China kompakt

China kompakt

Chinareise vom 2.3. bis 14.3.2017

(Aus gegebenem Anlass weise ich darauf hin, dass dieser Blog ausschließlich meine subjektiven Eindrücke wiedergibt und keinesfalls einen offiziellen Reiseführer ersetzt. Besserwisser und Oberlehrer werden freundlichst gebeten, diesen Blog NICHT zu lesen.)

China!
Land des Lächelns!
Elektronik-Mekka!

Und ich war noch nie da.

Das konnte ja so nicht weitergehen. Daher vermied ich in diesem Jahr meinen üblichen Fehler, „Last Minute“ der Sonne hinterher zu reisen, um dann enttäuschende Touri-Zentren abzuklappern. Diesmal sollte es China sein.

Die chinesische Firma „SINORAMA“, die seit zwei Jahren eine Dependance in Düsseldorf unterhält, machte mir ein gutes Angebot. 12 Tage Rundreise durch ganz China mit Flugzeug, Schiff, Bus und Bahn inkl. deutschsprachiger Reiseleitung und reichlich Essen und Trinken. Als Alleinreisender musste ich – mit einigen zusätzlichen Ausflügen und Alleinreisezuschlag –  genau 1818.- Euro auf den Tisch legen, was aber als durchaus preiswert gelten muss. Im Preis enthalten war auch ein zwingend vorgeschriebenes Visum, das ich schon Anfang des Jahres beauftragen musste. In dem Zusammenhang war auch ein neuer Pass fällig, was die Kosten dann doch noch mal etwas nach oben trieb.

Abflug in Frankfurt war um 14.15 Uhr – fast pünktlich. Die B777-300 der China Air hatte zwar schon einige Jahre auf dem Buckel, war aber so lautlos wie selten ein Flugzeug. Beim Einsteigen war der Flieger auf gefühlte 5 Grad runtergekühlt, aber das diente vermutlich nur dem Test der Klimaanlage. Nachdem alle Passagiere an Bord waren (ausgebucht!), stieg die Temperatur schnell auf ungemütliche 25 Grad. Die blutjungen, hübschen Stewardessen der staatlichen Fluglinie waren sehr freundlich, sprachen rudimentäres Englisch und lächelten ohne Unterlass. Damit hatte ich ja gerechnet. An Board gab es während des knapp 9-stündigen Hinflugs nach Peking (heißt in China „Beijing“) gleich zweimal warmes Essen, das im Vergleich zu anderen Fluggesellschaften als durchaus bekömmlich beschrieben werden kann. Jeder Passagier hatte einen kleinen LED-Bildschirm im Rücksitz des Vordermannes vor sich, mit dem man eine Menge lustiger Sachen anstellen konnte. So ließ sich z.B. die Flugroute aus verschiedenen Perspektiven darstellen, leider mit schlecht aufgelösten Grafiken als Background. Die 25 Titel umfassende Spielesammlung verkürzte mir mit dem einen oder anderen „Sudoku“, „Pac Man“ oder „Luxor“-Spielchen die Flugzeit. An den Titeln sieht man, dass die Technik schon einige Jahre auf dem Buckel hatte. Natürlich gab es auch Filme ohne Ende, wie üblich auf den Flieger zurechtgestutzt und mit störenden chinesischen Untertiteln versehen. Die Kopfhörer waren zwar wie neu, aber die Kopfhörerbuchsen im Sitz leider schon so ausgeleiert, dass höchstens mal der linke oder der rechte Kanal zu hören war. Beide Kanäle zusammen klappten nie – eher hörte man überhaupt nichts. Das bedeutete, dass ich mir also keinerlei Filme anschauen konnte. Die Benutzung des iPhones war übrigens verboten – „Flugmodus“ hin oder her. Nun gut, die Chinesen kennen das Gerät, sie bauen es ja schließlich selbst zusammen. Hab´ ich´s also nicht benutzt, sondern brav ausgeschaltet.

Ich saß in Reihe 46 auf Platz „J“ – also einem Gangplatz innerhalb der neun Sitzgelegenheiten pro Reihe. In der Mitte hatte sich ein chinesisches Pärchen mit Kleinkind breitgemacht. Erstaunlicherweise hielt das Kind die ganze Reise über den Mund, was auf eine gute Erziehung schließen lässt. Da habe ich schon ganz andere Erfahrungen gemacht.
Die Gäste waren etwa gleichmäßig Asiaten oder Europäer. Genauere Angaben kann man da nicht machen, ohne in die Pässe zu schauen.
Nach einer Traumlandung um 6:02 Uhr Ortszeit landeten wir dann in Beijing. (Ich bleibe jetzt bei der chinesischen Schreibweise des Städtenamens). Da wir in Richtung Osten geflogen waren, betrug die Zeitverschiebung genau sieben Stunden. Zuhause war es also erst 23.00 Uhr.

Und dann begann der Alptraum.

Der Flughafen ist nagelneu und riesengroß. Und im Gegensatz zum Berliner Flughafen wird er auch benutzt. Überall sieht man große Schilder, damit man sich nicht verlaufen kann. Vorausgesetzt, man kann chinesisch. Denn die – ebenfalls vorhandenen – englischen Beschriftungen waren ziemlich versteckt. Nun gut, ich bin einfach in der Masse mitgelaufen. Leider waren ein Teil der Mitflieger nur Transitpassagiere. Irgendwann wurde mir klar, dass es hier keine Gepäckabfertigung oder eine Einreisekontrolle geben würde, wenn ich direkt nach Bangkok weiterfliegen wollte. Also wieder zurück. Immer den Schildern „Exit and Luggage“ nach. Dadurch kam ich dann immerhin an die Einreisekontrolle. Unmengen Passagiere, drei offene Abfertigungsschalter. Das dauerte. Außerdem hatte ich kein Einreiseformular ausgefüllt, weil ich die Stewardess im Flieger missverstanden hatte. Zum Glück sprintete eine unglaublich liebe deutsche Touristin für mich aus der Schlange zum Schalter mit den Formularen und übergab mir den Wisch. So etwas auszufüllen, während man in einer sich bewegenden Schlange steht, eine Winterjacke im Arm hat und außerdem Laptop und Videokamera mit sich rumschleppt, gehört zu einer meiner Meisterleitungen.

Nach Abstempelung meines Einreiseformulars und Prüfung des in den Pass geklebten Visums war ich dann offiziell in China. Das Gepäck müsste ja dann auch irgendwann mal ausgegeben werden. Also lief ich den Weg, den alle gingen. Leider war niemand mehr aus dem Flieger unter diesen Leuten. Es waren eigentlich nur noch Chinesen um mich rum. Und alle, wirklich alle, glotzten auf ihr Smartphone und jagten „Pokemons“. Dann war der Weg plötzlich zu Ende. Dank meiner hohen Intelligenz konnte ich erkennen, dass nun ein Umsteigen in einen vollautomatischen Zug angesagt war. Der kam auch 60 Sekunden später, öffnete die Türen und ließ uns rein. Es fiel mir dann auf, dass es sich bei den Chinesen ausnahmslos um Mitarbeiter des Flughafens handelte, zu erkennen an der Hundemarke, die um die Hälse baumelten.

OK, irgendwas war wohl schiefgelaufen. Ich stand in einem selbstfahrenden Zug nach nirgendwo, umgeben von jungen Chinesen und Chinesinnen, von denen garantiert kein Einziger englisch sprechen konnte. Kein Tourist aus dem Flieger war auch nur in der Ferne zu entdecken, und der Zug fuhr jetzt schon zehn Minuten. Wie schön, dass ich dann hinter mir an der Wand einen Fahrplan entdeckte, der mittels Leuchtpunkten anzeigte, wo sich der Zug gerade befand und wo er überhaupt hinwollte. Und da standen dann endlich wieder die Worte „Exit“ und „Luggage“. Offenbar war ich immer noch (oder schon wieder) auf dem rechten Weg. Als ich dann den Zug endlich verlassen konnte, häuften sich die Hinweise auf die baldige Gepäckentgegennahme. Nach einigen hundert Metern Fußmarsch war ich dann endlich am Gepäckband Nummer 40, auf dem sich mein Koffer wohl schon eine Weile im Kreise gedreht hatte. Schlauerweise hatte ich mir einen der kostenlosen Kofferkulis geschnappt, so dass ich ab jetzt zumindest etwas bequemer durch das Labyrinth laufen durfte. Denn ein Ausgang war immer noch nicht in Sicht. Zunächst musste ich meinen Koffer durch einen Durchleuchtungsapparat des Zolls wuchten. Es war mir nicht ganz klar, warum das sein musste. Ich hatte ja wohl kaum vor, irgendwelche Luxusgüter in China einzuführen. Und die ganze Elektronik, die ich dabei hatte, kam ja ohnehin von hier. Egal, ich wuchtete den Koffer auf das Förderband und nahm ihn anschließend wieder auf, ohne dass irgendwer sich in irgendeiner Form davon beeindruckt sah.

Ich sah jedenfalls jetzt nur noch „EXIT“ – und der war dann auch nur noch ein paar hundert Meter entfernt. Ich hatte es geschafft! Panik-Modus aus.

Und die Reiseleiterin von „SINORAMA“ stand auch direkt am Ausgang und sammelte ihre Schäfchen ein. Es war halb acht. Der Bus, der uns ins Hotel fahren sollte, war für acht Uhr bestellt. Also hatten wir Zeit, noch ein paar wichtige Dinge zu erledigen. Dazu gehörte nach den Worten der Reiseleiterin der Besuch auf den großzügigen Flughafentoiletten. Den Toilettengang bezeichnete sie lustiger Weise als „Harmonie“. Die Toiletten waren allerdings nicht in so einem tollen Zustand wie der neue Flughafen. Gab es doch tatsächlich noch Stehklos! (Eigentlich sind es „Hockklos“, da die Chinesen sich zum Entleeren gerne hinhocken). Zum Glück gab es auch ein paar „normale“ WCs, sonst hätte ich ein Problem gehabt.

Dann hatte ich noch genug Zeit, etwas Geld zu wechseln und mir eine chinesische SIM-Karte fürs iPhone zuzulegen. Die kostete gerade mal 100 Yuan, was ziemlich genau 13,85 Euro entspricht. Wie viel Gigabyte Internettransfer darin enthalten waren, stand leider nirgendwo. Das blutjunge Mädel, das mir die Karte eingebaut hatte, machte das innerhalb weniger Sekunden so professionell, dass man nur staunen konnte. Gut, ich musste meinen Pass vorzeigen, damit man diesen Blog korrekt zuordnen können wird. Sollte ich also zu negativ über China schreiben, könnte ich ein Problem bekommen. Mal sehen, ob mich Gabriel raushaut.

Unsere Gruppe bestand aus 21 Leuten. 7 verheirateten Paaren, zwei Jungs, bei denen ich nicht weiß, ob sie ein Paar sind, zwei befreundeten Damen um die 50, einem Vater mit seiner Teenager-Tochter und mir als dem einzigen Alleinreisenden. Die Hälfte aller Mitreisenden kam aus dem Osten Deutschlands.

Der SINORAMA-Bus kam auf die Sekunde genau um 8.00 Uhr und stürzte sich – nach dem Einladen der Koffer –  in den Stop-and-go-Verkehr der Metropole. Mit 21 Millionen Einwohnern ist Beijing übrigens noch nicht mal die größte Stadt Chinas. Unsere Reiseleiterin mit dem einfachen Namen „XU“, der sich „SCHÜ“ ausspricht, plapperte das erste Mal munter drauf los. Und was sie da plapperte, war leider gar nicht schön. Lassen wir mal ihre sehr bescheidenen Deutschkenntnisse für den Moment weg (ich werde später darauf zurückkommen); sie teilte uns nämlich mit, dass die Betten in unserem Hotel leider noch nicht bezugsfertig seien und wir daher das Programm ändern würden. Statt also nach der langen Reise gemütlich in die Heia zu fallen, sollten wir nun die nächsten drei Stunden mit dem Betrachten eines großen Gartens irgendeines Kaisers verbringen. Drei Stunden LAUFEN! Und ich hatte ja noch nicht einmal meine extra für diese Reise gekauften Laufschuhe an! Außerdem war es saukalt! 5 Grad über Null, eisiger Wind. Gut, dass ich meine Jacke mit den Bärentatzen dabei hatte. – egal, wie out die Marke mittlerweile ist. Tja, und dann begann das Problem mit unserer Reiseleiterin. Ihr rudimentäres Deutsch reichte beim besten Willen nicht aus, irgendetwas von dem vernünftig zu erklären, was wir da gerade besichtigten. XU war knapp 50, sah sehr viel jünger aus und erwartete in diesem Jahr bereits ihre Pensionierung.

Diese ganzen Steinplätze mit ihren Wänden und Mauern waren ja nett anzusehen, aber wofür sie gut waren, wer sie warum gebaut hat und welche Funktion sie heute noch haben, blieb mir leider verborgen. Genau wie ein fehlender Stein in einem der Höfe. Knacks, war mein linker Fuß umgeknickt. Wenn ich was mache, dann mache es bekanntlich gründlich. Durch den Schreck und die nötige Gegenreaktion habe ich mir gleich noch mein Knie verzerrt. Die letzte Stunde war also ziemlich schmerzhaft für mich.

Endlich fuhr der Bus uns ins Hotel. Wieder durch eine völlig verstopfte Innenstadt. Im Hotel angekommen, bat XU uns, „kurz“ zu warten. Eine geschlagene Stunde später – um 12 Uhr Ortszeit – hatten wir endlich die Schlüssel zu unseren Zimmern in der Hand. Alle, bis auf einen: Mich. Irgendwie war mal wieder was schief gelaufen und es war für mich kein Zimmer reserviert worden. Das fand ich nun langsam so gar nicht mehr prickelnd.

Es dauerte weitere 30 Minuten, bis ich dann endlich doch ein chinesisches Zuhause hatte. Zimmer 749.
Das Warten hatte sich gelohnt. Als „Wiedergutmachung“ für ihren Fehler hatte man mir eine Suite gegeben, die mit Abstand das beste Hotelzimmer war, das ich je in meinem Leben hatte. Edle Möbel, Riesen-Doppelbett, Dusche UND Badewanne (die man vom Schlafzimmer aus sehen konnte, wenn man das wollte), beheiztes Klo, Klimaanlage, Waage, 55-Zoll-Fernseher, kleine Küche, überall Marmor. Ich sortierte meine Klamotten in die großzügigen Schränke ein, verband die Ladegeräte mit ihren Stromsaugern und legte mich mal „kurz“ hin. Richtig schlafen konnte ich natürlich nicht, weil die innere Uhr ja völlig durcheinander war. Zu allem Überfluss kamen dann auch schon die ersten Mails aus Deutschland, wo ja so langsam der neue Tag begann. Also iPhone gemutet und weiter gepennt.

Unser Hotel in Beijing – 5 Sterne

Für 17.00 Uhr war dann ein gemeinsames Essen bei einem Chinesen um die Ecke geplant. 15 der 21 Reisenden hatten sich eingetragen, darunter auch ich. Die übliche „Peking“-Ente wurde hier an einem großen runden Tisch mit einer mittleren Drehplatte serviert. Anders als bei uns üblich, gab es die Speisen jedoch nicht alle zusammen, sondern eine nach der anderen. Die Speisen hatte „XU“ ausgesucht. Ich hatte da kein Mitspracherecht. Deswegen musste ich damit leben, dass ausnahmslos alle Gerichte bis oben hin mit Knoblauch zugemüllt waren. Außerdem war Chili im Großeinsatz. Die Ente selbst war in extrem dünne Scheibchen geschnitten worden und sollte zusammen mit einer Teigtasche und etwas Grünzeug eingenommen werden.

Von einem Glas Wein zum Essen riet uns XU ab. Lieber sollten wir das chinesische Bier probieren, was wir auch taten. Da ich kein Biertrinker bin, kann ich leider nicht beurteilen, ob es was getaugt hat. Nachtisch gab´s auch nicht.

Ente gut, alles gut? Viel Fett für wenig Geld.

Wir saßen da insgesamt zwei lange Stunden, bis mich (und auch einige andere Mitreisende) die Müdigkeit übermannte. Beim anschließenden Bummel durch das riesengroße Hotel fand ich dann doch noch eine Bar, in der eine Band Livemusik darbot und Gin Tonic in der Getränkekarte stand. Bekommen habe ich dann zwar Gin mit Sodawasser, aber man soll ja dankbar für alles sein.

Um 22.00 Uhr Ortszeit ins Bett.

Der dritte Tag
Ja, so schnell ging die Zeit vorbei. Einen Tag lang angereist und einen zweiten Tag irgendwie verpeilt durch kaiserliche Gärten gewankt. Nach kurzem Erschöpfungsschlaf Ente gegessen und Bar besucht. Ente gut, alles gut.

Um sieben klingelte das Telefon neben meinem Bett. Ich habe zwar nicht verstanden, was mir der Weckcomputer auf chinesisch ins Ohr flüsterte, aber es ging natürlich darum, aufzustehen. Nach dem Duschen und Haare waschen wusste ich dann auch, was ich dieses Mal zu Hause vergessen hatte: Meinen Fön mit eingebauter Bürste. Der Hotel-Fön pustete meine Haare zwar auch trocken, hinterließ aber eine reichlich wirre Frisur, die so manchen Mitreisenden die Stirn runzeln ließ.

Das Frühstück gab es im Keller des Hotels. Es war extrem reichlich. Hier gab es fast alles außer Wurst, Schinken oder Käse. Käse mag der Chinese nicht, da dreht sich ihm der Magen um. Natürlich auch keinen Joghurt oder andere Milchprodukte. Butter gab es eigentlich nur speziell für die Touristen, die hier im Hotel ja auch den Löwenanteil darstellten. Der Kaffee war gut versteckt, schmeckte aber dafür sehr gut. Die Chinesen selbst frühstücken immer gleich ein ganzes Mittagessen.

Um halb neun dann Abfahrt zu unserem ersten Ziel des Tages. Dadurch, dass wir die kaiserlichen Gärten ja schon gestern abgeklappert hatten, hat uns XU eine weitere Programmänderung zugemutet: Den Besuch einer Zuchtperlenverkaufsorganisation. Also mal wieder eine Kaffeefahrt. Um dorthin zu kommen, musste der Bus fast eine Stunde durch die Großstadt fahren. Der Verkehr war heute, also am Samstag, vergleichsweise erträglich. Samstags dürfen in Peking auch alle privaten Autobesitzer in der Stadt rumfahren. Das dürfen die sonst nicht. Aufgrund der Endziffer ihrer Nummernschilder wird immer ein Fünftel der Autos aus der Innenstadt verbannt. Also montags die Endziffern 1 und 6, dienstags die Endziffern 2 und 7 und so fort. Wer jeden Tag Auto fahren will, braucht also mindestens zwei Autos. Dabei sind die Autos gar nicht das Problem. Davon gibt es jede Menge. Alle so gut wie neu, viele deutsche Luxusmarken, kaum Elektroautos. Das Problem ist die Zulassung, also das Nummernschild. Die Regierung lässt derzeit nicht mehr als 20.000 neue Zulassungen pro Monat zu. Das klingt wahnsinnig viel, ist aber bei 21 Millionen Einwohnern echt ein Engpass.

Blick aus dem Hotelfenster

Nun zu den Zuchtperlen. Ein Video mit einem miserablen sächsischen Sprecher erklärte uns, wie die Perlen gezüchtet werden. Man schneidet den jungen Austern schmale Streifen aus dem Leib, zerteilt diese in kleine Stücke und pflanzt sie wieder ein. Die Austern wollen die Implantate loswerden, schaffen das aber nicht. Stattdessen bilden sie im Laufe von 2 – 3 Jahren die eigentliche Perle rund um den Eindringling. Bei dieser Methode kann jede Auster gleichzeitig rund zwei Dutzend Perlen „generieren“. Bei Naturperlen entsteht ja immer nur eine einzige Perle, weswegen diese Exemplare auch sehr teuer sind.

Die nahezu perfekt englischsprechende Mitarbeiterin des Ladens zeigte uns dann an einigen Beispielen, woran man falsche von echten Perlen unterscheidet und verriet uns den Trick, dass viele Perlenfälscher die Ketten mit echten und falschen Perlen mischen, damit beim Echtheitstest nur die echten Perlen getestet werden, während der Plastikschund übergangen wird. Nun gut, das war für mich neu und durchaus interessant. Natürlich hatte ich aber nicht vor, mir irgendwelche Perlen zuzulegen. Weder als Krawattennadel (so was gab es früher wirklich mal!), noch als Manschettenknopf oder gar in Form von zerriebenen Perlen, die alles Mögliche aufrichten sollen. Ich saß brav die Wartestunde ab, unterhielt mich mit ein paar Mitreisenden über Kois  und Goldfische (davon gab es eine Menge in dem Laden) und stellte schlussendlich erfreut fest, dass niemand aus unserer Gruppe auf den Tinneff reingefallen war. Denn das ist ja wohl sicher: Auch wenn die Perlen bestimmt echt waren, waren sie hier doch echt zu teuer.

Einer unserer Mitreisenden hatte sich inzwischen draußen bei einem der üblichen fliegenden Händler eine Mao-Mütze gekauft, die er seitdem rund um die Uhr trägt. Matthias kommt aus Weißensee bei Cottbus und hört MDR1 Radio Sachsen. Den Sender, dem ich täglich ein paar Dutzend Male als Stationvoice meine Stimme leihe. Seine sehr nette Frau Ilka erinnerte mich sehr an eine Freundin aus Friedrichsdorf, nämlich Sonja. Erstaunlich, dass es zwei nahezu identische Frauen auf der Welt gibt.

Zurück im Bus erzählte uns XU ein paar wissenswerte Facts über China. So wurde erst 1994 die Krankenversicherung eingeführt. Und das Steuersystem hat man mehr oder weniger komplett aus Deutschland übernommen. Damals schickte man hunderte von Beamten zu uns, um das System zu verstehen und später anwenden zu können. Dadurch wurden viele beliebte Steuerschlupflöcher geschlossen. Bei einigen endete die Zeit der Steuerfreiheit hinter Gittern.

In Beijing ist es nicht üblich, Wohnungen zu mieten. Man kauft sie. Eine 90-Qudratmeterwohnung kostet derzeit etwa 200.000 Yuan, also rund 27.000 Euro. Dafür bekommt man aber kein fertig eingerichtetes Apartment, sondern tatsächlich nur die nackten Wände. Tapeten, Türen, Teppiche etc. muss man selbst einbauen. Die Baumarktindustrie brummt also gewaltig. Was nun die Preisumrechnung umgeht, bringt es nichts, einfach den Wechselkurs zu bemühen. Die Kaufkraft ist ja hier eine ganz andere. Bei einem Durchschnittsmonatseinkommen von umgerechnet 450 bis 500 Euro sind auch 27.000 Euro viel Geld für eine nackte Wohnung. Natürlich bekommt die nur ein Chinese, als Europäer können wir uns (noch) nicht billig hier einkaufen.

Auch ist der Benzinpreis von ca. 6 Yuan pro Liter für uns ein Klacks, für die Chinesen aber echt teuer.

Was das Thema Telekommunikation angeht, sind wir hier im Paradies. Wer morgens einen Breitbandanschluss fürs Internet bestellt, bekommt ihn spätestens drei Stunden später geschaltet. Fast die ganze Stadt ist über WLAN kostenlos vernetzt. Nur auf facebook, Google und Twitter muss man hier verzichten. Diese Adressen sind rigoros gesperrt. WhatsApp, dass ja auch zu facebook gehört, funktioniert hingegen. Die chinesische Alternative zu facebook funktioniert natürlich bestens und wird von allen Einwohnern rund um die Uhr für so gut wie alles genutzt. Ist aber leider nur auf chinesisch erhältlich, was für mich das Verständnis etwas erschwert.

XU ist ja der Meinung, dass chinesisch die einfachste Sprache der Welt sei. Es gäbe so gut wie keine Grammatik, und selbst kleine Kinder würden es lieben, die Schriftzeichen zu malen. Anhand einiger Symbole hat sie versucht, ihren Standpunkt zu untermauern, aber das ist ihr nicht geglückt. Denn es macht schon einen Unterschied, ob man 26 Buchstaben schreiben und lesen können muss oder eben einige hundert chinesische Bildzeichen, die das sogenannte „symplified Chinese“ beinhaltet, das Mao in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts eingeführt hatte . Mit 250 Zeichen hat man schon Babyniveau erreicht. Für eine Zeitung sollte man mindestens 2500 Zeichen kennen. Die Profiversion der Sprache hat noch zigtausend Zeichen mehr, aber das kann heute kaum einer mehr. Das Problem dieser Bildersprache ist die Komplexität. Es gibt weder Artikel noch Fälle noch irgendeine Grammatik. Dafür aber vier unterschiedliche Betonungen. Und deshalb muss man sich die deutschen Vorträge von XU auch immer wieder zu kompletten Sätzen umdenken. Nach ein paar Tagen hatte ich mich übrigens daran gewöhnt, Xus einzelne Vokabeln in sinnvolle Sätze zu übersetzen.

Hier wird die Weltpolitik gemacht.

Mittlerweile waren wir am Rand des „Platz des himmlischen Friedens“ angekommen. Wie wir alle wissen, war da nicht immer alles so friedlich wie die Regierung heute immer noch behauptet. Details zur Kulturrevolution finden sich in jedem einschlägigen Geschichtswerk. Am heutigen Samstag war auch ein besonderer Tag. Die Parteispitze hatte ihre Untertanen eingeladen, um ihnen das politische Programm der Regierung zu erklären. Und da damals wie heute jeder brave Bürger gehorcht, waren einige hunderttausend Menschen auf dem Weg zu der Kundgebung. Das bedeutete weitere Zeitverzögerungen durch Straßensperren und viele Kontrollen. Als „Langnasen“, wie wir Europäer hier weiterhin frech bezeichnet werden, kamen wir allerdings recht schnell durch die ganzen Sicherheitsabsperrungen. XU musste nur ihren Ausweis zeigen, und dann wurden wir meist auf einem parallelen Weg an den Scannern vorbeigeführt. Diese Unmenge von Soldaten und Polizisten führte zu einem etwas flauen Gefühl im Magen, zumal wir alle auch noch respektlos die Kameras auf die Uniformierten hielten. Aber das sind die hier anscheinend gewohnt. Fast jeder hatte ein Lächeln übrig, wenn ein Smartphone sie anpeilte.

Die Veranstaltung selbst haben wir uns natürlich nicht angesehen. Stattdessen gab es bereits um 11.15 Uhr Mittagessen. Und das war in etwa genauso wie am Abend zuvor, nur ohne Ente. Auch hier wieder entweder nur Bier oder Cola/Sprite als Getränk.

Nach dem Essen tauchten wir wieder in die Menschenmassen und näherten uns der „verbotenen Stadt“. Die heißt so, weil früher da nur der Kaiser samt seinem Gefolge wohnen und herrschen durfte. Das Gefolge bestand im Wesentlichen aus Beamten, Eunuchen und Konkubinen. Später mehr zum sündigen Leben der alten Kaiser.

Der Kaiserpalast teilt sich in sehr viele Gebäude auf, die sich dadurch auszeichnen, dass sie sich alle sehr ähnlich sehen. Allen Gebäuden war gemeinsam, dass man nicht hineingehen durfte. Und das, was man durch die Absperrung an den Eingangstüren sah, hätte auch nicht zum Hineingehen ermutigt. Leider war das alles recht lieblos gestaltet und teilweise ganz schön vergammelt. Aber wie überall in Beijing waren die Böden von ausgesuchter Sauberkeit. Ein Heer von Putzmännern wuselte durch die Plätze und Wege, um jeden noch so kleinen Dreck wegzuräumen. Mit zunehmender Wegstrecke wurde auch das Interesse der Reisenden immer reduzierter. Die jungen Chinesen hatten ohnehin nichts Anderes zu tun als Selfies mit den Altertümern zu schießen. Nirgendwo auf der Welt habe ich so viele Selfie-Sticks gesehen, also diese Stäbe, in die man das Handy einklemmt, um dann Fotos mit sich und dem entsprechenden Hintergrund zu machen.

Irgendwann wurde es dann etwas gemütlicher. Wir kamen zu den Häusern, in denen die Konkubinen wohnten. Also damals wohnten. Jetzt waren die Räume natürlich leergeräumt. Bis zu 6000 Stück dieser Lustbringer der diversen Kaiser sollen hier gelebt haben. Sie wurden jährlich höchstpersönlich von Eunuchen ausgewählt, die im Süden Chinas nach besonders hübschen Exemplaren suchten. Wegen der besseren Luft waren die Mädchen im Süden nämlich hübscher. Das soll heute noch so sein. Für die meist armen Familien war das natürlich eine Auszeichnung, wenn die Tochter eine Freundin des Kaisers wurde. Und mit ein bisschen Glück gab es ja auch enorme Aufstiegsmöglichkeiten. Da die Pille noch nicht erfunden war, blieb die eine oder andere Nacht des Herrschers nicht ohne biologische Folgen. Und schwupps –war wieder ein Herrscher geboren.

Und immer wieder drehen wir am Rad…

Nun darf man nicht davon ausgehen, dass das jeder Konkubine immer mal wieder passierte. Nein, dazu waren die Kaiser wohl zu faul. Immer, wenn so ein Herrscher Fleischeslust verspürte, bat er einen seiner (sehr vielen!) Eunuchen, ihm ein Weib auszusuchen. Aus Gründen der Gerechtigkeit gab es ein Losverfahren.  Der Despot wählte einen von vielen Tellern aus, auf deren Rückseiten die Namen der Damen standen. Man muss nicht viel von Wahrscheinlichkeitsrechnung verstehen, um zu realisieren, dass da nicht unbedingt ein wildes Treiben im Gange war. Die Aufgabe des Eunuchen war es, die ausgewählte Freudendame nur in ein Betttuch eingewickelt, also quasi gebrauchsfertig, dem Kaiser zu übergeben. Interessante Randnotiz: Wenn der Kaiser „fertig“ war, hustete er dreimal kurz. Das war das Zeichen für den Eunuchen, das Mädel abzuholen und zurück in ihr Gemach zu geleiten.

Dieses Sexualleben, basierend auf einem Zufallsprinzip, konnte doch nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Im Laufe der Jahrhunderte wurden dann auch immer weniger Mädels einberufen – am Ende der Kaiserzeit „nur noch“ zweitausend.

Nach zweieinhalb Stunden hatten wir die „verbotene Stadt“ hinter uns. Leider war das ein bisschen enttäuschend. Was hätte Disney aus so einem Stoff machen können!!?

Es war halb vier. Unser Bus fuhr wieder quer durch die halbe Stadt zu unserem letzten Ziel für heute: Abendessen. Jawohl, Abendessen um 16 Uhr. Als wir an dem Restaurant ankamen, war es allerdings noch geschlossen. Wir sollten gefälligst um 17.00 Uhr wiederkommen. Und schon hatten wir wieder eine Stunde zur freien Verfügung, wobei unsere Möglichkeiten sehr begrenzt waren: Der Bus hatte an einer vielbefahrenen Ausfallstraße gehalten. Es gab zwar viele kleine und kleinste Geschäfte auf beiden Seiten, aber die waren geschlossen. Auch wenn in der Regel die Geschäfte am Samstag geöffnet sind, war ja heute aufgrund der großen Kundgebung kein Mensch hinter seiner Theke.

In dem Gebäude hinter mir wohnten mal die Kaiser.

Irgendwo haben wir ein kleines Café gefunden, bei dem man einen „Cappuccino“ trinken konnte. Und dann ging es wieder in ein chinesisches Restaurant. Und wieder exakt der gleiche Ablauf wie zuvor. Nur gab es diesmal fast gar kein Fleisch mehr.

Ach ja, einen Hund haben wir auch gesehen. Lebend. (Noch?)

Und wie am Abend zuvor saß ich dann noch bis zehn alleine an der Bar, um bei einem Gin Tonic (diesmal hat´s geklappt) an diesen Zeilen zu feilen.

Morgen geht´s an die Mauer. Ein Thema, bei dem wir Deutschen ja bekanntlich mitreden können.

Der vierte Tag
(oder einer der anstrengendsten Tage meines Lebens)

Der Wecker klingelte bereits um halb sieben. Um acht Uhr brachte uns der Bus nämlich zur weltberühmten chinesischen Mauer. Für die Touristen hat man in der Nähe einen guten Kilometer der Mauer restauriert, etwa eineinhalb Stunden vom Zentrum der Stadt entfernt.

Bisher habe ich ja noch nicht über das Wetter gesprochen. Ich muss zugeben, dass wir ausgesprochenes Glück hatten. An beiden bisherigen Tagen schien die Sonne, und der berüchtigte Smog war kaum zu spüren. Gestern, am Tag der großen Kundgebung, wurden gar 14 Grad erzielt, was für Anfang März ein sehr hübscher Wert ist. Trotzdem hatte ich ständig ein Kratzen im Hals, eine verstopfte Nase und Stimmaussetzer. Es schien also sinnvoll zu sein, dass so viele Einheimische mit Mundschutz durch die Gegend liefen. Aber solange das nicht schlimmer würde, konnte ich damit leben.
Heute war es nun zwar immer noch genau so sonnig, aber leider bedeutend kälter. Als sich der Bus aus Beijing heraus in die Berge schlängelte, fielen die Temperaturen in Richtung Gefrierpunkt. Das allein wäre nicht das Problem gewesen, aber leider blies uns dazu ein so eiskalter Wind um die Ohren, dass es ohne Kapuze beim besten Willen nicht auszuhalten war. Gut, dass meine 3-Tatzen-Outdoor-All-Inclusive-Jacke eine solche besaß. Im Gegensatz zu unseren beiden Jungs beispielsweise, die nur im Jeansanzug angereist waren, war ich da glatt im Vorteil. Denn an der chinesischen Mauer wurde es richtig, richtig kalt.

Der Bus hielt gute 300 Meter vor dem Eingang zur Mauer. Wir sammelten uns zunächst in einem Andenkenladen vor dem Security Check, den hier jeder über sich ergehen lassen musste. Die abtastenden Beamten waren fast ausnahmslos weiblich, so dass ich schon am frühen Morgen ein wenig Körperkontakt bekam. Zimperlich waren die nicht. Nach meiner Abtastung konnte das Mädel absolut sicher sein, dass ich nirgendwo eine Bombe versteckt haben konnte.

Auf der Mauer, auf der Lauer.

Am Zugang zur Mauer konnte man sich entscheiden, ob man den (kürzeren) linken oder den (längeren) rechten Weg wählen wollte. Ich wählte natürlich den kürzeren Weg, der mir auch weniger steil erschien. Und zusammen mit ein paar Mitreisenden kraxelten wir dann los. Der Boden war glatt, nicht etwa stufig, und es ging steil bergauf. Sehr steil. So steil, dass ich nach etwa 300 Metern die Nase voll hatte. Man musste ja den ganzen Weg auch wieder zurück! Und bergab ist ja noch mal um Einiges schmerzhafter. Na gut, ich will mich nicht loben. Dafür gibt es nämlich keinen Grund. Ich habe kläglich versagt. Ich konnte die Mauer nicht bezwingen. Wie übrigens kaum einer aus einer Gruppe. Nur die beiden Jungs kamen ziemlich weit, bis ihnen die Eiszapfen aus der Nase wuchsen.

Ich hatte mich inzwischen wieder am Startpunkt eingefunden und wurde von einer älteren Dame aus unserer Gruppe angesprochen, die mir schon beim Zuchtperlekettschekauf aufgefallen war. Sie kam aus Nordrhein-Westfahlen, war wohl unendlich reich („Ich habe immer wieder Ärger mit meinen vier Mietern“), ist schon mal vom Pferd gefallen und konnte nur deswegen nicht auf die Mauer klettern, weil sie sich neulich beim Skifahren sämtliche Sehnen zerrissen hatte. Ihr gehört wohl eine Stoffdruckerei für blaue Farben, wenn ich das richtig verstanden habe.

Am „Basislager“ der Chinesischen Mauer gab es natürlich auch viele Andenkengeschäfte und kleine Imbissläden. Ich erwarb einen Cappuccino für umgerechnet 4,10 Euro, der bereits vorgesüßt war und gar nicht so schmeckte, wie man ihn von daheim kennt. Na ja, warum auch?
Die Zeit verrann und der Ausflug ging seinem Ende zu. Blöderweise hatte ich vergessen, welches der vielen Souvenirläden unser Treffpunkt war. Ich lief die ganze Straße runter und wieder hoch, ohne den Laden wiederzufinden. Ein mir entgegenkommendes Paar aus unserer Gruppe hatte dieselben Probleme, so dass wir dann kurzerhand XU anriefen. Die Nummer hatte ich sicherheitshalber dabei. XU war ganz aus dem Häuschen und bat uns, dort zu bleiben, wo wir gerade waren. Sie würde uns abholen. Nach ein paar Minuten sahen wir weitere Mitglieder unserer Gruppe und stellten fest, dass wir die ganze Zeit genau vor dem gesuchten Laden standen, ohne ihn wiedererkannt zu haben. Wir hatten ihn ganz einfach viel weiter unten vermutet. Peinlich, peinlich, ist mir noch nie passiert. Lag bestimmt an der Kälte.

Wieder im Bus konnte ich die Kapuze endlich abnehmen. Von einer Frisur konnte man ab jetzt allerdings bei mir nicht mehr sprechen. Wild und wirr wanden sich die schütteren Strähnen in alle Himmelsrichtungen.

Es war viertel nach zwölf und damit höchste Zeit für das übliche Mittagessen. Eigentlich. Aber unsere vorausschauende Reiseleitung hatte sich gedacht, dass wir doch bestimmt noch gerne eine weitere Verkaufsschau sehen wollten. Diesmal für Jade. Und auch hier bot man uns wieder eine perfekt, diesmal amerikanisches Englisch sprechende Promoterin, die uns die Kunst der Jadeschnitzerei näherbringen sollte. OK, es war schon sehr beeindruckend, was man aus diesem sehr harten Material alles so basteln kann. Vor allem Drachen. Das Ganze war allerdings ziemlich teuer. Ein Hausdrache in Hundegröße kommt schon auf ein paar tausend Euro. Da keiner unserer Reisenden Interesse an diesen Staubfängern hatte, durften wir uns dann im selben Gebäude an die bereits mehrfach beschriebenen runden Tische mit der Drehplatte setzen. Und schon wieder gab es diverse, teils kalte oder lauwarme Speisekreationen mit ständig sinkendem Fleischanteil. Auch hier wieder ein Glas Bier, Cola oder Sprite pro Gast. Kein Wasser. Dafür aber Bier, denn Bier trinkt der Chinese bekanntlich wie Wasser. Bei 2,5% Alkoholgehalt ist das auch nicht sonderlich gefährlich.

Die üblichen 8 Köstlichkeiten.

Um 13:30 Uhr Weiterfahrt. Es ging zurück in die Stadt in ein Viertel namens Hu-Ton. Das ist so eine Art Vergnügungsviertel, das rund um einen kleinen See gruppiert ist. Wenn es nicht so entsetzlich kalt gewesen wäre, wäre dies ein absolutes Highlight dieses Ausflugs geworden. Den Einwohnern schien die Kälte weniger auszumachen. Das Viertel mit seinen alten, eingeschossigen Häusern war überfüllt mit jungen Leuten in Frühlingsklamotten. Ein Restaurant reihte sich neben das nächste, eine Kneipe nach der anderen, überall Live-Musik, überall Straßenhändler, Schmuckgeschäfte und Klamottenläden ohne Ende. Und in dem ganzen Gewusel hunderte von Moped- oder Fahrradfahrern. Man hat sich hier in Beijing nämlich etwas sehr Schlaues ausgedacht. Überall in der Stadt stehen kleine gelbe Fahrräder rum. Damit sie nicht geklaut werden, sind sie mit einem stabilen Zahlenschloss versehen. Wer nun dringend irgendwo hinfahren will, schnappt sich so ein Rad, scannt den darauf abgedruckten Barcode mit seinem Handy ab und startet damit einen Mietvertrag. Das Handy teilt ihm den Code für das Zahlenschloss mit. Der Biker öffnet das Schloss und fährt los. Die ersten 30 Minuten sind sogar kostenlos. Wenn er am Ziel angekommen ist, scannt er den Code ein weiteres Mal und schließt das Fahrrad wieder ab. Sollte er länger als 30 Minuten gefahren sein, wird ihm der Betrag vom Konto abgebucht. Die Miete ist wohl sehr übersichtlich, da die Räder von unglaublich vielen Chinesen genutzt werden.

Eine Stunde später saßen wir wieder klappernd und zitternd im Bus. 17.00 Uhr – Zeit für das Abendessen, was sonst. Auf dem Weg in ein weiteres Touristenrestaurant der langsam nervigen Art hielten wir noch im Zentrum an einem Platz an, der sich „The Place“ nannte. Hier befand sich als Überdachung die größte derzeit bestehende LED-Beleuchtung der Welt. Darunter muss man sich eine Riesen-Cinemascope-Leinwand von etwa 100 Metern Breite mal 25 Metern Höhe vorstellen, auf der optisch aufreizende Motive gezeigt wurden. Fische, Weltraum, diverse Grafiken und so weiter. Eingerahmt von Starbucks, Zara und vielen anderen Luxusmarken war das schon ein sehr imposanter Beweis für die Weltläufigkeit dieser unglaublichen Stadt.

Der größte Fernseher der Welt.

Unglaublich, wenn man sich mal vor Augen hält, was hier in den letzten 30 Jahren stattgefunden hat. Ich kann mich noch an meinen Besuch in Hongkong erinnern, bei dem wir auch einen Tagesausflug in das damals völlig verarmte China unternahmen. Da gab es kaum Autos, eine verängstigte, überwachte Bevölkerung und großes Elend weit und breit. Und heute stellt sich dieses Peking als extrem westlich orientierte Megacity dar, gegen die New York wie ein Vorort aussieht. Auch wenn ich bisher nur einen Bruchteil der Stadt gesehen hatte, war ich ehrlich beeindruckt.

Ich schreibe oft, dass hier sehr viele junge Chinesen zu sehen sind. Das ist eigentlich erstaunlich, weil es 30 Jahre lang die 1-Kind-Regel gab. Chinesen dürfen erst seit drei Jahren wieder mehr als ein Kind straffrei zur Welt bringen, aber kaum jemand macht von diesem Angebot Gebrauch. Wer schon ein Kind hat, will auf keinen Fall ein Zweites. Und sehr viele junge Leute wollen überhaupt kein Kind mehr, nicht einmal heiraten. Das liegt sicher auch am gestiegenen Bildungsniveau. Das Schulsystem bietet viele Anreize. Das Vorschuljahr und 9 Schuljahre sind Pflicht und kostenfrei. Dann kann man sich entscheiden, ob man eine Ausbildung machen will oder die „Oberstufe“ besucht. Auf die Uni kommt man nur nach einer bestandenen zweitägigen Prüfung, die für alle Schulen des Landes an zwei bestimmten Tagen im Jahr durchgeführt werden. Die Kosten für ein Studium können dann allerdings schön ins Geld gehen. Aber auch hier gibt es Kredite und Stipendien, so dass wohl tatsächlich ein sehr gut ausgebildeter Nachwuchs bereitsteht, das Wohl des Volkes und des Staates zu mehren.

Aber unser Marathonbesuchsprogramm war immer noch nicht zu Ende. Es folgte die Besichtigung einer „Essensstraße“ (also quasi die „Fressgass“ Beijings), in der hunderte von hungrigen jungen Chinesen vor den Lokalen im Freien warteten, um einen Sitzplatz in den begehrten Fressplätzen zu ergattern. Angesichts der gerade erfolgten Speisung wurde uns die Chance leider verwehrt, mal etwas Anderes zu essen zu bekommen. Sehr schade.
Dann war der Besuch einer Einkaufsstraße dran. Nach der Ankündigung von XU, dass diese Straße ein Paradies für Frauen und die Hölle für Männer wäre, zog ich es vor, für die nächste Stunde im Bus zu bleiben, um mich etwas aufzuwärmen. Leider ließ der Busfahrer die Seitentüre auf, so dass die ganze Zeit Kaltluft auf mich blies. Ich hätte mir einen Pelzmantel kaufen sollen.

Schließlich fuhr der Bus noch einmal zum „Platz des himmlischen Friedens“. Ich kann gar nicht beschreiben, wie beeindruckend die Illumination der Gebäude und Straßen war. So etwas habe ich bisher nirgendwo gesehen. Und da ja auch gerade der Parteikader tagte, wurden alle städtischen Gebäude gleich mit in Lichtermeere getaucht. So ganz nebenbei erfuhren wir, dass es eine 40 Kilometer lange Straße durch die Stadt gibt, die mit hunderttausenden von Laternen beleuchtet wird. Strom scheint in China sehr günstig zu sein.
Wir fuhren durch das Botschaftsviertel mit seinen Kneipen und Bars und sahen die Innenstadt noch einmal mit seinen ganzen aufregenden Leuchtreklamen, dem pulsierenden Leben der vielen, meist jungen Chinesen und dem Eindruck einer großartigen, positiv gestimmten Weltstadt.

Und mit diesen bewegenden Worten beende ich den Bericht über diesen extrem anstrengenden Tag. Hatte ich doch mein „Bewegunsgziel“ bereits am frühen Nachmittag VERDOPPELT! Das können meine Knochen nur bestätigen.

Nach Notat zu Bett.

Der fünfte Tag
Gegen 23.00 Uhr war ich etwa eingeschlafen. Um 3 Uhr weckte mich das Bellen eines Hundes. 21 Millionen Einwohner, aber alles, was man nachts hört, ist das Bellen eines Hundes. Na ja, es war mehr ein Winseln, ein Jammern, ein Hilfeschrei einer armen gepeinigten Kreatur. Offenbar fror das Hündchen. Die „Hilferufe“ wurden immer leiser und vereinzelter, bis sie gegen 4:20 Uhr endlich aufhörten (und das arme Tier vermutlich tot war).

Ich war kaum wieder eingeschlafen, als der Wecker klingelte. 5.00 Uhr. Wir mussten so früh raus, weil um 9.00 Uhr unser Flieger nach Chongqing gehen sollte. Chongqing (sprich „TschonTschin“) ist die größte aller chinesischen Städte mit sage und schreibe 33 Millionen Einwohnern.

Das Auschecken aus dem Hotel ging sehr flott. Interessanterweise durften wir erst losfahren, nachdem das Hotelpersonal kontrolliert hatte, ob auch niemand was im Zimmer liegen gelassen hat. Jedenfalls war das der offizielle Grund. Tatsächlich wollten sie nur prüfen, ob sich vielleicht jemand an der Einrichtung bereichert hatte. Und tatsächlich wurden einem Paar unserer Gruppe zwei Bademäntel in Rechnung gestellt, die sie schnell und mit hochrotem Kopf bezahlt haben. Peinlich, peinlich! (Auch für das Hotel, das mit seinen 5 Sternen über einem solchen Verhalten stehen sollte…)

Der Flug nach Chongqing war fürchterlich. Alle Reisenden unserer Gruppe wurden auf Mittelplätze verteilt. Die recht betagte 737 war sehr eng bestuhlt mit völlig durchgesessenen Sitzen. Am Fenster neben mir eine Chinesin, die sich während des ganzen Fluges keinen Millimeter bewegt hat; neben mir am Gang ein junger Chinese in feinstem Zwirn, der sich jeden Staubfussel von der Kleidung gerubbelt hat. Falls er auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch war, hätte er vielleicht besser gestern Abend kein Knoblauch essen sollen…
Gut ein Drittel des dreistündigen Fluges ging zu allem Überfluss auch noch durch unruhiges Wetter. Bei jedem Rüttler kam eine ellenlange Ansage in chinesisch und englisch vom Band, dass man sich wieder hinsetzen soll. So oft habe ich meinen Kollegen John Lloyd, der die englischen Ansagen für Star Alliance, also auch für Air China spricht, noch nie gehört.

Der Pandabär befindet sich im Hintergrund links.

Nun gut, alles hat ein Ende, auch dieser Flug. Es war mal wieder Zeit, was zu essen.

Und ein weiteres Mal setzten wir uns in vorgegebener Besetzung rund um zwei Tische mit Drehscheibe. Und schon wieder kamen die gleichen, teilweise ekligen Sachen auf den Tisch. Kein Wunder, dass ich bereits wieder ein volles Kilo abgenommen hatte. Ich hätte gerne statt der obligatorischen Bierverköstigung ein Glas Wein bekommen, was aber auch hier nicht möglich war.

Danach fuhren wir etwa eine Stunde lang durch diese Megacity „Chongqing“. Leute, so etwas habe ich noch nicht gesehen. Bis zu vier Fahrbahnen übereinander, dazu U- und S-Bahnen, gewundene Straßenzüge wie in utopischen Science-Fiktion-Filmen von Luc Godard, abertausende von Hochhäusern mit so vielen Stockwerken, dass man die höchsten tatsächlich als „Wolkenkratzer“ bezeichnen konnte. Dazu die schlechte Luft, der Nebel, der Gestank und die Lautstärke einer Riesenmetropole. Und mittendrin wuselten unendlich viele Chinesen mir ihrem Mundschutz durch die Straßen, immer emsig, immer im Dienst.

Beijing war beeindruckend, großzügig, architektonisch auf dem neuesten Stand. Das alles fehlte dieser Stadt – was nicht heißt, dass es in zwei Jahren schon wieder ganz anders aussehen wird. Denn an allen Ecken und Enden wurde gebaut, als müsste morgen hier eine ganz neue Stadt stehen. So viele Großbaustellen habe ich auch noch nie gesehen.

Um unsere Stimmung wieder ein bisschen aufzuhellen, sind wir daher in den Zoo gefahren. Das hilft bei Kindern und auch bei Erwachsenen. Zumal es in diesem Zoo echte Panda-Bären gab. Ich muss gestehen, dass ich bisher keinen der derzeit lebenden rund 1800 Pandas „live“ gesehen hatte. Und hier gab es gleich drei dieser knuddeligen Tiere. Die liegen zwar nur den ganzen Tag faul rum und fressen ganze Bäume auf, sind aber wirklich sehr putzig anzusehen. Die drei Exemplare in diesem ansonsten völlig runtergerockten Zoo waren schon knapp 16 Jahre alt – und somit schon im Rentenalter. Pandas leben höchstens 20 Jahre. Kein Wunder, wenn man den ganzen Tag frisst und sich nicht bewegt – würde meine Hausärztin jetzt sicher dazu bemerken, nicht ohne einen strafenden Blick auf mich zu werfen.

Garantiert echt.

Im Zoo selbst gab es wohl noch ein paar weitere Tiere, die wir aber gar nicht gesehen haben, weil erstens der Regen wiedereingesetzt hatte und zweitens unsere geplanten 30 Minuten Aufenthalt abgelaufen waren.

Also ein weiteres Mal in den Bus, weitere 30 Minuten durch diesen Alptraum einer Großstadt bis hinunter an die Anlagestelle unseres Flusskreuzfahrtschiffes.

Genau. Richtig gelesen: Unseres Kreuzfahrtschiffes. Ab jetzt brauchten wir keinen Bus mehr. Die nächsten 5 Tage durften wir auf einem sehr luxuriösen Schiff verbringen, das mit seinen sechs Decks, diversen Restaurants und Bars, mit seinem Kino, diversen Sportmöglichkeiten, Vorträgen über Akupunktur und alternativer Medizin sowie Ringelpietz mit Anfassen wohl die meisten Wünsche abdecken sollte.

Unser Schiffchen.

Zum Glück mussten wir unsere Koffer nicht selbst bis aufs Schiff schleppen. Das erledigten arme, muskelbepackte Männer der chinesischen Unterschicht für uns. Die armen Kerle mussten dabei pro Gang vier volle Koffer gleichzeitig vom Straßenrand bis zum Schiff,  also rund 200 Meter, inklusive 40 steiler Treppenstufen, transportieren. Dazu haben sie die vier Koffer an einen Holzbalken gebunden, den sie dann auf ihrem Rücken geschleppt haben. Lange schafft das keiner, aber der Mensch zählt ja hier nicht viel. Leider haben sie dabei den Griff an meinem Koffer abgerissen.

Das Boarding gestaltete sich ungewohnt bürokratisch. Um zu vermeiden, dass ein Tourist irgendwo auf dem Land ausgetauscht wurde, musste sich jeder fotografieren lassen und diese Bildausweise nach jedem Landbesuch wieder vorweisen. Das Schiff fasste rund 450 Passagiere, war aber nicht ausgebucht. Rund 300 Gäste waren angeblich nur an Board. Dazu etwa 150 Angestellte, allesamt blutjung und hübsch anzusehen. Damit sich die Touristen nicht etwa an chinesische Namen gewöhnen mussten, hatten sich die Angestellten selbst westliche Namen gegeben. Wir waren mit unserer 21-köpfigen Minigruppe übrigens die einzigen Deutschen an Board. Der Großteil kam aus Kanada und den USA. Diese beiden Länder sind ja auch die Hauptkunden von SINORAMA.
Und dann ging es in die Zimmer. Wow! Damit hatte ich so gar nicht gerechnet. Außenkabine, ca. 20 qm groß. Riesiges Doppelbett, 50-Zoll-Fernseher, Tresor, komplett eingerichtetes Bad, Schränke, Schreibtisch, Sessel, eigener Balkon. Und alles nahezu neu. Die Renovierung unseres Schiffes schien noch nicht lange her zu sein. Meine Kabine lag im dritten Stock,  etwa in der Mitte des Schiffes.

Eine ordentliche Kajüte.

Schnell war der Koffer ausgepackt. Meine mitgebrachten Stromadapter (vorher aus China importiert, wie umweltfreundlich…) passten perfekt in die Steckdosen. Es gab im Bad sogar einen in Plastik verpackten Kamm, den ich dankbar auspackte. Ein Fön hat leider gefehlt, aber bei meinem Wuschelkopf war der ja ohnehin keine gute Idee.
Als Nächstes gab es ein informatives Treffen und eine Programmvorschau in der riesengroßen Bar des Schiffes, oben im 5. Stock. Diese Show war eigentlich nur für die an Bord befindlichen Kanadier und Amerikaner gedacht, aber ein paar von uns hatten sich auch eingefunden.

Gin Tonic geht immer.

Und wie nicht anders zu vermuten war, sollte in der Bar natürlich auch was getrunken werden. Und dann kam auch schon der erste Schock. Die Getränkepreise waren weit höher als bei dem üblichen Preisniveau zu erwarten gewesen wäre. Außerdem wurde man ständig dazu aufgefordert, „Packages“ zu kaufen, also von vornherein große Mengen auf einmal zu bestellen, um Geld zu sparen. Im Falle von Weißwein wäre das eine teure Falle gewesen. Weißwein gab es eigentlich nur flaschenweise. Lediglich eine einzige, ziemlich süße Sorte wurde für 50 Yuan pro Glas offeriert, also ca. 6,90 Euro für 0,1 Liter. Die Flaschen kosteten dann zwischen 300 und 400 Yuan, also zwischen 42 und 55 Euro, was schon ganz schön happig ist. Auch ein Gin Tonic war mit 8,30 Euro nicht gerade günstig. Damit war auch klar, warum streng verboten war, selbst Getränke mit an Bord zu bringen. Der Preis, der von SINERAMA an die Reederei gezahlt wurde, dürfte kaum kostendeckend gewesen sein, sodass sich die Differenz zu einem lukrativen Betrieb fast ausschließlich durch den Verkauf von Bord-Alkoholika finanzierte.
Außerdem gab es noch weitere Einnahmequellen für die Crew: Wireless LAN kostete 300 Yuan für die Reise. Bei dem Preis war sogar WLAN in der Kabine inbegriffen. Und natürlich kosteten alle SPAs, Sport- und Fitness-Einrichtungen extra Geld, was mich aber (bekanntlich) sowieso nicht interessiert hat. Lediglich der Pool war kostenlos nutzbar, wenn auch nur zu bestimmten, akribisch festgelegten Zeiten.

So sieht´s im Inneren unseres Schiffes aus.

Nach einem Blick auf die Uhr war klar, dass wir schon lange nichts mehr gegessen hatten. Also ab in den Speisesaal, der pünktlich um 19.00 Uhr seine Pforten öffnete.

Und jetzt endlich machte sich auf den Gesichtern unserer Mitreisenden wieder ein sattes Lächeln breit. Wir saßen zwar wieder wie gewohnt an den runden Gruppentischen, aber ab jetzt klatschte uns niemand irgendwelche Sachen auf die Drehscheibe, die keiner essen wollte. Es gab nämlich ein sehr großzügiges Buffet, rund 40 Meter lang gut und lecker bestückt. So langsam taute unsere Gruppe auch auf; die ersten privaten Gespräche kamen auf. Und ich fiel natürlich auf den Wein-Trick rein. Ich wollte mir nur ein einziges Glas bestellen, hatte aber plötzlich doch eine ganze Flasche am Hals. Nun gut, der Wein aus Australien schmeckte lecker, und man gönnt sich ja sonst nichts. Lisa, meine persönliche Betreuerin am Tisch, schenkte mir immer wieder nach, bis ich dankend abwinkte. Ich hatte gar nicht viel getrunken, fühlte mich aber dennoch am Limit für heute.

Das Mädel in der weißen Uniform ist Bella.

Unser Schiff hatte noch gar nicht abgelegt. Das sollte erst mitten in der Nacht um 22:30 Uhr passieren. Davon habe ich allerdings nichts mehr mitbekommen. Ich ruhte in Morpheus Armen und schlief den berühmten Schlaf des Gerechten. 11 Stunden lang. Ohne auch nur einmal aufzuwachen.
Ich war endlich angekommen.

Der sechste Tag
Als ich so langsam wieder zu mir kam, bewegte sich das Schiff im Schleichtempo an einer atemberaubenden Kulisse flussabwärts. Unser geplantes Tagesprogramm war im Gegensatz zu den anderen Tagen sehr übersichtlich. Eigentlich stand nur ein Ausflug zur Roten Pagode auf der Liste. Bis dahin war noch viel Zeit. Das Frühstück fand natürlich wieder im Restaurant statt. Inzwischen hatte ich noch weitere Reisegruppen zuordnen können. Es waren auch Australier und sogar Mexikaner an Bord. Die diversen Programmpunkte wurden über eine Lautsprecheranlage in den Kabinen mehrsprachig angekündigt. Immer zweimal hintereinander, damit man ja nichts verpasste. Das Frühstück bot zwar Unmengen an Speisen, die mich nicht interessierten, aber leider nur eine Käsesorte und weder Schinken noch Wurst.
An der Rezeption kaufte ich mir den oben schon erwähnten Internetzugang, der auch in meiner Kabine funktionieren sollte, was er aber nicht tat und daher zu einer Gutschrift führte. Außerdem buchte ich einen weiteren Ausflug, der bisher nicht angeboten wurde und staunte nicht schlecht, dass reihenweise alte Damen sich an der Rezeption beschwerten, dass die Matratzen zu hart wären.

Anschließend gab es Vorträge über Akupunktur und chinesische Heilkunst, die ich nur mit halbem Ohr verfolgte, weil ich an diesem Blog weiterschreiben wollte. Es war aber ziemlich makaber, dass der China-Doc einer freiwilligen „Patientin“ diverse Nadeln in den Körper steckte. Wenn´s hilft…

Der Speisesaal des Schiffes.

Nach dem sehr üppigen Mittagessen stand dann nach einer kleinen Verdauungspause die erwähnte „Rote Pagode“ auf dem Programm. Das Besondere an diesem Tempel ist, dass er komplett aus Holz gebaut wurde und keinen einzigen Nagel enthält. Trotzdem scheint er seit Jahrhunderten nicht zusammenzufallen. Bevor wir das Schiff verlassen durften, mussten wir uns wieder spezielle „Boarding Cards“ umhängen. Der Weg zum Tempel war gesäumt von hunderten von Andenkenläden mit dem entsprechenden Verkaufspersonal. Und was konnte man hier Schönes kaufen! Schlipse mit Panda-Muster, Spielsteine aus Jade oder Plastik, Drachen aus Pseudo-Jade, T-Shirts („I climbed the Chinese wall“), Seidentücher (fake), Goldmünzen (fake) und Buddhas in allen Größen. Und schon wieder hatte ich keine Lust auf den Erwerb dieses Mists.
Interessanter war dann schon die Geschichte dieser Stadt. Wie wir ja sicher alle noch wissen, hat China vor rund 8 Jahren einen großen Staudamm am Yangtse gebaut. Das gab damals keine gute Kritik der Einheimischen. Viele Ortschaften sind dabei nämlich schlicht und einfach abgesoffen, also vom Wasser überspült worden. Als Ausgleich hatte man die Bevölkerung umgesiedelt. Das fanden die Wenigsten in Ordnung. Es muss wohl ziemlichen Stress gegeben haben. Wie auch immer, der Staudamm ist jetzt in Betrieb und die neuen Städte sind mit Sicherheit moderner als die Steinhütten aus der Vorzeit. Trotzdem sind die ganzen jungen Leute abgewandert, um ihr Glück in der Industrie zu suchen. Zu Hause blieben nur die Alten und Gebrechlichen. Und die standen jetzt vor ihren Andenken-Läden und übten einen recht zaghaften Kauf-Druck auf uns aus. Man wurde zwar manchmal leicht berührt, aber im großen Ganzen war das noch akzeptabel.

Das zeigte mein Navi an, als ich wissen wollte, wo wir sind.

Nach einem langen Zugangsweg kamen wir dann endlich an die Pagode. Früher stand sie 30 Meter hoch alleine auf einem Felsen. Durch den Staudamm war das Wasser inzwischen bis fast an die Grundmauern gestiegen. Zuerst mussten wir eine etwa 100 Meter lange Hängebrücke überqueren, die ganz schön stark schwankte. Stahlseile unter den Holzplanken vermittelten aber ein Gefühl der Sicherheit. Die Pagode selbst besteht fast ausschließlich aus Treppenstufen. Sieben Stockwerke musste man hochklettern, bevor man in den eigentlichen Tempel kam. Dort waren dann diverse Figuren (aus Holz) übermenschengroß aufgebaut, die irgendwas bedeuteten. Was genau, müsste ich schnell mal nachlesen, aber leider habe ich meinen Reiseführer nicht dabei.
Und was man hochkletterte, musste man auch wieder runtersteigen. Der Weg bis zum Schiff zog sich dann auch noch mal ganz schön. Meine Apfeluhr machte „bling“, weil ich schon wieder mein Tagesziel übertroffen hatte.

Um 17.00 Uhr öffnete die Bar mit 20%-Nachlass für Cocktails. Um 17:45 Uhr stellte sich dann endlich der Kapitän mit seiner Crew vor. Dazu spendierte er irgendein Getränk, dessen Zusammensetzung ich nicht erkennen konnte. Es war was mit blauen Früchten und Sekt. Der arme Kapitän, ca. 60 Jahre alt, grauhaarig und hager, verzog keine Miene, als er gezwungen wurde, für die Touris Fotos mit sich machen zu lassen. Er sah eher aus, als wäre er ursprünglich auf einem Kriegsschiff Kapitän gewesen. Vermutlich war dieses Touristen-Kommando eine Strafversetzung.

Und schon war wieder Zeit für das Abendessen. Der Geräuschpegel im Restaurant war so hoch, dass man beim besten Willen keine Gespräche führen konnte. Also wieder ab in die Kabine.

Leider hatte die sonne in meinem Urlaub selbst Urlaub.

Aber das war noch nicht alles. Um 20.45 Uhr gab es eine große Begrüßungsshow, die von den Angestellten des Schiffes ausgerichtet wurde. Um die Stimmung aufzuheizen, wurde am Eingang jedem Gast so eine Art „Plastikhand“ übergeben, mit der man laut klatschen konnte. Heißa, war das spaßig. Die Darbietungen hingegen waren wirklich sehr schön. Es ging natürlich um chinesische Tänze und chinesische Musik; um Liebe, Freude, Eierkuchen – das ganze Programm eben. Etwa 16 Crewmitglieder hatten die Tänze einstudiert und hinterließen einen durchaus positiven Eindruck beim Publikum. Wir sahen tolle Kostüme und sehr akkurat einstudierte Tänze. Nur als am Schluss das Publikum aufgerufen wurde, selbst mitzuhoppsen, habe ich das Weite gesucht. Ich hatte noch einen dringenden Sprechauftrag für den MDR zu erledigen. Leider war es fast unmöglich, die Datei über das Internet in den Sender zu transportieren. Das WLAN auf dem Schiff ist extrem langsam und auch nur an zwei Orten vorhanden. Da das Signal über Satellit empfangen und versendet wird, waren die Download- und vor allem die Upload-Raten extrem niedrig. So saß ich dann in der Rezeption und wartete auf den erfolgreichen Upload der 35 Megabyte. Irgendwann hatte ein Crewmitglied Erbarmen mit mir und koppelte sein iPhone (4G) mit meinem Macbook Air. Dann dauerte es „nur“ noch zehn Minuten, bis die Mail mit den 35 MB versendet war.

Leider für die Katz, weil der MDR so große Mails gar nicht annimmt, wie sich am nächsten Morgen herausstellte. Da weder Dropbox noch „YouSendIt“ in China erlaubt waren, hatte ich jetzt ein echtes Problem. Ein Problem, das noch viel größer wurde, als ich leichtsinnigerweise einem anderen Kunden zusagte, ein paar Lernprogramme auf dem Schiff zu sprechen, zu schneiden und zu versenden. Da reden wir dann nicht mehr von 35 Megabyte, sondern von knapp 2 Gigabyte! Bei dem Tempo der Internetverbindung sollte man da mal ein gutes Jahr einplanen…

Frustriert ins Bett.

Der siebte Tag
Nach dem Frühstück, das für mich inzwischen nur noch aus süßen Brötchen mit Käse bestand, musste ich zunächst einmal ein bisschen arbeiten. Mehrere Lernkurse für Boehringer Ingelheim mussten dringend fertig werden, wie gestern schon angedeutet. Da es auf dem Schiff verhältnismäßig ruhig war, konnte ich die Aufnahmen ohne größere Unterbrechungen fertig stellen.

Der einzige Ausflug, der für diesen Tag geplant war, sollte uns später, so gegen 11:30 Uhr, in die „Drei Schluchten“ führen. Hier wohnt noch immer ein Bergvolk, dass sich durch allerlei Folklore und Touristenbespaßung am Leben erhält. Nach etwa 45 Minuten Busfahrt kamen wir dann auch mitten in dieser atemberaubenden Landschaft an. Da wir eine recht kleine Gruppe waren, durften wir die Weiterfahrt ins Zentrum der Schluchten mit einem kleinen Ausflugsboot weiterführen. Die uns zugeteilte Reiseführerin war ziemlich sauer, dass ihr XU die ganze Arbeit abnahm. Ihr blieb nur noch übrig, zu den Erzählungen von XU die passenden Fotos aus einem Bildband zu zeigen, den wir dann am Ende hätten kaufen können. Hat natürlich niemand getan. Am Zielort angekommen, wanderten wir auf kleinen, schwankenden Wegen aus Plastikblöcken zum Zentrum der Touristenattraktion. Hier war eine kleine Bühne aufgebaut, auf der die Bergführer aus heiterem Himmel anfingen zu singen und zu tanzen. Über kurz oder lang mussten die Touristen mittanzen. Der Weg führte dann weiter bis zu einem Wasserfall, der aber an diesem Tag im Urlaub war. Wasser war nicht, wie überhaupt der Wasserspiegel erstaunlich niedrig war. So niedrig übrigens, dass unser Schiff nicht mehr weiterfahren konnte. Ab jetzt spielten sich alle Exkursionen vom selben Liegeplatz aus ab. Nach ein paar Minuten wanderten wir wieder zurück zu den Ausflugsbooten und drehten dann noch eine längere Runde auf dem Fluss, hier und da am Boden kratzend. Unsere (schweren) Herren mussten sich vom Aussichtsdeck ins Innere des Bootes begeben, damit kein weiterer Schaden am Schiff entstand.

Heute war der „Tag der Frau“.

Das Internet ging inzwischen überhaupt nicht mehr, obwohl die SIM-Karte weiterhin einwandfrei funktionierte. Das hatte vielleicht was mit den Mails zu tun, die ich von meinem chinesischen Provider mittlerweile bekommen hatte. Also bat ich XU, die mal zu übersetzen. Und siehe da: Mein Internetguthaben war aufgebraucht. Anders als bei der Telekom konnte ich es auch nicht selbst wieder aufladen. Aber XU konnte es. Sie hatte irgendeine App auf ihrem Handy, mit der sie MEIN Handy aufladen konnte. Ich gab ihr dann einfach das Bargeld, 100 Yuan. Und schon war ich wieder mit der Welt verbunden! Kaum 100 Mails später zeigte sich, dass ich nicht viel versäumt hatte.

Der Ausflug war so getimed, dass wir pünktlich zum Mittagessen wieder an Bord waren. Danach habe ich mich wieder in meiner Kajüte verbarrikadiert, um die Aufnahmen des Vormittags sauber zu schneiden. Das bedeutet, Fehler und Atmer aus der Aufnahme zu entfernen. Außerdem musste so gut wie jeder Satz einzeln mit einem eigenen Dateinamen abgespeichert werden. Eine Arbeit, die ich hasse wie die Pest, aber sie gehört nun mal dazu.

Um 17.00 Uhr gab es in der Bar und auf dem Oberdeck in Ebene 6 Martinis zum Sonderpreis. Genauer gesagt, mit 20% Preisnachlass. Statt 60 nur noch 48 Yuan. Immer noch sauteuer, aber auch saugut. Zwei Stück habe ich geschafft, dann musste schon wieder gegessen werden. Und da ich schon so gut drauf war, habe ich mir an diesem Abend gleich noch eine weitere Flasche Chardonnay aus Australien gegönnt. Wenn man sich Mühe gibt, kann man die alleine an einem Abend schaffen, wie sich herausgestellt hat.

Für mich war es der „Tag des Weins“.

Anschließend gab es noch die übliche Kurzdisco im 5. Stock. Diesmal mussten sich die Gäste mit Masken verkleiden. Habe ich allerdings nicht mitgemacht. Lieber habe ich den 22. Geburtstag von Alexandra mitgefeiert, dem schon erwähnten Teenager mit ihrem Vater, die ja dann wohl doch schon ein Twen war. Eines der schüchternsten Menschen, die ich jemals erlebt habe. Und dabei von oben bis unten gepierct und tätowiert. Passt alles nicht zusammen. Naja, geht mich ja nichts an.

In der Bar.

Dann eine Schocknachricht meiner Schwester, der meine Stimmung schwer runterzog: Meine Mutter hatte einen Schlaganfall. Bisher nur leichte Lähmungen, aber starke Probleme beim Sprechen. Geistig noch völlig fit. Das stellt uns vier Kinder vor ein echtes Problem: In elf Tagen wollte sie eigentlich in ein Heim für „betreutes Wohnen“ umziehen. Daraus wird jetzt wohl nichts mehr. 91 Jahre sind kein Pappenstiel.

Gegen 22.00 Uhr ins Bett.

Der achte Tag
Der letzte Tag auf dem Flusskreuzfahrtschiff war angebrochen. Inzwischen hatten wir die vielen hübschen und hilfsbereiten Chinesen und Chinesinnen an Bord liebgewonnen. Bei jedem Ausflug standen sie Spalier, um uns daran zu erinnern, den Kopf einzuziehen oder „Mind your step“ zuzurufen.
Der heutige Tag bot noch einmal zwei Highlights: Den Besuch des nun schon oft angesprochenen Staudamms und eine Fahrt zu einer „Flussfamilie“, was immer das sein sollte.

Die Busfahrt zum Staudamm dauerte wieder die üblichen 45 Minuten. 45 Minuten Fahrt durch eine verdreckte Industriestadt, die für die Zwangsumsiedler aus dem Boden gestampft worden war. Auch hier wieder Unmengen von Hochhäusern, die doch keiner wirklich haben will. Viele standen auch noch leer.

Alles für das größte Projekt, das China je auf die Beine gestellt hat. Der „Drei-Schluchten-Staudamm“ wurde zwischen 1993 und 2009 gebaut, nachdem man fast 80 Jahre daran geplant hatte. 24.000 Arbeiter waren daran beteiligt, und die endgültigen Kosten sind noch nicht abzusehen. Man rechnet mit zwischen 60 und 120 Milliarden US-Dollar. Zu 80% aus chinesischen Haushaltsmitteln finanziert!

Bisher ist der Staudamm „erst“ der drittgrößte der Welt. Wenn alles fertig ist, wird er aber die beiden Staudämme in Paraguay und Venezuela überholt haben, was die Stromleistung angeht. Natürlich haben auch viele deutsche Firmen hier mitgemischt; Siemens zum Beispiel. Eine Zeit lang hatten die Amerikaner ihre Unterstützung beim Bau zugesagt, diese aber wieder zurückgezogen, als die politischen Umstände sie dazu nötigten.

Die Besichtigung des Bauwerks ist leider stinklangweilig. Man kann sich ein Modell des Staudamms ansehen und sich dabei mit Andenken eindecken. Man sieht zwar den Damm, aber nicht den Stausee. Wer Beton mag, kommt allerdings voll auf seine Kosten.

Man kann es den Chinesen nicht verdenken, dass sie stolz auf ihr Bauwerk sind. Immerhin werden durch den Staudamm 86 Milliarden Kilowattstunden erzeugt, was für 13 Großstädte, 140 Kleinstädte, 1352 Dörfer und 657 Fabriken reicht. Hab´ ich nachgezählt. 632 qkm Land mussten wegen des Projektes geflutet und 1,3 Millionen Menschen umgesiedelt werden.

Die Besichtigungsstunde mit unzähligen Rolltreppen war wirklich sehr langweilig. Da hätte man auch mehr draus machen können.

Beim Mittagessen fing ich an zu schwächeln. Ich war kurz davor, den bereits bezahlten dreistündigen Spaziergang zu dieser ominösen Wasserfamilie zu schwänzen. Aber XU überredete mich, sich das nicht entgehen zu lassen. Und sie hatte Recht. Der Ausflug gehörte zu den absoluten Highlights dieser Chinareise.

Den Weg zum Bus waren wir ja nun schon einige Male gelaufen. Quer durch drei weitere Schiffe, die aufgrund des niedrigen Wasserpegels gestrandet waren. Dann über eine gewaltige „Passagierhebekabine“ auf Parkplatzhöhe. Und dann mit dem Bus eine Stunde durch die Megacity, bis die Straße immer schmaler wurde und der Bus eine beängstigende Slalomfahrt am Rand der Steilküste absolvieren musste. Unsere Fahrerin hatte einen ziemlichen Kamikaze-Stil drauf. So manches Mal stockte uns der Atem, bis der Gegenverkehr in letzter Sekunde ausweichen konnte.

Wen soll ich mir als Braut aussuchen?

Der Ort, den wir da besuchten, nennt sich „Water village“ und wird von einer der vielen chinesischen Minderheiten bewohnt. Die Führerin unserer Gruppe nannte sich „Vera“, und wir waren ihre „Vera-family. Von dem autark lebenden Ort selbst sahen wir nur einen kleinen Teil, der extra für uns Touristen vorbereitet war. Entlang eines Flusslaufes entdeckten wir Komorane, Affen und Fische. Die Einheimischen sangen sich quer über das Flussbett Liebeslieder zu, zwei Buben versuchten sich auf einer Art Blockflöte und ein junges Mädel spielte auf einem Zither-ähnlichen Instrument. Alles richtig nett. Gegen 16.00 Uhr wurde uns dann sogar eine Hochzeit vorgespielt, bei der die Braut sich einen jungen Mann aus dem Publikum angelte. Dazu laute atonale chinesische Musik und erklärende Worte des Dorfältesten. Nach einer guten Stunde waren wir durch und wurden wieder zurückgekarrt. Von wegen dreistündiger Spaziergang. 60 Minuten + 120 Minuten Busfahrt waren es nur. Trotzdem hatte ich mein Bewegungsziel heute um 200% übertroffen!

Irgendwohin müssen die Kilos ja geflossen sein…

Auf dem Schiff stand das Kapitänsdinner auf dem Programm. „Schön angezogen“ sollten wir uns pünktlich um 18:30 Uhr im Restaurant an unseren Tischen versammeln. Der Kapitän kam erst um sieben, bellte ein paar launige Worte ins Mikrophon und verloste ein paar Gutscheine. Dann durften wir essen. Anders also sonst kamen heute wieder die ganzen Speisen auf die Drehscheibe, die wir sonst nie angerührt hatten. Das Zeug musste ja weg! Es wurde so laut und stickig im Raum, dass ich mich sehr schnell zurückzog und den freien Platz an der Rezeption nutzte, meine 2005 Yuan an Extras zu bezahlen.
Es wurde Zeit, die Koffer zu packen. Bis 22:30 Uhr sollten die auf den Gängen vor den Zimmern stehen. Logistisch eine kleine Herausforderung, da man nach Abgabe seines Koffers ja nur noch sein Handgepäck mit sich rumschleppte. Und da passte nun mal der Rasierapparat nicht mit rein. Eine Ersatzzahnbürste samt Zahnpasta lag im Bad, aber rasieren musste ausfallen. Da der Wecker auf 5:45 Uhr stand, war ich um zehn im Bett, ein leichtes Kratzen im Halse verspürend …

Der neunte Tag
Oder der Tag, den ich gerne aus meinem Gedächtnis löschen möchte.

Unser Wecker klingelte pünktlich, es war Zeit, das Schiff zu verlassen. Meine Zimmerschlüssel (in Form einer Code-Karte) hatte ich schnell abgegeben, das Frühstück bot wie immer nur Käse mit süßen Brötchen für mich. Während wir uns für das Ausschiffen sammelten, nutze ich die Zeit, ein paar Takte auf dem Flügel zu spielen, der an der Rezeption stand. Ich kann es wohl noch; den Leuten hatte es anscheinend gefallen.

Da unser Schiff ja bekanntlich festlag, sollte der heutige Tag komplett mit Busfahrten verbracht werden. Ziel war die Provinzhauptstadt Wuhan-City mit „nur“ 11 Millionen Einwohnern. Ich hatte daher meine Winterjacke in den Koffer gequetscht und mir stattdessen nur mein Jackett angezogen.

Das war ein Fehler.
Denn nicht nur im Bus war es – anfangs – extrem kalt, auch draußen, bei diversen Zwangspausen, zitterte ich vor Kälte. Teils, weil es tatsächlich nur noch 10 Grad waren, teils, weil ich mir inzwischen eine gründliche Erkältung eingefangen hatte, bei der meine Nasen literweise Schleim produzierte. Der erste Stopp war an einer Tankstelle. Hier gab es auch einen Supermarkt, der aber nur Süßigkeiten und Getränke verkaufte. Leider keine Papiertaschentücher. Die Getränke musste man nicht extra kühlen, denn selbstverständlich war kein Raum in dem Gebäude beheizt.

Das wurde auch bei unserer nächsten Besichtigung, einem Museum in Jinzhou mit echter Mumie, leider nicht besser. Hier war es in den Räumen sogar noch kälter als draußen. Also weiter zum Mittagessen nach gewohntem Muster. Ungewohnt war nur, dass auch hier weit und breit keine Heizung existierte. Im Sommer soll es hier über 40 Grad heiß werden. Warum man dann im Winter die Kälte akzeptiert und kein Haus in der Stadt eine Heizung hatte, werde ich nie verstehen. Außerdem haben wir uns eine Stadtmauer mit diversen ungeheizten Verkaufsräumen angeschaut und einen weiteren Stopp an einer Tankstellen-Toilette gemacht, bei der es leider schon wieder kein Nasenputz-Papier gab, nicht einmal in der Toilette.

Gegen 17.00 Uhr kamen wir dann in den Feierabendverkehr der Großstadt Wuhan. Und diese Stadt war dann noch einmal um Einiges größer, schriller, durchgeknallter als alles, was ich städtebaulich bisher so gesehen habe. Überall wurden alte, zehngeschossige hässliche Hochhäuser abgerissen und durch neue, 40-geschossige hässliche Hochhäuser ersetzt. Auf den Straßen nur Mittel- und Luxusklassewagen, ein Drittel davon aus Deutschland. Und die Chinesen mittendrin nur frühlingshaft gekleidet! Bei diesen Temperaturen! Hier waren bestimmt irgendwo die berühmten Einkaufstempel, die ich mir gerne mal angesehen hätte, aber wir durften uns nur in der Kälte ein paar Wellblechhütten rund um das Restaurant ansehen. Da habe ich immerhin einen USB-Stick erstanden. Ich muss leider erwähnen, dass das Essen von Mal zu Mal immer schlechter wurde. Die „Acht Köstlichkeiten“ verwandelten sich langsam in Acht Kötzlichkeiten“. Nicht wenige hatten des Öfteren mit Magenverstimmungen zu kämpfen. Vor allem das „Fleisch“ sollte man besser nicht essen. Das angebliche Rind oder Schwein war meist sehr fettig und nur durch die Vermengung mit irgendwelchen Pilzen überhaupt genießbar. Warm war übrigens nur der Tee, der gratis ausgeschenkt wurde.

Und immer wieder dreht sich alles ums Essen…

Selbst das Abendessen in Wuhan in einem optisch sehr schönen tibetischen Ambiente (aber mit immer den gleichen, lauwarmen Essenszutaten wie bisher) zeichnete sich durch Eiseskälte aus. Kein Wunder, wenn man alle Türen auflässt. Ich wollte nur noch so schnell wie möglich in ein möglichst warmes Hotelzimmer. In der (ungeheizten) Lobby des Holiday Inn-Hotels ging die Verteilung der Zimmerschlüssel zum Glück sehr schnell und das anfangs eiskalte Zimmerchen war nach einer Stunde erträglich warm.

Eigentlich wollte ich mich am Abend noch mit einem chinesischen Sprecher treffen, der viel für mich arbeitet. Der hatte aber terminliche Probleme und musste mir absagen. Gut so, denn in der Hotelbar wäre er mir sicher erfroren.

Ich wollte ihm den USB-Stick mit meinen Aufnahmen mitgeben, damit er sie an meinen Kunden nach Deutschland schickt. So musste ich mal wieder auf das hoteleigene Internet zurückgreifen. Leider hat das, wie inzwischen üblich, auch hier nicht funktioniert. Meine Kunden werden sich weiter gedulden müssen.

Deshalb bereits um 21.00 Uhr ins Bett. Der Schlaf war sehr unruhig, da auch der unermüdliche Verkehr deutlich bis zu mir in den sechsten Stock drang.

Nachts um eins meldete sich dann meine Alarmanlage. Nicht die in meinem Zimmer, sondern die von zuhause. „Einbruchsversuch“ stand auf dem Handy. Da ich das Handy aber auf „Nachtmodus“ gestellt hatte, konnte ich diese Meldung erst am nächsten Morgen nach dem Wecken sehen. Zum Glück klärte sich der Alarm auf. Mein Sohn Benjamin hatte mich zuhause besucht.

Der zehnte Tag
Der Wecker klingelte an diesem Tag bereits um fünf Uhr früh. Es sollte ein weiterer Reisetag werden. Laut Plan würden wir um 7:36 Uhr mit einem Highspeed-Train nach Shanghai düsen. Die 700 Kilometer sollte der Zug in 4-5 Stunden schaffen; gebraucht hat er sechseinhalb. Das wird daran gelegen haben, dass wir alle paar Minuten anhielten, während der wirkliche Hochgeschwindigkeitszug auf dem anderen Gleis ohne Zwischenstopps das Weite suchte.  Der Zug selbst ist hochmodern. Die Sitze können je nach Fahrtrichtung mit wenigen Handgriffen umgedreht werden. Die Bezeichnung der Sitze erinnerte ein wenig an Flugzeuge. Ich hatte Reihe 1, Platz A, also am Fenster. Alle paar Minuten kam eine Bedienstete mit Obst, Getränken und Sandwiches vorbei, und um elf Uhr konnte man sogar ein Mittagessen für 12.00 Uhr vorbestellen. Ich wählte „Rind mit Reis und Gemüse“ und kriege jetzt noch Würgereflexe, wenn ich an das Fleisch denke. Reis und Gemüse waren OK.
Nach der Ankunft und einem weiteren überflüssigen Sicherheitscheck (die Sensoren piepten noch nicht einmal mehr) ging es dann mal wieder mit dem Bus weiter. Neuer Fahrer, alter, abgerockter Bus. Und nun passierte etwas Merkwürdiges. Laut Reiseplan hätten wir jetzt in unser Hotel fahren sollen, um uns etwas auszuruhen und den Rest des Tages zur freien Verfügung zu haben. Wer – wie ich – die Nachttour gebucht hatte, sollte diese so ab 18.00 Uhr antreten. Nun erzählte uns XU, bzw. ihre neue Kollegin „Christine“ (sie nennt sich wirklich so), dass das Hotel leider eineinhalb Stunden vom Zentrum entfernt sei. Wenn man also erst ins Hotel führe, müsse man ja dann gleich schon wieder zurückfahren. Da wäre es doch besser, den Stadtbummel vom Folgetag jetzt gleich anzuschließen und die Nachttour dann natürlich auch gleich mit. Das klang auf den ersten Blick ganz vernünftig, brachte uns jedoch leider am Ende nur Nachteile. Doch der Reihe nach.

Vom Bahnhof bis in die Innenstadt sind es ein paar Kilometer, bzw. über eine Stunde Fahrzeit. Zeit genug, um uns über ein paar Kennzahlen von Shanghai ins Bild zu setzen. Die zweitgrößte Stadt Chinas hat so um die 24 Millionen Einwohner. Auf den 6300 qkm Grundfläche tummeln sich 20.000 Busse und 50.000 Taxis. Die würden nicht größer auffallen, wenn nicht jeder Einwohner mindestens ein Auto hätte. Die Neuzulassungen sind hier auf 8000 Stück pro Monat beschränkt. Auch hier ist das Nummernschild unter Umständen teurer als das Auto. Die Nummer „88888“ soll angeblich 1 Million Yuan gekostet haben. Shanghai hat den größten Hafen der Welt und das höchste Bauwerk sowieso: Der „Shanghai Tower“ ist 632 Meter hoch. Derzeit ragen sage und schreibe 6000 Hochhäuser in den Himmel – und täglich werden es mehr. Der Bauboom geht schon einige Jahre, hat aber zuletzt noch mal Fahrt aufgenommen. Bis 2020 werden die 19 U-Bahnlinien ganze 800 km lang sein. Und das alles baut der Chinese bei einer Arbeitszeit von 8 Stunden täglich mit zwei freien Tagen in der Woche. Hut ab!

Shanghai and I.

Endlich waren wir im Zentrum angekommen. Wir wurden an der Uferpromenade ausgespuckt, um uns einen ersten Eindruck der Metropole mit ihren Myriaden von Wolkenkratzern machen zu können. Brav liefen wir 20 Minuten hin und her und stiegen wieder ein. Als nächstes hielt der Bus an einer Kreuzung mitten in der Fußgängerzone der „größten Einkaufsstraße“ von was weiß ich, vermutlich der Welt. Die „Nanjing-Straße“ ist zwar nur 5 Kilometer lang, aber schwer angesagt. 200.000 Besucher laufen jeden Tag über diese Straße. Und natürlich findet man hier alle angesagten Marken der Welt. Von Gucci bis Rolex, von Apple bis Samsung, von Porsche bis Lamborghini. Und man sieht unheimlich viele Fressketten. Die Chinesen essen wirklich den ganzen Tag, am liebsten Süßigkeiten. Vor manchen uns völlig unbekannten Süßwarenverkäufern standen lange Schlangen. Während ich da so zuschaute, wurde ich plötzlich von zwei blutjungen, sehr hübschen Chinesinnen angesprochen. In feinstem Englisch wollten sie gerne mit mir einen Tee trinken gehen. Einen kurzen Moment fühlte ich mich echt geschmeichelt. Bis die kleine Alarmglocke im Hirn mich darauf aufmerksam machte, dass dies ein beliebter Trick ist, alleinstehende Männer nach Strich und Faden auszunehmen. Bestimmt, wenn auch ungern, lehnte ich dankend ab. Viel interessanter waren dafür die vielen kleinen Nebenstraßen, die von allerlei Straßenhändlern bevölkert wurden. Aber wenn man bei „China“ sofort an „Billig“ denkt, kommt man hier nicht weit. Die ganze sogenannte „Fake“-Ware ist weit und breit nicht zu sehen. Hier ist alles echt und sehr teuer. Teurer als in Deutschland.

Sicher gibt es irgendwo Märkte, auf denen diese Imitationen verkauft werden. Aber wir Touristen sollen davon nichts mitbekommen. Wir werden bewusst (?) von diesem negativen Bild Chinas ferngehalten.

Deswegen die unscheinbaren, kleinen Restaurants irgendwo in Nebenstraßen. Deswegen die Hotels, die so weit weg vom Zentrum liegen, dass man als Tourist kaum den Mut hat, die Stadt auf eigene Faust zu erkunden. Denn die Sprachbarriere ist schon deutlich: Es spricht fast niemand in China englisch, jedenfalls kein Taxifahrer oder Hotel-Rezeptionist.
Wir wurden jedenfalls nach 30 Minuten Einkaufsstraße wieder in den Bus geschoben und haben uns dann dem nächsten Programmpunkt gewidmet: Die optionale Nachttour durch Shanghai für ca. 30.- Euro Extrapreis. Natürlich begann sie mit dem Abendessen. Diesmal ging es in ein ziemlich dreckiges Restaurant direkt gegenüber einer Gefängnismauer. Die Stimmung kippte ein wenig. Also schnell weiter. Eine Bootsfahrt stand an. Der Bus brauchte – wie immer – eine Weile, um in die Nähe der Anlegestelle zu kommen, die nur ein paar Meter neben der Stelle war, an der wir vor kurzem erst die Uferpromenade bevölkert hatten. Auf die Idee mit dem Boot sind außer uns noch viele andere gekommen. Das bedeutete Warten. Lange warten. Noch länger warten. Hatte ich schon erwähnt, dass es sehr kalt war? Um 19:35 fuhr legte das Schiff dann endlich ab und drehte eine Runde im Hafenbecken. Die Leuchtreklamen der Wolkenkratzer sahen wirklich beeindruckend aus. Die rund tausend Passagiere knipsten sich Selfies aus der Seele, als gäbe es kein Morgen. Damit hätte die Nachttour eigentlich zu Ende sein können. Immerhin waren wir seit 5 Uhr auf den Beinen und hatten unseren Koffer immer noch im Bus. Aber es war noch lange nicht Schluss. Als Nächstes stoppte unser Fahrer inmitten der drei höchsten Wolkenkratzer. Leider konnte ich die Gruppe nicht einig werden, ganz nach oben zu fahren. Irgendeiner ist immer dabei, der das nicht bezahlen will. Ich war es nicht, da ich geschwächelt habe und im Bus geblieben war. Der Schnupfen hatte inzwischen mehrere Quadratmeter Toilettenpapier befeuchtet. Meine Schniefnase entwickelte sich zu einem echten Problem, nicht nur für mich. Der letzte Programmpunkt fehlte noch: Der Besuch eines angesagten Szeneviertels. Und da war es wirklich supertoll. Da hätte ich gerne ein paar Stunden bei Wein, Weib und Gesang verbracht, aber die Reiseleiterin gab uns nur 20 Minuten. Immerhin konnte ich in einem der Geschäfte den bekannten „Lego“-Porsche sehen. Er war komplett zusammengebaut und kostete umgerechnet knapp 1800.- Euro.

Dieser Hund ist ein Lautsprecher.

Das Viertel gehörte ausnahmsweise nicht zu irgendwelchen Hochhäusern, sondern war inmitten der Altstadt entstanden. Wer weiß, wie lange sich diese Szene hier halten kann. An vielen anderen Stellen waren die alten Häuser bereits abgerissen oder warteten auf ihr Ende. Stattdessen werden dort sehr bald weitere Hochhäuser stehen, ganz ohne Frage.

Wieder zurück im Bus, mussten wir noch eine gute Stunde bis zu unserem Hotel fahren. Es lag, wie gesagt, völlig außerhalb von Shanghai und war von einem Golfplatz umgeben. Außerdem war es nicht beheizt. Weder die Rezeption noch die Bar noch das Restaurant. Das Zimmer schon gar nicht. Kurz nach 23.00 Uhr bin ich dann ermattet ins Bett gefallen. 18 Stunden auf den Beinen. Viel gesehen, viel erlebt, aber alles nur kurz gestreift. Der zweite Tag in Shanghai würde hoffentlich alle Lücken schließen.

 

Der elfte Tag
(Oder der Tag, an dem alles kippte)
Sieben Uhr aufstehen. Das war ja direkt luxuriös. Im Gegensatz zum Frühstück in einem unbeheizten Frühstücksraum mit offenen Türen und Nieselregen vor denselben.
Es gab zwar eine Kaffeemaschine, die aber rund zwei Minuten für jede Tasse brauchte. So viel Zeit hatte ich nicht. Der Fertigkaffee schmeckte dafür nach Wasser. Also mehr nach Wasser als nach Kaffee. Die Butter war tiefgefroren und die süßen Brötchen waren trocken und alt. Käse gab es nicht, Schinken gab es nicht, Wurst gab es nicht. Nur komplette Mittagsgerichte, wie hier in China üblich.
Nach dem Frühstück begann Teil zwei der Merkwürdigkeiten des vergangenen Tages. Eigentlich hätten wir heute die Stadtbesichtigung durchführen und die Einkaufsstraße besuchen sollen. Dazu hätten wir dann ja auch genug Zeit gehabt. Da wir dies aber aus den oben genannten Gründen bereits gestern erledigt hatten, war nun plötzlich – oh Wunder – ein Zeitfenster für gleich drei weitere Verkaufsshows frei. So trafen wir gegen 9:30 Uhr in einem staatlichen Verkaufsbüro für Seidenwaren ein. Ein sehr gut deutschsprechender Chinese erklärte uns, wie man aus dem Kokon der Seidenraupe Bettwäsche macht. Praktischerweise konnte man die dann gleich vor Ort kaufen. Und erstmals hat sogar jemand aus unserer Gruppe zugeschlagen und reichlich Bettwäsche geordert. Im Nebenraum gab es dann noch hunderte von weiteren Produkten aus Seide, natürlich auch die nicht weg zu denkende Krawatte mit Panda-Motiv. Wir hätten eigentlich draußen frei rumlaufen und uns die Stadt selbst erobern sollen. Stattdessen standen wir in diesem Laden und schüttelten bloß noch den Kopf. Es sollte aber noch schlimmer kommen. Weitere 20 Busminuten später hielten vor einem Einkaufszentrum an, indem es einen Kaschmir-Laden gab. Natürlich sollten wir auch hier wieder fleißig einkaufen, aber das klappte diesmal nicht so gut. Die Preise fand ich auch extrem hoch, bin aber kein Fachmann für Kaschmir. Mir reicht mein Wollpulli (den ich leider zu Hause liegen gelassen hatte).  Lediglich die Frau, die vom Pferd gefallen war, deckte sich mit Kaschmirteilen ein. „Bei uns auf dem Land ist es ja so, dass die Damen bei unseren Empfängen doch immer mehr oder weniger dasselbe tragen. Da muss man die Gelegenheit nutzen, die Garderobe zu erweitern.“ Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Wenige Meter weiter stolperten wir in die nächste Verkaufsfalle. Diesmal ging es um Seidenstickerei.

Diese Dame fühlt sich im wahrsten Sinne des Wortes seidig an.

Ja, toll, schönes Hobby, wunderbare Arbeit, aber was soll ich damit? Oder irgendjemand anders aus unserer Gruppe? Genau: Nix. Zumal die Preise für ansehnliche Stickereien so bei 4000 Dollar anfingen. Nach diesem Reinfall war es – der geneigte Leser ahnt es bereits – mal wieder Zeit für das Mittagessen. Das befand sich ebenfalls in dem Einkaufszentrum, das ansonsten unter anderem noch Tanzschulen für Mädchen und Karateschulen für Jungs beherbergte. Und jetzt – Tusch – gab es eine Überraschung! Wir saßen nicht wieder zu zehnt an einem runden Tisch, auf dem uns 8 Kötzlichkeiten vorgesetzt wurden. Wir saßen diesmal zu zehnt an einem runden Tisch beim Japaner, der die insgesamt drei Gerichte vor unseren Augen brutzelte. Auch hier war das Fleisch leider wieder eine Zumutung, weil es praktisch nur aus Fett bestand. Aber zusammen mit dem frischen Gemüse bekam man es runter. Nach den drei Gängen war Schluss. Der Koch ging und ward nimmer gesehen. Kein Nachtisch, nicht mal die obligatorische Melonenscheibe. Nachdem unsere Betreuungsdamen auch schon lange nicht mehr zu sehen waren, standen wir halt auf und gingen auf die Suche. Die beiden hatten sich wohl viel zu erzählen und die Zeit vergessen…

Englischunterricht in China.

Das Wetter hatte uns leider nun völlig im Stich gelassen. Der Nebel verdeckte einen Großteil der Wolkenkratzer-Spitzen, und es hatte zu regnen begonnen. Erst zaghaft, später immer heftiger. Aber das war ja für unsere Reiseleitung kein Problem. Was macht man mit Besuch bei schlechtem Wetter? Richtig, man schickt sie ins Museum. Da lernen sie was und müssen nicht dumm sterben. Und außerdem muss man sich dann ein paar Stunden nicht um sie kümmern. Auf diese geniale Idee kamen leider auch noch ein paar hundert Andere, sodass wir erst einmal eine halbe Stunde im Regen Schlange stehen mussten. Eine andere SINORAMA-Reisegruppe wurde diskret an einem Seiteneingang hereingelassen – wir haben brav bis zum bitteren Ende in der großen Schlange gewartet. Nun, das ist nicht sonderlich schlimm, aber wenn es schon Sonderbehandlungen gibt, sollten sie auch uns zur Verfügung stehen. Unsere Damen hätten sich dafür allerdings ein bisschen ins Zeug legen müssen, was ihnen inzwischen offenbar nicht mehr so wichtig war. Sie verschwanden jedenfalls mit den Worten „Um halb 5 am Eingang“ und ließen uns dann gute drei Stunden in diesem Museum alleine.

Nun gut, ein Museum kann etwas Tolles sein. Ins Technische Museum in München könnte man mich drei Tage einschließen, ohne dass ich mich auch nur eine einzige Sekunde langweilen würde. Aber dieses Museum hier in Shanghai beschäftigte sich ausschließlich mit alten Krügen, Keramiken, Geldstücken, Schriftrollen und Möbeln. Klar, das ist höchst interessant. Für ein paar Krüge, ein paar Keramiken oder Geldstücke. Aber nicht für hunderttausende akkurat beschriftete Exponate dieser Art auf vier Stockwerken mit rund 20 Themensälen. Wenn man den Krempel nicht gerade beruflich macht, lässt die Aufmerksamkeit dann doch schnell nach. Und der Kaffee im Museumscafé war auch schnell getrunken. Nur die Uhr, die lief nicht schnell genug. Ein paar Gäste der Gruppe hatten sich heimlich abgeseilt, um nochmal die Einkaufsstraße wiederzufinden. Der klägliche Rest traf immer mal wieder aufeinander, um die Uhren zu vergleichen. Pünktlich um 16:30 Uhr kamen die beiden Reiseleiterinnen dann wieder zu ihrer Gruppe. Der Bus fuhr nun zur Abendveranstaltung, die außer einem Abendessen noch eine Akrobatenshow beinhaltete. Als ich das in der Reisebeschreibung gelesen hatte, habe ich dieses Zusatzangebot natürlich abgelehnt, zumal auch das Fotografieren und Filmen streng untersagt gewesen wäre. Auch einige andere Gruppenmitglieder waren davon nicht begeistert und hatten die Teilnahme abgelehnt. Also wurden wir Abtrünnigen vom Bus ins Hotel gekarrt, während die Nightlife-Teilnehmer zusammen mit anderen Gruppen in einem anderen Bus zunächst zum Abendessen gefahren wurden.
Und das war meine Chance: Kaum war ich im Hotel, stürmte ich (mit meiner Winterjacke bekleidet) die Bar, bestellte einen Gin-Tonic und eine Portion Spaghetti Carbonara. Kinder, hat das trotz der Kälte gut geschmeckt!

Dieser Kaffee wurde sehr liebevoll zubereitet.

Gegen 21.00 Uhr ins Bett. Was soll man hier auch sonst machen? Als europäischer Tourist ohne Sprachkenntnisse in einem 40 Kilometer vom Zentrum entfernten Landhotel? Mit laufender Nase, klappernden Knochen und fast abgelaufener SIM-Karte?

Der zwölfte Tag
Heute hatten wir endlich Freizeit. Bis 15.00 Uhr. Ich nutzte die freien Stunden, um zunächst auszuschlafen und mich dann nach einem leider wieder misslungenen Frühstück meiner angeschlagenen Gesundheit zu widmen. Inzwischen kam zum Schnupfen ein unangenehmer Reizhusten hinzu. Keine Frage: Aus meiner Männergrippe war eine Vogelgrippe geworden, mindestens. Also blieb mir gar nichts anderes übrig, als mit Hilfe einer Mitreisenden ein Taxi zu ordern, das mich zu einer Apotheke bringen sollte. Ilka aus Weißensee hatte mir ihre leere Packung mitgegeben, damit der Apotheker verstehen würde, was mir fehlt. Ihr ging es nämlich nicht anders, nur dass bei ihr die Symptome infolge einer rechtzeitigen Einnahme der Medikamente nicht sichtbar waren. Das Taxi kam auch gleich und fuhr mich in irgendein winziges Dorf in der Nähe des Hotels, in dem außer der Apotheke nur noch zwei Restaurants geöffnet waren. Die Chinesen essen ja bekanntlich immer. Für knapp 5 Euro erhielt ich dann das chinesische Pendant zu Grippostat C. Nach etwa einer Stunde verspürte ich eine Wirkung. Statt die Nase alle 30 Sekunden putzen zu müssen, vergrößerte sich das Zeitfenster auf 10 Minuten.

Nach dem Einkauf war das Taxi blöderweise verschwunden, weil ich nicht ausdrücklich darum gebeten hatte, dass es warten soll. Also blieb mir nichts Anderes übrig, als ein paar hundert Meter durch den Regen in Richtung U-Bahnstation zu laufen, die man gut von Weitem sehen konnte. Ja, es regnete natürlich wieder. Mir wurde berichtet, dass es dort ein Einkaufszentrum gäbe. Nun, der Begriff Einkaufszentrum ist ein bisschen hoch gegriffen– da bietet selbst das Taunuskarré in Friedrichsdorf bedeutend mehr, aber es war immerhin eine willkommene Abwechslung vom Regen. Es gab dort ein paar Baby-Läden, ein Uhrengeschäft, eine SAMSUNG-Dependance, einen großen Lebensmittelmarkt und unzählige Fressbuden, die – morgens um 11 – alle schon voll besetzt waren. Wo nimmt der Chinese den Appetit her? Und warum wird er davon nicht dick? Fragen, die sich so auf die Schnelle nicht beantworten lassen.
Fragen wir lieber mal die Mitreisenden, die gestern beim großen Akrobaten-Abend teilgenommen hatten, wie es denn so war. Da scheine ich tatsächlich etwas verpasst zu haben, denn sowohl das Essen als auch die Akrobatik sollen vom Feinsten gewesen sein. Unter anderem sind die Wahnsinnigen mit acht Motorrädern gleichzeitig in einer Stahlkugel rumgefahren. Also die Akrobaten, nicht die Mitreisenden.

Da nun außer unserer Heimreise nichts mehr passieren dürfte, wird es Zeit für ein Fazit.

 

FAZIT
China ist toll, gigantisch, einzigartig. Die Weltwirtschaft wird sich warm anziehen müssen, wenn sie den Chinesen Paroli bieten will. Aber leider hat man uns nur einen sehr kleinen Teil des Landes gezeigt. Den Teil der Superlative, der Wolkenkratzer, der Besserverdienenden. Es gibt sicher noch ein anderes China, in dem nicht alles so rund läuft. Damit wir dieses andere China nicht zu Gesicht bekommen, hat man uns vermutlich in weit entfernte Hotels gesteckt, um eigene Ausflüge zu verhindern.
Es war nicht sonderlich klug, uns in den 12 Tagen fast 4000 Kilometer mit Taxen, Bussen, Bahnen, Schiffen und Flugzeugen durch die Gegend zu karren. Zu viel Zeit hat man dadurch nur mit Warten verbracht. Wahrscheinlich geht es aber den Chinesen nicht anders, wenn sie in einer Woche ganz Europa besichtigen müssen…
Die Organisation der Reise ist also optimierungsbedürftig. Das Essen war fast immer unter einem akzeptablen Niveau. Die Lokale waren viel zu einseitig ausgewählt. Die Beschränkung auf ein Glas Bier/Cola oder Sprite und das quasi ausgesprochene Weinverbot gehören sich ebenfalls nicht. Bei den Hotelzimmern musste man Glück haben. Manche Gäste hatten ein völlig verschimmeltes Badezimmer (Peking) oder Bettwäsche mit gelben Flecken (Shanghai).

So sah das Bettlaken nur unter LED-Licht aus. Trotzdem eklig.

Und was das Besuchsprogramm angeht, kann ich mir gut vorstellen, dass eine Stadt wie Shanghai noch andere Möglichkeiten bietet, Touristen informativ zu unterhalten, als sie dreieinhalb Stunden im Museum einzusperren (na ja, das war immerhin das einzige Gebäude der Stadt, das beheizt war).

Die Rückreise begann verspätet gegen 21.00 Uhr mit einem Flug nach Peking. Dort hatten wir vier Stunden Aufenthalt, bevor es nach Hause ging. Am nächsten Morgen um halb sechs Ortszeit waren wir wieder in Frankfurt. Für mich war hier Ende, aber viele Mitglieder unserer Gruppe hatten noch weite Wege vor sich.

Ach ja, ich habe zwei Kilo abgenommen.