Der Balkon ist ca. fünf Meter breit. Dunkle Holztüren mit gefakten Kupferbeschlägen führen ins Innere des Apartments. Ich sitze auf einer bequem gepolsterten Holzbank auf besagtem Balkon und starre in den Garten. Der Pool in diesem „Allezboo Beach Resort“ ist nur wenige Meter entfernt. Doch obwohl es früher Nachmittag ist, stört kein Kindergeschrei die gespenstische Ruhe in diesem Palmenmeer. Keine Bikinischönheit räkelt sich in gleißendem Sonnenlicht. Im Hintergrund hört man ab und zu Wellenrauschen, ansonsten nur das eintönige Prasseln des Dauerregens.
Ich bin in Südvietnam, und die Regenzeit sollte eigentlich bald vorbei sein. Mehr als ein paar Stunden Sonne am Tag sind nicht drin. Vor ein paar Wochen hat ein Tornado die Mitte Vietnams kurz und klein geschlagen; unzählige Existenzen haben buchstäblich alles verloren: ihr Haus, ihren Arbeitsplatz, ihre Familie, ihre Zukunft. Und jetzt regnet es wieder. An der ganzen langen Küste entlang. Das ist bei 29 Grad Außentemperatur nicht gerade angenehm. Und soeben ist auch noch der Strom ausgefallen.
Warum fahre ich dann hier her, wird sich der verwunderte Leser fragen.
Aber der Reihe nach.
Da gibt es so einen Newsletter namens „Travelzoo“. Der empfiehlt jede Woche irgendwelche besonders gute oder besonders günstige Reisen. Manchmal kommt Beides zusammen. So konnte man eine zweiwöchige Vietnam-Rundreise für unglaublich günstige 1600.- Euro (1200.- pro Person für Paare) buchen. In diesem Preis waren fast alle Ausflüge, alle Übernachtungen und das tägliche Frühstück enthalten. Alles, was darüber hinausging, musste man selbst zahlen. REWE hatte dieses Schnäppchen im Angebot. Natürlich hat der Lebensmitteldiscounter nichts mit der Organisation zu tun. Die verdienen nur ein paar Euro für die Vermittlung der Reisen. Ausrichter ist die Firma „CleverTours“. Ich hatte diese Reise schon im Januar oder Februar gebucht und freute mich wie dolle auf dieses exotische Ziel. Aber irgendwann hatte ich das Ganze wieder nach ganz hinten in meine Kopfschubladen geschoben und mich nicht mehr groß um die Vorbereitung der Reise gekümmert. Es kamen ja auch noch Reisen nach China, Montenegro und Dresden dazwischen. Umso verblüffter war ich, dass ich am 10.10. tatsächlich losfliegen sollte!
CleverTours hatte wenige Tage vor dem Abflug die Fluggesellschaft gewechselt, wodurch ich die Gelegenheit bekommen sollte, erstmals mit der größten Passagiermaschine der Welt, dem Airbus A 380 fliegen zu können. Natürlich flog die Maschine von „Emirates“ erst mal nach Dubai, damit die Passagiere in diesem internationalen Drehkreuz neu aufgeteilt werden konnten. Die Maschine war komplett ausgebucht. Um mich herum viele Deutsche, denen man eine gewisse Urlaubsfreude ansah. Doch wer würde mit mir weiter nach Saigon fliegen? Wer nach Australien, Singapur oder Thailand? Ich machte mir so meine Gedanken und hoffte vor allem, dass die junge hübsche Rechtsanwältin neben mir dasselbe Ziel gehabt hätte. Hatte sie aber nicht. Sie freute sich auf drei Wochen Strandurlaub in Bali. Wer mich kennt, weiß, dass ich mit dem Herumfaulenzen am Strand oder Pool so meine Probleme habe. Ich möchte das Land erobern, die Menschen kennenlernen, die Sprache ergründen, die Schrift studieren und in möglichst kurzer Zeit so viel erleben wie es eben möglich ist.
Die A380 landete nahezu geräuschlos aus dem Flughafen in Dubai. Sie rollte an das extra für diese Maschine 2013 neu erbaute Terminal und spuckte gut 500 Passagiere aus. Der vorgeschriebene Weg für den Weiterflug führte die Rechtsanwältin aus Köln und mich dann in den alten Trakt des Riesenflughafens. Hier was es so gar nicht mehr schön. Völlig versiffte Teppiche, dreckige Toiletten, billige Plastiksitze. Wir tranken einen Kaffee im Plastikbecher, dessen Ökobilanz verheerend gewesen sein muss, und trennten uns kurz vor ihrem Abflug nach Bali. Ich hatte noch ein Stündchen zu warten und lief wieder zurück in den „Duty-Free“-Bereich, um mir für meine Apple-Sammlung endlich die drahtlosen Ohrhörer, die sogenannten „iPods“ zu kaufen. Geniale Sache. Wenn sie mir nicht ständig aus den Ohren fielen.
Mit der etwas kleineren Boing 777-300 ging es dann weiter nach Saigon, der größten Stadt Vietnams mit ca. 10 Millionen Einwohnern. Und mit mindestens 8 Millionen Mopeds. Insgesamt war ich nun schon fast 20 Stunden unterwegs, die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln eingerechnet.
Es war hübsch warm in Saigon. Gute 28 Grad und sehr stickig. Die Luftfeuchtigkeit lag bei 88%. Das ist gefühlt pures Wasser. Luan, unser Reiseleiter, erwartete die Truppe bereits sehnsüchtig. Er hatte sehr kurz geschnittenes Haar, war 35 Jahre alt und sprach ein zwar grauenhaftes, aber dennoch einigermaßen verständliches Deutsch. Wie alle Vietnamesen war er sehr klein gewachsen, vielleicht 1,55m groß. Die fehlende Länge machte er durch sein großes Mundwerk wett. Davon werde ich noch viel zu erzählen haben. Luan – ein perfekter Selbstdarsteller mit der Gabe, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen.
Inzwischen war unsere Gruppe auf 26 Leute angewachsen – viele von ihnen hatte ich im Flugzeug bereits insgeheim dazu gezählt – einige allerdings nicht. Das war unsere Truppe:
Ein Ehepaar aus Berlin mit etwa 30-jähriger Tochter (leicht gehbehindert),
Marianne, eine Dame aus Ingolstadt, immer sehr lustig drauf,
Silke und Conny, zwei Freundinnen aus München und Karlsruhe,
ein Vater mit seiner etwa 29-jährigen Tochter,
ein allein reisender älterer Mann mit großer Lauferfahrung,
ein frisch verliebtes Paar um die 30,
sieben Ehepaare aus allen möglichen Gegenden Deutschlands – und ich natürlich. Das Durchschnittsalter dürfte trotz der insgesamt vier jungen Leute zwischen 55 und 60 gelegen haben. Das habe ich auch schon schlimmer erlebt.
Diese muntere Reisegruppe stieg nun in einen Bus, den wir die ganze Woche behalten sollten. Innen hübsch mit gestickten Deckchen verziert, fühlten wir uns gleich sehr heimelig. Der Busfahrer fuhr vorsichtig und besonnen, was die Verkehrslage auch dringend erforderte. Es gibt zwar in Saigon sehr viele Ampeln, aber so richtig beachtet werden sie in der Regel nicht. Ständig schwappten Tausende von Mopeds in den Strom, um die Fahrtrichtung für eine Weile zu ändern. Zur Kommunikation wird die Hupe benutzt. Der Busfahrer hatte eine ganz besonders laute, die er auch das eine oder andere Mal einsetzen musste. An Bord hatten wir außerdem einen „Waterboy“, dessen Aufgabe es war, uns alle zweimal am Tag mit frischen Wasserflaschen zu versorgen. Er hat übrigens während der ganzen Reise nur ein einziges Mal gesprochen. Und noch eine Besonderheit hatte dieser Bus: Es gab WLAN an Bord! Und tatsächlich konnten wir bis auf wenige Stellen später im Hochland jederzeit auf eine funktionierende LTE-Verbindung zurückgreifen. Hier ist uns Vietnam meilenweit überlegen! Auch in den Online-Preisen. Eine 20 Gigabyte-Simkarte mit LTE-Geschwindigkeit (4G) für mein iPad kostete knappe 20 Euro! Hatte ich mir gleich am Flughafen gekauft.
Luan versorgte uns während der rund einstündigen Fahrt zum Hotel mit den üblichen Basisdaten über die Stadt: Saigon heißt seit 1975 übrigens offiziell „Ho-Chi-Min-City“. Es werden aber beide Namen noch parallel verwendet. Die Stadt hat eine Grundfläche von etwas über 2000 Quadratkilometern und eine Bevölkerungsdichte von fast 4000 Menschen pro qkm. Saigon ist auch das wirtschaftliche Zentrum Vietnams. Es gibt außerhalb der Kernstadt kein zusammenhängendes Stadtgebiet, sondern ist eher mit einer dicht besiedelten Provinz vergleichbar. Saigon liegt im Süden des Landes etwas nördlich des Mekong-Deltas auf dem rechten Ufer des Saigon-Flusses. Die Metropole ist außerdem Verkehrsknoten und das Kulturzentrum des Landes mit Universitäten, Theatern, Kinos. Museen, Baudenkmälern und Parks. Wir sollten die meisten noch zu sehen bekommen. Irgendwie erinnerte mich alles ein wenig an Thailand vor zwanzig Jahren. Auch dort sind die damaligen Mopeds inzwischen den Autos gewichen – das steht hier auch unmittelbar bevor. Vietnam ist eine „sozialistische Republik“. Es gibt eine (kommunistische) Einheitspartei, die alles regelt. Außer den Führungskräften haben inzwischen aber auch über 500 Abgeordnete eine Menge Einfluss auf das politische Geschehen. Sogar Gesetzte können von den Abgeordneten alleine gemacht werden. Vietnam gilt als Schwellenland – die Elektronikindustrie macht inzwischen fast 26% des Bruttosozialprodukts aus. Obwohl 80% der Bevölkerung noch in der Landwirtschaft arbeiten, trägt diese nur zu 5% zum Wohlstand des Landes bei. Die Handelsbilanz des Lands ist zwar noch negativ, zeigt aber seit 2010 steil nach oben. In Kürze werden die Finanzen ausgeglichen sein. Wo dann statt der Mopeds die vielen Autos fahren sollen, steht allerdings noch in den Sternen. E-Bikes haben wir zwar auch gesehen, sind aber hier noch kein Kernthema.
Das Hotel „Le Duy“ lag mitten im Zentrum, hatte drei Sterne und war auch dementsprechend einfach ausgestattet. Kofferträger brachten uns – gegen ein oder zwei Euro Trägerlohn die Koffer auf die Zimmer. Euro? Ja, richtig gelesen. Mit dem Euro kommt man selbst hier fast überall zum Ziel. Auf dem Land ist das dann anders, aber hier in der Hauptstadt nimmt man gerne auch Dollars und den Euro.
Überhaupt das Geld. Die Währung heißt hier „Dong“ und hat sehr viele Nullen. Durch ständige Abwertungen in der Vergangenheit ist ein Euro mittlerweile 26.000 Dong wert. Am Automaten habe ich gleich mal drei Millionen Dong abgehoben und war damit nur 112,18 Euro ärmer. Der kleinste Schein ist der 1000-Dong-Schein, der immerhin 4 Cent wert ist. Münzgeld gibt es nicht – zumindest habe ich es nirgendwo gesehen.
Nachdem wir uns ein wenig frisch gemacht hatten, stand uns der Rest des angebrochenen Abends zur freien Verfügung. Ich schlenderte ein wenig durch die umgebenden Straßen und Parks auf der Suche nach dem „Nachtmarkt“, von dem Luan so geschwärmt hatte. Trotz einer Straßenkarte, die jeder Mitreisende ausgehändigt bekommen hatte, habe ich den Markt nicht gefunden. Stattdessen stand ich plötzlich vor einer Musikkneipe, aus der laute Rockmusik –offenbar live gespielt – durch die geschlossenen Türen und Fenster drang. Mutig ging ich rein. Der Türsteher fragte mich, welche Musikrichtung ich bevorzugte – Rock oder Pop – Ich sagte „Rock“, wurde aber in den ersten Stock zur „Pop“-Abteilung geführt. Und das war gut so. Eine mega-gute Coverband mit fünf Jungs und drei wirklich toll aussehenden Mädels spielte hier die Hitparade rauf und runter.
Ich wurde an die Bar geführt und sofort von einer der rund zehn jungen Damen im Minirock betreut. Ich bestellte ein Glas Weißwein aus Australien, bekam aber gleich die ganze Flasche. Es hätte auch etwas zu Essen gegeben, aber der Blick in die Schüsseln der anderen Besucher ließ mich davon Abstand nehmen. Das Mädel schenkte mir nach jedem Schluck, den ich machte, Wein nach, bis die Flasche nach einer guten Stunde leer war. Sie wollte sich auch dauernd mit mir über irgendwas unterhalten, aber ich habe sie leider nicht verstanden. Vielleicht war das auch besser so, wer weiß, was sie mit mir vorhatte. Die Zeche betrug 1.530000.- Dong, also nur 57 Euro und einundzwanzig Cents. Das war es mir wert.
Inzwischen war es schon fast ein Uhr Ortszeit geworden. Ich hatte eine superprofessionelle Showband gesehen und gehört, einen einigermaßen brauchbaren Wein getrunken und erste zarte Bande zur Bevölkerung geknüpft. Zeit, wieder ins Hotel zu gehen. Die Zahl der Mopeds hatte sich nur unwesentlich verringert, und der Versuch, eine Straße zu überqueren, kann durchaus ernste Folgen haben. Am besten ist es, einfach loszugehen, ohne mittendrin wieder stehen zu bleiben. Die Mopedfahrer rechnen nämlich damit, dass man weiterläuft – und passen ihren Fahrstil und die Fahrtrichtung entsprechend an. Wenn man aus Angst ständig stehenbleibt, irritiert das die Zweiradlenker und führt zu Staus und Unfällen. Auf grüne Fußgängerampeln muss man nicht achten, die sind nur zum Spaß da.
Direkt neben dem Hotel sah ich in einer kleinen Spelunke noch vier Mitreisende beim fröhlichen Trinken. Der Vater mit seiner Tochter sowie Jürgen mit seiner Frau. Ich gesellte mich dazu und bekam sogar noch den letzten Schluck Weißwein.
Um halb zwei lag ich dann endlich in meinem Bett. So langsam klangen nur noch vereinzelte Hupen an mein Gehör und der Schlaf übermannte meinen geschundenen Körper.
Der Dauerregen vor meinem Balkon hat plötzlich aufgehört. Es klopft an der Apartmenttür. Ich habe vorhin um Hilfe gebeten, weil der Hotelschlüssel nicht in seiner Halterung bleibt. Und wenn er nicht in der Halterung ist, habe ich keinen Strom und kein Licht. Die Jungs von der Hotel-Maintenance wurschteln ein bisschen hin und her und quetschen den Schlüssel dann mit Gewalt in die Halterung, so dass sogar ein bisschen Plastik abspringt. Schön, dass hätte ich auch selbst gekonnt.
Aber jetzt habe ich endlich Strom und kann meine ganzen Apple-Teile sowie die Videokamera aufladen. Noch drei Stunden bis zum Abendessen. Von den ursprünglich 26 Mitreisenden sind nur noch acht übrig geblieben. Wie konnte das passieren?
Ich versuche mal, zu rekapitulieren, wie es so weit kommen konnte …
Das Frühstück im „Le Duy“ war nicht übel. Vor allem der Kaffee schmeckte außerordentlich gut. Ist ja auch kein Wunder, wenn man weiß, dass Vietnam der zweitgrößte Kaffeeproduzent der Welt geworden ist. Die Einheimischen trinken ihn allerdings mit süßer Kondensmilch, was den guten Eindruck schlagartig ins Gegenteil verkehrt. Es sei denn, man mag das. Wie Silke.
Laut Reiseplan wäre heute in freier Tag zur eigenen Erkundung der Stadt vorgesehen. Nahezu alle Teilnehmer buchten aber den zusätzlich angebotenen Ausflug nach Tai Ninh und Cu Chi. Punkt acht wurden wir von „unserem“ Bus aufgelesen und zum Haupttempel der Religionsgemeinschaft der „CAODAI“ gefahren. Wir trafen pünktlich um 12.00 Uhr zur täglichen Zeremonie ein, die man von einer Ballustrade aus beobachten konnte. Ich halte nicht viel davon, Menschen bei der Ausübung ihrer Religion zu beobachten (ich halte überhaupt nichts von Religionen, aber das ist ein anderes Thema) und hatte mich daher nicht mit in das durchaus schön gestaltete Kirchenhaus begeben. Dafür wurde ich draußen von diversen Mädchen angesprochen und angebettelt, bis Luan – der auch nicht mit reingegangen war – mich rettete.
Nach einer Harmonie-Pause – so heißt wie in China auch hier der gemeinsame Besuch der Toilette – ging es dann tief in die vietnamesische Geschichte, die an Grausamkeit kaum zu überbieten sein dürfte. Wir besuchten ein ehemaliges Rebellendorf bei Ben Douc im Bezirk Cu Chi, wo sich im Vietnamkrieg ein starker Widerstand gegen die USA festgesetzt hatte. Fast 200 Kilometer lang ist das Tunnelsystem, das auf drei Ebenen eine eigene kleine Stadt mit Wohnräumen, Lagern, Krankenhäusern, Befehlsständen und Küchen darstellt. Es wurde schon zu Zeiten der französischen Kolonisation gebaut und war Grund für die Franzosen, das Land sang- und klanglos zu verlassen. Für die Touristen hat man nun einige kurze Abschnitte restauriert und vor allem verbreitert, damit auch fette Amis durch die Öffnungen kommen. Amerikaner kommen wieder nach Vietnam? Nun, seit Präsident Barack Obama vor ein paar Jahren das Embargo gelöst und wieder diplomatische Beziehungen zugelassen hat, ist auch das wieder möglich. Überhaupt exportieren die Vietnamesen einen Großteil ihrer Produkte wieder in die USA. Das heißt aber nicht, dass die Vietnamesen die Amerikaner wieder lieben. Eher nicht, sagt Luan. Der muss es ja wissen.
Ein paar Mitglieder der Gruppe haben sich also durch die schmalen Öffnungen gequetscht und sind ein paar Meter unter der Erde lang gelaufen, bevor sie – nach 15 Metern – wieder an die Oberfläche durften. Die Partisanen waren damals sehr gewitzt. Überall gab es böse Fallen für die sogenannten „Retter“, die in Wirklichkeit das ganze Land zerstört hatten. 1975 hatten die Amis die Nase voll und verließen das Land an einem einzigen Nachmittag mit einer Luftbrücke. 3 Millionen Vietnamesen waren im Krieg umgekommen, und viele tausend spüren noch heute – viele Generationen später – was das Entlaubungsgift „AGENT ORANGE“ mit ihren Genen angestellt hat.
Etwas betreten fuhren wir wieder zurück ins Hotel. Es ist immer wieder unfassbar, zu welchen Gräueltaten Menschen fähig sind. Leider lernen sie nichts aus ihren Fehlern.
Am Abend versuchte ich dann mal wieder auf eigene Faust, ein gutes Restaurant zu finden. Ganz in der Nähe des Hotels musizierten ein Gitarrist und seine Begleiterin schöne Popsongs für die wenigen Gäste. Ich ging neugierig rein und bestellte mangels Ahnung „Spaghetti Bolognese“. Die Nudeln waren top, die Soße sehr süß. Andere Länder, andere Würzung. Also weiter durch die Straßen gelaufen. In einem Supermarkt gelandet, nichts gekauft. Verlaufen. Plötzlich stand ich wieder vor dem Musiklokal von gestern. Weil die Rockmusik auch VOR dem Lokal gut zu hören war, blieb ich davor sitzen und hörte mir bei einem Gin Tonic ein paar hervorragend interpretierte Rockoldies an. Bis ich wieder im Bett lag, war es auch schon wieder halb eins.
Jetzt – mit Licht im Zimmer – kann ich mir mein Apartment endlich mal richtig anschauen. Es ist recht groß und hat den üblichen Luxus. Fernseher, riesengroßes Bad (mit Fenstern zum Schlafzimmer – anscheinend typisch für Asien), große Schränke, viele Steckdosen (!) und ein King-Size-Bett, in dem eine ganze Familie schlafen könnte, ohne sich gegenseitig anzustupsen. Typisch auch die vielen aufgestellten Kopfkissen und das bombenfest irgendwo festgezurrte Laken, das man nur nach intensiver körperlicher Betätigung frei bekommt. In den Schränken ist genug Platz für den gesamten Inhalt meines Koffers, so dass dieser ab sofort nur noch für die Aufnahme der Schmutzwäsche herhalten muss. Ach ja, die Kleidung. Anscheinend habe ich vergessen, eine Badehose mitzunehmen. Und noch mehr kurze Hosen. Außerdem ist der Akku meines Rasierers leer. Wie kann das sein? Der hält schon seit vielen Jahren mindestens drei Wochen durch! Das Netzkabel habe ich zuhause gelassen, um mein Kabelgewirr nicht noch größer zu machen. Das habe ich nun davon. Ich muss mir ein Netzkabel kaufen. Und eine Badehose. Und bei der Gelegenheit vielleicht auch ein paar passende Sandalen …
Zurück nach Saigon. Da wir die kommende Nacht nicht in unserem Hotel in Saigon verbringen würden, mussten wir alle komplett auschecken. Der Vormittag gehörte einer Stadtrundfahrt durch Saigon. Beginnend im Historischen Museum, wurden wir erneut mit der Brutalität des Vietnam-Kriegs konfrontiert. Auf drei Etagen waren Belege für die größten Grausamkeiten, die Menschen sich gegenseitig antun können, ausgestellt. So manche Tränen ließen sich nicht vermeiden.
Danach hatten wir noch ein paar kurze Aufenthalte an der „Notre Dame“, einer prunkvollen Kathedrale aus der französischen Besatzungszeit, die aber gerade renoviert und daher nicht betreten werden konnte.
Dafür durften wir uns aber das Postgebäude ansehen, das auch einen unverwechselbaren französischen Baustil aufwies.
Außerdem mussten wir uns das Regierungsgebäude ansehen, das ziemlich öde aussah und keinerlei Interesse bei uns weckte.
Ein sehr schön erhaltenes Theater stand auch noch auf der Liste, die es abzuhaken galt.
Am Nachmittag stand die Fahrt ins Mekong-Delta auf der Liste. Hier ist die Heimat von Luan. Hier wohnen seine Frau und seine fünfjährige Tochter. Hier ist alles sehr viel einfacher. Aber es sollte einer der ereignisreichsten Tage seit Langem werden.
Luan hatte sich inzwischen die Vornamen der meisten Mitreisenden gemerkt und sprach uns immer wieder mal an. Vor allem mit Uwe und Norbert machte er seine Späße. Seit Norbert einmal zu spät am Bus war, brauchte er sich um Luans Spott nicht zu sorgen. Als netter und humorvoller Mann nahm er Luans Scherze aber nicht persönlich. Und da schon Luan so ziemlich jeden mit Vornamen anredete, kamen wir Touristen auch immer mehr untereinander ins Gespräch. Auf der etwa 180 Kilometer langen Strecke, die teilweise sogar über die (einzige) Autobahn führte, erfuhren wir wieder mal so einige interessante Dinge über dieses geheimnisvolle Land und unseren weltoffenen Reiseleiter. Luan hatte deutsch in der Universität in Saigon gelernt und nach seinem Abschluss Deutschland sogar besucht. Eine seiner ersten Käufe war die deutsche Flagge, die angeblich auch heute noch über seinem Bett in einer Wohngemeinschaft in Saigon hängt. Er pflegt sogar noch guten Kontakt zu den Menschen, die ihm damals geholfen haben, überhaupt ein Visum zu bekommen. Und Luan erzählte uns sehr viel aus dem Leben in seinem Dorf hier im Mekong-Delta. So kam raus, dass Juans Eltern sich erst am Tag der Hochzeit kennengelernt hatten. Es wurde trotzdem eine glückliche Ehe. Dass Liebespaare vor der Heirat zusammenwohnen, ist – zumindest auf dem Land – gänzlich ausgeschlossen. Eine weitere Regel besagt, dass die Ehefrau an den Wohnort des Ehemanns ziehen muss. In Luans Fall war das nicht einfach, da seine Zukünftige bereits einen guten Job in der Hotellerie hatte. Aber sie zog natürlich trotzdem zu ihm. Die Hochzeit dauerte zwei Tage. 600 Gäste wurden bewirtet – die Vorbereitungen dauerten ein ganzes Jahr. Die Hochzeitsreise ging mit Zug und Flugzeug auf irgendeine Insel. Zurück mussten sie mit Boot und Bus fahren, da Luans Braut das ganze Geld für den Rückflug für Einkäufe verprasst hatte. Man muss das nicht glauben, aber die Geschichte klang so echt, dass wir unserem großen Storyteller einfach alles abnahmen. Dachte ich anfangs noch, ich müsste mich bei diesen ganzen Hochzeitsdetails fremdschämen, musste ich dann doch einsehen, dass Luan uns ganz tief in sein Privatleben schauen ließ. So tief und ehrlich, wie ich es noch nie bei irgendeinem Reiseleiter bei meinen vielen Reisen rund um die Welt erlebt habe.
Inzwischen waren wir am Ziel angekommen, einem kleinen Dorf namens My Tho, wo wir in ein landestypisches Sampanboot umgebettet wurden. Wir tuckerten durch viele kleine Seitenkanäle des Mekong und besichtigten eine Farm, in der uns Luan nicht nur unzählige Pflanzen und Früchte vorstellte, von deren Existenz ich zwar mal gehört hatte, die ich aber noch nie „live“ gesehen, geschweige denn gegessen hatte. Er zeigte uns auch eine Krokodilzucht. Rund zwanzig Tiere, alle etwa 70cm lang, lagen träge in einem Becken und warteten auf den Verzehr ihrer selbst. Denn in Vietnam wird alles gegessen, was schwimmen kann – außer Schiffen (O-Ton Luan). Und natürlich auch alles, was fliegen kann – außer Flugzeugen. Und was nicht schnell genug wegrennen kann, kommt natürlich auch auf den Teller. Ob Schlangen, Frösche, Schildkröten oder Ratten – essen kann man fast alles.
Die große Überraschung in der Speisekarte unseres heutigen Mittagessens war ein ganzer Fisch, der sogenannte „Elefantenohrenfisch“, der senkrecht zwischen vier Holzstäben serviert wurde. Um ihn zu essen, musste man zunächst ein Reispapier etwas aufweichen, mit Grünzeug grundieren und dann eine Portion Fisch dazugeben, die man beherzt einfach mit den Fingern aus dem Fisch riss. Vor dem Verzehr wird das Reispapier eingerollt, so dass man so eine Art Frühlingsrolle hat. Die tunkt man dann in eine der beiden Soßen (Chili oder Soja) und genießt. Ich habe das als Video mal für die Nachwelt festgehalten. (Wird bald eingefügt!)
Silke hatte ein bisschen Pech: Ihr Fisch war innen ganz grün. Luan klärte das aber auf. „Is nich schlimm, kamma essen. Is nur Innerein pla!“ (Mit den Endungen hat´s Luan nicht so, da muss man viel Denkarbeit investieren). Die geplatzte Galle hatte den Fisch also innerlich verfärbt. Silke ist ein sehr patentes Mädel und hat das Tier trotz unserer Bedenken aufgegessen. Und siehe da: Sie hat´s überlebt.
Die Sojasauce kam übrigens von Maggi.
Ich hatte mir gebratenen Reis mit Seefrüchten bestellt. Ganze zwei Mini-Shrimps konnte ich darin ausmachen, der Rest bestand aus Reis und Gemüse.
So langsam kamen wir uns alle auch ein bisschen näher. Man tauschte Herkunft und Berufe aus und stellte erfreut fest, dass wir eine sehr homogene, freundliche Truppe waren, die sehr gut miteinander auskam. Sicher kann nicht jeder in jedem Punkt derselben Meinung sein, aber es gab keine Stänker, Miesepeter oder Stimmungstöter. Der soziale Status war in der Summe bedeutend höher als bei vielen meiner früheren Reisen.
Nach dem Essen wurden wir wieder in kleine Boote gezwängt. Vier Mann pro Boot plus eine Ruderin. Teresa, die Ehefrau des netten Ehepaars aus Königstein schaffte es sogar, mit einem Selfie uns alle vier aufs Bild zu bekommen.
Doch plötzlich überfiel uns mal wieder ein Schauer. Statt schneller zu rudern, warf die Bootsführerin einfach den eingebauten Motor an und steuerte uns schnellstmöglich ans Ziel. Ich war im dritten Boot und pitschnass. Alle, die nach mir kamen, sahen frisch geduscht aus. Aber so ein kleiner Tropenschauer trocknet ja schnell wieder. Weiter ging es mit der Kutsche. Wieder in Vierergruppen aufgeteilt, wurden wir von dünnen Mulis ein paarhundert Meter durch die Hauptstraße gezogen. Von dort ging es noch in eine Obstplantage und in ein Kokosnussdorf, wo wir landestypische Süßigkeiten kosten (und natürlich auch kaufen) konnten. Der Tag raste nur so an uns vorbei. Am späten Nachmittag erreichten wir dann mit dem Bus unser Übernachtungsziel, die Stadt Can Tho. Das „Fortuneland“-Hotel war um einiges moderner als der alte Kasten in Saigon.
Mein Abend war nicht sonderlich spektakulär. Ich war irgendwo essen. Und leider wieder nicht sonderlich glücklich mit meiner Wahl. Ich weiß, man kann mir vorwerfen, als Tourist hier viel zu hohe Erwartungen zu haben. Aber ganz so einfach ist es nicht. Die Thais leben mehr oder weniger auf demselben Breitengrad – gar nicht mal weit entfernt – und zaubern aus den gleichen Zutaten immer viel wohlschmeckendere Gerichte als die Vietnamesen. Nun gut, oft waren wir mit unserer Gruppe nur an einfachen Raststätten, die speziell für Touristen gebaut wurden. Hier muss die Abfertigung schnell gehen – da ist für gutes Essen keine Zeit. Umgekehrt wird ja wohl auch kein Mensch guten Gewissens von leckerer deutscher Küche reden, wenn er in einem Autobahnrestaurant gelandet ist. Oft habe ich auch aus Unkenntnis Dinge bestellt, die mir dem Namen nach bekannt vorkamen, obwohl diese gar nicht zu den wirklichen Spezialitäten gehörten. So ist es natürlich ziemlich dämlich, Spaghetti Bolognese zu bestellen, weil man denkt, da kann man nichts „falsch machen“. Falsch ist es ja auch nicht, nur eben anders. Die Soße ist süß, die Nudeln sehen völlig anders aus, und woraus das Fleisch besteht, sollte man besser gar nicht wissen.
Silke und Conny hatten jedenfalls ihren Spaß beim Essen irgendwo im Zentrum der Stadt. Ein wohl etwas debiler Einwohner der Stadt schlurfte am großen Kreisel langsam, aber sicher quer über die Fahrbahn zur Grünfläche in der Mitte, um sich dort vor den Augen aller Touristen gemütlich die Hose runterzuziehen und ein Häufchen in die Gegend zu setzen.
Womit wir beim Thema Toiletten wären.
Auch hier unterscheidet sich Vietnam kaum von seinem Nachbarland. Die Toiletten entlang der Autostraßen sind grenzwertig; Papier gibt es selten und die hygienischen Zustände würden deutschen Aufpassern Pusteln ins Gesicht treiben. In den Restaurants gibt es meist nur eine Toilette für beide Geschlechter. Immerhin ist das „Hock“-Klo größtenteils verschwunden. Überflüssig zu erwähnen, dass die Bäder und Toiletten in unseren Hotels ohne Fehl und Tadel waren. Das Bad im „Fortuneland“-Hotel war sogar ganz besonders luxuriös.
Schade, dass wir hier nur eine Nacht verbringen sollten, aber der Reiseplan zwang uns, wieder zurück nach Saigon zu fahren.
Immer noch zweieinhalb Stunden bis zum Abendessen. Ich beschließe, mir mal die Umgebung des Hotels anzusehen, bevor es dunkel wird. Die Anlage ist sehr großzügig geschnitten. Ein großer Pool und der Zugang zum Meer sind in Schrittnähe meines Apartments. Es sind kaum Hotelgäste zu sehen. Vorsaison eben. Und wenn man jemanden sieht, ist es garantiert ein Russe. Die Russen haben diesen Ort quasi okkupiert. (Nicht annektiert, das war woanders …) Kein Ladenschild ohne russische Übersetzung, keine Speisekarte ohne kyrillische Schrift, kaum ein Drink ohne Wodka. Und leider auch kaum eine freundliche Reaktion auf meine schüchternen „Hello“s.
OK, dann gehe ich mal die Hauptstraße entlang. Die betonierte Straße ist an manchen Stellen noch überschwemmt, an anderen Stellen weist sie respektable Löcher auf, die von den Mopedfahrern höchste Konzentration erfordern. Was wollte ich nochmal kaufen? Eine Badehose, T-Shirts und ein Netzkabel für meinen Rasierer. Nach rund einem Kilometer werde ich – zumindest teilweise – fündig. Die einzige Badehose, die mir gerade so passen könnte, ist, nun ja, sehr körpernah geschnitten. Balletttänzer hätten ihre Freude daran. Ich nehme sie trotzdem. Außerdem zwei Polohemden mit den kleinen Krokodilen drauf, die ganz bestimmt echt sind. Und ich finde sogar ein paar passable Sandalen. Kabel ist nicht. Auch kein Rasierapparat. Nur ein Körper-Shaver für Damen wird mir angeboten. Vielleicht muss ich morgen darauf zurückgreifen. Jetzt trotte ich bei einer Luftfeuchtigkeit von gefühlten 100% erst einmal wieder zurück in mein Hotel. Sie wollen ja sicher wissen, wie es weiterging mit unserer Reisegruppe. Und was mit den achtzehn anderen passiert ist. Ich meine ja, Schwund ist immer, aber so viele? Vorneweg sei verraten: Es war einfach unglaublich.
Samstag morgen. Schon um sieben Uhr in der Frühe mussten wir das Hotel wieder verlassen. Der Himmel war bewölkt, aber die Apple-Watch meldete 29 Grad, Schauer. Der heutige Morgen war den schwimmenden Märkten in My Tho gewidmet. Das ist so eine Art REAL-Markt auf lauter verschiedenen Schiffen. Die Kunden kommen mit dem Boot und kaufen Obst, Gemüse und Fleisch oder Fisch direkt auf den Booten ein. Es sei denn, es regnet. Und das tat es, kaum dass wir in das kleine Ausflugsboot gestiegen und ein paar Kilometer das Mekong-Delta hinunter gefahren waren. Obwohl man im Boot die blauen Vorhänge schließen konnte, peitschte der Sturm große Mengen Wasser ins Schiff und somit auch auf uns. Irgendwann hielt das Boot unter einer Brücke, um das Ende des Regengusses abzuwarten. Die hübsche Frau des Bootsbesitzers nutzte die Zwangspause, um unseren Damen diversen Krimskrams anzubieten. Silke kaufte sich irgendeine mehrfach nutzbare Haarklammer, andere fanden ihr Seelenglück im Erwerb von lustigen Holzkettchen.
Als dann der Regen endlich nachließ, fuhren wir noch ein paar Meter weiter ins Zentrum des „Schwimmenden Marktes“, in dem aber leider tote Hose herrschte. Es war schon kurz vor zehn und der Markt praktisch schon geschlossen. Also weiter zum nächsten Ziel: Eine kleine Farm mit vielen Pflanzen, die Luan uns mit großer Liebe zum Detail erklärte. Hier war er, der Bauer, wieder in seinem Metier. Ich habe mir nicht merken können, was wir alles gesehen haben. Das meiste war grün und essbar. Das muss jetzt hier mal reichen.
Anschließend liefen wir durch eine Fischmarkthalle. Da wurde so mancher kreideblass. Rund zweihundert Meter lang ein Fisch- oder Fleischhändler neben dem anderen, alle auf dem Boden hockend. Da zuckte noch so mancher Fisch vor sich hin oder sprang sogar aus der Schüssel, um vom „Besitzer“ schnell wieder eingefangen zu werden. Wir sahen enthäutete Ratten, Schlangen, Schildkröten, Haie, Lobster und was weiß ich noch für Viehzeug. Wie gesagt, die Vietnamesen essen alles. (Außer Flugzeuge und Schiffe). Erstaunlicherweise schmeckte mein Mittagessen heute besonders lecker: Gebratene Nudeln mit Seafood.
Zurück in Saigon besuchten wir dann natürlich auch noch das berüchtigte Chinatown, das nun wirklich ein bisschen arg heruntergekommen ist. Die ursprüngliche Markthalle wird derzeit renoviert – das kann aber noch ein paar Jahre dauern. Solange werden vor allem Lebensmittel einfach mitten auf der Straße angeboten. Das Mopedaufkommen war hier nochmal um Einiges höher als in der Innenstadt.
Danach war mal wieder ein Gotteshaus dran – nur wenige Meter von Chinatown entfernt. Erwartungsgemäß alles sehr chinesisch anmutend. Wer einen nennenswerten Betrag gespendet hatte, konnte sich übrigens auf roten Zetteln verewigen, die in großen Mengen an den Wänden hingen und den Namen des Spenders sowie den gespendeten Betrag auflisteten. Wie sieht es überhaupt mit der Religion hier in Vietnam aus? Wikipedia nennt andere Zahlen als Luan – was nun wahr ist, weiß ich nicht. Grundsätzlich sind die Vietnamesen nicht religiös. 81,5% der Vietnamesen nennen sich Atheisten. Wer doch an einen Gott glaubt, wählt hauptsächlich den Buddhismus (Ca. 20 Millionen), wobei gerade in Südvietnam auch viele Katholiken und Konfuzianer zu finden sind. Selbst 500.000 Protestanten und 50.000 Islamisten weist die Statistik aus. Viele glauben nicht an einen Gott, verehren aber dafür ihre Ahnen. Auch ist Geisterglaube sehr verbreitet. Unabhängig von der Konfession ist das Len-Dong-Ritual sehr beliebt, bei dem eine Schamanin im Trancezustand die Geister um Gesundheit und Wohlstand des Gastgebers bittet.
Details möge man bitte selbst nachlesen.
Für diesen Tag hatten wir genug gesehen. Wieder zurück im Hotel „Le Duy“ – jetzt aber in anderen Zimmern – hatten wir gerade genug Zeit, uns ein wenig frisch zu machen. Denn um 18.00 Uhr ging das Programm schon wieder weiter. Wir sollten uns ein „Wasserpuppenspiel“ ansehen. Das Theater erreichten wir zu Fuß. Was soll man sich unter einem „Wasserpuppenspiel“ vorstellen? Es ist gar nicht so einfach zu erklären. Die Story selbst entsprang wohl der vietnamesischen Geschichte oder Kultur. Die Bühne bestand aus einem dreckigen Wassertümpel, in dem Puppen in der Größe eines Hundes herumtollten. Die Puppenspieler standen dabei unsichtbar hinter einer Trennwand im Wasser und betätigten allerlei Stangen und mechanische Züge, um den Figuren ein wenig Leben einzuhauchen. So konnten die Drachen nicht nur Wasser, sondern sogar Feuer spucken. Die Geschichte habe ich nicht kapiert, da ich leider ein paarmal eingenickt bin. Dass ich nicht der Einzige war, dem das passiert ist, habe ich später herausgefunden. Schuld daran war die einschläfernde Musik. Links und rechst des Tümpels saßen nämlich sechs Musiker und Sänger, die recht monotone, sehr chinesisch klingende Musik aufführten. Was soll´s, den Kindern hat es offenbar gefallen, und nach 45 Minuten war der Spuk vorbei.
Für den Abend war ich zum ersten Mal auf dieser Reise in einem „richtigen“ Restaurant verabredet. Conny und Silke sowie Elke und ihr Mann Jürgen nahmen mich ins Restaurant „NGON“ mit. Ein unglaublich großes, wunderschön eingerichtetes Haus für sicher Hunderte von Gästen. Die Marke gibt es auch in anderen Städten, darunter sogar in Berlin.
Wir bestellten mit Bedacht und wunderten uns, dass das Essen bereits drei bis vier Minuten nach der Bestellung auf dem Tisch stand. Und obwohl Silke, die vor drei Tagen hier schon mal sehr erfolgreich speisen war, auch wieder eine landestypische Spezialität bestellt hatte, wurde sie diesmal etwas enttäuscht. Das Essen war einfach viel zu scharf gewürzt. Ich hatte mir ein thailändisches Chicken-Curry geordert, das zwar auch recht scharf, aber ansonsten sehr lecker war.
Fix und fertig nach so vielen Eindrücken an nur einem Tag lag ich bald im Bett.
17.00 Uhr. Es ist dunkel. Der Regen hat sich für heute wohl verzogen. Vielleicht sollte ich den Pool testen. Eine Badehose habe ich ja jetzt. Und da sonst niemand mehr am Pool sitzt, kann ich sie auch anziehen.
Das Wasser ist angenehm erfrischend. Und während ich so meine Bahnen ziehe, denke ich an den letzten Tag in Saigon. Und an die vielen Mitreisenden, die wir zurücklassen mussten. Übrig geblieben sind nur wir acht. Silke, die ganz bezaubernde Angestellte des öffentlichen Diensts, die doch schon älter als 35 ist, wie sie mir sagte. Und ihre gute Freundin Conny, auch nicht viel älter als Silke, die aus Karlsruhe zu uns gefunden hat. Conny ist ein wandelndes Lexikon. Ohne ihre berechtigten Korrekturen wäre das hier ein Fake-Reisebericht – so hat alles seine Richtigkeit. Norbert, über den ich ja schon berichtet habe, ist zwar auch hier nie pünktlich, dafür punktet er mit viel Charme und guter Laune. Er leitet ein Grafikstudio und kennt sich sehr gut mit Corporate Design aus. Seine Frau Corinna ist Texterin und findet daher immer die richtigen Worte. Marianne aus Ingolstadt ist ohne ihre große Familie auf Reisen und genießt ihre Unabhängigkeit. Mit dem Dialekt tun wir uns manchmal ein bisschen schwer, aber das ist ja unser Problem und nicht ihrs. Bleiben noch Elke und ihr Mann Jürgen. Elke ist eine Macherin. Ihr Berufsweg liest sich sehr spannend. Sie weiß, was sie will. Und natürlich will sie ihren Jürgen, der ein bisschen ruhiger auftritt und sich gerne im Hintergrund aufhält. Der achte bin ich selbst.
Warum wir nur noch zu acht sind, sollte sich im nächsten Kapitel klären.
Die beiden letzten Tage unserer „Sightseeing“-Tour durch Vietnam sollten wir in den Bergen verbringen. Die Abreisezeit hatte Luan auf 9.00 Uhr festgelegt. Ich hatte meinen Koffer schon vorm Frühstück in der Rezeption abgegeben und konnte so ganz unbelastet im neunten Stock frühstücken. Hier hatte man einen wunderbaren Panoramablick über die Metropole. Als ich wieder runterkam, war mein Koffer weg. Da aber unser Bus noch nicht da war, ahnte ich Böses. Und in der Tat: ich fand ihn in einem anderen Bus, der gerade abfahren wollte, wieder. Irgendein Kofferboy hatte ihn der falschen Gruppe zugeteilt. Gerade noch mal gut gegangen. Als alles richtig verstaut war, konnte unser Busfahrer loslegen. Insgesamt galt es 1500 Höhenmeter zu überwinden – oft mit engen Serpentinen, schmalen Straßen und allerlei Umwegen. Durch die vergangenen Regenfälle waren einige Straßen abgerutscht und somit unpassierbar geworden.
Unser erstes Ziel war ein mehr oder weniger leer stehender Vergnügungspark in der Nähe eines imposanten Wasserfalls. Wir waren hungrig und wir wollten lecker essen. Leider ging das dieses Mal gründlich schief. Einige Bestellungen waren falsch verstanden worden, obwohl Luan sie aufgegeben hatte, und das kulinarische Niveau des Gebotenen lag auf der untersten Stufe. Also weiter zum Wasserfall, der ein paarhundert Meter entfernt zu Fuß erreichbar war. Leider fing es genau in dem Moment, in dem wir losgingen, wieder zu regnen an. Und das nicht zu knapp. Silke ließ mich freundlicherweise unter ihren Regenschirm (denn ich hatte natürlich keinen dabei …) und bewahrte meine Kleidung so vor dem völligen Durchnässen. Der Wasserfall war imposant und sicherlich 60 bis 70 Meter hoch. Wir fuhren mit dem Aufzug einen Teil des Gefälles herunter und kletterten auf befestigten Wegen noch einige Meter weiter. Die aufbrausende Gischt des lautstark runterdonnernden Wassers sorgte dafür, dass nun wirklich keiner mehr trocken blieb. Endlich unten angekommen, gab es dann auch einen Souvenirladen, in dem ich mir einen pinkfarbenen Mädchen-Regenschirm kaufte (2 Euro). Hätte der nicht oben, am Fahrstuhl sein können?
Wieder zurück im Bus, trockneten wir dann so nach und nach wieder durch. Luan nutzte die lange Fahrzeit, um uns weitere Details über sein Land zu verraten. So kam zum Beispiel die Frage nach der Schulpflicht auf. Und da waren wir doch sehr erstaunt, dass es eine solche in Vietnam nicht gibt. Und noch viel unverständlicher für ein sozialistisches Land: Die Schule kostet auch noch Geld; selbst die Grundschule ist nicht umsonst. Da ist es kein Wunder, dass vor allem arme Familien auf dem Lande den Schulbesuch ihrer Gören wieder beenden, sobald die einigermaßen lesen und schreiben können. Dann werden sie in der Landwirtschaft als billige und willige Arbeitskräfte gebraucht. 32% der Einwohner sind unter 14 Jahre alt und nur 5,6% über 65! Die Lebenserwartung beträgt inzwischen sehr gute 75,7 Jahre (Frauen und Männer gemeinsam – einzeln 70,7 für Männer und 80,3 für die Frauen). Früher haben die vietnamesischen Frauen im Schnitt fünf Kinder zur Welt gebracht, heute nur noch knapp zwei. Dennoch ergibt sich dadurch ein leichtes Wachstum der Bevölkerung. Knapp 2,5 Millionen Vietnamesen leben übrigens im Ausland – und deren Überweisungen nach Hause sind ein wichtiger Posten für die Wirtschaft des Landes. Die meisten sind übrigens damals beim Vietnamkrieg in die USA geflohen. 88% der Einwohner sind „echte“ Vietnamesen. Daneben gibt es noch 53 anerkannte ethnische Minderheitengruppen, darunter fast 1,2 Millionen Auslandschinesen. Es gibt auch noch Nachfahren sogenannter „Bergvölker“, die aber nicht sehr angesehen sind und deren Sprache sich sehr von der Landessprache unterscheidet.
So, jetzt ist die Unterrichtsstunde beendet.
Wir hatten inzwischen für eine Kaffeepause halt gemacht und durch den Besuch einer sehr ekligen Toilette wieder für „Harmonie“ im Team gesorgt.
Da ich im iPhone eine Höhenmesser-App habe, sah ich, dass wir uns langsam ans Ziel geschraubt hatten. Unser Hotel in Dalat war nicht mehr weit und entpuppte sich als eine etwas in die Jahre gekommene 3-Sterne-Herberge. Meine Badezimmertür hielt besonders gut. Nach dem Schließen ließ sie sich nicht mehr öffnen. Zum Glück saß ich nicht IM Badezimmer. Also die Rezeption angerufen und den Sachverhalt geschildert. Die Reparatur durch einen Hotelangestellten mittels großem Schraubenzieher und deutlicher Gewaltanwendung dauerte nur wenige Sekunden. Ab da ließ ich das Bad lieber geöffnet.
Durch das wenig zufrieden stellende Mittagsmahl waren wir alle ganz schön hungrig. Neun Leute unserer Reisegruppe suchten sich ein Restaurant. Wir wurden ganz in der Nähe des Marktes fündig und nahmen Plätze ganz am Rand des Lokals ein, weil eine unglaublich falsch spielende Musikgruppe mitten im Lokal vor allem Lärm verbreitete. Ich habe mir mal wieder mutig eine Flasche des einzigen einheimischen Weins bestellt, der in Südvietnam angebaut wird. Leider gab es nur den „Dalat Export“, die mittlere Qualitätssorte. Der normale Dalat ist leider sehr gewöhnungsbedürftig, und der teuerste „Excellent“ geht gerade so durch. Kaum hatten wir unsere – diesmal sehr leckeren – Speisen auf dem Teller, spielte die Band das Lied „Rivers of Babylon“ – den bekanntesten Hit der Gruppe Boney M., bei deren Entstehung ich ja vor gut 40 Jahren beteiligt war. Das musste ich natürlich im Video festhalten und über facebook posten. Bis heute wurde das Video 538 mal angeschaut – ein Ende ist nicht in Sicht. Mal sehen, ob es irgendjemand schafft, Frank Farian, den Producer des Stücks, dieses Video zu zeigen.
Ich würde die Aufnahme hier gerne posten, aber WordPress erlaubt diese 4-K-Auflösung des iPhones leider nicht.
Nach dem Essen zogen fünf von uns einfach ein paar Meter weiter in eine Cocktailbar. Die anderen, allen voran Silke und Conny, zog es auf den Nachtmarkt.
Wir anderen diskutierten lange über die Höhe des Trinkgelds für Reiseführer und gingen dann relativ früh zu Bett.
Und da ich so früh ins Bett gegangen war, war ich auch wieder sehr früh wach. Um mich rum Totenstille. Eine gute Gelegenheit, ein paar anstehende Sprachaufnahmen zu machen. Mit dem befriedigenden Gefühl, alles erledigt zu haben, zum Frühstücksbuffet gegangen. Auch hier wieder mit Silke und Conny zusammengesessen. Wir hatten uns irgendwie inzwischen aneinander gewöhnt.
Der Vormittagsausflug führte uns zunächst in den Sommerpalast des letzten Kaisers. Ein schlichtes, durchaus zweckmäßiges Gebäude mit vielen Schlafzimmern. Die musste der Kaiser auch dringend haben, da er angeblich eine Ehefrau und an die achtzig Konkubinen gehabt haben soll. Diese Kaiser aber auch …
Weiter ging es zu einer großartigen Tempelanlage mit wunderschönen Gärten drumherum. Und direkt dahinter zu einer Seilbahn, die uns einige Meter ins Tal tragen sollte. Vier Personen pro Gondel – und ab ging die Post. Im Tal besuchten wir dann ein völlig verrücktes Haus. Es sah aus, als hätte Herr Hundertwasser bei diesem Entwurf etwas ganz besonderes geraucht. Lauter kleine Wege führten wie Brücken zu den unterschiedlichen Miniaturwohnungen. Natürlich haben wir uns alle mehrfach verlaufen. Man kam dann nur durch einen Andenkenladen wieder ins Freie, was man sich ja auch hätte denken können. Gegenüber noch ein Tässchen Kaffee getrunken.
Weiter ging es zur ältesten Bahnstation Vietnams mit einigen Original-Lokomotiven und gut erhaltenen Waggons.
Zurück in Dalat, hatten wir den Rest des Tages zur freien Verfügung. Während die anderen die Zeit zu einer ausdauernden Stadtbesichtigung nutzen, lief ich ins Hotel zurück und testete die Küche des Hauses. Die Vorspeise – Frühlingsrollen mit Seadfood – schmeckte hervorragend. Auch das Gemüse, das den Reis des Hauptgangs bedeckte, war frisch und sehr lecker.
Leider konnte man das von den gebratenen Shrimps nicht behaupten. Die waren mit Kopf und Füßchen schlicht und einfach in der Pfanne so lange gebrutzelt worden, dass man sie nicht mehr auseinander nehmen konnte. Sie gingen geschlossen zurück.
Luan hatte für unseren letzten Abend ein einfaches Restaurant direkt neben dem Hotel gebucht. Und hier kam ich wirklich auf meine Kosten. Ich weiß nicht mehr, wie das Gericht hieß, aber es waren eingewickelte Rindfleischstreifen mit landestypischen Pilzen. Die Pilze sahen aus wie lange Fäden und hatten eine leicht gummiartige Konsistenz. Irgendwelche Nebenwirkungen blieben erstaunlicherweise aus. (Bisher.)
26 Reiseteilnehmer und ein zunehmend gut gelaunter Luan waren die perfekten Zutaten für einen wunderbaren Abschiedsabend. Das Bier floss in Strömen, und irgendwann holte Luan auch noch die Reisschnapsflasche raus, die ihm seine Mutter bei seinem kurzen Besuch vor drei Tagen für uns „Langenasen“ mitgegeben hatte. Und als die Flasche alle war, bestellte er mit dem Geld, dass Annika noch von einer Sammlung für einen ganz anderen Zweck übrig hatte, mindestens zwei weitere Flaschen. Leider wurde wir dann auch ein bisschen laut. Das Bild des grölenden Deutschen im Ausland gehört nicht unbedingt zu meinen Lieblingsmotiven, aber es ließ sich hier und heute nicht vermeiden.
Wir hatten am Morgen im Hotel bereits das Trinkgeld für Luan, den Fahrer und unseren Wasserboy eingesammelt, so dass wir ihm „seinen“ Umschlag an diesem Abend überreichen konnten. Er war sehr dankbar, hatte fast schon Tränen in den Augen.
Fix und fertig, aber rundum glücklich in die Heia.
Es wird Zeit, sich umzuziehen. Wir acht haben vor, heute Abend Lobster zu essen. Lobster sind so ´ne Art Hummer, nur ohne Scheren. (Danke, Conny!) Auf der langen Straße vor den Hotels gibt es viele Restaurants, die das anbieten. „Mr.Lobster“ heißt das bekannteste. Zum Glück hat sich unser Jürgen in einem der vielen Massagesalons (keine Angst, ich komme darauf zurück!) mit einem Russen angefreundet, der ihm ein besseres und günstigeres Lobster-Restaurant empfohlen hat. Selbiges ist aber rund 4,5 km entfernt, sodass wir uns ein Taxi bestellen. Selbst Norbert ist pünktlich – so einen Lobsterschmaus lässt man sich ja nicht gerne entgehen. Kurz vor dem Ziel sehen wir so eine typische Einheimischen-Kneipe mit Wellblech und ultraweißen Neonlampen, aber ohne Außenwände. Silke lacht noch: „Stell´ Dir vor, wir werden jetzt in so eine Kaschemme gefahren!“ – „Das will ich nicht hoffen!“ – meine voreilige Antwort.
Und dann sind wir auch schon da. In genau so einer Kaschemme. Ein typisches Restaurant für die Einheimischen. Touristen würden hier freiwillig nicht reingehen. Es sei denn, sie wüssten, wie es hier schmeckt. Aber die Einheimischen sind in großer Zahl vorhanden – fast jeder Tisch ist besetzt. Wir reden uns das Lokal schön. „Wenn hier die Einheimischen essen, muss es ja gut sein!“
Die Lobster liegen in großer Zahl tot in Plastikgefäßen rum. Die offensichtliche Chefin des Lokals nimmt die Bestellungen auf. Jeder ausgesuchte Lobster wird gewogen und mit einem Zettel versehen an die Küche verschickt. Das Kilo kostet übrigens 600.000 Dong, also 22,41 Euro. Die meisten der Lobster sind sogar leichter als ein Kilo. Flinke junge Leute versorgen uns mit Getränken (Bier) und Vorspeisen. Und dann kommt auch schon der erste Lobster. Das Personal wartet, bis wir das aufgeschnittene Tier fotografiert haben und zerlegt es dann fachmännisch in essbare Einzelteile. Mannomann, ist das lecker. Jürgen schafft es sogar, mittels Nussknacker die Beinchen des Tieres auseinander zu knacken.
Und während wir da überglücklich feinste Lobster in uns reinstopfen, findet sich an einem Nebentisch eine Gruppe junger Leute zum Betrinken ein, wie wir an den lauten „Prost“-Rufen, die hier „Mo hei ba yo“ heißen, zweifellos feststellen können. Unsere Wirtin warnt uns davor, dass die Jungs sicher bald anfangen würden zu singen. Und so kommt es auch. Irgendeiner schleppt einen Riesenlautsprecher mit Karaoke-Einrichtung ins Lokal. Nach ein paar kurzen Feedbackproblemen mit den Mikrophonen geht es auch schon los. Die Buben und Mädels singen laut, manchmal falsch, aber mit großem Einsatz. Natürlich sparen wir nicht mit dem Applaus, zumal inzwischen eine Flasche Reis-Wodka bei uns auf dem Tisch gelandet ist, die sich verdächtig schnell leert. Und dann passiert, was ich auf jeden Fall vermeiden will: „Rainer, jetzt singst Du mal was!“ (Ich war so blöd, irgendwann damit geprahlt zu haben, schon mal bei einer Karaoke-Veranstaltung mitgemacht zu haben). Lange Rede, kurzer Sinn: Ich frage, ob sie das Playback von „Yesterday“ von den Beatles dabei haben – in der Hoffnung, dass sie ohnehin nur Musik aus Vietnam auf ihrem Tablet haben. Pustekuchen. „Yesterday“ ist da und ich muss singen. Zur Steigerung meines Schamgefühls nehmen meine Reisepartner das Gekrächze auch noch auf. Gema-Forderungen erwarte ich keine – da der Gesang doch stellenweise weit von Paul McCartneys Originalmelodie entfernt ist. Die Rechnungen für das vorzügliche Essen sind unglaublich niedrig. Wir sollten öfter bei den Einheimischen essen. Jetzt müssen wir uns aber noch schnell ein oder zwei Cocktails hinter die Binde gießen, um den Abend gebührend abzuschließen.
Ach, jetzt habe ich doch schon wieder vergessen, zu verraten, wo unsere 18 Mitreisenden geblieben sind. Im nächsten Kapitel bestimmt!!
Der letzte Tag der Rundreise durch Südvietnam war angebrochen. So richtig munter war zwar nicht jeder der Reisegruppe, aber die meisten hatten den gestrigen Abend mit den vielen Reisschnäpsen doch erstaunlich gut weggesteckt. Luans letzte Aufgabe war, uns in den Hotels am Strand abzusetzen, in denen wir die zweite Woche relaxen sollten. Denn die Reisebeschreibung lautete ja „Vietnam & Baden“. Und deshalb jetzt die Auflösung, wo unsere 18 „Kameraden“ verblieben sind. Sie waren nicht verschwunden, sondern einfach nur woanders.
Ein paar Tage vor Reisebeginn kam nämlich ein Brief von CleverTours, das im geplanten Strandhotel Bauarbeiten stattfänden und somit nicht gewährleistet sei, dass man wirklich Ruhe hat. Als Alternative bot man ein zweites Hotel an, dass zwar kleiner, etwas weiter weg vom Zentrum und auch sehr nett wäre. Spontan entschied ich mich (wie die sieben anderen unserer Truppe) für das neue Hotel, während das Gros der Reisenden trotz des zu befürchtenden Baulärms das originale Hotel bevorzugte. Inzwischen wissen wir, dass das Original-Hotel sehr abseits gelegen war und wir mit unserem Allezboo Beach Resort großes Glück gehabt haben. Sehr schöne, große Apartments (bis hin zu einer Suite!), toller Pool, sauberer Strand, extrem freundliches Personal, tolle Restaurants und alle Geschäfte in Laufweite. Selbst die zwei Flaschen Gratiswasser gab es jeden Tag. Und unsere Truppe war ja nun auch einmalig gut zusammengestellt. Wir haben „von den anderen“ höchstens Annika und Torsten vermisst – ansonsten hatten wir genug Spaß mit uns selbst. Es wäre langweilig, die Tagesabläufe dieser zweiten Woche detailliert zu beschreiben: Wie so ein Badeurlaub funktioniert, dürfte ja jedem klar sein. Frühstücken, an den Pool oder ans Meer, Abruhen, einkaufen oder rumbummeln, Abendessen, Heia.
Das Einzige, was es nicht in jedem Badeurlaub gibt, sind die vielen Massagestudios auf der Hauptstraße. Silke hatte gleich am ersten Tag Kontakt zu einer sehr geschäftstüchtigen Inhaberin solch eines Massagesalons. Nach und nach waren wir dann auch alle mal da, um uns durchkneten zu lassen. Ja, sogar ich Schisser habe da mitgemacht. Ich musste mich in einer durch Vorhänge abgetrennten Kabine bis auf die Unterhose ausziehen und auf den Bauch legen. Dann kam eine der kleinen Vietnamesinnen in die Kabine, um mich mal so richtig durchzukneten. Als sie dann plötzlich meine Unterhose ein gutes Stück runterzog, dachte ich erst, ich hätte eine Massage gebucht, bei der andere Körperteile als der Rücken die Hauptrolle spielen. Aber es passierte zum Glück nichts Schlimmes. Ich wurde einfach nur immer wieder durchgewalkt, bis dem Mädel die Kräfte ausgingen. Dann sollte ich mich umdrehen. Zum ersten Mal konnte ich meine Peinigerin ins Gesicht sehen. Sie war so um die 40 Jahre alt, einen guten Meter groß, natürlich schwarzhaarig und sehr freundlich. Ob ich denn auch eine Gesichtsmaske haben wolle, fragte sie. Ich dachte mir, jetzt ist eh alles zu spät. Warum also nicht? Es gibt immer ein erstes Mal. Dann legte sie mir Gurkenscheiben mit irgendeiner glitschigen Masse über das Gesicht, so dass ich erstens nichts mehr sehen konnte und zweitens kaum noch Luft bekam. Meine Peinigerin setzte danach die Massage von vorne fort. Immer, wenn sie bestimmte Punkte an meinen Fußsohlen zu kneten begann, bäumte sich mein geschundener Körper vor Schmerzen auf. Sowas kann ich ja gar nicht ab. Nach gut 45 Minuten war die Tortur überstanden. Das Gesicht war wieder frei von Schmiere, die Extremitäten abgetrocknet und eingeölt, und mir stand nur noch eine Pediküre bevor, die ich bei der Gelegenheit auch gleich mal erledigen wollte. Dazu musste ich mich auf einen Sessel direkt im Eingangsbereich setzen, sodass auch alle Passanten mitbekamen, was mit meinen Füßen passierte. Elke saß auch schon da, aber nicht der Füße, sondern der Fingernägel, bzw. des Nagellacks wegen. Die Angestellten des Etablissements sind wohl in mehreren Disziplinen ausgebildet, denn meine Kneterin übernahm jetzt auch die Lackierung von Elkes Fingernägeln. Mir wurde eine neue Angestellte zugeteilt, die mit relativ viel Vorsicht alles Menschenmögliche tat, um aus meinen Fußzehen wieder ansehnliche Exemplare zu machen. Leider hat sie mich plötzlich geschnitten. Ich erwog eine Klage wegen Körperverletzung, aber ein kleines Pflaster und die Selbstheilungskräfte meines Körpers langten völlig aus, um mich wieder ruhigzustellen. Ganz relaxed war ich dann bei der Bezahlung. Der ganze Spaß (Body-Massage, Gesichtsmaske und Pediküre) hatte umgerechnet etwas mehr als 8 Euro gekostet.
11.00 Uhr am Abreisetag. Die Koffer sind gepackt. Unser Bus wird uns um 16.00 Uhr abholen. Dann geht es zurück nach Saigon. Erst um 0.35 Uhr in der Nacht zum Montag werden wir – wieder über Dubai – nach Deutschland zurückfliegen. Da wir gegen die Zeit fliegen, kommen wir schon am Montagmittag um 13.15 Uhr in Frankfurt an.
Leider nicht alle aus unserer Gruppe. Corinna hat sich am Vorabend eine böse Fischvergiftung eingefangen. Sie war den ganzen Nachmittag im Krankenhaus und liegt jetzt auf ihrem Zimmer. An Fliegen ist nicht zu denken. Norbert ist natürlich bei ihr geblieben. Hoffen wir, dass alles gut ausgeht und die beiden bald nach Hause fliegen können.
Nachtrag: Die beiden konnten am nächsten Nachmittag Non-Stop nach Hause fliegen. Beinahe hätten sie uns noch überholt …
Das Fazit.
Ein Traumurlaub in einem traumhaften, aufregenden und aufstrebenden Land. Eine anstrengende Woche mit Dutzenden von unvergesslichen Eindrücken und eine weitere relaxte Woche in einem absolut phantastischen Hotel mit einer Gruppe wunderbar aufeinander abgestimmter Charaktere. Ich hoffe sehr, dass wir acht, die „Lobster Group Allezboo 2017“, noch lange miteinander in Kontakt bleiben. Mit dem umfangreichen Foto- und Videomaterial werde ich auf jeden Fall ein Reisevideo schneiden, das dann irgendwann (mit persönlichen Zugangsdaten) im Internet zu sehen sein wird. Ich hoffe auch, dass wir uns in ein paar Monaten nochmal bei mir in Frankfurt treffen werden, um an diesen Traumurlaub zurückzudenken.
Danke Silke, danke Conny, danke Norbert und Corinna, danke Marianne, danke Elke und Jürgen und vor allem Danke an Luan, dessen positives Denken uns allen Auftrieb gegeben hat.