige vor ca. 20 Ausweiskontrollstellen. Das heißt, wir waren im Nu durch und standen dann plötzlich vor dem Flughafengebäude im Freien. Weit und breit kein Vertreter von „Trendtours“, weit und breit nur Taxifahrer, die in uns leichte Beute witterten.
Ich war einer der Ersten und entdeckte in etwa 200 Metern Entfernung ein paar Reisebusse. In der (richtigen) Annahme, dass hier unsere Reiseleitung sein müsste, liefen wir zu dem ersten Bus, der tatsächlich ein Schild mit „Trendtours“ in der Windschutzscheibe hatte. Die Dame, die uns dann völlig verschlafen entgegen kam, fragte, ob wir zu der Gruppe „Blablabla“ gehören würden (wobei ich mir den Namen natürlich nicht merken konnte). Erst als wir sie aufklärten, dass sie ja wohl die Reiseleiterin von „Trendtours“ sei, bemerkte sie ihren Irrtum und war sichtlich irritiert, dass wir alle schon vor ihr standen. Leider wusste sie nicht, wie viele Personen unsere Gruppe umfasste. Also dackelte sie wieder zurück in den Flughafen – mit „Trendtours“-Schild, um weitere Passagiere abzufangen. Es kamen aber keine mehr, denn wir waren ja alle längst im Bus. Nach ca. 20 Minuten kam sie dann endlich wieder, um zuzugeben, dass da keiner mehr war.

Kaum dass wir losfuhren, der nächste Schock. Unsere Reiseleiterin, eine resolute Frau um die fünfzig, sagte, wir wüssten ja, dass wir in zwei verschiedenen Hotels wohnen würden. Wussten wir natürlich nicht. Wir wussten ja nicht einmal den Namen von EINEM Hotel. Also schlug sie vor, dass wir erst einmal zum ersten Hotel fahren würden, dort alle aussteigen sollten, um herauszufinden, wer denn in diesem Hotel wohnen würde, und dann mit dem Rest ins zweite Hotel weiterzuziehen. Irgendwann wurde sie dann anscheinend doch etwas wacher, denn sie bot an, die Liste der Hotelgäste aus der Rezeption zu holen, um dann vorzulesen, wer alles im Hotel RAMADA wohnen würde. Der Rest müsste dann ja automatisch ins zweite Hotel, das „City-Plaza“ gehören.

Nach ca. 5 Minuten Fahrt ging ein widerlicher Pfeifton durch den angeblich ganz neuen Bus, der gerade erst aus China angeliefert worden sei (was nicht stimmen konnte, denn es fanden sich eine Menge Gebrauchsspuren im Inneren des Busses). Der Fahrer hielt an, stieg aus, kam wieder rein, öffnete ein Fach, entnahm einen Werkzeugkasten und begann, draußen im Freien eine Blinkerbirne zu wechseln. Nachts um halb vier. Als er fertig war, hörte das Pfeifen dann zum Glück auf.

Weitere 20 Minuten später kamen wir im RAMADA an. Unsere Reiseleiterin ging rein, holte die Gästeliste und las laut vor, wer da alles zu wohnen hatte. Datenschutz ade. Ich war jedenfalls nicht dabei. Das hatte ich mir schon gedacht. Übrig blieben genau fünf Einzelreisende, zwei Frauen und drei Männer. Wir mussten also dafür, dass es im ersten Hotel anscheinend keine Einzelzimmer gab, in ein anderes Hotel gekarrt werden.

Um viertel nach vier waren wir endlich da. Unsere Reiseleiterin sammelte unsere Pässe ein und ging zur Rezeption. Dort war man etwas verwundert ob des späten Besuchs. Zimmer waren nämlich keine reserviert. Und frei waren natürlich auch keine. Nicht einmal Doppelzimmer. „Frühestens in einer halben Stunde“ wäre das erste Zimmer dann beziehbar, die anderen jeweils eine halbe Stunde später.

Das muss man sich mal vorstellen. Da reist man zwölf Stunden durch halb Europa bis nach Zentralasien und erfährt dann, dass irgendjemand, dessen Kopf hoffentlich rollen wird, vergessen hat, uns zu buchen. Wir Männer haben natürlich den beiden Damen den Vortritt gelassen. Und die beiden jüngeren Männer haben mich dann auch vorgelassen, als mein Zimmer um 5:15 Uhr endlich bezugsfertig war. Der Jüngste ist gegen sechs ins Bett gefallen.
Das Zimmer ist OK, aber nicht berauschend. Das Bett ist extrem weich, das Kopfkissen hart wie eine Zervelatwurst. Es gibt keinen Tresor. Zum Duschen muss man in eine hochwandige Badewanne steigen.

Der zweite Tag

Und um neun klingelt der Wecker. Frühstück geht nur bis zehn. Ab elf beginnt das Tourprogramm, zunächst mit einer Stadtrundfahrt. Ich bin völlig zermatscht. Selbst nach einer Dusche bin ich nicht wirklich vorhanden. Das Frühstück schlinge ich wie in Trance in mich rein. Ich würde gerne noch ein wenig schlafen, aber es gelingt mir nicht. Immerhin gibt es kostenloses WLAN im Hotel, das sogar recht flott ist. Bis zur Abholung beantworte ich also mal wieder den täglichen Krimskrams aus dem Internet.
Draußen scheint die Sonne. 28 Grad sind angesagt. So wie an ca. 300 Tagen im Jahr.

Die „große Stadtrundfahrt“ entpuppt sich als ziemliche Enttäuschung. Wir besichtigen gerade mal zwei Sehenswürdigkeiten: Eine Moschee und ein jüdisches Museum. Unsere Reiseleiterin ist jetzt endlich in ihrem Element. Sie erzählt uns die gar nicht so schöne Geschichte des Landes emotionslos, schnell und ohne auf Fragen einzugehen. Als das Land noch zu Russland gehörte, gab es quasi keine Religion. Gerade mal fünf Moscheen soll es gegeben haben. Nach der Aufteilung der Länder in selbstständige Staaten 1991 gab es noch die GUS, bis Usbekistan dann ca. 1997 dann tatsächlich ein eigener Staat war. Und damit kamen auch die Moscheen wieder. Bis zu 50.000 Moscheen soll es gegeben haben, bevor man durch entsprechende Regulierungen die Anzahl auf heute ca. 5000 (davon alleine 500 hier in Taschkent) reduzierte. Wir traben durch die verschiedenen Teile der Moschee, lassen uns erklären, was da alles so gemacht wird (heute zum Beispiel das Freitagsgebet) und schauen uns in einem kleinen Basar auf dem Gelände recht hübsche Handarbeiten an. Punkt eins tönt aus dem Lautsprecher des großen Turms der Moschee der Vorsinger – und hunderte Muslime stimmen ein und erledigen ihre religiösen Verpflichtungen. Mein Problem mit Religionen aller Art ist dem Leser dieser Zeilen sicher bekannt, sofern er auch ein paar andere Reiseberichte von mir gelesen hat. Dies kann nicht der richtige Weg zu einem friedlichen Miteinander der Menschheit sein. Erlasst vernünftige Gesetze und lebt danach! Die zehn Gebote waren schon ein ganz guter Anfang, aber unser Grundgesetz regelt das alles noch bedeutend filigraner und vernünftiger.

Die Parkplätze rund um die Moschee sind vollgestellt von hunderten, wenn nicht gar tausenden kleinen weißen Autos der Marke Chevrolet. Ich weiß nicht, wer die Marke hierher verkauft hat, aber derjenige hat einen sauguten Job gemacht. Rund 90% aller Autos tragen den Markennamen Chevrolet, der allerdings inzwischen dem Daewoo-Konzern angehört. Und weil alle durcheinander parken, haben sich die Autobesitzer eine feine Sache ausgedacht: Auf fast jeder Windschutzscheibe befindet sich innen ein kleines Gerät, das man von außen durch Anklopfen „wecken“ kann. Dadurch wird der Besitzer des Wagens per Funk verständigt, dass seine Gurke irgendwie im Weg steht und er gefälligst sofort zu seinem Gefährt kommen soll.

Ich hab´s nicht getestet, denn wir müssen ja weiter.
Ein jüdisches Museum steht auf dem Programm. Schon wieder Religion. Wir sehen alte Teppiche, Keramiken, Wandgemälde und Holzschnitzereien. Belege vergangener Kulturen. Sicherlich sehr schön, gut erhalten und beachtenswert. Das schaue ich mir dann aber auch gerne mal auf ARTE an, dazu muss ich nicht um die halbe Welt reisen. OK, ich bin vielleicht ein Kulturbanause. Mich interessiert die aktuelle Wirklichkeit mehr als die Vergangenheit. Ich will sehen, wie die Menschen hier leben, wie sie wohnen, was sie verdienen. Von unserer Reiseleiterin höre ich nur, dass etwa 30% der Usbeken arbeitslos sind. Von den 32 Millionen Einwohnern (3 davon wohnen in Taschkent) sind allerdings 8 Millionen in Russland und anderen Ländern beschäftigt. Das bedeutet, dass rund 9 Millionen Usbeken arbeitslos sind.

Wir werden nach dem Besuch des jüdischen Museums jedenfalls erst mal wieder für eine Weile im Hotel geparkt, wo sich übrigens inzwischen noch niemand um das Zimmer gekümmert hat. Ein Teil der Truppe hat noch einen „fakultativen Ausflug“ in eine Keramikfabrik gebucht, was vermutlich eine Art Kaffeefahrt ist. Das brauche ich nicht. Ich brauche Schlaf! Und wenn es nur ein Stündlein ist…

Sechzig Minuten später stehe ich wieder vor dem Hotel. Abholung zum Abendessen. Abendessen? Abendessen um 17.00 Uhr? Ja, das ist der Plan. Immerhin hatten wir kein Mittagessen, sodass jeder Happen sehnlichst gewünscht wird. Um wenn ich die Zeitverschiebung einrechne, sind wir ja eigentlich innerlich immer noch bei 14.00 Uhr good old German time.

Wir fahren in ein riesiges Sportzentrum, in dem junge Athleten in allen möglichen Disziplinen trainieren. Sie stehen rum, haben irgendwelche wichtigen Schilder um den Hals hängen und warten auf irgendwas. Worauf sie warten, erschließt sich uns leider nicht.

Auf dem Gelände gibt es jedenfalls ein sehr, sehr, seeehr großes Speiselokal, in dem man uns bereits sehnsüchtig erwartet. Vier Tische á 10 Personen sind bereits eingedeckt. Der Vorspeisensalat steht auch schon da, hoffentlich noch nicht zu lange. Die Getränke gehen – bis auf das warme Wasser – zu unseren Lasten. Ich bin so blöd und bestelle einen Weißwein. Mhm. Wie soll ich den beschreiben? Schon der Essig-Geruch erzeugt Würgereflexe. Egal, ich bin Gast und trinke, was mir vorgesetzt wird.

Das Essen ist recht abwechslungsreich. Es gibt Suppe, Teigtaschen mit Hackfleischfüllung, Hammel mit Kartoffeln und Salat und zwei Sorten Melone. Um uns das Essen angenehmer zu gestalten, tritt vor der Hauptspeise unvermittelt eine Tänzerin in einem geschichtsträchtigen Kostüm auf. Sie tanzt sehr hübsch zur überlauten Musik und lächelt sich dabei einen Wolf. Na gut, genehmigt. Zum Nachtisch beginnt dann noch eine Liveband, sich im Zweiminutenabstand zu verdoppeln. Also erst eine Art Gitarre, dann eine zweite, dann plötzlich noch ein Schlagzeuger und ein Stehbass. Bevor nun als Nächstes acht Geiger und gar noch eine Bläsergruppe jede Unterhaltung unmöglich gemacht hätte, verlassen wir den Laden.

 

Unsere Reiseleiterin hat es eilig, denn ein Teil unserer Truppe (immerhin 14 Leute!) haben noch einen Besuch im Staatstheater gebucht: ROMEO UND JULIA als Ballett. Die Musik von Prokofiev liebe ich zwar sehr, aber Ballett ist nicht so mein Ding. Und das liegt nicht daran, dass ich in meiner Jugend das ARD-Fernsehballett mit meinen Eltern ertragen musste…
Blöderweise kann man bei „Trendtours“ auch nicht spontan entscheiden, diese fakultativen Ausflüge noch nachträglich zu buchen. Geht nicht, ist nicht vorgesehen, Umsatz verschenkt, dumm gelaufen.
Das waren also die Highlights aus Taschkent, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass so eine Dreimillionenstadt nicht doch noch mehr für Touristen zu bieten hat als Moscheen und jüdische Museen. Aber wir werden ja am vorletzten Tag nochmal hierher zurück kommen. Vielleicht sehen wir dann mehr. Was wir so aus dem Bus heraus gesehen haben, war jedenfalls sehr schön. Wunderbare, breite Allen mit riesigen Grünstreifen dazwischen. Bäume ohne Ende und dadurch eine vergleichsweise saubere Luft, obwohl noch der eine oder andere LADA und viele Dieselautos die Luft verpesten. Alle Bäume (im ganzen Land!) sind übrigens etwa 70cm hoch am Stamm mit weißer Farbe bemalt. Die Farbe enthält ein Insektenschutzmittel und soll Ameisen abhalten. Warum man diese Farbe auch auf Stein- oder Metallmasten aufträgt, bleibt mir allerdings ein Geheimnis. Die Nationen sind hier bunt gemischt, ohne sich gegenseitig zu bekämpfen und sehr freundlich zu uns Touristen. 60% der Einwohner sind unter 25 Jahre alt. Alte Menschen sieht man nur bei den Touristen. Wichtig: Die Sauberkeit. Usbekistan ist extrem sauber. Die Straßen werden ständig von älteren Frauen gekehrt, die vielen Grünanlagen werden durchgehend gewässert und eine großzügige Beleuchtung der Alleen („Straßen“ würde es nicht treffen) sorgt auch nachts für eine Wohlfühlatmosphäre. Usbekistan war bis vor zwei Jahren übrigens das sicherste Land der Welt. Nach dem Tod des damaligen Ministerpräsidenten betreibt sein Nachfolger wohl schon wieder gefährliche Kontaktgespräche mit den No-Go-Areas drumherum, aber er ist dennoch sehr beliebt, weil er eine Unmenge an Neubauten auf den Weg gebracht hat und sich das Bruttosozialprodukt langsam erholt. Die Bestechung ist allerdings wieder im Vormarsch (Platz 157 von 180 Ländern bei „Transparency International“) und die Bevölkerung wird an einer sehr kurzen Leine gehalten. Pressefreiheit gibt es schon gar nicht – viele Journalisten schauen sich das Land durch das Fenster ihrer Gefängniszelle an. Wir als Touristen merken zum Glück davon nichts, aber unsere Reiseleiterin (und meine Google-Nachforschungen) bestätigen das eben Geschriebene.

Wir fahren also zurück ins Hotel, das immer noch keine Zeit gefunden hat, mein Zimmer zu machen. Ich gebe ihnen eine letzte Chance, solange ich runter an die Hotelbar gehe, um bei einem Glas Gin Tonic den Tagesablauf zu notieren.
OK, das mit dem Gin Tonic war nichts. Es gibt kein Tonic-Water in Usbekistan – jedenfalls nicht in diesem Vier-Sterne-Hotel. Wir haben versucht, mit den vorhandenen Softdrinks irgendetwas Vergleichbares zu kreieren – war aber nichts. Ein Tuborg-Bier muss jetzt für die nötige Bettruhe sorgen. Tut es. Jedenfalls das Dritte.

Der dritte Tag

Um 5:30 Uhr Ortszeit bimmelt mich mein iPhone aus dem Tiefschlaf. Also rund 24 Stunden nach meiner Ankunft müssen wir das Hotel wieder verlassen. Vielleicht räumt ja jetzt irgend jemand das Zimmer auf. Ein puritanisches Frühstück (Kaffee, Banane und ein Joghurt) muss reichen. Was anderes gibt es um diese Uhrzeit auch gar nicht.

Beim Auschecken bekommen wir einen kleinen Zettel abgestempelt, der Ort und Dauer unseres Aufenthalts dokumentiert und für die Ausreise im Pass abgelegt werden muss. So prüft der Staat, ob wir vielleicht heimlich irgendwo hingefahren sind, wo man nicht hin darf. Vielleicht prüfen sie auch nur, ob die Hotels ihre Einnahmen ordentlich angeben.

Heute geht es mit dem Zug nach SAMARKAND. Unser Bus kommt relativ pünktlich um halb sieben. Und mit ihm eine neue Reiseleiterin. „Lina“ ist um die sechzig, Russin, wohnt aber schon seit 30 Jahren in Usbekistan. Mit ihrer Kurzhaarfrisur, ihren harten Gesichtszügen und Ihrer schnarrenden Stimme im Befehlston könnte sie sehr gut eine russische KGB-Agentin in einem James-Bond-Streifen abgeben. Vor allem aber ist sie müde, was für Reisebegleiter in diesem Land ein Dauerzustand zu sein scheint. Die letzte Reisegruppe hat sie erst um zwei Uhr zum Flughafen gebracht. Als erste Amtshandlung sammelt sie Trinkgelder für unseren Busfahrer ein. Ich gebe 50.000 Euro, quatsch SO´M, wie hier die Währung heißt. Das sind knapp 5 Euro und für ein Trinkgeld eigentlich viel zu hoch. Aber egal, kleinere Scheine habe ich sowieso nicht. Am Bahnhof werden wir mit unseren Koffern wie auf einem Flughafen kontrolliert, wenn auch nur sehr lasch. Es sind inzwischen schon wieder 20 Grad mit der Tendenz nach oben.
Unser Zug ist natürlich pünktlich und hochmodern. Er ist bereits eine halbe Stunde vor der Abfahrt eingelaufen. Wir fünf „Externen“ sind auch hier wieder vom Rest der Gruppe isoliert und sitzen in einem eigenen Abteil, direkt neben dem Bordrestaurant. Gerade als ich überlege, dieses aufzusuchen, um vielleicht doch noch was Frühstücksmäßiges zu bekommen, rollt wie im Flugzeug ein Servicewagen vorbei. Die freundliche Bedienung versorgt uns mit einem Becher heißen Wassers und einer Tüte mit lauter feinen Dingen: Kaffeepulver, Teebeutel, Milchpulver, Zucker, Löffel, Reinigungstuch und vor allem einem „Würstchen im Schlafrock“. Damit ist der erste Hunger erst einmal gestillt. Und umsonst war´s auch noch.

Die Bahn kommt genau zwei Stunden und 11 Minuten später pünktlich in SAMARKAND an. Das ist eine Stadt mit etwa 300.000 Einwohnern. Außerdem gibt es hier gleich zwei der bedeutendsten Bauwerke aus alten Zeiten zu sehen. Da wäre zum einen das Grab eines grausamen antiken Feldherren namens Amir Temur, der gerne mal Pyramiden aus Menschenschädeln errichten ließ. Hier lag er nun, zusammen mit seinem Sohn und Nachfolger, der wiederum von dessen Sohn geköpft wurde, weil er die Macht nicht an seinen Nachwuchs weitergeben wollte. Waren schon wilde Zeiten damals. Das Grabmal sieht eigentlich der Moschee von gestern ziemlich ähnlich. Ich kann mich aber auch täuschen, weil sich diese Riesenbauwerke alle irgendwie ähneln.

Die nächste Sehenswürdigkeit sieht wieder fast genauso aus. Nur handelt es sich diesmal um eine ehemalige Koranschule, genauer gesagt, mal wieder um eine Moschee mit diversen Nebengebäuden. Das riesige Gelände heißt „REGISTAN“. Wir verbringen gut eineinhalb Stunden in den vielen unterschiedlichen Gebäuden, lauschen einheimischen Musikern, besuchen Dutzende kleine Läden mit Handarbeiten, staunen über die schiefen Türme (Der Untergrund verschiebt sich ständig!) und warten auf das Mittagessen, das tatsächlich eine sehr angenehme Überraschung mit sich bringt. Für umgerechnet sieben Euro bekommen wir mehrere Vorspeisen, eine Hauptspeise und den obligatorischen Nachtisch. Ich habe keine Ahnung, was ich da alles gegessen habe, aber es war lecker. Es war viel durchgekochtes Gemüse dabei, Hackfleisch vom Hammel und Rind und sehr schön feste Kartoffeln. Dazu ein eiskaltes Bier vom Feinsten. Das mit dem Wein lasse ich hier mal besser sein…

Nach dem Essen lernen wir endlich unser neues Hotel kennen. Wundersamer Weise passen wir alle rein. Es heißt „KARVONS HOTEL“ und ist eine Bruchbude.

Mein Einzelzimmer direkt unter dem Dach ist so groß wie eine Gefängniszelle. Die Stromleitungen sind auf die Wände aufgetackert, der Fußboden besteht aus sich auflösendem Laminat. Der Kleiderschrank hat keine Knöpfe zum Öffnen mehr. Die Vorhänge lassen sich nicht lichtdicht verschließen und die Batterie der Fernbedienung für die Klimaanlage ist leer. Die Dusche ist undicht, sodass das gesamte Duschwasser unter der Duschwanne wieder hervorkommt und das gesamte (kleine) Bad unter Wasser setzt. Das Waschbecken ist nur auf den Untersatz aufgelegt und das Klo kippt nach vorne, wenn man sich draufsetzt. Dass das Türschloss verkehrt herum eingebaut wurde und die Klobrille jeden Moment abbricht, spielt da nur noch eine periphere Rolle. In anderen Zimmern fehlt mal ein Nachttisch oder eine Nachttischlampe. Die Deckenleuchten kann man vom Bett aus nicht ausschalten und die Schalter befinden sich ca. 50 cm über dem Boden neben der Eingangstür. Der Hammer aber ist, dass die Betten nur teilweise bezogen sind! Jawohl, es gibt eine Art Kissen und auch ein Bettlaken Der Bezug der Bettdecke liegt allerdings zusammengefaltet am Ende des Betts. Außerdem ein weiteres Laken und eine Überdecke. Diese Do-it-Yourself-Philosophie in der Gastronomie ist mir neu. Natürlich steht auch keine Wasserflasche bereit, was das Zähneputzen zu einem nicht geringen Risiko macht. Das ganze Gebäude sieht zwar von außen wunderbar aus, hat aber innen an allen Ecken und Enden größere Macken. So sind die Stufen im Treppenhaus (natürlich gibt es keinen Lift!) unterschiedlich hoch, was einen gerne zum Stolpern bringt. Alle Schalter und Steckdosen sind auf unterschiedlicher Höhe angebracht und in der Regel auch nicht im rechten Winkel, sondern mal nach links, mal nach rechts drehend. Ich habe das Gefühl, die noch recht jungen Inhaber des Hotels haben den Kasten selbst zusammengebaut, nachdem sie ein paar Stunden in der Lehre waren.
Wir haben nicht viel Zeit, uns zu beschweren, denn das Programm geht weiter. Der Besuch einer Seidenteppichmanufaktur steht im Plan. Also mal wieder eine Kaffeefahrt, sollte man meinen. Aber der afghanische Verkäufer, Abdullah, der während des Afghanistan-Krieges in einer deutschen Schule ein hervorragendes Deutsch gelernt hat, macht seinen Job mit einem solchen Spaß, dass er damit als Comedian auf Tour gehen könnte. Er ermuntert uns sogar, die Muster der Teppiche abzufotografieren, damit wir zu Hause am Wochenende in unserer Freizeit einen eigenen Teppich knüpfen könnten. Im Grunde ist die Show nicht anders als bei meinen beiden Besuchen in der Türkei, aber Abdullah macht es einfach bedeutend symphatischer. 1000 Leute werden hier im Laufe eines Tages durch die Räume geschleust, in allen Sprachen dieser Erde. Darunter auch Putin, Steinmeier und Hilary Clinton. Die Bilder scheinen jedenfalls echt zu sein.
Natürlich kauft sich keiner einen Teppich, was bei Preisen ab 1000 Dollar für Kleinkram bis hin zu 100000 Dollar für besonders edle Teile auch kaum verwunderlich ist. Die Zeit der Orientteppiche ist – zumindest in Deutschland – vorbei, obwohl meine Mutter nach wie vor von der Langlebigkeit dieser Produkte (im Vergleich zu meinen Autos) überzeugt ist.

Also wieder zurück ins Hotel. Kurz frisch machen. Dann schon wieder Essen. Diesmal nicht so dolle. Alles geht rasend schnell, als wollte man uns sofort wieder loswerden. Das Essen gleicht dem vom Mittag, ohne jedoch genauso gut zu schmecken. Salz fehlt z.B. völlig. Da unsere 39-köpfige Gruppe sich so langsam auf der Straße wiedererkennen würde, bilden sich inzwischen auch kleine Grüppchen. Wer sind denn die Leute, mit denen ich durch das wilde Usbekistan reise? Wir sind wohl sieben Alleinreisende und 16 Paare, bis auf einen Ausrutscher fast allesamt gut jenseits der sechzig. Gefühlt manche schon eher achtzig. Eine Dame aus Bad Nauheim läuft wegen Hüfte/Knie mit zwei Stöcken, ein Herr aus Krefeld wegen Kreuzkaputt mit nur einem Stock, dafür nur in Trippelschrittchen rum. Er ist aber auch schon 81. Seine Frau ist sehr viel jünger. Chapeau! (Für ihn, nicht für die Frau!). Der älteste Mitreisende ist gar 88 Jahre alt. Die Herren haben bis auf wenige Ausnahmen Übergewicht, die Damen nur zum Teil. Man kommt aus ganz Deutschland, natürlich auch aus dem Osten Deutschlands. Unser Youngster, Andreas aus Augsburg, bringt die Truppe immer gerne wieder in Schwung. Fünf Raucher (darunter auch Andreas) stehen regelmäßig vor den Restaurants auf der Straße, um ihr mitgebrachtes Qualmzeug zu rauchen. Alex hat so eine moderne Computerzigarette, die direkt nur den Tabak verbrennt und 30% weniger Schadstoffe haben soll. Wären mir immer noch 30% zu viel. Beim gemeinsamen Essen oder abends auf der Hotelterrasse kommt man sich näher und erzählt aus seinem Leben. Bis jetzt gab es keine Querköpfe oder Unsympathen in der Gruppe. Mit allen lässt es sich gut aushalten. Das mag daran liegen, dass meine Toleranzschwelle im Laufe der Jahre gesunken ist oder dass es sich wirklich um nette Leute handelt. Der Slogan von „Trendtours“ lautet ja: „Verreisen mit netten Leuten“. Ich nehm´s wie´s ist und schiele nur ein ganz klein bisschen neidisch auf die italienische Reisegruppe, die wir auch ständig überall wiedersehen. Da sind wirklich vier Generationen zusammengewürfelt.

So, inzwischen haben wir aufgegessen und fahren mal wieder mit dem Bus ins Hotel. Da vor dem REGISTAN (diese Moscheeähnliche Koranschule) heute Abend eine Open-Air-Veranstaltung mit berühmten Sängern (Oper), einem riesigen Live-Orchester und einer wahnwitzigen Lightshow stattfindet, machen wir da für einen Teil von uns nochmal halt und schauen uns das Spektakel aus 50 Meter Entfernung an. Tolles Orchester, toller Sänger. Tolle, schöne Menschen beiderlei Geschlechts säumen den Platz und die Wege. Toller Abschluss des dritten Tages. Die dreihundert Meter bis zum Hotel laufe ich zu Fuß. Und weil alles so schön ist, setze ich mich noch in den Hotelgarten und will ein bisschen an diesem Text feilen. Aber da kommen schon die anderen ebenfalls von dem Konzert zurück, setzen sich zu mir und helfen mir, eine weitere Flasche Bier zu leeren. Danach wird es richtig kalt und Zeit für die Heia.

Da die Klimaanlage immer noch läuft, ist es auch im Zimmer jetzt sehr kalt. In Verbindung mit der fehlenden Bettdecke habe ich eine sehr unruhige Nacht mit sehr merkwürdigen Alpträumen. Aber die behalte ich besser für mich.

Der vierte Tag

Sechs Uhr dreißig Wecken. Das geht ja noch. Ich bin froh, mich wieder anziehen zu dürfen. Im Bad wieder der Schock mit dem austretenden Duschwasser. Ich bin heute irgendwie sehr langsam und komme erst fünf Minuten vor der Abfahrt ins Frühstücksrestaurant. Dort sitzen noch einige unserer Tour-Teilnehmer und jammern vor sich hin. Den Kaffee kann man nur einzeln beim Kellner bestellen. Mit ein bisschen Glück bekommt man ihn dann eine Viertelstunde später, da er in einer Espressomaschine hergestellt wird und nur tropfenweise aus dem Gerät kommt. Also Tee. Teebeutel, genauer gesagt. Brot gibt es nicht mehr. Aber noch zwei Scheiben Wurst und ein Mini-Bockwürstchen. Käse: Nein danke. Eier? Schon lange aus. Butter hätten wir noch. Und Gulasch mit Kartoffeln, das langsam aber sicher in die Tage kommt und besser an die Hühner verfüttert werden sollte. Vier Stewardessen und zwei Piloten kommen auch mit mir zum Frühstück. Auch für sie gibt es nichts mehr. Ich möchte kein Fluggast sein, der von dieser Crew heute geflogen wird. Gerade als ich aufgeben will, kommt einer der beiden Jungs zurück von einem Lebensmittelgeschäft auf der anderen Straßenseite und bringt eine große Tüte mit Äpfeln mit, von denen ich mir einen ergattern kann.

Und damit beginnt unser Mammutprogramm für diesen Tag. Ich habe meine Kleidung den anderen Herren angepasst und auch auf “Kurze Hose“ umgestellt , weil es ja nun wirklich jeden Tag wunderbar warm wird.

Wir beginnen zur Abwechslung mal mit dem Besuch einer Seidenpapierfabrik. Fabrik ist nicht das richtige Wort, da das teure Seidenpapier hier von Hand hergestellt wird. Ein paar clevere Usbeken haben sich das Geheimnis der Herstellung patentieren lassen und beliefern inzwischen Behörden im In-und Ausland mit diesem widerstandsfähigen, fast unzerreißbaren dokumentenechten Papier. Wir schauen uns die Herstellung an und bekommen dafür auch noch ein Schälchen Tee gereicht. Die Zuckerwürfel haben übrigens die Form eines Seidenraupencoupons. Während der vier Touristenmonate (April/Mai und September/Oktober) ruht die Produktion. Dann läuft nur ein Touri-Programm mit diesen interessanten Vorführungen. Da das Papier mit den Blättern des Maulbeerbaums produziert wird, stehen auch hunderte dieser Bäume zum „Ernten“ um die Produktionsstätte herum. Außer Papier kann man noch eine Menge anderer Dinge mit dem Verfahren herstellen: Taschen, Mäntel, Kleidung, Püppchen und jede Menge Schnickschnack. Wir kaufen nix und fahren weiter.

Ein antikes Planetarium steht auf dem Programm. Irgendein Krieger, der sich sehr für Astronomie interessierte, hat monatelang nach einer Art Himmelsfernrohr gesucht und schließlich auch gefunden. Das Gestell für dieses Riesenmonster wurde in zwei halbrunden Aussparungen ca. 15 Meter unter der Erde hin und her bewegt (von entsprechend ausgebildeten Sklaven vermutlich, denn das Ding muss sehr, sehr schwer gewesen sein!). Der Lichtschein der Himmelskörper spiegelte sich dann auf dem Boden des „Objektivs“ (oder wie immer man das nennen soll). Auf diese Weise hat der feine Herr rund 1600 Sterne entdeckt, bzw. deren Laufbahn genau beschrieben. Die Abweichung betrug nur +/- ein Grad! Neben der Ausgrabung gibt es auch noch ein modernes Museum, in dem man noch sehr viel mehr über die Technik dieser Himmelsentdeckung erfahren könnte, wenn uns nicht der Tagesplan zum nächsten Veranstaltungsort getrieben hätte: Ein Mausoleum.

Nein, nicht EIN Mausoleum. Eine ganze Straße voller Mausoleen. Alle mindestens so groß wie ein dreistöckiges Haus. Wie überall, auch hier mit blauen Mosaiken verziert. Man darf die Räume sogar betreten, aber außer einem Steinklotz in Form eines Sargs ist da nicht viel zu sehen. Auf manchen Sarkophargen liegen sogar dicke Geldbündel drauf, obwohl dies verboten ist. Erstaunlicherweise scheint sich keiner zu trauen, dieses Geld zu mopsen.

Nach dem Mittagessen, an das ich mich schon gar nicht mehr erinnern kann, geht es weiter zu einer kaputten Moschee namens Bibi-Chanum. So langsam bringe ich die vielen Moscheen durcheinander. Ein paar werden noch benutzt, andere dienen als Basar. Es sind auf jeden Fall zu viele. Auf einem der vielen Basare beenden wir das heutige Programm. Was gibt es zu kaufen? Einfach gesagt: Nichts, was wir wirklich brauchen. Fellmützen für den Winter wären zwar zu erwägen, aber mit den hunderttausenden von Seidenschals jedweder Qualität kann ich nichts anfangen. Sie stehen mir einfach nicht.

Auch heute bekommen wir wieder ein wunderbares Abendessen. In der Regel besteht so ein Mahl aus drei bis vier Vorspeisen (Gekochtes Gemüse, Salate, irgendwas Undefinierbares), einer Suppe, einer Hauptspeise und einem Nachtisch. Wasser ist frei, aber die Getränke, meist Bier, müssen wir selbst bezahlen. Was bei ca. 2 Euro für 0,5 Liter auch nicht schwer fällt.

Zurück in unserem Bruchbudenhotel bildet sich noch eine Gruppe von ca. zehn Teilnehmern, die den Tag bei fröhlichen Gesprächen ausklingen lassen wollen. Leider gibt es nur insgesamt 8 kalte Biere. Danach nur noch warme. Mit einer improvisierten Eistruhe lässt sich das Problem immerhin teilweise übergehen.

Der fünfte Tag

Das Frühstück ab sieben Uhr gestaltet sich wie gewohnt sehr einseitig. Statt Kaffee aus der Espressomaschine gibt es heute Kaffeepulver und heißes Wasser. Sonst gibt es fast nichts mehr, als ich hinzustoße. Unsere Reiseleiterin, Oberst Lina, hat erst gegen Mitternacht ein Hotel gefunden. So lange hat man sie hingehalten, dass doch noch etwas frei werden würde. Die Zettel für die Aufenthaltsbestätigung sind ebenfalls noch nicht gedruckt. Gleich zwei Crews der Usbekischen Fluggesellschaft „Usbekistan Airlines“ befinden sich in lautstarken Streit mit der Geschäftsleitung. Aus nahezu allen Duschen tropft das Wasser inzwischen durch die Decke nach unten.

Wie kann man so ein Juwel so in den Keller fahren? Das Gebäude ist sehr schön, modern und extrem gut gelegen, nämlich nur 10 Minuten zu Fuß von der größten Touristenattraktion, dem Registan, entfernt. Das Restaurant bräuchte nur ein wenig Licht und weniger dunkle Teppiche an den Wänden. Die Zimmer ließen sich für vergleichsweise wenig Geld wieder in Schuss bringen. Was fehlt, ist ein Manager, der Ahnung vom Hotelbetrieb hat und in der Lage ist, Personal zu führen. Ach so, das Personal sollte auch aus der Branche kommen, sonst dauert es ja ewig.

Egal – das ist nicht unser Problem. Wir verlassen diese ansonsten wunderschöne Stadt mit diesen wunderschönen, sehr freundlichen Menschen und haben eine Tagesreise mit dem Bus vor uns. Heute Abend wollen wir in Bughara sein, 130.000 Einwohner.

Die Fahrt im Bus ist recht beschwerlich, da die Straßen in keinem wirklich guten Zustand sind. Es gibt immer mal ein paar Kilometer, auf denen unser Fahrer Gas geben kann, aber in der Regel schleicht er nur so um die Schlaglöcher. Zu sehen ist wenig. Hie und da ein landwirtschaftlicher Betrieb, in der Regel nur Wiesen und Bäume (Die brav einen weißen Baumstamm angemalt bekommen haben).
Zwischendurch müssen wir einen Nothalt durchführen. Einer der Gäste hat ein Malheur mit seiner Hose gemeldet. Auf deutsch: Er hat reingeschissen und ist damit das erste Opfer der ängstlich erwarteten Magen/Darm-Grippe, die einen hier leicht befallen kann.
Um die Hose wechseln zu können, muss der Fahrer zunächst seinen Koffer aus dem Bus fischen. Dann dackelt der Ärmste so weit es geht von dem Bus weg, um hinter einem Busch den Rest seines Geschäfts zu machen und dann mit neuer Hose (die alte hat er gleich weggeworfen) wieder zurück in den Bus zu kommen.
Shit happens.

Immerhin ist unser Kommandeur Lina nun in ihrem Element, weil wir ihr ja im Bus nicht weglaufen können. Sie erzählt uns lustige Geschichten aus lustigen Büchern, die von einer Art Till Eulenspiegel handeln. Ihre Laune bessert sich auch deshalb, weil wir in Richtung Heimat fahren. Lina ist ja vor 30 Jahren aus Russland nach Bughara versetzt worden, um den Kindern russisch beizubringen, wie wir jetzt schon das dritte Mal hören.
Das Mittagessen findet bei einer Familie zuhause statt. Ja, so ist es. Viele Familien sind Großfamilien mit sehr großen Häusern, Räumen oder Innenhöfen, in denen sie normalerweise ihre Hochzeiten feiern. Eine Hochzeit mit 200 Leuten ist geradezu popelig, so ab 1000 gehört man dazu. Und weil man sonst mit den riesigen Höfen nicht viel anfangen kann, vermietet man sie an Touristen zum Mittagessen. Das Ganze wird wohl auch kontrolliert, so dass man sicher sein kann, dass mit dem Essen alles in Ordnung ist. Ist es das wirklich? Am Nachmittag haben wir nämlich schon ein zweites Opfer. Wir kommen uns vor wie bei Agatha Christies „Zehn kleine Maximalpigmentierte“ (Negerlein). Wen wird es noch treffen?
Mir geht es weiterhin magenmäßig ausgezeichnet. Nur mein Schnupfen wird immer stärker, was wohl daran liegt, dass ich meine Allergietabletten nicht genommen habe. Und warum habe ich die nicht genommen? Weil ich die zusammen mit meiner ganzen Reiseapotheke im Hotel in Taschkent im Bad liegen gelassen habe. Wenn meine Ärztin das liest, bekommt sie sicher einen Schreikampf. Aber keine Angst, Anna, ich lebe noch und habe auch inzwischen Ersatzmedikamente besorgt, die z. B. meinen hohen Blutdruck senken sollen. Da wir am Samstag nochmal in Taschkent übernachten werden, kann ich mir meine Reiseapotheke aber am vorletzten Tag wieder in dem Hotel abholen, in dem sie inzwischen gefunden und für mich aufbewahrt wird.

Nach dem Essen stehen uns weitere fünf Stunden Busfahrt bevor. Füllen wir sie mit ein paar interessanten Facts.
Usbekistan hatte 2017 erstmals eine Million Touristen. Das Land ist 447 qkm groß, genauso groß wie Schweden. Aufgeteilt ist es in 12 Provinzen und eine Sonderprovinz rund um den ARAL-See. Den dürfen wir übrigens nicht besuchen, weil er streng bewacht wird. Drei Länder haben Zugriff auf das lebenswichtige Wasser des Sees. Leider entnehmen alle Länder soviel Wasser wie es nur irgendwie geht, so dass der Grundwasserpegel inzwischen gefährlich gesunken ist. Was passiert, wenn das Wasser alle ist, möchte ich mir nicht in meinen schlimmsten Träumen vorstellen. Dass das ohne Krieg geregelt wird, halte ich für ausgeschlossen. Danke, Nestlé & Co!

Geschrieben wird sowohl in lateinischer als auch kyrillischer Schrift, obwohl die seit 1991 nicht mehr gelehrt werden darf. Die Grundschule und die weiterführende Schule sind kostenlos, ab der Universität kostet der Unterricht aber Geld. Die Schule dauert mindestens neun Jahre. Man lernt ab der zweiten Klasse russisch und ab der dritten wahlweise deutsch oder englisch. Tatsächlich sprechen viele junge Usbeken ein gerade so brauchbares Englisch. Deutsch sprechen nur manche Kellner. 65% der Bevölkerung lebt auf dem Land und von der Landwirtschaft. Während es früher normal war, bis zu zehn Kinder zu bekommen, versucht man inzwischen, die Frauen diskret auf moderne Verhütungsmethoden einzustimmen. Mit Erfolg: Die Geburtenrate ist auf 3,8 Kinder zurückgegangen. Auch noch ´ne Menge, aber die Richtung stimmt ja. Und das Land hat viel Platz. 90% aller Usbeken sind Muslime. Allerdings läuft hier (fast) niemand verschleiert herum. Es ist ein – zumindest für unsere Augen – sehr freies tolerantes Miteinander zu beobachten. Wenn man als Europäer in so ein Land kommt, bekommt man ein ganz leichtes Gefühl davon, was es heißt, ein Fremder zu sein. Noch sind wir willkommene Fremde, weil wir ja auch gleich wieder abreisen. In Spanien ist es schon gekippt. Auf Mallorca wehren sich die Einheimischen inzwischen lautstark gegen die vielen deutschen und englischen Touristen, die ihre schöne Insel überrollen und hier billig überwintern. Aber ich schweife ab.

Wir sind nämlich inzwischen in Bughara angekommen. Bis auf den Kern der Altstadt wurden vor zwei Jahren alle Gebäude abgerissen und außerhalb wieder neu aufgebaut, natürlich in „modern“. Da steht da jetzt ein Haus neben dem anderen, ohne dass man auf den ersten Blick einen Unterschied zwischen den Häusern erkennen kann. Es gibt auch moderne Geschäftsstraßen, breit und großzügig angelegt mit Alleenbäumen. Wie gesagt, wurde das alles innerhalb von zwei Jahren von der (neuen) Regierung durchgezogen. Wahrscheinlich mit dem Erlös der riesigen Gasvorkommen, die es hier im Lande gibt.
Wir schauen uns die Neustadt aber gar nicht erst an, sondern halten kurz an unserem neuen Hotel „Alibaba“. Um Kalauern vorzubeugen: Es gab keine Räuber, schon gar keine vierzig. Der etwas ältere Kasten war sehr gemütlich eingerichtet. Die Zimmer zwar klein, aber zweckmäßig, die Betten knochenhart, Klimaanlage, Telefon, Fernseher – alles vorhanden. Man kann sogar die Fenster öffnen, weil Fliegengitter daran befestigt sind. Bei der Gelegenheit: Insekten scheint es auch hier nicht mehr zu geben. Ein paar Fliegen, das ist alles. Nachdem wir alle ausgepackt und uns frisch gemacht haben, fährt uns der Bus schon weiter in die Altstadt, bzw. vor die Tore derselben. Wir laufen ein paar Meter und sind plötzlich mitten in einem Touristenparadies. Ein kleiner künstlicher Teich wird umrandet von Speiselokalen, und die daran anschließende Flaniermeile beherbergt Dutzende von Geschäften mit dem üblichen Touristenkrempel. Aber auch mehr, wie sich bald herausstellen wird. Natürlich stehen irgendwelche Moscheen in Reichweite rum, aber darum geht es heute Abend ja nicht. Wir sind zu einem Abendessen in einem jüdischen Haus aus dem 19. Jahrhundert verabredet. Das Essen gehört zur gebuchten Halbpension, die Biere kosten 20.000 So´m, also 2 Euro für 0,5 Liter. Wie (fast) überall. In unserem neuen Hotel wandert die Flasche schon für 7.000 über die Theke, also rund 70 Cent. Die Beschreibung des Essens kann ich mir ab jetzt schenken, da es doch immer auf dieselbe Speisefolge hinausläuft. Lecker ist es immer, aber ist es auch bekömmlich? Wir haben inzwischen schon drei Ausfälle…
Nach dem Essen bringt uns der Bus wieder brav ins Hotel zurück. Es ist erst neun Uhr, sodass sich ein paar Unbeirrbare noch zu einem weiteren Bierchen im Innenhof des Hotels treffen. Ich gehöre natürlich auch dazu, verschwinde aber vor der zweiten Runde.
Der Schlaf auf dem knochenharten Bett ist recht ungewohnt, ich werde zigmal wach.

Der sechste Tag

Wie die Zeit vergeht. Wir haben schon mehr als die Hälfte hinter uns. Jetzt haben wir aber erst einmal sehr viel vor uns. Also nicht alle. Inzwischen haben wir schon FÜNF Magenkranke. Der gesunde Rest hakt nun zu Fuß folgende Sehenswürdigkeiten ab:

  1. Ein superhohes Minarett, das auch nachts hübsch leuchtet.
  2. Eine Koranschule
  3. Ein Geschäft für gewebte Seidenstoffe (inkl. Toilettengang)
  4. Ein Basar mit allem, was man nicht braucht
  5. Eine russische Kirche
  6. Eine weitere Koranschule (es gibt davon 32 Stück, aber nur diese ist in Betrieb!)
  7. Ein Geschäft für ultrascharfe Messer und Klingen (gut fürs Handgepäck im Flugzeug
  8. Ein deutsches Cafe, das von einer Mannheimerin geführt wird
  9. Einen weiteren Teppichladen

Dann gibt es endlich mal wieder was zu Essen, diesmal direkt an dem kleinen Wasserbecken im Zentrum. Am Nachmittag stehen dann noch folgende Programmpunkte auf dem nicht enden wollenden Programm:

  1. Eine Moschee (in Betrieb) mit 20 Holzsäulen
  2. Ein weiteres Mausoleum.
  3. Ein Laden mit Handpuppen und entsprechender Vorführung
  4. Eine Teepause (!)

Diese Pause nutze ich, um mir endlich eine usbekische SIM-Karte zuzulegen. Einer der Handpuppenspieler hat mir nämlich verraten, wo ich sie bekomme. Wer nicht weiß, was eine SIM-Karte ist, möge bitte seine Kinder fragen. Also tapere ich durch die schmalen Gässchen hinter der Touristenmeile, um das Geschäft zu finden. Ich finde leider nichts, auch nicht den Rückweg. Da sehe ich plötzlich einen uniformierten Mitarbeiter der UZ-Telekom mit seinem Rad vor mir. Ich spreche ihn an, aber er versteht nur Bahnhof, ist aber so freundlich, seine Frau rauszurufen, die des Englischen mächtig ist. Die sehr hübsche Usbekin sagt mir, es gäbe ein Geschäft namens „Market“, wo man meine Wünsche erfüllen könne. Und dann geht sie mit mir den langen Weg bis zur Touristenhauptstraße zurück, den ich alleine gar nicht gefunden hätte. Ich bin versucht, ihr ein Trinkgeld zu geben, aber das hätte sie sicher als unhöflich empfunden – sie wollte mir ja nur helfen. Also stehe ich da auf dieser Touristenmeile und suche einen „Market“. Eigentlich ist die ganze Straße ein Market, wie soll ich da herausfinden, wo es hier SIM-Karten gibt? Ich bin etwas verzweifelt, weil ich unseren vorletzten Programmpunkt, eine Folklore-Show mit Modenschau, nicht verpassen will. Plötzlich sehe ich das Schild „Market“, von oben nach unten geschrieben. Es scheint sich aber um einen Lebensmittelladen zu handeln. Egal, ich gehe rein und frage den Verkäufer nach einer SIM-Karte. Und siehe da: Er weist mich in eine Ecke des winzigen Ladens, wo eine rundliche, aber hübsche junge Usbekin, umringt von Bildschirmen und Laptops, das Telefongeschäft erledigt. Mein Wunsch nach einer SIM-Karte ist ihr nicht fremd. Sie fragt nach meinem Pass, den ich natürlich schon vorher aus dem Hotel mitgenommen habe. Und während sie die ganzen Daten meines Passes buchstabengetreu in ihren Rechner tippt, kommen ständig irgendwelche Einheimische, die ihre Telefonkarte aufladen wollen. Vermutlich geht das nicht automatisch über Bankkonten, sondern nur per Bargeld. Die Beträge, die da so eingezahlt werden, sind erstaunlich gering. Umgerechnet 20 Cent bis maximal 75 Cent werden da zum Auffüllen über die Theke gereicht.
Das Einrichten meiner SIM-Karte im iPhone geht dann erstaunlich schnell. Das Mädel hat zwar noch nie ein iPhone X gesehen, weiß aber genau, wo sie drücken muss, um die nötigen Zahlenkolonnen einzugeben. Nach zwei Minuten bin ich im Internet. Ich habe eine 4 Gigabyte-Karte gekauft und dafür unglaubliche 6,40 Euro bezahlt. Und das Schönste: Die UZ-Telekom schenkt mir als neuen Kunden noch weitere 4 Gigabyte dazu. Das sollte wohl für den Urlaub reichen.
Nur telefonieren kann ich mit der Karte nicht. Dafür habe ich aber das Programm „Satellite“ auf dem Telefon, mit dem man in der ganzen Welt kostenlos telefonieren kann, 90 Minuten pro Monat. Eine tolle Sache.

Die Folklore-Show hat schon angefangen. Vor vollem Haus in einer ehemaligen Moschee treten abwechselnd Models mit landestypischen Klamotten oder Tänzerinnen mit landestypischen Tänzen auf. Dazu spielt eine Live-Band, recht ordentlich sogar.

Nach sechzig Minuten ist der Spuk vorbei – es wird mal wieder Zeit, etwas zu essen. Unsere Reiseleiterin Lina (sie heißt tatsächlich sogar „Angelina“) hat sich ein Restaurant auf einem Dach ausgesucht, irgendwo in dem Viertel mit den vielen Moscheen, Minaretten oder Mausoleen. (Wer soll sich das alles merken?)
Leider, leider pfeift der Wind so kalt, so dass wir uns nacheinander in Tischdecken einwickeln, um nicht frühzeitig an Schwindsucht einzugehen. Zum Essen Bier und einen Wodka.
Und nach der Rückkehr ins Hotel wieder ein kurzer Plausch mit meinen Mitreisenden im Innenhof des Hotels – bei einem weiteren leckeren Bier.
So ein ereignisreicher Tag macht müde. Noch ein Stündchen E-Mails beantwortet und dann tief und fest geschlafen – trotz der Betonmatratze.

Der siebente Tag

Auch an unserem letzten Tag in dieser wunderschönen Stadt Bughara dürfen wir ausschlafen. Abfahrt ist erst um halb zehn. Als erstes besuchen wir mal wieder irgendein riesiges Grabmal. Außerdem gibt es hier wohl die einzige Frauenmoschee des Landes. Wir lernen, dass nur die Männer beten gehen. Die Frauen hüten derweil die Kinder, waschen die Wäsche und kochen das Essen. Wie es schon früher war. Und hier eben immer noch ist. Übrigens tragen die muslimischen Männer hier alle keine Bärte, was ihnen deutlich besser steht als diese angstmachende Islamisten-Haartracht bestimmter Volksgruppen, die es hier (derzeit) zum Glück nicht gibt.

Der nächste Programmpunkt ist das Haus eines ehemals sehr reichen Kaufmanns namens Faysulla. Es ist schon ein bisschen in die Jahre gekommen, und Faysulla wurde schon lange aus irgendwelchen Gründen geköpft, aber man sieht es immer noch als etwas Besonderes an. Besichtigen können wir nur das Frauenhaus. Das Männerhaus ist schon zerfallen. Völlig klar, dass kein Mann diesen Frauenhof (und die zugehörigen Zimmer) jemals betreten durfte, ohne sein Leben auf unschöne Weise beenden zu müssen. Als wir da sind, dreht ein junges Brautpaar gerade einen Hochzeitsfilm für die buckelige Verwandschaft auf dem Lande. Wir sind Zeuge, wie die Braut Teig in den Ofen steckt und dann ein fertiges Brot wieder heraus nimmt. Die Backzeit wurde als Filmtrick einfach übersprungen. Sie legt das Brot ihrem Göttergatten zu Füßen und macht ihm schöne Augen.
Schöne Augen haben die Mädels hier fast alle. Das macht wohl der persische Einfluss. Bei den russischstämmigen Damen sieht es allerdings wieder anders aus. Die Mischung vielen verschiedenen Volksstämme hat jedenfalls im Schnitt wirklich absolut vorzeigbare Exemplare hervorgebracht. Infolge der vielen gebackenen Brote gehen die Damen und Herren allerdings im Alter wieder auf wie Hefe, aber ist wohl der Lauf der Dinge. Wenn man im Schlachthaus sitzt, soll man nicht mit Schweinen werfen.

Weiter geht´s zur Abwechslung mal wieder zu einer inaktiven Koranschule, die man inzwischen nur noch nickend zur Kenntnis nimmt. „Studiosus“-Reisende müssen da schon mal einen zweistündigen Vortrag in Kauf nehmen. Lieber schauen wir uns bei einem Kriegsmemorabilien-Händler um, der zentnerweise russische Orden und Pistolen, Messer und anderes Kriegsgerät anbietet. Hier findet man auch einige gut erhaltene Schwarz/weiß-Fotos aus der Zeit des russischen Reiches, zu dem dieses Land ja sehr lange gehört hat. Die ersten Mützenkäufe finden statt.

Ein paar Worte zur Wasserversorgung: Hier gab es früher mal 97 Teiche, die aber bis auf fünf zugeschüttet wurden. Warum? Nun, diese Teiche waren mit üblen Viechern kontaminiert, die es fertig brachten, sich im Körper des Menschen breit zu machen und bis zu 2 Meter lange Würmer zu bilden, die dann durch die Haut nach außen stießen. Das Rausziehen und Aufwickeln der Widerlinge musste langsam und sorgsam geschehen, damit sie nicht abrissen. Es soll gar fürchterlich gewesen sein. Heute ist das Wasser zwar nicht für jeden trinkbar, aber zum Zähneputzen durchaus zu verwenden.

Und schwupps – ist es schon wieder Zeit für das Abendessen. Wir essen in einem wunderbaren Restaurant in der Altstadt. Auch wieder im Freien, aber diesmal bei sehr angenehmen Temperaturen. Drei Vorspeisen, Suppe, Fleisch/Kartoffelgericht, Nachtisch. Dazu Bier und Wodka. Same procedure als every day. Eigentlich würde das Abendessen , also die mit der Reise bezahlte Halbpension, völlig ausreichen. Aber Lina hat einen Deal mit „ihren“ Restaurants ausgemacht, dass wir dort für nur 7.- Euro die oben aufgeführten Köstlichkeiten vorgesetzt bekommen. Und da kann man ja wohl kaum nein sagen. Manche tun es dennoch, wenn auch unfreiwillig. Die Zahl der Kranken ist auf über zehn gestiegen. Dafür haben sich aber die ersten Opfer auch schon wieder erholt. Irgendein einheimisches Teufelsmedikament wirkt wahre Wunder. Mir geht es immer noch bestens, auch wenn ich ein gewisses Völlegefühl nach dem Essen nicht verneinen kann und daher schnell zu Bette möchte. Der morgige Tag soll sehr hart werden.

Der achte Tag

8 Stunden Fahrt durch die Wüste stehen uns bevor. 8 Stunden mit zwei Pinkelstops und einer Mittagspause. Die Straße ist auf den ersten 50 Kilometern in einem desolaten Zustand, dann wird es besser. Wir fahren, als hätten wir eine deutsche Autobahn unter den Reifen. Um Zwölf gibt es bereits Mittagessen, Hammelspieße und Nudelsuppe. Über die Hälfte unserer Teilnehmer meldet sich krank und mümmelt stattdessen Brot mit grünem Tee. Wir wollen nach Chiva, das auch Xiva oder Shiva geschrieben wird.

Gegen 18.00 Uhr kommen wir schwer erschöpft in Shiva an. Unser Hotel ist das Schönste (und Neueste), das wir bisher auf dieser Reise hatten. Drei Geschosse, riesengroßer, toll angelegter Garten, nagelneue Zimmer mit einer allerdings gewöhnungsbedürftigen Inneneinrichtung. So verbergen sich hinter den Vorhängen völlig unbenutzbare Bücherschränke mit Glasböden. Und so langsam fallen uns weitere Dinge auf: Der einzige Fahrstuhl ist defekt, der einzige Geldautomat ist außer Betrieb, das Wechseln an der Rezeption ist nicht möglich, weil man kein Bargeld vorhält, und das Wasser ist absolut untrinkbar: 3 Kilogramm Lehm pro Kubikmeter können nicht gesund sein. Wenn im Bad Wasserflächen trocknen, sieht man keine Wasserflecken, sondern Mehlstaub. Leider ist man in meinem Zimmer auch sehr sparsam mit dem Toilettenpapier. Egal, es ist trotzdem das Schönste Hotel von allen. Und daher sind wir auch sehr zufrieden. Das Abendessen gibt es ebenfalls hier im Speisesaal. Danach ist mein Akku ziemlich leer und ich will schnell ins Zimmer, um mich auszuruhen. Leider hindern mich diverse dringende Mails daran, das doch wieder knochenharte Bett vor 23.00 Uhr zu besteigen.
Um halb vier hatte ich dann endlich das Bedürfnis für ein Bedürfnis, um das mal freundlich zu umschreiben. Leider war aber – wie schon erwähnt – nicht genügend Toilettenpapier vorhanden, um das Geschäft erfolgreich abzuschließen. Also rief ich den Nachtportier an und schilderte ihm meinen Mangel. Brav brachte er mir eine neue Rolle ans Zimmer.

Das Frühstück war durchwachsen, aber annehmbar. Einige von uns hatten den gestrigen Abend bereits genutzt, sich die touristische Attraktion von Chiva anzusehen, aber jetzt waren wir alle bereit für eine der größten Sehenswürdigkeiten unserer Tour. Nein, nicht alle. Eine der Damen hatte bereits den Notarzt rufen müssen und bekam Infusionen.

Was ist das für eine Sehenswürdigkeit in Chiva? Eine kleine Stadt wie aus 1001 Nacht, nur in echt. Umhüllt mit einer hohen Stadtmauer, ist das Dorf nur etwa 700 mal 400 Meter groß. Drum herum gibt es eine mittelgroße Stadt mit ca. 70.000 Einwohnern. Auch hier sauber gefegte Straßen, egal, wo man hinschaut. Andreas hat beobachtet, dass ein Einheimischer ein Blatt vom Boden aufhob und zu einem der vielen Müllbehälter trug. Hat so was schon jemals jemand in Frankfurt auf der Zeil gesehen?

Ein Ersatzbus fährt uns die paar Meter zum Eingang. Unser Bus soll einen Schaden haben, der heute repariert werden soll. Eigentlich hätten wir auch laufen können, aber da unsere Gruppe aus lauter Halbgreisen besteht, war das der sicherere Weg.
Wir betreten die „Stadt in der Stadt“ durch das Osttor der Außenmauern und staunen. Innen befinden sich natürlich die üblichen Moscheen, Minarette und Mausoleen, aber auch ein Harem. Die „Großkopferten“ durften damals vier Hauptfrauen halten. Dazu noch jede Menge Konkubinen, also junge Mädels. Die Hauptfrauen hatten eigene Gemächer, durften die Kinder kriegen und waren auch sonst hoch angesehen. Die bis zu vierzig Konkubinen mussten es sich auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes bequem machen – den ganzen Tag dem Sonnenlicht ausgesetzt und auch sonst nur Frauen zweiter Wahl, falls der Hausherr mal Appetit auf was Neues hatte.
Wir könnten ein Minarett besteigen, aber dazu hat keiner Lust. Der Ort wird von lauter kleinen Händlern bevölkert, die den üblichen Krimskrams anbieten. Natürlich laufen uns auch wieder Brautpaare über den Weg. Erstmals sehen wir die Feierlichkeiten anlässlich einer Beschneidung eines bedauernswerten Jungen. Ob er weiß, was gleich mit ihm gemacht wird? Er guckt immerhin ziemlich gequält.

Einige Moscheen oder Mausoleen später gibt es Mittagessen. Der Nachmittag steht zu unserer freien Verfügung. Ich nutze die Freizeit, um mich mittels Google Maps wieder ins Hotel zu lotsen und schreibe ein bisschen an diesem Blog weiter. Um 18.00 Uhr werden wir schon wieder abgeholt, diesmal mit „unserem“ Bus. Wohin? Natürlich zum Essen. Ich habe eigentlich gar keinen Hunger mehr, zwinge mir aber doch das eine oder andere Teil hinter die Kiemen. Ich habe eine Riesenangst vor meiner Waage zuhause…
Nach dem Essen wieder zurück ins Hotel und mein täglich Brot verdient. Dann Heia. Wecken um 5:30 Uhr!

Der neunte Tag

Das Ende der Reise kommt näher. Nach dem Wecken, Aufstehen, Frühstücken und Transfer zum Flughafen in eine kleine, ca. 30 Kilometer entfernte Stadt checken wir zum Flug zurück nach Taschkent ein. Hier hat die Reise begonnen, hier wird sie enden. Auch dieser Flug findet in einem Airbus A320 statt, nahezu vollbesetzt. Nach nur etwa einer Stunde und zwanzig Minuten Flugzeit landen wir wieder da, wo sich anfangs keiner um uns gekümmert hat. Es ist diesmal ähnlich. Der Bus mit dem Schild „Trendtours“ steht zwar auf dem Parkplatz, aber der Fahrer will nichts mit uns zu tun haben. Er reinigt in Seelenruhe ein ausgebautes Sitzkissen mit Bürste und Seife. Lina ruft verzweifelt die Zentrale an. „Unser“ Bus liegt irgendwo mit einem Schaden auf der Straße und wird nicht kommen. Der vorhandene Bus ist eigentlich tatsächlich für eine spätere „Trendtours“-Gruppe geplant, aber durch den Ausfall muss er jetzt einspringen. Etwas widerwillig baut er das Sitzkissen wieder ein und räumt die Koffer in das Transportfach. Endlich fahren wir wieder in die Stadt. Bevor wir uns noch ein paar Plätze anschauen müssen, wird unsere Schwerkranke ins Hotel gebracht. Der Arzt ist informiert. Die Koffer bleiben noch drin, da der Besichtigungsplan sonst durcheinander geraten wäre. Das Hotel ist sehr klein und liegt in einer engen Nebenstraße. Auf dem Weg zum „Platz der Revolution“ oder so ähnlich bemerkt Andreas plötzlich, dass wir gerade neben dem Palace Hotel vorbeifahren, wo ich doch noch meine Tablettensammlung liegen habe. Ich bitte Lina, den Bus kurz anzuhalten. Dann sprinte ich über die vollbefahrene 8-spurige Hauptstraße, um das Kästchen im Hotel abzuholen. Dort hat sich gerade eine größere Reisegruppe angemeldet. Ich muss also warten. Endlich komme ich dran und erkläre dem Mädel mein Anliegen. Sie greift zum Telefon, quasselt irgendwas mit einem anderen Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin und sagt mir, die Tabletten wären gefunden worden und würden in zwei Minuten hergebracht. Erleichtert stelle ich mich an die Seite und warte. Und warte. Und warte. Es tut sich nichts. Ich bin die Concierge erneut um Hilfe. Sie telefoniert ein weiteres Mal und lächelt mich an, dass sie schon unterwegs wären.
In dem Moment kommt Lina reingeschneit. Der Bus konnte nicht länger warten und fährt seitdem in Kreisen um das Hotel. Was denn los wäre, fragt sie. Ich erklärte ihr, dass die Tabletten wohl jeden Moment kommen müssten. Lina sagte, das ist Quatsch, die müssten doch an der Rezeption liegen. Das hätte ihr jedenfalls das letzte Mal die Dame am Telefon gesagt. Das Mädel hinter den Tresen verneint, dass hier irgendwo was für mich liegen würde und schlug vor, dass wir direkt zu dem Mädchen gehen sollten, das die Tabletten gerade hat. Wir also in den Keller, ganz runter, bis in den Waschkeller. Hier hatte keiner auch nur den leisesten Schimmer, was wir überhaupt wollten. Geschweige denn, dass irgendjemand die Tabletten hätten. Also wieder hoch. Lina spielte ihre militärische Ausbildung voll aus und veranstaltete in der Lobby ein Tamtam, über das man noch Wochen sprechen wird. „Die Tabletten müssen hier in der Rezeption sein!“ sagte sie resolut (und natürlich auf usbekisch). Inzwischen waren schon drei Hansels hinter der Theke, die nun wild durcheinander alle möglichen Schubladen öffneten, ohne etwas zu finden. Sie wussten ja nicht einmal, wie das Kästchen aussieht! Dann empfahl die diensthabende Empfangsdame, dass wir doch bitteschön eine halbe Stunde warten sollten, dann käme die Finderin meiner Tabletten zu Dienst. An dem Punkt wollte ich aufgeben, aber Lina sagte, dass die Concierge lügen würde. Genau wie sie vorher gelogen hatte, dass die Tabletten im Haus unterwegs wären oder im Keller in der Wäscherei sein müssten. Alles Lügen. Sie forderte die Dame auf, nochmals gründlich alle Schubladen zu durchsuchen. Ich half mit einer genauen Beschreibung des Kästchens. Und plötzlich – ein Wunder! Die Kiste lag, in Plastik eingewickelt, die ganze Zeit direkt vor mir auf der anderen Seite des Tresens in der obersten Schublade, schön beschriftet mit: „Wird am 29.9. abgeholt. Zimmer 505“. Das muss man sich mal vorstellen: Die ganze Zeit hatte mir die Empfangsdame etwas vorgemacht und mich mit falschen Versprechungen hingehalten. Sie wusste von nichts und tat dennoch so, als wäre alles jeden Moment wieder in Ordnung. Lina sagte später, dies wäre leider ein sehr negativer Wesenszug der Usbeken. Sie erzählen einem die tollsten Sachen, halten aber nichts davon ein. Auf deutsch: Sie lügen wie gedruckt.

Als der Bus das nächste Mal um die Kurve kam, stiegen wir wieder ein. Bei der Gelegenheit ein großes Danke an die Mitreisenden, dass sie mich nicht gelyncht, sondern so geduldig auf mich gewartet haben. Die Besichtigung der großen Plätze war ohnehin viel langweiliger als unsere Geschichte.

Das letzte Mittagessen war wieder sehr gut. Meinen Gürtel muss ich ab sofort um ein Loch öffnen. Anschließend Freizeit. Ich habe mich eine halbe Stunde hingelegt und dann den Blog weitergeschrieben. Es muss ja zu einem Ende kommen.

Noch nicht ganz. Natürlich fehlt noch das letzte, gemeinsame Abendessen, an der tatsächlich wieder ALLE teilnehmen. Es ist ein ganz tolles Lokal mit dem besten Essen, das wir bisher bekommen haben. Kleiner Dämpfer: Direkt nach dem Abendessen sollen wir zu Bett gehen, da der Wecker bereits um 0:30 Uhr klingeln wird. NULL UHR DREISSIG! Tja, so ist es. Der Flieger nach Moskau – und weiter nach Frankfurt – geht schon um 4:00 Uhr morgens. Einige von uns beschließen, die paar Stunden bis zur Abreise durchzumachen.
Andreas bleibt auch gar nichts anderes übrig, da er sein Zimmer an Lina abgetreten hat. Lina hat nämlich mal wieder keinen Schlafplatz gefunden. Reiseleiter scheinen in der Hierarchie des Reisebusiness bestenfalls auf gleicher Ebene wie Straßenköter zu stehen. Pfui Trendtours! Wer immer dafür verantwortlich ist, sollte den Job mal selbst machen.

Und damit schließe ich diesen Reiseblog. Sollte sich noch etwas Weltbewegendes tun, werde ich es noch einbauen. Ansonsten gehe ich davon aus, dass wir morgen Nachmittag ab ca. 14.00 Uhr wieder in Frankfurt sind.

Außerdem will ich jetzt auch raus zu den anderen gehen, um die paar Stunden auch durchzumachen. Ich habe immer noch ein paar hunderttausend So´ms, die ich loswerden muss…

Taschkent, den 29.9.2018

Nachtrag: Mein Gewicht war nach zwei Tagen wieder auf dem „normalen“ Level, sofern man bei mir von „normal“ sprechen kann.

Vietnam – Hochs und Tiefs

Der Balkon ist ca. fünf Meter breit. Dunkle Holztüren mit gefakten Kupferbeschlägen führen ins Innere des Apartments. Ich sitze auf einer bequem gepolsterten Holzbank auf besagtem Balkon und starre in den Garten. Der Pool in diesem „Allezboo Beach Resort“ ist nur wenige Meter entfernt. Doch obwohl es früher Nachmittag ist, stört kein Kindergeschrei die gespenstische Ruhe in diesem Palmenmeer. Keine Bikinischönheit räkelt sich in gleißendem Sonnenlicht. Im Hintergrund hört man ab und zu Wellenrauschen, ansonsten nur das eintönige Prasseln des Dauerregens.
Ich bin in Südvietnam, und die Regenzeit sollte eigentlich bald vorbei sein. Mehr als ein paar Stunden Sonne am Tag sind nicht drin. Vor ein paar Wochen hat ein Tornado die Mitte Vietnams kurz und klein geschlagen; unzählige Existenzen haben buchstäblich alles verloren: ihr Haus, ihren Arbeitsplatz, ihre Familie, ihre Zukunft. Und jetzt regnet es wieder. An der ganzen langen Küste entlang. Das ist bei 29 Grad Außentemperatur nicht gerade angenehm. Und soeben ist auch noch der Strom ausgefallen.
Warum fahre ich dann hier her, wird sich der verwunderte Leser fragen.

Aber der Reihe nach.

Da gibt es so einen Newsletter namens „Travelzoo“. Der empfiehlt jede Woche irgendwelche besonders gute oder besonders günstige Reisen. Manchmal kommt Beides zusammen. So konnte man eine zweiwöchige Vietnam-Rundreise für unglaublich günstige 1600.- Euro (1200.- pro Person für Paare) buchen. In diesem Preis waren fast alle Ausflüge, alle Übernachtungen und das tägliche Frühstück enthalten. Alles, was darüber hinausging, musste man selbst zahlen. REWE hatte dieses Schnäppchen im Angebot. Natürlich hat der Lebensmitteldiscounter nichts mit der Organisation zu tun. Die verdienen nur ein paar Euro für die Vermittlung der Reisen. Ausrichter ist die Firma „CleverTours“. Ich hatte diese Reise schon im Januar oder Februar gebucht und freute mich wie dolle auf dieses exotische Ziel. Aber irgendwann hatte ich das Ganze wieder nach ganz hinten in meine Kopfschubladen geschoben und mich nicht mehr groß um die Vorbereitung der Reise gekümmert. Es kamen ja auch noch Reisen nach China, Montenegro und Dresden dazwischen. Umso verblüffter war ich, dass ich am 10.10. tatsächlich losfliegen sollte!

CleverTours hatte wenige Tage vor dem Abflug die Fluggesellschaft gewechselt, wodurch ich die Gelegenheit bekommen sollte, erstmals mit der größten Passagiermaschine der Welt, dem Airbus A 380 fliegen zu können. Natürlich flog die Maschine von „Emirates“ erst mal nach Dubai, damit die Passagiere in diesem internationalen Drehkreuz neu aufgeteilt werden konnten. Die Maschine war komplett ausgebucht. Um mich herum viele Deutsche, denen man eine gewisse Urlaubsfreude ansah. Doch wer würde mit mir weiter nach Saigon fliegen? Wer nach Australien, Singapur oder Thailand? Ich machte mir so meine Gedanken und hoffte vor allem, dass die junge hübsche Rechtsanwältin neben mir dasselbe Ziel gehabt hätte. Hatte sie aber nicht. Sie freute sich auf drei Wochen Strandurlaub in Bali. Wer mich kennt, weiß, dass ich mit dem Herumfaulenzen am Strand oder Pool so meine Probleme habe. Ich möchte das Land erobern, die Menschen kennenlernen, die Sprache ergründen, die Schrift studieren und in möglichst kurzer Zeit so viel erleben wie es eben möglich ist.

Die A380 landete nahezu geräuschlos aus dem Flughafen in Dubai. Sie rollte an das extra für diese Maschine 2013 neu erbaute Terminal und spuckte gut 500 Passagiere aus. Der vorgeschriebene Weg für den Weiterflug führte die Rechtsanwältin aus Köln und mich dann in den alten Trakt des Riesenflughafens. Hier was es so gar nicht mehr schön. Völlig versiffte Teppiche, dreckige Toiletten, billige Plastiksitze. Wir tranken einen Kaffee im Plastikbecher, dessen Ökobilanz verheerend gewesen sein muss, und trennten uns kurz vor ihrem Abflug nach Bali. Ich hatte noch ein Stündchen zu warten und lief wieder zurück in den „Duty-Free“-Bereich, um mir für meine Apple-Sammlung endlich die drahtlosen Ohrhörer, die sogenannten „iPods“ zu kaufen. Geniale Sache. Wenn sie mir nicht ständig aus den Ohren fielen.

Mit der etwas kleineren Boing 777-300 ging es dann weiter nach Saigon, der größten Stadt Vietnams mit ca. 10 Millionen Einwohnern. Und mit mindestens 8 Millionen Mopeds. Insgesamt war ich nun schon fast 20 Stunden unterwegs, die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln eingerechnet.
Es war hübsch warm in Saigon. Gute 28 Grad und sehr stickig. Die Luftfeuchtigkeit lag bei 88%. Das ist gefühlt pures Wasser. Luan, unser Reiseleiter, erwartete die Truppe bereits sehnsüchtig. Er hatte sehr kurz geschnittenes Haar, war 35 Jahre alt und sprach ein zwar grauenhaftes, aber dennoch einigermaßen verständliches Deutsch. Wie alle Vietnamesen war er sehr klein gewachsen, vielleicht 1,55m groß. Die fehlende Länge machte er durch sein großes Mundwerk wett. Davon werde ich noch viel zu erzählen haben. Luan – ein perfekter Selbstdarsteller mit der Gabe, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen.
Inzwischen war unsere Gruppe auf 26 Leute angewachsen – viele von ihnen hatte ich im Flugzeug bereits insgeheim dazu gezählt – einige allerdings nicht. Das war unsere Truppe:
Ein Ehepaar aus Berlin mit etwa 30-jähriger Tochter (leicht gehbehindert),
Marianne, eine Dame aus Ingolstadt, immer sehr lustig drauf,
Silke und Conny, zwei Freundinnen aus München und Karlsruhe,
ein Vater mit seiner etwa 29-jährigen Tochter,
ein allein reisender älterer Mann mit großer Lauferfahrung,
ein frisch verliebtes Paar um die 30,
sieben Ehepaare aus allen möglichen Gegenden Deutschlands – und ich natürlich. Das Durchschnittsalter dürfte trotz der insgesamt vier jungen Leute zwischen 55 und 60 gelegen haben. Das habe ich auch schon schlimmer erlebt.

Diese muntere Reisegruppe stieg nun in einen Bus, den wir die ganze Woche behalten sollten. Innen hübsch mit gestickten Deckchen verziert, fühlten wir uns gleich sehr heimelig. Der Busfahrer fuhr vorsichtig und besonnen, was die Verkehrslage auch dringend erforderte. Es gibt zwar in Saigon sehr viele Ampeln, aber so richtig beachtet werden sie in der Regel nicht. Ständig schwappten Tausende von Mopeds in den Strom, um die Fahrtrichtung für eine Weile zu ändern. Zur Kommunikation wird die Hupe benutzt. Der Busfahrer hatte eine ganz besonders laute, die er auch das eine oder andere Mal einsetzen musste. An Bord hatten wir außerdem einen „Waterboy“, dessen Aufgabe es war, uns alle zweimal am Tag mit frischen Wasserflaschen zu versorgen. Er hat übrigens während der ganzen Reise nur ein einziges Mal gesprochen. Und noch eine Besonderheit hatte dieser Bus: Es gab WLAN an Bord! Und tatsächlich konnten wir bis auf wenige Stellen später im Hochland jederzeit auf eine funktionierende LTE-Verbindung zurückgreifen. Hier ist uns Vietnam meilenweit überlegen! Auch in den Online-Preisen. Eine 20 Gigabyte-Simkarte mit LTE-Geschwindigkeit (4G) für mein iPad kostete knappe 20 Euro! Hatte ich mir gleich am Flughafen gekauft.

Luan versorgte uns während der rund einstündigen Fahrt zum Hotel mit den üblichen Basisdaten über die Stadt: Saigon heißt seit 1975 übrigens offiziell „Ho-Chi-Min-City“. Es werden aber beide Namen noch parallel verwendet. Die Stadt hat eine Grundfläche von etwas über 2000 Quadratkilometern und eine Bevölkerungsdichte von fast 4000 Menschen pro qkm. Saigon ist auch das wirtschaftliche Zentrum Vietnams. Es gibt außerhalb der Kernstadt kein zusammenhängendes Stadtgebiet, sondern ist eher mit einer dicht besiedelten Provinz vergleichbar. Saigon liegt im Süden des Landes etwas nördlich des Mekong-Deltas auf dem rechten Ufer des Saigon-Flusses. Die Metropole ist außerdem Verkehrsknoten und das Kulturzentrum des Landes mit Universitäten, Theatern, Kinos. Museen, Baudenkmälern und Parks. Wir sollten die meisten noch zu sehen bekommen. Irgendwie erinnerte mich alles ein wenig an Thailand vor zwanzig Jahren. Auch dort sind die damaligen Mopeds inzwischen den Autos gewichen – das steht hier auch unmittelbar bevor. Vietnam ist eine „sozialistische Republik“. Es gibt eine (kommunistische) Einheitspartei, die alles regelt. Außer den Führungskräften haben inzwischen aber auch über 500 Abgeordnete eine Menge Einfluss auf das politische Geschehen. Sogar Gesetzte können von den Abgeordneten alleine gemacht werden. Vietnam gilt als Schwellenland – die Elektronikindustrie macht inzwischen fast 26% des Bruttosozialprodukts aus. Obwohl 80% der Bevölkerung noch in der Landwirtschaft arbeiten, trägt diese nur zu 5% zum Wohlstand des Landes bei. Die Handelsbilanz des Lands ist zwar noch negativ, zeigt aber seit 2010 steil nach oben. In Kürze werden die Finanzen ausgeglichen sein. Wo dann statt der Mopeds die vielen Autos fahren sollen, steht allerdings noch in den Sternen. E-Bikes haben wir zwar auch gesehen, sind aber hier noch kein Kernthema.
Das Hotel „Le Duy“ lag mitten im Zentrum, hatte drei Sterne und war auch dementsprechend einfach ausgestattet. Kofferträger brachten uns – gegen ein oder zwei Euro Trägerlohn die Koffer auf die Zimmer. Euro? Ja, richtig gelesen. Mit dem Euro kommt man selbst hier fast überall zum Ziel. Auf dem Land ist das dann anders, aber hier in der Hauptstadt nimmt man gerne auch Dollars und den Euro.

Überhaupt das Geld. Die Währung heißt hier „Dong“ und hat sehr viele Nullen. Durch ständige Abwertungen in der Vergangenheit ist ein Euro mittlerweile 26.000 Dong wert. Am Automaten habe ich gleich mal drei Millionen Dong abgehoben und war damit nur 112,18 Euro ärmer. Der kleinste Schein ist der 1000-Dong-Schein, der immerhin 4 Cent wert ist. Münzgeld gibt es nicht – zumindest habe ich es nirgendwo gesehen.

Nachdem wir uns ein wenig frisch gemacht hatten, stand uns der Rest des angebrochenen Abends zur freien Verfügung. Ich schlenderte ein wenig durch die umgebenden Straßen und Parks auf der Suche nach dem „Nachtmarkt“, von dem Luan so geschwärmt hatte. Trotz einer Straßenkarte, die jeder Mitreisende ausgehändigt bekommen hatte, habe ich den Markt nicht gefunden. Stattdessen stand ich plötzlich vor einer Musikkneipe, aus der laute Rockmusik –offenbar live gespielt – durch die geschlossenen Türen und Fenster drang. Mutig ging ich rein. Der Türsteher fragte mich, welche Musikrichtung ich bevorzugte – Rock oder Pop – Ich sagte „Rock“, wurde aber in den ersten Stock zur „Pop“-Abteilung geführt. Und das war gut so. Eine mega-gute Coverband mit fünf Jungs und drei wirklich toll aussehenden Mädels spielte hier die Hitparade rauf und runter.

Ich wurde an die Bar geführt und sofort von einer der rund zehn jungen Damen im Minirock betreut. Ich bestellte ein Glas Weißwein aus Australien, bekam aber gleich die ganze Flasche. Es hätte auch etwas zu Essen gegeben, aber der Blick in die Schüsseln der anderen Besucher ließ mich davon Abstand nehmen. Das Mädel schenkte mir nach jedem Schluck, den ich machte, Wein nach, bis die Flasche nach einer guten Stunde leer war. Sie wollte sich auch dauernd mit mir über irgendwas unterhalten, aber ich habe sie leider nicht verstanden. Vielleicht war das auch besser so, wer weiß, was sie mit mir vorhatte. Die Zeche betrug 1.530000.- Dong, also nur 57 Euro und einundzwanzig Cents. Das war es mir wert.

Inzwischen war es schon fast ein Uhr Ortszeit geworden. Ich hatte eine superprofessionelle Showband gesehen und gehört, einen einigermaßen brauchbaren Wein getrunken und erste zarte Bande zur Bevölkerung geknüpft. Zeit, wieder ins Hotel zu gehen. Die Zahl der Mopeds hatte sich nur unwesentlich verringert, und der Versuch, eine Straße zu überqueren, kann durchaus ernste Folgen haben. Am besten ist es, einfach loszugehen, ohne mittendrin wieder stehen zu bleiben. Die Mopedfahrer rechnen nämlich damit, dass man weiterläuft – und passen ihren Fahrstil und die Fahrtrichtung entsprechend an. Wenn man aus Angst ständig stehenbleibt, irritiert das die Zweiradlenker und führt zu Staus und Unfällen. Auf grüne Fußgängerampeln muss man nicht achten, die sind nur zum Spaß da.
Direkt neben dem Hotel sah ich in einer kleinen Spelunke noch vier Mitreisende beim fröhlichen Trinken. Der Vater mit seiner Tochter sowie Jürgen mit seiner Frau. Ich gesellte mich dazu und bekam sogar noch den letzten Schluck Weißwein.

Um halb zwei lag ich dann endlich in meinem Bett. So langsam klangen nur noch vereinzelte Hupen an mein Gehör und der Schlaf übermannte meinen geschundenen Körper.

Der Dauerregen vor meinem Balkon hat plötzlich aufgehört. Es klopft an der Apartmenttür. Ich habe vorhin um Hilfe gebeten, weil der Hotelschlüssel nicht in seiner Halterung bleibt. Und wenn er nicht in der Halterung ist, habe ich keinen Strom und kein Licht. Die Jungs von der Hotel-Maintenance wurschteln ein bisschen hin und her und quetschen den Schlüssel dann mit Gewalt in die Halterung, so dass sogar ein bisschen Plastik abspringt. Schön, dass hätte ich auch selbst gekonnt.
Aber jetzt habe ich endlich Strom und kann meine ganzen Apple-Teile sowie die Videokamera aufladen. Noch drei Stunden bis zum Abendessen. Von den ursprünglich 26 Mitreisenden sind nur noch acht übrig geblieben. Wie konnte das passieren? 
Ich versuche mal, zu rekapitulieren, wie es so weit kommen konnte …

Das Frühstück im „Le Duy“ war nicht übel. Vor allem der Kaffee schmeckte außerordentlich gut. Ist ja auch kein Wunder, wenn man weiß, dass Vietnam der zweitgrößte Kaffeeproduzent der Welt geworden ist. Die Einheimischen trinken ihn allerdings mit süßer Kondensmilch, was den guten Eindruck schlagartig ins Gegenteil verkehrt. Es sei denn, man mag das. Wie Silke.
Laut Reiseplan wäre heute in freier Tag zur eigenen Erkundung der Stadt vorgesehen. Nahezu alle Teilnehmer buchten aber den zusätzlich angebotenen Ausflug nach Tai Ninh und Cu Chi. Punkt acht wurden wir von „unserem“ Bus aufgelesen und zum Haupttempel der Religionsgemeinschaft der „CAODAI“ gefahren. Wir trafen pünktlich um 12.00 Uhr zur täglichen Zeremonie ein, die man von einer Ballustrade aus beobachten konnte. Ich halte nicht viel davon, Menschen bei der Ausübung ihrer Religion zu beobachten (ich halte überhaupt nichts von Religionen, aber das ist ein anderes Thema) und hatte mich daher nicht mit in das durchaus schön gestaltete Kirchenhaus begeben. Dafür wurde ich draußen von diversen Mädchen angesprochen und angebettelt, bis Luan – der auch nicht mit reingegangen war – mich rettete.

Nach einer Harmonie-Pause – so heißt wie in China auch hier der gemeinsame Besuch der Toilette – ging es dann tief in die vietnamesische Geschichte, die an Grausamkeit kaum zu überbieten sein dürfte. Wir besuchten ein ehemaliges Rebellendorf bei Ben Douc im Bezirk Cu Chi, wo sich im Vietnamkrieg ein starker Widerstand gegen die USA festgesetzt hatte. Fast 200 Kilometer lang ist das Tunnelsystem, das auf drei Ebenen eine eigene kleine Stadt mit Wohnräumen, Lagern, Krankenhäusern, Befehlsständen und Küchen darstellt. Es wurde schon zu Zeiten der französischen Kolonisation gebaut und war Grund für die Franzosen, das Land sang- und klanglos zu verlassen. Für die Touristen hat man nun einige kurze Abschnitte restauriert und vor allem verbreitert, damit auch fette Amis durch die Öffnungen kommen. Amerikaner kommen wieder nach Vietnam? Nun, seit Präsident Barack Obama vor ein paar Jahren das Embargo gelöst und wieder diplomatische Beziehungen zugelassen hat, ist auch das wieder möglich. Überhaupt exportieren die Vietnamesen einen Großteil ihrer Produkte wieder in die USA. Das heißt aber nicht, dass die Vietnamesen die Amerikaner wieder lieben. Eher nicht, sagt Luan. Der muss es ja wissen.

Ein paar Mitglieder der Gruppe haben sich also durch die schmalen Öffnungen gequetscht und sind ein paar Meter unter der Erde lang gelaufen, bevor sie – nach 15 Metern – wieder an die Oberfläche durften. Die Partisanen waren damals sehr gewitzt. Überall gab es böse Fallen für die sogenannten „Retter“, die in Wirklichkeit das ganze Land zerstört hatten. 1975 hatten die Amis die Nase voll und verließen das Land an einem einzigen Nachmittag mit einer Luftbrücke. 3 Millionen Vietnamesen waren im Krieg umgekommen, und viele tausend spüren noch heute – viele Generationen später – was das Entlaubungsgift „AGENT ORANGE“ mit ihren Genen angestellt hat.

Etwas betreten fuhren wir wieder zurück ins Hotel. Es ist immer wieder unfassbar, zu welchen Gräueltaten Menschen fähig sind. Leider lernen sie nichts aus ihren Fehlern.

Am Abend versuchte ich dann mal wieder auf eigene Faust, ein gutes Restaurant zu finden. Ganz in der Nähe des Hotels musizierten ein Gitarrist und seine Begleiterin schöne Popsongs für die wenigen Gäste. Ich ging neugierig rein und bestellte mangels Ahnung „Spaghetti Bolognese“. Die Nudeln waren top, die Soße sehr süß. Andere Länder, andere Würzung. Also weiter durch die Straßen gelaufen. In einem Supermarkt gelandet, nichts gekauft. Verlaufen. Plötzlich stand ich wieder vor dem Musiklokal von gestern. Weil die Rockmusik auch VOR dem Lokal gut zu hören war, blieb ich davor sitzen und hörte mir bei einem Gin Tonic ein paar hervorragend interpretierte Rockoldies an. Bis ich wieder im Bett lag, war es auch schon wieder halb eins.

Jetzt – mit Licht im Zimmer – kann ich mir mein Apartment endlich mal richtig anschauen. Es ist recht groß und hat den üblichen Luxus. Fernseher, riesengroßes Bad (mit Fenstern zum Schlafzimmer – anscheinend typisch für Asien), große Schränke, viele Steckdosen (!) und ein King-Size-Bett, in dem eine ganze Familie schlafen könnte, ohne sich gegenseitig anzustupsen. Typisch auch die vielen aufgestellten Kopfkissen und das bombenfest irgendwo festgezurrte Laken, das man nur nach intensiver körperlicher Betätigung frei bekommt. In den Schränken ist genug Platz für den gesamten Inhalt meines Koffers, so dass dieser ab sofort nur noch für die Aufnahme der Schmutzwäsche herhalten muss. Ach ja, die Kleidung. Anscheinend habe ich vergessen, eine Badehose mitzunehmen. Und noch mehr kurze Hosen. Außerdem ist der Akku meines Rasierers leer. Wie kann das sein? Der hält schon seit vielen Jahren mindestens drei Wochen durch! Das Netzkabel habe ich zuhause gelassen, um mein Kabelgewirr nicht noch größer zu machen. Das habe ich nun davon. Ich muss mir ein Netzkabel kaufen. Und eine Badehose. Und bei der Gelegenheit vielleicht auch ein paar passende Sandalen …

Zurück nach Saigon. Da wir die kommende Nacht nicht in unserem Hotel in Saigon verbringen würden, mussten wir alle komplett auschecken. Der Vormittag gehörte einer Stadtrundfahrt durch Saigon. Beginnend im Historischen Museum, wurden wir erneut mit der Brutalität des Vietnam-Kriegs konfrontiert. Auf drei Etagen waren Belege für die größten Grausamkeiten, die Menschen sich gegenseitig antun können, ausgestellt. So manche Tränen ließen sich nicht vermeiden.

Danach hatten wir noch ein paar kurze Aufenthalte an der „Notre Dame“, einer prunkvollen Kathedrale aus der französischen Besatzungszeit, die aber gerade renoviert und daher nicht betreten werden konnte.

Dafür durften wir uns aber das Postgebäude ansehen, das auch einen unverwechselbaren französischen Baustil aufwies.

Außerdem mussten wir uns das Regierungsgebäude ansehen, das ziemlich öde aussah und keinerlei Interesse bei uns weckte.

Ein sehr schön erhaltenes Theater stand auch noch auf der Liste, die es abzuhaken galt.

Am Nachmittag stand die Fahrt ins Mekong-Delta auf der Liste. Hier ist die Heimat von Luan. Hier wohnen seine Frau und seine fünfjährige Tochter. Hier ist alles sehr viel einfacher. Aber es sollte einer der ereignisreichsten Tage seit Langem werden.

Luan hatte sich inzwischen die Vornamen der meisten Mitreisenden gemerkt und sprach uns immer wieder mal an. Vor allem mit Uwe und Norbert machte er seine Späße. Seit Norbert einmal zu spät am Bus war, brauchte er sich um Luans Spott nicht zu sorgen. Als netter und humorvoller Mann nahm er Luans Scherze aber nicht persönlich. Und da schon Luan so ziemlich jeden mit Vornamen anredete, kamen wir Touristen auch immer mehr untereinander ins Gespräch. Auf der etwa 180 Kilometer langen Strecke, die teilweise sogar über die (einzige) Autobahn führte, erfuhren wir wieder mal so einige interessante Dinge über dieses geheimnisvolle Land und unseren weltoffenen Reiseleiter. Luan hatte deutsch in der Universität in Saigon gelernt und nach seinem Abschluss Deutschland sogar besucht. Eine seiner ersten Käufe war die deutsche Flagge, die angeblich auch heute noch über seinem Bett in einer Wohngemeinschaft in Saigon hängt. Er pflegt sogar noch guten Kontakt zu den Menschen, die ihm damals geholfen haben, überhaupt ein Visum zu bekommen. Und Luan erzählte uns sehr viel aus dem Leben in seinem Dorf hier im Mekong-Delta. So kam raus, dass Juans Eltern sich erst am Tag der Hochzeit kennengelernt hatten. Es wurde trotzdem eine glückliche Ehe. Dass Liebespaare vor der Heirat zusammenwohnen, ist – zumindest auf dem Land – gänzlich ausgeschlossen. Eine weitere Regel besagt, dass die Ehefrau an den Wohnort des Ehemanns ziehen muss. In Luans Fall war das nicht einfach, da seine Zukünftige bereits einen guten Job in der Hotellerie hatte. Aber sie zog natürlich trotzdem zu ihm. Die Hochzeit dauerte zwei Tage. 600 Gäste wurden bewirtet – die Vorbereitungen dauerten ein ganzes Jahr. Die Hochzeitsreise ging mit Zug und Flugzeug auf irgendeine Insel. Zurück mussten sie mit Boot und Bus fahren, da Luans Braut das ganze Geld für den Rückflug für Einkäufe verprasst hatte. Man muss das nicht glauben, aber die Geschichte klang so echt, dass wir unserem großen Storyteller einfach alles abnahmen. Dachte ich anfangs noch, ich müsste mich bei diesen ganzen Hochzeitsdetails fremdschämen, musste ich dann doch einsehen, dass Luan uns ganz tief in sein Privatleben schauen ließ. So tief und ehrlich, wie ich es noch nie bei irgendeinem Reiseleiter bei meinen vielen Reisen rund um die Welt erlebt habe.

Inzwischen waren wir am Ziel angekommen, einem kleinen Dorf namens My Tho, wo wir in ein landestypisches Sampanboot umgebettet wurden. Wir tuckerten durch viele kleine Seitenkanäle des Mekong und besichtigten eine Farm, in der uns Luan nicht nur unzählige Pflanzen und Früchte vorstellte, von deren Existenz ich zwar mal gehört hatte, die ich aber noch nie „live“ gesehen, geschweige denn gegessen hatte. Er zeigte uns auch eine Krokodilzucht. Rund zwanzig Tiere, alle etwa 70cm lang, lagen träge in einem Becken und warteten auf den Verzehr ihrer selbst. Denn in Vietnam wird alles gegessen, was schwimmen kann – außer Schiffen (O-Ton Luan). Und natürlich auch alles, was fliegen kann – außer Flugzeugen. Und was nicht schnell genug wegrennen kann, kommt natürlich auch auf den Teller. Ob Schlangen, Frösche, Schildkröten oder Ratten – essen kann man fast alles.

Die große Überraschung in der Speisekarte unseres heutigen Mittagessens war ein ganzer Fisch, der sogenannte „Elefantenohrenfisch“, der senkrecht zwischen vier Holzstäben serviert wurde. Um ihn zu essen, musste man zunächst ein Reispapier etwas aufweichen, mit Grünzeug grundieren und dann eine Portion Fisch dazugeben, die man beherzt einfach mit den Fingern aus dem Fisch riss. Vor dem Verzehr wird das Reispapier eingerollt, so dass man so eine Art Frühlingsrolle hat. Die tunkt man dann in eine der beiden Soßen (Chili oder Soja) und genießt. Ich habe das als Video mal für die Nachwelt festgehalten. (Wird bald eingefügt!)
Silke hatte ein bisschen Pech: Ihr Fisch war innen ganz grün. Luan klärte das aber auf. „Is nich schlimm, kamma essen. Is nur Innerein pla!“ (Mit den Endungen hat´s Luan nicht so, da muss man viel Denkarbeit investieren). Die geplatzte Galle hatte den Fisch also innerlich verfärbt. Silke ist ein sehr patentes Mädel und hat das Tier trotz unserer Bedenken aufgegessen. Und siehe da: Sie hat´s überlebt.

Die Sojasauce kam übrigens von Maggi.

Ich hatte mir gebratenen Reis mit Seefrüchten bestellt. Ganze zwei Mini-Shrimps konnte ich darin ausmachen, der Rest bestand aus Reis und Gemüse.
So langsam kamen wir uns alle auch ein bisschen näher. Man tauschte Herkunft und Berufe aus und stellte erfreut fest, dass wir eine sehr homogene, freundliche Truppe waren, die sehr gut miteinander auskam. Sicher kann nicht jeder in jedem Punkt derselben Meinung sein, aber es gab keine Stänker, Miesepeter oder Stimmungstöter. Der soziale Status war in der Summe bedeutend höher als bei vielen meiner früheren Reisen.
Nach dem Essen wurden wir wieder in kleine Boote gezwängt. Vier Mann pro Boot plus eine Ruderin. Teresa, die Ehefrau des netten Ehepaars aus Königstein schaffte es sogar, mit einem Selfie uns alle vier aufs Bild zu bekommen.

Doch plötzlich überfiel uns mal wieder ein Schauer. Statt schneller zu rudern, warf die Bootsführerin einfach den eingebauten Motor an und steuerte uns schnellstmöglich ans Ziel. Ich war im dritten Boot und pitschnass. Alle, die nach mir kamen, sahen frisch geduscht aus. Aber so ein kleiner Tropenschauer trocknet ja schnell wieder. Weiter ging es mit der Kutsche. Wieder in Vierergruppen aufgeteilt, wurden wir von dünnen Mulis ein paarhundert Meter durch die Hauptstraße gezogen. Von dort ging es noch in eine Obstplantage und in ein Kokosnussdorf, wo wir landestypische Süßigkeiten kosten (und natürlich auch kaufen) konnten. Der Tag raste nur so an uns vorbei. Am späten Nachmittag erreichten wir dann mit dem Bus unser Übernachtungsziel, die Stadt Can Tho. Das „Fortuneland“-Hotel war um einiges moderner als der alte Kasten in Saigon.

Mein Abend war nicht sonderlich spektakulär. Ich war irgendwo essen. Und leider wieder nicht sonderlich glücklich mit meiner Wahl. Ich weiß, man kann mir vorwerfen, als Tourist hier viel zu hohe Erwartungen zu haben. Aber ganz so einfach ist es nicht. Die Thais leben mehr oder weniger auf demselben Breitengrad – gar nicht mal weit entfernt – und zaubern aus den gleichen Zutaten immer viel wohlschmeckendere Gerichte als die Vietnamesen. Nun gut, oft waren wir mit unserer Gruppe nur an einfachen Raststätten, die speziell für Touristen gebaut wurden. Hier muss die Abfertigung schnell gehen – da ist für gutes Essen keine Zeit. Umgekehrt wird ja wohl auch kein Mensch guten Gewissens von leckerer deutscher Küche reden, wenn er in einem Autobahnrestaurant gelandet ist. Oft habe ich auch aus Unkenntnis Dinge bestellt, die mir dem Namen nach bekannt vorkamen, obwohl diese gar nicht zu den wirklichen Spezialitäten gehörten. So ist es natürlich ziemlich dämlich, Spaghetti Bolognese zu bestellen, weil man denkt, da kann man nichts „falsch machen“. Falsch ist es ja auch nicht, nur eben anders. Die Soße ist süß, die Nudeln sehen völlig anders aus, und woraus das Fleisch besteht, sollte man besser gar nicht wissen.
Silke und Conny hatten jedenfalls ihren Spaß beim Essen irgendwo im Zentrum der Stadt. Ein wohl etwas debiler Einwohner der Stadt schlurfte am großen Kreisel langsam, aber sicher quer über die Fahrbahn zur Grünfläche in der Mitte, um sich dort vor den Augen aller Touristen gemütlich die Hose runterzuziehen und ein Häufchen in die Gegend zu setzen.
Womit wir beim Thema Toiletten wären.
Auch hier unterscheidet sich Vietnam kaum von seinem Nachbarland. Die Toiletten entlang der Autostraßen sind grenzwertig; Papier gibt es selten und die hygienischen Zustände würden deutschen Aufpassern Pusteln ins Gesicht treiben. In den Restaurants gibt es meist nur eine Toilette für beide Geschlechter. Immerhin ist das „Hock“-Klo größtenteils verschwunden. Überflüssig zu erwähnen, dass die Bäder und Toiletten in unseren Hotels ohne Fehl und Tadel waren. Das Bad im „Fortuneland“-Hotel war sogar ganz besonders luxuriös.
Schade, dass wir hier nur eine Nacht verbringen sollten, aber der Reiseplan zwang uns, wieder zurück nach Saigon zu fahren.

Immer noch zweieinhalb Stunden bis zum Abendessen. Ich beschließe, mir mal die Umgebung des Hotels anzusehen, bevor es dunkel wird. Die Anlage ist sehr großzügig geschnitten. Ein großer Pool und der Zugang zum Meer sind in Schrittnähe meines Apartments. Es sind kaum Hotelgäste zu sehen. Vorsaison eben. Und wenn man jemanden sieht, ist es garantiert ein Russe. Die Russen haben diesen Ort quasi okkupiert. (Nicht annektiert, das war woanders …) Kein Ladenschild ohne russische Übersetzung, keine Speisekarte ohne kyrillische Schrift, kaum ein Drink ohne Wodka. Und leider auch kaum eine freundliche Reaktion auf meine schüchternen „Hello“s.
OK, dann gehe ich mal die Hauptstraße entlang. Die betonierte Straße ist an manchen Stellen noch überschwemmt, an anderen Stellen weist sie respektable Löcher auf, die von den Mopedfahrern höchste Konzentration erfordern. Was wollte ich nochmal kaufen? Eine Badehose, T-Shirts und ein Netzkabel für meinen Rasierer. Nach rund einem Kilometer werde ich – zumindest teilweise – fündig. Die einzige Badehose, die mir gerade so passen könnte, ist, nun ja, sehr körpernah geschnitten. Balletttänzer hätten ihre Freude daran. Ich nehme sie trotzdem. Außerdem zwei Polohemden mit den kleinen Krokodilen drauf, die ganz bestimmt echt sind. Und ich finde sogar ein paar passable Sandalen. Kabel ist nicht. Auch kein Rasierapparat. Nur ein Körper-Shaver für Damen wird mir angeboten. Vielleicht muss ich morgen darauf zurückgreifen. Jetzt trotte ich bei einer Luftfeuchtigkeit von gefühlten 100% erst einmal wieder zurück in mein Hotel. Sie wollen ja sicher wissen, wie es weiterging mit unserer Reisegruppe. Und was mit den achtzehn anderen passiert ist. Ich meine ja, Schwund ist immer, aber so viele? Vorneweg sei verraten: Es war einfach unglaublich.

Samstag morgen. Schon um sieben Uhr in der Frühe mussten wir das Hotel wieder verlassen. Der Himmel war bewölkt, aber die Apple-Watch meldete 29 Grad, Schauer. Der heutige Morgen war den schwimmenden Märkten in My Tho gewidmet. Das ist so eine Art REAL-Markt auf lauter verschiedenen Schiffen. Die Kunden kommen mit dem Boot und kaufen Obst, Gemüse und Fleisch oder Fisch direkt auf den Booten ein. Es sei denn, es regnet. Und das tat es, kaum dass wir in das kleine Ausflugsboot gestiegen und ein paar Kilometer das Mekong-Delta hinunter gefahren waren. Obwohl man im Boot die blauen Vorhänge schließen konnte, peitschte der Sturm große Mengen Wasser ins Schiff und somit auch auf uns. Irgendwann hielt das Boot unter einer Brücke, um das Ende des Regengusses abzuwarten. Die hübsche Frau des Bootsbesitzers nutzte die Zwangspause, um unseren Damen diversen Krimskrams anzubieten. Silke kaufte sich irgendeine mehrfach nutzbare Haarklammer, andere fanden ihr Seelenglück im Erwerb von lustigen Holzkettchen.

Als dann der Regen endlich nachließ, fuhren wir noch ein paar Meter weiter ins Zentrum des „Schwimmenden Marktes“, in dem aber leider tote Hose herrschte. Es war schon kurz vor zehn und der Markt praktisch schon geschlossen. Also weiter zum nächsten Ziel: Eine kleine Farm mit vielen Pflanzen, die Luan uns mit großer Liebe zum Detail erklärte. Hier war er, der Bauer, wieder in seinem Metier. Ich habe mir nicht merken können, was wir alles gesehen haben. Das meiste war grün und essbar. Das muss jetzt hier mal reichen.
Anschließend liefen wir durch eine Fischmarkthalle. Da wurde so mancher kreideblass. Rund zweihundert Meter lang ein Fisch- oder Fleischhändler neben dem anderen, alle auf dem Boden hockend. Da zuckte noch so mancher Fisch vor sich hin oder sprang sogar aus der Schüssel, um vom „Besitzer“ schnell wieder eingefangen zu werden. Wir sahen enthäutete Ratten, Schlangen, Schildkröten, Haie, Lobster und was weiß ich noch für Viehzeug. Wie gesagt, die Vietnamesen essen alles. (Außer Flugzeuge und Schiffe). Erstaunlicherweise schmeckte mein Mittagessen heute besonders lecker: Gebratene Nudeln mit Seafood.
Zurück in Saigon besuchten wir dann natürlich auch noch das berüchtigte Chinatown, das nun wirklich ein bisschen arg heruntergekommen ist. Die ursprüngliche Markthalle wird derzeit renoviert – das kann aber noch ein paar Jahre dauern. Solange werden vor allem Lebensmittel einfach mitten auf der Straße angeboten. Das Mopedaufkommen war hier nochmal um Einiges höher als in der Innenstadt.

Danach war mal wieder ein Gotteshaus dran – nur wenige Meter von Chinatown entfernt. Erwartungsgemäß alles sehr chinesisch anmutend. Wer einen nennenswerten Betrag gespendet hatte, konnte sich übrigens auf roten Zetteln verewigen, die in großen Mengen an den Wänden hingen und den Namen des Spenders sowie den gespendeten Betrag auflisteten. Wie sieht es überhaupt mit der Religion hier in Vietnam aus? Wikipedia nennt andere Zahlen als Luan – was nun wahr ist, weiß ich nicht. Grundsätzlich sind die Vietnamesen nicht religiös. 81,5% der Vietnamesen nennen sich Atheisten. Wer doch an einen Gott glaubt, wählt hauptsächlich den Buddhismus (Ca. 20 Millionen), wobei gerade in Südvietnam auch viele Katholiken und Konfuzianer zu finden sind. Selbst 500.000 Protestanten und 50.000 Islamisten weist die Statistik aus. Viele glauben nicht an einen Gott, verehren aber dafür ihre Ahnen. Auch ist Geisterglaube sehr verbreitet. Unabhängig von der Konfession ist das Len-Dong-Ritual sehr beliebt, bei dem eine Schamanin im Trancezustand die Geister um Gesundheit und Wohlstand des Gastgebers bittet.
Details möge man bitte selbst nachlesen.

Für diesen Tag hatten wir genug gesehen. Wieder zurück im Hotel „Le Duy“ – jetzt aber in anderen Zimmern – hatten wir gerade genug Zeit, uns ein wenig frisch zu machen. Denn um 18.00 Uhr ging das Programm schon wieder weiter. Wir sollten uns ein „Wasserpuppenspiel“ ansehen. Das Theater erreichten wir zu Fuß. Was soll man sich unter einem „Wasserpuppenspiel“ vorstellen? Es ist gar nicht so einfach zu erklären. Die Story selbst entsprang wohl der vietnamesischen Geschichte oder Kultur. Die Bühne bestand aus einem dreckigen Wassertümpel, in dem Puppen in der Größe eines Hundes herumtollten. Die Puppenspieler standen dabei unsichtbar hinter einer Trennwand im Wasser und betätigten allerlei Stangen und mechanische Züge, um den Figuren ein wenig Leben einzuhauchen. So konnten die Drachen nicht nur Wasser, sondern sogar Feuer spucken. Die Geschichte habe ich nicht kapiert, da ich leider ein paarmal eingenickt bin. Dass ich nicht der Einzige war, dem das passiert ist, habe ich später herausgefunden. Schuld daran war die einschläfernde Musik. Links und rechst des Tümpels saßen nämlich sechs Musiker und Sänger, die recht monotone, sehr chinesisch klingende Musik aufführten. Was soll´s, den Kindern hat es offenbar gefallen, und nach 45 Minuten war der Spuk vorbei.

Für den Abend war ich zum ersten Mal auf dieser Reise in einem „richtigen“ Restaurant verabredet. Conny und Silke sowie Elke und ihr Mann Jürgen nahmen mich ins Restaurant „NGON“ mit. Ein unglaublich großes, wunderschön eingerichtetes Haus für sicher Hunderte von Gästen. Die Marke gibt es auch in anderen Städten, darunter sogar in Berlin.
Wir bestellten mit Bedacht und wunderten uns, dass das Essen bereits drei bis vier Minuten nach der Bestellung auf dem Tisch stand. Und obwohl Silke, die vor drei Tagen hier schon mal sehr erfolgreich speisen war, auch wieder eine landestypische Spezialität bestellt hatte, wurde sie diesmal etwas enttäuscht. Das Essen war einfach viel zu scharf gewürzt. Ich hatte mir ein thailändisches Chicken-Curry geordert, das zwar auch recht scharf, aber ansonsten sehr lecker war.

Fix und fertig nach so vielen Eindrücken an nur einem Tag lag ich bald im Bett.

17.00 Uhr. Es ist dunkel. Der Regen hat sich für heute wohl verzogen. Vielleicht sollte ich den Pool testen. Eine Badehose habe ich ja jetzt. Und da sonst niemand mehr am Pool sitzt, kann ich sie auch anziehen.
Das Wasser ist angenehm erfrischend. Und während ich so meine Bahnen ziehe, denke ich an den letzten Tag in Saigon. Und an die vielen Mitreisenden, die wir zurücklassen mussten. Übrig geblieben sind nur wir acht. Silke, die ganz bezaubernde Angestellte des öffentlichen Diensts, die doch schon älter als 35 ist, wie sie mir sagte. Und ihre gute Freundin Conny, auch nicht viel älter als Silke, die aus Karlsruhe zu uns gefunden hat. Conny ist ein wandelndes Lexikon. Ohne ihre berechtigten Korrekturen wäre das hier ein Fake-Reisebericht – so hat alles seine Richtigkeit. Norbert, über den ich ja schon berichtet habe, ist zwar auch hier nie pünktlich, dafür punktet er mit viel Charme und guter Laune. Er leitet ein Grafikstudio und kennt sich sehr gut mit Corporate Design aus. Seine Frau Corinna ist Texterin und findet daher immer die richtigen Worte. Marianne aus Ingolstadt ist ohne ihre große Familie auf Reisen und genießt ihre Unabhängigkeit. Mit dem Dialekt tun wir uns manchmal ein bisschen schwer, aber das ist ja unser Problem und nicht ihrs. Bleiben noch Elke und ihr Mann Jürgen. Elke ist eine Macherin. Ihr Berufsweg liest sich sehr spannend. Sie weiß, was sie will. Und natürlich will sie ihren Jürgen, der ein bisschen ruhiger auftritt und sich gerne im Hintergrund aufhält. Der achte bin ich selbst.
Warum wir nur noch zu acht sind, sollte sich im nächsten Kapitel klären.

Die beiden letzten Tage unserer „Sightseeing“-Tour durch Vietnam sollten wir in den Bergen verbringen. Die Abreisezeit hatte Luan auf 9.00 Uhr festgelegt. Ich hatte meinen Koffer schon vorm Frühstück in der Rezeption abgegeben und konnte so ganz unbelastet im neunten Stock frühstücken. Hier hatte man einen wunderbaren Panoramablick über die Metropole. Als ich wieder runterkam, war mein Koffer weg. Da aber unser Bus noch nicht da war, ahnte ich Böses. Und in der Tat: ich fand ihn in einem anderen Bus, der gerade abfahren wollte, wieder. Irgendein Kofferboy hatte ihn der falschen Gruppe zugeteilt. Gerade noch mal gut gegangen. Als alles richtig verstaut war, konnte unser Busfahrer loslegen. Insgesamt galt es 1500 Höhenmeter zu überwinden – oft mit engen Serpentinen, schmalen Straßen und allerlei Umwegen. Durch die vergangenen Regenfälle waren einige Straßen abgerutscht und somit unpassierbar geworden.
Unser erstes Ziel war ein mehr oder weniger leer stehender Vergnügungspark in der Nähe eines imposanten Wasserfalls. Wir waren hungrig und wir wollten lecker essen. Leider ging das dieses Mal gründlich schief. Einige Bestellungen waren falsch verstanden worden, obwohl Luan sie aufgegeben hatte, und das kulinarische Niveau des Gebotenen lag auf der untersten Stufe. Also weiter zum Wasserfall, der ein paarhundert Meter entfernt zu Fuß erreichbar war. Leider fing es genau in dem Moment, in dem wir losgingen, wieder zu regnen an. Und das nicht zu knapp. Silke ließ mich freundlicherweise unter ihren Regenschirm (denn ich hatte natürlich keinen dabei …) und bewahrte meine Kleidung so vor dem völligen Durchnässen. Der Wasserfall war imposant und sicherlich 60 bis 70 Meter hoch. Wir fuhren mit dem Aufzug einen Teil des Gefälles herunter und kletterten auf befestigten Wegen noch einige Meter weiter. Die aufbrausende Gischt des lautstark runterdonnernden Wassers sorgte dafür, dass nun wirklich keiner mehr trocken blieb. Endlich unten angekommen, gab es dann auch einen Souvenirladen, in dem ich mir einen pinkfarbenen Mädchen-Regenschirm kaufte (2 Euro). Hätte der nicht oben, am Fahrstuhl sein können?

Wieder zurück im Bus, trockneten wir dann so nach und nach wieder durch. Luan nutzte die lange Fahrzeit, um uns weitere Details über sein Land zu verraten. So kam zum Beispiel die Frage nach der Schulpflicht auf. Und da waren wir doch sehr erstaunt, dass es eine solche in Vietnam nicht gibt. Und noch viel unverständlicher für ein sozialistisches Land: Die Schule kostet auch noch Geld; selbst die Grundschule ist nicht umsonst. Da ist es kein Wunder, dass vor allem arme Familien auf dem Lande den Schulbesuch ihrer Gören wieder beenden, sobald die einigermaßen lesen und schreiben können. Dann werden sie in der Landwirtschaft als billige und willige Arbeitskräfte gebraucht. 32% der Einwohner sind unter 14 Jahre alt und nur 5,6% über 65! Die Lebenserwartung beträgt inzwischen sehr gute 75,7 Jahre (Frauen und Männer gemeinsam – einzeln 70,7 für Männer und 80,3 für die Frauen). Früher haben die vietnamesischen Frauen im Schnitt fünf Kinder zur Welt gebracht, heute nur noch knapp zwei. Dennoch ergibt sich dadurch ein leichtes Wachstum der Bevölkerung. Knapp 2,5 Millionen Vietnamesen leben übrigens im Ausland – und deren Überweisungen nach Hause sind ein wichtiger Posten für die Wirtschaft des Landes. Die meisten sind übrigens damals beim Vietnamkrieg in die USA geflohen. 88% der Einwohner sind „echte“ Vietnamesen. Daneben gibt es noch 53 anerkannte ethnische Minderheitengruppen, darunter fast 1,2 Millionen Auslandschinesen. Es gibt auch noch Nachfahren sogenannter „Bergvölker“, die aber nicht sehr angesehen sind und deren Sprache sich sehr von der Landessprache unterscheidet.
So, jetzt ist die Unterrichtsstunde beendet.
Wir hatten inzwischen für eine Kaffeepause halt gemacht und durch den Besuch einer sehr ekligen Toilette wieder für „Harmonie“ im Team gesorgt.
Da ich im iPhone eine Höhenmesser-App habe, sah ich, dass wir uns langsam ans Ziel geschraubt hatten. Unser Hotel in Dalat war nicht mehr weit und entpuppte sich als eine etwas in die Jahre gekommene 3-Sterne-Herberge. Meine Badezimmertür hielt besonders gut. Nach dem Schließen ließ sie sich nicht mehr öffnen. Zum Glück saß ich nicht IM Badezimmer. Also die Rezeption angerufen und den Sachverhalt geschildert. Die Reparatur durch einen Hotelangestellten mittels großem Schraubenzieher und deutlicher Gewaltanwendung dauerte nur wenige Sekunden. Ab da ließ ich das Bad lieber geöffnet.
Durch das wenig zufrieden stellende Mittagsmahl waren wir alle ganz schön hungrig. Neun Leute unserer Reisegruppe suchten sich ein Restaurant. Wir wurden ganz in der Nähe des Marktes fündig und nahmen Plätze ganz am Rand des Lokals ein, weil eine unglaublich falsch spielende Musikgruppe mitten im Lokal vor allem Lärm verbreitete. Ich habe mir mal wieder mutig eine Flasche des einzigen einheimischen Weins bestellt, der in Südvietnam angebaut wird. Leider gab es nur den „Dalat Export“, die mittlere Qualitätssorte. Der normale Dalat ist leider sehr gewöhnungsbedürftig, und der teuerste „Excellent“ geht gerade so durch. Kaum hatten wir unsere – diesmal sehr leckeren – Speisen auf dem Teller, spielte die Band das Lied „Rivers of Babylon“ – den bekanntesten Hit der Gruppe Boney M., bei deren Entstehung ich ja vor gut 40 Jahren beteiligt war. Das musste ich natürlich im Video festhalten und über facebook posten. Bis heute wurde das Video 538 mal angeschaut – ein Ende ist nicht in Sicht. Mal sehen, ob es irgendjemand schafft, Frank Farian, den Producer des Stücks, dieses Video zu zeigen.
Ich würde die Aufnahme hier gerne posten, aber WordPress erlaubt diese 4-K-Auflösung des iPhones leider nicht.
Nach dem Essen zogen fünf von uns einfach ein paar Meter weiter in eine Cocktailbar. Die anderen, allen voran Silke und Conny, zog es auf den Nachtmarkt.
Wir anderen diskutierten lange über die Höhe des Trinkgelds für Reiseführer und gingen dann relativ früh zu Bett.
Und da ich so früh ins Bett gegangen war, war ich auch wieder sehr früh wach. Um mich rum Totenstille. Eine gute Gelegenheit, ein paar anstehende Sprachaufnahmen zu machen. Mit dem befriedigenden Gefühl, alles erledigt zu haben, zum Frühstücksbuffet gegangen. Auch hier wieder mit Silke und Conny zusammengesessen. Wir hatten uns irgendwie inzwischen aneinander gewöhnt.
Der Vormittagsausflug führte uns zunächst in den Sommerpalast des letzten Kaisers. Ein schlichtes, durchaus zweckmäßiges Gebäude mit vielen Schlafzimmern. Die musste der Kaiser auch dringend haben, da er angeblich eine Ehefrau und an die achtzig Konkubinen gehabt haben soll. Diese Kaiser aber auch …

Weiter ging es zu einer großartigen Tempelanlage mit wunderschönen Gärten drumherum. Und direkt dahinter zu einer Seilbahn, die uns einige Meter ins Tal tragen sollte. Vier Personen pro Gondel – und ab ging die Post. Im Tal besuchten wir dann ein völlig verrücktes Haus. Es sah aus, als hätte Herr Hundertwasser bei diesem Entwurf etwas ganz besonderes geraucht. Lauter kleine Wege führten wie Brücken zu den unterschiedlichen Miniaturwohnungen. Natürlich haben wir uns alle mehrfach verlaufen. Man kam dann nur durch einen Andenkenladen wieder ins Freie, was man sich ja auch hätte denken können. Gegenüber noch ein Tässchen Kaffee getrunken.
Weiter ging es zur ältesten Bahnstation Vietnams mit einigen Original-Lokomotiven und gut erhaltenen Waggons.

Zurück in Dalat, hatten wir den Rest des Tages zur freien Verfügung. Während die anderen die Zeit zu einer ausdauernden Stadtbesichtigung nutzen, lief ich ins Hotel zurück und testete die Küche des Hauses. Die Vorspeise – Frühlingsrollen mit Seadfood – schmeckte hervorragend. Auch das Gemüse, das den Reis des Hauptgangs bedeckte, war frisch und sehr lecker.

Leider konnte man das von den gebratenen Shrimps nicht behaupten. Die waren mit Kopf und Füßchen schlicht und einfach in der Pfanne so lange gebrutzelt worden, dass man sie nicht mehr auseinander nehmen konnte. Sie gingen geschlossen zurück.
Luan hatte für unseren letzten Abend ein einfaches Restaurant direkt neben dem Hotel gebucht. Und hier kam ich wirklich auf meine Kosten. Ich weiß nicht mehr, wie das Gericht hieß, aber es waren eingewickelte Rindfleischstreifen mit landestypischen Pilzen. Die Pilze sahen aus wie lange Fäden und hatten eine leicht gummiartige Konsistenz. Irgendwelche Nebenwirkungen blieben erstaunlicherweise aus. (Bisher.)

26 Reiseteilnehmer und ein zunehmend gut gelaunter Luan waren die perfekten Zutaten für einen wunderbaren Abschiedsabend. Das Bier floss in Strömen, und irgendwann holte Luan auch noch die Reisschnapsflasche raus, die ihm seine Mutter bei seinem kurzen Besuch vor drei Tagen für uns „Langenasen“ mitgegeben hatte. Und als die Flasche alle war, bestellte er mit dem Geld, dass Annika noch von einer Sammlung für einen ganz anderen Zweck übrig hatte, mindestens zwei weitere Flaschen. Leider wurde wir dann auch ein bisschen laut. Das Bild des grölenden Deutschen im Ausland gehört nicht unbedingt zu meinen Lieblingsmotiven, aber es ließ sich hier und heute nicht vermeiden.

Wir hatten am Morgen im Hotel bereits das Trinkgeld für Luan, den Fahrer und unseren Wasserboy eingesammelt, so dass wir ihm „seinen“ Umschlag an diesem Abend überreichen konnten. Er war sehr dankbar, hatte fast schon Tränen in den Augen.
Fix und fertig, aber rundum glücklich in die Heia.

Es wird Zeit, sich umzuziehen. Wir acht haben vor, heute Abend Lobster zu essen. Lobster sind so ´ne Art Hummer, nur ohne Scheren. (Danke, Conny!) Auf der langen Straße vor den Hotels gibt es viele Restaurants, die das anbieten. „Mr.Lobster“ heißt das bekannteste. Zum Glück hat sich unser Jürgen in einem der vielen Massagesalons (keine Angst, ich komme darauf zurück!) mit einem Russen angefreundet, der ihm ein besseres und günstigeres Lobster-Restaurant empfohlen hat. Selbiges ist aber rund 4,5 km entfernt, sodass wir uns ein Taxi bestellen. Selbst Norbert ist pünktlich – so einen Lobsterschmaus lässt man sich ja nicht gerne entgehen. Kurz vor dem Ziel sehen wir so eine typische Einheimischen-Kneipe mit Wellblech und ultraweißen Neonlampen, aber ohne Außenwände. Silke lacht noch: „Stell´ Dir vor, wir werden jetzt in so eine Kaschemme gefahren!“ – „Das will ich nicht hoffen!“ – meine voreilige Antwort.
Und dann sind wir auch schon da. In genau so einer Kaschemme. Ein typisches Restaurant für die Einheimischen. Touristen würden hier freiwillig nicht reingehen. Es sei denn, sie wüssten, wie es hier schmeckt. Aber die Einheimischen sind in großer Zahl vorhanden – fast jeder Tisch ist besetzt. Wir reden uns das Lokal schön. „Wenn hier die Einheimischen essen, muss es ja gut sein!“


Die Lobster liegen in großer Zahl tot in Plastikgefäßen rum. Die offensichtliche Chefin des Lokals nimmt die Bestellungen auf. Jeder ausgesuchte Lobster wird gewogen und mit einem Zettel versehen an die Küche verschickt. Das Kilo kostet übrigens 600.000 Dong, also 22,41 Euro. Die meisten der Lobster sind sogar leichter als ein Kilo. Flinke junge Leute versorgen uns mit Getränken (Bier) und Vorspeisen. Und dann kommt auch schon der erste Lobster. Das Personal wartet, bis wir das aufgeschnittene Tier fotografiert haben und zerlegt es dann fachmännisch in essbare Einzelteile. Mannomann, ist das lecker. Jürgen schafft es sogar, mittels Nussknacker die Beinchen des Tieres auseinander zu knacken.
Und während wir da überglücklich feinste Lobster in uns reinstopfen, findet sich an einem Nebentisch eine Gruppe junger Leute zum Betrinken ein, wie wir an den lauten „Prost“-Rufen, die hier „Mo hei ba yo“ heißen, zweifellos feststellen können. Unsere Wirtin warnt uns davor, dass die Jungs sicher bald anfangen würden zu singen. Und so kommt es auch. Irgendeiner schleppt einen Riesenlautsprecher mit Karaoke-Einrichtung ins Lokal. Nach ein paar kurzen Feedbackproblemen mit den Mikrophonen geht es auch schon los. Die Buben und Mädels singen laut, manchmal falsch, aber mit großem Einsatz. Natürlich sparen wir nicht mit dem Applaus, zumal inzwischen eine Flasche Reis-Wodka bei uns auf dem Tisch gelandet ist, die sich verdächtig schnell leert. Und dann passiert, was ich auf jeden Fall vermeiden will: „Rainer, jetzt singst Du mal was!“ (Ich war so blöd, irgendwann damit geprahlt zu haben, schon mal bei einer Karaoke-Veranstaltung mitgemacht zu haben). Lange Rede, kurzer Sinn: Ich frage, ob sie das Playback von „Yesterday“ von den Beatles dabei haben – in der Hoffnung, dass sie ohnehin nur Musik aus Vietnam auf ihrem Tablet haben. Pustekuchen. „Yesterday“ ist da und ich muss singen. Zur Steigerung meines Schamgefühls nehmen meine Reisepartner das Gekrächze auch noch auf. Gema-Forderungen erwarte ich keine – da der Gesang doch stellenweise weit von Paul McCartneys Originalmelodie entfernt ist. Die Rechnungen für das vorzügliche Essen sind unglaublich niedrig. Wir sollten öfter bei den Einheimischen essen. Jetzt müssen wir uns aber noch schnell ein oder zwei Cocktails hinter die Binde gießen, um den Abend gebührend abzuschließen.
Ach, jetzt habe ich doch schon wieder vergessen, zu verraten, wo unsere 18 Mitreisenden geblieben sind. Im nächsten Kapitel bestimmt!!

Der letzte Tag der Rundreise durch Südvietnam war angebrochen. So richtig munter war zwar nicht jeder der Reisegruppe, aber die meisten hatten den gestrigen Abend mit den vielen Reisschnäpsen doch erstaunlich gut weggesteckt. Luans letzte Aufgabe war, uns in den Hotels am Strand abzusetzen, in denen wir die zweite Woche relaxen sollten. Denn die Reisebeschreibung lautete ja „Vietnam & Baden“. Und deshalb jetzt die Auflösung, wo unsere 18 „Kameraden“ verblieben sind. Sie waren nicht verschwunden, sondern einfach nur woanders.
Ein paar Tage vor Reisebeginn kam nämlich ein Brief von CleverTours, das im geplanten Strandhotel Bauarbeiten stattfänden und somit nicht gewährleistet sei, dass man wirklich Ruhe hat. Als Alternative bot man ein zweites Hotel an, dass zwar kleiner, etwas weiter weg vom Zentrum und auch sehr nett wäre. Spontan entschied ich mich (wie die sieben anderen unserer Truppe) für das neue Hotel, während das Gros der Reisenden trotz des zu befürchtenden Baulärms das originale Hotel bevorzugte. Inzwischen wissen wir, dass das Original-Hotel sehr abseits gelegen war und wir mit unserem Allezboo Beach Resort großes Glück gehabt haben. Sehr schöne, große Apartments (bis hin zu einer Suite!), toller Pool, sauberer Strand, extrem freundliches Personal, tolle Restaurants und alle Geschäfte in Laufweite. Selbst die zwei Flaschen Gratiswasser gab es jeden Tag. Und unsere Truppe war ja nun auch einmalig gut zusammengestellt. Wir haben „von den anderen“ höchstens Annika und Torsten vermisst – ansonsten hatten wir genug Spaß mit uns selbst. Es wäre langweilig, die Tagesabläufe dieser zweiten Woche detailliert zu beschreiben: Wie so ein Badeurlaub funktioniert, dürfte ja jedem klar sein. Frühstücken, an den Pool oder ans Meer, Abruhen, einkaufen oder rumbummeln, Abendessen, Heia.
Das Einzige, was es nicht in jedem Badeurlaub gibt, sind die vielen Massagestudios auf der Hauptstraße. Silke hatte gleich am ersten Tag Kontakt zu einer sehr geschäftstüchtigen Inhaberin solch eines Massagesalons. Nach und nach waren wir dann auch alle mal da, um uns durchkneten zu lassen. Ja, sogar ich Schisser habe da mitgemacht. Ich musste mich in einer durch Vorhänge abgetrennten Kabine bis auf die Unterhose ausziehen und auf den Bauch legen. Dann kam eine der kleinen Vietnamesinnen in die Kabine, um mich mal so richtig durchzukneten. Als sie dann plötzlich meine Unterhose ein gutes Stück runterzog, dachte ich erst, ich hätte eine Massage gebucht, bei der andere Körperteile als der Rücken die Hauptrolle spielen. Aber es passierte zum Glück nichts Schlimmes. Ich wurde einfach nur immer wieder durchgewalkt, bis dem Mädel die Kräfte ausgingen. Dann sollte ich mich umdrehen. Zum ersten Mal konnte ich meine Peinigerin ins Gesicht sehen. Sie war so um die 40 Jahre alt, einen guten Meter groß, natürlich schwarzhaarig und sehr freundlich. Ob ich denn auch eine Gesichtsmaske haben wolle, fragte sie. Ich dachte mir, jetzt ist eh alles zu spät. Warum also nicht? Es gibt immer ein erstes Mal. Dann legte sie mir Gurkenscheiben mit irgendeiner glitschigen Masse über das Gesicht, so dass ich erstens nichts mehr sehen konnte und zweitens kaum noch Luft bekam. Meine Peinigerin setzte danach die Massage von vorne fort. Immer, wenn sie bestimmte Punkte an meinen Fußsohlen zu kneten begann, bäumte sich mein geschundener Körper vor Schmerzen auf. Sowas kann ich ja gar nicht ab. Nach gut 45 Minuten war die Tortur überstanden. Das Gesicht war wieder frei von Schmiere, die Extremitäten abgetrocknet und eingeölt, und mir stand nur noch eine Pediküre bevor, die ich bei der Gelegenheit auch gleich mal erledigen wollte. Dazu musste ich mich auf einen Sessel direkt im Eingangsbereich setzen, sodass auch alle Passanten mitbekamen, was mit meinen Füßen passierte. Elke saß auch schon da, aber nicht der Füße, sondern der Fingernägel, bzw. des Nagellacks wegen. Die Angestellten des Etablissements sind wohl in mehreren Disziplinen ausgebildet, denn meine Kneterin übernahm jetzt auch die Lackierung von Elkes Fingernägeln. Mir wurde eine neue Angestellte zugeteilt, die mit relativ viel Vorsicht alles Menschenmögliche tat, um aus meinen Fußzehen wieder ansehnliche Exemplare zu machen. Leider hat sie mich plötzlich geschnitten. Ich erwog eine Klage wegen Körperverletzung, aber ein kleines Pflaster und die Selbstheilungskräfte meines Körpers langten völlig aus, um mich wieder ruhigzustellen. Ganz relaxed war ich dann bei der Bezahlung. Der ganze Spaß (Body-Massage, Gesichtsmaske und Pediküre) hatte umgerechnet etwas mehr als 8 Euro gekostet.

11.00 Uhr am Abreisetag. Die Koffer sind gepackt. Unser Bus wird uns um 16.00 Uhr abholen. Dann geht es zurück nach Saigon. Erst um 0.35 Uhr in der Nacht zum Montag werden wir – wieder über Dubai – nach Deutschland zurückfliegen. Da wir gegen die Zeit fliegen, kommen wir schon am Montagmittag um 13.15 Uhr in Frankfurt an.
Leider nicht alle aus unserer Gruppe. Corinna hat sich am Vorabend eine böse Fischvergiftung eingefangen. Sie war den ganzen Nachmittag im Krankenhaus und liegt jetzt auf ihrem Zimmer. An Fliegen ist nicht zu denken. Norbert ist natürlich bei ihr geblieben. Hoffen wir, dass alles gut ausgeht und die beiden bald nach Hause fliegen können.
Nachtrag: Die beiden konnten am nächsten Nachmittag Non-Stop nach Hause fliegen. Beinahe hätten sie uns noch überholt …

Das Fazit.
Ein Traumurlaub in einem traumhaften, aufregenden und aufstrebenden Land. Eine anstrengende Woche mit Dutzenden von unvergesslichen Eindrücken und eine weitere relaxte Woche in einem absolut phantastischen Hotel mit einer Gruppe wunderbar aufeinander abgestimmter Charaktere. Ich hoffe sehr, dass wir acht, die „Lobster Group Allezboo 2017“, noch lange miteinander in Kontakt bleiben. Mit dem umfangreichen Foto- und Videomaterial werde ich auf jeden Fall ein Reisevideo schneiden, das dann irgendwann (mit persönlichen Zugangsdaten) im Internet zu sehen sein wird. Ich hoffe auch, dass wir uns in ein paar Monaten nochmal bei mir in Frankfurt treffen werden, um an diesen Traumurlaub zurückzudenken.
Danke Silke, danke Conny, danke Norbert und Corinna, danke Marianne, danke Elke und Jürgen und vor allem Danke an Luan, dessen positives Denken uns allen Auftrieb gegeben hat.